Übergang von der Schule in die Hochschule

- Chancen und Hindernisse für behinderte und chronisch kranke junge Menschen

Autor:in - Waldtraut Rath
Themenbereiche: Schule
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Gemeinsam leben - Zeitschrift für integrative Erziehung Nr. 2-00 Gemeinsam leben (2/2000)
Copyright: © Luchterhand 2000

Übergang von der Schule in die Hochschule

Übergänge von einer Lebensphase in eine andere sind in mehreren Wissenschaftsbereichen als wichtige Forschungsgegenstände entdeckt und unter unterschiedlichen Aspekten untersucht worden. Es gibt verschiedene theoretische Ansätze, um die langfristigen und komplizierten Prozesse, die bei Übergängen ablaufen, darzustellen und zu erklären. Der Übergang von der Schule in die Berufsausbildung gilt als eine sehr einschneidende Phase im menschlichen Leben, der entsprechend viel Aufmerksamkeit gewidmet wird (Appelhans u. a. 1992, 34 ff.). Im Folgenden steht ein Teilaspekt dieses Übergangs im Mittelpunkt: der Wechsel von der Schule in die Hochschule unter besonderer Berücksichtigung junger Menschen mit einer Behinderung oder chronischen Krankheit. Dabei wird sowohl von Chancen, die sich für den einzelnen mit dem Wagnis eines Studiums auftun, zu berichten sein als auch von Hindernissen, mit denen dabei umgegangen werden muss.

1. Hochschulzugang im Wandel der Zeiten

Dass behinderte Menschen studieren, ist nicht neu. Seit Jahrhunderten gibt es behinderte Menschen, die sich ein Studium erkämpft haben und in akademischen und künstlerischen Berufen erfolgreich waren. Einige waren zu Höchstleistungen fähig und sind berühmt geworden, z. B. der blinde Nikolaus Saunderson (1682-1739), Professor der Mathematik an der Universität Cambridge und Nachfolger Newtons, die sprachbegabte, taubblinde Helen Keller (1880-1968), der blinde Schriftsteller, Musikkritiker und Feulletonist Oskar Baum (1883-1941), ein Mitglied des Kreises deutscher Dichter in Prag um Franz Kafka, Max Brod, und Felix Welsch oder - als aktuelles Beispiel - der schwer körperbehinderte Astrophysiker Stephen Hawking. Dennoch war ein Studium für Behinderte nicht die Regel, es galt eher als bewunderungswürdige Ausnahme.

Auch der Zugang zur gymnasialen Bildung war für behinderte junge Menschen bis in die jüngere Vergangenheit hinein erschwert. Sie waren in der Regel auf Privatinitiativen angewiesen, da die bestehenden Bildungseinrichtungen für Behinderte nicht zum Abitur führten. In Deutschland war eine der ersten gezielten Maßnahmen, behinderten Menschen den Weg zum Studium zu ebnen, ein Akt der Selbsthilfe: Im Ersten Weltkrieg gründeten blinde Menschen die Blindenstudienanstalt, eine Einrichtung, die eine blindheitsgemäße Vorbereitung auf das Studium ermöglicht und Studienhilfen anbietet.

Grundsätzlich muss bedacht werden, dass allgemein der Prozentsatz eines Jahrgangs, der eine Hochschule besuchte, früher erheblich niedriger war als heute. In vergangenen Jahrzehnten betrug er ziemlich konstant etwa 5 %. In der Nachkriegszeit wuchs er auf Grund gezielter bildungspolitischer Maßnahmen der 70er-Jahre bis zu mehr als einem Drittel in der Gegenwart.

