Die Berufseingliederung lernbehinderter Sonderschüler

Autor:in - Helga Wimmer
Textsorte: Buch
Releaseinfo: Erschienen in: Forster, Rudolf/ Schönwiese, Volker (Hrsg.): BEHINDERTENALLTAG - wie man behindert wird, Jugend und Volk, Wien 1982, S. 187 - 200
Copyright: © Jugend und Volk 1982

Lernbehinderte Sonderschulabgänger: Sozial benachteiligt, minderqualifiziert, abgestempelt

Das österreichische Schulsystem "entledigt" sich des Problems des andauernden Schulversagens von Pflichtschülern durch ein ebenso einfaches wie einseitiges Selektions- bzw. Kategorisierungssystem: Die betroffenen Schüler sind in der "falschen Schule" und werden als "andersartige" Schülerpopulation dauerhaft in ein eigenes Schulsystem, die Allgemeinen Sonderschulen, ausgegliedert (FORSTER 1981, S. 211 f.). Beim Übergang von der Pflichtschule in den Beruf treten an die Stelle des verpflichtenden staatlichen Bildungsauftrags die Mechanismen des Arbeitsmarktes, auf den die staatlichen Interventionen nur einen begrenzten Einfluß ausüben.

Wie bewältigen nun ehemalige Sonderschüler diesen Übergang und wie lösen die zuständigen Stellen der Arbeitsmarktverwaltung das Problem der Berufseingliederung dieser Personengruppe, deren Ausgangssituation eine denkbar ungünstige ist?

Lernbehinderte Sonderschüler entstammen überwiegend einem benachteiligten sozialen Milieu, für das ein geringer Bildungsgrad der Eltern, deren niedrige berufliche Stellung, hohe Geschwisterzahlen und enge Wohnverhältnisse typisch sind (FORSTER u.a. 1981, S. 21-23).

Trotz Sonderschulbesuchs mit niveauniedrigerem Lehrplan erreicht ein erheblicher Teil der lernbehinderten Sonderschüler keinen Schulabschluß (a.a.O., S. 27).

Die Berufsvorbereitung durch die Sonderschüler ist unzureichend: Vom berufskundlichen Unterricht etwa, der im Polytechnischen Lehrgang abgehalten wird, wird ein großer Teil der Lernbehinderten gar nicht mehr erreicht.

Gelingt es der Sonderschule damit also nicht, die Lernbehinderung aufzuheben, so fügt sie dem Schüler neue Nachteile zu: die Abstempelung durch den Sonderschulbesuch, die gerade bei der Suche nach Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten wieder aktualisiert wird.

Damit ist aber auch der Grundstein für die Zuweisung zu benachteiligter Arbeit gelegt: Der Sonderschüler tritt von einer extrem ungünstigen Position aus in den Kampf um Arbeitsplätze ein.

Berufsinformation: Die unerreichbare Welt der 236 Lehrberufe

Die den Sonderschulabgängern angebotenen Berufsinformationen nehmen weder in der Form der Präsentation noch im Inhalt auf deren spezifische Bedürfnisse Rücksicht: Die Schüler erhalten auf eine Art, die sie nicht verstehen, eine Berufswelt vermittelt, die es für sie nicht gibt.

Das schriftliche Informationsmaterial etwa, das zur Vertiefung der zu kurz angesetzten Vorträge der Berufsberater vorgesehen ist, ist für den Gebrauch durch alle Schulabgänger konzipiert und geht damit an der Lebens- und Erfahrungswelt der Sonderschüler vorbei etwa mit Formulierungen wie: "Man muß sich Klarheit verschaffen, wo die persönlichen Fähigkeiten und wo die Schwächen liegen" oder "Man muß die Berufswahl systematisch angehen". Es werden Illusionen über fast unbegrenzte Wahlmöglichkeiten aufgebaut zwischen schulischer und betrieblicher Ausbildung oder zwischen 236 Lehrberufen; das Nichterreichen von hoch bewerteten Berufen wird als persönliches Versagen dargestellt.

