QM + LQ - eine Vernunftsehe?

Ein kritischer Streifzug durch die Welt des Managements

Autor:in - Volker Reinhard
Themenbereiche: Psychosoziale Arbeit
Textsorte: Zeitschrift
Releaseinfo: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 2/00; Thema: Den Dialog suchen Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft (2/2000)
Copyright: © Volker Reinhard 2000

QM + LQ - eine Vernunftsehe[1]?

Die Einführung von Qualitätsmanagementsystemen in sozialen Einrichtungen zielt darauf ab, Lebensqualität zu steigern. Der Weg scheint vorgezeichnet: vom Hilfebedarf über die Leistungs- und Qualitätsbeschreibungen zu den Prüfkriterien. Es entsteht der Verdacht, dass man die ohnehin kaum fassbare Kategorie "Qualität" mit "Quantität" verwechselt oder schlichtweg gleichsetzt. Fragen selbständiger Lebensgestaltung und die Ausbildung der dem Menschen eigenen Fähigkeiten bleiben in diesen Systemen unbeantwortet.

Die hohlsten Nüsse machen,

wenn man auf sie tritt,

die größten Geräusche.

Martin Walser



[1] QM = Qualitätsmanagement; LQ = Lebensqualität

Vorab

Der vorliegende Beitrag greift ein Thema auf, dessen lauter Klang wohl größtenteils verhallt sein dürfte, der jedoch sicher noch allen Beteiligten im Ohr ist. "Qualitätsmanagement" in die sozialen Einrichtungen" lautete die durchs Land tönende Parole. Man versprach sich davon neben enormen Kosteneinsparungen optimierte, auf höchstem Niveau ablaufende Arbeitsprozesse. Die bei dem Wort "Einsparungen" oftmals erschrockenen Heimbewohner und deren Angehörige (bzw. auch besorgte Mitarbeiter) wurden mit der Verheißung zu beruhigen versucht, mit "Qualitätsmanagementsystemen" werde gleichzeitig eine "gesteigerte Lebensqualität" ins Haus einziehen.

Im Rahmen eines Hauptseminars wurde ich (zusammen mit einer nicht kleinen Zahl interessierter Kommilitonen) von Herrn Dr. Dieter Fischer erstmals und brandaktuell für eine mögliche Problematik sensibilisiert und durch viele fruchtbare Denkimpulse angeregt, das Thema "Lebensqualität" im Zusammenhang mit Qualitätsmanagement im sozialen Bereich zum Thema meiner Zulassungsarbeit zu machen.

Der hier vorgesehene "Streifzug" soll einige wesentliche Grundgedanken meiner Arbeit und besonders die wichtigen Aspekte aus Seminarsitzungen und Gesprächen mit Dr. Dieter Fischer widerspiegeln. Eine dabei auffallende Erscheinung bei der Beschäftigung mit diesem Thema stellte die Fremdheit der Begriffe aus dem Jargon der Betriebswirtschaft dar, die plötzlich das soziale Feld zu bestimmen schienen. Schon deshalb lohnt es sich, diese näher zu beleuchten und zu hinterfragen. Die sich anschließenden Ausführungen sollen deshalb zuerst einmal einen groben Überblick über die durch gesetzliche Änderungen entstandene neue Situation im "sozialen Bereich" ermöglichen. Anschließend werden einige der wichtigsten begrifflichen Gegensätzlichkeiten von Betriebswirtschaft und "sozialem Bereich" herausgearbeitet, um letztlich den Zusammenhang von "Lebensqualität" und "Qualitätsmanagement" zu vertiefen.

"Neue Besen kehren gut"

Über ein Jahr ist vergangen, da mit dem 1.1.1999 die gesetzliche Änderung des §93 des BSHG in Kraft getreten ist. Die Neufassung des Gesetzestextes besagt im Wesentlichen, dass eine soziale Einrichtung verpflichtend ab diesem Datum mit ihrem Träger (oder Dachverband) "eine Vereinbarung über Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen sowie über die dafür zu entrichtenden Entgelte" zu treffen hat. Bestehen solche genau definierten Vereinbarungen seit Anfang 1999 nicht, ist der Träger der Sozialhilfe nicht weiter zur Übernahme von Aufwendungen verpflichtet.

Unter §93 a Abs. (1) (BSHG) finden sich Mindestvorgaben über den Inhalt bzw. die wesentlichen Elemente dieser Vereinbarungen. So sind die "wesentlichen Leistungsmerkmale festzulegen, mindestens jedoch die betriebsnotwendigen Anlagen der Einrichtung, der von ihr zu betreuende Personenkreis, Art, Ziel und Qualität der Leistung, Qualifikation des Personals sowie die erforderliche materielle und personelle Ausstattung". Auffallend bei diesen Gesetzestexten erscheint, dass stets die Beschreibung und Einhaltung von Mindestvorgaben betont wird, was darauf schließen lässt, dass die bewusstgewordene Ressourcenknappheit offensichtlich maßgeblichen Einfluss auf die Neugestaltung der Gesetze hatte. Besonders deutlich zeigt sich dies im letzten Satz des gleichen Absatzes (§93): "Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten."

Auch in bezug auf den Rückgriff sozialer Einrichtungen auf Qualitätsmanagementsysteme (ursprünglich aus dem Wirtschaftsbereich bzw. Ingenieurswesen), findet sich eine Erklärung in der Neufassung von §93:

"Die Träger der Sozialhilfe vereinbaren mit dem Träger der Einrichtung Grundsätze und Maßstäbe für die Wirtschaftlichkeit und die Qualitätssicherung der Leistungen, sowie für das Verfahren zur Durchführung von Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen."

"Wesentliche Leistungsmerkmale" - sogenannte "Mindeststandards" - müssen also vereinbart und genau beschrieben sein. Von dieser Forderung verspricht man sich mehr Transparenz und somit auch eine erleichterte Überprüfbarkeit der vielschichtigen "Prozesse" innerhalb einer Einrichtung. In jedem Fall muss die Leistung den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit genügen.