Für behinderte junge Menschen trat ein merklicher Wandel erst in Zusammenhang mit den Reformbemühungen der späten 60er- und der 70er-Jahre ein, in denen Bildungspolitik zu einem zentralen Politikfeld wurde. Die Bildungsansprüche behinderter Menschen hielten Einzug ins gesellschaftliche Bewusstsein. Unter dem Aspekt von Chancengleichheit mussten möglichst viele Barrieren beseitigt werden, die behinderten Menschen das Studieren erschwerten. Ausdruck fand dies zunächst darin, dass die Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse behinderter Studierender im Sinne einer Verpflichtung für die im Hochschulbereich Verantwortlichen 1976 in das Hochschulrahmengesetz (HRG) aufgenommen wurde. In § 2 Abs. 5 des HRG heißt es: »Die Hochschulen (...) berücksichtigen die besonderen Bedürfnisse behinderter Studenten« (Böhmler 1996).

Die 70er-Jahre stehen für den Beginn einer aktiven Politik zur Förderung behinderter Studierender. Dabei übernahm das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBW) eine initiierende Rolle.

2 Statistische Angaben über Studierende mit Behinderung oder chronischer Krankheit

Zunächst war fast ausschließlich von Körperbehinderten, häufig auch nur von Schwerkörperbehinderten oder Rollstuhlfahrern, die Rede. Die ersten konkreten Maßnahmen das BMBW bezogen sich auf behinderungsgerechtes Bauen im Hochschulbereich und auf Studentenwohnraumförderung.

Gegenwärtig wird der Kreis der Personen, deren besondere Bedürfnisse im Studium berücksichtigt werden müssen, wesentlich weiter gefasst. Angaben über Häufigkeit und Arten von gesundheitlichen Beeinträchtigungen finden sich in den regelmäßig durchgeführten Erhebungen des Deutschen Studentenwerks (DSW). Dabei zeigte es sich, dass der Personenkreis wesentlich größer ist, als frühere Schätzungen und Untersuchungen vermuten ließen (BA 1997, 378-380).

Die 15. Sozialerhebung des DSW (1998) weist - bezogen auf die gesamte Studentenschaft an deutschen Hochschulen - einen Anteil Studierender mit Behinderungen von 2% und Studierender mit chronischen Krankheiten von 11% aus; bei 1% liegt eine Lese-Rechtschreibschwäche vor. Die Häufigkeitsrangreihe der Beeinträchtigungen führen Allergien und Atemwegserkrankungen mit 46% an. Den zweiten Rang nehmen Schädigungen des Stütz- und Bewegungsapparates (20%) ein, gefolgt von Sehschädigungen und Hauterkrankungen mit je 13% sowie von Erkrankungen der inneren Organe bzw. Stoffwechselstörungen (11%). Unter 10% liegen psychische Erkrankungen, Hörschädigungen, Schädigungen des Hals- und Nasenbereichs und des zentralen Nervensystems.

Knapp die Hälfte (48% oder ca. 114 000) der Studierenden, die Behinderungen oder chronische Krankheiten haben, fühlen sich dadurch im Studium nicht beeinträchtigt; bei einem Viertel (ca. 60 000) wirkten sich Behinderung oder Krankheit mittelgradig oder stark studienbeeinträchtigend aus (BMBF 1998).

3. Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von Studierenden mit Behinderung oder chronischer Krankheit

Die Befragungsergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass vielfältige Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von Studierenden mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten dringend erforderlich sind.

Die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK 1982) »Verbesserung der Ausbildung für Behinderte im Hochschulbereich« und die Stellungnahme der Westdeutschen Rektorenkonferenz (WRK 1986) »Hochschule und Behinderte - Zur Verbesserung der Situation an der Hochschule« geben konkrete Hinweise, die bis heute nichts an Aktualität eingebüßt haben. Gefordert werden darin:

  • berufsvorbereitenden Beratung,

  • Nachteilsausgleich hinsichtlich der Studien- und Prüfungsbedingungen,

  • Maßnahmen baulicher und technischer Art, die das Studium behinderter Studierender erleichtern,

  • Maßnahmen der sozialen Integration,

  • Angebote des Behindertensports,

  • Benennung von Behindertenbeauftragten an allen Hochschulen,

  • Beteiligung von Behinderten bei Planung und Ausführung behindertengerechter Maßnahmen,

  • Verbesserung der Information, hier ganz konkret die Einrichtung einer zentralen Beratungsstelle für das Studium Behinderter.

