Unterstützte Kommunikation in der Praxis

Autor:in - Ursi Kristen
Themenbereiche: Psychosoziale Arbeit
Textsorte: Zeitschrift
Releaseinfo: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 4/5/2000, Praxis in der Heftmitte S. 1-11. Thema: Die Kultur der Vielfalt Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft (4/5/2000)
Copyright: © Ursi Kristen 2000

Was ist "Unterstützte Kommunikation"?

"Unterstützte Kommunikation" möchte kommunikationsbeeinträchtigen Menschen so früh wie möglich mehr Chancen für eine effektivere Verständigung und dadurch auch für mehr Entwicklungschancen geben. Für die betreffenden Menschen bedeutet der Einsatz von Unterstützter Kommunikation, dass sie mehr Einflussomöglichkeiten auf ihre Umwelt ausüben können und damit auch bedeutend mehr Lebensqualität erfahren.

"Unterstützte Kommunikation" ist die deutsche Bezeichnung für den international anerkannten Fachbereich "AAC" (Augmentative and Alternative Communication). Durch die Tätigkeit der International Society for Augmentative and Alternative Communication (ISAAC) wurde das Konzept seit 1990 auch in deutschsprachigen Ländern bekannt. Heute finden, angeregt durch ISAAC, regelmäßige Fortbildungen, Tagungen oder Benutzertreffen statt, bei denen ein intensiver Erfahrungs- und Informationsaustausch über diesen Fachbereich möglich ist.

Ab wann sollte Unterstützte Kommunikation eingesetzt werden?

Während man früher ein gewisses Entwicklungsniveau für den Einsatz von "Unterstützter Kommunikation" voraussetzte, nimmt man heute an, dass "Unterstützte Kommunikation" geeignet ist, um überhaupt erst die notwendigen Bedingungen für eine Anregung der Sprachentwicklung bei Kindern mit einer Behinderung zu schaffen. Die Anzahl von Missverständnissen kann schon zu einem frühen Zeitpunkt nachweislich verringert und die Chancen für positive Kommunikationserfahrungen erhöht werden. Das heißt, man kann gar nicht früh genug mit dem Einsatz von Kommunikationshilfen anfangen.

Welche Erfahrungen mit Unterstützter Kommunikation sind bekannt?

Die meisten der bisher vorliegenden Erfahrungs- oder Einzelfallberichte stammen, bezogen auf deutschsprachige Veröffentlichungen, überwiegend aus dem pädagogisch-therapeutischen Arbeitsfeld der Schulen für Körperbehinderte. Sie bestätigen, dass eine Veränderung des Interaktionsverhaltens der Gesprächspartner und der Einsatz von individuellen Kommunikationshilfen bei körperbehinderten Menschen zu einem wesentlich besseren Kontakt führen können. In der letzten Zeit wurden jedoch auch zunehmend Erfahrungen mit Kindern und Erwachsenen mit schweren geistigen Behinderungen bekannt.

Besonders autobiographische Texte zeigen, dass der Einsatz von "Unterstützter Kommunikation" kommunikationsbeeinträchtigte Menschen aus ihrer sozialen Isolation befreien kann (vgl. Maiwald 1992, Sienkiewicz-Mercer/Kaplan 1991). Da wo "Unterstützte Kommunikation" zur Anwendung kommt, wird für die betroffenen Menschen eine erweiterte Teilhabe am sozialen Leben und eine größere Selbstbestimmung ermöglicht.

Wie funktioniert "Unterstützte Kommunikation"?

Im Mittelpunkt von "Unterstützter Kommunikation" steht das Bestreben, Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen mit unzureichender oder fehlender Lautsprache so früh und so oft wie möglich zu erfolgreichen Kommunikationserfahrungen zu verhelfen. Dabei werden als Ergänzungen oder als Ersatz der Lautsprache körpereigene Kommunikationsmöglichkeiten und ebenso der Einsatz von nichtelektronischen oder elektronischen Kommunikationshilfen genutzt. Gleichzeitig sieht das Konzept auch eine umfassende sonderpädagogisch-therapeutische Begleitung vor, die insbesondere eine förderliche Art der Interaktionsgestaltung und Gesprächsführung durch die Partner betont.

