Identitätsfördernde Aspekte integrativer Freizeitangebote im kreativ-bildnerischen Bereich

Autor:in - Eva Tögel
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: Gemeinsam leben - Zeitschrift für integrative Erziehung Nr. 3-00, S.121-124 Gemeinsam leben (3/2000)
Copyright: © EvaTögel 2000

1 Schnittpunkte zwischen Integration, Identität und Kunst

Zunächst möchte ich einige Überschneidungspunkte aus den theoretischen Hintergründen zu den Themenbereichen Integration, Identität und Kunst darstellen, die dem folgenden Praxisprojekt zu Grunde liegen (vgl. Tögel 1998).

1.1 Schnittpunkte zwischen Integration und Identität

Ein wichtiger Aspekt ist die Möglichkeit, in integrativen Situationen unterschiedliche Rollenerfahrungen machen zu können. Vielfältige Rollenerfahrungen bilden nach Krappmann (1969) die Voraussetzung für ein höheres Maß differenzierter Individuierung, außerdem für Empathie, die gemeinsames Handeln erst ermöglicht. Empathiefähigkeit ist eine wichtige Voraussetzung für gegenseitige Akzeptanz, die in Reisers Theorie der integrativen Prozesse eine zentrale Rolle einnimmt (vgl. Markowetz 1997, 207ff.). So kann Akzeptanz nur dann entstehen, wenn eine Person fähig ist, widersprüchliche Empfindungen nicht zu verdrängen, sondern Bezüge zwischen unterschiedlichen Erfahrungen herstellt. Ein Aspekt, der sich in Krappmanns identitätsfördernder Fähigkeit der Ambiguitätstoleranz ebenfalls widerspiegelt. Hier müssen Widersprüchlichkeiten im Interaktionsprozess ertragen werden, um Interaktion aufrecht erhalten zu können. In Freys Identitätstheorie (1983) zeigt der interne Identitätsaspekt Schnittpunkte mit Reisers innerpsychischer Ebene. Frey beschreibt den Prozess der Selbstreflexion und unterscheidet zwischen Fremdwahrnehmung und Selbstwahrnehmung, die sich wiederum aus unterschiedlichen Selbsterfahrungen zusammensetzt. Ein so entstandenes Selbstbild ermöglicht es, ein vermutetes Fremdbild annehmen oder ablehnen zu können. Integration kann hierbei das Spektrum der Selbsterfahrung erweitern und hilft ein differenziertes Selbstbild auszuprägen, das gefestigter auf Umwelteinflüsse reagieren kann. Analog hierzu steht Reisers Beschreibung integrativer Prozesse als Einigung, die "den Verzicht auf die Verfolgung des Andersartigen und stattdessen die Entdeckung des gemeinsam Möglichen bei Akzeptanz des Unterschiedlichen" (Reiser/Klein/Kreie/Kron 1986, 120) beschreibt. Integration also als Möglichkeit, das Spektrum sozialer Bezüge zu erweitern. Durch gemeinsames Handeln können sich nun im Spannungsfeld von Annäherung und Abgrenzung Beziehungen entwickeln, die je nach Möglichkeit der Balance integrativen Charakter haben.

1.2 Schnittpunkte zwischen Identitätstheorien und dem Themenbereich Kunst

Ich möchte mit der These beginnen, dass durch die Auseinandersetzung mit dem Medium Kunst, sowohl durch eigenes Tun, als auch durch die Betrachtung und Reflexion eigener und fremder Werke, identitätsfördernde Prozesse unterstützt werden können. Am konkretesten wird in der Theorie von Erikson (1974 und 1981) die Bedeutung der schöpferischen Eigentätigkeit für die Identitätsentwicklung angesprochen. Erikson beschreibt, wie wichtig es für die Entwicklung des Selbstwertgefühls ist, dass ein Kind auf sein eigenes Tun stolz sein kann. Dies spiegelt sich in der ästhetischen Erziehung z. B. in der Zielsetzung der Förderung von Genussfähigkeit. Der bildnerische Bereich bietet Möglichkeiten einer positiven Auseinandersetzung mit Material und Techniken, die so beschaffen sein sollten, dass sie subjektive Kreativität, also eigene Entdeckungen und Leistungen zulassen. Ein weiterer Aspekt, den Erikson aufführt, ist die Wichtigkeit der aktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt. Ästhetische Erziehung fördert dies auf den unterschiedlichsten Ebenen:

• Ganz elementar bei der Wahrnehmungsförderung, die die Kinder dazu anregen soll, ihre Lebensumgebung intensiver zu erfahren.