Drei wichtige Eckpfeiler dieses Programms sollten kurz genannt werden: Bewährt hat sich die zentrale »Beratungsstelle für behinderte Studienbewerber und Studenten« des Deutschen Studentenwerks (DSW) in Bonn. Erwähnenswert ist ihre in 5. Auflage vorliegende Informationsbroschüre, die weite Verbreitung gefunden hat (DSW 1998). Zweitens wurde die Forderung nach Behindertenbeauftragten an Hochschulen aufgegriffen; inzwischen gibt es Behindertenbeauftragte an fast allen deutschen Hochschulen und Studentenwerken. Last, but not least unterstützen und motivieren die betroffenen Studierenden selbst die Arbeit an den Hochschulen. Das DSW wies im August 1999 insgesamt 48 Interessengemeinschaften behinderter und nichtbehinderter Studierender nach.

4 Der Übergangsprozess

Der Übergangsprozess von der Schule in die Hochschule wird in der Regel in drei Phasen dargestellt: je eine Phase der Studienorientierung, der Entscheidung und der Realisierung. Der Übergang von einer dieser Phasen in die andere vollzieht sich nicht trennscharf; es kommt vor, dass auf die vorangegangene Phase zurückgegriffen werden muss oder dass die folgende bereits vorauswirkt.

4.1 Orientierungsphase

Studienorientierung ist in der Regel Teil einer allgemeinen Berufsorientierung und Berufsbildung. Eine solche breitere Orientierung lässt die Schülerinnen und Schüler Berufswahlkompetenz entwickeln, indem sie Ausbildungsalternativen zum Hochschulstudium kennen lernen und ihre Kenntnisse von der Berufswelt erweitern.

Berufsorientierung ist ein langwieriger und komplexer Prozess, der bereits in der frühen Kindheit beginnt und im Verlauf der Entwicklung wesentlich durch die Förderung individueller Fähigkeiten und Interessen sowie durch Identifikationsmuster und -personen geprägt wird (Elternhaus, Schule, Ingroup, Peergroup usw.). Er ist jedoch ebenso abhängig von dem Angebot an Ausbildungs- bzw. Studienplätzen und den Entwicklungen des Arbeitsmarktes.

Die planmäßige Förderung der Berufsorientierung und Berufsbildung in der Schule beginnt für alle Schüler in der Regel zwei Jahre vor Schulabschluss. Schule und Arbeitsamt (Berufsberatung) arbeiten eng zusammen und übernehmen dabei jeweils originäre Aufgaben, die sich zum Teil überschneiden (BA 1997, 120 ff.).

Dieser Aufriss der Orientierungsphase gilt grundsätzlich für behinderte und nichtbehinderte junge Menschen gleichermaßen. Für behinderte und chronisch kranke Schülerinnen und Schüler sind i. d. R. spezifische Maßnahmen erforderlich. Als Problemzonen, die in unterschiedlicher Weise mit spezifischen Einschränkungen bei der Berufsorientierung und -wahl verbunden sind, werden genannt (BA 1997, 124):

  • erschwerende Bedingungen auf Grund allgemeiner gesellschaftlicher Entwicklungen,

  • erschwerende Bedingungen auf Grund der Besonderheiten der Person des behinderten jungen Menschen, seiner persönlichen Lebensgeschichte und seiner Lebenswelt,

  • erschwerende Bedingungen auf Grund spezieller Probleme des Übergangs und der Eingliederung in die Arbeitswelt.

In dem von der Bundesanstalt für Arbeit (BA) in regelmäßigen Abständen herausgegebenen Handbuch für Schule, Berufsberatung und Ausbildung »Berufliche Rehabilitation junger Menschen« finden sich ausführliche Übersichten über generelle und behinderungsspezifische Medien zur Berufsorientierung und Berufswahl (BA 1997, 126 f.). Für junge Menschen, die dabei sind, eine Hochschulzugangsberechtigung zu erwerben, wird allgemein auf das Taschenbuch »Studien- und Berufswahl« hingewiesen, das einen Überblick über alle Hochschulen und Studienfächer in Deutschland gibt, und speziell auf den Ratgeber der »Beratungsstelle für behinderte Studienbewerber und Studenten« des DSW »Studium und Behinderung - Praktische Tipps und Informationen des DSW für Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen« (DSW 1998).

