"Schulische Möglichkeiten der Berufsorientierung - Für das Leben, nicht für die Schule lernen!"

Tagesbericht zum 11. Österreichischen Symposium für die Integration behinderter Menschen in Innsbruck, 7. Juni 1996

Themenbereiche: Schule
Textsorte: Referat
Releaseinfo: Referat am 11. Österreichischen Symposium für die Integration behinderter Menschen "Es ist normal, verschieden zu sein". Veranstaltungszeitraum: 6. - 8. Juni 1996 in Innsbruck Veranstalter: "Tafie - Tiroler Arbeitskreis für integrative Erziehung" in Zusammenarbeit mit der "Tiroler Vereinigung zugunsten behinderter Kinder" und dem "Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck".
Copyright: © Gabriele Gstettenbauer

1. Einleitung

"Du lernst nicht für die Schule, sondern für's Leben!" Mit dieser Aussage von Lehrern

oder Eltern werden Jugendliche seit Generationen konfrontiert. Eine tatsächliche Auseinandersetzung mit der - vor allem beruflichen - Zukunft, erfolgte dabei, einst wie heute, von Seiten der Schule selten.

Die Hauptaufgabe der Schule sehen wir nach wie vor in der Wissensvermittlung und -überprüfung. Auf entscheidende Bildungsaufgaben, wie den Erwerb von Handlungskompetenzen, Selbständigkeit, Problembewußtsein, usw., wird quasi nebenbei abgezielt. Doch gerade diese Kompetenzen garantieren dem Jugendlichen zukünftige (berufliche) Aufgaben zu meistern.

Die Berufsorientierung, deren Ziel es ist, die oftmals kaum hinterfragte und abrupt getroffene Berufswahl in einen Berufsfindungsprozess umzugestalten, ist in allen Schultypen ein pädagogisches Stiefkind. Das Thema "Berufswahl" findet meist erst in der 8. oder 9. Schulstufe Beachtung. Und dann auch nur, wenn Schüler/innen einen Polytechnischen Lehrgang besuchen oder ihnen die Möglichkeit geboten wird, die unverbindliche (und daher selten realisierte) Übung "Berufsorientierung und Bildungsinformation" zu besuchen.

Mit der Vorlage des Gesetzesentwurfes zur schulischen Integration im Sekundarbereich erhebt sich für alle Beteiligten die Frage: "Was kommt nach der Integration?" Welche Maßnahmen kann und soll die Schule behinderten (und nichtbehinderten) Schülern/innen bieten, um ihnen das kognitive und persönliche Rüstzeug für einen Eintritt ins Berufsleben zu vermitteln?

2. Behinderte Jugendliche und deren schulische Berufsvorbereitung

Schüler/innen und deren Eltern stehen dem Problem Berufswahl / nachschulische Betreuung oft hilflos gegenüber und verlangen nach konkreten Hilfen. Konfrontiert mit der Zukunftsproblematik reagieren Schüler/innen oft mit Resignation, Selbstüberschätzung, Ignoranz, Kompensation, usw. Eltern fühlen sich ob der Zukunftschancen ihrer Kinder zu wenig aufgeklärt und mit dem Problem alleingelassen.

Selbst engagierte Lehrer sehen sich der Problematik hilflos gegenüber. Sie haben auf dem Gebiet der Berufsorientierung (bis auf wenige Ausnahmen) keinerlei Ausbildung und versuchen dieses Manko in letzter Minute (in der 8. oder 9. Schulstufe) oftmals mit bloßer Vermittlung von berufskundlichen Informationen, wie z. B. Berufsfelder, Bewerbungsunterlagen, usw. wettzumachen.

Dabei fehlt es jedoch an Methoden und Übungen, welche den Schülern/innen praxisbezogene Handlungs- u. Interaktionskompetenzen vermitteln. Konkrete

Ansatzpunkte für einen zielgerichteten Berufsfindungsprozess sind aktives, handlungs- und erfahrungsorientiertes Lernen, abgestimmt auf die Persönlichkeit des/der behinderten Schülers/in. In kleinen Schritten müssen Schüler/innen mit elementaren Lern-, Arbeits-, Gesprächs- und Kooperationstechniken vertraut gemacht werden, wobei sich hierfür der Berufsorientierungsunterricht als idealer Übungsboden anbietet.