Eine Kommunikation über die Lautsprache wird dabei nicht ausgeklammert, sondern bleibt weiterhin das Ziel jeglicher Bemühungen. Bei Menschen mit einer Körperbehinderung kommt es jedoch häufig vor, dass sie auch nach jahrelanger sprachtherapeutischer Förderung nicht oder nur kaum in der Lage sind, sich über die Lautsprache zu verständigen. Es hat sich bewährt, wenn begleitend zu einer logopädischen Förderung auch Maßnahmen von Unterstützter Kommunikation eingesetzt werden.

Wer braucht Unterstützte Kommunikation?

Bei Tetzchner/Martinsen (1992) werden drei Zielgruppen unterschieden:

1. "Unterstützte Kommunikation" als Hilfsmittel des expressiven Ausdrucks

Damit sind Menschen gemeint, die Lautsprache verstehen können, die sich aber selbst nur unzureichend über die Lautsprache ausdrücken können. In diesem Fall dient der Einsatz als Hilfsmittel des expressiven Ausdrucks. Bei Menschen mit einer Körperbehinderung können wir in der Regel von dieser Ausgangssituation ausgehen. In der Praxis ist es die Regel, dass die betreffenden Personen meistens lebenslang eine Hilfestellung nach dem Konzept der Unterstützten Kommunikation benötigen.

2. "Unterstützte Kommunikation" als Ergänzung zur Lautsprache oder als Entwicklungsanregung

Dies bezieht sich auf Menschen, die zwar sprechen können, deren Sprache aber, besonders für unvertraute Personen, kaum verständlich ist. Diese Zielgruppe benötigt zur Verständigung mit fremden Personen oder in einer fremden Umgebung zusätzliche Hilfsmittel. Aber es sind auch Kinder gemeint, die eine Sprachentwicklungsverzögerung aufweisen und bei denen sowohl der Erwerb der Lautsprache als auch die Entwicklung des Symbolverständnisses angeregt werden soll.

3. "Unterstützte Kommunikation" als Ersatzsprache

Hierbei geht es um Menschen, für die die Lautsprache als Kommunikationsmedium zu komplex erscheint. Als Ursache werden kognitive Beeinträchtigungen vermutet. Die Kommunikation über Alternativen zur Lautsprache steht hierbei im Mittelpunkt der Überlegungen. Zum Beispiel Menschen mit einer schweren geistigen Behinderung können durch den Einsatz von ausgewählten Gebärden lernen, wichtige Wünsche und Bedürfnisse mitzuteilen.

Für eine genaue Abklärung, ob bei einer Person der Einsatz von "Unterstützter Kommunikation" geeignet ist, wird grundsätzlich empfohlen, eine Beratungsstelle für Unterstützte Kommunikation aufzusuchen. Es gibt mittlerweile einige Beratungsstellen dieser Art in Deutschland, in denen ratsuchende Eltern oder andere Bezugspersonen Hilfe und Anregungen für den Einsatz von Kommunikationshilfen und für die Gestaltung einer förderlichen Interaktion erhalten können (vgl. Kristen 1999, Schneider/Rohrmann 1999). Eine entsprechende Liste kann bei der ISAAC-Geschäftsstelle angefordert werden.

Welche Bedeutung hat die Haltung der Gesprächspartner bei Unterstützter Kommunikation?

Menschen mit einer Behinderung können vieles von dem, was sie beschäftigt, ängstigt oder bewegt, oft nicht in einer differenzierten Form ausdrücken. Bei einer oberflächlichen Beobachtung und Haltung der Bezugsperson kann es leicht zu einer Fehleinschätzung kommen. Nichtsprechende Menschen beklagen sich immer wieder darüber, dass sie von anderen falsch beurteilt oder gar für "dumm" gehalten werden. Für die betroffene Person bedeuten solche Situationen, dass sie sich nicht ernst genommen und nicht verstanden fühlt. Als Folge entwickeln sich in einzelnen Fällen ungewöhnliche Formen der Kommunikation, die wir mit "Verhaltensauffälligkeiten" bezeichnen. Gleichzeitig müssen wir auch davon ausgehen, dass die wiederholten Erfahrungen von Hilflosigkeit die Motivation zur Kommunikation erheblich negativ beeinflussen.