"Qualitätszirkel" erstellen "Qualitätshandbücher"

Erinnert man sich an das Jahr 1998, so dürfte den vielen im sozialen Bereich Tätigen noch das rege Treiben in den verschiedenen Einrichtungen vor Augen sein; schließlich rückte der Termin des 1.1.1999 unaufhaltsam näher. Besprechungen und Fortbildungen hochqualifizierten Personals fanden in verstärktem Maße statt, um schließlich auch im eigenen Hause sog. "Qualitätszirkel" bilden zu können. Diese sind der Ort, an dem die Prozesse und Leistungen der Einrichtung vom Personal genau beschrieben und optimiert werden sollen, um sie schließlich schriftlich im "Qualitätshandbuch" der Einrichtung festzuhalten.

Ein solches "Qualitätshandbuch" dient nicht nur dem Träger zur (gesetzlich geforderten) Einsichtnahme, sondern es soll darüber hinaus auch dem "Kunden" einen Einblick in die Vorgänge und Zielsetzungen des Hauses gewähren.

Beim Lesen eines solchen "Qualitätshandbuches" fällt es nicht immer leicht, Assoziationen zu einem Hochglanzwerbeprospekt zu verdrängen. Dies verwundert insofern nicht, als hier ja auch optimierte Strukturen und Prozesse beschrieben sind, die ein zufriedenstellendes Ergebnis in Folge einleuchtend erscheinen lassen. So scheint mit der in Struktur, Prozess und Ergebnis unterteilten Qualitätsbeschreibung ein sehr anschaulicher Überblick über die einzelnen Momente von den Voraussetzungen bis zu den Auswirkungen einer (Dienst-) Leistung gegeben zu werden. Was jedoch leicht übersehen werden mag, ist der Umstand, dass sowohl die Struktur als auch der Prozess der Leistungserbringung stets von Normgrößen und mehr von quantitativen als qualitativen Vorgaben ausgeht und niemand wirklich nach den individuellen Bedürfnissen des betroffenen Menschen fragt. Dieser Missstand fällt womöglich gerade deshalb unter den Tisch, weil in der Spalte "Ergebnis" stets die Zufriedenheit und die Befriedigung von Bedürfnissen als (anscheinend unweigerliche) Tatsache schon festgeschrieben sind (vgl. VKELG 1995, 19-43). Leicht entsteht dann nämlich der Eindruck, als sei diesen Darstellungen - herausgearbeitet quasi als "rundes Ganzes" - nichts Wesentliches mehr hinzuzufügen, geschweige denn Anmerkungen kritischer Art.

In vielen Fällen scheint - möglicherweise aufgrund des vorherrschenden Zeitdrucks - ein grundsätzliches Hinterfragen der Darstellbarkeit der vielschichtigen "Prozesse" im sozialen Bereich entschieden zu kurz gekommen zu sein.

Im Gegensatz zu dieser Vermutung wird allerdings im folgenden Zitat umso deutlicher, dass große Bemühungen um eine nachvollziehbare Ressourcenverteilung und somit eine Berechnungsgrundlage bestehen:

"Es gibt eine transparente und diskutierbare Deduktionslinie: Vom Hilfebedarf über die Leistungs- und Qualitätsbeschreibungen zu den Prüfkriterien." (ebd. 1995, 3)

Die Qualität der Angebote sollen sich schließlich - ebenso wie die Philosophie der Einrichtung - anhand der "Qualitätsprüfkriterien" konkret beschreiben lassen. Auch diese Darstellungen erwecken den Verdacht, dass man die ohnehin kaum fassbare Kategorie der Qualität mit Quantität verwechselt oder schlichtweg damit gleichgesetzt hat. Eine mögliche Begründung bestünde darin, dass man sich - von der Not des Zeitdrucks und der leeren Kassen getrieben - messbare Größen schaffte, um damit besser hantieren zu können.

Dass auf diese beschriebene Weise wesentliche Inhalte von Qualität - gerade auch von Lebensqualität - gezwungenermaßen "weggekürzt" werden, macht die Sache zu einer (zwanghaft) begradigten, nahezu monotonen Angelegenheit, die ihre Probleme damit haben dürfte, dem Bemühen um ein menschenwürdiges Vorgehen nachkommen zu können.

So kann beispielsweise eine Angabe über die Zimmergröße in Quadratmetern zwar Aufschluss über äußere Bedingungen geben, über die ohnehin im Wesentlichen nur subjektiv erfahrbare Qualität sagen diese Daten jedoch sehr wenig bis nichts aus. Lebensqualität - in diesem Fall in Form von Wohnqualität - kann nicht durch eine bestimmte Quadratmeterzahl "eingefangen" und erst recht nicht verbindlich gewährleistet werden. Ankreuzmöglichkeiten für die Bewohner (bzw. deren Betreuer!) in Fragebögen wie z.B. "ausreichend groß", "funktionell", "hinreichend", "entspricht dem allgemeinen Standard", "intakt" oder "angemessen" zeugen von einer sachlichen Kühle, die unter Umständen jegliche Gemütlichkeit im Nu einzufrieren vermag.

Ich möchte nicht den Eindruck entstehen lassen, die Absicherung eines Mindestmaßes an Ausstattung für einen Menschen kritisieren zu wollen. Natürlich braucht jeder Mensch eine Lebensbasis in vielerlei Hinsicht.

Aber ist es nicht ein eher trauriges Zeichen unserer Zeit bzw. unserer Gesellschaft, wenn wir dafür in unseren sozialen Einrichtungen solch kostspielige Instrumentarien in Form von "Aufbau- und Ablauforganisationen" (Sliepenbeek 1998) in Gang bringen müssen, um "Mindeststandards" sichern zu wollen? Es wird zumindest propagiert, dass dies der Sinn und Zweck der Einführung eines Qualitätsmanagementsystems sei.

