Berufliche Integration

Übergang Schule - Beruf am Beispiel des Vereins TAFIE Außerfern

Autor:in - Margit Dablander
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Diplomarbeit
Releaseinfo: Diplomarbeit am Bildungszentrum für Sozialberufe der Caritas Lehranstalt für Heilpädagogische Berufe. Eingereicht bei Mag.a Maria-Luise Greiter (Erstbegutachterin), Mag.a Edith Ihrenberger (Zweitbegutachterin), Innsbruck am 06.März 2006.
Copyright: © Margit Dablander 2006

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

Die Diplomarbeit von Margit Dablander ist ein überzeugendes Plädoyer für die berufliche Integration ALLER Menschen - unabhängig von Art und Ausmaß ihrer Behinderung, sodass man sich frägt, warum dieses seit Jahren erfolgreich umgesetzte Umdenken des TAFIE (Tiroler Arbeitskreis für Integrative Entwicklung) Außerfern nicht politische Schule macht. Der Autorin veranschaulicht ausgehend von ihrer eigenen Praxiserfahrung und der ihres Teams sehr gut, dass dieser Ansatz nicht nur eine sehr vertrauensvolle Assistenzbeziehung und pädagogische Begleitung benötigt, sondern auch die konkrete Vernetzung und das Zusammenwirken von Betrieben/ Unternehmen, wissenschaftlicher Begleitung, dem gesamten Assistenzteam und den Familienangehörigen. Erst dann können die im Prozess der Integration auftauchenden Ängste aller Beteiligten konstruktiv bewältigt werden. Dass Menschen mit Behinderung die Arbeit zum Leben brauchen so wie alle anderen auch, ist die Grundaussage dieser Diplomarbeit, welche von der Autorin sowohl theoretisch wie praktisch sehr gut begründet wird. (Mag. Edith Ihrenberger, Direktorin Bildungszentrum für Sozialberufe Innsbruck)

1 EINLEITUNG

1.1 Themenbezug

Meine um 2 Jahre ältere Schwester Anita hat eine sogenannte "geistige Behinderung". Sie besuchte 11 Jahre die Sonderschule in Reutte. In der Folge war sie einige Jahre zu Hause. 1987 wurde in Reutte die Lebenshilfe Werkstätte eröffnet, in die meine Schwester aufgenommen wurde. Dort war sie 13 Jahre lang. Davon hatte sie ca. 8 Jahre in der Werkstätte und 5 Jahre als Küchenhilfe gearbeitet.

Im Laufe der Zeit wurde Anita immer unzufriedener, weil sie für ihre Tätigkeit nur ATS 500,- in Form von Taschengeld erhielt. So entschloss sie sich, mit Unterstützung des TAFIE Außerfern, eine Anstellung am 1. Arbeitsmarkt zu suchen, welche sie innerhalb kürzester Zeit fand. Sie arbeitet seit Jänner 1998 als Reinigungskraft im Krankenhaus Reutte.

Besonders schwierig für die gesamte Familie war, dass sich während der Jahre in der Lebenshilfe bei meiner Schwester die Aussprache sehr verschlechtert hatte. Auch ihr Wortschatz hat sich massiv verringert. Grund dafür war, dass sie einerseits keine Sprach-förderung erhielt und andererseits die verbalen Ausdrucksmöglichkeiten ihrer Kolleginnen und Kollegen deutlich geringer waren.

Seit Anita am 1. Arbeitsmarkt integriert ist, hat sich ihre Sprache deutlich verbessert.

Weiters absolvierten drei meiner vier Kinder ihre Schulpflicht bis zur achten Klasse in integrativen Schulklassen. Als 1985 in Weißenbach am Lech, der 2. Schulversuch im Volksschulbereich innerhalb Österreichs (nach Oberwart im Burgenland), gestartet wurde, besuchte mein Sohn (keine Behinderung) gemeinsam mit drei Kindern mit "Behinderungen", die erste Klasse.

Meine Erfahrungen mit schulischer Integration waren meist positiv, trotzdem bin ich der Meinung, dass es Aufgabe des politischen Systems ist, gesetzliche wie finanzielle Rahmenbedingungen zu schaffen, dass die Qualität der Integrationsklassen verbessert werden kann. So müsste in der Lehrerinnen-, Lehrerausbildung integrationspädagogisches Wissen vermittelt und Fortbildungsmöglichkeiten geschaffen werden. Damit wäre sichergestellt, dass sich lehrende Personen das entsprechende Wissen erarbeiten und befähigt sind, auch Schülerinnen und Schüler mit schweren "Mehrfachbehinderungen" unterrichten zu können. Die Klassen in denen Kinder mit schwersten "Mehrfachbehinderungen" integriert sind, sollten wissenschaftlich begleitet werden.

Erst so kann sichergestellt werden, dass es innerhalb der Integrationsklassen nicht zu Segregation kommt und ALLE Kinder einen hochwertigen Unterricht erhalten.

Seit der 1. Integrationsklasse im Außerfern wurden schon viele Jugendliche mit Sonder-pädagogischem Förderbedarf in den Ersten Arbeitsmarkt integriert. Die Erfahrungen waren und sind durchwegs positiv. Mir ist keine einzige Situation bekannt, dass eine jugendliche oder erwachsene Person mit "Behinderung", die bereits auf dem ersten Arbeitsmarkt gearbeitet hatte, in eine geschützte Werkstätte oder geschützte Beschäftigung gewechselt wäre.

Integration: Vorteile für die Gesellschaft

Die Integration von Jugendlichen mit "Behinderungen" auf den ersten Arbeitsmarkt ist die logische Folge der schulischen Integration und sozial-, wie gesellschaftspolitisch von größter Bedeutung.

Integration kann nicht nach der Schulpflicht aufhören! Sie muss in allen Bereichen des Lebens (Beruf, Bildung, Gesellschaft, Freizeit) ihre Fortsetzung haben. Dies ist gesell-schaftspolitisch von Bedeutung, weil so Voraussetzungen geschaffen werden, dass Menschen mit schwersten "Mehrfachbehinderungen" in allen relevanten Bereichen des Lebens teilhaben können.

Die heutige Zeit ist geprägt von "Schönheits-, Gesundheits- und Leistungsidealen" denen kaum ein Mensch entsprechen kann. Auch aus diesen Gründen ist es von größter Bedeutung, dass der Mensch von der Gesellschaft in seinem "Sosein" wahrgenommen und wertgeschätzt wird.

Besonders von Menschen mit "Behinderungen" wird erwartet, dass sie dieses weit verbreitete gesellschaftliche Denken und die täglich spürbare Diskriminierung aushalten. Dies beginnt schon bei den Bauten. So werden zum Beispiel öffentliche Verwaltungsgebäude, Wohnungen, öffentlicher Verkehr, Lokale, usw. selten behindertengerecht (barrierefrei) gestaltet.

Menschen mit "Behinderungen" haben auch in den persönlichen Bereichen mit Diskriminierungen zu kämpfen. Wie schnell wird eine Sachwalterin bzw. ein Sachwalter eingesetzt? Welche beruflichen Aufstiegschancen hat ein Mensch mit "Behinderung"? Welche Möglichkeiten haben Menschen mit "Behinderungen" ihre Sexualität zu leben? Das beginnt bei der Suche einer Partnerin oder eines Partners und geht weiter bis zur Sexualassistenz. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.

Menschen mit "Behinderungen" müssen sehr viel Energie aufwenden, um von ihrem Umfeld einfach als "Mensch" und nicht als Behinderte bzw. Behinderter wahrgenommen zu werden.

"Im Bezirk Reutte stehen die Chancen gut, Integration um einen großen Schritt voranzu-bringen. Das Ziel heißt Inklusion. Inklusion ist ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess, bei dem alle Menschen im vollen Umfang gleichwertig, gleichberechtigt und partnerschaftlich an allen gesellschaftlichen Lebensbereichen teilnehmen." (RESPEKT, Ausgabe 1/2005, 2)

Andreas Hinz erklärt Inklusion wie folgt: "Unter einer inklusiven Gesellschaft verstehen wir nicht die Einbeziehung einer Gruppe von Menschen mit Schädigungen in eine Gruppe Nichtgeschädigter, sondern vielmehr liegt die Zielsetzung in einem Miteinander unterschiedlichster Mehr- und Minderheiten, darunter auch die Minderheit der Menschen mit "Behinderungen". (vgl. Hinz 1998)

Und betrachtet man die demographische Entwicklung, dann können wir sicher sein, dass die gesamte Gesellschaft von einem Paradigmenwechsel profitieren würde. Denn der Mensch in seinem Menschsein ist wertvoll und würde nicht ausschließlich nach seiner Leistungsfähigkeit, bzw. als Kostenfaktor beurteilt werden.

1.2 Erläuterungen zum Aufbau der Diplomarbeit

Die Diplomarbeit ist in einen theoretischen und einen praktischen Teil gegliedert. Im theoretischen Teil gehe ich auf die Definition von Arbeit im Allgemeinen und im Besonderen auf die Bedeutung von Arbeit für Menschen mit "Behinderungen" ein.

Da ich Beispiele anhand meiner beruflichen Tätigkeit beim Verein Tiroler Arbeitskreis für integrative Erziehung - Außerfern vorstellen werde, beschreibe ich in Kurzfassung den Verein und seineAngebote. Die Maßnahmen Clearing, Jobcoaching und Arbeitsassistenz veranschauliche ich anhand der Praxis.

Die Bezeichnung "Behinderungen" setze ich unter Anführungszeichen, weil die Definition "Behinderung" ein Konstrukt der Gesellschaft ist und sehr wenig über die Person aussagt. "Behinderung" ist nicht etwas was man hat. Vielmehr handelt es sich um Hindernisse die durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geschaffen wurden und werden." (vgl. ZIEMEN 2005, 6)

Meine Diplomarbeit verfasse ich aus frauenpolitischen Gründen im Hinblick auf Gender-Mainstreaming.

1.3 Begriffserläuterungen

Folgende Begriffe werden in der vorliegenden Arbeit häufig verwendet und sollen deshalb klar definiert sein.

"Arbeitsmarkt: "Den Gegenpol zu Sondereinrichtungen und geschützter Beschäftigung, die einen von der freien Wirtschaft isolierten "zweiten Arbeitsmarkt" darstellen, bildet der "erste" oder "allgemeine Arbeitsmarkt". Er zeichnet sich dadurch aus, dass er durch freien Wettbewerb bestimmt wird und auf ihm vorwiegend "nichtbehinderte" Menschen tätig sind. Da ein sehr hoher Anteil an Menschen mit "Behinderungen" keine Arbeit hat, stellt die berufliche Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt ein, auch von der EU gefördertes Ziel der österreichischen Bundesregierung dar. Seit 2001 wurden die Förderinstrumente zur beruflichen Integration für Menschen mit "Behinderungen" durch die so genannte Behindertenmilliarde wesentlich ausgeweitet." (FIRLINGER 2003, 37)

"Von einer Behinderung spricht man bei individuellen Beeinträchtigungen eines Menschen, die umfänglich, vergleichsweise schwer und langfristig sind".

"Beispielhaft für eine erweiterte Begriffsdefinition unter Einbeziehung der Umgebung ist die Formulierung Alfred Sanders: "Behinderung liegt vor, wenn ein Mensch mit einer Schädigung oder Leistungsminderung ungenügend in sein vielschichtiges Mensch-Umfeld-System integriert ist." (vgl. WIKIPEDIA, Online im Internet, 25.11.2005)

Begünstigt Behinderte: Um nach dem Behinderteneinstellungsgesetz den Status des begünstigt Behinderten zu erlangen, muss ein Feststellungsverfahren durch das Bundessozialamt durchgeführt werden. Dabei wird der Grad der Behinderung aufgrund ärztlicher Gutachten ermittelt. Der festgestellte Grad der Behinderung sagt jedoch nichts über die Einsetzbarkeit auf einem konkreten Arbeitsplatz aus. Das heißt, dass z.B. ein blinder Mensch, der einen Grad der Behinderung von bis zu 100 Prozent hat, mit entsprechender technischer Unterstützung seine volle Leistung am Arbeitsplatz erbringen kann. [...] Rechtsfolgen der Begünstigung sind z.B. der erhöhte Kündigungsschutz sowie steuerliche Vergünstigungen sowohl für behinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeberin und Arbeitgeber." [...] (vgl. FIRLINGER 2003, 63)

BASBist die Abkürzung für Bundesamt für Soziales und Beschäftigung

Inklusion:Ein Miteinander unterschiedlicher Mehr- und Minderheiten

Integrationbedeutet, die Wiederherstellung einer Einheit, bzw. Menschen die am Rand stehen, in die Mitte zu holen.

MIM - EQUAL PartnerschaftMensch im Mittelpunkt

OASE3 - Ohne Ausgrenzung selbst erleben. Modul der EQUAL Partnerschaft des Vereins TAFIE Außerfern.

SPFist die Abkürzung für "Sonderpädagogischen Förderbedarf". "SPF besteht, wenn ein Kind aufgrund einer körperlichen, psychischen oder Lernbehinderung dem Unterricht der Regelschule nicht folgen kann und besagt, dass dem Kind ein größtmögliches Maß an sozialer und pädagogischer Betreuung und Förderung zuteil werden muss. Fördermaßnahmen können z.B. zusätzliches Lehrpersonal, die Anschaffung spezieller Lehrmittel oder bauliche Veränderungen umfassen. Der "Antrag auf Feststellung des SPF" wird durch den zuständigen Bezirksschulrat anhand medizinischer, psychologischer und pädagogischer Gutachten entschieden." (FIRLINGER 2003, 57)

SPZ - Sonderpädagogisches Zentrum. Beim Bezirksschulrat Reutte werden die Aufgaben des Sonderpädagogischen Zentrums von der Sonderpädagogischen Beratungsstelle wahrgenommen.

TAFIE - Außerfern ist die Abkürzung für "Tiroler Arbeitskreis für integrative Erziehung Außerfern".

2 THEORETISCHER TEIL

2.1 Vorstellung des Vereins Tafie-Außerfern

1984 wurde im Bezirk Reutte der Grundstein für die Integration von Menschen mit "Behinderungen" gelegt. Es wurde eine Elterninitiative gegründet, die zum Ziel hatte, die Situation von Menschen mit "Behinderungen" nachhaltig zu verbessern. Aufgrund der gesellschaftspolitischen Bedeutung forderten die Eltern verstärkte Mitsprache in den behindertenspezifischen und in den öffentlichen Einrichtungen wie Kindergarten und Schule. Der Grundstein für die thematische Auseinandersetzung in Fragen der Schulintegration war somit gelegt. 1985 mit der ersten Integrationsklasse im Bezirk Reutte begonnen.

1989 wurde der eigenständige Verein TAFIE-Außerfern gegründet. Die Arbeit des Vereins stieß auf massiven Widerstand. Die Vereinsgründer ließen sich aber nicht davon abbringen, den Weg der schulischen Integration konsequent weiter zu gehen.

Mit Beginn des Schuljahres 1997/98 wurde die Sonderschule stillgelegt. (vgl. KONZEPT TAFIE-Außerfern, 1999).