Die Schulen haben in Hinblick auf die Berufs- bzw. Studienorientierung und Studienvorbereitung Organisationsformen und Verfahrensweisen entwickelt, die sich nicht eindeutig einem Unterrichtsbereich zuordnen lassen. Oft ist es pädagogisch sinnvoll, Verbindungen zwischen den verschiedenen Unterrichtsbereichen herzustellen. Einsichten in die Arbeitswelt werden vor allem durch das Aufzeigen wechselseitiger Zusammenhänge zwischen den Bereichen Technik, Wirtschaft und Hauswirtschaft vermittelt. Ein breites Medienangebot stellen die Berufsinformationszentren (BIZ) der Arbeitsämter den Schulen zur Verfügung.

Eine Aufgabe der sonderpädagogischen Förderung behinderter junger Menschen ist es, Voraussetzungen für ein erfolgreiches berufliches Leben zu schaffen sowie Berufsorientierung und Berufsvorbereitung zu unterstützen. Fächerübergreifendes und projektbezogenes Vorgehen bieten sich dabei an. Leitfunktion hat ein Verbund von Unterrichtsfächern, die in den einzelnen Ländern der Bundesrepublik unterschiedlich benannt werden: Arbeit, Wirtschaft, Technik, Hauswirtschaft, Textiles Werken, Wirtschaftslehre, Arbeitslehre, Sozialkunde, Gemeinschaftskunde.

Die Berufs- bzw. Studienorientierung für behinderte und chronisch kranke Schülerinnen und Schüler ist lernortabhängig. In den Schulen für Behinderte, die zum Abitur führen, gibt es einen speziellen, auf verschiedene Behinderungsarten abgestimmten Unterricht, der auch Programme enthält, die auf ein Studium mit einer Behinderung oder chronischen Krankheit vorbereiten.

Für die Vorbereitung von Berufswahl und -tätigkeit spielen allgemeine behinderungsspezifische berufsbezogene Zielangaben eine wichtige Rolle. Sie gelten unabhängig davon, welche Schulform - Sonderschule oder allgemeine Schule - der einzelne Jugendliche besucht. Solche Ziele werden übereinstimmend in dem Handbuch der Bundesanstalt für Arbeit (BA 1997, 145) und in Empfehlungen der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK 1998, 25) genannt:

  • Wissen um die eigene Behinderung und deren Auswirkung auf Beruf und Leben,

  • realistische Einschätzung der beruflichen Leistungsfähigkeit,

  • Beherrschung behinderungsspezifischer Techniken und Fertigkeiten, die in Hinblick auf das berufliche Tätigkeitsfeld erforderlich sind,

  • Sicherheit im Umgang mit Hilfsmitteln,

  • Kenntnis der beruflichen Eingliederungsmöglichkeiten,

  • Kenntnis gesetzlicher Bestimmungen und Regelungen für Behinderte,

  • Kenntnis über institutionelle und finanzielle Förderung für Behinderte.

Besuchen behinderte oder chronisch kranke junge Menschen gemeinsam mit Nichtbehinderten eine zum Abitur führende Schule, dann ist der Unterricht auf die Mehrheit der Nichtbehinderten ausgerichtet; das Behinderungsspezifische muss i. d. R. individuell erkundet, geplant und vermittelt und gegebenenfalls im Unterricht durch entsprechende Maßnahmen ergänzt werden.

Integrationslehrerinnen und -lehrer aus Behindertenschulen und überregionalen Förderzentren für Behinderte, die Berufsberatung für Behinderte, gegebenenfalls auch Fachkräfte aus den Berufsbildungs- und Berufsförderungszentren übernehmen die Aufgabe, den Übergang von der Schule ins Studium bzw. ins Arbeitsleben zu begleiten. Hilfestellung für Studieninteressierte können auch auf Studienberatung spezialisierte Selbsthilfevereine, z. B. für Sehgeschädigte oder Hörgeschädigte, leisten.

