"ENTHINDERUNG" - Neue Wege beruflicher Integration für Menschen mit besonderen Bedürfnissen.

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Referate
Releaseinfo: Die vorliegenden Referate sind Berichte von der Enquete: "ENTHINDERUNG" - Neue Wege beruflicher Integration für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Abgehalten am Freitag 19.Mai 1995 / Parlament / Budgetsaal Veranstaltet von: Die Grünen, Bizeps, Integration Wien. Verein Gemeinsam Leben - Gemeinsam Lernen
Copyright: © bei den Autoren 1995

Eröffnungsrede von Theresia Haidlmayr

Behinderte Menschen haben das Recht, selbstbestimmt zu leben. Der jahrzehntelangen Aussonderung und Bevormundung muß mit neuen rechtlichen Rahmenbedingungen begegnet werden.

Als Behindertensprecherin der Grünen freue ich mich ganz besonders sie im Namen des gesamten Grünen Klubs hier in den Räumen des Parlaments herzlich begrüßen zu können und danke ihnen für Ihr Kommen. Danke auch an die Referentinnen und Referenten aus dem In- und Ausland, die heute zu uns gekommen sind. Es ist mir ganz wichtig nicht unerwähnt zu lassen, daß wir Grünen diese Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem selbstbestimmt Leben Zentrum Bizeps und dem Verein "Integration Wien" veranstalten. Diese Enquete ist unser gemeinsames Werk, dafür danke an alle, die mitgewirkt haben, den Freundinnen und Freunden von Bizeps, von Integration Wien und den MitarbeiterInnen des Grünen Klubs.

Ziel dieser Enquete ist es, neue Formen und Modelle von Assistenzleistungen und Angeboten im Bereich "Behinderung und Arbeitswelt" nicht nur vermittelt zu bekommen, sondern sie auch in Österreich zu verwirklichen.

Es bringt nichts, wenn Unternehmen, Bund, Länder und Gemeinden sich billigst von der Einstellungspflicht freikaufen können, damit werden keine neuen Arbeitsplätze geschaffen, ganz im Gegenteil, bestehende werden weiterhin reduziert. Wir brauchen veränderte gesetzliche Bestimmungen, die den Freikauf von Behindertenarbeitsplätzen nicht mehr begünstigst, sondern hart bestraft. Es muß zu Ausgleichstaxzahlungen kommen, deren Höhe pro nicht besetzen Behindertenarbeitsplatz mindestens die durchschnittlichen Lohnkosten des Unternehmens plus den Lohnnebenkosten ergeben. Anderseits brauchen wir eine Vielfalt von Rahmenbedingungen, die es behinderten Menschen ermöglichen, ihren gewählten Beruf auch am offenen Arbeitsmarkt ausüben zu können.

Es ist unumgänglich den Ist-Zustand zu kennen und der ist gelinde gesagt, katastrofal. Ja, in unserem Land weiß man/frau schon, daß für behinderte Menschen etwas getan werden soll und muß, nur das "Wie" ist den meisten Menschen nicht bewußt. Die große Anzahl von Sonderanstalten, wie Behinderten- und Pflegeheime, wie Sonderkindergärten und Sonderschulen, wie Ausbildungs- und Arbeitsstätten ausschließlich für behinderte Menschen sind das Ergebnis. Sie sind das Ergebnis einer Nichtbehinderten Ideologie, die meint, das Menschen mit Behinderung besser dort aufgehoben sind und leben sollen, wo sie alle unter sich sind. Fremdbestimmtes Leben für behinderte Menschen ist eines der Resultate dieser Aussonderungsmaßnahmen. Behinderten Menschen werden in ihren Menschenrechten verletzt und fremdbestimmt. Ich wollte Ihnen den Ist-Stand keinesfalls vorenthalten, weil es sich um Tatsachen handelt, die vor 30 Jahren schon so waren und heute noch immer Tatsachen sind. Nicht nur ich, sondern viele behinderte Menschen, die heute hier sind, haben Jahre in diesen Strukturen leben müssen, und einige der Anwesenden, leben heute noch dort. Es ist für so viele "Nichtbehinderte Menschen" noch immer nicht klar, daß der seit jahrzehnten aufrechten Zustand schon längst überfällig ist. Es wird als legitim hingenommen, daß behinderte Menschen für ihre Arbeit großteils nur ein Taschengeld bekommen und nicht einmal eine SV-rechtlichen Absicherungen haben, Arbeitslosen- und Pensionsanspruch können niemals wirksam werden. Dieser Zustand ist nicht mehr aufrecht zu halten und es muß rasch zu einer Änderung kommen.

Ihr zahlreiches Kommen zeigt, wie wichtig dieses Thema ist und in Zukunft noch werden wird. Neue Wege und Modelle im Bereich der persönlichen Assistenzleistung für behinderte Menschen zu beschreiten und zu berollen, muß unser gemeinsames Ziel sein. Ihr Dasein läßt in mir die Hoffnung zu, daß es auch ihr Bestreben ist, das "Wie" zu ändern.

Es würde den Rahmen jeder Veranstaltung sprengen, die gesamte Thematik von Aussonderung, Menschenrechtsverletzung, und Diskriminierung an behinderten Menschen zu diskutieren. Unsere eingeladenen Referentinnen und Referenten werden heute neue Modelle, vorstellen, mit dem schon erwähnten Ziel, daß sie auch in Österreich Realität werden. Daß Aussonderung schon bald der Vergangenheit angehört und Integration in allen Lebensbereichen zum rechtlichen Selbstverständnis wird.

Diese Enquete mit dem Schwerpunkt "Behinderung und Arbeitswelt" ist der Beginn zu einem neuen "Wie", in der Behindertenpolitik. "Behinderung und Arbeitswelt" es ist nur ein Bruchteil der gesamten Aussonderungsproblematik.

Wir behinderte Menschen müssen unser Menschenrecht auf Selbstbestimmtes Leben und das heißt auch das Recht auf Integration in allen Lebensbereichen gesetzlich einfordern und dazu gehört auch das Recht auf Arbeit am offenen Arbeitsmarkt.

Ich weiß, daß alles von dem, was heute Inhalt dieser Enquete sein wird, unter der Voraussetzung ralisierbar ist, wenn nicht nur ernsthaftes Interesse besteht im Rahmen der Behindertenpolitik etwas zu verändern, sondern Handlungen folgen. Handlungen, die Aussonderungsmaßnahmen nicht mehr fördern, dulden oder zulassen, sondern bestrafen. Handlungen, die das Recht auf Selbstbestimmtes Leben und die Schaffung der dafür notwendigen bedürfnisgerechten Rahmenbedingungen gesetzlich absichern. Sehr geehrte Anwesende, es besteht akuter handlungsbedarf zur Schaffung eines Antidiskriminierungsgesetz.

Danke!!

NRAbg. Theresia Haidlmayr ist seit 1994 Behindertensprecherin der Grünen, war zehn Jahre in der ambulanten Behindertenbetreuung als Koordinatorin und Zweigstellenleiterin tätig; Aktivistin der Selbstbestimmt Leben-Bewegung; Delegierte im BM f. Arbeit u. Soziales/Arbeitsgruppe "Vorsorge für pflegebedürftige Menschen".

Maria Pfaffenbichler: Recht auf Arbeit

Bestätigung und Anerkennung am Arbeitsplatz sind wichtige Voraussetzungen für erfolgreiche Integration. Behinderte Menschen erringen nicht nur wirtschaftliche Unabhängigkeit, sondern auch mehr Selbstbewußtsein.

Im ersten Teil meines Referates möchte ich auf die Bedeutung der Arbeit eingehen. Im zweiten Teil möchte ich diese theoretischen Ausführungen mit einem konkreten Fallbeispiel ergänzen.

Was bedeutet nun also Arbeit für behinderte Menschen?

Arbeit kann als Mittel zur wirtschaftlichen Sicherstellung gesehen werden, d.h. auch der behinderte Mensch braucht Arbeit, um selbständig, unabhängig von Eltern oder diversen Einrichtungen leben zu können. Eine Arbeit zu haben bedeutet für uns alle auch Erwachsenwerden. Bei behinderten Menschen ist es aber nicht nur das, oft erleben sie durch die Arbeit bewußt das Gefühl des Nicht-mehr-so-behindert-seins.

Arbeit bringt auch eine Gelegenheit für sie, mit anderen nichtbehinderten Menschen zu kommunizieren.

Wenn wir unser eigenes Können im Bereich der Arbeit erleben, so führt das zu einer Ich-stärkung und einem höheren Selbstwertgefühl. Sie werden mir sicherlich rechtgeben, daß ein höheres Selbstwertgefühl zu einer höheren Lebensqualität führt.

Die wirtschaftliche Sicherstellung, die Möglichkeit zur Kommunikation, das Gefühl des Nicht-mehr-so-anders-seins und das höhere Selbstwertgefühl sind nur einige Beispiele dafür, wie wichtig Arbeit für behinderte Menschen ist.

Sie zeigen uns auch, daß ein behinderter wie ein nichtbehinderter Mensch das Recht auf Arbeit haben muß. Ich möchte sogar soweit in meine Forderung gehen, daß ein behinderter Mensch sogar das Recht auf einen besonderen Arbeitsplatz hat. Besonders deswegen, weil der Arbeitsplatz seinen besonderen Bedürfnissen angepaßt und auf diese abgestimmt werden muß. Besonders auch deswegen, weil eine besondere Förderung notwendig ist.

Um dem behinderten Menschen zu einer erfüllenden Arbeit zu verhelfen, müssen wir ihn von seinen Stärken her begreifen und nicht von seinen Schwächen. Je mehr er seine Stärken in der Arbeit einbringen kann, desto eher ist ein Gelingen möglich.

Wer erlebt hat, wie groß die Freude eines behinderten Menschen ist, der einen Arbeitsplatz hat und diesen auch zufriedenstellend ausfüllt, wird die Wichtigkeit der Integration nicht mehr anzweifeln. Ich erlebe auch immer wieder in der Praxis, daß Arbeitgeber genau durch dieses Erleben verständnisvoller werden und darin bestärkt werden, einen Behinderten zu beschäftigen.

Ein Praxisbeispiel: Frau Katharina

Um diese grundsätzlichen Überlegungen anschaulicher darzustellen, möchte ich Ihnen nun einen konkreten Fall aus meiner Praxis schildern.

Bewußt habe ich keinen ganz leichten Fall gewählt, sondern einen, wo Sie auch Einblick in die Probleme, die bei der Integration entstehen können, bekommen.

Nennen wir unsere Frau, um die es im folgenden geht, Katharina.

Katharina ist eine heute 50-jährige Frau, die viele Jahre im Altersheim im Waldviertel verbrachte. 1980 kam sie ins Heim nach Lanzendorf.

Zum Zeitpunkt, als ich sie kennenlernte, war sie eher ein verschlossener, schüchtener, alt wirkender Mensch. Bei uns wohnte sie anfangs in einer Gruppe mit 12 Kolleginnen und arbeitete in einer Reinigungsgruppe.

Ihre Arbeitshaltung beim Putzen ist bereits recht gut. Sie arbeitete sehr zuverlässig und selbständig. Wenn sie sich wohl fühlt, zeigt sie sich von einer äußerst freundlichen und fürsorglichen Seite. Sie hat ein starkes Nähe- und Anlehnungsbedürfnis. Beim Arbeiten und auch in der Freizeit war es ihr immer wichtig, daß sich andere nach ihren Vorstellungen richten. Katharina ist sehr sensibel, leicht verletzbar und kommt mit Kritik nicht gut zurecht. Sie reagierte oft mit Bauchschmerzen, Erbrechen etc.

Durch konstante Betreuung und viel Zuwendung seitens der Betreuer konnten diese psychosomatischen Reaktionen auf ein Mindestmaß gesenkt werden.

Im Sommer 93 trat sie an mich mit dem Wunsch nach einem auswärtigen Arbeitsplatz heran. Nach den üblichen Anforderungskriterien erfüllte sie aber vor allem im sozialen Bereich noch nicht die erforderlichen Voraussetzungen für einen geschützten Arbeitsplatz. Ich hatte Sorge, daß sie überfordert ist und wieder in frühere Verhaltensweisen zurückfällt.

Aus diesem Grund machte sie zuerst ein Arbeitstraining in einer geschützten Werkstätte. Dort hatte sie Verpackungs- und andere Routinearbeiten zu erledigen. Geplant war dieses Arbeitstraining für 1 Jahr. In geschütztem Rahmen sollten die realen Möglichkeiten für Katharina überprüft werden.

Katharina fühlte sich aber auf diesem Arbeitsplatz nicht wohl, sie klagte über ungerechte Behandlung, unleidliche Kollegen, usw. Nach 3 Monaten war die Situation derart untragbar für sie, daß sie nicht mehr hingehen wollte. Sie beendete ihr Dienstverhältnis.

Sie können sich sicher vorstellen, daß sie durch dieses Erlebnis in ihrem Selbstwertgefühl erschüttert war. Katharina brauchte daher dringend ein Erfolgserlebnis.

