Schulende - Ende der Integration?

Themenbereiche: Rezension
Textsorte: Rezension
Copyright: © Jutta Schöler, Antje Ginnold 2000

Buchinformationen:

AutorIn/Hrsg.: Jutta Schöler (Hrsg.), Antje Ginnold

Titel:Schulende - Ende der Integration?

Integrative Wege von der Schule in das Arbeitsleben

Infos: Neuwied ; Berlin : Luchterhand 2000, (Buchreihe Gemeinsames Leben und Lernen : Integration von Menschen mit Behinderungen), ISBN 3-472-03914-0

Themenbereich: Behinderung, Integration, Arbeitswelt

Kurzbeschreibung:

Buchbesprechung von Reinhard Burtscher

Die Autorin befasst sich in dieser Untersuchung mit zwei grossen Themen nach der Pflichtschulzeit: mit dem Übergang von der Schule in die Berufsvorbereitung und Berufsausbildung, sowie mit dem Übergang in das Arbeitsleben. Sie gibt in dieser Form einen bisher einmaligen Überblick über mögliche Wege in die arbeitende Gesellschaft. Der Blick der Autorin konzentriert sich dabei auf das Land Berlin. Viele der vorgestellten Projektbeschreibungen und Schulversuche lassen sich in ähnlicher Form übertragen in andere Länder. Das Buch wendet sich in erster Linie an professionelle Personen, die mit der Beratung und Begleitung von Jugendlichen beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt zu tun haben. Es empfiehlt sich auch für Eltern, die Informationen und neue Ideen suchen, um die berufliche Integration ihres Kindes zu unterstützen.

Zum Aufbau und Inhalt. Der erste Teil beschäftigt sich mit Allgemeinen Überlegungen zum Thema Arbeit bzw. dem Thema Übergang. GINNOLD skizziert die Bedeutung von Arbeit und gibt einen Einblick in die Komplexität der Übergangsproblematik. Leitfragen und eine Eingrenzung der Thematik folgen. Im Mittelpunkt stehen Projekte und Angebote in der Phase der Berufsorientierung und in der Berufsvorbereitung der Sekundarstufe I. Der Bereich der Berufsausbildung wird lediglich gestreift. Die allgemein gehaltene Fragestellung für das gesamte Buch lautet: "Stellt der Übergang von der Schule in das Arbeitsleben für Jugendliche mit Behinderungen eher eine Brücke oder eher einen Graben dar?" Eine meines Erachtens spannende Auseinandersetzung ist die Bewertung der Angebote im Hinblick auf ein integrations- bzw. rehabilitationspädagogisches Konzept. Die Voraussetzung dafür bildet ein umfangreicher Beitrag zum begrifflichen und pädagogischen Verständnis der Autorin. Zusammenfassend wird Integration verstanden als "... Veränderung des Ganzen durch die Zusammenführung der Verschiedenen" (HINZ 1993). Aus eigenem Quellenstudium sowie der Zusammenstellung von MARKOWETZ (1997) skizziert GINNOLD nicht weniger als 14 Prinzipien der Integrationspädagogik.

Am Beginn des zweiten Teils: Der Übergang von der Schule in die Berufsvorbereitung und Berufsausbildung werden drei Modelle der individuellen Unterstützung ausführlich vorgestellt und kommentiert. Zum einen ist das die "Nachgehende Betreuung bzw. Alltagsbegleitung in Baden-Württemberg", zum anderen sind das zwei Berliner Varianten "Lehrer/innen als Begleiter/innen und Übergangshelfer/innen (LBÜ)" und die "Nachgehende Begleitung" des Vereins Independent Living e.V. Die folgenden zwei Unterkapitel zeigen die hohe Ausdifferenzierungen und machen noch einmal das fast unüberschaubare Angebot der "Wege in das Arbeitsleben" bewusst. Ähnlich einem fachspezifischen Lexikon werden in einer Kurzbeschreibung 38 Möglichkeiten zusammengestellt, zwei exemplarische Modelle aus Hamburg ergänzen diese Einheit. Den Abschluss des Kapitels bildet eine Zusammenstellung wichtiger Internetadressen für den deutschsprachigen Raum, die weiterführende Informationen bieten.

Der zweite grosse Schritt - Der Übergang in das Arbeitsleben wird anhand des Modells der Unterstützten Beschäftigung (Supported Employment) aufgezeigt, andere Beispiele werden nicht berücksichtigt. Dabei stützt sich die Autorin vor allem auf Literatur rund um die Hamburger Arbeitsassistenz, sowie den Ergebnissen der EU-Arbeitsgruppe HORIZON (1995). DOOSE (1997a) zitierend ist Unterstützte Beschäftigung "... eine veränderte Sichtweise, die zu einer veränderten Praxis führt. Gemeinsames Leben und Arbeiten von Menschen mit und ohne Behinderungen als Ziel, die Fähigkeiten und Wünsche eines Menschen als Ausgangspunkt, echte Wahlmöglichkeiten, Selbstbestimmung und Kontrolle des Menschen mit Behinderung als Wegweiser und ambulante, individuelle, flexible Unterstützung als Methode sind die Eckpfeiler von Unterstützter Beschäftigung." Drei Projekte aus Berlin, die das Konzept der Unterstützten Beschäftigung aufgreifen, folgen den Ausführungen. Der Abschluss dieses Kapitel bildet ein Erfahrungsbericht der Autorin als Arbeitsassistentin.

Im letzten Kapitel Schulende - Ende der Integration? kommt die Autorin zum Ergebniss, dass in Berlin der "... Übergang von der Schule in das Arbeitsleben für Jugendliche mit Behinderung eher einen Graben [darstellt], über den es nur einige wenige Brücken gibt, die man zudem kennen muss." Die entscheidenden Gründe für die Bewertung der Gesamtsituation sind [lt. GINNOLD], dass

  • Jugendlichen und ihren Eltern sowie oft auch den professionell in diesem Bereich Tätigen der Überblick über die vorhandenen - wenn auch zumeist rehabilitationspädagogisch orientierten - Projekte und Angebote fehlt,

  • es keine Netzwerke gibt, die die vorhandenen Informationen und Ressourcen bündeln und eine Kooperation zwischen den Projekten und Angeboten, staatlichen Behörden sowie der Wirtschaft koordinieren,

  • es nur eine sehr begrenzte Anzahl von Projekten und Angeboten mit integrationspädagogischem Konzept gibt.

Die Autorin lässt keinen Zweifel offen, dass es bereits eindrucksvolle Beispiele der Integration im Arbeitsleben gibt. Letztendlich geht es ihr aber um mehr: "Um die konsequente Nichtaussonderung von Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Erwachsenen mit Behinderungen, d. h. um einen Prozess des gemeinsamen Lebens, Lernens und Arbeitens - und zwar von Anfang an und in allen Lebensbereichen!"

Quelle:

Rezensiert von Reinhard Burtscher

bidok-Rezensionshinweise

Stand: 09.03.2006

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