Ein erster Schritt für eine bessere Verständigung ist die Bereitschaft der Bezugspersonen, im Kontakt mit nichtsprechenden Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen auf eine bewusstere Art "zuhören" zu lernen. In diesem Zusammenhang hat es sich bewährt, wenn die Haltung der Bezugsperson am personzentrierten Ansatz von Rogers (vgl. Rogers 1981, Kristen 1998) ausgerichtet ist.

Im Kontakt mit kommunikationsbeeinträchtigten Menschen haben sich darüber hinaus einige grundlegende Interaktionsregeln und Strategien der Gesprächsführung als besonders förderlich erwiesen.

  • Alle kommunikativen Signale sollten beantwortet werden

  • Eine unmittelbare und direkte Rückmeldung ist erforderlich

  • Die Aufmerksamkeit der nichtsprechenden Person muss beobachtet werden

  • Eigene Beobachtungen und Vermutungen sollen formuliert werden

  • Der nichtsprechenden Person im Kontakt so weit wie möglich die Führung überlassen

  • Für eine Initiative, Reaktion oder Antwort ausreichend Zeit lassen

Welche Bedeutung hat der Einsatz von lautsprachbegleitenden Gebärden bei Unterstützter Kommunikation?

Wenn von den Bezugspersonen in einem Gespräch oder im Unterricht lautsprachbegleitende Gebärden benutzt werden, so kann das u.a. sehr positive Auswirkungen auf den Verständigungsprozess haben. Sobald wir entweder alle Wörter oder aber nur Schlüsselwörter zusätzlich gebärden, verlangsamen wir unser Sprachtempo. Dies erleichtert das Verstehen der Mitteilungen für unsere Partner und hilft bei der inhaltlichen Gliederung und Erschließung der Aussage. Gebärden unterstützen die Lautsprachentwicklung bei Kleinkindern, weil die Kinder den Sinn und die Bedeutung gesprochener Sprache über die Gebärde besser nachvollziehen können (Wilken, 1999)

Selbst bei Menschen mit einer Körperbehinderung ist der Einsatz von Gebärden sehr zu empfehlen. Zumal die Betreffenden selber auch bei starken Bewegungseinschränkungen versuchen, sich zusätzlich auch über Gesten und Gebärden mitzuteilen. Der Einsatz von lautsprachbegleitenden Gebärden kann somit eine gute Anregung sein, eigene Gebärden weiter auszudifferenzieren.

Wie werden körpereigene Kommunikationsformen bei Unterstützter Kommunikation bewertet?

Viele Menschen, die sich nur unzureichend über die Lautsprache verständigen können, nutzen ganz gezielt Blickbewegungen, Mimik, Laute oder andere körpereigene Kommunikationsformen, um sich mitzuteilen. Um diesen Personen die Rückmeldung zu geben, dass ihre kommunikativen Bemühungen bemerkt werden, ist es besonders wichtig, im Kontakt mit ihnen, diesen Ausdrucksformen verstärkt Beachtung zu schenken und sie als intentional aufzufassen. Auch wenn die damit verbundene Intention häufig nicht sofort oder nicht genau erfasst wird, so kann sich doch das Kind/der Jugendliche oder der Erwachsene durch eine entsprechende Reaktion der Bezugsperson beachtet und ernst genommen fühlen. Er erlebt sich so verstärkt als Urheber von Reaktionen und Handlungen. Besonders im Hinblick auf den Einsatz von externen Kommunikationshilfen ist diese Erfahrung eine wichtige Voraussetzung.

Körpereigene Kommunikationsformen sind z.B.:

  • Blickbewegungen

  • Lautsprachreste

  • Vokalisierungen

  • Mimik

  • Zeigegesten

  • konventionelle oder individuelle Gebärden

  • konventionelle oder individuelle Zeichen für "Ja" oder "Nein"

  • individuelle Signale oder Signalsysteme

Bei Menschen mit einer schweren Körperbehinderung können die körpereigenen Kommunikationsmöglichkeiten allerdings auch sehr begrenzt oder sehr subtil und damit schwer interpretierbar sein. Mimische Äußerungen können durch unwillkürliche Muskelbewegungen verzerrt und Gebärden oder Gesten können aufgrund motorischer Beeinträchtigungen kaum eingesetzt werden.

Welche externen Kommunikationshilfen sind bekannt

Bei den externen Kommunikationshilfen wird zwischen

  • nichtelektronischen und

  • elektronischen Hilfen unterschieden.