Seit Jahren nimmt der Bezirk Reutte im Bezug auf Schulintegration eine Vorreiterrolle ein. Jedes Kind, jeder/jede Jugendliche besucht die jeweilige Regelschule vor Ort.

Aufgrund der Schulintegration für alle Kinder und Jugendliche entstand mehr und mehr die Notwendigkeit, allen Jugendlichen, unabhängig von Art und Schwere der "Behinderung", nachschulische Unterstützungsangebote für ein selbstbestimmtes, normalisiertes Leben zu bieten.

Dies war für den Verein TAFIE-Außerfern Ausgangspunk, im Jahr 2001, gemeinsam mit Integration Tirol, Selbstbestimmt Leben Innsbruck, TAFIE Innsbruck Land und der Caritas Tirol die Entwicklungspartnerschaft MIM im Rahmen der europäischen Gemeinschafts-initiative EQUAL zu beantragen.

Ziel der Partnerschaft war die Entwicklung innovativer Ansätze und Angebote, um berufliche Integration und damit auch ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben allen Menschen mit "Behinderungen" zu ermöglichen. [...]

All dies muss einhergehen mit der Entwicklung von Assistenz für Menschen mit so genannter schwerer "Mehrfachbehinderung", damit wir einer Gesellschaft ohne Aussonderung wirklich näher kommen können. (vgl. MIM 2005, 3)

2.1.1 Vereinsziele

Der Respekt vor der Würde des Menschen alleine aufgrund seines Menschseins ist die Grundlage für die Vision, das Denken und Handeln des Vereines.

Diese in den Menschenrechten als fundamentales Recht verankerte Grundhaltung führt konsequenterweise zur Vision einer inklusiven Gesellschaft und zum Rechtsanspruch jedes Einzelnen, als vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft anerkannt zu werden.

Integration von Menschen mit "Behinderungen" in allen Bereichen des Lebens ist folglich eine gesellschaftspolitische Herausforderung und betrifft somit jeden.

Die Aufgabe, die sich der Verein gestellt hat, ist die Veränderung von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und nicht die "Behandlung", also Veränderung des zu unterstützenden Menschen.

Menschen mit "Behinderungen" müssen in Zukunft selbst richtungsweisend bei der Hilfeplanung sein. Es geht darum Dienste zu entwickeln, die von Menschen die wir unterstützen wollen, wirklich als hilfreich erlebt werden. Durch individuelle, personenbezogene Arbeit werden neue Wege der beruflichen Integration für sogenannte schwer "mehrfachbehinderte" Jugendliche entwickelt. Für eine breitere Zielgruppe wird an der Verbesserung des Übergangs Schule - Beruf gearbeitet. (vgl. KÖCK 2004)

2.2 Angebote des Vereins Tafie - Außerfern

2.2.1 Beratung:

Die Beratungsstelle des TAFIE-Außerfern ist Anlaufstelle für alle die Informationen zu den Themen Integration im Allgemeinen, Kindergarten und Schulintegration, berufliche Eingliederung, Begleitungsangebote, Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, der Fort- und Weiterbildung und Vernetzung der sozialen Infrastruktur wünschen.

In der Beratungsstelle können je nach Wunsch bzw. Situation die notwendigen Unter-stützungen besprochen, geklärt und organisiert werden. (vgl. KÖCK 2004)

2.2.2 Persönliche Assistenz

Persönliche Assistenz ist eine Kombination aus ambulanter Betreuung und psycho-sozialer Unterstützung. Art und Umfang der Unterstützung entwickeln sich aufgrund individueller Bedürfnisse, Möglichkeiten und Fähigkeiten. Der Blick richtet sich auch auf Familien und die erweiterten Systeme im sozialen Umfeld.

Ausgehend von der Situationsanalyse werden konkrete und individuelle Betreuungs-konzepte erstellt und in den einzelnen Betreuungssituationen reflektiert und weiter entwickelt.

Persönliche Assistenz wird in sämtlichen Bereichen des täglichen Lebens angeboten, wie: Arbeit, Wohnen, Freizeit, Existenzsicherung, Vertretung bei Ämtern und Behörden, Körperpflege und Gesundheit und in persönlichen Krisensituationen. (vgl. TAFIE-Außerfern 1999)

2.2.3 Clearing

"Der Übergang von der Schule in das Arbeitsleben stellt für viele Menschen eine schlagartige Veränderung der Lebenssituation dar. Es gilt die Entwicklungsaufgaben im Spannungsfeld zwischen persönlicher Lebensplanung und gesellschaftlicher Anforderung zu bewältigen.

Zielgruppe sind junge Menschen bis 24 Jahre mit körperlicher, geistiger, psychischer Sinnes- und Lernbehinderung, aber auch emotional und sozial gehandikapte Jugendliche, die bei der Eingliederung ins Erwerbsleben mit besonderen Schwierigkeiten rechnen müssen.

Mobile Clearing-Teams werden mit der Aufgabe betraut, im letzten, bzw. vorletzten Schuljahr die individuellen Voraussetzungen, Neigungen und Fähigkeiten des behinderten Jugendlichen festzustellen und Hilfestellungen unter anderem in Form von Informationen, Beratung, Betreuung und Praktikumsbegleitung zu leisten. Gemeinsam mit dem Jugendlichen, seinen/ihren Eltern, Lehrern und Arbeitsmarktexperten wird als Abschluss der Maßnahme ein individueller "Karriereplan" (Integrationsplan) entwickelt und vereinbart.

Die hierfür notwendigen Handlungsfelder, die einen Eintritt ins Berufsleben erleichtern sollen, wurden in enger Zusammenarbeit zwischen Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz und dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur beschrieben". (BUNDESMINISTERIUM FÜR SOZIALE SICHERHEIT, Generationen und Konsumentenschutz 2002, 9)

2.2.4 Jugend - Arbeitsassistenz

Das Recht auf Arbeit ist ein grundlegendes Menschenrecht, von dem auch Menschen mit "Behinderungen" nicht ausgeschlossen werden dürfen.

Arbeit ist eine individuell sinnmachende Tätigkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer sowie für Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, genauso wie für selbständig arbeitende Menschen. Arbeit soll sich im sozialen Raum (bspw. eines Unternehmens) ereignen.

Das Konzept beinhaltet Beratung, Vermittlung, Jobcoaching und Begleitung durch Arbeitsassistenz. Dieser Ansatz ist Grundlage des Angebotes.

Kernstück der Maßnahmen sind Praktika in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes, begleitet von einer Jobcoachin oder einem Jobcoach werden die Praktikanten mit "Behinderungen" am betrieblichen Arbeitsplatz nach den individuellen Erfordernissen unterstützt und qualifiziert.

Die Assistenz kann bereits bei der Jobsuche beginnen oder als Begleitungs- und Unter-stützungsmaßnahme in Anspruch genommen werden. Bei der Arbeitsassistenz besteht keine zeitliche Begrenzung, sie ist bedarfsorientiert einsetzbar.

Als Service für Unternehmen werden diese vom Verein TAFIE über alle anfallenden rechtlichen, finanziellen oder fachlichen Fragen informiert und unterstützt.

Die Arbeitsassistenz sorgt auch für die Vernetzung zwischen Arbeitgeberin oder Arbeitgebern mit allen beteiligten Förderstellen wie AMS, Bundessozialamt oder Land Tirol (vgl. TAFIE 1999, 8)

2.2.5 Berufsausbildungsassistenz

Bei der Berufsausbildungsassistenz steht immer die Jugendliche oder der Jugendliche im Alter zwischen dem 15. -24. Lebensjahr im Mittelpunkt. Die Eltern, die Schule, sowie die Wirtschaft werden intensiv miteinbezogen. Je nach Situation und den Wünschen der Jugendlichen bestehen zwei Möglichkeiten eine Integrative Berufsausbildung zu machen:

Entweder die um ein oder zwei Jahre verlängerte Lehre, in welcher die Ausbildungsinhalte aufgeteilt werden, um eine Überforderung zu verhindern oder die Teilqualifikation. Bei dieser wird nur ein bestimmter Teil des Lehrinhaltes herangezogen.

Durch einen individuellen Lehrplan, der von der Berufsschule erstellt wird, wird das Berufsbild auf die Fähigkeiten der Person zugeschnitten. Wenn das individuelle Lehrziel am Beginn zu eng gefasst wurde, kann es erweitert werden.

Um zu positiven Ergebnissen zu kommen, wird die Assistenz exakt und vielschichtig organisiert. Die Unterstützerinnen und Unterstützer des TAFIE erfüllen die verschiedensten Aufgaben: die Sicherstellung einer geklärten Ausgangssituation vor Beginn der integrativen Berufsausbildung zählt ebenfalls dazu wie die Koordination, Vernetzung und Kooperation mit Lehrbetrieben, Berufsschulen, Schulbehörden und sonstigen für die integrative Berufsausbildung relevanten Einrichtungen sowie die Unterstützung bei behördlichen Angelegenheiten.

Weiters gehört die Verantwortung bei der Arbeitsplatzsuche und die Beratung der Betriebe über Förderungen dazu.

Für einen langfristigen Erfolg entscheidend ist die langfristige Begleitung der Betriebe und Kooperationen während der Ausbildung. (vgl. RESPEKT 2004, Ausg. 2, 5)

2.2.6 Persönliche Zukunftsplanung

Durch vielfältige Methoden sollen Jugendliche mit "Behinderungen" bereits vor ihrem Schulabgang Ideen über ihr weiteres Leben und ihre berufliche Zukunft entwickeln. Dafür wird ein so genannter Unterstützerkreis gebildet, der sich aus Personen zusammensetzt, welche der/die Jugendliche auswählt. Die unterstützenden Personen treffen sich regelmäßig mit der Jugendlichen oder dem Jugendlichen, um Zukunftsperspektiven und konstruktive Lösungen zu auftretenden Problemen zu entwickeln. Die Wünsche und Fähigkeiten der einzelnen Personen können in dieser intensiven Auseinandersetzung erkannt werden und bilden die Grundlage für dessen berufliche Zukunft. Bis zum Schulaustritt sollte die Zukunftsplanung soweit fortgeschritten sein, dass ein relativ klares Bild entstanden ist, welche Form von Begleitung für den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt notwendig sein wird. (vgl. KÖCK 2004)

2.2.7 Job-creation

Häufig scheitert die Vermittlung an den Arbeitsmarkt an den mangelnden Informationen und problemorientierten Vorstellungen der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Die Job-creatoren beraten die Arbeitgeberin und Arbeitgeber und versuchen mit diesem gemeinsam, einen Arbeitsplatz an die in Frage kommende Person anzupassen. Diese Adaptierung kann von kleinen organisatorischen Umstrukturierungen bis zur Entwicklung neuer Tätigkeitsfelder im Betrieb reichen. (ebd.)

2.2.8 Jobcoaching

"Aufgrund der schwierigen Arbeitsmarktsituation von Menschen mit "Behinderungen" startete die Bundesregierung 2001 eine Beschäftigungsoffensive zur beruflichen Einglied-erung dieser Personengruppe. Die Finanzierung erfolgt aus der im Budget enthaltenen "Behindertenmilliarde"

Viele Menschen mit "Behinderungen" sind arbeitslos. Daher hat im Zentrum der Maßnahmen für diese Gruppe die berufliche Integration zu stehen. Da aber eine erfolgreiche Eingliederung in das Erwerbsleben ein entsprechendes soziales Umfeld voraussetzt, sind auch Schritte in diese Richtung notwendig.

Als Zielgruppen der Maßnahmen sind insbesondere "behinderte" Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf, "Lernbehinderte", sowie sozial und emotional gehandicapte Jugendliche, ältere Menschen mit "Behinderungen", Menschen mit psychischen Einschränkungen, geistigen "Behinderungen" und Sinnesbehinderungen vorgesehen. Trotz dieser Schwerpunktsetzung sollen aber keinesfalls andere Gruppen von den Eingliederungsmaßnahmen ausgeschlossen werden. Es sind somit alle Menschen mit "Behinderungen" in diese Maßnahmen einzubeziehen, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass es gelingt, sie mit entsprechender Hilfestellung in den Arbeitsmarkt, zumindest mittelfristig, einzugliedern bzw. wiedereinzugliedern.

Die Maßnahmen zur Integration umfassen unter anderem: Integrationsbeihilfen mit befristeter Übernahme der Lohnkosten, Entwicklung von Projekten der begleitenden Hilfe am Arbeitsplatz (Jobcoaching), Aufbau von Nachreifungsprojekten für behinderte Jugendliche, Arbeitsplatzsicherungsbeihilfen für ältere behinderte Menschen, verstärkter Ausbau von Qualifizierungs- und Beschäftigungsprojekten und eine Reihe von begleitenden Maßnahmen wie z.B. die Schaffung eines Unternehmer-Service als Dienstleistung für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zur Beratung, der Auf- und Ausbau der Arbeitsassistenz,

eine verstärkte Förderung der behindertengerechten baulichen und technischen Ausstattung von Betrieben und Arbeitsplätzen und vieles andere mehr. (BASB 2004, Online im Internet)

2.2.9 Betriebsinterne Mentorinnen oder Mentoren

Sie bieten Unterstützung beim Anlernen im jeweiligen Betrieb. Das Ausmaß dieser Begleitung richtet sich nach dem Bedarf und soll daher nicht zeitlich beschränkt sein. Im Idealfall kann im Betrieb selbst eine Bezugsperson gefunden werden, die diese Tätigkeit übernimmt. Die dadurch anfallende Minderung der Arbeitsleistung soll dem Betrieb abgegolten werden. Durch betriebsinterne Mentorinnen oder Mentoren würde auch der Prozess der sozialen Integration beschleunigt. (vgl. KÖCK 2004)

Beispiel Spagat im Vorarlberg:

Im Vorarlberg wird sehr viel mit dem Mentorensystem gearbeitet. Das hat für die Betriebe Vorteile, weil sie keine fremde Person in ihrem Betrieb haben, sofort eine unterstützende Person für die Arbeitnehmerin bzw. den Arbeitnehmer erreichbar ist und der zeitliche Aufwand über das BASB finanziell abgegolten wird.

2.2.10 Erwachsenbildungsangebote

Jeder Mensch hat ein Recht auf lebenslanges Lernen!

"Die Erwachsenenbildungsangebote sind für alle Menschen, speziell für Menschen mit "Behinderungen", ein notwendiges Angebot. Um die Weiterbildung von Menschen mit "Behinderungen" zu ermöglichen, organisiert der Verein TAFIE-Außerfern die Teilnahme an Kursen, um bestimmte Fähigkeiten auszubauen - diese können auch berufsbegleitend besucht werden. Der Verein TAFIE bietet eigene Kurse an, die besonders auf die Weiterbildung in lebenspraktischen Bereichen abzielt. Im Berufsorientierungskurs haben die Kursbesucherinnen und Kursbesucher weitere vertiefende Möglichkeiten, sich Klarheit über die eigenen Berufswünsche zu verschaffen.