So entspricht die den Sonderschülern vorgeführte Berufswelt keineswegs der späteren Realität ihrer Arbeitswelt. Aus Angst vor einem Imageverlust ihrer Branche bei Aufnahme von zu vielen Sonderschülern verweigern Unternehmer die Zustimmung zu Betriebsbesichtigungen; bei der jährlich stattfindenden "Woche der Berufsinformation" bleiben gerade in jenen Berufen, die für Sonderschüler in Frage kommen, Informationsstände unbesetzt, wenn Sonderschüler angemeldet sind. Damit lernen Sonderschüler im Zuge der Berufsinformation jedoch überwiegend die Arbeitswelt in Großbetrieben kennen, die ihnen auf Grund ihrer schulischen Minderqualifikation kaum zugänglich ist, sowie Tätigkeiten in Berufen, die für sie häufig nicht erreichbar sind. Von ihrer eigenen künftigen beruflichen Realität wissen sie dagegen bei Schulaustritt recht wenig. So äußerten etwa Sonderschulabgänger deutlich häufiger als Hauptschulabgänger keine Meinung zu persönlich wichtigen Kriterien ihrer künftigen beruflichen Tätigkeit und sie zeigten sich auch durchwegs weniger informiert, vor allem hinsichtlich Bezahlung, Arbeitsplatzsicherheit und Aufstiegsmöglichkeiten. Ihre Erwartungen hinsichtlich positiv bewerteter Berufs- und Tätigkeitsmerkmale waren dagegen wesentlich bescheidener (FORSTER u.a. 1981, S. 37-39).

Berufsberatung: Hilfe zur selbständigen Entscheidung oder Anpassung an den Arbeitsmarkt?

Für die Berufsberater stellen diese Jugendlichen auf Grund ihrer schulischen Minderqualifikation, ihrer unklaren Berufsvorstellungen sowie wegen der häufig bestehenden Vorurteile von Arbeitgebern eine besondere Problemgruppe bei Berufsberatung und Stellenvermittlung dar.

Allerdings wird wie schon bei der Berufsinformation dem besonderen Bedarf dieser Schülergruppe auch bei der Berufsberatung kaum Rechnung getragen. Als positive Ausnahme ist aber z.B. die von der Arbeitsmarktverwaltung in Wien angebotene Berufsberatung der Sonderschüler in den Schulen statt im Gebäude des Arbeitsamtes anzusehen. Dieses Aktivwerden der Berater erbrachte im Vergleich zu Hauptschülern in Wien, besonders aber zu Sonderschülern in Niederösterreich eine wesentlich höhere Beratungsfrequenz, eine häufigere Einbeziehung von Lehrern und Eltern in den Beratungsprozeß sowie in der Folge eine höhere Vermittlungsquote durch das Arbeitsamt: So waren 1978 in Wien 70% der Sonderschulabgänger und 60% ihrer Eltern, in Niederösterreich aber nur 40% der Schüler und 30% ihrer Eltern beraten worden (FORSTER u.a. 1981, S. 33-35). Mit dieser organisatorischen Maßnahme ist jedoch noch keine spezifische und bedarfsgerechte Unterstützung von Sonderschülern im Berufseingliederungsprozeß gegeben, wie die folgende Analyse von Beratungsgesprächen in Wien zeigt[1]. Angesichts der zeitlichen Einschränkungen in der Beratungssituation, des zumeist nur einmal stattfindenden Gespräches, der mangelnden Ausbildung der Berater, vor allem aber der fehlenden Möglichkeiten einer persönlichen Unterstützung über die Berufsberatung hinaus, war eine vorrangige Orientierung an einer "Unterbringung" der Sonderschüler in irgendeinem zugänglichen Beruf festzustellen; eine Hilfestellung für eine selbständige Entscheidung wurde kaum geboten. Die Berater konzentrierten sich vor allem darauf, den Jugendlichen Berufe zu empfehlen, die für sie auf Grund der Arbeitsmarktlage erreichbar und mit der gegebenen schulischen Qualifikation erlernbar schienen. Zur Beurteilung dieser Qualifikation standen dem Berater auch Unterlagen, wie Zeugnisse und Arbeitsproben, Schularzt- und Lehrergutachten etc. zur Verfügung. Andere für die Bewältigung der Berufsausbildung maßgeblichen Voraussetzungen wie Berufsvorstellung und Motivation, Interessen und Neigungen der Jugendlichen sowie ihre ökonomischen und familiären Verhältnisse wurden dagegen wenig berücksichtigt.

Berufswunsch Hilfsarbeiter: Die akzeptierte Resignation

Eine bereits getroffene Entscheidung eines Sonderschulabgängers für Hilfsarbeit wurde bei der Beratung in keinem Fall in Frage gestellt. Die Jugendlichen wurden lediglich auf die im Zusammenhang mit dem Jugendlichenbeschäftigungsgesetz bestehenden Schwierigkeiten hingewiesen, einen Arbeitsplatz als Hilfsarbeiter zu bekommen.

Berater: "Sind die Eltern eher dafür, daß Du eine Lehre versuchst, oder daß Du ohne Lehre versuchst, eine Stelle zu finden, z.B. als Anlernling ?"

Schülerin: "Als Hilfsarbeiterin oder so etwas ähnliches."