Die Gruppe der nichtelektronischen Hilfen

Alle Arten von individuellen Symbol- oder Fotomaterialien zählen zu den nichtelektronischen Kommunikationshilfen. Die Präsentation kann in unterschiedlichsten Formen realisiert werden:

  • einzelne Fotos mit Text

  • einzelne Kommunikationstafeln mit Symbolen oder Fotos in Form von Sichthüllen oder laminiert

  • Kommunikationsordner oder -buch

  • in der Form von einzelnen Symbol-, Wort- oder Fotokarten

  • als klapp- bzw. faltbare Tafel

  • durch Benutzung sogenannter Telefonkartenbücher oder Visitenkartenbücher

usw.

In den Katalogen von Firmen für Büroartikel finden sich eine Menge brauchbarer Produkte, angefangen von Sichthüllen mit Reißverschluss bis hin zu Tischflipcharts, die für den AAC-Bereich sehr gut verwendet werden können.

Auch ein Kommunikationstagebuch, in dem bedeutsame Alltagserlebnisse des Kindes eingetragen und durch Fotos und Symbole ergänzt werden, kann eine wichtige Kommunikationshilfe sein (vgl. Kristen 97, b).

Wie findet man das passende Vokabular?

Grundsätzlich sollte das Vokabular eine Spiegelung der tatsächlichen Lebensumstände und der wesentlichen Bedürfnisse bzw. Wünsche des betreffenden Menschen sein. Anhaltspunkte können Gespräche mit den Angehörigen/Eltern und Beobachtungen im Alltag sein. Untersuchungen über Gesprächsthemen bei Kinder z.B. haben ergeben, dass Kinder in der Regel bevorzugt über Personen, Spielzeug, Nahrungsmittel, Spiele, Tiere, Werkzeuge und Ereignisse sprechen (vgl. Marvin et al. 1994).

Bei der Auswahl von passenden grafischen Abbildungen zur Erstellung einer Kommunikationstafel kann auf bestehende, käuflich erwerbbare Symbolsammlungen zurückgegriffen werden (vgl. Franzkowiak 1994, ISAAC-Liste). Grundsätzlich ist es möglich, die Abbildungen verschiedener Sammlungen zu mischen und durch Grafiken anderer Quellen (z.B. aus der Produktwerbung) zu ergänzen.

Man unterscheidet zwischen Thementafeln und allgemeinen Tafeln. Thementafeln werden für einzelne Themenbereiche hergestellt, z.B. eine Tafel mit Symbolen für das Thema "Essen", für´s "Kochen", für die "Lieblingslieder" oder eine gezielte Auswahl für das Thema "Arztkoffer".

Allgemeine Tafeln enthalten häufig Fotos und Namen wichtiger Bezugspersonen, Ortsbezeichnungen, Tätigkeiten, Gefühle und Eigenschaften. Ergänzend können Symbole für andere Bereiche, z.B. für Zeiten, Fragen und für die Gesprächssteuerung hinzukommen.

Ob bei einer Person mit 2 oder 15 Bildern angefangen wird, ist abhängig von der individuellen Ausgangslage. Bei der Entscheidung über die Anzahl, Größe und Gestaltung der Symbole müssen die jeweiligen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsleistungen der Person berücksichtigt werden. Dies erfordert meistens einen längeren Zeitraum der Beobachtung, Dokumentation und eine enge Absprache mit den Bezugspersonen, den Eltern und den beteiligten Fachdiensten, wie z.B. Ergotherapie und Krankengymnastik.

Als Vorbereitung für den Einsatz von Symbolen können bei Kindern Bilderbücher oder Fotosammlungen in verschiedenen Größen dienen. Die Reaktionen des Kindes auf die Abbildungen geben Hinweise auf sein Symbolverständnis, auf bevorzugte Inhalte oder Themen und auf die notwendige Größe der Abbildungen.

Sobald Fotos oder Symbole z.B. in Form von Kommunikationstafeln vorhanden sind, ist es unbedingt wichtig, dass sie der betreffenden Person auch ständig zur Verfügung stehen. Die Umsetzung dieser Forderung ist bei einem Nutzer mit Rollstuhl meistens einfach zu realisieren, indem direkt auf dem Rollstuhltisch eine Kommunikationstafel, z.B. unter einer Plastikscheibe angebracht wird. Auf diese Weise kann man jemand zumindest mit einem Grundvokabular versorgen. Falls es weitere Kommunikationshilfen gibt, sollte auf dieser Grundtafel ein Hinweis angebracht werden, damit sie eingefordert werden können.