Weil das Scheitern vor allem dadurch verursacht wurde, daß sie ihre Stärken nicht einsetzen konnte, suchte ich daraufhin einen Arbeitsplatz, wo sie ihre Fähigkeiten, Putzen und Umgang mit Menschen, Freundlichkeit usw. besser einsetzen kann.

Ich fand eine Arbeitsplatz in einem Pensionistenheim, wo sie seit Jänner 94 als Pflegehelferin auf einer Pflegestation arbeitet.

Katharina begann ihr Dienstverhältnis mit einem Stundenausmaß von 20 Wochenstunden. Sie kann dort sowohl leichte Reinigungstätigkeiten verrichten, als auch im Kontakt mit den Patienten ihre Stärken einsetzen. Der liebevolle Umgang der Vorgesetzten ermöglicht es Katharina, sich dort wohlzufühlen und ihre eigentlichen Stärken, ihre Freundlichkeit und Wärme zu leben, anzuwenden. Sie kommt mit dem Pflegepersonal und den Patienten gut zurecht. Katharina hat ein starkes Nähebedürfnis, was sie mit vielen Patienten des Heimes teilt. Ihr herzliches und gewinnendes Verhalten wird von den Patienten geschätzt. Seit sie an diesem Arbeitsplatz tätig ist, gibt es keine psychosomatischen Beschwerden.

In der Anfangszeit war es mir besonders wichtig, sie oft am Arbeitsplatz zu besuchen und in vielen Gesprächen einfach für sei dazusein. Mittlerweile hat sie sich dort sehr gut eingelebt, so daß ich mich bis auf ein Mindestmaß zurückziehen konnte.

In Problemsituationen ist es nach wie vor wichtig, daß sie nicht ganz alleingelassen wird. Wenn ihr z.B. in der Arbeit etwas mißlingt, Glas zerbrochen oder ähnliches, braucht sie aber nach wie vor sehr viel Zuspruch, leidet unter Schuldgefühlen, und es geht ihr tagelang schlecht. Katharina zog 1992 in eine Wohngemeinschaft in Wien und lebt seit Beginn dieses Jahres in einer eigenen Wohnung. Derzeit arbeitet sie 30 Stunden pro Woche.

Dieser Fall zeigt, daß Integration im Sinne von Normalisierung möglich ist, wenn man behinderte Menschen nicht nur nach ihren Schwächen, sondern vor allem nach ihren Stärken einschätzt und ihnen die notwendige Unterstützung zukommen läßt.

Es zeigt auch, daß Integration selbst bei Menschen mit einem fortgeschrittenen Alter noch möglich ist. Außerdem wird sichtbar, daß mitunter ein Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft bedürfnisorientierter sein kann als ein Platz in einer geschützten Werkstätte.

Mag. Maria Pfaffenbichler/ Arbeitsassistentin der Caritas

arbeitet seit 3 Jahren als Arbeitsassistentin der Caritas,

begleitete behinderte Menschen stufenweise aus der geschlossenen Anstalt zu einem unabhängigen Leben.

Elisabeth Löffler: Der lange Weg zur Selbstbehauptung

Unabhängig von ihren Fähigkeiten wird behinderten Jugendlichen kaum mehr geboten als klassische Behindertenjobs. Ein Appell, trotzdem nicht aufzugeben.

Ich sitze an diesem Platz, weil ich uns behinderte Frauen und Männer auffordern möchte, unsere Stimme hörbar zu machen und uns selber zu vertreten!

In der täglichen Arbeit wird mir immer wieder klar: Ich will ein Recht auf Anderssein haben und das tagtäglich! Ich will nicht zwangsintegriert werden. Integration muß von beiden Seiten (den behinderten und den nichtbehinderten Menschen) gewollt und gelebt werden. Dieser Prozeß ist nicht vor allem eine Kostenfrage sondern eine Haltungsfrage.

Laß ich den Anderen zunächst einmal so sein, wie er ist, frage ich ihn, was kann er, was will er. Und nicht, was soll er und was wollen die anderen.

Ich habe jetzt das Glück, eine Arbeit zu haben, die ich mir schon lange gewünscht habe. Der Weg dorthin dauerte allerdings 12 Jahre.

Ich durchlebte eine ganz klassische Behindertenlaufbahn, eine behindernde Laufbahn.

die übliche Berufsberatung für behinderte Menschen verweist sie fast ausschließlich auf die üblichen Behindertenberufe (z.B.: Büro) also auch mich. Ich wollte studieren, ich scheiterte an den verschiedensten Barrieren. Ich wollte Lehrerin werden, ich scheiterte daran, daß in Österreich behinderte Menschen nicht Lehrer werden dürfen.

Mir wurde zunehmend klar, ich will nicht in die für mich vorgesehene Laufbahn eintreten.

Mit 19 Jahren habe ich das getan, was die meisten Jugendlichen mit 19 Jahren tun: ich habe gefragt: Was soll ich tun? Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll!

Ich möchte festhalten: Behinderte Jugendliche sind VORallem und zuerst Jugendliche!

In meiner Arbeit in einer Städtischen Bücherei wurde mir zum erstenmal bewußt, daß mir eine Arbeitsassistenz fehlt. Ich mochte meine Arbeit, ich schätzte meine KollegInnen, es gab aber viele Arbeitsschritte, die ich gerne unabhängig von ihnen gemacht hätte. Die ständig verschwimmenden Beziehungsgrenzen sind sehr anstrengend.

Was ist Arbeitsassistenz: Sie hat dieselbe Funktion analog der schulischen Integration: Sie ist eine gute Rahmenbedingung. Sie hat vorallem die Aufgabe, sich entweder überflüssig zu machen, oder so zu tun als wäre sie es. Das ist viel verlangt.

Arbeitsassistenz als gute Rahmenbedingung ist dem Argument, die Integration ist gescheitert, entgegen zu halten. Nicht die Integration ist gescheitert, sondern es gibt noch keine guten und geeigneten Rahmenbedingungen.

Die Kosten-Nutzen-Rechnung ist die falsche Basis für die Diskussion über die berufliche Integration. Der Wert der Arbeit als Arbeitsassistenten läßt sich nicht durch reine Vermittlungszahlen und volkswirtschaftlichen Effizienzrechnungen sichtbar zu machen.

Es gehört auch zum Normalisierungsprozeß, daß kein Mensch, also auch kein behinderter Mensch immer und ständig bei seiner Arbeit glücklich sein kann.

Als behinderter Mensch steht man unter einem enormen Druck, wenn man das Glück eines Arbeitsplatzes hat, besonders brav und angepaßt zu sein. Es ist mir ganz wichtig, daß das Selbstbewußtsein unter uns behinderten Menschen wächst zu sagen, NEIN das will ich nicht, JA das gefällt mir.

So plädiere ich abschließend für das Recht zu Scheitern und zu Fallen, ich kann ja wieder aufstehen! Der Mensch ist nicht ausschließlich über die Arbeit definierbar, es steht ihm aber gleichzeitig das Recht auf Arbeit zu.

Gerade in diesen unseren Zeiten, wegen diesen, müssen wir idealistisch und utopisch sein, weil wir ansonsten diese Wüste nicht überleben!

Elisabeth Löffler: Mitarbeiterin der Beruflichen Integration des Vereins "Gemeinsam Leben - Gemeinsam Lernen", Wien); geb: 15.5. 1969; Besuch der VS, HS, HASCH, Externistenmatura, Mitarbeiterin in der Einsatzleitung eines Wr. Fahrtendienstes, Fachbedienstete im Büchereiwesen in einer Städt. Bücherei, Nachhilfelehrerin für ausländische und lernschwache Kinder und Jugendliche, Mitarbeit in Tanz-, Musik- und Theaterprojekten

Kai Leichsenring: Dialog statt Bevormundung

In Wegsperr-Institutionen verkümmert die soziale Kompetenz. Neue Wege beruflicher Integration setzen auf Kommunikation mit den behinderten Menschen und deren Eingliederung in die "normale" Arbeitswelt.

VORBEMERKUNG

Dieser Beitrag versteht sich als Versuch, neuere Ansätze der beruflichen Integration behinderter Menschen, die in den letzten Jahren in verschiedenen Ländern Europas umgesetzt wurden[1], von traditionellen Ansätzen der "Behindertenhilfe" theoretisch abzugrenzen und ihre strukturellen Vorteile herauszuarbeiten. Es wird gezeigt, daß die damit verbundenen sozialen Innovationen, wie z.B. die Entwicklung der Arbeitsassistenz, sich insbesondere dadurch auszeichnen, daß sie berufliche Integration als kommunikativen Prozeß ernst nehmen und auf individueller sowie insbesondere auf politischer Ebene zu einem Thema von Verhandlungen machen.

EINLEITUNG

Der Titel dieses Beitrags ist natürlich im Grunde genommen banal: denn grundsätzlich können die meisten sozialen Interaktionen als kommunikative Prozesse charakterisiert werden. Ich möchte damit allerdings betonen, daß traditionelle Ansätze der beruflichen Integration behinderter Menschen dies viel zu wenig berücksichtigen:

Es beginnt bei der Definition von Behinderung, deren Art und Ausmaß im wesentlichen durch ärztliche Entscheidungen festgestellt werden, und zwar fast ausschließlich nach medizinischen Kriterien, die sich wiederum in erster Linie an individuellen Defiziten gegenüber einem postulierten Normalzustand orientieren. Für Menschen, die von Geburt an als behindert gelten, führt die einmal festgestellte Behinderung dazu, daß sich deren weiteres Leben vornehmlich im Rahmen von Sondereinrichtungen und beschützenden Strukturen vollzieht - dieses Leben in Sonderschulen, Behindertenheimen etc. beinhaltet scheinbar besonders kommunikative Betreuungsformen, die sich jedoch insofern als künstlich erweisen, als sie vorwiegend zwischen behinderten Menschen bzw. zwischen den Betreuten und ihren BetreuerInnen - und oft im Rahmen "totaler Institutionen" - stattfinden. Dies gilt natürlich auch für die meisten Sondereinrichtungen zur beruflichen Rehabilitation für behinderte Menschen, für die "Geschützten Werkstätten" und die sogenannten "Beschäftigungstherapie"-Angebote: sie zeichnen sich durch eingeschränkte Wahlmöglichkeiten, wenig Selbstbestimmung und wenig "reale" Arbeitswelt aus. Zudem sind sie meist zentralisiert und von der gewohnten Umgebung der NutzerInnen weit entfernt, wodurch mitunter auch jene sozialen Netze (Familie, Freundeskreis) gefährdet werden, in denen noch am ehesten "normale" Kommunikation stattfinden kann.

Besonders eindringlich zeigt sich die mangelnde Berücksichtigung kommunikativer Prozesse und die fehlende Ausbildung kommunikativer Fähigkeiten bzw. sozialer Kompetenz im allgemeinen dann, wenn der behinderte Mensch einen Arbeitsplatz am allgemeinen Arbeitsmarkt anstrebt. Bei Bewerbungsgesprächen, Anfragen etc. wird er/sie beispielsweise vornehmlich mit Fragen nach der Art der Behinderung und dem Ausmaß an Einschränkungen konfrontiert - wer da nicht entsprechend vorbereitet ist, der kommt nicht einmal dazu, über Fähigkeiten und individuelle Eigenheiten zu sprechen.

Schließlich setzt auch die staatliche Behindertenpolitik hauptsächlich auf die traditionellen Steuerungsmittel Geld und gesetzliche Macht, wenn es um die Förderung der Beschäftigung behinderter Menschen geht. Die im Rahmen der Administration angebotenen Beratungsstrukturen sind hingegen nur in geringem Ausmaß vorhanden und im übrigen ebenfalls als spezialisierte Angebote konzipiert (z.B. "Sondervollzug" vs. "Normalvollzug").

Insgesamt finden wechselseitige kommunikative Prozesse im Rahmen der traditionellen "Integrationsmaßnahmen" eher selten statt. Behinderte Menschen sind in der Regel mit der Leitlinie "Wir ExpertInnen wissen ohnehin, was für Dich gut ist" konfrontiert.

Neue, innovativere Ansätze hingegen setzen vornehmlich genau an diesem Punkt an, wenn es um die berufliche (Wieder-)Eingliederung geht: Wie können behinderte Menschen befähigt werden, sich und ihre Wünsche, Interessen etc. auszudrücken? Wie können die verschiedenen am Prozeß der Integration Beteiligten angesprochen und in sein Gelingen einbezogen werden? Wie können vorhandene (Vor-)Urteile überwunden werden?

Wenn es darum geht, Behinderung im Zusammenhang mit einer potentiellen Berufsausübung zu definieren, spielen z.B. immer komplexere, z.T. auch langwierige Verfahren des Assessment, d.h. der Feststellung beruflicher Fähigkeiten und Kompetenzen eine wichtige Rolle. Im Zusammenhang damit nimmt die Bedeutung von Beratung und Information in der Phase der Berufsorientierung und bei der gemeinsamen Erarbeitung eines "Berufsprojekts" zu. Die Stärkung vorhandener Fähigkeiten bzw. die Kompensation vorhandener Schwächen durch persönliche Assistenz bzw. Arbeitsassistenz kann dabei eine hervorragende Ergänzung bieten, zumal die Beziehung zwischen solchen AssistentInnen und behinderten Menschen bereits konzeptuell auf die Ausbildung einer kommunikativen Beziehung angelegt ist.