• Durch die Förderung der Ausdrucksfähigkeit, da differenzierte Ausdrucksfähigkeit dafür sensibilisiert, Interaktionspartner differenziert interpretieren zu können.

• Schließlich bildet die Reflexion über entstandene Werke einen wesentlichen Bestandteil in der Auseinandersetzung mit der Umwelt.

Die Kinder haben die Möglichkeit durch die Darstellung ihrer Werke etwas über sich mitzuteilen und bekommen dabei von ihrer Umwelt Rückmeldung. Andererseits fordert die Betrachtung von Werken anderer Kinder zu einer Auseinandersetzung mit ihrer Gedankenwelt auf. Aspekte, die sich auch mit den bei Krappmann beschriebenen identitätsfördernden Fähigkeiten wie Rollendistanz, Empathie und Identitätsdarstellung überschneiden. Die gestalterische Arbeit bietet ebenfalls Möglichkeiten einer aktiven Auseinandersetzung mit sich selbst. Seitz schreibt hierzu: "Darstellen heißt klarstellen" (Seitz 1995, 16) und vertritt damit die Meinung, dass jede Bildsprache die Klärung eigener Vorstellungen voraussetzt und damit auch einen Beitrag zur Selbsterfahrung des Individuums leistet. Ein weiterer Aspekt, den Erikson betont, ist der soziale Erfahrungsraum des Kindes. Das Kind legt einen immer größeren Wert auf Wertschätzung, Akzeptanz, sowie Verständnis und Zuwendung seiner personalen Umwelt. Auf den Themenbereich Kunst bezogen, kommen diese Aspekte am deutlichsten im Bereich der Reflexion zum Tragen. So bietet das entstandene Produkt einen Anknüpfungspunkt zur Selbstdarstellung gegenüber der Gruppe, aber auch gegenüber den Eltern. Die bisher aufgeführten Argumente Eriksons beziehen sich auf die Lebensphase vom Schuleintritt bis zur Pubertät. Selbstbestätigung durch eigene schöpferische Tätigkeit beginnt meiner Meinung nach jedoch lange vor dem Schulalter und behält auch danach ihre Relevanz.