Der Verein arbeitet eng mit der Volkshochschule Reutte (VHS) zusammen. Wenn eine Person mit Unterstützungsbedarf einen VHS - Kurs besuchen will, stellt der Verein die nötigen Ressourcen, in Form von Assistenz, zur Verfügung." (vgl. KÖCK 2004)

2.2.11 Qualitätssicherung

"Regelmäßige Teambesprechungen, Einzelgespräche zwischen pädagogischer Projekt-leitung, Betreuerinnen und Betreuer, Kursleiterinnen und Kursleiter, und Arbeits-assistentinnen und Arbeitsassistenten sowie Einzel- und Teamsupervisionen und externe fachliche Begleitung garantieren die nötige Reflexion und Vernetzung der jeweiligen Angebote und inhaltliche Vorgehensweisen. Fragestellungen und Probleme, die bei der Arbeit auftreten, können in diesem professionellen Rahmen gemeinsam reflektiert und bearbeitet werden.

Ein notwendiges Kriterium für die Qualität der Tätigkeit ist eine professionelle und effektive Zusammenarbeit mit anderen sozialen Einrichtungen, Ämtern und Behörden, Ärztinnen und Arzte, Therapeutinnen und Therapeuten sowie der Wirtschaft. Daraus ergibt sich auch die Bedeutung der Teilnahme an Vernetzungsgesprächen und sozialpolitischen Sitzungen." (vgl. ASTL 2001, Seite 76)

Im Sinne der Qualitätssicherung und Weiterentwicklung der Angebote arbeitet der Verein mit internationalen Expertinnen und Experten zusammen.

2.2.12 Zeitlicher Rahmen und Standort der Angebote

"Dauer und Ausmaß der persönlichen Assistenz und der Arbeitsassistenz/Jobcoaching richten sich nach den persönlichen Bedürfnissen der Menschen mit Behinderungen. Die integrativen Kursewerden derzeit semesterweise angeboten. Alle Angebote beziehen sich auf den Bezirk Reutte." (ebd. 77)

2.2.13 Kosten für die Teilnehmer

"Die Kosten für Persönliche Assistenz werden derzeit vom Amt der Tiroler Landes-regierung, Abteilung Va übernommen. Nach dem Tiroler Rehabilitationsgesetz kann je nach Voraussetzung ein Selbstbehalt eingehoben werden." Beratung, Arbeitsassistenz, Jobcoaching, Clearing und Berufsausbildungsassistenz sind für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer kostenlos:

Die Teilnahme an den Kursen ist derzeit so geregelt, dass Personen ohne Einkommen, die in einer Maßnahme des Vereins sind, den Kurs kostenlos besuchen können und Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Einkommen einen geringen Kursbeitrag, zwischen € 15,- bis € 30,- zu bezahlen haben. Die Höhe des Betrages ist von der Kursdauer abhängig. Besucht eine Teilnehmerin oder Teilnehmer mehrere Kurse, ist ab dem zweiten Kursbesuch nichts mehr zu bezahlen. Geringe Kosten können eventuell noch durch Material- oder Fahrtkosten entstehen.

2.2.14 Derzeitige Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer

Derzeit nehmen 25 Personen Persönliche Assistenz in Anspruch, 35 Personen wurden im Jahr 2005 im Rahmen der Beruflichen Integration begleitet. Dazu gehören die Maßnahmen Clearing, Jobcoaching, Arbeits- und Berufsausbildungsassistenz.

Der Verein TAFIE beschäftigt derzeit 9 Hauptamtliche (7 Teilzeitkräfte) und 15 Freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

2.3 Projekt OASE 3 (Förderzeitraum 2002 -2005)

"Innovative Wege des Übergangs Schule/Beruf, gemeinsam mit Menschen mit sogenannten "Behinderungen" zu entwickeln, ist zentrale Aufgabe von OASE 3. Die Angebote sind so zu gestalten, dass sie für alle Menschen praktische Gültigkeit erlangen, unabhängig davon, welche Art oder Schweregrad an "Behinderungen" ihnen zugeschrieben wird. Das bedeutet auch, Menschen die als "schwer mehrfach behindert" gelten, im Übergang Schule/Beruf zu begleiten. Das Finden und Kreieren von Arbeitsplätzen, so wie das Erarbeiten alternativer Tagesstrukturen auf Basis der individuellen Wünsche, Fähigkeiten und Möglichkeiten, liegen im Aufgabenbereich der Unterstützung. Ziel ist ein Arbeitplatz am allgemeinen Arbeitsmarkt für jeden Menschen.

Angebote wie Jugendarbeitsassistenz, Jobcoaching oder Jobcreation tragen dazu bei, dass für Jugendliche Integration am allgemeinen Arbeitsmarkt erreicht werden kann. Praktika zu organisieren, zu begleiten und zu reflektieren sowie Betriebe, Gemeinden und öffentliche Institutionen als mögliche Arbeitgeber zu sensibilisieren sind Ziele des Moduls. Menschen mit "Behinderungen" sollen einerseits an den Arbeitsplatz bzw. Arbeitsrhythmus herangeführt, andererseits aber auch Arbeitsplätze so entwickelt werden, dass diese an die Person angepasst sind. Menschen die als "schwer mehrfach behindert" gelten bzw. "schwerstbehindert" oder "geistig behindert" diagnostiziert sind, das heißt, Menschen, die unter schwierigsten Bedingungen leben müssen, sind weitestgehend von allen Maßnahmen, wie oben aufgezählt, ausgeschlossen. Für sie Angebote zu entwickeln ist Aufgabe von OASE 3.(MIM 2005, 35)

2.3.1 Assistenz und Selbstbestimmung für Menschen mit schwierig-sten Lebensbedingungen

Die Erfahrungen zeigen, dass die Orientierung an der uns momentan am schwierigsten erscheinenden Situation wesentlich für alle Angebote des Vereins ist. Alle Maßnahmen werden neu auf ihre Gültigkeit im Sinne einer inklusiven Gesellschaft überprüft. Dadurch ist die Kreativität aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im höchsten Maße gefordert.

Mit Hilfe von unterschiedlichen Methoden, wie Zukunftsplanung nach Stefan Doose, Ines Boban und Andreas Hinz, oder die Verstehende/Rehistorisierende Diagnostik nach Wolfgang Jantzen und Kirsten Ziemen, wird ein klares Bild über Fähigkeiten, Wünsche aber auch Möglichkeiten der Jugendlichen mit "Behinderungen" erarbeitet, um in idealer Weise bereits vor Abschluss der Schulpflicht einen entsprechenden Einstieg in den Arbeitsmarkt anzubahnen.

"In der Auseinandersetzung mit Menschen, die in größter Isolation leben müssen, ist es dem Verein TAFIE Außerfern gelungen, die Vision einer inklusiven Gesellschaft zu definieren:

"Unter Inklusion verstehen wir eine Haltung, die auf der Überzeugung beruht, dass alle Menschen gleichberechtigt sind und geachtet und geschätzt werden sollen, als eine grundlegende Menschenrechtsfrage. Inklusion ist ein niemals endender Prozess, bei dem Menschen mit "Behinderungen" die Chancen bekommen, in vollem Umfang an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilzunehmen, die auch "nichtbehinderten" Menschen offen stehen. (MIM 2005, 41)

Das gilt selbstverständlich auch für den Bereich Arbeit, welcher in unserem Kulturkreis aus gesellschaftspolitischer Sicht von größter Bedeutung ist.

2.4 Definition Arbeit

Arbeit wird in der Literatur aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Zusammenhängen betrachtet. So wird von "bewusstem, zielgerichtetem Handeln eines Menschen zum Zweck der Existenzsicherung wie der Befriedigung von Einzelbedürfnissen" gesprochen und Arbeit als "wesentliches Moment der Daseinserfüllung" bezeichnet. (BROCKHAUS 1997, 234 ff, Online im Internet)

Die Volkswirtschaftslehre spricht beim Begriff Arbeit von "einem Produktionsfaktor" dem entscheidende Bedeutung für die Erzeugung wirtschaftlicher Güter und Dienstleistungen zukommt". (vgl. ebd.)

Auch die Bedeutung von Arbeitslosigkeit hat sich in den vergangenen Jahrhunderten grundlegend verändert.

So war Arbeit in der römischen Antike ein lästiges Übel, welches den "Sklaven" aufgebürdet wurde.[...] Im frühen Christentum wird ein menschliches Leben erst dann als köstlich gepriesen, wenn es ein Leben voller Mühe und Arbeit gewesen ist.

Seit Ende des europäischen Mittelalters gilt Arbeit als der eigentliche Lebenszweck des Menschen. (vgl. SIEGRIST 2005, 9)

Aber auch Rubinstein beschreibt in marxistischen und kapitalistischen Theorien die Bedeutung von Arbeit. So vertritt Rubinstein die Meinung, dass Arbeit: "das wichtigste Mittel zur Formung der Persönlichkeit" sei. (vgl. Rubinstein 1946, 707 in ebd.)

Für die Schweizer Philosophin Weisshaupt hat Arbeit "... mit der Selbsterhaltung des Menschen zu tun". Gleichzeitig bedeutet für sie Arbeit "... ein wichtiger Faktor im Selbst-bildungsprozess oder Selbstbestimmungsprozess des Menschen". (SIEGRIST 2005, 9)

"Solche Bedeutungsinhalte von Arbeit verdeutlichen die geradezu existenzielle Funktion für das menschliche Leben, für die Identität des Menschen. Daneben impliziert Arbeit auch andere Faktoren, die ihre Bedeutung noch wesentlich verstärken." (ebd.)

2.5 Wozu dient Arbeit?

2.5.1 Faktoren, die die Bedeutung von Arbeit wesentlich verstärken:

- Sicherung der materiellen Existenz

- Darstellung und gegebenenfalls zur Verbesserung oder Verschlechterung der sozialen Stellung und Identität des Menschen

- Pflege der sozialen Kontakte und dazu Menschen kennen zu lernen, Freundschaften zu schließen, gemeinsame Interessen zu entdecken, sich in Gesprächen auszutauschen

- individuellen Weiterentwicklung

- Einteilung und Regelmäßigkeit der Zeitstruktur (SIEGRIST 2005, 9)

2.5.2 Auswirkungen von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit :

- Die Person fühlt sich von der Gesellschaft isoliert und begreift sich nicht mehr als "nützliches Zahnrad" im Getriebe der Wirtschaft und Gesellschaft.

- Arbeitslosigkeit ist gerade wegen dieser Ausgrenzungstendenz von großer gesellschaftlicher und politischer Bedeutung. (ebd.)

2.6 Bedeutung von Arbeit für Menschen mit "Behinderungen"

- Arbeit ist nicht nur eine Frage der Sicherung des ökonomischen Überlebens, sondern hat weit darüber hinaus bedeutende Funktionen und Potentiale für den Menschen:

- Arbeit spielt eine wesentliche Rolle bei der Zuweisung des sozialen Status, aber auch für die Entwicklung der Identität.

- Arbeit bindet Menschen in kollektive Zielsetzungen ein, mit denen sie sich möglicherweise identifizieren können und die sie so motivieren.

- Nicht nur ökonomisch geben sie ein Sicherheitsgefühl. Auch für die gesamte Planbarkeit des Lebens auf absehbare Zeit ist Arbeit von grundlegender Bedeutung.

- Arbeit trägt massiv zu sozialer Anerkennung bei, nicht zuletzt ist sie ein gewichtiger Faktor dafür, ob eine Person als gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft angesehen werden kann.

- Schließlich kann Arbeit auch die Funktion übernehmen, zur Sublimierung seelischer Bedürfnisse zu dienen - wenn es etwa um lustbetonte, aggressive oder narzisstische Momente des Lebens geht, die über Arbeit ausagiert werden können. (HINZ 2005, Vortrag)

- Arbeit strukturiert Alltag sowohl in zeitlicher wie auch in räumlicher Hinsicht. Dadurch entstehen unterschiedliche Lebensräume mit spezifischen Erfahrungs- und Kommunikationsstrukturen. Der Rhythmus des Lebens, des Alltags als wichtige Forderung des Normalisierungsgedankens - Arbeit/Freizeit, Wochentag/Wochen-ende, Urlaub, Pension, wird dadurch hergestellt.

- Arbeit ermöglicht und fordert den Erhalt und die Weiterentwicklung von Fähigkeiten und damit einen Zuwachs an Handlungskompetenz. Die Bewältigung von Aufgaben trägt zur Stärkung des Selbstwertgefühls bei und nimmt somit entscheidenden Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung. (NIEDERMAIR 2002, 4)

2.6.1 Weitere Aspekte von Arbeit

Arbeit kann:

durch Konfrontation mit der Außenwelt Realitätsnähe bewirken dazu führen, dass die Person auch in anderen Bereichen Interessen entwickelt, z. B. Selbstständigkeit, bessere Körperpflege, Umgang mit Geld, usw.zur Erweiterung der sozialen Kontakte und zu neuen Freundschaften und Beziehungen führen.

2.7 Inklusion und Arbeit

Kirsten Ziemen geht in ihrem Vortrag auf die Situation von Menschen ein die unter schwierigsten Bedingungen leben.

"In unserer Gesellschaft werden Menschen klassifiziert, stigmatisiert und demnach von gesellschaftlich relevanten Feldern isoliert. Am Beispiel der Menschen, die als "schwerst-behindert" diagnostiziert werden und von vornehmlich allen relevanten Feldern ausgeschlossen sind, kann das am deutlichsten belegt werden. Sie erhalten, wenn überhaupt, dann nur marginal bspw. den Zugang zum schulischen und Erwerbsarbeitsfeld.

Generell erscheint für eine Vielzahl von Menschen die Integration nicht vorstellbar, welches mit den im Habitus gespeicherten Fremdbildern und Feindbildern erklärbar ist. Noch immer erscheinen Bilder in der Spannweite, Behinderung als Anderssein/Ausgegrenztsein, als Infantilisierung (ewiges-Kind-sein), als Leistungsminderung, als Unglück, Leid, Tragik, Strafe, auf Natur reduziert zu betrachten. Emotionen wie bspw. Angst oder Mitleid bestimmen immer noch die Vorstellungen einer Vielzahl von Menschen."

Negative Vorstellungen um Behinderung dominieren, so dass das Allgemeinmenschliche, die Kompetenzen und Möglichkeiten der Menschen dahinter verschwinden. Dabei sind jedoch folgende Zusammenhänge zu berücksichtigen:

  • Mit der Diagnosestellung kommt es bereits zu einer Abwertung gegenüber den Betroffenen und den Bezugspersonen.

  • Adäquate Angebote der Kommunikation oder des Dialoges bleiben insbesondere bei diagnostizierter schwerer/schwerster "Behinderung" aus oder sind gestört.

  • Herkömmliche Angebote zur Unterstützung von Lernen durch Entwicklung schlagen oftmals fehl, passende Angebote fehlen oft, die Menschen werden auf Pflege oder therapeutische Angebote reduziert.

  • Das Ausbleiben eines entsprechenden Dialoges führt zwangsläufig zu erhöhtem Stress, insofern gilt für die Betroffenen der "Zustand erhöhter Verwundbarkeit".

  • Das führt zur veränderten sozialen Situation, in denen Kinder/Jugendliche aufwachsen.