Im Bereich der Arbeitsvermittlung und Arbeitsplatzsuche, die z.T. an die Funktion der Arbeitsassistenz gekoppelt ist, können ebenfalls von traditionellen Zugängen unterscheidbare Vorgehensweisen entdeckt werden. Beispielsweise indem speziell geschulte Personen oder multiprofessionelle Teams weniger instrumentell nach vorhandenen "Posten" suchen, sondern partnerschaftlich auf (potentielle) Arbeitgeber zugehen, Kontakte mit Betrieben herstellen und gemeinsam mit allen Beteiligten nach Möglichkeiten suchen, die letztlich zum Vorteil jedes einzelnen gereichen. Auf seiten behinderter Arbeitsuchender steht dabei die Förderung sozialer und kommunikativer Kompetenzen in der betrieblichen Umwelt, z.B. durch entsprechendes Probehandeln in Form von Praktika, im Vordergrund. Schließlich bedeutet Kommunikation in all diesen Konzepten nicht nur den Aufbau persönlicher Beziehungen, sondern immer auch den Ausbau von "public relations" im Sinne einer mehr oder weniger breit angelegten "Bewußtseinsbildung".

Zusammenfassend kann zunächst festgehalten werden, daß all diesen neuen Ansätzen beruflicher Integration eines gemeinsam ist: sie versuchen, die unterschiedlichen Interessen, Wünsche, Hoffnungen, Zwänge etc. der verschiedenen Beteiligten ernstzunehmen und alle Beteiligten in den Prozeß der (beruflichen) Integration einzubeziehen.

VORAUSSETZUNGEN

Neben verschiedenen gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, die hier nicht im einzelnen aufgezählt werden sollen, können als Voraussetzung für einen Paradigmenwechsel im Bereich der beruflichen Integration behinderter Menschen folgende Aspekte angeführt werden:

Eine Grundüberlegung besteht sicherlich darin anzuerkennen, daß die Art der jeweiligen individuellen Beeinträchtigung wenig bis überhaupt nichts damit zu tun heben muß, welche beruflichen Fähigkeiten ein/e behinderte/r Arbeitsuchende/r entwickeln kann.

§ Wichtig ist weiterhin die Einsicht, daß sich berufliche Integration nicht erzwingen läßt, sondern daß sie selbst ein voraussetzungsvoller Prozeß ist, in den alle Beteiligten einbezogen werden müssen.

§ Ein wesentlicher Perspektivenwechsel ist darüber hinaus von der Erkenntnis abhängig, daß Behinderung kein individuelles Problem ist, welches allein durch individuelle Maßnahmen behoben werden kann, sondern ein soziales Konstrukt, das durch die vorherrschende Organisation von Arbeit und Gesellschaft mitverursacht wird.

§ Aktuelle Entwicklungen und Forderungen nach mehr beruflicher Integration sind darüber hinaus auch ein Ergebnis von vorangehenden (Teil-)Erfolgen der Behindertenorganisationen (bzw. der Elternorganisationen behinderter Kinder) etwa im Bereich der schulischen Integration. Es zeigt sich nämlich, daß Integration nicht teilbar ist: wenn es nämlich - in den letzten Jahren auch in Österreich - zunehmend möglich geworden ist, integrative Kindergärten und Grundschulklassen zu führen, dann stellt sich zwangsläufig die Frage, warum dies in Berufsschulen bzw. höheren Bildungsanstalten und in weiterer Folge am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht ebenso möglich sein soll.

Schließlich sind noch zwei weitere Rahmenbedingungen zu nennen, die zur Weiterentwicklung des Integrationsgedankens in den letzten zwei Jahrzehnten geführt haben: zum einen die relativ stabile Entwicklung demokratischer Institutionen, deren Ziel die Einbeziehung aller Staatsbürger sein muß (vergessen wir nicht, daß Sonderbehandlung und Ausgrenzung behinderter Menschen ihre Wurzeln nicht zuletzt in totalitären politischen Systemen haben), und zum anderen die technologische Entwicklung, die nicht nur Arbeitsplätze vernichtet, sondern auch neue Berufsbilder nach sich gezogen und neue Möglichkeiten der Arbeitsplatzgestaltung bzw. -adaptation geschaffen hat.

METHODEN

Die bereits angedeuteten Prinzipien und Methoden, durch die sich innovative Modelle der beruflichen Integration auszeichnen, sollen im folgenden noch etwas verdeutlicht werden, insbesondere im Hinblick darauf, wie kommunikative Prozesse als Mittel der Steuerung und Unterstützung des beruflichen Integrationsprozesses behinderter Menschen eingesetzt und genutzt werden.

Im Bereich der Schulung und Ausbildung ist eine Reformbewegung zu erkennen, die beispielsweise davon Abstand nimmt, für jede einzelne Gruppe behinderter Menschen eine eigene Ausbildung anzubieten - die Integration verschiedener Behinderungsformen wird hier quasi als erster Schritt zur weiteren Integration verstanden. Ein Beispiel dafür wäre etwa das irische Rehabilitation Institute, wo in dezentralisierten Berufsbildungsstätten auf die jeweils unterschiedlichen Bedürfnisse der SchülerInnen durch individuelle Unterstützungsformen, aber eben im Rahmen von "gemischten" Klassen eingegangen wird.

Dieses Prinzip der "Integration verschiedener Behinderungsformen" ist im übrigen auch bei der Vernetzung der unterschiedlichen Träger von spezialisierten Angeboten bzw. Interessenorganisationen zu erkennen, etwa durch Zusammenschlüsse sowohl auf regionaler als natürlich auch auf nationaler Ebene.

Die bereits erwähnten neuen Formen des "Assessment", also der Einschätzung behinderter Menschen in bezug auf ihre individuellen Fähigkeiten, nehmen wechselseitige Kommunikation schon allein deshalb besonders wichtig, da sie grundsätzlich darauf beruhen, gemeinsam mit dem jeweils Betroffenen die vorhandenen Kompetenzen auszuloten, um darauf aufbauend ein entsprechendes "Berufsprojekt" zu entwickeln.

Generell erlangen Beratung und Information im Prozeß der beruflichen Integration einen immer höheren Stellenwert. Gerade dann, wenn behinderte Menschen jahrelang von allgemeinen Informationskanälen abgeschnitten waren bzw. wenn sie sich ganz plötzlich (z.B. infolge eines Unfalls) mit einer vormals nie bedachten Situation der Behinderung konfrontiert sehen, sind insbesondere konkrete Beratungsangebote gefragt. Dies bezieht sich in zunehmendem Maße nicht nur auf die Beratung in Richtung abhängiger Erwerbsarbeit, sondern auch auf eine mögliche Unternehmensgründung - solche Angebote bestehen etwa in allen Regionen der Niederlande.

Im Bereich jener Stellen bzw. Projekte, die sich Berufsberatung und -vermittlung behinderter Menschen zur Aufgabe gestellt haben, ist die Herausbildung eines "neuen Dienstleistungsbewußtseins" zu beobachten: dabei werden sowohl die Betriebe als auch die behinderten Arbeitsuchenden als Klienten, gleichzeitig aber auch als Ko-Produzenten des angestrebten Integrationsprozesses wahrgenommen. Das bedeutet etwa für die Personalverantwortlichen und die Belegschaft, daß sie nicht einfach einen "Quotenbehinderten" vorgesetzt bekommen bzw. auf ihre moralische oder auch gesetzliche Verpflichtung zur Einstellung behinderter Menschen aufmerksam gemacht werden, sondern im Rahmen von kurzen oder auch längeren Praktika den/die ArbeitsplatzanwärterIn kennenlernen und somit die Möglichkeit erhalten, mit seinen/ihren besonderen Bedürfnissen umzugehen. Für behinderte Arbeitsuchende wird dadurch ermöglicht, sich langsam an die Arbeitswelt zu gewöhnen bzw. festzustellen, daß dieser spezielle Arbeitsplatz nicht den ursprünglichen Vorstellungen entspricht oder einfach aus technischen Gründen ungeeignet ist.

Dieser Prozeß wird erleichtert, in vielen Fällen auch erst ermöglicht, durch eine dritte Person - eine/n ModeratorIn, eine/n BeraterIn, einen Arbeitsassistenten/eine Arbeitsassistentin, einen "job coach" oder wie immer man ihn/sie nennen möchte. Bei allen unterschiedlichen Konzeptionen von Assistenz spielen die Selbstbestimmung der Betroffenen und die Tatsache, daß individuelle Arrangements zwischen allen Beteiligten ausgehandelt werden müssen (z.B. in bezug auf Ausmaß, Dauer und "Tiefe" der Assistenzleistungen), eine besondere Rolle.

Arbeitsassistenz in ihrer fortgeschrittensten Form beinhaltet auch eine möglichst breit gefächerte, partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Betrieben vor Ort. Daß dabei unterschiedlich ausgebildete und aus verschiedenen Praxisbereichen kommende ArbeitsassistentInnen von Vorteil sind, liegt auf der Hand. Die Zusammenarbeit zwischen den Betrieben und den Trägern der Assistenzdienste oder auch von Schulungseinrichtungen kann dabei auch in der Form geschehen, daß bestimmte Ausbildungsgänge mit einzelnen Firmen gemeinsam entwickelt werden, daß Personalchefs in die Ausbildungsstätten eingeladen werden, um die Fähigkeiten potentieller MitarbeiterInnen kennenzulernen oder zu sehen, welche speziellen Kenntnisse die TeilnehmerInnen dort überhaupt erwerben können. Eine weitere Möglichkeit der Einbeziehung von Firmenchefs oder PersonalmanagerInnen besteht darin, Bewerbungsgespräche mit TeilnehmerInnen einer Schulung zu üben.

Es dürfte bereits deutlich geworden sein, daß berufliche Integration, die diese Bezeichnung verdient, nicht auf den behinderten Menschen allein zugeschnitten sein kann. Sie muß vielmehr darauf eingehen, wie sich die Umwelt - in diesem Fall die Arbeitsumwelt - an die besonderen Bedürfnisse des einzelnen anpassen kann. Dies betrifft z.B. in besonderem Maße dentechnischen Aspekt der Arbeitplatzadaptation - hier gibt es meist viel mehr Möglichkeiten als man zunächst annehmen würde. Entsprechende Beratungsangebote wenden sich sinnvollerweise nicht allein an den behinderten Arbeitssuchenden, sondern eben vor allem auch an den Arbeitgeber.

Umwelt umfaßt aber eben nicht nur die Arbeitsumwelt, sondern insbesonder die Wohnumwelt, das sonstige soziale Netz - oder auch den öffentlichen Verkehr und die sonstige Infrastruktur. Berufliche Integration, die allein auf die "Zurichtung" der behinderten Arbeitskraft abstellt, greift hier offensichtlich zu kurz - denn was nützen die beste Ausbildung und der beste Arbeitsplatz, wenn der/die Betroffene diesen von seiner/ihrer Wohnung aus nicht erreichen kann?

Verhandlungen, Forderungen und konkrete Planungsschritte in bezug auf die Zugänglichkeit öffentlicher Gebäude und Verkehrsmittel für behinderte Menschen werden daher im Rahmen von neueren Reformvorhaben ebenfalls nicht isoliert betrachtet, sondern im Zusammenhang mit einem allgemeinen "mainstreaming" von Behindertenpolitik nach dem Motto "Integration durch Gleichbehandlung".

ERFAHRUNGEN

Die Erfahrungen jener Projekte, die auf die Kommunikation mit allen Beteiligten besonderen Wert legen, sind deshalb interessant, weil sie zeigen, daß Integration im wesentlichen "Normalisierung" bedeutet, d.h. "Enthinderung" beinhaltet dann zwar eine Abkehr von der behindernden Über-Fürsorglichkeit und der entmündigenden Verwahrungsphilosophie, die für so viele Behinderteneinrichtungen charakteristisch ist, aber eben auch eine Abkehr von deren beschützenden Geborgenheit. Damit verbunden sind natürlich eine ganze Reihe von Chancen, aber auch Risiken, die ich abschließend kurz skizzieren möchte:

§ Als positives Ergebnis der meisten innovativen Projekte im Bereich beruflicher Integration ist zunächst zu nennen, daß sich die einmal erreichten Anstellungsverhältnisse als stabiler erweisen (auch in Ländern ohne Kündigungsschutz), z.B. weil sie den jeweiligen besonderen Bedürfnissen angepaßt sind, weil sie Rücksicht nehmen auf die Interessen aller Beteiligter. In bezug auf unterstützte Anstellungsverhältnisse (Arbeitsassistenz) kommt hinzu, daß im Falle auftretender Konflikte immer ein/e AnsprechpartnerIn vorhanden ist, der/die zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln imstande ist. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, daß unterstützte Anstellungsverhältnisse natürlich der Normalität des Arbeitslebens bei weitem näherkommen als z.B. Arbeitsplätze in den traditionellen geschützten Werkstätten.