"Böse Zungen" behaupten, die Dinge könnten sich schnell verkehren und verselbstständigen, sich gegen jegliche gute Absichten wenden. Spinnt man diesen Gedanken weiter, dann wäre ein Qualitätsmanagement eine "vorzügliche" Gewährleistung dafür, dass die beschriebenen Leistungen - nach den (oben zitierten) Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit - nicht über normierte Standards hinausgehen. Wäre es in diesem Fall dann nicht ehrlicher, von Höchststandards statt von Mindeststandards zu sprechen? Oder anders formuliert: Macht das Wörtchen "Mindest" überhaupt noch Sinn, wenn sowieso nicht mehr gezahlt wird? Eine solche zur "Standardleistung" verkümmerte (Dienst-)Leistung steht einer würdigen Entwicklung und Lebensgestaltung des (davon meist abhängigen) Menschen unter Berücksichtigung seiner Individualität schroff gegenüber.

Ein weiterer Gesichtspunkt für die Unangemessenheit bezüglich dieser standardisierten Festlegung einer Leistung, ist die Tatsache, dass in sozialen Einrichtungen welcher Art auch immer Menschen mit Menschen arbeiten, dass ihr Tun unmittelbar auf das Wohl der ihnen anvertrauten Menschen ausgerichtet ist. Zwischenmenschliches Handeln kann nie nach einem festgelegten Schema ablaufen. Wichtigste Determinante für ein Gelingen ist die in das Geschehen eingebrachte Verantwortung beider Seiten, vom Leistungserbringer wie auch dem Adressaten.

"Dienstleistung versus Dienen?"

Da das Verständnis einer "Dienstleistung" offensichtlich den Schlüssel zur aufgezeigten Problematik darstellt, möchte ich im Folgenden etwas näher auf diesen Begriff - der sich ja aus den beiden Worten "Dienen" und "Leisten" zusammensetzt - eingehen. Zudem stellt die "Dienstleistung" das zentrale "Produkt" von "Dienstleistungsunternehmen" dar, zu denen sich eben neuerdings auch soziale Einrichtungen zählen.

Zunächst soll vor allem das "Dienen" im Vordergrund stehen. Interessant scheint mir hierbei, dass "Dienen" in seiner ursprünglichen Wortbedeutung mit dem heute im marktwirtschaftlichen Sinn gebrauchten Terminus nur noch wenig zu tun hat. Aufschlussreich ist die Tatsache, dass "dienen" im etymologischen Wörterbuch von einem germanischen Substantiv mit der Bedeutung "Diener, Gefolgsmann" (Duden 1963, 109f) abgeleitet ist. Es bedeutet soviel wie "Knecht sein" und wird im gegenständlichen Sinne auch für "gebraucht werden, (jemandem) nützen" verwendet (ebd.). Im Lauf der Zeit entstand das Verb "dienern", was "eine Verbeugung machen" bezeichnet. Interessant in Bezug auf die Geste des "Klein-Machens" ist, dass "Dienen" stets im Zusammenhang mit "Demut" zu sehen ist (vgl. Pfeifer 1989, 269 / Duden 1963, 109/ Schütz 1992, 223). "Demut" wird dort als Bescheidenheit und Bereitschaft zum Dienen definiert.

Während bei den Erklärungen zum "Dienen" die Bedeutung des "Klein-Machens" eher ein Zeichen äußerer Haltung darstellt, so eröffnet "Demut" offensichtlich eine wesentlich komplexere und existentiellere Dimension eines "Dienstes", wobei auch die innere Haltung des Handelnden an Bedeutung gewinnt. Im "Praktischen Lexikon der Spiritualität" ist dieser Zusammenhang anschaulich formuliert:

"Wille und Fähigkeit zum Dienen sind [...] reines Geschenk und in keiner Weise Eigenleistung, [...]. Der Mut zu dienen - die De-Mut - hat sein Wahrheitsmerkmal und sein Gütezeichen somit darin, dass jene, die anderen dienen wollen, selbst willens und fähig sind, sich als bedürftig, als hilflos und vom Dienst anderer abhängig zu verstehen und zu verwirklichen" (Schütz 1992, 233).

Nun könnte man angesichts der Tatsache, dass "Demut" oft sehr schnell mit dem negativ besetzten Verb "demütigen" im Sinne von "quälen" oder "erniedrigen" in Verbindung gebracht wird, annehmen, es wäre kaum erstrebenswert, den Willen und die Fähigkeit zur Demut zu besitzen. Außerdem dürfte es schwer fallen, Demut als "Geschenk" wahrhaben zu können, wenn folgendes nicht verstanden wird:

"In Wirklichkeit aber ist mit Demut eine zutiefst positive und für einen [...] Menschen höchst nötige Haltung gemeint, sodass Demut nicht einfach eine "Tugend" neben anderen ist, sondern die Grundhaltung des Menschen für sein Zusammenleben mit den Menschen [...] meint" (ebd.,213). Folglich hat die innere Haltung oder "Grundhaltung des Menschen" etwas mit dessen Selbstverständnis zu tun, und schließlich damit, wie er auf andere Menschen zugeht bzw. welchen Stellenwert er diesen bzw. sich selbst im Zusammenhang mit einer "Dienstleistung" zuschreibt.

Im folgenden soll ein vertiefter Blick auf die Gegensätzlichkeiten von "Diakonie" und "Service" geworfen werden, um die ursprüngliche Bedeutung von "Dienen" deutlicher herauszustellen.