Darüber hinaus wird die "Behinderung" umso schwerer eingeschätzt, je weniger sich die Menschen lautsprachlich verständigen können. Je schwerer die Behinderung wahrgenommen wird, umso weniger werden Menschen in die gesellschaftlich relevanten Felder integriert, bzw. erhalten dabei die für sie erforderliche Unterstützung." (ZIEMEN, 2004)

2.8 Erwerbsarbeit sichert eines der Grundrechte des Menschen

Bereits auf der "Weltgipfelkonferenz für soziale Entwicklung", in Kopenhagen 1995, wurde die Integration von Menschen mit "Behinderungen" auf den Arbeitsmarkt fokussiert. Im Aktionsplan heißt es:

"Die Erweiterung des Angebotes von Arbeitsmöglichkeiten für Menschen mit "Behinderungen" erfordert:

- Sicherstellung, dass Gesetze und Regelungen Menschen mit "Behinderungen" nicht diskriminieren

- aktive Fördermaßnahmen beim Aufbau von Unterstützerdiensten [...].

- angemessene Regelungen, um Arbeitsplätze für Menschen mit "Behinderungen" anzupassen, einschließlich der Verwendung innovativer Technologien

- Entwicklung alternativer Beschäftigungsformen, wie Assistenz am Arbeitsplatz für Personen die solche Dienste brauchen

- Förderung des öffentlichen Bewusstseins, insbesondere Beachtung der Folgen negativer Stereotypisierungen von Menschen mit "Behinderungen" für deren Beteiligung am Arbeitsmarkt."

Die höchste Form der Tätigkeit des Menschen ist die Arbeit. "Weder gibt es Subjektivität ohne Tätigkeit, noch ist die objektiv-reale Welt ohne Tätigkeit erfahrbar. (vgl. ZIEMEN 2004)

3 PRAKTISCHER TEIL

Inhaltsverzeichnis

3.1 Übergang Schule - Beruf: Clearing in der Praxis

3.1.1 Schema der Arbeitsschritte auf dem Weg zur beruflichen Integration:

- Beratung: Erarbeiten eines Fähigkeitsprofils

- Akquisition eines geeigneten Arbeitsplatzes auf dem ersten Arbeitsmarkt

- Vorbereitung der Arbeitsaufnahme: Modifikation am Arbeitsplatz und Vorbereitung der betrieblichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit "Behinderungen"

- Qualifizierung durch "jobcoaching" am Arbeitsplatz

- Langfristige Begleitung/Krisenintervention (vgl. ASTL 2001, Seite 76)

Wie bereits in der Vorstellung des Vereins TAFIE-Außerfern zu entnehmen ist, werden im Bezirk Reutte seit 1997 alle Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, unabhängig vom Behinderungsgrad, integrativ unterrichtet. Bereits in der 8. Schulstufe haben Jugendliche mit SPF die Möglichkeit das Angebot Clearing in Anspruch zu nehmen.

Die Eltern, bzw. Erziehungsberechtigten und der/die Jugendliche mit Behinderung nehmen direkt, über die Schule oder das SPZ mit dem Verein Kontakt auf.

Beim ersten Gespräch werden die Jugendlichen und deren Eltern detailliert über die Maßnahme informiert.

In der vom BASB erstellten Clearingmappe, die als Arbeitsbasis dient, werden mit dem/der Jugendlichen, dessen gesetzlichen Vertretung und Clearingbeauftragten eine Vereinbarung, unterzeichnet. Darin sind folgende Punkte festgelegt: Beratung, Begleitung, Praktikum, Regeln der Zusammenarbeit sowie Verschwiegenheitspflicht von Seiten der Clearing-begleitung.

Weiters wird ein Neigungs- und Fähigkeitsprofil erstellt. Folgende Punkte sind zu beantworten: Lebenspraktischen Fähigkeiten, Alltagskompetenzen, Emotionalität, Arbeitshaltung, sowie körperliche Fähigkeiten und Einschränkungen. In der Folge wird ein Entwicklungsplan erstellt, der die kurz-, mittel-, und langfristigen Perspektiven sowie die erforderlichen Rahmenbedingungen zur beruflichen Integration berücksichtigt.

Den Abschluss bildet eine Verlaufsdokumentation.

Nach sechs Monaten muss die Maßnahme Clearing beendet werden. Die Jugendlichen bekommen die Clearingmappe ausgehändigt. Sie soll bei der Arbeitssuche hilfreich sein, weshalb auch besonders auf die schriftliche Formulierung der Aussagen zu achten ist.

3.1.2 Maximilian in der Maßnahme Clearing

Maximilian ist ein 15 jähriger fröhlicher Bursche, mit Trisomie 21, was im allgemeinen Sprachgebrauch als Down Syndrom bezeichnet wird.

Nachdem Maximilian in seiner Heimat in Bayern einen integrativen Kindergarten besucht, muss er in eine Sonderschule. Durch die Tagesbetreuung in der Schule ist Maximilian am Abend, wenn er mit dem Schulbus nach Hause kommt, bereits so müde, dass die Familie kaum gemeinsame Zeit verbringen kann. Die Situation war für ihn, seine Eltern und seinen um 14 Jahre älteren Bruder sehr belastend. Die Familie beschließt, dass Maximilian mit seiner Mutter in den Bezirk Reutte übersiedeln soll um eine Integrationsklasse zu besuchen.

Im Frühjahr 2005 beginnt Maximilian mit dem Clearing und ich bin seine Clearing-begleiterin. Zu diesem Zeitpunkt besucht er die 4. Klasse der Hauptschule. Er geht gerne zur Schule, fühlt sich in der Klassengemeinschaft sehr wohl und integriert und mag die Schulfächer Kochen, Werken und Sport besonders. Weiters ist Maximilian ein sehr guter Tischtennisspieler und geht einmal wöchentlich zum Training.

Maximilian kennt alle Buchstaben und Ziffern, kann aber nicht sinnerfassend lesen. Im Zahlenraum bis Zehn kann er eins dazuzählen. Seine Sprache ist sehr undeutlich und er spricht in Zweiwortsätzen. Zu Beginn des Clearings ist Maximilian noch sehr verspielt und akzeptierte kaum körperliche Distanzen.

Die ersten Clearingtreffen finden gemeinsam mit Maximilians Mutter statt, da es mir zu diesem Zeitpunkt nur schwer möglich ist, seine Aussprache zu verstehen und ich auch noch nicht weiß, auf welche Weise ich mit Maximilian kommunizieren muss damit er mich versteht.

Die Zusammenarbeit mit der Mutter ist während der gesamten Clearingphase sehr eng. Das heißt, dass wir uns wöchentlich ca. eine Stunde über die Auswahl der Schnupperplätze sowie ihre, wie meine Beobachtungen und Erfahrungen bezüglich Maximilians Arbeitserfahrungen austauschen.

Maximilian hat im Frühjahr 2005 nur sehr wenig Vorstellung von Beruf, so ist es das wichtigste Ziel des Clearings, möglichst viele Betriebe und Arbeitsbereiche kennen zu lernen.

3.1.3 Maximilians erste Arbeitserfahrungen

Da Maximilian besonders gerne das Unterrichtsfach Kochen mag, starten wir im Juni 05 zu einem 4 Tage dauernden Praktikum in der Küche eines Gasthofes. Maximilian muss Obst und Gemüse putzen, schälen und schneiden, Palatschinken backen und die Geschirrspülmaschine bedienen.

Auffallend ist sofort, wie viel Geduld, Konzentration und Ehrgeiz Maximilian hat. Er bemüht sich mehrere Stunden, bis es ihm gelingt eine Kartoffel vollständig zu schälen. Voraussetzung dafür ist, dass Maximilian ausreichend Zeit für die Lösung der Aufgaben hat und ich genau beobachten kann, welche Arbeitsgeräte seiner Motorik am besten entsprechen.

Maximilian hat am Beginn der Schnupperwoche große Angst davor sich mit dem Messer zu verletzen sowie vor Hitze. Sein großes Interesse siegt jedoch, und so ist es ihm relativ schnell möglich seine Ängste zu überwinden.

Das Einräumen und Ausräumen der Spülmaschine erfordert die Beachtung etlicher Arbeitsschritte. Dazu gehört die Spülmaschine mit Frischwasser zu befüllen, die Abfälle in Biomüll und Restmüll zu trennen, das vorgereinigte Geschirr in die Maschine zu ordnen und die Maschine in Betrieb zu setzen. Weiters muss Maximilian das gereinigte Geschirr auf Sauberkeit kontrollieren und nachtrocknen sowie in die Regale räumen.

Maximilian erkennt sofort die Logik des Ablaufs und so stellen die genannten Aufgaben für ihn keine besonders hohe Anforderung dar.

Diese ersten Erfahrungen mit Maximilian am Arbeitsplatz sind für ihn, seine Familie, den Betrieb und die Kolleginnen und Kollegen sowie für mich sehr positiv. Maximilian beweist bereits am ersten Arbeitsplatz, dass er sehr interessiert, geduldig und ehrgeizig ist.

Schwierig zu diesem Zeitpunkt ist, dass Maximilian immer wieder in "Spielphasen" abgleitet und nur schwer zu bewegen ist, weiter zu arbeiten. In diesen Phasen legt er sich über längere Zeit auf den Boden, will fangen spielen, versucht zu umarmen oder verweigert die Weiterarbeit. Auffallend ist, dass die Arbeitskolleginnen und -kollegen wegen falsch verstandener Rücksichtnahme oder Unsicherheit die Spielereien zulassen und zum Teil auch mitspielen. (Bei "nichtbehinderten" Kolleginnen und Kollegen wäre die Reaktion wahrscheinlich anders.) In Gesprächen ist es möglich, die Situation mit den anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu reflektieren um einheitlich zu reagieren. Maximilian fällt es dann leichter, sich ein anderes Verhaltensmuster anzueignen und ein realistisches Bild von Arbeit und Verhalten am Arbeitsplatz kennen zu lernen.

3.1.4 Schulwechsel - wöchentliches Praktikum

Maximilian besucht seit Herbst 2005 die einjährige Polytechnische Schule in Reutte. Schwerpunkt dieser Schule ist, die jungen Menschen auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Diese Schule organisiert zwei Praktika, die jeweils eine Woche dauern und den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit bieten, sich beruflich zu orientieren.

Maximilian hat seit Oktober die Möglichkeit, einmal pro Woche für vier Stunden in einem Betrieb zu arbeiten. Im selben Betrieb sind wir vier Wochen, dann wechseln wir in den nächsten. Diese Vorgangsweise kommt Maximilian sehr entgegen und wird von ihm sehr positiv erlebt.

3.1.5 Kurze Beschreibung der Praktika

Gemeindeverwaltung Lechaschau: Vorplatz säubern, Kuverts stempeln, Blätter lochen und Schriftstücke in Kuverts stecken.

Maximilian im Oktober 2005

Besonders jene Arbeiten, die feinmotorische Fähigkeiten voraussetzen, fallen Maximilian schwer. Dazu gehört vor allem das Kuvertieren.

Bauarbeiten - Innenausbau: Gipskartonplatten mit Fugenmasse verspachteln, die Arbeitsgeräte reinigen, Nylonfolie (Feuchtigkeitsbrücke) nachschneiden, Baustelle kehren und mit einem Akkubohrmaschine ein Holzgestell zerlegen. Bei dieser Arbeit fällt auf, dass Maximilian noch wenig Kraft in seinen Armen hat. Im Laufe der Praktika verbessert sich dies jedoch.

Maximilian Oktober 2005

Seniorenresidenz Ehrenberg: Gesellschaftsspiele mit Bewohnerinnen und Bewohnern, die Seniorinnen und Senioren beim Spaziergang begleiten, Kaffeegeschirr abservieren, in der Wäscherei mitarbeiten.

Maximilian soll eine Bewohnerin beim Spaziergang begleiten und sie sich bei ihm einhaken lassen. Ich erkläre ihm, welche Aufgabe er hat, jedoch ist er nicht bereit diese körperliche Nähe zuzulassen.

Da Maximilian erst am letzten Tag des Praktikums in der Wäscherei arbeitete und großes Interesse zeigt, beschließen seine Mutter, Maximilian und ich, noch einmal in einem Seniorenwohnheim zu arbeiten.

Seniorenzentrum Reutte: Maximilian arbeitet verstärkt in der Wäscherei. Er zeigt großes Interesse und ist in diesem Bereich sehr geschickt und engagiert.

Aufgabenbereiche: Wäsche aus dem Trockner holen, zusammenlegen und die sortierte Wäsche in die jeweiligen Stockwerke bringen.

Maximilian im Februar 2006

Im Bereich der Wäscherei fühlt sich Maximilian sofort wohl. Da er besonderes Interesse an diesem Arbeitsfeld zeigt, nutzen wir die Möglichkeit, im Rahmen der Maßnahme Clearing, vertiefend diesen Tätigkeitsbereich kennen zu lernen.

3.1.6 Zusammenarbeit mit der Schule

Mit der zuständigen Integrationslehrerin der Schule finden regelmäßige Vernetzungsgespräche statt in denen die Entwicklungsschritte besprochen und eventuell methodische Hinweise ausgetauscht werden.

3.1.7 Zusammenarbeit mit Betrieben

Da in unserem Bezirk bereits seit über 20 Jahren integrativ unterrichtet wird und die ersten "integrativen" Schulabgänger seit über 10 Jahren im Berufsleben stehen, ist es nicht besonders schwierig, Praktikumsplätze zu finden. Wichtig ist jedoch, mit dem Betrieb im Vorhinein zu klären, welches Ziel mit dem Praktikum verfolgt wird und welche Strukturen für die Klientin oder den Klienten wichtig sind.

Die Möglichkeit Arbeitsassistenz während des Praktikums anbieten zu können, ist für Betriebe sehr wichtig und wird gerne angenommen. Gerade bei Menschen mit "schwereren Behinderungen" ist Arbeitsassistenz während des gesamten Praktikums eine wichtige Voraussetzung um die Arbeitserfahrung positiv zu erleben. Für die meisten Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ist die Begleitung am Arbeitsplatz, durch die Arbeitsassistenz, Voraussetzung, dass sie eine Praktikumsstelle anbieten.

Verläuft ein Praktikum für beide Seiten positiv besteht die realistische Chance, dass aus einem erfolgreichen Praktikum ein Dienstverhältnis entwickelt werden kann.

3.1.8 Methodik in der Arbeitsweise

- Die Aufgaben in einfachen Worten erklären, vorzeigen, mitarbeiten

- Hilfsmittel und alternative Handgriffe anbieten

- Tipps geben

- Konsequenz

- Anspornen, loben

- Mit dem Fotoapparat dokumentieren

- Gemeinsam ein Arbeitsbuch verfassen

Die Erklärungen der Arbeitsaufträge erfolgt in kurzen, einfachen Sätzen, wie z.B. "Wir legen Handtücher zusammen". Alle Arbeitsschritte machen wir zeitgleich um Maximilian so die Umsetzung zu erleichtern. Auch hier ist es für ihn wichtig, kurze verbale Hinweise wie: "Ecke auf Ecke" zu bekommen. Wenn das Ergebnis nicht befriedigend ist versuchen wir die Schritte so lange bis das erwünschte Resultat erreicht ist. Das erfordert ein gewisses Maß an Konsequenz, denn es ist durchaus möglich, dass manche Arbeiten sehr häufig wiederholt werden müssen.