Berater: "Na ja, da gibt's ein Problem, daß Jugendliche unter 18 Jahren nur in relativ seltenen Fällen Firmen finden, die bereit sind, jemand als Anlernling oder Gehilfen aufzunehmen. Die eine oder andere schon, aber mit 15 ist es sehr schwer, etwas zu finden."

Über andere Berufsmöglichkeiten, über Nachteile ungelernter Arbeit im Hinblick auf Verdienstmöglichkeiten, Arbeitsbedingungen sowie Arbeitsplatzsicherheit wurde mit den Jugendlichen nicht gesprochen.

Berufswunsch Lehrausbildung. Die sanfte Manipulation

Völlig anders war die Situation, wenn ein Jugendlicher eine Lehrausbildung anstrebte. Der Berater suchte dann zunächst sein aus den Unterlagen stammendes Wissen über die Fähigkeiten des Schülers durch Fragen nach dem Gesundheitszustand, der bisherigen schulischen Laufbahn sowie der sozialen Lage zu erweitern und durch Überprüfung von Kenntnissen und manueller Geschicklichkeit zu ergänzen.

Weniger Zeit verwandte er durchschnittlich für die Erhebung der Interessen der Schüler, obwohl er darüber wie bereits erwähnt kein Vorwissen hatte. Über Fragen nach den Freizeitaktivitäten und -interessen versuchte er herauszufinden, ob der gewählte bzw. von ihm vorzuschlagende Beruf auch den Neigungen des Jugendlichen entsprach.

Bezweifelt muß allerdings werden, ob die dabei erhaltenen Informationen tatsächlich die Basis für eine Berufsempfehlung darstellen können:

Berater: "Na, wo bist Du denn gut? Unabhängig von der Schule. Wo glaubst Du, bist Du besser als Deine Freundinnen, Kolleginnen usw. Gibt es etwas, das Du besonders gut kannst?"

Schülerin: (Berufswunsch Verkäuferin oder Friseurin) "Schifahren."

Berater: "Aha, also Schifahren. Das kann man schlecht beruflich verwenden. Sonst noch etwas?"

Schülerin: (Schweigt)

In einer deutschen Untersuchung stellte MARQUARDT fest, daß Mädchen vorwiegend angaben, in ihrer Freizeit "der Mutter zu helfen" und Burschen sich fast ausschließlich mit dem Moped beschäftigten, "wenn sie überhaupt etwas angaben" (1977, S. 44).

Im Anschluß daran beschäftigten sich die Berater mit der Frage, welche Vorstellungen die Jugendlichen mit dem gewählten Beruf verbanden und aus welchem Grund sie sich für diesen Beruf entschieden hatten.

Berater: "Was wolltest Du lernen? Schuster?"

Schüler: "Ja."

Berater: "Was macht denn der Schuster? Was hast Du Dir vorgestellt?"

Schüler: "Absätze. Aber ich habe es noch nicht gesehen."

Berater: "Warum hast Du Dir denn das ausgesucht? Ist das ein Vorschlag von den Eltern, oder woher glaubst Du denn, daß Schuhmacher für Dich ein passender Beruf wäre?"

Schüler: "Weiß ich nicht."

Berater: "Was hat Dich denn zu dem Entschluß gebracht, Kosmetikerin oder richtiger gesagt, Schönheitspflegerin zu werden? Was erwartest Du Dir eigentlich von dem Beruf?"

Schülerin: (schweigt)

Berater: "Wenn es Dein Wunsch ist, dann müßtest Du Dir dazu doch was überlegt haben. Oder ist es ein Wunsch der Eltern, des Bruders, ein Vorschlag von ihnen?"

Schülerin: "Es war eigentlich mein Wunsch."

Berater: "Hast Du schon einer Kosmetikerin zugeschaut?"

Schülerin: "Nein, noch nicht."

Berater: "Was macht denn so eine Kosmetikerin?"

Schülerin: "Sie riecht gut, es ist was mit Schmieren."

Berater: "Hast Du Dir gedacht, was man in zwei Lehrjahren so lernen wird?"

Schülerin: "Die Cremen , Rechnen."

Die hier zutage tretende Zufälligkeit der Berufswahl führt MARQUARDT auf die mit der benachteiligten sozialen Situation Hand in Hand gehenden Schwierigkeiten der Informationsbeschaffung zurück: "Die Berufe der Eltern, ebenso die von Bekannten und Verwandten sind zumeist die einzigen Berufsmöglichkeiten, die überhaupt bekannt sind." (a.a.O., S. 43)

Im allgemeinen erhielten die Jugendlichen vom Berater auch keine zusätzlichen Informationen. Näher auf einen Beruf ging der Berater nur dann ein, wenn die Jugendlichen entweder noch keinen oder einen nach Meinung der Berater ungeeigneten Beruf gewählt hatten.