Dienstleistungen zwischen "Diakonie" und "Service"

Der von dem griechischen Wort "diakonia" abstammende Begriff der "Diakonie" beschreibt den Dienst am Mitmenschen in christlicher Nächstenliebe (vgl. Duden 1963, 108). Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass man auch Bezeichnungen für Ämter und Berufe, die ihre unmittelbare Aufgabe in diesem sozialen Bereich haben, aus diesem Wortstamm ableitete (z.B. "Diakonisse", "Diakon", ...). Darüber hinaus hat die evangelische Kirche ihrer Organisation der Dienste am Menschen den Namen "Diakonie" gegeben (vgl. adäquat dazu in der kath. Kirche die "Caritas", was soviel bedeutet wie "Fürsorge").

Wahrscheinlich sollte gerade die Wahl des Namens zum Ausdruck bringen, von welcher Gesinnung die Institution getragen und belebt wurde. Im Mittelpunkt stand das Wohl des "Nächsten", ihn als ein von Gott geliebtes Geschöpf zu begreifen und zu achten.

Kein Mensch wäre wohl in diesem Zusammenhang auf die Idee gekommen, seinen "Dienst" in Rechnung zu stellen, bzw. den "Dienst" von einem "Ver-Dienst" abhängig zu machen. Vielmehr sah man den Dienst am Nächsten als Geste der Menschlichkeit und letztlich als einen Dienst für Gott; das Handeln war also primär religiös motiviert.

Demgegenüber steht der Begriff "Dienstleistung", der mittlerweile über große Strecken durch den Terminus der "Serviceleistung" ersetzt wird, was für den einen oder anderen eleganter klingen oder sich wo möglich auch besser "verkaufen" lassen mag. Auch fehlt dem Wort "Service" der Beigeschmack der Verbindlichkeit. Mitmenschliche Nähe ist kein Muss für die Erbringung einer Serviceleistung. Verpflichtungen, die nicht vertraglich vereinbart werden konnten, entfallen.

... und das gehört zum "Service":

Das lateinische "servire" bedeutet soviel wie "Sklave sein" oder "Knecht sein". Obwohl bekanntermaßen ein Sklave unentgeltlich arbeiten musste, hat sich dennoch aus diesem Wort mit der ursprünglichen Bedeutung des "Be-Dienens" das "Ver-dienen" entwickelt (vgl. Scheffler 1987. 71).

Demnach besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen einer "Service-Leistung" und dem Aspekt des "Geld- Verdienens".

Über den Umweg des englischen Wortes "Service" wurde der Begriff schließlich eingedeutscht und hat seinen festen Platz nicht nur innerhalb der Betriebswirtschaft eingenommen. Wie viele andere Begrifflichkeiten auch, erfährt "Service" in unserer Sprache mittlerweile einen höheren Stellenwert als beispielsweise sein deutsches Synonym "Dienst". Zumindest klingt es wertneutraler und ist nicht mit der Vorstellung des "In-die-Pflicht-genommen-Seins" bzw. des "Kleinmachens" gekoppelt. Assoziationen mit Verdienst oder Profit sind dagegen schon wahrscheinlicher und ein naheliegender Grund für die Bevorzugung dieses Wortes (vgl. Schorlemmer in: MANGOLD 1997, 23f).

Die oben angestellten Überlegungen zeigen, dass sich Bedeutungen verschoben haben. So wird "Dienstleistung" wie selbstverständlich mit "Serviceleistung" gleichgesetzt. Von dem eigentlichen "Dienst" im Sinne der "Diakonie" scheint heute über große Strecken nicht mehr viel übrig geblieben zu sein. Das ursprüngliche "Dienen", das einer Kultur der Verbundenheit und des Bezogenseins entspringt, hat sich häufig bis zur Unkenntlichkeit aufgelöst. Friedrich Schorlemmer bemerkt hierzu treffend: "Wir leben in einer Gesellschaft, in der der "Anspruch", also das Ansprüchestellen zur Lebensmaxime geworden ist, hinter der die Tugend des Dienens - weithin belächelt - fast völlig zurücktritt. Dienen ist außer Mode." (ebd. 23f)

Das "neue" Serviceteam

Die genaue Struktur sowie die oft bis ins kleinste Detail organisierten und festgelegten Prozesse von Einrichtungen, die mit einem "Qualitätsmanagementsystem" arbeiten, lassen deutlich Prioritäten erkennen: Durch die geschaffene Transparenz wird dem Betrieb eine bessere Führung und Kontrolle seiner Mitarbeiter ermöglicht; Kreativität erscheint mit Blick auf die zahlreichen Festschreibungen weniger gefragt zu sein.

Im Vordergrund steht das Bemühen, (Arbeits-) Prozesse sicherer und schneller zu machen, um sich auf dem freien Markt gegenüber einer starken Konkurrenz behaupten und somit finanziell über die Runden kommen zu können. Hierbei spielen Kosteneinsparungen sowie die Steigerung von Effizienz und Effektivität die entscheidende Rolle.

Will ein Mitarbeiter sich in einem solchen Unternehmen behaupten und beruflich profilieren, so wird von ihm (seitens der Geschäftsleitung) die Verinnerlichung des vorherrschenden "Qualitätsdenkens" erwartet.

"In einem grundsätzlich positiven Unternehmen ändern sich die Leute, oder sie halten sich nicht. In einem schlechten Unternehmen ist es das gleiche. Wer seine Qualitätsvorstellungen nicht durchsetzen kann, geht normalerweise wieder, oder er geht in die innere Kündigung." (Tominaga 1996, 151)

Grundsätzlich ist natürlich nichts gegen das Bestreben einzuwenden, eine qualitativ hochwertige Arbeit zu leisten bzw. nach weiteren Verbesserungen zu suchen. Dies ist vielmehr zwingend notwendig. Es besteht auch kein Zweifel daran, dass wir in unseren Einrichtungen auf ein höchst engagiertes und qualifiziertes Personal zählen dürfen, welches sich meist schon über viele Jahre und Jahrzehnte bewährt hat. Ein ständiges Bemühen um Weiterbildungen und zeitgemäße Angleichungen versteht sich zumeist von selbst. (Zum Thema "Professionalität und Mitmenschlichkeit" vgl. Fischer 1992 Bd III, 283f bzw. 295f) Im Zusammenhang mit dem geforderten "Qualitätsdenken" stellt sich jedoch eine ganz andere Frage: Was wird wirklich von einem Mitarbeiter gefordert, der in ein Qualitätsmanagementsystem" eingebunden ist?