Von Beginn an fotografiere ich Maximilian bei allen Arbeiten mit der Digitalkamera und zeige ihm sofort die Aufnahmen. Es ist für ihn sehr wichtig, sich selbst in einem Arbeitsprozess zu sehen. Im Laufe der Tätigkeit verändere ich die Methode. Erst wenn Maximilian die Arbeiten gut gelingen fotografiere ich ihn. Das ist für ihn ein Ansporn sich noch mehr zu bemühen. Inzwischen verbietet mir Maximian sofort zu fotografieren. Er bestimmt den Zeitpunkt wann ich ihn fotografieren darf. Erst wenn er mit seiner Arbeit zufrieden ist, fordert er mich auf: "Foto machen!"

Alle Arbeiten die feinmotorische Fähigkeiten erfordern, fallen Maximilian schwer. Hier liegt es an der Kreativität der Assistenz, Lösungsvorschläge zu erarbeiten und anzubieten. Maximilian ist gerne bereit Tipps anzunehmen und diese auszuprobieren. Die Zusammenarbeit mit der Mutter ist auch hier sehr positiv und so kann Maximilian auch im Rahmen seiner Freizeit Übungen zur Verbesserung der Feinmotorik machen.

Alle Praktika werden in einem Arbeitsbuch mit Text und Fotos dokumentiert. Den passenden Text verfassen Maximilian und ich gemeinsam, in dem ich ihm Sätze vorschlage und wenn er damit einverstanden ist, schreibe ich ihm den Inhalt in Blockbuchstaben vor und er tippt in Blockbuchstaben die Worte in den Computer. Wenn meine Schrift deutlich ist schreibt Maximilian fehlerfrei. Die Fotos, die ins Arbeitsbuch geklebt werden, sucht Maximilian aus.

Der Sinn des Arbeitsbuches ist, dass Maximilian eine Erinnerungshilfe an seine Praktika hat. Beim gemeinsamen Lesen ist auch zu erkennen, welche Arbeitsbereiche ihm besonders gefallen. Wenn Maximilian wieder zurück nach Deutschland übersiedelt, bietet das Arbeitsbuch eine Grundlage, auf der die dortige Arbeitsassistenz aufbauen kann.

3.1.9 Resümee der Maßnahme Clearing

Grundsätzlich halte ich diese Maßnahme für eine sehr gute Möglichkeit Jugendliche mit "Behinderungen" auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten.

Speziell für Jugendliche, die noch keine Berufsvorstellungen haben, bietet die Maßnahme Clearing gute Möglichkeiten sich zu orientieren.

Die Verbindung der theoretischen Arbeit, wie das Erstellen einer Stärken - Schwächen - Analyse sowie das Erarbeiten eines Interessen- und Fähigkeitsprofils, ist für die Jugendlichen in Verbindung mit der Praxis sehr sinnvoll und hilfreich und wird gerne genutzt.

Die zeitlich vorgegebene Dauer von maximal einem halben Jahr, kann, bzw. ist, für Menschen mit "Mehrfachbehinderungen" zu kurz.

Es sollte vom BASB als Fördergeber die Möglichkeit geboten werden, bei intensiveren Orientierungsphasen, individuell den zeitlichen Bedarf zu erhöhen.

Maximilians Entwicklung in den letzten Monaten ist sehr beeindruckend. Es zeichnen sich immer deutlicher seine Interessen und Fähigkeiten ab.

Wie bereits erwähnt, versucht Maximilian in den ersten Monaten immer wieder die Arbeit durch Spielen zu unterbrechen. Wir vereinbaren, dass wir eine Pause von 15 Minuten machen in denen er "spielen" kann. Maximilian will das nicht sofort akzeptieren. Auf meine Frage ob sein Vater denn auch am Arbeitsplatz spiele, sagt Maximilian entschieden Nein. Ab diesem Zeitpunkt vollzieht sich bei ihm ein Wandel. Wenn Maximilian spielen will, brauche ich nur zu sagen "Maximilian, jetzt arbeiten wir" und er arbeitet weiter, wobei in den Pausen der Spaß nicht zu kurz kommt.

Maximilian weiß, donnerstags geht er arbeiten und er freut sich sehr darauf. Er arbeitet engagiert und ist bereit Tipps anzunehmen, die ihm die Arbeitsabläufe erleichterten. Er stellt sich den Herausforderungen und will Neues ausprobieren.

Er will auch nicht mehr von der Wohnung abgeholt werden sondern er wartet bereits auf der Straße. In den ersten Monaten muss ich ihn in die Wohnung begleiten. Seit einigen Wochen gibt er mir klar zu verstehen, dass er alleine gehen kann.

Für Maximilian bedeutet "Arbeiten gehen" auch erwachsen werden. Und nicht zuletzt trägt auch Maximilian durch seine Integration in die Arbeitswelt zum Abbau gesellschaftlicher Barrieren bei, weil er seinem Umfeld die Möglichkeit bietet, mit ihm gemeinsam zu lernen.

Maximilian hat sich vor kurzer Zeit ein Hemd mit Krawatte ausgesucht und gekauft. Er sagt, dass er das Hemd zum Arbeiten braucht. Er will es zum ersten Mal bei der nächsten Praktikumsstelle in der Bezirkshauptmannschaft in Reutte tragen.

"Arbeiten gehen" ist für Maximilian "begreifbar" und sehr wichtig geworden und erfüllt ihn und seine Familie mit Stolz und Freude.

Maximilian im Februar 2006

3.2 Jobcoaching in der Praxis

3.2.1 Marinas Weg in den ersten Arbeitsmarkt

Marina ist im Alter von 5 Jahren mit ihrer Mutter, ihrer um 3 Jahre älteren Schwester und ihrem um 5 Jahre jüngeren Bruder aus Bosnien nach Österreich übersiedelt. Der Vater lebt bereits in Reutte.

Marina ist inzwischen 19 Jahre alt und gilt als "geistig schwer behindert". Sie spricht in ihrer Muttersprache wie in Deutsch in Zwei - Dreiwortsätzen, allerdings versteht sie beide Sprachen gut. Sie kommuniziert sehr ausgeprägt mit Mimik und Körper.

Marina wird integrativ unterrichtet und absolviert insgesamt 11 Schuljahre. Bereits während des gesamten letzten Schuljahres schnuppert sie 2 Stunden pro Woche in einer Gärtnerei. Die Schul- und Schnupperbegleitung in einer Haushaltungsschule übernimmt eine TAFIE - Mitarbeiterin.

3.2.2 Vorbereitung für ersten Arbeitsmarkt - Persönliche Assistenz

Die allgemeine Beschreibung der Persönlichen Assistenz ist unter Punkt 2.2.2 angeführt.

Marina wurde bereits von Herbst 2003 bis Frühjahr 2004 im Rahmen der Persönlichen Assistenz begleitet. Diese musste abgebrochen werden, weil die Mutter auf Grund einer psychischen Erkrankung keinen Kontakt mehr zulässt.

Im Februar 2005 gelingt es, die Persönliche Assistenz wieder aufzunehmen.

Die Persönliche Assistenz findet beinahe ausschließlich außerhalb des Elternhauses statt, so dass es besonders wichtig ist zur Mutter ein Vertrauensverhältnis aufzubauen damit Marina das Haus verlassen darf. Dafür muss ausreichend Zeit für Gespräche eingeplant werden. Genaues Erklären des geplanten Ablaufs der Persönlichen Assistenz sowie die Einhaltung der vorgegebenen Zeit ist zu berücksichtigen.

Mit dem Vater finden von Beginn an monatliche Vernetzungsgesprächen statt. In diesem Rahmen werden die kurz-, mittel- und langfristigen Ziele der Assistenz formuliert. Seit November 2005 nimmt Marina an diesen Treffen teil.

3.2.3 Zielformulierung im Frühjahr 2005

- Marina aus der symbiotischen Beziehung zur Mutter lösen

- Selbstständigkeit beim Anziehen und der Körperpflege

- Stärkung des Selbstvertrauens

- Verbesserung der Sprache

- Erlernen von Haushaltspraktiken

- Körperliche Betätigung

- Vermittlung auf den Ersten Arbeitsmarkt

Marina ist sehr geschickt und bereits nach kurzer Zeit kann sie mit Unterstützung einfache Gerichte zubereiten und Kuchen backen. Sie braucht Hilfestellung beim Lesen der Rezepte, sowie beim Wiegen der Zutaten. In diesem Bereich wird sie noch sehr viel Unterstützung benötigen, bis sie selbstständig arbeiten kann.

Ein selbst gestaltetes Rezeptbuch, das Marina mit Unterstützung am PC schreibt, erfüllt sie mit Freude und Stolz. Das Einfügen von Bildern aus dem Internet oder der Digitalkamera macht ihr besonders Spaß.

Marina führt ein Assistenz - Tagebuch, das sie mit Unterstützung handschriftlich oder am PC verfasst. Besonders wichtig ist ihr, dass zusätzlich mit Fotos dokumentiert wird.

3.2.4 Vorbereitung auf den Ersten Arbeitsmarkt - Gärtnerei

Wie berichtet, schnuppert Marina bereits während des letzten Schuljahres wöchentlich zwei Stunden in der Gärtnerei. Diese Vorbereitung erleichtert Marina den Einstieg ins Berufsleben enorm.

Durch die Maßnahme "Persönliche Assistenz" kann vor allem die psychosoziale Situation berücksichtigt werden. Diese Vorbereitungszeit bis zur Eingliederung auf den Arbeitsmarkt dauert ca. ein halbes Jahr. Während dieser Zeit wird verstärkt an der Erlangung folgender Kompetenzen gearbeitet: Körperpflege, Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Stärkung des Selbstvertrauens, Entscheidungsfähigkeit. Dies ist Voraussetzung für die nächsten Schritte.

3.2.5 Start ins Berufsleben - Jobcoaching

Zwischen Arbeitsmarktservice (AMS) und Arbeitgeber wird eine sechswöchige Arbeitserprobung vereinbart. Marina ist über das AMS unfallversichert und erhält ein Taggeld in der Höhe von ca. € 14,-. Die Formalitäten, wie Kontakt mit dem AMS, erledige ich als Jobcoachin.

3.2.6 Sinn der Arbeitserprobung

Durch eine Arbeitserprobung soll der Arbeitnehmerin, dem Arbeitnehmer die Möglichkeit geboten werden, das Aufgabenfeld kennen zu lernen um herauszufinden, ob der Arbeitsplatz den Erwartungen entspricht. Ebenfalls kann sich die Arbeitgeberin, der Arbeitgeber ein Bild machen, ob die Person die Anforderungen erfüllen kann, bzw. welche Adaptierungsmaßnahmen notwendig sind, um den Arbeitsplatz an die Bedürfnisse der Person anzupassen.

Da Marina die Arbeitserprobung erfolgreich abgeschlossen hat wird sie in ein zwanzigstündiges Dienstverhältnis aufgenommen.

Die Erfahrungen während des Schulpraktikums in der Gärtnerei sind für Marina sehr hilfreich, da sie den Betrieb bereits kennt. Im Rahmen der Persönlichen Assistenz besuchen wir mehrmals diese Gärtnerei und im September 2005 wird mit dem Jobcoaching gestartet.

Erste Herausforderungen an Marina sind: Selbstständig aufzustehen, duschen, anziehen und zum Bus gehen. Marina ist es seit Monaten gewohnt, bis mittags im Bett zu bleiben. Bereits um 6:00 Uhr aufstehen zu müssen kostet sie einige Überwindung.

Erschwerend ist zu diesem Zeitpunkt, dass die Mutter nicht will, dass Marina eine Arbeits-stelle hat und sie deshalb auch nicht unterstützte.

Als Hilfestellung wird für Marina ein Wochenplan erstellt. Dadurch kann sie sich leichter orientieren und weiß wann sie morgens aufstehen muss, zu welcher Zeit der Bus fährt, wie lange sie arbeiten muss oder an welchen Tagen sie Persönliche Assistenz hat. Da Marina auch Unterstützung in Form von Hinweisen bezüglich Körperpflege benötigt, ist das ebenfalls symbolisch, in Form einer Dusche, auf dem Plan dargestellt.

3.2.7 Erster Schritt: Selbstständig mit dem Öffentlichen Bus fahren

Geplant ist, dass Marina von Zuhause abgeholt, beim Einsteigen in den Bus und beim Lösen der Karte begleitet wird. Sie soll alleine bis zur Zielhaltestelle fahren. Dort wird sie abgeholt und gemeinsam gehen wir zu Fuß den Weg zum Arbeitsplatz.

Marina weigert sich einige Tage in den Bus einzusteigen. Wir müssen mit dem PKW zur Zielhaltestelle fahren und zu Fuß zum Arbeitsplatz gehen.

Nach einigen Tagen hat Marina Geburtstag. Ich sage zu ihr, dass ich sie nicht von Zuhause abholen kann und sie alleine zur Gärtnerei gehen muss, weil ich noch ein Geschenk für sie kaufen will. Das zu erwartende Geburtstaggeschenk ist ihr so wichtig, dass sie selbstständig in den Bus einsteigt und alleine den Weg zur Arbeitsstelle meistert. Seit diesem Tag bewältigt sie den Weg zur Arbeit und wieder nach Hause selbstständig.

3.2.8 Einschulung am Arbeitsplatz

Marina weiß aus ihrer Schnupperzeit wo die Arbeitsgeräte sind, was beim Wechseln des Blumenwassers zu beachten ist, wo die Blumen gelagert werden und vieles mehr.

Die erste Aufgabe, die Marina aufgetragen bekommt ist, die Rosen mit einem scharfen Messer abzuschneiden. Ich bin etwas in Sorge, dass sie sich verletzen könnte, allerdings zeigt Marina so viel Geschick, dass sie diese Arbeit mit Leichtigkeit erledigt.

Aufgrund mangelnder Kondition hat Marina in den ersten Wochen mit schmerzenden Füßen und Müdigkeit zu kämpfen. Die Freude an der Arbeit ist allerdings größer, so dass sie sehr motiviert weiter arbeitet und sich inzwischen an diese Anforderungen gewöhnen kann.

3.2.9 Marinas Aufgabenbereiche

Geschäft kehren und wischen, Blumen putzen, beim Binden der Kränze und Gestecke helfen, Dekorationen vorbereiten.

Die Vorbereitung der Dekorationsgegenstände mag Marina ganz besonders. Sie arbeitet etwas langsamer als ihre Kolleginnen und Kollegen, jedoch wird sie für ihre Verlässlichkeit und Genauigkeit sehr geschätzt.

Da Marina sehr lernbereit und lernfähig ist und der Betrieb mit ihrer Arbeitsleistung zufrieden ist, werden die Tätigkeitsfelder ständig erweitert.