Kommunikationstafeln haben den Vorteil, dass sie relativ billig, leicht und schnell herzustellen und ziemlich robust sind. In der Anwendung setzen sie allerdings die Aufmerksamkeit und unmittelbare Nähe einer Bezugsperson voraus.

Welche Elektronischen Kommunikationshilfen gibt es?

In den letzten Jahren hat sich das Angebot an elektronischen Kommunikationshilfen für nichtsprechende Menschen stetig vergrößert. Inzwischen werden eine große Anzahl von interessanten, computerunterstützten tragbaren Kompaktgeräten angeboten, die entweder eine natürliche oder/und eine synthetische Sprachausgabe aufweisen. Besonders für körperbehinderte Kinder kann der Einsatz einer elektronischen Hilfe eine wichtige Ergänzung des gesamten Kommunikationssystems darstellen (vgl. Weidt-Goldschmidt 1994; Kristen 1996). Aber auch bei erwachsenen schwerbehinderten Menschen kann der Einsatz einer computerunterstützten Kommunikationshilfe ihre Kommunikationsmöglichkeiten beträchtlich erweitern (vgl. Petersen 1999).

Bei einer elektronischen Hilfe können gespeicherte Aussagen durch Tastendruck abgerufen werden. Diejenigen Benutzer, die lesen und schreiben können, können über Buchstaben Wörter und Sätze bilden und durch das Gerät aussprechen. Benutzer ohne Schriftsprachkenntnisse können über Bilder oder Ikonen gespeicherte Inhalte aktivieren. Die gewünschten Inhalte können unter einer Taste oder unter Tastenkombinationen abgespeichert werden. Es ist heutzutage möglich, auch bei Menschen mit einer schweren Körperbehinderung jegliche Art von externen Tastern zur Bedienung dieser Geräte zu nutzen.

Eine vorhandene Sprachausgabe ermöglicht es dem Benutzer, dass er sich auch unabhängig von der Aufmerksamkeit der Gesprächspartner mitteilen kann. Im Gegensatz zu Kommunikationstafeln ist die direkte Nähe der Bezugsperson nicht notwendig, sondern es kann auch über eine gewisse Entfernung oder z.B. über ein Telefon Kommunikation stattfinden. Allerdings erfordern computerunterstützte Geräte in der Regel auch eine aufwendige Einarbeitungszeit und sie sind bedingt durch die komplizierte Technik wesentlich störungsanfälliger.

Eine elektronische Hilfe kann das vorhandene Kommunikationssystem eines Menschen auf sehr sinnvolle Weise ergänzen. Meistens wird erst eine elektronische Hilfe eingesetzt, wenn bereits eine Kommunikation über körpereigene Formen und ergänzende nichtelektronische Hilfen gefestigt ist. In Einzelfällen kann aber auch ausschließlich eine elektronische Hilfe genutzt werden. In diesem Zusammenhang ist es sehr ratsam, wenn vor der endgültigen Entscheidung eine Beratungsstelle für Unterstützte Kommunikation aufgesucht wird.

Welche diagnostischen Aspekte sind bei Unterstützter Kommunikation zu beachten?

Die Anwendung von "Unterstützter Kommunikation" erfordert eine Reihe von diagnostischen Prozessen, damit die geplanten und umzusetzenden Maßnahmen direkt auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten des Betroffenen und seines Umfeldes abgestimmt werden können.

Zunächst müssen die gegenwärtigen Kompetenzen einer Person eingeschätzt werden. Dabei ist es wichtig, dass alle nahen Bezugspersonen an einer sogenannten Ist-Analyse beteiligt werden. Die Grundlage können z.B. Teamgespräche, Elterngespräche, Videoanalysen und Hausbesuche sein. Es ist sehr nützlich, wenn über die Ergebnisse eine ausführliche Dokumentation angelegt wird, die alle notwendigen Aspekte berücksichtigt.