§ Ein weiterer wichtiger Aspekt der beruflichen Integration im Sinne von "Normalisierung" ist die Trennung von Arbeit und Wohnen, die durch die Vermittlung von dezentralen, wohnortnahen Arbeitsplätzen und die Bedachtnahme auf die Adaptierung der Infrastruktur (öffentlicher Verkehr, dezentrale Anlaufstellen etc.) ermöglicht wird.

§ Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß "Normalisierung" der beruflichen Integration behinderter Menschen auch bedeutet, die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft nachzuvollziehen. Bis heute werden behinderte Menschen in Richtung von Nischenarbeitsplätzen (der industriellen Produktion) dirigiert, die in dieser Form immer häufiger verloren gehen. Stattdessen versuchen innovative Einrichtungen, behinderte Menschen offensiv in Richtung jener Dienstleistungsbranchen auszubilden, die angesichts der technischen und ökonomischen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt werden.

SCHLUSSBEMERKUNG

Dieses letzte Beispiel macht gleichzeitig deutlich, daß mit dem "mainstreaming" von Behindertenpolitik, mit der "Normalisierung" in Schule, Ausbildung und Beruf auch gewisse Gefahren verbunden sind, v.a. dann, wenn eine rein ökonomistische und produktivistische Ideologie von Eigenverantwortung und "Selbsthilfe" die Oberhand gewinnt. Natürlich, ein Zugewinn an Freiheit bedeutet immer auch mehr Eigenverantwortung, mehr Zeit z.B. für die Aushandlung adäquater Arrangements und mehr persönliche Anstrengungen bei allen Beteiligten, v.a. eben auch auf seiten der behinderten Menschen. Die Gefahr besteht meines Erachtens aber vor allem darin, daß sich ein neuer Ausgrenzungsmechanismus breitmacht, indem nämlich jene ausgegrenzt werden, die nicht dem Bild des "eigenverantwortlichen" und "selbstbestimmten" Krüppels entsprechen, der mithilfe allen verfügbaren technischen Geräts und entsprechender Assistenz als Programmierer im High-Tech-Labor schuftet. Angesichts der beharrlich hohen allgemeinen Arbeitslosenquote liegt in der undifferenzierten Orientierung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ein beträchtliches Risiko, welches (noch) nicht viele, aber doch immer mehr behinderte Menschen dennoch einzugehen bereit sind. Sie sind allerdings berechtigterweise dann nicht dazu bereit, wenn sie jahrelang in Sondereinrichtungen gelebt haben und wenn sie nicht auf begleitende Unterstützung zurückgreifen können.

Gerade deshalb meint ja "Gleichbehandlung" nicht einfach undifferenzierte Gleichmacherei, sondern die Kompensation genau jener Behinderungen, denen manche Menschen mit besonderen Bedürfnissen ausgesetzt sind. Oder besser umgekehrt: Gleichbehandlung im radikalen Sinne würde bedeuten, daß generell alle Menschen - z.B. am Arbeitsplatz - jene Bedingungen vorfinden, die ihren Fähigkeiten am besten entsprechen, unabhängig davon, ob sie körperlich, psychisch bzw. geistig beeinträchtigt sind - oder eben nicht.

Ich möchte in diesem Zusammenhang abschließend und optimistischerweise formulieren, daß wir uns hier in einem Stadium der Übergänge befinden. Gerade dieser Übergang ist allerdings aufgrund der erwähnten Risiken genau im Auge zu behalten und entsprechend abzustützen. Auf der Ebene der individuellen Begleitung kommt es darauf an, den Übergang aus beschützenden, aber eben auch behindernden Strukturen, in offene und enthindernde Strukturen zu fördern, z.B. aus "geschützten Werkstätten" auf den allgemeinen Arbeitsmarkt - Arbeitsassistenz ist dabei derzeit unverzichtbar. Auf der gesellschaftspolitischen Ebene ist darauf zu achten, den Übergang von einer beschützenden Politik in Richtung einer Politik zu forcieren, die neue Orientierungen unterstützt, ermöglicht und öffentlich verhandelbar macht.

Kommunikatives Handelns spielt also auf beiden Ebenen eine tragende Rolle, wenn es um die qualitative Verbesserung beruflicher Rehabilitation geht. Natürlich brauchen wir in diesem Zusammenhang auch bessere Gesetze, um nicht auf den guten Willen irgendwelcher Verantwortlicher angewiesen zu sein. Aber es wäre vermessen anzunehmen, daß soziale und berufliche Integration behinderter Menschen im Sinne von "Gleichbehandlung" gleichsam "durchreguliert" werden könnte. Ohne den beständigen Dialog, ohne die kontinuierliche Aushandlung und ohne die immer wieder notwendige Austragung von Konflikten zwischen allen Beteiligten wird Enthinderung (in) der Gesellschaft nicht zu haben sein.

Kai Leichsenring, Dr.phil., ist Politikwissenschaftler und seit 1991 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung in Wien; seit 1994 Programmleiter im Forschungsbereich "Altern, Behindertenpolitik und Soziale Dienstleistungen". Veröffentlichungen über Arbeits- und Sozialpolitik, Sozialpartnerschaft, Pflegegeld in Europa, soziale Dienste, berufliche und soziale Integration behinderter Menschen in Europa, Politik des Alterns; zuletzt: "Die Zukunft des Alterns. Sozialpolitik für das Dritte Lebensalter" (Hg. gemeinsam mit Adalbert Evers und Bernd Marin), Wien 1995: BMAS; "Klientenrechte. Sozialpolitische Steuerung der Qualität von Hilfe und Pflege im Alter" (Hg. gemeinsam mit Adalbert Evers und Charlotte Strümpel), Wien 1995: BMAS; "Mandatory Employment or Equal Opportunities? Employment Policies for People With Disabilities in Selected European Countries" (Hg. gemeinsam mit Charlotte Strümpel), European Centre: erscheint im Herbst 1995.



[1] Diese Überlegungen beruhen auf einer Studie des Europäischen Zentrums, in der innovative Modelle der beruflichen Rehabilitation und sozialen Integration in Europa analysiert wurden; sh. Leichsenring, K./Strümpel, C./Gödl, D./Schoibl, H. (1994) Arbeit und Wohnen behinderter Menschen. Status quo im Bundesland Salzburg und Vorschläge zur Weiterentwicklung anhand innovativer Beispiele aus Europa. Wien: unv. Forschungsbericht.

Volker Schönwiese: Diktat der Funktionsfähigkeit

Die Homogenisierung der Gesellschaft und der Leistungsdruck auf den einzelnen fördern die Politik der Aussonderung. Arbeit wird als Anpassungs- und Disziplinierungsinstrument gegen behinderte Menschen eingesetzt.

Recht auf Arbeit? - Recht auf erfülltes und tätiges Leben ohne Arbeit?

GRUNDSÄTZLICHES

In letzter Zeit wird der Traum einer Gesellschaft ohne behinderte Menschen wieder laut geträumt. Sterbehilfe, (pränatale) "Euthanasie" mit eugenischem Hintergrund (Kosten-Nutzen-Rationalität, Utilitarismus) wird wieder diskutiert und realisiert. Hintergrund dieser Situation ist der Traum der Gen- und Reproduktionstechnologie, die Ware Mensch im Geiste des technisch Machbaren biologisch verbessern zu können. Behinderte Menschen sind hier (wieder einmal) das erste wichtige Exerzierfeld.

Das wichtigste Gegengewicht gegen die - bei aller Würdigung sozialer Fortschritte - vorherrschende Tendenz der Funktionalisierung, Verwahrung und Vernichtung behinderter Menschen, sowie der Entwicklung von (Denk-) Technologien der Qualitätskontrolle von Leben, ist der Kampf um Integration. Es geht darum - um Feuser zu zitieren - allgemeingültige Entwicklungsbedingungen zu berücksichtigen, um "... als Mensch mit a l l e n Menschen sein und durch den Menschen Mensch werden zu können" (FEUSER 1990). Wer praktisch gegen Integration auftritt, will die Dialektik von Gleichheit und Verschiedenheit, die das Menschsein konstituiert, einschränken oder zerstören, will Gleichheit als Homogenisierung der Gesellschaft durch das Diktat der Funktionsfähigkeit erreichen. Insofern ist die Frage nach den Lebensbedingungen von behinderten Menschen keine isolierte Frage nach der Situation einer "Randgruppe". In der Frage nach Integration (statt Assimilation oder Ausschluß-Vernichtung) stellt sich exemplarisch die Frage nach dem Qualitätsanspruch, den wir für das Leben von allen Menschen in praktisch orientierter Politik haben und ist beispielhaft die Frage nach allgemeinen sozialen Lebensstandards und Bürgerrechten (im Sinne des Verhinderns von Diskriminierungen).

Integration ist kein Schlagwort, das wir täglich verwenden können, um so gut wie alles zu legitimieren, was für behinderte Menschen gemacht und ihnen angetan wird. Integration ist die Frage nach Standards von Begleit- und Hilfssystemen, die in allen Lebensbereichen und Lebenswelten ohne Trennung (Familie bzw. kleinste soziale Systeme, Kindergarten, Schule, Wohnbereich, Arbeit, Freizeit und die wichtigsten

Beziehungsfelder, wie Sexualität und Partnerschaft usw.) unterstützend arbeiten können.

THESEN

Zum Bereich Arbeit möchte ich in kurzen Thesen einige Überlegungen skizzieren:

  • Behinderte Menschen haben kein erfülltes Recht auf Arbeit, aber es existiert eine Pflicht zur Arbeit für sie.

Seit einigen Jahrzehnten wird die schwierige Situation für (geistig) behinderte Menschen Arbeit zu finden, durch eine Einstellungspflicht von behinderten Menschen (bzw. die Einhebung einer Ausgleichstaxe für nicht besetze Arbeitsplätze[2]) und mit Konzepten der Errichtung von geschützten Werkstätten und beschützter Arbeit beantwortet (z.B. BUNDESMINISTERIUM FÜR SOZIALE VERWALTUNG 1977).

Hintergrund dieser Regelungen ist kaum das "Recht auf Arbeit", sondern die vielfach belegte Berechnung der Profitträchtigkeit von Investitionen im beruflichen Rehabilitationsbereich (vgl. z.B. eine Kostenberechnung in: REHABILITATION ERSPART MILLIARDEN 1990). Seit dem Ende der Vollbeschäftigung der Rekonstruktionsphase nach dem 2. Weltkrieg ist dieses Konzept jedoch anachronistisch, da sich die Gesellschaft im Zeichen einer völligen Flexibilisierung und Rationalisierung der Arbeit (BECK 1986) in Richtung auf eine duale Gesellschaft hinentwickelt (GORZ 1990)[3] und klassische Arbeitsmarktreserven - zu denen behinderte Menschen gehören könnten - arbeitsmarktpolitisch an Bedeutung verlieren.

Dieser Situation ist sowohl die "Flexibilität" des Invalideneinstellungsgesetzes, das vielfältige Schlupflöcher der Nichterfüllung offen läßt, als auch das System der geschützten Werkstätten/ beschützten Arbeit/Beschäftigung angepaßt, das behinderte Menschen real aussondert und sich als Teil einer ausgesonderten Lebenskarriere vom Sonderkindergarten über die Sonderschule zur geschützten Werkstätte repräsentiert. Geschützte Arbeit und Beschäftigung sind im hohen Maß von privaten Wohlfahrtsträgern organisiert, von Bundes-, Landes- und Spendengeldern abhängig, was dazu führt, daß die behinderten Werktätigen meist bei voller (subjektiven) Arbeitsleistung zu Taschengeldempfängern degradiert werden. Das nicht existierende "Recht auf Arbeit" wird durch eine nie erfüllbare "Pflicht zur Arbeit" - meist ohne Lohn - ersetzt (auch dort wo Mindestlohn gezahlt wird, ist das nicht völlig anders).

Ein Teil dieses ganzen Systems wird "Beschäftigungs- oder Arbeitstherapie" genannt. Mit Therapie hat dies allerdings nichts zu tun, denn Therapie ist an die entwicklungslogische Unterstützung von Persönlichkeit und Autonomie gebunden. Die bei uns übliche Beschäftigungstherapie übt meist nur Zwang zu Arbeitsdisziplin aus, ohne entsprechenden Gegenwert in Geld zu bieten; kurz, es wird Arbeit ohne Lohn erzwungen. Arbeit macht unter solchen Bedingungen nicht frei, sondern ist Anpassungs- und Disziplinierungsinstrument ("Arbeit macht frei" stand auch über KZ-Toren).

  • Die Pflicht zur Arbeit scheint systemisch deshalb notwendig zu sein, weil ein sozial und ökonomisch abgesichertes Recht auf ein Leben ohne Arbeit bei einzelnen Bevölkerungsgruppen wie z.B. behinderten Menschen zum Verfall von lebensgeschichtlich bedeutsamer Arbeitsmoral ganz allgemein führen könnte.