Dekoration vorbereiten - Jänner 2006

3.2.10 Positiver Start

Durch die Möglichkeit, im Rahmen der Persönlichen Assistenz, Marina auf die Eingliederung in den Ersten Arbeitsmarkt vorzubereiten, kann bereits nach zwei Wochen das intensive Jobcoaching, während der gesamten Arbeitszeit, beendet werden. In den folgenden Wochen wird die Anwesenheit im Betrieb immer weiter reduziert. Inzwischen besuche ich den Betrieb einmal pro Woche und bespreche mit dem Arbeitgeber und Marina die Arbeitssituation.

3.2.11 Kleine Probleme

Marina ignoriert über Monate ihren Vorgesetzten und die männlichen Kollegen, bzw. wahrt sie sehr große Distanz zu ihnen. Arbeitsaufträge nimmt sie von ihrem Chef und den Kollegen sehr lange nicht an. Der Vorgesetzte zeigt großes Verständnis und akzeptiert ihr Verhalten. So kann Marina Vertrauen aufbauen und seit kurzem führt Marina auch seine Arbeitsaufträge aus.

3.2.12 Positives Betriebsklima hilfreich für guten Start ins Arbeits-leben

Das Betriebsklima in dieser Gärtnerei ist sehr positiv und der Chef und Chefin haben durch das Schulpraktikum ebenfalls die Möglichkeit, Marina kennen zu lernen. Auch für sie ist diese Phase sehr wichtig, um sich auf die berufliche Integration von Marina vorbereiten zu können. Auch für ihre Kolleginnen und Kollegen ist die Kennenlernphase sehr wichtig. Sie begegnen Marina sehr kollegial und respektieren und unterstützen sie.

Marina geht sehr gerne zur Arbeit. Wenn ihr bei der Arbeit etwas besonders gefällt, dann sagt sie "schön", wenn sie etwas nicht versteht senkt sie ihren Kopf und wenn sie etwas gefragt wird, gibt sie inzwischen kurze Antworten. Marina spricht immer mehr und deutlicher und alle Kolleginnen und Kollegen verstehen sie.

3.2.13 Methodik in der Arbeitsweise

- Tätigkeiten in einfacher Sprache erklären

- Vorzeigen und mitarbeiten

- Schrittweise Erweiterung der Aufgaben

- Konsequenz

- Lob

- Fotografieren

- Dokumentieren

- Wochenplan zur Orientierung

3.2.14 Marinas Entwicklung seit Frühjahr 2005

Mit Erstaunen ist zu beobachten, wie sie sich Marina verändert.

Vor einigen Monaten: Von der Mutter ständig umsorgt, abgeschirmt, kann sich nicht selbst anziehen, nässt tagsüber wie nachts ein, geht alleine nicht außer Haus und spricht in Zweiwortsätzen.

Inzwischen fährt Marina mit dem Öffentlichen Bus nach Reutte, kauft sich morgens ihre Jause, geht zu Fuß zum Arbeitsplatz und nach der Arbeit wieder zum Bus.

Im Herbst fährt sie sogar mit dem Fahrrad 4 km zur Arbeit, was eine tolle Leistung ist, weil sie auf "Schleichwegen" das Ortszentrum von Reutte umgehen muss und der Nachhauseweg sehr beschwerlich ist, weil es ständig bergauf geht.

Besonders stolz macht sie, dass sie einen finanziellen Beitrag für den Kauf einer Wohnung (für die Familie) leisten kann. Allerdings legt sie auch Geld für sich zur Seite.

3.2.15 Marina erweiterte in den vergangenen Monaten wesentlich ihre Kompetenzen

Fachkompetenz: Selbstständige Ausführung der regelmäßigen Aufgaben und Tätigkeiten. Seit einigen Wochen erstellt sie ihren Wochenplan selbstständig.

Sozialkompetenz: Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen, Arbeitsaufträge annehmen, bei Unklarheiten nachfragen.

Individualkompetenz: Den Öffentlichen Nahverkehr nutzen, pünktlich zur Arbeit kommen, nicht mehr einnässen, bessere Körperpflege, telefonieren, verbal kommunizieren, mehr Selbstständigkeit, Wünsche äußern.

Im Rahmen der Persönlichen Assistenz, als wir auf dem zugefrorenen Plansee spazieren gehen, sagt Marina zu mir zum ersten Mal einen kompletten Satz.

"Aufpassen, es ist rutschig."

Marina am 11.01.2006

3.2.16 Sichtbare Veränderungen

Marina verändert sich in den vergangenen Monaten erstaunlich. Aus einem Mädchen mit so genannter "schwerer Behinderung", das die Rolle eines Kleinkindes erfüllt, wird eine Frau, die am ersten Arbeitsmarkt arbeitet und schrittweise Selbstständigkeit und Autonomie erlangt.

Marina - Mai 2005

Marina - November 2005

3.3 Arbeitsassistenz in der Praxis

3.3.1 Dragana wird berufstätig

Dragana ist 23 Jahre alt und sie ist die Schwester von Marina. Dragana wird ebenfalls integrativ unterrichtet. Sie spricht Serbokroatisch und relativ gut Deutsch. Berufserfahrungen kann sie bereits in einer Metzgerei sowie in der Küche eines Gastbetriebes sammeln, allerdings sind die Dienstverhältnisse nur von kurzer Dauer.

3.3.2 Eurospar Müller und Schennach

Im November 2004 beginnt Dragana, als Teilzeitkraft, eine vierwöchigen Arbeitserprob-ung. Während der Erprobung begleite ich Dragana als Jobcoachin. Bereits nach vier Wochen stellt sich heraus, dass Dragana in der Lage ist, als Vollzeitkraft eingesetzt zu werden. Ab Dezember wird sie in ein Dienstverhältnis übernommen.

Dragana ist für Mülltrennung und die Müllpresse zuständig. Weiteres muss sie Waren in die entsprechenden Regale räumen. Dabei muss sie die Regale säubern, darauf achten, dass die Artikelnummern mit dem Strichcode an den Regalen übereinstimmen, die Waren mit den Etiketten nach vorne einschlichten, sowie das Ablaufdatum prüfen.

Dragana kennt die Ziffern. Lesen kann sie eingeschränkt. Arbeitsaufträge muss man ihr in einfachen Worten, und oft mehrmals, erklären.

Nach einigen Wochen Jobcoaching kann die intensive Begleitung beendet und im Rahmen der Maßnahme Arbeitsassistenz weiter gearbeitet werden.

Kleine Problem

Im Besonderen gibt es Probleme mit der Kontinuität in der Arbeitsweise, sowie beim Grüßen der Kundinnen und Kunden. Ein weiterer Punkt, der viel Zeit beansprucht ist, dass Dragana lernen muss, wie sie auf Fragen der Kundinnen und Kunden zu reagieren hat. Wir üben "Standardsätze" um zu verhindern, dass sie die Kundschaft einfach "stehen" lässt.

Im Jahr 2005 muss ich drei Mal wegen kleiner Krisen in den Betrieb um mit Dragana, gemeinsam mit dem Arbeitgeber, Gespräche führen. Dabei handelt es sich um zuwenig genaues Arbeiten, nicht grüßen, Konflikte mit einem Kollegen, den Arbeitgeber ignorieren, bzw. eigenwilliges Ändern des Dienstplanes.

Mit der eigenwilligen Dienstplanänderung zeigt Dragana weitere Kompetenzen: Die Einteilung des Dienstes entspricht ihr nicht, so dass sie sich entschließt, ihren freien Tag an einem anderen Tag einzutragen, ohne Rücksprache mit dem Dienstgeber zu halten. Der Arbeitgeber war über diese Handlung verärgert. Trotzdem sind dadurch positive Entwicklungen und Fähigkeiten zu erkennen auf die weiter aufgebaut werden kann.

Die Interventionen und Gespräche haben sich immer gelohnt. Seit September 2005 besuche ich einmal pro Monat den Betrieb. Dragana ist immer pünktlich und erledigt ihre Arbeit zur Zufriedenheit des Arbeitgebers.

Dragana - Oktober 2005

3.3.3 Interview mit dem Arbeitgeber

Ich möchte in meinem Bericht das Interview mit Herrn Peter Müller, Arbeitgeber von Dragana, wiedergeben, das in der TAFIE - Vereinszeitung "respekt" zu lesen ist:

"Auf die Frage des Redakteurs nach den bisherigen Erfahrungen des Arbeitgebers:

Peter Müller: "Seit acht Jahren beschäftigen wir Menschen mit Handicap, derzeit sind zwei bei uns angestellt. Wir haben durchaus positive Erfahrungen gemacht. Es ist toll mit anzusehen, welche Entwicklung sie im Laufe der Zeit durchmachen. Wichtig ist, dass jeder seinen Aufgabenbereich hat. Nur wenn der Mensch mit "Behinderung" eine wertvolle und sinnvolle Arbeit tätigt, kann er sich weiterentwickeln...

Redakteur: Wirkt sich die berufliche Integration auch positiv auf das soziale Klima in Ihrem Unternehmen aus?

Peter Müller: Mit Sicherheit, weil meine Mitarbeiter merken, dass dies eine menschlich wichtige Aufgabe ist. Jeder ist dabei gefordert, auch der Mensch mit "Behinderung", der sich in die Gruppe und den Arbeitsalltag einfügen muss.

Redakteur: Hat sich bei Ihnen und Ihren Mitarbeitern das Bild von Menschen mit "Behinderung" verändert?

Peter Müller: Ja, auf alle Fälle. Ich war mir ursprünglich nicht hundertprozentig sicher, wie meine Kunden reagieren, weil im Lebensmittelhandel das persönliche Verhältnis sehr wichtig ist. Aber alle stehen der Integration sehr positiv gegenüber. Wenn man dann auch noch die hohe Qualität der Arbeit sieht, dann bekommt man eine ganz neue Sichtweise. Ich möchte sie jedenfalls nicht mehr missen.

Redakteur: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen bei der beruflichen Integration?

Peter Müller: Menschen mit "Behinderungen" brauchen sicher länger, bis sie eine strukturierte Arbeit in einem bestimmten Rhythmus machen können, die Einschulungsphase ist also am aufwendigsten. Aber wenn diese einmal geschafft ist, dann klappt es wirklich gut, weil diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter äußerst pflichtbewusst sind.

Redakteur: Wie reagierten die Kunden, hat es jemals Beschwerden gegeben?

Peter Müller: In all den Jahren sind niemals Beschwerden aufgetaucht. Ich glaube, dass die Menschen offener geworden sind. Der Begriff Integration ist heute absolut positiv besetzt.

Redakteur: Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den zuständigen Vereinen, Behörden wie TAFIE-Außerfern, AMS oder Bundessozialamt - und gibt es eventuell Ihrerseits Verbesserungsvorschläge?

Peter Müller: Ich war wirklich positiv überrascht, weil es überhaupt keine bürokratischen Erschwernisse gab. Mein einziger Wunsch wäre, dass die Menschen schon im Vorfeld noch mehr über die speziellen Anforderungen der jeweiligen Branche erfahren, weil jedes Unternehmen seine individuellen Arbeitserfordernisse hat. Ansonsten kann ich jedem Unternehmer nur empfehlen, die berufliche Integration zu probieren. Allein wegen der menschlichen Beziehungen ist es auf alle Fälle ein Versuch wert." (RESPEKT 2005, Ausgabe 1, 5)

Die Firma beschäftigt über 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bei der zweiten Person handelt es sich um einen jungen Mann der vor 6 Jahren vom Verein TAFIE in diesen Betrieb integriert wurde. Im Jahr 2004 wählten die Kundinnen und Kunden der Kaufmannschaft Reutte (umfasst ca. 80 Handelsbetriebe) diesen jungen Mann zum freundlichsten Verkäufer.

3.4 OASE 3

Im Projekt OASE 3 (Ohne Ausgrenzung selbst erleben) geht es darum, Jugendliche im Übergang Schule/Beruf zu begleiten.

Wie bereits in Punkt 2.3. ausführlich beschrieben, liegt der Kernbereich von OASE 3 in der Begleitung von Menschen mit sogenannten schweren "Mehrfachbehinderungen".

Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Vereins TAFIE begleiten mehrere Personen mit sogenannten schweren "Mehrfachbehinderungen".

Da ich nicht im OASE Team mitarbeite, mir aber die Darstellung der Erfahrungen wichtig ist, übernehme ich von der Projektleiterin Frau Mag.a Gertrud Köck das Beispiel von Ramazan in dem exemplarisch die wesentlichen bisherigen Erfahrungen gezeigt werden.

3.4.1 Ramazan bewältigt sein Leben unter schwierigsten Bedingung

Ramazan ist der erstgeborene Sohn einer türkisch stämmigen Familie die seit vielen Jahren in Österreich lebt. Ramazan kann nicht laufen, er hat schwere Entwicklungsstörungen, zeigt Stereotypien, weist selbstverletzendes Verhalten auf. Zum Schutz vor seinen eigenen Schlägen trägt er ständig einen Helm. Seine Ohren sind stark zertrümmert und immer wieder aufgeschlagen. Zahlreiche Krankenhausaufenthalte begleiten sein Leben. Er spricht nicht bzw. wird seine Art der Kommunikation nicht verstanden. Ramazan besucht zur Zeit des Kennenlernens die letzte Klasse einer Hauptschule die integrativ geführt wird, allerdings verbringt er viel Zeit isoliert. Danach wechselt er in die Polytechnische Schule.

Ramazan gilt als bildungsunfähig, sozial nicht zumutbar und er kann psychologisch nicht eingeordnet werden. Im Assistentinnen- und Assistententeam herrscht eine große Unsicherheit darüber, wie mit Ramazan gearbeitet werden kann und wo Ziele in der Begleitung liegen können.

Seine Familie, vor allem seine Mutter, ist oft an der Grenze des Leistbaren. Die Familie ist durch die Situation des Jungen doppelt isoliert. Zum einen ist sie eine aus der Türkei stammende Familie, zum anderen hat sie ein Kind mit sehr schweren "Behinderungen". Dies sind Voraussetzungen, die zu einer massiven sozialen Isolation der gesamten Familie führen. (vgl. KÖCK 2004, 1)

3.4.2 Den Rahmen für Unterstützende Assistenz bei Ramazan finden

Als das Assistentinnen- und Assistententeam Ramazan kennen lernt, bietet sich durch "OASE 3" die Möglichkeit, Ramazan über acht Wochen (Sommerferien) fünf Tage pro Woche zu je sieben Stunden individuell zu begleiten. Im Anschluss an die Ferien wird Ramazan jeweils vier Stunden am Nachmittag unterstützt, da er am Vormittag die Polytechnische Schule in Reutte besucht. Ramazan wohnt bei seiner Familie, so dass ein Teil der unterstützenden Assistenz dort stattfinden kann. Die andere Zeit wird in den TAFIE - Kursräumen und später zunehmend auch an öffentlichen Orten, wie z.B. Kaffeehäuser, verbracht. (KÖCK 2004, 2)

3.4.3 Eine Beziehung zu Ramazan aufbauen

Der erste Schritt liegt darin, Ramazan durch genaue Beobachtung kennen zu lernen und eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Dazu filmen die Assistentinnen und Assistenten ihr eigenes Handeln und reflektieren darüber. Sie lernen seine Kompetenzen und Fähigkeiten erkennen und diese als Ressourcen nutzen.