Ergänzend sind ebenfalls die motorischen und perzeptiven Kompetenzen einer Person bei der Planung von "Unterstützter Kommunikation" zu berücksichtigen. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit den beteiligten Fachdiensten (Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie). Besonders wichtig ist die Schaffung einer stabilen und gesicherten Ausgangsposition bei Personen, die einen Rollstuhl haben. Dies ist die Grundlage für den Einsatz vieler Kommunikationshilfen, z.B. bei der Benutzung von externen Tastern im Zusammenhang mit dem Einsatz einer elektronischen Kommunikationshilfe.

Wie bringt man jemand die Verwendung einer Kommunikationshilfe bei?

Im nächsten Schritt wird überlegt, in welchen Situationen und durch welche Maßnahmen eine Verbesserung der Kommunikation erreicht werden kann. Dazu gehören auch Überlegungen, wie im Alltag vermehrte Gelegenheiten zur aktiven Kommunikation geschaffen werden können und welche Kommunikationshilfen hierzu benötigt werden. Außerdem ist es notwendig zu prüfen, inwieweit die Bezugspersonen überhaupt ausreichende und adäquate Kommunikationsangebote machen. Besonders geeignet hierzu sind die Auswertungen von Videosequenzen aus dem Alltagsgeschehen (vgl. Herrmann 1999). Eine weitere Möglichkeit bietet die Analyse von Einstellungen und Werthaltungen der unmittelbaren sozialen Umwelt nach dem "Partizipationsmodell" (vgl. Lage u.Antener 1999).

Man darf nicht erwarten, dass die bloße Existenz z.B. einer Kommunikationstafel oder eines Talkers schon ausreicht, dass sie von dem Benutzer auch eingesetzt werden. Es ist vielmehr nötig, dass die Bezugspersonen zunächst Vorbilder sind, indem sie die jeweilige Kommunikationshilfe selber so oft wie möglich benutzen. Auf diese Weise kann ein Nutzer nicht nur nach und nach das Vokabular erlernen, sondern er lernt auch die entsprechenden Gelegenheiten zur Kommunikation zu nutzen (vgl. Andres 1999).

Gleichzeitig ist in den meisten Fällen auch ein gezieltes Training der Kommunikationspartner hilfreich. Die Nutzer von Kommunikationshilfen brauchen kompetente Bezugspersonen bzw. Fachkräfte, die ihnen ausreichend Chancen zur Kommunikation und damit zur aktiven Teilhabe ermöglichen. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben uns gezeigt, dass die besten Kommunikationshilfen nichts nützen, wenn die Gesprächs- oder Interaktionspartner nicht gelernt haben, was "Unterstützte Kommunikation" überhaupt ist und wie man mit kommunikationsbeeinträchtigten Menschen umgeht. Neben der Teilnahme einzelner MitarbeiterInnen an Fortbildungen und Seminaren über "Unterstütze Kommunikation" bieten sich für eine solche Weiterqualifizierung auch Veranstaltungen für eine ganze Einrichtung an. Langfristig ist zu erwarten, dass die Inhalte von Unterstützter Kommunikation auch in den deutschsprachigen Ländern in den Ausbildungsrichtlinien relevanter Berufsgruppen (LehrerInnen, ErzieherInnen, ErgotherapeutInnen, LogopädInnen etc.) aufgenommen werden.

Weitere Informationen über Unterstützte Kommunikation sind erhältlich bei der:

ISAAC-Geschäftsstelle

Am Berge 7

34454 Arolsen

Tel.: 05691/912726

Fax: 05691/912724

Literatur

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Die Autorin

Ursi Kristen, geb. 1948, Sonderschullehrerin, Tätigkeit in einer Beratungsstelle für Unterstützte Kommunikation und an einer Schule für Körperbehinderte. Lehrbeauftragte an verschiedenen Hochschulen zu dem Thema "Unterstützte Kommunikation". Supervision, Fachberatung und Fortbildungen für Mitarbeiter von Einrichtungen der Rehabilitation. Autorin des Buches "Praxis Unterstützte Kommunikation" sowie von Zeitschriftenbeiträgen.

Beratungsstelle für Unterstützte Kommunikation

Wallstadterstr. 40

68526 Ladenburg

Ursi.Kristen@t-online.de

Quelle:

Ursi Kristen: Unterstützte Kommunikation in der Praxis

Erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 4/5/2000; Reha Druck Graz Praxis in der Heftmitte S. 1-11

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 05.08.2010

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