4.2 Entscheidungsphase

Ist der behinderte oder chronisch kranke junge Mensch in der Orientierungsphase zur Wahl einer Berufsausbildung befähigt worden und entschließt sich, ein Hochschulstudium aufzunehmen, fallen viele einzelne Erkundungen und Entscheidungen an, die Voraussetzung für eine gelungene Realisierung seiner Pläne sind.

Die Überprüfung, ob eine Hochschulzugangsberechtigung vorliegt bzw. bis zum Bewerbungszeitpunkt erworben sein wird, geschieht i. d. R. bereits in der Orientierungsphase. Danach müssen Entscheidungen über das Studienfach und den Studienort getroffen werden. Es ist ratsam, spätestens ein Jahr vor Beginn einen Zeitplan zur Vorbereitung des Studiums zu erstellen.

Entscheidung für das Studienfach und den Hochschultyp: Bei der Wahl des Studienfachs und des Hochschultyps wird behinderten oder chronisch kranken Studieninteressierten empfohlen (DSW 1998, 21 ff.), sich zunächst an persönlichen Neigungen, Interessen und Fähigkeiten zu orientieren, sich dabei jedoch auch mit den beruflichen Möglichkeiten auseinander zu setzen, die ein Hochschulstudium oder eine andere Berufsausbildung eröffnen kann. Es wird sich keine absolut sichere Lösung finden lassen; es kann aber unter Berücksichtigung der verschiedenen Vor- und Nachteile eines Studien- bzw. Berufsbildungsgangs die im Einzelfall günstigste Möglichkeit herausgefunden werden.

Vor der Entscheidung für das Studienfach und den Hochschultyp kann Hilfe bei der Berufsberatung für Abiturientinnen und Abiturienten und Hochschülerinnen und Hochschüler des Arbeitsamtes gesucht werden; auf Wunsch kann auch die Berufsberatung für behinderte und chronisch kranke Abiturientinnen und Abiturienten und Hochschülerinnen und Hochschüler hinzugezogen werden. Hilfe und Unterstützung geben außerdem die Studienberatungsstellen der Hochschulen. Sie informieren über Studienablauf, Anforderungen und allgemeine Studiensituation am Hochschulort sowie eventuelle weitere Ansprechpartnerinnen und -partner, die sich mit der spezifischen Beratung von Studierenden mit Behinderungen befassen.

Kenntnisse über Studienaufbau, praktische Anforderungen, Art des angestrebten Hochschulabschlusses und die damit verbundenen Berufsbilder sind wichtig für die Studienfachentscheidung, aber auch für die Entscheidung über den Hochschultyp, z.B. Universität, Fachhochschule, Fernuniversität. Nicht jeder Hochschultyp bietet alle Studiengänge an; es gibt inhaltliche Unterschiede bei den Angeboten in den Fächern; Fachhochschulen und Universitäten haben in gleichen Studiengängen unterschiedliche Schwerpunktsetzungen.

Zur Wahl des Studienortes: In der genannten Broschüre des DSW (1998, 22 f.) werden einige Gesichtspunkte genannt, die für die Entscheidung wichtig sein können:

  • Fächerangebot der Hochschule,

  • bauliche Gegebenheiten,

  • Studierendenwohnheime,

  • sonstige Wohnmöglichkeiten,

  • Beauftragte/r für Behindertenfragen an der Hochschule,

  • Entfernung und mögliche Hindernisse zwischen Wohnung und Hochschule,

  • öffentliche Verkehrsmittel,

  • ambulante Dienste,

  • Mensa (Zugang, spezielle Kost),

  • gesundheitliche Betreuung,

  • studienbegleitende Hilfen (Vorleserinnen und -leser, Tutorinnen und Tutoren, Gebärdensprachdolmetscherinnen und -dolmetscher),

  • technische Hilfen/Lernhilfen und Prüfungsmodalitäten,

  • Interessengemeinschaften behinderter und nichtbehinderter Studierender.