Im Zusammenhang mit dieser Frage geht mir die Antwort des QM-Beauftragten eines renommierten Industrieunternehmens nicht mehr aus dem Kopf. Auf meine Frage, wozu denn überhaupt ein Qualitätshandbuch benötigt werde, bekam ich zur Antwort: "...um den Leuten sehr schnell beizubringen, wie sie ihre Handgriffe machen müssen. Die brauchen's nicht zu verstehen!"

Bleibt nur zu hoffen, dass wir uns im sozialen Bereich auf einem "ganz anderen Dampfer" befinden ...

"Und der Mensch steht im Mittelpunkt"?

Die mehrfach festgestellte Zuwendung zu technischen, organisatorischen und strukturellen Sachverhalten - bei gleichzeitiger Abkehr von den dem Menschen eigenen unberechenbaren und kreativen Fähigkeiten - geben Aufschluss über das (den Interessenten eines QMs) zugrunde liegende zweckrationale und funktionale Menschenbild.

Urs Haeberlin spricht im Zusammenhang mit einer kapitalistischen Gesellschaft von "Identitätsverlust durch die totale Entfremdung" (vgl. Haeberlin 1994, 47f). Weiter heißt es dort: "Ein grundlegendes Merkmal der Entfremdung des Menschen erweist sich [...] in seiner Unterordnung unter Eigengesetzlichkeiten sich verselbständigender Produktionsbedingungen. Er wird zum Objekt eines unaufhaltsamen Rationalismusprozesses, den aufzuhalten der Mensch nicht mehr die notwendigen Freiheiten hat." (ebd., 49)

Soll der Mensch, behindert oder nicht, lediglich funktionieren, ihm angetragene Leistungen verrichten? In diesem Fall würde eine bloße "Geschäftigkeit" im Sinne E. Fromms (vgl. Fromm 1976, 92f) genügen, seine "Produktivität" allerdings wäre dabei nicht gefragt. Unter "produktiver Arbeit" versteht Fromm " ... den Zustand innerer Beteiligung, sie muss nicht notwendigerweise mit der Hervorbringung eines künstlerischen oder wissenschaftlichen Werkes bzw. von etwas "Nützlichem" verbunden sein. Produktivität ist eine Charaktereigenschaft, die in jedem Menschen vorhanden ist, der nicht emotional verkrüppelt ist. Der produktive Mensch erweckt alles zum Leben, was er berührt. Er gibt seinen Fähigkeiten Leben und schenkt anderen Menschen und Dingen Leben." (ebd., 93)

Es gibt sicherlich viel mehr unbedingt notwendige Aufgaben - z.B. bei der Betreuung oder Pflege - als das bloße "Abhandeln in Serie geschalteter Dienstleistungsabläufe". Der Gruppenleiter einer Wohngruppe für Menschen mit geistiger Behinderung brachte diesen Aspekt erfrischend knapp und aussagekräftig auf den Punkt, als er in einer Sitzung anmerkte: "Man ist auch einfach da, dass man da ist!" (Mock 1998)

Bleibt ebenfalls zu hoffen, dass viele unserer Mitarbeiter sich ihre wahre "Produktivität" auch in Zeiten der Qualitätsmanagementsysteme erhalten können ...

Denn nach FROMM geht es "... hier weniger um das Produkt meiner Aktivität als vielmehr um deren Qualität." (ebd.)

Diese Produktivität eines Mitarbeiters, die "alles zum Leben erweckt, was er berührt", kann jedoch nicht von ihm erzwungen oder schon gar nicht in Zeiteinheiten gemessen werden. Sie gleicht einem "guten Geist", der eine Wohngruppe - vielleicht sogar eine ganze Einrichtung - durchwehen mag. Der Besucher und erst recht der Bewohner spürt ganz deutlich, welcher "Wind" tatsächlich weht.

Oft ist es in der Realität jedoch leider so, dass dem Personal diese "Luft" zum "Produktiv-sein" nicht mehr bleibt. Zeitdruck und (Personal-) Einsparungen an allen Ecken und Enden zwingen dazu, die zahlreichen Anforderungen eines anstrengenden Arbeitstages in gehetzter "Geschäftigkeit" (Fromm) zu bewerkstelligen.

Dabei wären es gerade die "produktiven" Zeiten eines Tages(-ablaufs), die den Bewohnern das Gefühl "gesteigerter Lebensqualität" erfahrbar machen könnten.

Zum Versprechen Lebensqualität

Versucht man sich dem Phänomen "Lebensqualität" stärker anzunähern, so wird aus den Definitionsversuchen verschiedener Lexika deutlich, dass diese nicht zwangsläufig "nur von der Menge bereitgestellter materieller Güter abhängt, sondern von vielen immateriellen Dingen, vom sozialen Konsens bis zur Umwelterhaltung." (vgl. Gabler 1994, 2070). Während die "inhaltliche Unschärfe" von "Lebensqualität" betont wird, verweisen die Autoren vor allem auch auf deren zwei Dimensionen: die quantitative wie die qualitative Komponente. Gerade diese Unterscheidung erscheint bezüglich der Thematik "Qualitätsmanagement" besonders wichtig: Schon bei allgemeinen Definitionsversuchen von "Qualität" im Zusammenhang mit "Qualitätsmanagement" wird ersichtlich, dass es eben gerade quantitative Faktoren sind, welche sich relativ leicht messen und beschreiben lassen. Dagegen gestaltet sich das "Erfassen" qualitativer Momente meist als äußerst schwierig, zumal der nicht zu vermeidende Faktor der Subjektivität die Bewertung erschwert. Im Bereich einer "Dienstleistung" - wo Menschen unmittelbar mit Menschen zu tun haben - erfährt Subjektivität wohl nicht nur eine Verdoppelung, sie potenziert sich vielmehr.