Am Beginn der Betreuung stehen für die Assistentinnen und Assistenten die selbstverletzenden Schläge im Mittelpunkt der Wahrnehmung. Den Helm, den Ramazan andauernd trägt, bildet ein weiteres Isolationsmerkmal. Die ohnehin nur kurzen Pausen zwischen den angebotenen Arbeitssequenzen bedeuten den Schrecken für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sobald niemand hinter Ramazan steht, um ihn aktiv an seinen Schlägen zu hindern, schlägt er sich derart massiv, dass es für die Assistenz oft unerträglich ist. Doch im Laufe der Zeit lernt das Assisteninnen- und Assistententeam die Reaktionsmuster von Ramazan genauer wahrnehmen. Das ist eine erste Voraussetzung, um gezielt und abgestimmt auf seinen Rhythmus, Tätigkeitsangebote machen zu können.

Ein stabiles Team bildet eine grundlegende Voraussetzung. Die Bereitschaft zu einer intensiven Zusammenarbeit, die Gewährleistung von Zuverlässigkeit und die Bereitschaft zur Reflexion und Selbstreflexion sind Voraussetzung, die ALLE Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereitstellen müssen. (ebd.)

3.4.4 Eine gemeinsame Sprache mit Ramazan finden

In Zusammenarbeit mit Dr. Kerstin Ziemen (Universität Innsbruck) wird ein Fähigkeits- und Kompetenzprofil im Sinne einer Rehistorisierenden Diagnostik begonnen. Dabei kristallisieren sich fehlende Dialog- und Kommunikationsmöglichkeiten als Grundproblem heraus.

Die Assistentinnen und Assistenten müssen herauszufinden, welche Art von Kommunikation Ramazan führen kann und will. Es werden ihm Gesten, Bilder und Symbole angeboten. Die Gesten kennzeichnen Beginn und Ende einer Handlung, sowie den zentralen Inhalt, wie z.B. "wir arbeiten jetzt", oder "wir machen Pause".

Mittels Bilder wird er auf die jeweilige Tätigkeit vororientiert. Ramazan hängt das Bild auf eine Tafel und nach Beendigung bringt er daneben ein Symbol für "fertig" an. Bald stellt sich heraus, dass er sich für die Bilder interessiert, die Gesten dagegen nur mäßig interessant findet. Die Bilder erkennt er bald sehr genau. Das zeigt sich z.B. als eine Mitarbeiterin die Haare schneiden lässt. Auf dem Foto ist sie noch mit langen Haaren abgebildet und so will er dieses nicht aufhängen. Wesentliche Zeichen, wie z.B. Gesten für "ja" und "nein", "Beginn" und "Ende" werden weiter beibehalten, da es sinnvoll scheint, diese Zeichen unabhängig von jedem anderen Kommunikationsmittel bei sich zu haben.

In einem weiteren Schritt lernt Ramazan Entscheidungen zu treffen. Er wählt zwischen den angebotenen Tätigkeiten aus und zeigt dies dem Assistententeam durch nehmen und aufhängen der jeweiligen Karte an der Tafel. (vgl. KÖCK 2004, 2)

Beispiel: Transportable Kommunikationstafel

Sommer 2004

Diese Tafel kann gut mitgetragen und an einem Tisch fixiert werden.

Kategorien: Name Klient, Name Assistent, Tätigkeit

Ablauf: "Ramazan und Josef gehen jetzt schwimmen". Jede Tätigkeit wird laut und rhythmisch vorgestellt und unmittelbar umgesetzt. Je unmittelbarer die Umsetzung erfolgt umso klarer ist der Zusammenhang zwischen gezeigtem Bild und Tätigkeit. So entsteht ein Bedeutungsinhalt.

Beispiel: Eine Wahl treffen lernen

Sommer 2004

Kommunikationstafel "Eine Wahl treffen"

Frage: "Was möchtest Du machen? Kerzen anschauen oder ein Linsenbad nehmen?" Wenn keines von beidem erwünscht ist, gibt es eine weitere Auswahl.

Das ist ein wesentlicher Schritt zur Selbstbestimmung mittels Kommunikation.

3.4.5 Wahlmöglichkeiten durch angemessene Angebote schaffen

Die praktische Arbeit mit Ramazan geschieht in Anlehnung an die "Substituierend Dialogisch-Kooperative Handlungs-Therapie - SDKHT" nach Prof. Dr. Georg Feuser, Bremen. Die Assistentinnen und Assistenten werden von Frau Univ. Dipl.-Behindertenpädagogin Heike Meyer-Egli (Schweiz) wissenschaftlich begleitet. Ohne diese wertvolle Unterstützung wäre die praktische Arbeit mit Ramazan in dieser Qualität nicht möglich.

Seriell aufbereitete Tätigkeiten stellen in der Begleitung von Ramazan eine wichtige Rolle dar. Tätigkeiten wie: Behälter einfüllen und leeren, Gegenstände legen und stecken, sowie die Zubereitung von Essen werden zu Beginn in 2:1 Begleitung realisiert. Zuerst werden die Angebote in möglichst kurzen Sequenzen angeboten. Dazwischen werden immer wieder Pausen notwendig (fünf Minuten Arbeit fünf Minuten Pause).

Sobald die Einzeltätigkeiten immer besser gelingen, werden diese verlängert und auch Arbeitsabläufe daraus entwickelt. Dazu eignen sich besonders gut das gemeinsame Zubereiten des Frühstücks, das Frühstücken selbst sowie das anschließende Wegräumen des Geschirrs. Ramazan erkennt bis zum Ende des Sommerprojekts den Ablauf genau und ist gelegentlich schneller als die Assistentin oder der Assistent. Da sich Ramazan von allen neuen Angeboten interessiert zeigt, kann das Repertoire kontinuierlich erweitert werden. Meist hinkt das Team mit Finden und Erfinden von neuen, angemessenen Angeboten hinterher.

Bereits nach Ablauf von etwa neun Wochen werden viele Tätigkeiten in Einzelbegleitung umgesetzt. Ramazan muss außerdem immer seltener seinen Helm tragen. Sobald er ein neues Angebot an Tätigkeiten hat, zeigte er sich interessiert. Er kann auf das selbst-verletzende Verhalten immer mehr verzichten. Er lernt aus den verschiedenen Angeboten auswählen und zeigt sich von dieser Möglichkeit sichtlich erfreut. (vgl. KÖCK 2005, 40)

3.4.6 Aufbau eines Kommunikationsordners: September 2005

Beispiel: Transportabler Kommunikationsordner

September 2005

Das System mit den Klettverschlüssen wurde beibehalten.

Der Ordner ist leicht zugänglich am Rollstuhl befestigt.

Das System ist flexibel, leicht zu ergänzen

September 2005

Einteilung in Kategorien und zuordenbare Farben: Personen, Orte, Arbeit, Freizeit, Selbstversorgung, Stimmung und Gefühle, Verschiedenes

3.4.7 Rückblickende Erkenntnisse

Ramazan ist inzwischen seit über zwei Jahren stabil. Er trägt während der Begleitung keinen Helm mehr. Solange er angemessene und sinnvolle Angebote bekommt, zeigt er kein selbstverletzendes Verhalten. Nicht nur während der Arbeit, sondern auch in den Pausen schlägt er sich nur noch ansatzweise. Er zeigt reges Interesse an allem was um ihn herum passiert. Bei der Arbeit kann er manchmal die vereinbarte Struktur selber übernehmen oder diese einfordern, wenn eine Assistentin oder Assistent zu nachlässig handelt. Z.B. vergaß eine Mitarbeiterin bei der Zubereitung von Popcorn, dieses nach dem Abfüllen in eine Plastikdose, anschließend in den für den Transport vorgesehenen Korb zu stellen. Ramazan schaute solange auf die Vororientierungskarte bis die Assistentin ihren Fehler bemerkte. Dann lachte er und fuhr mit dem Popcorn in den Nebenraum und verteilt sie an die dort wartenden Personen.

Durch das ansatzweise Verstehenlernen von Ramazan und das ständige Erkunden seiner Bedürfnisse sind die Assistentinnen und Assistenten dabei, mit Ramazan und seinem sozialen Umfeld (Eltern, Geschwister, Lehrer, Mitschüler) eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Damit ist ein erster Schritt aus der Isolation getan.

Auch Personen, wie Ärzte und Krankenschwestern, bestätigen diese Entwicklung. (vgl. KÖCK 2004, 3)

Ramazan macht großartige Entwicklungsschritte:

Ramazan bewegt sich vollkommen selbstständig am Boden liegend zu seinem Rollstuhl und setzt sich ohne Hilfe darauf.

Ramazan erledigt ganz ohne Hilfestellung Handlungsabläufe. So fährt er z.B. zum Schrank, holt sich ein Buch und blättert darin, wobei ihm ein Kalender von Gustav Klimt besonders gut gefällt.

Diese selbstständigen Handlungsabläufe sind von größter Bedeutung, denn dadurch ist zum ersten Mal die Basis für weitere Schritte in Richtung Integration in den Allgemeinen Arbeitsmarkt für einen jungen Mann, der als "schwerstbehindert" gilt, geschaffen.

3.4.8 Offene Fragen

Frage nach der Selbstbestimmung

Assistenz ist im Kontext der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung als Hilfe zur Bewältigung von Behinderung im Alltag entstanden und grenzt sich klar von bisherigen Hilfeleistungen ab. Die Übertragung der Eigenverantwortung und Selbstbestimmung auf die Betroffenen selbst ist Voraussetzung dieses Konzeptes. Eine Machtverschiebung ausgehend von der Fremdbestimmung hin zu Selbstbestimmung soll gewährleistet sein. Bestimmte Kompetenzen müssen bei der betroffenen Person verbleiben, wobei im Wesentlichen Personalkompetenz, Anleitungskompetenz, Finanzkompetenz, Organisationskompetenz und Raumkompetenz verstanden werden. (vgl. BIZEPS 2003, 8)

Als wir Ramazan kennen lernen, erkennen und begreifen wir, dass diese Form von Assistenzverständnis seinen individuellen Bedürfnissen auf keinen Fall gerecht werden kann.

Durch viel Engagement der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung für die existentiellen Rechte behinderter Menschen in Österreich finden diese immer mehr Anerkennung. Menschen, die als schwer (geistig) "mehrfachbehindert" gelten und unter schwierigsten isolierenden Bedingungen leben müssen, sind aber oft nicht konsequent mitgedacht. (vgl. FORCHER 2004)

"Innerhalb der Entwicklungspartnerschaft "MIM" kommt es immer wieder zu kontroversen Meinungen, nicht nur wenn es um die Umsetzung von Selbstbestimmung geht, sondern vor allem bei Diskussionen zu dem für "OASE 3" zentralen Thema: "Menschen in schwierigsten Lebenssituationen", "Nichts über uns ohne uns!" oder "Wir vertreten uns selbst!". Diese, von den People-First-Gruppen, vertretenen Werte stehen meist nur als Schlagworte mit wenig substantiellem Inhalt im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Die Bedeutung, wie für einen jungen Mann mit schwersten "Behinderungen" wie Ramazan, der unter gravierenden isolierenden Bedingungen leben muss, wird nicht verstanden und ist unklar.

Selbstbestimmung des Menschen findet in einem ständigen Aushandlungsprozess zwischen Individuum und Umwelt statt. Jeder eignet sich in einer ständigen Wechselbeziehung mit seinem sozialen Umfeld Wissen über die Welt an. So entdeckt jeder einen ständig sich verändernden Horizont. Der Mensch erfährt Alternativen, die ihm auf der Basis von sozialen Beziehungen die Selbstgestaltung seines Lebens ermöglicht. Durch kommunikative Prozesse können diese realisiert werden. Nur dann, wenn wir Ramazan verstehen und in der Lage sind mit ihm in einen Austausch zu treten, können wir ihn sinnvoll begleiten." (vgl. KÖCK 2004, 3)

Frage nach dem Wissenstransfer

"Eine große Schwierigkeit liegt darin, dass wenig praktisches Wissen zur Verfügung steht, wenn es um die Arbeit mit Menschen wie Ramazan geht. Solange der Wissenstransfer von der Ebene der Universitäten zur Handlungsebene nicht garantiert ist, ist die Gefahr groß, dass die Grenzen der Möglichkeiten eines Teams in der Unterstützung zu den Grenzen für die betroffene Person werden. Inklusion wird erst durch die praktische Anwendbarkeit von theoretischem Wissen auch für Ramazan Wirklichkeit werden." (KÖCK 2004, 3)

3.4.9 Praktische Konsequenz

Die Erfahrungen innerhalb unseres Vereins zeigen, dass jede Mitarbeiterin und Mitarbeiter, (Geschäftführer, Pädagogische Leitung, Sekretärin, ...) durch die praktische Arbeit selber in Beziehung zu jenen Menschen treten muss, die uns ihr Vertrauen geben. Dies wird im TAFIE-Außerfern als verbindliches Arbeitsprinzip mit jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter verankert. So kann annähernd sichergestellt werden, dass Unterstützende Assistenz nicht an den betroffenen Personen und ihren Bedürfnissen vorbeigeplant wird.

Die Verstehende/Rehistorisierende Diagnostik wird vor allem in Zusammenarbeit mit Menschen, die als "schwer mehrfach behindert" gelten bzw. über keine eigene Lautsprache verfügen, als hilfreich erlebt.

Die Rehistorisierende Diagnostik zielt darauf ab, die Vielfalt der konkreten Lebens-Prozesse wahrzunehmen und auch innerhalb des diagnostischen Prozesses zu bewahren, das heißt insbesondere die lebendige Wirklichkeit nicht in elementare Komponenten aufzuspalten. Dabei werden die verschiedenen Ebenen des Menschseins, biologisch-psychisch-sozial, und ihre Verhältnisse zueinander berücksichtigt, wie auch die Tatsache, dass es auf der Basis von isolierenden Lebensbedingungen zu einem veränderten Verhältnis zu sich selbst, zu anderen und auch zur wirklichen Welt gekommen ist, was letztlich wiederum als Kompetenz unter den gegebenen Lebensbedingungen und Lebensgeschichten betrachtet werden muss. Ziel der Rehistorisierenden Diagnostik ist es, eine Lebensgeschichte zu rekonsturieren um Bedingungen für die Entwicklungen heraus zu finden. Mit dem Betroffenen gemeinsam wird die konkrete Lebenssituation betrachtet und mögliche Perspektiven entwickelt. (vgl. KÖCK 2005, 35)

Abschließende Gedanken von Projektleiterin Mag.a Gertrud Köck

"Erstaunlich ist, dass durch die regelmäßige Begegnung, das nötige Fachwissen, die praktische Begleitung und Reflexion unseres eigenen Handelns, sich unser Bild über Ramazan verändert. Es tritt gewissermaßen ein Perspektivenwechsel in unserer Wahrnehmung ein. Zuerst gilt die Konzentration fast ausschließlich den selbstverletzenden Schlägen. Je besser wir Ramazan kennen und verstehen lernen, umso mehr erkennen wir seine eigentlichen Fähigkeiten und Kompetenzen". (vgl. KÖCK 2004, 4)

1Der Begriff "Unterstützende Assistenz" wird im Rahmen von OASE 3 als Arbeitsbegriff verwendet, da herkömmliche Assistenzbegriffe und damit einhergehende Modelle auf der Handlungsebene nicht ausreichend den hier fokussierten Personenkreis berücksichtigen und aus dem Grund eine Justierung des Begriffs notwendig macht, die letztlich keinen Menschen ausschließt.