Wichtig für die Entscheidung über den Studienort sind auch besondere Schwerpunktsetzungen der einzelnen Hochschulen; Informationen darüber sind am ehesten vor Ort zu erhalten. Zur Verfügung stehen die Beauftragten für Behindertenfragen an den Hochschulen, die Assistenten sowie Interessengemeinschaften und Verbände behinderter Menschen. Die Studentenwerke beraten in sozialen und wirtschaftlichen Fragen, die mit dem Studium zusammenhängen. An einigen Hochschulen sind darüber hinaus spezielle Beratungsstellen für Studieninteressierte und Studierende mit Behinderungen durch die Studentenwerke oder die Hochschulen eingerichtet worden.

Der Ratschlag, in dem die Informationen zur Studienentscheidung zusammengefasst werden, heißt: hinfahren, ansehen - selbst beurteilen. Gründlicher Kontakt zu den örtlichen Wohnungs- und Sozialberatungen und Kenntnis über die Verhältnisse am Studienort helfen, unangenehme Überraschungen zu vermeiden. Ein Besuch vor Ort sollte nicht ohne Vorbereitung und nicht ohne eine Checkliste aller offenen Fragen erfolgen.

Zeitplan zur Vorbereitung des Studiums: Die Klärung der Bedingungen am Hochschulort ist i. d. R. ein Bestandteil des oben bereits erwähnten Zeitplans zur Vorbereitung des Studiums (DSW 1998, 19 f.). Dabei kann es sich um bauliche Voraussetzungen an der Hochschule handeln, um Gespräche mit der oder dem Behindertenbeauftragten der Hochschule, um Klärung von Wohnungsfragen und Kontakte zu eventuell bestehenden örtlichen studentischen Interessengemeinschaften und zu Studentenverbänden.

In den individuell erstellten Zeitplan gehört u. a. auch die Klärung von speziellen Fragen der Zulassung, wie z. B.: Unterliegt das gewählte Studienfach einem Auswahlverfahren der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen? Bestehen hochschulinterne Zulassungsbeschränkungen? Muss ein Härtefallantrag gestellt, ein Schwerbehindertenausweis beantragt werden?

Weitere wichtige Punkte des Zeitplans können sein: alle Schritte zur finanziellen Sicherheit des Studiums einleiten, das Wohnen regeln und eventuell die Fragen der Organisation der Pflege bzw. der Assistenz und der Mobilität klären.

4.3 Realisierungsphase

Der Zeitplan zur Vorbereitung des Studiums enthält viele Elemente, die in die Realisierungsphase hineinreichen. Zu den Regelungen, die frühzeitig vor Beginn des Studiums angegangen und die auch während des Studiums weiter verfolgt werden müssen, gehören u. a. die Studienfinanzierung durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) und die Finanzierung des behinderungsbedingten Zusatzbedarfs durch Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Gesichert sein müssen auch die Kranken- und Pflegeversicherung und gegebenenfalls die Studienunterstützung, die Hilfe durch ambulante Dienste, Pflege und Assistenz sowie die Mobilität im öffentlichen Verkehr oder die Bereitstellung von Fahrdiensten. Dazu geben die oben bereits genannten Stellen und Literaturhinweise nähere Auskünfte. Der Schwerpunkt der Realisierungsphase wird im Folgenden auf den Studienalltag und seine Vorbereitung gelegt.

Der Besuch von allgemeinen Veranstaltungen zur Orientierung von Studieninteressierten und Erstsemestern sollte eingeplant werden. Dazu gehören Universitätstage mit Möglichkeiten zum Schnupperstudium, Orientierungswochen in den Fachbereichen oder diverse Einführungsseminare. Auf spezielle Hinweise für behinderte und chronisch kranke Studierende ist dabei zu achten. Es ist ratsam, die Bereitstellung dringend erforderlicher Hilfen rechtzeitig vor Beginn dieser Veranstaltungen - wie grundsätzlich auch aller folgenden - zu regeln. Beispiele sind: die Erkundigung eines Studenten im Rollstuhl, ob der für die betreffende Veranstaltung vorgesehene Raum rollstuhlzugänglich ist, oder die Bemühung einer gehörlosen Studentin um eine Gebärdensprachdolmetscherin.