1.3 Schnittpunkte zwischen den Themenbereichen Kunst und Integration

In diesem Abschnitt beschränke ich mich darauf, Schnittpunkte von Feusers Theorie des gemeinsamen Gegenstandes (vgl. Feuser 1995) mit meinem Verständnis von ästhetischer Erziehung aufzuzeigen. Feuser fordert das eigene Handeln als gleichwertiges Element im Unterricht zu betrachten und stellt individualisierte Lernprozesse an einem gemeinsamen Gegenstand als unterrichtliche Basis dar, sodass sich dieser an der Entwicklungslogik des einzelnen Kindes orientieren kann. In der ästhetischen Erziehung steht die Förderung von Kreativität durch eigene bildnerische Tätigkeit im Vordergrund. Das große Spektrum an Materialien und Techniken bietet hierbei vielfältige Differenzierungsmöglichkeiten, sodass auf die Entwicklungslogik des einzelnen Kindes eingegangen werden kann. Ein weiterer Grundgedanke Feusers ist die Vorstellung, jedes Kind unter Einbeziehung seiner biologischen, psychischen und sozialen Aspekte als kompetent anzusehen. Hier kann ein direkter Bezug zu der Vorstellung subjektiver Kreativität gesehen werden, bei der das Kind auf der Basis seines spezifischen Erfahrungs- und Entwicklungshintergrundes betrachtet wird. Die Vorstellung des gemeinsamen Gegenstandes als Ausgangspunkt individueller Entwicklung in Feusers Konzept spielt eine wichtige vermittelnde Funktion im Lernprozess. Die Beschäftigung mit Material und Techniken zu einem Thema bieten innerhalb der ästhetischen Erziehung an sich schon einen gemeinsamen Bezugspunkt. Die spezifische Umsetzung der Technik kann dabei sehr unterschiedlich ausfallen, sodass durch innere Differenzierung Kinder mit den unterschiedlichsten Möglichkeiten ihren Ansprüchen entsprechend gefordert werden können. Durch gemeinsame Spielphasen oder die Arbeit an Gemeinschaftswerken ergeben sich außerdem Phasen, in denen die Kinder auch konkret an einer gemeinsamen Sache arbeiten, spielen und lernen können. Der bei Feuser durch gemeinsames Erleben angesprochene Aspekt des ganzheitlichen Begreifens wird in der ästhetischen Erziehung nicht nur durch die Beschäftigung an einem gemeinsamen Gegenstand umgesetzt. Die Kinder auf eine ganzheitliche Weise anzusprechen, stellt grundsätzlich ein Prinzip des Unterrichts dar und bietet dabei vielfältige Begegnungsmöglichkeiten. In Bezug auf die Arbeiten Anderer sollte es dafür sensibilisiert werden, die Arbeiten differenzierter betrachteten und dadurch ebenfalls achten zu lernen. Was die methodische Umsetzung betrifft, sieht Feuser in der Projektarbeit die beste Umsetzungsmöglichkeit seiner Vorstellungen. Das Prinzip der Ganzheitlichkeit verknüpft mit der Vorstellung, dass das Kind gestaltet, was es erlebt, fordert im bildnerischen Bereich förmlich dazu auf, in Form von Projekten zu arbeiten. So bilden z.B. Musik, Bewegung, Geschichten, und szenisches Spiel wichtige Bestandteile in der Hinführung zur gestalterischen Arbeit.

1.4 Passung der Schnittpunkte

Nachdem ich nun einige Schnittpunkte der Themenbereiche Kunst, Identität und Integration skizziert habe, möchte ich kurz auf die Gewichtung der einzelnen Teilbereiche eingehen. Welche der drei Bereiche für das einzelne Kind während des Kurses in den Vordergrund rücken, was es am intensivsten erlebt, hängt von der persönlichen Situation jedes Einzelnen ab. Das kann und will ich nicht festlegen. Was ich jedoch versuchen möchte, ist entsprechende Möglichkeiten zu schaffen, in denen bildnerische, identitätsfördernde und integrative Prozesse gleichermaßen ablaufen können. Mein persönlicher Ausgangspunkt hierzu bildet das jeweilige Thema im bildnerischen Bereich. Im Mittelpunkt des Geschehens steht für mich also nicht die Behinderung einzelner Kinder, sondern der Erlebnischarakter, den die Veranstaltung allen Kindern als Ausgangspunkt unterschiedlichster Erfahrungsmöglichkeiten bietet.

Ich möchte in diesem Zusammenhang ein Projekt vorstellen, das ich im Frühjahr 1998 gemeinsam mit einer Kollegin im Rahmen der Jugendkunstschule Heidelberg angeboten habe. Sie bietet Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten zur eigenen künstlerischen Betätigung. Ergänzend zu dem laufenden Programm der Schule boten wir zunächst drei integrative Wochenendkurse an.

2 Das Praxisprojekt

2.1 Einblicke in das Projekt

Auf dieser Basis legten wir folgende Rahmenbedingungen fest: Die Kurse umfassten maximal 10 Kinder, wobei die Hälfte der Plätze mit behinderten Kindern belegt werden konnte. Um eine einigermaßen homogene Gruppe zu bekommen, sollte der Altersunterschied nicht mehr als 6 bis 7 Jahre betragen. Den zeitlichen Rahmen setzten wir für Samstag von 10.00 bis 17.00 Uhr und für Sonntag von 10.00 bis 13.00 Uhr fest. Dies ergab 3 Arbeitsblöcke à 3 Stunden mit Pausen, gemeinsamem Kochen und Mittagessen. Wir führten die Kurse zu zweit durch. Eine gemeinsame Planung, Durchführung und Nachbereitung mit gemeinsamer Verantwortung für alle Kinder war uns dabei selbstverständlich. Die Themen der Wochenenden waren:

  • "Formen in Stein, Formen aus Stein" Arbeiten mit Speckstein

  • "Feuer, Wasser, Luft und Erde" Maskenbau, farbiges Gestalten, Theaterspiel

  • "Spiel mit Farben und Formen" Experimentelle Mal- und Drucktechniken.

