Vorwort - Selbstbestimmung und Kooperation

Autor:in - Josef Fragner
Themenbereiche: Selbstbestimmt Leben
Schlagwörter: Selbstbestimmung, Kultur, Dialog
Textsorte: Zeitschrift
Releaseinfo: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 3/4/2001 ; Thema: Empowerment und Selbstbestimmtes Leben Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft (3/4/2001)
Copyright: © Josef Fragner 2001

Vorwort - Selbstbestimmung und Kooperation

Beeinträchtigungen oder Behinderungen können wir als Zustände erhöhter Verwundbarkeit beschreiben, die es erschwert, Beziehungen dauerhaft einzugehen und dialogisch zu gestalten.

In der Tat ist es entscheidend, ob jemand mit seinem privaten Schicksal hadert oder manches scheinbar Private zur öffentlichen Sache macht und es dadurch möglich wird, sich gegenseitig zu unterstützen, neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen, also in einen (öffentlichen) Dialog einzutreten.

Das Empowerment-Konzept propagiert eine "neue Kultur des Helfens", wobei der Betroffene "Experte in eigener Sache" sein soll. Selbstbestimmung gilt als oberstes Prinzip des Empowerment.

Susanne Helm listet die Prinzipien in ihrem Beitrag auf:

  • Vertrauen in die Fähigkeiten des Einzelnen, sein Leben in eigener Regie zu gestalten

  • Vertrauen in die Fähigkeit des Einzelnen, Krisen zu meistern

  • Unbedingte Annahme des Anderen

  • Verzicht auf etikettierende, entmündigende und denunzierende Expertenurteile

  • Respekt vor der Sicht des Anderen und seinen Entscheidungen

  • Orientierung an der Rechte-Perspektive, Bedürfnislage und Lebenszukunft der Betroffenen

  • Beachtung der Lebenswelt und sozialen Ressourcen

  • Respekt vor der Selbstverantwortung des Einzelnen

Da zur Zeit die neoliberale Terminologie in jede Ritze eindringt und oft einen differenzierten, kritischen Dialog verhindert, weil viele schöne Worte im new speak herumgeistern, ist zumindest auf die Kehrseite des Wortes Selbstbestimmung hinzuweisen. Das Paradigma der "Selbstbestimmung", das sich so schön in den Individualisierungsschub des Zeitgeistes einordnen lässt, steht zumindest in Gefahr, die Beziehungsdimension zu verhindern.

Selbstbestimmung ist als Mindeststandard unbedingt erforderlich! Wir sind in weiten Teilen der täglichen Arbeit meilenweit davon entfernt. Doch Selbstbestimmung allein führt nicht automatisch zu empathischem und solidarischem Verhalten.

Solidarisches Verhalten entsteht in gemeinsamer Kooperation, in der jeder die Chance erhält, ohne kollektive Abstufungen sich in seinen eigenen Leistungen und Fähigkeiten als wertvoll für die Gemeinschaft zu erfahren.

Integriert ist jemand, der gebraucht wird. Dazu ist es notwendig zu erfahren und zu entdecken, dass jeder Mensch ein ebenbürtiger und gleichwertiger "Kultur-Träger" wie "Kultur-Schöpfer" (D. Fischer) ist.

Josef Fragner

Chefredakteur

Quelle

Josef Fragner: Vorwort - Selbstbestimmung und Kooperation

Erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft. Nr. 3/4/2001; Reha Druck Graz, S.1

http://bidok.uibk.ac.at/library/beh3-4-01-fragner-vorwort.html

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 22.02.2005

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