Die Erfassung der Schülerpersönlichkeit ist in diesem Zusammenhang unumgänglich. Berücksichtigung müssen:

- die persönliche Behinderung, wie z.B. Lern-, Sinnes-, Körperbehinderung bis hin zur psychischen Behinderung,

- das soziale Umfeld und

- das schulische Umfeld finden.

2. 1. Möglichkeiten der Berufsorientierung

WAS KANN / SOLL BERUFSORIENTIERUNG

 

LEISTEN

NICHT LEISTEN

Wissensvermittlung über Berufs- und Arbeitswelt

detaillierte Information über möglichst viele Berufe

Bewußtmachen von eigenen Interessen, Eignungen, Fähigkeiten, Wünschen...

 

Hilfestellung bei der Berufswahl

Lehrstellenvermittlung

Vermittlung von Lösungsstrategien

 

Orientierungshilfe bei der Berufswahl

Berufs- und Bildungswahl lenken

Bewusstmachung von Alternativen

 

Beratung

 

Neigungen und Interessen wecken

bloße Testung von Interessen und Fähigkeiten

Beitrag zur Persönlichkeitsbildung durch Förderung von:

Persönlichkeiten verändern

  • Selbstbewußtsein

  • Entscheidungsfähigkeit

  • sozialer Kompetenz

  • Kompromißbereitschaft

  • Eigenverantwortung

  • Frustrationsprophylaxe

  • Praxiserfahrungen Realbegegnungen

Persönlichkeitsbildung und Berufsentscheidung in letzter Minute (9. Schuljahr)

Warnung

Dieser Absatz wurde vom Konverter eingefügt, weil LogicTran hier eine falsche Struktur erzeugt. Eine 'section' kann nicht aus einem 'title'(Überschrift) alleine bestehen. Hätten die möglicherweise nachfolgenden Elemente eine Ebene tiefer liegen sollen? Bitte bereinigen Sie die Dokumentstruktur und führen sie die Konvertierung nochmals durch!

2. 2. Methodenpalette des Berufsorientierungsunterrichts

Übungen zur Selbsterfahrung und somit einer Bewusstmachung von Interessen und Fähigkeiten sind:

  • lustbetontes, spielerisches Lernen (Rollenspiele, Planspiele, Rätsel, usw.)

  • Diskussionen

  • reflexible Fragetechniken

  • Alltagserfahrungen in die Krise zu führen

  • Visualisieren

  • Selbstbild - Fremdbild - Übungen (Reflexion)

  • Übungen zur Streßbewältigung

  • Einsatz kreativer Medien (z.B. assoziatives Zeichnen)

  • Einsatz vielfältiger Dokumentationstechniken

  • Realbegegnungen (Feldforschung, Fragebögen, usw.)

  • Teamteaching mit Experten

Unumgänglich bei der Umsetzung sind:

  • Partnerschaftlichkeit

  • Angebot an Freiraum

  • fächerübergreifendes Er- und Aufarbeiten

  • Handlungsorientiertheit

  • Berücksichtigung der Schülerpersönlichkeit

  • Prozesshaftigkeit

3. Möglichkeiten der Verbesserung einer schulischen Vorbereitung auf das Arbeitsleben:

Auch in Zukunft wird und kann es nicht Aufgabe der Schule sein, Ausbildungsplätze bereitzustellen, Lehrstellen zu suchen oder eine professionelle Berufsberatung durchzuführen. Verantwortlich dafür sind z. B. das Arbeitsmarktservice oder die Wirtschaft. Trotzdem kann Delegieren allein das Problem nicht lösen. Eine Zusammenarbeit der betroffenen Parteien wäre weitaus zielführender.

  • Steigerung des Problembewußtseins aller Beteiligten (Schule, Lehrer, Eltern, Schüler/innen) bezüglich einer schulischen Vorbereitung auf die Arbeitswelt.

  • Dem Thema Berufsorientierung müßte in Lehrplänen mehr Bedeutung beigemessen werden. Nicht nur in Form des allgemeinen und daher nicht ausreichend realisierten Unterrichtsprinzips, sondern in a) einer verbindlichen Übung ab der 7. Schulstufe oder b) einer Neugestaltung der Lehrpläne, die die Berufsorientierung in anderen Unterrichtsgegenständen, wie z.B. Geografie und Wirtschaftskunde, vermehrt miteinbezieht.