Ich denke, das vorher beschriebene System hat eine bestimmte Irrationalität: Warum sollen denn behinderte Menschen - bei hoher und immer höher werdender allgemeiner Arbeitslosigkeit - dazu gezwungen werden, ihr letztes "Quentchen" an wirtschaftlich produktiver Leistungsfähigkeit einzusetzen? Wäre es denn nicht gescheiter, sie entsprechend sozial abgesichert glücklich ohne Arbeit aber mit individueller, persönlichkeitsfördernder Tätigkeit leben zu lassen?

Ich denke, daß an solchen Konzepten so gar nicht gearbeitet wird, muß wohl seine Gründe haben. Der Versuch einer Erklärung: Die Funktion des gesellschaftlich produzierten Umgangs mit behinderten Menschen (die sich selbst zu oft gegen diese Funktion nicht gewehrt haben) war oft, ein für jedermann alltagswirksam sichtbarer Gradmesser des Zustandes der ganzen Gesellschaft zu sein. So hatte der gesellschaftliche Umgang mit behinderten Menschen oft eine Vorreiterrolle für spätere Entwicklungen oder war zumindest in neue gesellschaftliche Entwicklungen genau eingebunden. Dafür gibt es viele Beispiele (z.B. die Ideologie der Eugenik und die Euthanasie und die technische Rationalität der Kriegs-Vorbereitungswirtschaft der Nazis; die Praxis der Behinderteneuthanasie und der Holocaust). Heute paßt die segregierte Lebens- und Arbeitssituation von behinderten Menschen zu einer gesellschaftlichen und ökonomischen Situation, in der bei voller Produktion und hoher Arbeitslosigkeit, keine individuelle Selbstverwirklichung ohne Arbeit möglich ist. Die Angst vor Verlust von allgemeiner Arbeitsmoral und der damit zusammenhängenden Disziplinvorstellungen ist der Hintergrund, auf dem Arbeitslose mit Sanktionen belegt werden, alltäglich (am Biertisch oder durch Medien) als potentielle Sozialschmarozer geächtet werden und behinderte Menschen - unfähig konkurrenzfähig produktiv zu sein - nicht glücklich ohne Arbeit leben dürfen. Darin besteht ein Mißbrauch bzw. Eine grundlegende Diskriminierung von behinderten Menschen in unserer bisher ungebremsten Warenproduktions-, Konsum- und Wegwerfgesellschaft.

  • Zersplitterung des Sozialsystems als praktische politische Strategie .

Die Schaffung von notwendigen Integrationshilfen im Bereich Arbeit Hilfen - wie z.B. Arbeitsassistenz - wird in Österreich nicht als Frage nach Qualitätsstandards gehandhabt, sondern als Frage der Koordination eines vielfach zersplitterten Versorgungssystems, das alle Gebietskörperschaften, die Sozialversicherungen und private Leistungsträger bzw. Betriebe und jetzt auch die EU (unter dem Schlagwort der Subsidiarität) umfaßt. Wer hier Integrationsqualität reklamiert, wird leicht im Kreis geschickt; wer traditionelle Aussonderungs- und Anpassungskonzepte vertritt, kann mit ministerieller Unterstützung rechnen[4]. Übergreifende Verantwortung wird unter solchen Bedingungen schwer sichtbar und durchsetztbar. Die Zersplitterung des Sozialsystems kann unter österreichischen Bedingungen als bürokratisch leicht handhabbare regulative Abwehstruktur gegen die grundrechtlichen Ansprüche behinderter Menschen auf Integration erkannt werden.

WO LIEGEN GEGENKONZEPTE?

Den thesenhaft dargestellten Problemfeldern könnten sinnvollerweise drei Konzepte gegenübergestellt werden:

  • Konzepte, die sich auf die allgemeine Verbesserung der Arbeitsqualität beziehen (z.B. ETLINGER 1981), so daß mehr behinderte Menschen tatsächlich arbeiten können - also ein verbessertes "Recht auf Arbeit". Das würde z.B. bedeuten, daß gewerkschaftliche Vertretung sich nicht nur auf Arbeitszeitverkürzung (als Ausgleich zur Rationalisierung) und Lohnerhöhung (als Ausgleich zur zunehmenden gesellschaftlichen Ungleichverteilung) zu beziehen hätte, sondern auch auf Arbeitsqualität (als Ausgleich zur Teilung der Arbeit). Z.B. steigen mit ganzheitlichen Produktionsformen die Chancen der Arbeitskooperation auf hoch unterschiedlichem Qualifikationsniveau und damit die Chancen auf Integration für behinderte Personen.

  • Konzepte der Einrichtung innovativer Unterstützungssysteme: Der Kampf von und mit Betroffenen um gemeindenahe und integrative Unterstützungssysteme - im Stil sozialer Arbeit als zäher Gang zur Reform - muß die jetzigen Verhältnisse vom Kopf auf die Füße stellen. Wohnortnahe Integration muß bevorzugt werden. Statt neue geschützte Werkstätten in der Tradition von Sondereinrichtungen zu bauen, müßten zuerst die Möglichkeiten von Arbeitsassistenz und des Erwerbs von Qualifikationen direkt am Arbeitsplatz (EVANGELISCHE FACHHOCHSCHULE 1995, SCHUMANN 1987) ausgeschöpft werden, erst danach könnte über den Bau von Werkstätten mit tatsächlich integrativen Standards ("integrative Arbeitskooperativen") diskutiert werden.

  • Die Entwicklung von Konzepten zur Neubewertung und Ermöglichung eines erfüllten und tätigen "Lebens ohne Arbeit" (BUTZKE u. BORDEL 1989, RAFFEINER 1990) unter Bedingungen von Arbeitszeitverkürzung und Grundeinkommen für alle(OPIELKA/ VOBRUBA1986) [5], ohne Zwang zur Arbeit für behinderte Menschen und entwicklungsorientierter Unterstützung[6] als vielleicht hoffnungsfrohes Modell für eine gerecht verteilende ökonomische Zukunft in unserer an Ressourcen und Arbeit so reichen Welt und damit Bezugnahme auf ein ursozialistisches (und uranarchistisches) Ziel, das Recht auf Müßiggang und Faulheit (das nicht mit unserer vermarkteten Freizeit gleichzusetzen ist).

LITERATUR

BECK, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp Verlag: Frankfurt 1986.

BUNDESMINISTERIUM FÜR SOZIALE VERWALTUNG: Konzept zur Eingliederung Behinderter. Wien 1977.

BUNDESMINISTERIUM FÜR SOZIALE VERWALTUNG (Hg.): Zur sozialen Lage behinderter Menschen. Daten und Forschungsergebnisse. Wien (ohne Jahresangabe, aber vermutlich 1982).

BUTZKE, Fritz/ BORDEL, Rudolf (Hg.): Leben ohne Beruf?: Alternative Lebensgestaltung junger Behinderter ohne berufliche Perspektive. Edition Schindele: Heidelberg 1989.

ERNST, Andrea u.a.: Sozialstaat Österreich. Bei Bedarf geschlossen. ORAC-Verlag: Wien 1987.

ETLINGER, Heinz: Integration behinderter Arbeitnehmer durch alternative Arbeitsformen und Bildungsarbeit im Betrieb. In: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft, Heft 4/81, S. 8-17.

EVANGELISCHE FACHHOCHSCHULE REUTLINGEN u.a. (Hg.): Unterstützte Beschäftigung. Handbuch zur Arbeitsweise von Integrationsfachdiensten für Menschen mit geistiger Behinderung. Eigenverlag 1995.

FEUSER, Georg: Ein Abschluß als Anfang. Schlußwort zur Vortragsreihe "Lebensqualität statt Qualitätskontrolle menschlichen Lebens". Bremen 1990. Manuskript.

GORZ, André: Wie kann man die Arbeitszeit verkürzen, die Arbeitslosigkeit abbauen und dazu auch noch die Löhne erhöhen ? Themenheft. Sonderdruck express, links, Widersprüche, 1990.

LABURDA, Angelika: Zur sozialen Lage geistig behinderter Menschen. In: BUNDESMINISTERIUM FÜR SOZIALE VERWALTUNG (Hg.): Zur sozialen Lage behinderter Menschen. Daten und Forschungsergebnisse. Wien (ohne Jahresangabe, aber vermutlich 1982). Seite 23-34.

OPIELKA, Michael/ VOBRUBA, Georg (Hg.):Das garantierte Grundeinkommen. Entwicklung und Perspektiven einer Forderung, Frankfurt a.M. (Fischer) 1986.

RAFFEINER, Dietmar: Arbeit - ausschließlich unser Leben? In: Tiroler Arbeitskreis für Integrative Erziehung: Pädagogik und Therapie ohne Aussonderung. Autoreneigenverlag TAK, Innsbruck 1990, S.121-123.

REHABILITATION ERSPART MILLIARDEN. In: SOA. Zeitschrift für Integration und Gemeinschaft. Nr. 2/3/1990. Seite 12.

SCHUMANN, Monika: Eingliederung von Menschen mit geistiger Behinderung in die Arbeitswelt. Erfahrungen aus Genua/Ligurien. In: SCHÖLER, Jutta (Hg.): Italienische Verhältnisse, Berlin (Verlag Klaus Guhl) 1987, Seite 298-316.

Volker Schönwiese, Dr. / Tiroler Arge für Integration

Dozent am Institut für Erziehungswissenschaften in Innsbruck,

seit 1981 Kämpfer für die Gleichbehandlung behinderter Menschen, ist der Experte für Integration in Österreich



[2] Der Bund und die Länder gehen hier nicht unbedingt mit gutem Beispiel voraus und ließen 1990 gemeinsam ca. 4.800 / 1994 ca. 3.800 gesetzlich vorgeschriebene Arbeitsplätze für behinderte Menschen unbesetzt.

[3] "Beinahe die Hälfte der amerikanischen Erwerbsbevölkerung geht einer unsicheren, oft teilzeitigen Beschäftigung nach und bleibt einen Teil des Jahres arbeitslos. Die Gesellschaft hat sich in zwei Hälften ungefähr gleichen Ausmaßes gespalten" (GORZ, 1990, Seite 5).

[4] Siehe mit welcher Unverfrorenheit aktuell durch das Sozialministerium geschützte Werkstätten in "integrative Betriebe" umbenannt wurden, um Mittel aus dem Europäischen Sozialfond (EFS)zu erhalten, dessen Mittel eigentlich zur Förderung innovativer Projekte vorgesehen sind (Information nach bizeps, Mai 1995)

[5] These dazu: Unter der Sichtweise, daß behinderte Personen im Zeichen fortschreitender Rationalisierung keinerlei reale Arbeitsmarktreserve darstellen und es deshalb auch für sie kein "Recht auf Arbeit" gibt, kann die soziale Milderung der Entwicklung zur dualen Gesellschaft nur in Arbeitszeitverkürzung und Basislohn (Einkommen ohne Arbeit) gesehen werden - das eine ohne das andere ist sinn- und wirkungslos.

[6] Hier muß sich beweisen, ob aktuelle pädagogische und/oder therapeutische Standards bezogen auf Integration und Entwicklungsunterstützung im Rahmen von Beschäftigungs- und Arbeitstherapie erreichbar sind.

Rajmund Kosovic: Hilfe zur Selbstshilfe

Arbeitsassistenz vermittelt zwischen behinderten ArbeitnehmerInnen und Unternehmen. Im Land Salzburg wird an der praktischen Umsetzung einer flächendeckenden Arbeitsassistenz gearbeitet.

"AUFBAU VON ARBEITSASSISTENZ IM LAND SALZBURG"

VORWORT

Das europäische Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung hat in Zusammenarbeit mit dem Institut für Alltagskultur als Auftragnehmer des Landes Salzburg, des Arbeitsmarktservice Salzburg (AMS) und Bundessozialamtes Salzburg (BSB), eine Studie "Arbeit und Wohnen behinderter Menschen" im Sommer 1994 fertiggestellt.

Inhalt dieser Studie ist der Status Quo im Bundesland Salzburg und Vorschläge zur Weiterentwicklung anhand innovativer Beispiele aus Europa.

Neben der Darstellung nationaler und internationaler Modelle standen die Untersuchungsbereiche "Barrieren der Beschäftigung behinderter Menschen am allgemeinen Arbeitsmarkt" und "gesetzliche und organisatorische Rahmenbedingungen im Hinblick auf notwendige Reformmaßnahmen auf Grund gegenwärtiger Strukturveränderungen am Arbeitsmarkt" im Mittelpunkt.

Ein Ergebnis dieser Studie haben die Auftraggeber Land Salzburg, Arbeitsmarktservice Salzburg und Bundessozialamt Salzburg als konkreten Arbeitsauftrag für die kommenden Jahre (1995 bis 1999) festgelegt.