Trotz dieser angeführten Unsicherheiten und Unberechenbarkeiten werben "Dienstleister" mit "qualitativ hochwertigen Leistungen" um ihre "Kunden" (wie unglücklich dieser Begriff für den sozialen Bereich verwendet wird, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht erörtert werden). Gleichzeitig werden Zufriedenheit und Glück ebenso versprochen wie gesteigerte Lebensqualität. Gerade bei Einrichtungen des sozialen Bereichs fällt auf, dass diese in Prospekten und Ausschreibungen als ihr primäres Ziel die Verbesserung der "Lebensqualität" ihrer "Klienten" vorgeben.

Wie in den Leitbildern nachzulesen ist, orientiert man sich dabei stets am "Kundenwunsch", um durch die Befriedigung von Bedürfnissen zu dessen Zufriedenheit und Lebensglück beizutragen. Als Motto von TQM (total quality management) gilt:

"Orientierung am Kundenwunsch und alle machen mit!"

Es entsteht der Eindruck, dass die Konzepte eines Qualitätsmanagements das Erreichen von "Lebensqualität" lediglich dem Befriedigen von Bedürfnissen und Wünschen (der Bewohner) gleichsetzen. Als wichtigste Orientierungsgröße erweist sich dabei der Bedarf einer Person, welcher sich wiederum aus vielen kleinen (und größeren) "Einzelbedürfnissen" zusammensetzt. (Ein Beispiel hierfür ist der Erfassungsbogen für den Hilfebedarf einer Person (EHB) im SYLQUE, anhand dessen sich der "Betreuungsbedarf" genau errechnen lassen soll.)

Auf einen tiefer greifenden Sinnzusammenhang bezüglich der Bedürfnisse eines Menschen können diese Konzepte allerdings schon allein deshalb nicht eingehen, weil sich für den tatsächlichen Hilfebedarf wie die existentiellen Bedürfnisse glücklicherweise keine eindeutigen "Qualitätsstandards" bzw. "Qualitätsprüfkriterien" festmachen lassen. Die Überbetonung von Äußerlichkeiten und Ordnungen provozieren den Verdacht, es bestünde die Absicht, den betreffenden Menschen von seinen eigentlichen Freiheiten ablenken und ihn auf eine passive Rolle verdammen zu wollen. Ihm käme dann lediglich noch der Part des Auswählens aus einem scheinbar üppigen Angebot zu. An einer tatsächlichen Mitgestaltung des Leistungsangebots scheint man weniger interessiert zu sein. Wahrscheinlich wäre für ein Unternehmen unter finanziellen Gesichtspunkten gesehen eine ständige individuelle Variation von Leistungen nicht lukrativ.

Reicht jedoch schon die Möglichkeit der Auswahl aus einem - oft sogar durchaus reichhaltigen - Angebot aus, um im Leben die ersehnte Erfüllung zu finden und diesem so Sinn abzugewinnen? Ergibt sich allein daraus schon eine "Qualität des Lebens", die man sich dann quasi erkaufen kann? Können Versprechungen bezüglich "Lebensqualität" auf so stringentem Weg eingelöst werden?

Lebensqualität - "selbstgemacht"

Der Versuch einer Antwort auf die oben aufgeworfenen Fragen soll im Folgenden unternommen werden: Dabei möchte ich - als eine von sicherlich mehreren Möglichkeiten - einige wichtige Beiträge von Dieter Fischer (auszugsweise) skizzieren, der sich über weite Strecken intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt hat. Über den sozialen Bereich hinaus bedeuten seine Gedanken eine bereichernde Lebenshilfe für jeden Menschen - vorausgesetzt, er lässt sich auf dieses Stück "Selbsttätigkeit" ein.

Das Phänomen der Lebensqualität ist bei Fischer (vgl. Fischer 1992, Bd. III, 235f) eingebunden in den Zusammenhang von Lebens-Bewältigung, Lebens-Gestaltung und Lebens-Führung.

Dabei gilt es zu beachten, dass zu den Voraussetzungen für eine als zufriedenstellend erlebbare "Lebensbewältigung" eine angemessene und menschenwürdige Lebens-Ausstattung bzw. entsprechende Lebensbedingungen zählen. Der Mensch muss (zunächst) in ausreichendem Maße "Gutes haben"(Fischer). Erst dann kann es ihm schließlich auch "gut gehen" und ihn dazu anregen, darüber hinaus "Gutes zu wollen".

Die höchste anzustrebende Stufe für den Menschen bedeutet jedoch nicht das bloße "Gut Gehen" bzw. "Gutes wollen" im Sinne einer Lebensgestaltung, sondern eine nach Sinn suchende "selbst verantwortete Lebensführung (als Konkretisierung von Gut-Sein)" (ebd.,248).

Zentrales Element dieser Überlegungen ist die Lebensqualität, welche einerseits mit der persönlichen Biographie und dem Selbstverständnis jedes einzelnen zu tun hat "und nie nur mit dem, was sich an Welt uns zeigt oder zugänglich ist" (ebd., 250). Andererseits ist Lebensqualität zunächst außerhalb einer Person zu suchen und erst durch Eigenleistung auf das eigene Leben zu übertragen.