Grundsätzlich wird bei solchen Regelungen selbständiges Handeln des behinderten Studierenden erwartet und begrüßt; bei besonderen Schwierigkeiten wird Hilfe zur Verfügung gestellt. Solche Regelungen können sich sowohl auf den einzelnen Fall beziehen als auch auf Grundsatzentscheidungen beruhen; z. B. räumen Bibliotheken in verschiedenen Hochschulen Studierenden mit Behinderungen Ausleihbedingungen ein, die denen der Dozentinnen und Dozenten entsprechen (verlängerte Leihfrist usw.). Anerkannte Gründe hierfür sind nachweisbar zeitaufwendige Literaturbeschaffung, erschwerter Zugang zu den Arbeitsmöglichkeiten der Bibliothek und erschwerter Umgang mit Literatur. Weitere Beispiele betreffen spezielle Parkgenehmigungen, die unter bestimmten Voraussetzungen bei der Hochschule beantragt werden können, Ruheräume oder Spezialausstattungen der Raumbestuhlung sowie behinderungsgerecht ausgestattete Computerarbeitsplätze für Behinderte.

Auf jeden Fall sollte ein besonderer Bedarf von Studierenden mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen artikuliert werden. So sind die Studentenwerke vielfach bereit, individuelle Hinweise - etwa für Diabetikerinnen und Diabetiker - zu liefern, z. B. Angaben zur Zusammensetzung der Mahlzeiten in den wöchentlichen Speiseplänen. Das Personal versucht weiterhin, individuell einen Ausgleich für die eventuell erschwerte Nutzung auf Grund einer Behinderung zu schaffen. Servierwagen und Tische mit Bedienung sind noch die Ausnahme. Rauchfreie Mensabereiche oder speziell ausgewiesenen Zonen in Cafeterien sind zum großen Teil vorhanden (DSW 1998, 58).

Die individuelle Ausstattung mit notwendigen technischen Hilfsmitteln für behinderte Studierende kann durch die Krankenkassen oder Sozialhilfeträger finanziert werden. Auch die Hochschulen stellen technische Hilfen zur Verfügung. Das betrifft bei hörgeschädigten Studierenden z. B. technische Geräte in Räumen, die als Unterstützung und Verstärkung der meist notwendigen und individuell abgestimmten Hörgeräte dienen. Weitere Beispiele und Adressen befinden sich in »Studium und Behinderung« des DSW (1998).

Wichtig für den Studienalltag ist der Umgang mit Nachteilsausgleichen für behinderte und chronisch kranke Studierende im Studium und bei Prüfungen. Studierende, die auf Grund behinderungsbedingter Nachteile im Studium und bei Prüfungen einen Nachteilsausgleich benötigen, sollten sich rechtzeitig mit den zuständigen Lehrenden bzw. Prüferinnen oder Prüfer in Verbindung setzen. Eine möglichst frühzeitige Beratung mit der oder dem Behindertenbeauftragten der Hochschule über Art und Umfang der notwendigen Änderungen ist ratsam.

Modifikationen von Studien- und Prüfungsordnungen, die beantragt werden müssen, können beispielsweise sein (DSW 1998, 76):

  • schriftliche Ergänzungen mündlicher Prüfungen mit Hör- oder Sprachbehinderten,

  • Zeitverlängerungen für Hausarbeiten, Klausuren usw.,

  • Nutzung von technischen Hilfsmitteln,

  • Berücksichtigung von Krankheitszeiten und eingeschränkter Arbeitsfähigkeit bei der Bemessung von Prüfungszeiträumen und Studienleistungen, z.B. Prüfungsverlängerung bei Diplomarbeiten, Klausuren, Hausarbeiten usw.,

  • Nichtberücksichtigung von krankheitsbedingten bzw. behinderungsbedingten Prüfungsrücktritten bei der Anzahl möglicher Prüfungswiederholungen,

  • Abänderung von Praktikumsbestimmungen, unter Umständen auch Verzicht auf ein Praktikum.