AUFBAU UND UMSETZUNG VON ARBEITSASSISTENZ IM LAND SALZBURG

Ziele:

Das wichtigste Ziel von ARBEITSASSISTENZ ist, den behinderten Menschen in die Arbeitswelt zu integrieren bzw. ihm dort seinen Arbeitsplatz zu erhalten. Konkret lassen sich folgende Ziele formulieren:

1. Erhaltung des Arbeitsplatzes

2. Hilfestellung bei der Suche nach einem Arbeitsplatz

3. Beratung und Hilfe für Arbeitgeber

4. Wahrnehmen gemeinsamer Interessen

DIE ERHALTUNG DES ARBEITSPLATZES

Die Arbeitsassistenz wirkt vermittelnd und helfend bei psychosozialen Problemen oder akuten Krisensituationen am Arbeitsplatz zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, seinen Vorgesetzten und Kollegen. Sie erarbeitet gemeinsam mit allen Beteiligten zufriedenstellende Lösungen. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem unmittelbar Betroffenen und dem Arbeitsassistenten spielt hier eine entscheidende Rolle.

Die Aufklärung über die besonderen Bedürfnisse der behinderten Menschen und deren Auswirkungen auf das soziale Verhalten des Betroffenen und seine Arbeitsleistung ist eine wichtige Aufgabe der Arbeitsassistenz.

Insofern kann die Arbeitsassistenz als eine adäquate Möglichkeit gesehen werden, den drohenden Arbeitsplatzverlust zu verhindern.

HILFESTELLUNG BEI DER SUCHE NACH EINEM ARBEITSPLATZ

Die Arbeitsassistenz ist dem behinderten Menschen gemeinsam mit dem Arbeitsmarktservice und anderen Rehabilitationsträgern behilflich bei der Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz, sowie bei der Entscheidungsfindung über seine Einsatzmöglichkeiten am Arbeitsplatz.

Mit der Begleitung zum Vorstellungsgespräch und Terminen bei Behörden und Ämtern wird zum Abbau on Ängsten und Vorurteilen auf beiden Seiten beigetragen.

Die Arbeitsassistenz informiert die Klienten und auch den Arbeitgeber über Förderungen und Zuschüsse, die bei der Einstellung und Beschäftigung von behinderten Menschen geleistet werden.

BERATUNG UND HILFE FÜR ARBEITGEBER

Arbeitgeber sollen durch Arbeitsassistenz ein erweitertes und verbessertes Informations- und Betreuungsangebot erhalten. Unter dem Leitgedanken "geeignete Arbeitsplätze werden nicht angeboten, man muß sie schaffen!" hat die Arbeitsassistenz in der Aufbau- und Ablauforganisation von Unternehmen dem Arbeitgeber, der Betriebsführung und der Belegschaft, die Einrichtung behindertengerechter bzw. behindertenfreundlicher Arbeitsplätze anzubieten und das zu fördern. Jeder Betrieb, der dieses gezielt annimmt, kann Einsatzschwierigkeiten von leistungsgeminderten Arbeitnehmern im Betrieb reduzieren; spart erhebliche Kosten für Sozialpläne, Abfindungen oder unproduktive Beschäftigungen und kann häufig gleichzeitig seine Produktivität erhöhen.

WAHRNEHMEN GEMEINSAMER INTERESSEN

Arbeitsassistenz hat in dem vielschichtigen Wirtschafts- und Arbeitsleben einen hohen Grad an Informationsarbeit zu leisten. Sie muß aufzeigen, daß sich das Angebot Arbeitsassistenz für Beratung und Hilfe an 2 Interessenslagen richtet:

Die Interessen des Arbeitnehmers, der eine Verringerung und Beseitigung seiner Störungen und Probleme im Arbeitsleben anstrebt.

Die Interessen des Arbeitgebers, der einen störungs- und problemfreien betrieblichen Arbeits- und Produktionsprozeß wünscht.

ZIELGRUPPEN

Arbeitsassistenz soll vor allem psychisch und geistig Behinderten, aber auch sinnes- und körperlich behinderten Menschen mit erheblichen psychischen Bedürfnissen (die nicht unbedingt begünstigte Behinderte nach dem Behinderteneinstellungsgesetz sein müssen) Unterstützung und Beratung bei der Suche und Erhaltung eines Arbeitsplatzes geben.

Insbesondere sind diese Zielgruppen psychosozial zu betreuen,

a) wenn sie in einem Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis stehen; hiezu zählen auch befristete Arbeitsverhältnisse, Teilnehmer an Arbeitstrainingsmaßnahmen oder sonstigen Maßnahmen der beruflichen Eingliederung,

b) wenn sie nicht länger als 18 Monate arbeitslos sind und die Vermittlungschancen in ein Arbeitsverhältnis durch die psycho-soziale Betreuung erhöht werden (in der Regel binnen 12 Monate) oder

c) wenn sie bei den Dienststellen des Arbeitsmarktservice als arbeitslos bzw arbeitssuchend vorgemerkt sind und dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

ANSPRECHPARTNER

Arbeitsassistenz wendet sich auch an Arbeitgeber, Vorgesetzte, Arbeitskollegen/innen und Betriebsräte/innen, die sich mit den persönlichen Problemen von Mitarbeiter/innen und den damit verbundenen Problemen im betrieblichen Geschehen konfrontiert sehen (Leistungseinbrüche, häufige Krankenstände, Konflikt am Arbeitsplatz u.a.).

AUFGABEN

Der Aufgabenbereich umfaßt entsprechend dem Prinzip der Ganzheitlichkeit immer Klient/in, Betrieb und Umfeld, wobei es zu einer unterschiedlichen Gewichtung kommen kann. Die Einbeziehung aller 3 Komponenten ist jedoch unverzichtbar.

Dieklientenbezogene Arbeit dient in erster Linie dem Erwerb und der Stabilisierung sozialer Kompetenz, der Verbesserung des Problembewältigungsverhaltens, den Abbau von Ängsten der Klienten/innen und der Krisenintervention.

Die betriebsbezogene Aktivität umfaßt u.a. die Pflege von Betriebskontakten, Betriebsbesuche, weiters Gespräche mit Kollegen/innen und Vorgesetzten, den Personalverantwortlichen sowie Betriebsräten/innen und Behindertenvertrauenspersonen.

Die umfeldbezogene Tätigkeit dient dem sozialen Netzwerk im privaten Lebensraum der Klienten/innen (Wohnen, Freizeit, Partnerschaft) und soll soziale Unterstützung bei der Problembewältigung mobilisieren. Hier geht es vor allem um eine Koordinationsfunktion der Arbeitsassistenz.

Reha-Pläne und deren Erstellung ist Teil des Aufgabengebietes der Arbeitsassistenz. Sie soll eine möglichst umfassende berufliche Rehabilitation für den/die einzelne/n Klienten/in sicher stellen. Einen weiteren wesentlichen Aufgabenbereich der Arbeitsassistenz stellt die Öffentlichkeitsarbeit dar. Das Angebot der umfassenden Beratung den behinderten Menschen und den Betrieben innerhalb des Einzugsgebietes bekannt zu machen und sozusagen eine Ansprechstelle zu schaffen, bildet den gemeinwesenorientierten Ansatzpunkt. In diesem Zusammenhang ist wiederum auf die Bedeutung der Kontakte zu anderen Betreuungseinrichtungen in der Region hinzuweisen.

Eine wesentliche Aufgabe der Arbeitsassistenz besteht auch in der Dokumentation der Tätigkeit. Diese Dokumentation soll von einer zentralen Koordinationsstelle vorgegeben und mittels normierter Erhebungsmethoden durchgeführt werden.

THEORIE UND GRUNDLAGEN VON ARBEITSASSISTENZ

Prinzip der Ganzheitlichkeit

Prinzip der Normalisierung

Gemeinwesen orientierter Ansatz

Sozialwissenschaftliche Grundlage

Prinzip der Ganzheitlichkeit: Die drei Aspekte Klient, Betrieb und Umfeld sind bereits im voranstehenden Kapitel "Aufgaben" definiert worden.

Prinzip der Normalisierung: Normalisierung schließt nicht spezielle Hilfen, Dienste und Einrichtungen aus, kontrolliert diese aber immer wieder unter dem Aspekt, daß sie nicht die lebenslange Abhängigkeit des Hilfeempfängers von vorherein unterstellen und dadurch verfestigen, sondern die Verselbständigung fördern. Hilfen sollen situativ definiert werden im Rahmen eines grundsätzlichen Vorverständnisses von menschlicher Hilfebedürftigkeit überhaupt.

GEMEINWESEN ORIENTIERTER ANSATZ

Dieser Ansatz als Methode hat sich vor allem im Bereich der Sozialarbeit entwickelt und ist dann in den sozialwissenschaftlichen Bereich und in dortige Theoriemodelle übergleitet worden. Für Arbeitsassistenz ist diese Theorie und Handlungsansatz eine wesentliche Leitlinie. Leopold Kohr als einer der Vordenker des Grundsatzes "Small is beautiful" und der kleinen Netze, hat auch nicht gerade zufällig im Pinzgau, einer Gebirgsregion im Land Salzburg, gelehrt und gewirkt.

SOZIALWISSENSCHAFTLICHE GRUNDLAGE

Arbeitsassistenz ist eine auf Rückzug angelegte Arbeitsposition, sie entspricht dem Leitbild "Hilfe zur Selbsthilfe" aus der Sozialpädagogik.

In diesem Sinne ist es normal, daß Menschen mit einer Behinderung in bestimmten Situationen bestimmte Hilfen erfahren, so wie nicht behinderte Menschen in anderen Situationen entsprechende Hilfen benötigen. Das Normalisierungsprinzip fordert also nicht die Abschaffung von Sondereinrichtungen, ohne dabei die kontrollierenden Bedingungen einer Deinstitutionalisierung zu nennen. Allerdings geht der Normaliserungsgedanke davon aus, daß bei konsequenter Anwendung der Perspektive pädagogische Förderung noch mehr behinderte menschen als bisher ein Fähigkeitsniveau erreichen können, das ein Leben mit größeren Freiheitsräumen ermöglicht. Menschliche Freiheitsspielräume schließen auch das Risiko des Scheiterns ein.

QUALIFIKATION DER MITARBEITER VON ARBEITSASSISTENZ

Die Mitarbeiter/innen sollen qualifizierte Personen mit einer Erfahrung im Bereich der Rehabilitation und Integration des zu betreuenden Klientels sein. Diese Probleme umfassen sowohl soziale, psychologische, medizinische als auch arbeitsrechtliche, betriebswirtschaftliche und organisatorische Fragen, sodaß letztlich Kompetenzen von Sozialarbeiter/in, Psycholog/in, Arzt/Ärztin, Therapeut/in, Jurist/in, Betriebswirt/in und Experten aus den einzelnen Branchen und Berufsfeldern benötigt werden.

Die Ausarbeitung von Mindeststandards für die Qualifikation von Arbeitsassistenz wird im Rahmen eines transnationalen Gemeinschaftsprojektes (Horizon) aus Mitteln des europäischen Sozialfonds finanziert werden. Bisher bekannte Mindeststandards sowie Supervision in der Zusammenarbeit mit der betreffenden MItarbeiter/innen in einzelnen Regionen sollte die optimale fachliche Betreuung darstellen.

ORGANISATION/STANDORTE VON ARBEITSASSISTENZ

Arbeitsassistenz soll regional und flächendeckend angeboten werden. Ein weit verzweigtes Beratungs- und Betreuungsnetz erscheint zur Sicherung der Qualität der Betreuung erforderlich.

Wir legen in Salzburg großen Wert darauf, daß nicht nur das städtische Umfeld eingebunden ist, sondern auch die Regionalisierung vorangetrieben wird. So ist z.B. auch der Lungau, der ein klassisches Ziel 5b-Gebiet darstellt, zu vertreten. Die Rücksichtnahme auf die dortige Wirtschaftsstruktur (Agrar-, Forstwesen) bedingt wiederum die Gestaltung der Arbeitsassistenz.

BEGLEITUNG IM (AUFBAU-) PROZESS STATT ANTRAGSBEARBEITUNG

Die Auftraggeber Land, Arbeitsmarktservice (AMS) und Bundessozialamt (BSB) sind an mögliche Projektträger herangetreten, mit der Bitte, Methoden und Konzepte vorzulegen, wie sie Arbeitsassistenz umsetzen können und wo sie ihre Stärken/Schwächen sehen.

Es ist dies für die BSB´s, und da vor allem für die Beauftragten in Angelegenheiten des Europäischen Sozialfonds (ESF-Beauftragten), Neuland. Bisher haben wir Integrations- und Fördermaßnahmen auf individuelle Anträge hin durchgeführt. Mit der prozeßhaften Initiierung von Projekten und deren Begleitung hatten die Bundessozialämter hingegen wenig zu tun.

D.h., es ist auch an uns ESF-Beauftragte der BSB´s die Anforderung gestellt, unsere Methoden kritisch zu überprüfen bzw. vom ESF begleiten zu lassen.