Trotz der unterschiedlichen Themen zeigen die Kurse in ihrem Aufbau viele Gemeinsamkeiten. In der ersten Phase ging es darum, erste Berührungsängste in der fremden Gruppe zu überwinden und sich gegenseitig vorzustellen. Wir setzten dies, dem jeweiligen Kursthema angepasst, spielerisch um. Beim Maskenbauwochenende hatten wir z.B. eine Schattentheaterwand aufgebaut, hinter der sich die Kinder gegenseitig Begriffe (Lieblingstier, Hobby, ...) vorspielten, die die anderen rieten. Auf die Vorstellungsrunde folgte eine Phase, in der den Kindern die äußeren Rahmenbedingungen kurz erläutert wurden. Sie bekamen einen Überblick über den Ablauf und sollten mit den Räumen, deren Struktur und Funktionen vertraut gemacht werden, um sich später möglichst selbstständig darin bewegen zu können.

Neben den Arbeitsbereichen im Werkraum hatten wir auch eine Sofaecke mit Büchertisch eingerichtet, auf dem sich Bildbände, Sach- und Bilderbücher befanden, die zu dem Thema des Wochenendes passten. Die Leseecke sollte einen kommunikativen Ort darstellen, der von sich aus Aufforderungscharakter hat und Möglichkeiten der Begegnung jenseits unserer direkten Anleitungen schafft. Außerdem stand neben dem Sofa ein Tisch mit Keksen und Getränken für kurze individuelle Pausen. Die Kinder konnten sich jederzeit zum schmökern oder Pause machen in diesen Bereich zurückziehen. Das Angebot wurde rege genutzt und bot immer wieder Anlass für Gespräche. Bei dem letzten Kurs wurde mit so viel Farben experimentiert, dass es uns zu risikoreich war, einen Büchertisch aufzustellen. Um auf den kommunikativen Charakter der Bücherecke nicht verzichten zu müssen, bauten wir in einem Vorraum ein ergänzendes Spielangebot auf, das die Kinder in den Pausen aufgreifen konnten, sodass sie beim gemeinsamen Spielen, Rätseln, und Ausprobieren miteinander in Kontakt kamen. Es befand sich dort eine Klangstraße, eine Taststraße, ein Tisch mit optischem Spielmaterial (Prismen, Kaleidoskopen, Spiegeln, etc.) und ein Geräuschmemory. Das Spielmaterial war so ausgewählt, dass jedes Kind, je nach Ideen, Möglichkeiten und Fertigkeiten sich damit beschäftigen konnte.

Die nächste Phase war die Einführung in das bildnerische Thema des Wochenendes. Da wir davon ausgehen, dass Kinder gestalten, was sie erleben, ist uns eine erlebnisorientierte Phase vor der Phase der eigentlichen Gestaltung wichtig. Je nach Thema kann dies sehr unterschiedlich ausfallen, wobei immer möglichst viele Sinneserfahrungen miteinbezogen werden sollten. Bei dem Specksteinkurs erkundeten wir z.B. den Stein, indem wir ihn in Säckchen erfühlten (glatt, poliert, naturbelassen, weicher Steinstaub). Danach tauchten wir die Steine in Wasser und entdeckten ihre Farben und Einschlüsse. Beim Maskenbaukurs schauten wir Bildbeispiele von Masken aus anderen Kulturen an, sprachen über deren Funktionen und ihren Ausdruck. Wir spielten aber auch selbst mit unserer Mimik und setzten unterschiedliche Emotionen mit entsprechender Musik gemeinsam in Tanz und szenisches Spiel um. Danach gestalteten wir eine große Maske aus Ton in Gemeinschaftsarbeit und befanden uns direkt in der nächsten Phase. Die Einführung in die konkrete Arbeit mit Material und Technik.