5 Ausblick

In dem vorgegebenen Rahmen konnte nur ein kleiner Teil der Fragen und Probleme des Bereichs »Übergang von der Schule in die Hochschule« angeschnitten werden. Es wurde versucht, einen Überblick zu geben, der möglichst viele Hinweise für eine eigene Informationssuche enthält. Es hat sich seit den ersten offiziellen Bemühungen in den 70er-Jahren vieles verbessert. Dennoch zeigt sich häufig bei Betroffenen und deren Helferinnen und Helfern Ungeduld über den schleppenden Fortgang der gesamten Entwicklung, über auftretende Defizite bei gesetzlichen Regelungen oder über Desinteresse von Verhandlungspartnerinnen und -partnern. Deutlich wird immer wieder, dass ein permanentes gesellschaftliches Engagement für die Gruppe der behinderten und chronisch kranken Studierenden dringend erforderlich ist.

Literatur

APPELHANS, P./BRABAND, H./DüE , W./RATH, W.: Übergang von der Schule ins Arbeitsleben - Bericht über ein Projekt mit sehgeschädigten jungen Menschen. Hamburg 1992

BA (BUNDESANSTALT FüR ARBEIT)(Hrsg.): Studien- und Berufswahl - Studiengänge an Hochschulen und berufliche Bildungswege für Abiturienten und Fachoberschulabsolventen. Nürnberg 1999/2000 (erscheint jährlich)

BA (BUNDESANSTALT FüR ARBEIT) (Hrsg.): Berufliche Rehabilitation junger Menschen. Handbuch für Schule, Berufsberatung und Ausbildung. Nürnberg 1997

BMBF (BUNDESMINISTERIUM FüR BILDUNG UND FORSCHUNG) (Hrsg.): Das soziale Bild der Studentenschaft in der Bundesrepublik Deutschland. 15. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks. Bonn 1998

BöHMLER, D.: Studium und Behinderungen - Maßnahmen des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie zur Förderung behinderter und chronisch kranker Studierender. Hrsg. vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Bonn 1996

DSW (DEUTSCHES STUDENTENWERK) (Hrsg.): Studium und Behinderung - Praktische Tips und Informationen des DSW für Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen. Bonn, 5. Aufl. 1998

KMK (STäNDIGE KONFERENZ DER KULTUSMINISTER DER LäNDER IN DER BUNDESREPUBLIKDEUTSCHLAND) (Hrsg.): Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur Verbesserung der Ausbildung für Behinderte im Hochschulbereich. Bonn 1982

KMK (STäNDIGE KONFERENZ DER KULTUSMINISTER DER LäNDER IN DER BUNDESREPUBLIKDEUTSCHLAND) (Hrsg.): Empfehlungen zum Förderschwerpunkt Sehen. Bonn 1998

WRK (WESTDEUTSCHE REKTORENKONFERENZ) (Hrsg.): Stellungnahme der 150 Plenarsitzung: Hochschule und Behinderte - Zur Verbesserung der Situation von behinderten Studieninteressierten und Studenten an der Hochschule. Bonn 1986

Autorin

Prof. Dr. Waldtraut Rath,

Universität Hamburg, Sedanstraße 19, 20149 Hamburg

Quelle:

Waldtraut Rath: Übergang von der Schule in die Hochschule - Chancen und Hindernisse für behinderte und chronisch kranke junge Menschen

Erschienen in: Gemeinsam leben - Zeitschrift für integrative Erziehung Nr. 2-00

Hermann Luchterhand Verlag, Neuwied 2000

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 06.04.2005

zum Textanfang | zum Seitenanfang | zur Navigation