3.5 Finanzielle Förderungen

Der Einstieg ins Berufsleben für Menschen mit "Behinderungen" wird durch unterschiedliche Förderungen erleichtert.

Das BASB leistet in unterschiedlichen Bereichen finanzielle Unterstützung. Im Bereich der beruflichen Integration ist man bemüht, durch die Integrations- und Arbeitsplatz-Sicherungsbeihilfe zur Chancengleichheit für Menschen mit "Behinderungen" beizutragen. Voraussetzung dafür ist, dass die Personen nach dem Sonderschullehrplan unterrichtet werden, bzw. zum Kreis der begünstigt behinderten Personen zählen.

Weitere finanzielle Beihilfen: Ausbildungsbeihilfen, Lohnkostenzuschüsse, Einstellungsbeihilfen, Mobilitätsförderung, Orthopädische und Prothetische Behelfe, Technische Arbeitshilfen und Vieles mehr.

Das AMS anerkennt eine Eingliederungsbeihilfe, in der Regel 50% der Lohnkosten inkl. Lohnnebenkosten, zu. Diese Förderung kommt Personen zugute, die nicht zum Kreis der begünstig behinderten Personen zählen und läuft maximal zwei Jahre.

Landeszuschuss: Arbeitsplatzsichernden finanziellen Zuschuss für Personen, die nicht zum Kreis der begünstig behinderten Personen zählen, bereits in einem Arbeitsverhältnis stehen und die AMS Förderungen ausgelaufen sind.

3.6 Kündigungsschutz

Es gibt Betriebe die sich davor scheuen, Menschen mit "Behinderungen"" einzustellen. Grund dafür ist häufig die falsche Information zum Kündigungsschutz. Die Arbeitgeberin, der Arbeitgeber denkt, die Arbeitnehmerin, den Arbeitnehmer nicht kündigen können, falls es zu Problemen am Arbeitsplatz kommen sollte. Deshalb möchte ich die Regelung des Kündigungsschutzes wiedergeben: Die Kündigung einer begünstigt behinderten Person kann erst ausgesprochen werden, wenn der bei der jeweiligen Landesstelle des Bundessozialamtes eingerichtete Behindertenausschuss zugestimmt hat. Die Zustimmungsgründe sind im Behinderteneinstellungsgesetz beispielhaft aufgezählt. Während der ersten 6 Monate eines Dienstverhältnisses besteht kein Kündigungsschutz. In besonderen Ausnahmefällen kann einer ausgesprochenen Kündigung nachträglich die Zustimmung erteilt werden. Bei allen sonstigen Arten der Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses gelten dieselben Bestimmungen wie bei jedem anderen Dienstverhältnis. Als Begleitmaßnahmen bietet das Bundessozialamt Betreuung und Beratung sowie Fördermaßnahmen an, um das durch die Kündigung gefährdete Dienstverhältnis zu erhalten. (vgl. BASB, 1, Online im Internet)

4 RESÜMEE

4.1 Kritische Bemerkungen

4.1.1 Schulintegration und Schulpolitik in Tirol

Die vom Bezirk Reutte ausgehende gesellschaftspolitische Arbeit hat landes- und bundesweit für viele Menschen mit "Behinderungen" Veränderungen hinsichtlich ihrer Selbstbestimmung gebracht. Eltern aus dem gesamten Bundesgebiet wenden sich an den Obmann des Vereins TAFIE-Außerfern, Heinz Forcher, wenn es um die Durchsetzung der Rechte für ihre Kinder geht. Es ist leider noch nicht überall selbstverständlich, dass Kinder ihre Standortschule besuchen können und integrativ unterrichtet werden.

Mich verwundert, bzw. finde ich es empörend, dass Lehrpersonen sich gegen Integration an ihrer Schule aussprechen können. Sie verstoßen gegen Gesetze und müssen keine Konsequenzen befürchten!

Stellen wir uns vor eine Dienstnehmerin oder Dienstnehmer aus einem andern Bereich würde Arbeitsaufträge ablehnen? Wie lange würde sie ihren oder er seinen Job behalten?

Die Erfahrungen im Außerfern zeigen, dass Integration von schwerst-mehrfach behinderten Kindern möglich ist. Es gab und gibt allerdings auch Schwierigkeiten und Unzufriedenheit in den Klassen. Die Lösungsvorschläge von Seiten der Schule scheinen ganz einfach. "Die Behinderten" dürfen nur im Turn- Werk- Koch- oder Musikunterricht in der Klassengemeinschaft sein, denn sonst, so die Begründung, lernen die "Anderen" in den "Hauptfächern" zuwenig.

Mit Sicherheit schaffen nicht die "Integrationskinder" die Probleme, sondern vielmehr sind es Einsparungen und zu geringe Entwicklungsmöglichkeiten auf Seiten der Lehrerinnen und Lehrer, mit denen die Schulen zu kämpfen haben.

Es ist meiner Meinung nach eine Fehlentwicklung wenn Kinder aufgrund von fehlenden Ressourcen separiert werden. Die Klassengemeinschaft, in ihrer individuellen wie sozialen Zusammensetzung, hat ein Recht auf gute Bildung.

Es wäre die Aufgabe der Schulen und Schulbehörde, sich mit den politisch Verantwortlichen auseinanderzusetzen und entsprechenden Rahmenbedingungen und Ressourcen zu fordern. Die Integration im Außerfern hat österreichweit Vorbildfunktion, trotzdem bedarf es in vielen Bereichen einer Qualitätsverbesserung, insbesondere für Kinder mit "schwermehrfach Behinderungen".

Und eine Tatsache finde ich unfassbar und skandalös:

Von Seiten der Schulaufsicht und Lehrerbildungsinstituten gibt es keinerlei Einschulungs- Begleitungs- und Unterstützungsmaßnahmen.

Dank sehr engagierter Einzelpersonen in den unterschiedlichen Bereichen wurde im Bereich der schulischen Integration sehr viel erreicht.

Die Schülerinnen und Schüler, die integriert unterrichtet werden, wollen ihren Weg in der beruflichen Integration fortsetzen. Durch die Möglichkeit eine integrative Berufsausbildung zu machen, sind auch die Berufsschulen gefordert Maßnahmen zu setzen, die einen hochwertigen Unterricht gewährleisten.

4.2 Positive Erfahrungen im Bereich Beruflicher Integration

Der Verein TAFIE-Außerfern hat seit 1996 ca. 90 Personen mit SPF bzw. "Behinderungen" auf den Ersten Arbeitsmarkt integriert. Die Erhebungen des BASB von 2000 bis 2005 belegen, dass von allen vermittelten Personen 2 Personen einen Pensionsvorschuss und eine Person saisonbedingt Arbeitslosengeld beziehen. Alle anderen Personen, die von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verein TAFIE-Außerfern auf den Ersten Arbeitsmarkt vermittelt wurden, stehen in einem Dienstverhältnis.

Diese sehr erfreuliche Bilanz wäre ohne die vielen Klein- und Mittelbetriebe, die seit Jahren Menschen mit "Behinderungen" in ihren Betrieben integrieren, nicht möglich.

Ein positives Beispiel im Bereich Öffentliche Verwaltung sei hier erwähnt: Die Marktgemeinde Reutte beweist seit Jahren, dass Integration von Menschen mit "Behinderungen" möglich ist. Bei 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt die Marktgemeinde im Durchschnitt 7 Personen mit "Behinderungen" (Sommersaison 10 Personen, Wintersaison 5 Personen).

Auch bei der Integration von "schwer mehrfach behinderten" Menschen übernimmt die Marktgemeinde Reutte ihre Verantwortung:

Seit beinahe einem Jahr arbeitet Ramazan jeden Donnerstagvormittag in der Marktgemeinde. Er vernichtet Akten. Es ist geplant, dieses Projekt auch auf andere Verwaltungseinrichtungen auszuweiten. In diesem Bereich ist noch vieles möglich. Es wäre wünschenswert, wenn weitere Körperschaften diesem sehr positiven Engagement der Marktgemeinde Reutte folgen würden.

Außerferner Nachrichten, Nr. 48, 2005

4.3 Neue Erkenntnisse

In der Auseinandersetzung mit dem Thema Übergang Schule - Beruf im Rahmen meiner Diplomarbeit habe ich folgende neue Erkenntnisse erlangt:

Marco Siegrist, Andreas Hinz und Kerstin Ziemen beleuchten die Bedeutung von Arbeit und Arbeitslosigkeit. Aus all den Artikeln wird klar, dass Arbeitslosigkeit für die betroffenen Personen, ob "behindert" oder "nicht behindert", dieselben Auswirkungen hat.

Für alle Menschen ist Erwerbsarbeit mit materieller Lebenssicherung verbunden, durch die Strukturierung des Alltages kann sich die Person zeitlich wie räumlich leichter orientieren, Kommunikationsmöglichkeiten außerhalb des gewohnten Umfeldes zu haben ist von großer Bedeutung und nicht zuletzt ist Erwerbsarbeit mit Anerkennung und sozialer und gesellschaftlicher Stellung verbunden.

Vision einer inklusiven Gesellschaft:

Der Respekt vor der Würde des Menschen, alleine aufgrund seines Menschenseins, ist Grundlage für eine inklusive Gesellschaft.

Dazu ist die Grundhaltung jeder und jedes Einzelnen Voraussetzung, die politischen und sozialen Rahmenbedingungen so zu verändern, dass der Mensch in seinem Menschsein, wahrgenommen und respektiert wird.

Die Aufgabe, die sich der Verein TAFIE-Außerfern gestellt hat, ist die Veränderung von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und nicht die "Behandlung" also Veränderung der Menschen mit "Behinderungen".

Abschließend möchte ich mich bei folgenden Personen für die Unterstützung und das Vertrauen herzlich bedanken

Maximilian, Marina, Dragana, Ramazan und deren Eltern für das Einverständnis, in dieser Arbeit über sie zu berichten.

Bei meiner Praxisanleiterin, Mag.a Gertrud Köck, die mich sehr mit ihrem Fachwissen unterstützt.

Beim Vorstand des Vereins TAFIE-Außerfern, der mir ermöglicht, die Ausbildung zur Dipl. Behindertenpädagogin zu machen.

5 LITERATURVERZEICHNIS

ASTL, Roland: Von der Schule zum "Pädagogischen Ressourcenzentrum", unveröffentlicht Hausarbeit im Rahmen der Weiterbildungslehrgänge des Pädagogischen Institutes des Landes Tirol, Reutte, 2001

BIZEPS: Bizeps - Behindertenberatungszentrum, Ein BIZEPS-Ratgeber, Wien 2003

BUNDESMINISTERIUM, für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz: Clearing 2002 Jahresbericht, Wien 2003

BUNDESAMT FÜR SOZIALES UND BESCHÄFTIGUNG, Landsstelle Tirol: Jahresbericht 2004, Wien 2005

FIRLINGER, Beate: Buch der Begriffe, Integrations:Östereich, Wien 2003

FORCHER, Heinz: Kluge Kompetenz unveröffentlichter EQUAL Antrag Pkt. 6, 2004

HINZ, Andreas: Ein Versuch des WeiterDenkens unveröffentlichter Vortrag "Inklusion und Arbeit - wie kann das gehen?" im Rahmen der Abschlusstagung MIM, Breitenwang 2005

KÖCK, Gertrud: IntegrationsforscherInnentagung, Projektbeschreibung, TAFIE-Außerfern intern, 2004

KÖCK, Gertrud: Mensch im Mittelpunkt, Herausforderung Unterstützung - Perspektiven auf dem Weg zur Inklusion. Berufliche Integration für ALLE - Neue Weg der Unterstützung Verein TAFIE-Außerfern, 2005

MENSCH IM MITTELPUNKT: Berufliche Integration für ALLE - Neue Wege der Unterstützung, Verein TAFIE-Außerfern, 2005

NIEDERMAIR, Claudia: Wir wollen arbeiten. Vortrag: Integration von Menschen, die am Arbeitsmarkt von Ausgrenzung bedroht sind, Tiroler Tage der Beschäftigung, Innsbruck 2002.

SIEGRIST, Marco: Persönlichkeitsentfaltung - Bildungsarbeit mit arbeitslosen Menschen, Handbuch für Kursleiterinnen und Kursleiter, Stiftung Arbeitsgestaltung, Uster 2005

RESPEKT: TAFIE-Außerfern Vereinszeitung, Ausgabe 1/2005

TAFIE-Außerfern: TAFIE-Außerfern Projekt OASE, unveröffentlichtes Konzept 1999, Lechaschau 2003

ZIEMEN, Kirsten: Arbeit und Behinderung, unveröffentlichter Vortrag im Rahmen einer internen Fortbildung, TAFIE Außerfern, 2004

ZIEMEN, Kirsten: Menschen, die unter schwierigsten Bedingungen leben, TAFIE-Außerfern Vereinszeitung RESPEKT, Ausgabe 1, Lechaschau 2005

6 INTERNETVERZEICHNIS

BUNDESAMT FÜR SOZIALES UND BESCHÄFTIGUNG: Behindertenmilliarde

Online im Internet: URL: http://www.basb.bmsg.gv.at/cam/basb/details.htm?channel=CH01 [Stand: 26.11.2005]

BUNDESAMT FÜR SOZIALES UND BESCHÄFTIGUNG: Kündigungsschutz nach dem Behinderteneinstellungsgesetz. Online im Internet: URL: http://www.basb.bmsg.gv.at/cms/basb/detail.html?channel=CH04 [Stand: 05.02.2006]

BUNDESMINISTERIUM, für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz: Probleme am Arbeitsplatz/Arbeitsassistenz. Online im Internet:URL:http://www.basb.bmsg.gv.at/cam/basb/details.htm?channel=CH0056&do. [Stand: 30.11.2005]

DER BROCKHAUS IN FÜNFZEHN BÄNDEN Definition Arbeit: Leipzig- Mannheim 1997. Online im Internet: URL: http://www.archiv-grundeinkommen.de/definition/arbeit.htm [Stand 25.11.2005]

FEUSER, Georg: Basistherapeutische Arbeit im Konzept der SDKHT, Online im Internet:

URL:http://www.feuser.uni-bremen.de/aktuell/SDKHT%20Handout%202%20Basisvortrag.pdf [Stand 16.02.2006]

WIKIPEDIA: Behinderung Online im Internet: URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Behinderung#Erweiterte_Sicht [Stand 25.11.2005]

Quelle:

Margit Dablander: Berufliche Integration. Übergang Schule - Beruf am Beispiel des Vereins TAFIE Außerfern

Diplomarbeit am Bildungszentrum für Sozialberufe der Caritas Lehranstalt für Heilpädagogische Berufe. Innsbruck, 2006

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 13.11.2006

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