Der Einwand von Herrn Dr. Kier, Behindertensprecher des Liberalen Forums, daß sich de Sozialverwaltung schwer tut, ist insofern richtig, da wie oben erwähnt das Arbeitsverständnis in Vollziehung des Behinderteneinstellungsgesetzes und des Bundesbehindertengesetzes bis jetzt mehrheitlich durch Individualanträge von einzelnen behinderten Menschen geprägt war. Die prozeßhafte Entwicklung und Auseinandersetzung vom möglichen Kostenträger hin zum Auftraggeber für Projekte muß das theoretische und technische Setting und Handlungsdesign der BSB´s neu positionieren und neu ausrichten.

FINANZIERUNG

Der europäische Sozialfonds (BSF) finanziert zur Durchführung des einheitlichen Programmplanungsdokumentes (EPPD) Ziel 3 für Behinderte in den Jahren 1995 bis 1999 im langjährigen Durchschnitt ca 45 % der Maßnahmen. Die restlichen 55 % sind als nationalstaatlicher Anteil durch Bund und Länder (Ausgleichstaxfonds, Ländermittel, AMS-Gelder und anderen öffentlichen Stellen) auszufinanzieren. Arbeitsassistenz als Instrument der aktiven Arbeitsmarktpolitik zur Integration behinderter Menschen hat Aufnahme in das einheitliche Programmplanungsdokument Ziel 3 für Behinderte in Österreich gefunden.

Dementsprechend werden aus ESF-Mitteln 45 % kofinanziert.

Die Finanzierung in Salzburg erfolgt einvernehmlich mit dem Land Salzburg, dem Arbeitsmarktservice und dem Ausgleichstaxfonds zu gleichen Teilen unter Einbindung der 45 % Kofinanzierung aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Das BSB ist Koordinator und Endbegünstigter.

PERSÖNLICHER SCHLUSS

Anmerkung: Zum Schluß möchte ich eine ganz persönliche Bemerkung machen. In meiner 20-jährigen Tätigkeit und als politisch denkender und fühlender Mensch freue ich mich, daß ich die einmalige Gelegenheit hatte vor diesem Forum in diesen Räumlichkeiten zu referieren. Ich denke an die für mich historisch anmutende Rede von Herrn Manfred Srb, der auch heute anwesend ist. Bei deinem erstmaligen Antritt und Auftritt im Plenum des Parlamentes hast du Manfred mit deinen wohl gesetzten Worten ein momentanes Innehalten bei deinen Nationalratskollegen in dem Alltagsgeschehen bewirkt. Damals und bis heute einmalig konnten wir nachdenkliche Äußerungen zu der Form der Wahl der Worte deiner Nationalratskollegen hören. Ein zweites Mal durfte ich es erleben, wie gehörlose Menschen in den Räumen des Parlamentes mit den Volksvertretern zu ihrer Problemlage sich sehr sachbezogen und offen zusammensetzten. Heute geschah dies zum dritten Mal in diesem örtlichen Rahmen.

Ich danke Ihnen.

Rajmund Kosovic, Mag. / BSB Salzburg

Leitender Beamter des Bundessozialamtes Salzburg,

war maßgeblich an der qualitativen Umsetzung des Arbeitsassistenz-Modells innerhalb seines Amtes beteiligt

Birgit Schlichterle / Brigitte Husinsky: Wohin nach der Schule?

Integrationsklassen sind nur der erste Schritt. Nach Schulabschluß droht oft die Aussonderung. Dieses Schicksal will das Projekt OASE behinderten Jugendlichen ersparen.

OASE, ein KULTUR- und ARBEITSASSISTENZPROJEKT des Vereins TAFIE -Außerfern

EINLEITUNG

Der Verein TAFIE - Außerfern (Tiroler Arbeitskreis für integrative Erziehung) plant ein Kultur- und Arbeitsassistenzprojekt, welches auf die regionale Situation und ihre Bedürfnisse hin konzipiert ist.

Die Region Außerfern, die den Bezirk Reutte umfaßt, liegt im äußersten Nordwesten von Tirol, mit dem Ballungsort Reutte. Der Bezirk hat ca. 30.000 Einwohner, wobei im Kerngebiet Reutte ca. 1/3 davon leben.

Ein paar Worte zum Verein TAFIE als Träger des Projekts:

TAFIE -Außerfern ist ein kleiner Verein, der seit ca. 10 Jahren äußerst aktiv und erfolgreich an der Umsetzung der schulischen Integration arbeitet. Dank dieser Arbeit gibt es im derzeit laufenden Schuljahr (1994/95) 25 Integrationsklassen. Das bedeutet, daß schulische Integration nahezu flächendeckend im Bezirk verwirklicht werden konnte. Aufgrund dieser Situation stellte sich für uns zwangsläufig und dringlichst die Frage, welche integrativen Angebote im außerschulischen Bereich für die betroffenen Jugendlichen bestehen bzw. welche zu schaffen sind.

Nach unseren Ermittlungen diesbezüglich kamen wir zu folgendem Ergebnis:

Angebote integrativer Art gibt es nicht. Das einzig bestehende Angebot für Menschen mit Behinderungen ist eine Tagesstätte, in der Behindertenarbeit in klassischem Stil stattfindet. Der in der Schule bereits gelebte Integrationsgedanke würde allerdings völlig ad absurdum geführt, wenn behinderte Jugendliche nach der Schule lediglich folgende Wahlmöglichkeiten hätten:

a) die der Tagesstätte, die ihnen zwar Arbeit gibt, sie aber aus ihrem natürlichen Lebensumfeld ausgrenzt oder

b) die, als reine Freizeitmenschen ein Leben in der eigenen Familie zu führen und damit Gefahr zu laufen, gesellschaftspolitisch als Sozialschmarotzer abgestempelt zu werden bzw. in ihren Freizeitaktivitäten abhängig von betreuenden Familienmitgliedern zu sein.

Somit war für uns die Aufgabenstellung klar; nämlich, integrative Angebote in den Bereichen Arbeit, Bildung und Freizeit zu schaffen, die für diesen Personenkreis sinnvoll sind, die ihnen aber auch Kontakte zu nichtbehinderten Menschen öffnen, und damit eine Teilnahme am beruflichen und sozialen Leben ihrer Umgebung ermöglichen.

Dies versuchen wir mit dem Projekt OASE zu verwirklichen. OASE steht dabei für "OHNE AUSGRENZUNG SELBST ERLEBEN". Der dargestellte Anspruch läßt sich unserer Meinung nach durch 3 miteinander verbundene Projektbereiche realisieren.

MODELL

Die drei geplanten Projektbereiche sind:

1) ein Kommunikationsort in Form eines Cafés

2) ein Kulturzentrum für eigene kreative Betätigung

Beide Bereiche sollen offen sein für alle Bevölkerungsgruppen, damit eine Begegnung zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen möglich wird.

3) eine Beratungsstelle, die sich speziell mit den Anliegen von Menschen mit Behinderungen beschäftigt. Von dieser Stelle aus soll auch bezirksweit Unterstützung vor Ort organisiert werden.

Die grundsätzlichen Überlegungen zu diesem Modell sind folgende:

Wir gehen von der Zielvorstellung aus, daß für behinderte Menschen künftig alle Lebensbereiche zugänglich gemacht werden sollen.

Dazu brauchen wir ein Gesamtkonzept, das diese Entwicklung im Bezirk vorantreiben kann, und das daher mehrere Bereiche umfassen muß:

Erstens müssen Bewußtseinsprozesse in der Bevölkerung gefördert werden, die langfristig auf eine andere Sicht von Behinderung abzielen. Kurz gesagt geht es darum, zu erkennen, daß behinderte Menschen Menschen sind, die behindert werden, also auch enthindert werden können.

In der Praxis ist dies nur möglich, wenn Menschen mit dem Phänomen "Behinderung" konfrontiert werden. Notwendig sind ein Abbau von Angst, Hemmungen und Abwehrreaktionen durch gegenseitiges Kennenlernen.

Unsere geplanten "Instrumente" dazu sind:

- ein für alle zugängliches Kulturzentrum (für gemeinsame Aktivitäten)

- ein Begegnungsort in Form eines Cafés

Mit diesen beiden Angeboten soll also langfristig der Boden für Nichtaussonderung geschaffen werden, ohne den auch berufliche Integration keine Chance hat.

Im zweiten Bereich des Gesamtkonzepts geht es darum, für behinderte Menschen konkrete Hilfen anzubieten, die ihnen die Teilnahme sowohl an der Berufs- als auch an der Freizeitwelt ihrer Umgebung ermöglichen.

Dazu benötigen wir eine Anlaufstelle, in der Arbeitsassistenz und Persönliche Assistenz (je nach individueller Situation und Wünschen) geplant und organisiert werden können.

Durchgeführt werden diese Hilfen bezirksweit dort, wo sie benötigt werden, also im alltäglichen Lebensumfeld der jeweiligen Person.

Das ist ein entscheidender Punkt. Wir planen nicht ein in sich geschlossenes Zentrum, in dem Integration stattfindet - das wäre ein Widerspruch in sich. Wir planen eine Begegnungsstätte; Integration muß jedoch überall stattfinden. Daher: Unterstützung vor Ort.

Die Arbeitsassistenz wollen wir entsprechend dem Hamburger Modell (Video) aufbauen. Da unser Bezirk klein und überschaubar ist, ist der Bedarf vorhersehbar und ließe sich leicht abdecken. Aufgrund der Anzahl der Schüler/innen in Integrationsklassen und der Anzahl erwachsener Personen, die zum Teil Arbeitsassistenz benötigen würden, ergibt sich für die kommenden 8 Jahre, daß jeweils durchschnittlich 6-8 Personen pro Jahr Arbeitsassistenz in Anspruch nehmen könnten.

Der in Hamburg praktizierte Betreuungsschlüssel von 1:4 würde für unseren Bezirk vorerst

1,5 - 2 Posten für die Arbeitsassistenz bedeuten. Damit könnte voraussichtlich individuelle Betreuung bei der beruflichen Integration sichergestellt werden.

  • OFFENE KULTURARBEIT

  • ALS BEITRAG ZUR VERBINDUNG VON ARBEITS- UND FREIZEITWELT

"Nichtaussonderung" als gesellschaftliches Prinzip verlangt mehr als eine ledigliche Eingliederung in die Arbeitswelt. Unter dem Aspekt der gesellschaftlich insgesamt zunehmenden FREI-ZEIT stehen wir vor der Aufgabe,

a) speziell für die Gruppe der Menschen mit Behinderungen Zugänge zur bestehenden Freizeitwelt vor Ort zu öffnen. Dies soll durch persönliche Asssistenzangebote oder durch Herstellung von Kontakten zu dörflichen Vereinsaktivitäten und bestehenden Kultur- und Bildungsinstitutionen ermöglicht werden.

b) das regional vorhandene Vacuum an Angeboten zur kulturellen Betätigung zu füllen und dabei Nichtaussonderung erlebbar zu machen.

Die Realisierung dieser Zielsetzung soll konkret die Schaffung eines Kulturzentrums in Reutte sein. Wir sehen dabei das Kulturzentrum als einen Ort, an dem kreativ Interessierte aller Personengruppen - ob behindert oder nichtbehindert, ob jung oder alt, ob psychisch gekränkt, ob verrückt oder normal - ihre eigene Kreativivtät erleben, untereinander austauschen und sich der Öffentlichkeit mitteilen können.

Wir wollen mit diesem Ort ein natürliches kreatives Umfeld schaffen, in dem Kunst vordergründig nicht als Arbeitsersatz oder Beschäftigungstherapie verstanden wird. So sollen unsere künstlerischen Angebote frei sein von Zwang und von therapeutischen Versorgungsaufträgen. Die therapeutische Wirkung physischer und psychischer Art liegt unserer Meinung nach im Erleben der eigenen Kreativität, im Freilegen schlummernder Potentiale, in der Selbsterfahrung und Aufarbeitung eigener Erfahrungen. Schöpferisch-kreatives Tätigsein führt so zu einer Stärkung des Selbstbewußtseins und somit zu einer Persönlichkeitsentwicklung.

Gleichzeitig lassen sich aber dadurch bestehende Barrieren zwischen Behinderten und Nichtbehinderten leichter abbauen.

Im Zusammenspiel beider Aspekte (Stärkung des Selbstwertgefühls und Barrierenabbau) ergibt sich ein Verknüpfungspunkt zur Arbeitswelt.

So gibt es momentan regional betroffene Personen, für die es vordergründig gilt, den Freizeitbereich zu öffnen, und die in einer späteren Phase vielleicht über den Freizeitbereich den Wunsch haben, in die Arbeitswelt einzutauchen.

Wir sind aber auch mit betroffenen Personen konfrontiert, die bereits einen Arbeitsplatz haben, aber über keine Freizeitangebote verfügen.

Aus diesen Überlegungen heraus ergibt sich die Wichtigkeit beider Bereiche, die der Arbeitswelt und die der Freizeit, und die Notwendigkeit, beide auszubauen und miteinander zu verknüpfen.