Strukturell unterteilten sich die Kurse nach den einleitenden Phasen immer abwechselnd in Phasen der Einzelarbeit und Gruppenarbeit. So werden anhand von Gemeinschaftsarbeiten oder die Technik einleitenden Spielen die einzelnen Arbeitsschritte gemeinsam nachvollzogen, bevor sie in der nächsten Phase selbst umgesetzt werden. Eine anschauliche Arbeitsweise, die es auch Kindern mit geistiger Behinderung ermöglichte eine Vorstellung von den Arbeitsabläufen zu bekommen und gleichzeitig in die Gruppe eingebunden zu sein. Die Einzelarbeitsphasen boten dann ergänzend die Möglichkeit der individuellen Unterstützung. Neben den immer möglichen kurzen Pausen, waren zwei gemeinsame Pausen in den Ablauf eingeplant (Mittagessen und Kuchenpause). Ein weiterer Aspekt, dem wir in der Planung einen gesonderten Platz einräumten, war die Anerkennung der entstandenen Werke der Kinder. Dieses Ziel, dass jedes Kind mit seinem Werk einmal im Zentrum der Aufmerksamkeit steht und gewürdigt wird, fand in der Anfangsrunde am zweiten Tag ebenso seinen Platz, wie in der gemeinsamen Abschlussrunde.

2.2 Reflexion des Projekts

Was das Prinzip der Unteilbarkeit betrifft, haben wir die Kurse ohne Einschränkungen angeboten und konnten alle Kinder aufnehmen. Es nahmen Kinder mit Hörschädigung und Kinder mit geistiger Behinderung an den Kursen teil. Die Verteilung war zufällig und richtete sich nach den Anmeldungen zu dem jeweiligen Wochenende. Um gemeinsames Erleben zu ermöglichen, planten wir die Kurse so, dass möglichst viele Interaktionsanlässe vorhanden waren (z.B. Gemeinschaftsarbeiten, Tänze, Spiele, Vorstellen der entstandenen Werke, Leseecke, gemeinsames Kochen und Essen, Sofaecke für Pausen ...). Auch in den Einzelarbeitsphasen saßen die Kinder in einem Arbeitsbereich und tauschten sich dabei rege aus. Den Aspekt individualisierte Lernprozesse an einem gemeinsamen Gegenstand zu ermöglichen, versuchten wir ebenfalls durch die Struktur der Kurse zu realisieren. Die immer wieder einfließenden Gruppenarbeiten oder die unterschiedliche Techniken einleitenden Spiele boten konstant wiederkehrende Phasen, in denen in der Gruppe gespielt, ausprobiert und gestaltet wurde. In den Einzelarbeitsphasen blieb das übergeordnete Thema des Kurses der gemeinsame Bezugspunkt. Außerdem konnte jedes Kind in diesen Phasen dort, wo es in seinem Gestaltungsprozess Fragen hatte, unterstützt werden.

Abb.1: Kinder mit Hörschädigung und Kinder mit geistiger Behinderung

So entstanden Situationen, die Möglichkeiten der inneren Differenzierung als Voraussetzung für individuelle Lernprozesse darstellten. Diese Art der Differenzierung bietet eine Basis, auf deren Grundlage sich jedes Kind in den Gesamtprozess einbringen kann, ohne sich über- bzw. unterfordert fühlen zu müssen. Dies bildet wiederum eine Voraussetzung, um die Zielvorstellung, dass jedes Kind in seiner Unterschiedlichkeit geachtet werden soll, umsetzen zu können.

Durch die Wertschätzung der subjektiven Kreativität, z.B. bei der Betrachtung der entstandenen Werke, konnte auch den anderen Kindern im Gespräch der individuelle Wert der Arbeiten näher gebracht werden. Auch dies sind Faktoren, die zur Akzeptanz der Unterschiedlichkeit jedes Kindes beitragen. Wichtig ist mir hierbei, dass es nicht schwerpunktmäßig um die Akzeptanz der behinderten Kinder in der Gruppe geht. Sondern dass es um eine prinzipielle Grundhaltung geht, die sich als Grundstimmung in der Atmosphäre der Kurse spiegeln sollte und dadurch alle Beteiligten gleichermaßen betrifft. Möglichkeiten der Begegnung dieser Art schaffen meiner Meinung nach Grundlagen, durch die Beziehungen im Spannungsfeld zwischen Annäherung und Abgrenzung wachsen können. Inwieweit diese Prozesse jedoch schon an einem einzelnen Wochenende ablaufen, ist noch eine ganz andere Frage.