Das Streben nach Lebensqualität im ausschließlichen Sinne von "Gut-Gehen" und "Sich-wohl-Fühlen" verweilt im Hier und Jetzt. Diese Ebene der Befindlichkeit und der Lebensgestaltung gilt es jedoch zu überwinden zugunsten von Qualitäten mit dauerhafterem, weniger begrenztem Charakter. Hier bezieht Fischer in eine verantwortliche "Lebensführung" das "Tun und Wirken" ebenso mit ein wie das "Selbstsein und Sollen", so dass aus dem Befinden "mir geht es gut" schließlich Sätze wie "Ich will Gutes leisten" oder "Ich will gut sein (bzw. werden)!" entstehen können (vgl. ebd.). Darüber hinaus muss der Mensch sich befähigen oder befähigt werden, sich selbst zu den Dingen des Lebens in ein "Verhältnis zu setzen".

Eine weitere Feststellung im Zusammenhang mit "Lebensqualität" ist zweifelsohne, dass Qualitäten selten von sich aus ent- bzw. bestehen und schon gar nicht von außen an den Menschen heranzutragen sind. Vielmehr muss er diese - im Verständnis einer verantwortlichen Lebensführung - in Eigenleistung erkennen und beurteilen, um "ein persönliches "Verhältnis" (Gerhart) zu ihnen herzustellen" (ebd., 256). Es gilt, aus den "gegebenen, gesicherten oder auch noch zu schaffenden Beständen" die "Lebensqualität herauszufiltern" (Fischer). Erst hierdurch erlangt der Mensch die Fähigkeit, aus einem ursprünglich neutralen Reiz eine ihn angehende "Botschaft" (Fischer) zu machen. Aus einer "Sache-an-sich" entsteht somit eine "Sache-für-mich" (vgl. ebd., 260)!

Auf diese Weise ist es dann eben auch möglich, aus etwas quantitativ ganz Kleinem etwas (für mich) qualitativ ganz Großes zu schaffen!

Diese "Filterarbeit" ist nur in eigener Sache zu leisten. Niemand kann hier stellvertretend für eine andere Person "einspringen". Schließlich mündet jener Prozess der "Um-Schaffung" in eine (persönliche) "Um-Deutung" bzw. "Um-Gestaltung". Der Akt der "Um-Deutung erfordert größere Fähigkeiten und Leistungen als das bloße "Haben-" und "Besitzen-Wollen"; er geht über die Ebene des Materiellen hinaus.

"Das Glück liegt eben nicht im Haben und schon gar nicht verborgen im Vieles-Haben." (Fischer)

Erinnern wir uns an die Ausführungen zu Qualitätsmanagement und der Eigentümlichkeiten von "Serviceleistungen". Durch eine lukrativ klingende, werbetechnisch aufwendig gestaltete Angebots- und Leistungsbeschreibung wird dem Menschen als "Kunden" dieser von Fischer beschriebene Akt der "Um-Schaffung" größtenteils aus der Hand genommen. Der Mensch wird im Hinblick auf seine Werte und Auswahlkriterien manipuliert und somit eine "Entmächtigung" desselben in Gang gesetzt. Er wird auf ein geistig-kreatives Abstellgleis manövriert.

Als "konkreten" Beitrag der Sonderpädagogik zum Erreichen von "Lebensqualität" nennt Fischer zwei sich unterscheidende Aufgaben:

  1. Einerseits die Vermittlung von Kompetenzen - bei denen es sich überwiegend um psychische Leistungen wie "Erleben", "Deuten" und "Für-wahr-Halten" handelt - , um den besagten "Um-Schaffungsprozess" bewerkstelligen zu können. Die Aufgabe der Sonderpädagogik besteht in diesem Fall darin, des Menschen "Wille zum Glück" (T. Mann in ebd., 262) zu wecken, d.h. in ihm die Lust zu wecken, sich selbst auf die Suche seines Glücks zu machen.

  2. Andererseits geht es Fischer um inhaltliche Erträge des souveränen Selbst auf seinem Weg zum besagten "Gut-sein-Wollen". Aus insgesamt fünf Persönlichkeitserträgen (vgl. Fischer 1992, 263f), die Fischer nennt, wähle ich die zwei aus, die sich in besonderem Maße auf die Menschen beziehen, die sich mit den Auswirkungen eines Qualitätsmanagements konfrontiert sehen.

Das JA und das Nein

Diese beiden Wörter helfen dem Menschen, sich gegenüber Dingen, Situationen, Personen zu öffnen oder auch abzugrenzen. Er bestimmt folglich - nach innen wie nach außen - mit Ja und Nein seinen Weltbezug. Nur so kann er sich als souveränes Lebewesen erleben. "Sowohl das Ja als auch das Nein ziehen Konsequenzen nach sich. Sie klären Beziehungen, sortieren Angebote und präzisieren Vorlieben. Um aus dem Lebensstandard oder der Lebensausstattung Lebensqualität zu entwickeln, kommt es auf einen souveränen Gebrauch von Ja und Nein an." (ebd., 264)

Die Art der Angebotsgestaltung bzw. Leistungsbeschreibung von Qualitätsmanagementsystemen erschwert genau diese Souveränität bzw. wirkt ihr sogar entgegen. Hier brauchen betroffene Menschen oft Hilfe, zu einem bereitgestellten Angebot auch ein Nein durchzuhalten und Alternativen (in Form eines persönlichen JA) entwerfen und artikulieren zu können.