Um all diesen ausgeführten Anforderungen gerecht zu werden, sehen wir unser geplantes Kulturzentrum als einen Ort, in dem OFFENE KULTURARBEIT stattfinden soll. Offen heißt: für alle bereits erwähnten Personengruppen zugänglich, die sich künstlerisch betätigen wollen. Wir sehen es als einen Ort, in dem Räume und Mittel zur Verfügung gestellt werden, um sich künstlerisch ausdrücken zu können.

Dies scheint uns verwirklichbar

  • in der Schaffung von offenen Ateliers zum Malen, Fotografieren, Erstellen von Videos und vielem mehr

  • im Angebot von Gruppen, die an konkreten Projekten wie Tanz / Theater / Musik arbeiten

  • in der Organisation von öffentlichen Veranstaltungen

  • im Angebot von Kursen und "workshops".

Wir haben uns in unserem Kulturbereich die Jugendkulturarbeit zum Schwerpunkt gesetzt, da die Gruppe der Jugendlichen mit sinnvollen Freizeitangeboten im kulturellen Bereich regional absolut unterversorgt ist.

Unsere persönlichen Erfahrungen mit Jugendlichen in Theater- und Tanzgruppen haben gezeigt, daß ein enormes Potential an Kreativität vorhanden ist und dieses auch mit Erfolg zum Ausdruck gebracht wird,

  • sofern ihnen die dazu nötigen Räumlichkeiten und Mittel zur Verfügung gestellt werden,

  • sofern sie ernstgenommen werden,

  • sofern ihnen die Möglichkeit geboten wird, sich mit ihrer Umwelt auf künstlerisch/kreativem Weg auseinanderzusetzen,

  • sofern ihren Werken Gehör verschafft wird.

Gehört und ernstgenommen zu werden sind die Voraussetzungen für die Erhaltung von Interesse und Engagement für gesellschaftspolitische Fragen.

So hat eine Jugendkulturarbeit, die die Persönlichkeitsentwicklung, das Verantwortungs- und Zugehörigkeitsgefühl stärkt, eindeutig Präventivcharakter und könnte damit einen entscheidenden Beitrag zur Verminderung bestehender Jugendprobleme in Reutte leisten.

Was bleibt, ist das Problem der Finanzierung dieses Bereichs. Erfahrungsgemäß scheint eine Geringschätzung des kulturellen Bereichs ein gesellschaftspolitisches Faktum zu sein, wobei (große kulturelle Initiativen ausgenommen) das in besonderem Maße kleine, örtliche Initiativen betrifft, als solche wir uns auch verstehen. Es scheint eine Geringschätzung vorzuherrschen, obwohl gerade der Kulturbereich ein wichtiger Baustein für eine Bewußtseinsbildung unter dem Aspekt der Nichtaussonderung sein könnte.

Es ist ein wichtiger Baustein, der - ich fasse zusammen -

  • die Basis für eine Persönlichkeitsentfaltung beinhaltet und somit Menschen nach und nach befähigt, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und nicht nur auf Hilfen anderer angewiesen zu sein,

  • ein Baustein, der seine Kreise damit auch in die Arbeitswelt zieht,

  • und der schließlich - bei politischer Unterstützung - einen Boden für gesellschaftspolitische Tendenzen der Nichtausgrenzung bereiten kann; und dies in einer Zeit zunehmender rechtsradikaler Strömungen und steigender Gewalt gegen Minderheiten.

REALISIERUNGSPROBLEME EINES GANZHEITLICHEN PROJEKTS

Bei der Planungsarbeit stehen wir derzeit vor dem Problem der Finanzierung. Wir haben ein inhaltliches Konzept entworfen, das mit einem ganzheitlichen Modell den bestehenden regionalen Bedarf abdecken könnte. Demgegenüber ist die Finanzierungsseite alles andere als ganzheitlich. Da unser Projekt unterschiedliche Bereiche umfassen muß, damit es als Ganzes ein Schritt in eine nichtaussondernde Umwelt werden kann, steht uns eine äußerst komplizierte Aufgabe bevor: nämlich, in einem Dickicht von Institutionen und möglichen Geldgebern, in einem völlig zersplitterten Feld von Zuständigkeiten, einen Finanzierungsweg zu finden.

Betroffen sind die Bereiche Behinderte und Soziales / Kultur / Jugend und Familie, wobei es im Behindertenbereich wieder Aufsplitterungen in Schule, Beruf, Rehabilitation usw. gibt.

Diese Aufsplitterung wird für uns unzählige Verhandlungen und Auseinandersetzungen bezüglich der notwendigen Mittel bedeuten, d.h. jeweils ein Ringen um Qualitätsstandards, die personalintensiv, aber notwendig sind, vorausgesetzt, ein selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen ist gewollt.

Bei allen diesen Verhandlungen wird Qualität gegen billige Minimalvarianten stehen und wir wissen, was Minimalvarianten auf diesem Gebiet bedeuten:

  • Wenn beispielsweise unter der Bezeichnung Arbeitsassistenz Jobvermittlung ohne Begleitung am Arbeitsplatz verstanden wird oder

  • wenn bestimmte Personen, die als schwerstbehindert gelten, von vornherein von bestimmten Angeboten ausgeschlossen werden, dann bedeutet das letztlich eine Fortsetzung der Aussonderung.

Neben der Schwierigkeit, ein Finanzierungssystem (für ein so umfassendes Projekt) aufzubauen und dabei die nötige Qualität sicherzustellen, ist ein weiteres Problem, daß wir eine kleine Initiative sind. Für große, etablierte Behindertenorganisationen ist es einfacher, im Rahmen ihrer Mittel beispielsweise zusätzlich auch Arbeitsassistenz anzubieten.

Die Besonderheit unseres Konzepts ist hingegen, daß es versucht, für einen konkreten Bezirk auf mehreren Ebenen Wege zur Nichtaussonderung zu öffnen. Das ist etwas völlig anderes, als einem bestehenden - im allgemeinen aussondernden - System der Behindertenarbeit ein neues, fortschrittlich erscheinendes Element wie Arbeitsassistenz hinzuzufügen.

Daher liegt gerade in derartigen kleinen regionalen Projekten, die einen grundsätzlich neuen Weg in der Behindertenarbeit beschreiten, eine enorme Innovationskraft. Ob die Chance zu solcher Innovation genützt wird, wird letztlich vom politischen Willen der entsprechenden Entscheidungsträger abhängen. Wird Nichtaussonderung gewünscht, dann werden ganzheitliche Projekte anstelle von Teillösungen gefördert werden müssen.

Abschließend zwei Aspekte, die sich aus unserer inhaltlichen Arbeit für die politische Umsetzung ergeben:

Erstens brauchen wir einheitliche Richtlinien für Qualitätsstandards, z.B. in Form von ausreichenden Betreuungsschlüsseln, damit Nichtaussonderung (alle behinderten Personen betreffend) Realität werden kann.

Zweitens müssen Finanzierungswege erarbeitet werden, die weg von einer Zersplitterung des Sozialbereichs und hin zu einem System der Projektförderung führen, damit es möglich wird, regional unterschiedlichen Erfordernissen (für eine nichtaussondernde Umwelt) gerecht zu werden.

Birgit Schlichterle, geb. 1962 in Reutte, Tirol. 8-jährige Tätigkeit als Hauptschullehrerin in Reutte, u.a. in Integrationsklassen. Langjährige Tanz/Theatererfahrung mit Jugendlichen. Derzeit Projektvorbereitung OASE.

Brigitte Husinsky, geb. 1962 in Wien. 7-jährige Tätigkeit als Sonderschullehrerin in Integrationsklassen in Reutte. Derzeit Studium der Erziehungswissenschaften und Projektvorbereitung OASE.

Renata Neukirchen: Bindeglied Arbeitsassistenz

In Bayern stehen 60 ArbeitsassistentInnen behinderten Menschen beim Einstieg in den Beruf oder bei Problemen am Arbeisplatz zur Seite.

(Trotz mehrmaliger Nachfrage, wurde uns das Referat von Renata Neukirchen leider nicht übermittelt. Daher wurde hier versucht, teilweise durch Tonbandaufzeichnungen und Mitschriften dieses Referat wiederzugeben, erheben aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit. - Der Grüne Klub im Parlament)

Es freut mich, daß ich erzählen kann, wie es in Ihrem Nachbarland ausschaut. Vorweg will ich sagen: Sie und ich haben die gleiche Situation. Es ist das Versorgungssystem das aussondert und wir müssen jetzt einen neuen Weg finden. Wir in Bayern haben vor 10 Jahren das Glück gehabt, daß Politiker den Mut hatten zu sagen: "Wir schaffen ein Modell!"

ARBEITSASSISTENZ EINE WEITERE CHANCE

Nachdem wir in Deutschland sogar für jeden ein Recht auf Arbeit haben, außerdem uns dazu bekennen, daß wir uns und unseren Wert überwiegend über Arbeit bzw. über die Teilnahme an Arbeit und deren Erfolg definieren, ist es wirklich wichtig nachzudenken, Wege zu finden, damit Menschen mit einer Behinderung diese Teilnahme genauso ermöglicht wird und genauso die Erfahrung am Erfolg ermöglicht wird. Wir haben inzwischen in 9 von den 11 alten Bundesländern sehr länderindividuell Modelle geschaffen wie: Arbeitsassistenz, Integrationsdiensten, Eingliederungsberater. Die Modelle sind fast alle in Festfinanzierung übergegangen, in den neuen Bundesländern wird überlegt wie man diese Modelle installieren kann. Bayern hat inzwischen flächendeckend 60 Arbeitsassistentenstellen für Menschen mit den verschiedensten Behinderungen mit Schwerpunkt auf psychisch Behinderte. In München haben sie Selbsthilfefirmen geschaffen, in meiner Firma sind inzwischen 55 Menschen fest angestellt. Man muß nur Nischen finden.

Fast alle Dienste in Deutschland finanzieren sich über die Ausgleichsabgabe. Die Ausgleichsabgabe ist bei uns an die Hauptfürsorgestellen der jeweiligen Länder großteils gebunden. Diese Hauptfürsorgestellen verwalten und verteilen. Wenn politische Entscheidungen gefällt sind, ist es überhaupt kein Problem einen Teil der Ausgleichsabgabe für die Installierung neuer Modelle zu verwenden. Es gibt aber immer wieder sehr gute Erfahrungen mit engagierten Sachbearbeitern oder Geschäftsführern dieser Hauptfürsorgestellen, die sehr mutig entscheiden und den Topf neu aufsplitten.

Alle Dienste in Deutschland haben die gemeinsame Aufgabe, Menschen mit Behinderung bei der Arbeitsplatzsuche zu begleiten, bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes beteiligt zu sein und auch beim Erhalt des Arbeitsplatzes behilflich zu sein.

Alle Dienste arbeiten phasenorientiert:

  • Vorbereitungs- und Abklärungsphase

  • Vermittlungsphase

  • Einarbeitungsphase

  • Selbständige Arbeitsphase

Arbeitsassistenz hat die Aufgabe, die Stärken und Fähigkeiten zu entdecken und festzustellen:

- was will und braucht der Betrieb

- wie vermittle ich diese beiden Interessensfelder?

Wir haben schließlich erkannt: Wenn wir den Mut und die Geduld haben, bis zu einem dreiviertel Jahr im Betrieb vorzuarbeiten, sind daraus schließlich bleibende Arbeitsplätze geworden. Die Vorfeldinvestition lohnt sich unbedingt für das Ergebnis.

Was braucht die Firma und was braucht der Klient? Dies benötigt einen gegenseitigen Lernprozeß, der Vermittler in diesem Prozeß ist der Arbeitsassistent.

Unsere Eingliederungsarbeit ist durch intensive Einzelbegleitung geprägt, da viel Stabilisierungsarbeit nötig ist, wenn sich das Selbstbild in einer so gravierenden Veränderung befindet.

Wir brauchen den Arbeitsassistenten als Bindeglied, um uns dem Ideal zu nähern, nämlich, daß wir miteinander alles lernen und arbeiten können!

Renata Neukirchen / Verbund behinderter Arbeitgeberinnen, München

seit 10 Jahren ist sie maßgeblich daran beteiligt, das Projekt Arbeitsassistenz in Bayern umzusetzen und durchzuführen. Sie begleitet und unterstützt mehrere andere Arbeitsassistenzmodelle in Deutschland. Sie ist eine Frau der 1. Stunde in Praxis und Theorie der Arbeitsassistenz.

Quelle:

Haidlmayr Theresia, Pfaffenbichler Maria, Löffler Elisabeth, Leichsenring Kai, Schönwiese Volker, Kosovic Rajmund, Husinsky Brigitte, Schlichterle Birgit, Neukirchen Renata: "ENTHINDERUNG" - Neue Wege beruflicher Integration für Menschen mit besonderen Bedürfnissen.

Die vorliegenden Referate sind Berichte von der Enquete: "ENTHINDERUNG" - Neue Wege beruflicher Integration für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Abgehalten am Freitag 19.Mai 1995 / Parlament / Budgetsaal, Veranstaltet von: Die Grünen, Bizeps, Integration Wien. Verein Gemeinsam Leben - Gemeinsam Lernen

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 22.08.2005

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