Integration ist nach Reiser et al. (1986) zwar ein Prozess, der von jeder Ebene aus angestoßen werden kann, um jedoch wirklich Beziehungen aufbauen zu können wären kontinuierlicher Kontakt und somit kontinuierliche Erfahrungsmöglichkeiten für beide Seiten notwendig. Wochenendveranstaltungen hingegen können nur ein kleiner Schritt in eine Richtung sein, der es den Kindern ermöglicht, sich in der Freizeit auf anderer Ebene zu begegnen. Trotzdem hoffe ich, durch die Veranstaltungen das Spektrum positiver Erfahrungen im Kontakt der Kinder untereinander erweitert zu haben. Außerdem gehe ich davon aus, dass viele Einzelerfahrungen zumindest als Denkanstoß fungieren können und somit einen Beitrag gegen Aufbau und Festigung von Vorurteilen und Berührungsängsten leisten.

Meine Kollegin und ich konnten während der Wochenenden neben einer allgemein positiven Stimmung in den Gruppen, immer wieder Situationen beobachten, die uns eindrucksvoll in dieser Annahme bestätigten. Um neben unseren subjektiven Eindrücken eine Einschätzung der Kinder zu bekommen, standen den Kindern an den Wochenenden neben der mündlichen Reflexion in der Abschlussrunde, weitere Möglichkeiten der Rückmeldung zur Verfügung, die wir in unsere Nachbereitung mit einbeziehen konnten. So entwickelten wir einen Fragebogen aus einer Kombination von Schrift und Bildern, den die Kinder selbstständig ausfüllen konnten. Außerdem gab es einen Tisch mit Buntstiften und Papier, der speziell dafür da war, uns freiwillig Rückmeldungen zu geben. Hier entstanden in den Pausen immer wieder Briefe und Bilder, die wir in unsere Auswertung miteinbezogen. Eine weitere Quelle waren Gespräche mit Eltern und Briefe von Eltern, die uns nach den Kursen noch zugeschickt wurden. Hierbei war die Tatsache, dass Kinder mit Behinderung an den Kursen teilgenommen hatten, interessanterweise kein Thema gewesen, wenn es darum ging, wie sich die Kinder in der Gruppe gefühlt hatten. Nach diesen Rückmeldungen hatten wir die Hoffnung, uns unseren Ansprüchen angenähert zu haben. So versuchten wir durch die Auswahl der Techniken und die Struktur des Kurses eine Grundstimmung zu erzeugen, die die Teilnahme behinderter Kinder in diesem Rahmen zu einer Selbstverständlichkeit werden ließ.

Literatur

Erikson, E. H.: Identität und Lebenszyklus. Frankfurt/Main 1974

Erikson, E. H.: Jugend und Krise. Frankfurt a.M./Berlin/Wien 1981

Feuser, G.: Behinderte Kinder und Jugendliche zwischen Integration und Aussonderung. Darmstadt 1995

Frey, H. P.: Stigma und Identität. Weinheim/Basel 1983

Krappmann, L.: Soziologische Dimension der Identität. Stuttgart 1996

Markowetz, R.: Integration von Menschen mit Behinderungen. In: Cloerkes, G.: Soziologie der Behinderten. Eine Einführung. Heidelberg 1997, 187-237

Reiser, H./Klein, G./Kreie, G./Kron, M.: Integration als Prozeß. Sonderpädagogik 16 (1986), 115-122 und 154-160

Seitz, R.: Kunst in der Kniebeuge. München 1995

Tögel. E.: Identitätsfördernde Aspekte integrativer Freizeitangebote im kreativ-bildnerischen Bereich. Heidelberg (Pädagogische Hochschule; unveröffentlichte Wissenschaftliche Hausarbeit) 1998

Autorin:

Eva Tögel,

Hauheckenweg 16

69123 Heidelberg

Quelle:

Eva Tögel: Identitätsfördernde Aspekte integrativer Freizeitangebote im kreativ-bildnerischen Bereich

Erschienen in: Gemeinsam leben - Zeitschrift für integrative Erziehung Nr. 3-00, Hermann Luchterhand Verlag, Neuwied 2000, S.112-120

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