Einen weiteren "Persönlichkeitsertrag" stellt "Der Augenblick oder auch die "Schritt-für-Schritt-Kultur"" dar. Grundvoraussetzung für diesen Punkt ist ein Umdenken in der Bewertung von Zeit. Der in unserer Gesellschaft praktizierte Umgang mit Zeit ist größtenteils funktional und technisch ausgerichtet; entscheidend ist dabei ein Vorankommen in einem messbaren Zeitabschnitt. Fischer allerdings geht es um die Wiederentdeckung des "Augenblicks" im Verständnis einer transzendenten Dimension von Zeit. Damit ist Planen in der Lebensführung des Menschen nicht aufgehoben, "aber es bekommt seinen Sinn von dort her, wo sich Zeit nicht mehr planen lässt." (ebd., 265)

Bei der Arbeit mit behinderten oder kranken Menschen wird oft deutlich, dass hier ein ausschließliches Denken in funktionalen Zeitdimensionen nicht möglich ist und man diesen Menschen auf diese Weise nicht gerecht werden kann. Es scheint vielmehr so zu sein, dass wir von diesen Menschen ein Stück weit lernen können, wie man sich mehr auf den "Augenblick" konzentrieren kann, um ihn auf diese Weise überhaupt erst richtig wahrnehmen und begreifen zu können. Fischer spricht in diesem Zusammenhang von einer "Schritt-für-Schritt-Kultur". Den Menschen seinen Augenblick ausleben zu lassen und ihn dabei zu unterstützen (statt zu hetzen), beides gehört zum Nährboden für "Gut-Gehen", "Gut-sein-Wollen" und "Gut-sein-Können" (bzw. für ein "Sich-Gründen" und "Sich-Bilden"). (vgl. ebd., 266).

Abschließende Gedanken zur "Qualität"

Wie aus den Ausführungen deutlich wird, spielt nicht nur das Verhalten des "Dienstleisters" eine Rolle, sondern auch dem "Leistungsempfänger kommt entscheidende Bedeutung zu, ob ein "Dienst" als befriedigend oder gar beglückend empfunden werden kann. Somit ist der "Anbieter" diesem auch in gewisser Weise ausgeliefert, ist doch eine noch so nett arrangierte und hingebungsvoll erbrachte "Dienstleistung" zum kläglichen Scheitern verurteilt, wenn sie vom "Adressaten" nicht als solche erkannt und empfunden wird. Kennt z.B. der Bewohner eines Wohnheims nur noch die Rolle des Konsumenten und hat er es verlernt, ein Gelingen mitzugestalten, dürfte ein befriedigendes "Ergebnis" (für beide Seiten) nur schwer möglich sein.

Qualitätsmanagement trägt dazu bei, dass der Mensch in Passivität gedrängt wird, er zum verfügbaren Objekt verkommt und sich selbst berechenbar macht. Ohne die immer neu zu leistende Arbeit der selbstständigen Lebensgestaltung, läuft er in eine Sackgasse der Langeweile und Sinnlosigkeit. Deshalb ist es von entscheidender Wichtigkeit, die dem Menschen eigenen Fähigkeiten auszubilden bzw. zu fördern, welche ihn unabhängig machen von materiellen Gütern und bloßen Quantitäten.

So verstandenes Um-Strukturieren und Um-Denken in sozialen Einrichtungen - von den Quantitäten wieder mehr zu den objektiv nicht fassbaren Qualitäten - wäre ein entscheidender Beitrag zur Steigerung "echter" Lebensqualität".

Literatur

Bayrisches Staatsministerium für Wirtschaft, Verkehr und Technologie: Qualitätsmanagement für kleine und mittlere Unternehmen. Ein Leitfaden zur Einführung eines Qualitätsmanagementsystems. München 1995.

Deutsche Gesellschaft für Qualität e.V. (Hrsg): Qualitätsmanagement bei Dienstleistungen. Berlin-Wien-Zürich 1995.

Duden: Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache. Mannheim 1963.

Fischer, D.: Ich setzte meinen Fuß in die Luft - und sie trug. Bd.III, Würzburg 1992.

Fischer, D.: Am Ort der Mühe wohnen. Würzburg 1997.

Fischer, D.: Den Dialog suchen. Würzburg 1998.

Fromm, E.: Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. Stuttgart 1976.

Gabler Wirtschafts-Lexikon. Wiesbaden 1994.

Haeberlin, U.: Das Menschenbild für die Heilpädagogik. Bern 1994.

Haisch, W.: Betreuung heute für Schwerstbehinderte - ein Forschungsbericht. München 1990.

Horak, C.: Controlling in Nonprofit-Organisationen. Erfolgsfaktoren und Instrumente. Wiesbaden 1995.

Mangold, K.: (Hrsg.): Die Zukunft der Dienstleistung. Fakten - Erfahrungen - Visionen. Frankfurt/Wiesbaden 1997.

Minoru, T.: Die kundenfeindliche Gesellschaft. Erfolgsstrategien für Dienstleister. Düsseldorf 1996.

Pfeiffer, W. u.a.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Berlin 1987.

Scheffler, H.: Wörter auf Wanderschaft. Weinsberg 1989.

Schütz, Ch. (Hrsg.): Praktisches Lexikon der Spiritualität. Freiburg 1992.

Schwarte, N.: LEWO - Lebensqualität in Wohnstätten für erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung - Ein Instrument zur Qualitätsentwicklung; ein Handbuch der Bundesvereinigung Lebenshilfe. Marburg 1997.

VKELG e.V.: System der Leistungsbeschreibung, Qualitätsbeschreibung, Qualitätsprüfung und Entgeltberechnung. In: Bichler/Pohl/Fink (Hrsg.): Leistungsgerechtes Entgelt für ein Leben mit Behinderungen - ein System der Leistungs- und Qualitätsbeschreibung sowie Entgeltberechnung (SYLQUE). Freiburg 1995.

Walser, M.: Mit der Schwere spielen. Ein Brevier. Frankfurt 1997.

Der Autor

Volker Reinhard studierte an der Universität Würzburg bei Dr. Dieter Fischer Körperbehinderten- und Lernbehindertenpädagogik. Während seines Studiums arbeitete er sechs Jahre in einem Internat für körperbehinderte Kinder und Jugendliche. Zur Zeit als Studienreferendar im Sonderpädagogischen Förderzentrum in Bad Windsheim eingesetzt.

Immelmannstraße 8

D-91438 Bad Windsheim

vp.reinhard@01019freenet.de

Quelle:

Volker Reinhard: QM + LQ - eine Vernunftsehe? Ein kritischer Streifzug durch die Welt des Managements

Erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 2/00; Reha Druck Graz

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 25.05.2010

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