  • Berücksichtigung der Berufsorientierung bei der Lehrerausbildung. Dies erfolgt gegenwärtig lediglich in einem verpflichtenden Betriebspraktikum für Studierende an den Pädagogischen Akademien. Didaktische Umsetzung der Berufsorientierung, Übungen zur Verbesserung der Beratungskompetenz, usw. werden im Laufe des Lehramtsstudium noch nicht vermittelt. Auf dem Gebiet der Lehrerfortbildung wird seit dem Schuljahr 95/96 im Land Wien eine eigens für den Sonderschul- und Integrationsbereich konzipierte Ausbildung im Ausmaß von zwei Seminaren und einem Betriebspraktikum angeboten. Ein derartiges Ausbildungsprogramm wäre österreichweit wünschenswert.

  • Nutzung von EU-Förderprogrammen um verstärkt Projekte zur beruflichen Integration behinderter Schüler/innen / Jugendlicher zu fördern.

  • Schaffung und Förderung instanzenübergreifender Projekte wie z. B. Schule und Arbeitsmarktservice, um behinderten Schülern/innen / Jugendlichen den Übertritt von der Schule ins Arbeitsleben zu erleichtern. Dabei könnte nicht nur kognitives Wissen gefestigt (Aufgabe der Schule/Lehrer), sondern auch praktisches, berufsbezogenes Wissen (durch Berufsvertreter der Wirtschaft) vermittelt werden. Integrative Betreuung könnte/sollte auch hier im Vordergrund stehen.

4. Sinnhaftigkeit der Berufsorientierung

Berufsorientierung kann nicht eine Frage von Sinn oder Unsinn sein, sondern vielmehr die der Verantwortung. Damit ist nicht bloß eine pädagogische Verantwortung des Lehrers und der Schule gemeint, sondern auch die der Gesellschaft. Eine bloße Verlagerung des Problems an das Arbeitsmarktsevice, die Wirtschaft oder die Berufsschulen kann das Problem nicht lösen.

Ziel der Schule ist es, eine weitestgehende Integration des benachteiligten Jugendlichen zu erreichen. Dabei spielt die Eingliederung in eine Gesellschaft, die persönliche Werteinschätzung und die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns eine entscheidende Rolle. Integration ist nicht auf 9 Jahre befristet. Der wichtigste Integrationsfaktor in unserer Gesellschaft ist der Beruf. Durch einen längerfristigen Berufsfindungsprozess wird nicht nur Integration in der Gesellschaft, sondern auch eine Persönlichkeitsbildung des Jugendlichen - des nichtbehinderten ebenso wie des behinderten - angestrebt.

Um neben der Wissensvermittlung einen Beitrag zur Persönlichkeitsbildung zu leisten, bedarf es Zeit. Das Vorgehen in kleinsten Schritten, ausgehend von der Erfahrungs- und Erlebniswelt des Schülers ist die Basis des Berufsorientierungsunterrichts und bedarf eines kontinuierlichen Prozesses. Parallelen zu sonderpädagogischen und didaktischen Grundsätzen sind dabei offensichtlich.

Erreicht werden könnte dies etwa, indem man dem Problem "Nicht für die Schule, sondern für's Leben lernen wir!" mehr Raum bietet. Nicht in Form von weiteren Unterrichtsstunden, sondern in einer Verlagerung der Inhalte aus anderen Realien, wie etwa Geografie und Wirtschaftskunde, Geschichte und Sozialkunde, Biologie, usw. Wissen würde dadurch uneingeschränkt vermittelt, jedoch der Berufsorientierung eine neue Wertigkeit gegeben werden. Erst dann, wenn die Berufsorientierung ihre Abgehobenheit verliert und mit den anderen Realien eine Einheit bildet, kann ein Berufsfindungsprozess in der Sekundarstufe für alle Schüler/innen eingeleitet werden.

Integration in der Schule darf nicht in einer Sackgasse enden. Das Recht auf Arbeit und einen Platz in der Gemeinschaft haben alle. Um den Weg dazu zu ebnen, ist es Aufgabe der Schule, behinderte wie nichtbehinderte Schüler/innen auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Denn erst dann lernen sie wirklich für das Leben.

Quelle:

Gabriele Gstettenbauer: "Schulische Möglichkeiten der Berufsorientierung - Für das Leben, nicht für die Schule lernen!"

Tagesbericht zum 11. Österreichischen Symposium für die Integration behinderter Menschen in Innsbruck, 7. Juni 1996

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 11.01.2005

zum Textanfang | zum Seitenanfang | zur Navigation