Hatte der Jugendliche sich noch nicht für einen Beruf entschieden, beschränkte sich die "Information" allerdings in der Regel auf eine Aufzählung in Frage kommender Berufe.

Berater:"Handwerklich, oder daß Du irgendetwas produzierst, kannst Du Dir nicht vorstellen?"

Schülerin: "Nein."

Berater: "Was wäre mit einer Chemischen-Putzerin? Da wärst Du zum Teil im Verkauf "

Schülerin: "Nein."

Berater: "Auch nicht. Mit Menschen umzugehen ist Dir also nicht wichtig?"

Schülerin: "Nein."

Berater: "Schwierig. Was gibt es sonst noch?"

Schülerin: "Schneidern kann ich auch."

Berater: "Meinst Du Damenkleider machen? Oder Wäschewarenerzeuger, oder so irgend etwas, was meinst Du?"

Schülerin: "Schneiderin."

Berater: "Eine richtige Schneiderin?"

Schülerin: "Mmh."

Berater: "Würdest Du auch in eine Herrenschneiderei gehen?"

Schülerin: "Damen und Herren."

Berater: "Du hast aber vorher gesagt, die Schneiderei als Beruf könntest Du Dir gar nicht vorstellen."

Schülerin: (schweigt)

Berater: "Berufe wie Buchbinder, Kassettenmacher, Lederbearbeitung, ich könnte da ein paar Berufe streifen. Du müßtest mir nur sagen, wenn Du einen Beruf nicht kennst. Ich glaube, da ist nichts dabei. Modistin, in einer Lederbearbeitung, Taschnerei, Kürschnerin, Fell, Stoff, nichts? Gerberin, naja, wenn da überall nichts ist, da hätten wir dann den Verkauf, den können wir mehr oder weniger vergessen."

Hatte der Jugendliche einen Beruf gewählt, der nach Meinung des Beraters entweder zu schwer erlernbar war oder in dem keine Lehrstellen zur Verfügung standen, dann wurde die Berufsinformation deutlich zur Umstimmung und Abschreckung eingesetzt:

Berater: "Was wirst denn machen nach der Schule?"

Schüler: "Rauchfangkehrer."

Berater: "Wie bist denn auf den Beruf gekommen?"

Schüler: "So. Wie wir im Wifi waren, habe ich das gesehen und das hat mich beeindruckt."

Berater: "Und hast Du Dich erkundigt, bei einem Rauchfangkehrer?"

Schüler: "Nein, noch nicht."

Berater: "Soll ich Dir was sagen, was der Rauchfangkehrer machen muß? Normalerweise sieht man ihn mit dem schwarzen Gewand herumrennen und mit den Besen. Der Beruf schaut ein bißchen anders aus Rauchfangkehrer ist an und für sich ein sehr moderner Beruf und man braucht ihn nach wie vor trotz der vielen Zentralheizungen, denn der Rauchfangkehrer ist auch für die Feuerungsanlagen zuständig. Jedes Heizkesselhaus muß immer wieder kommissioniert werden, und wer macht das? Der Rauchfangkehrer. Das ist gerade das, was an diesem Beruf nicht so leicht ist. Der Rauchfangkehrer muß auch gut Auswendiglernen können. Er hat ein Büchl, in dem lauter Gesetzesstellen angeführt sind. Er ist nämlich Sachverständiger bei Bauverhandlungen. Wenn ein Haus gebaut wird, der Architekt und der Baumeister legen die Pläne vor bei der Bauverhandlung. Für den Bau brauchen sie eine Baubewilligung und jetzt kommt eben der Rauchfangkehrer hin und muß dort mit Ingenieuren etc. debattieren und muß sagen, ob sie das Haus so bauen können oder nicht, ob die feuerpolizeilichen Vorschriften eingehalten worden sind, für die ist allein der Rauchfangkehrer verantwortlich. Wenn er sagt, daß sie nicht eingehalten worden sind, kann das Haus nicht gebaut werden. Man muß also auch recht gut in Deutsch sein. Hast Du Dir den Beruf so vorgestellt"?

Schüler: "Nein."

Berater: "Du hast doch gesagt, Du hättest ihn schon gesehen?"

Schüler: (schweigt)

Berater: "Einer der Berufswünsche ist Maler und Anstreicher. Steht der nicht in engerer Wahl?"

Schüler: "Doch, wenn nicht Rauchfangkehrer, dann das."

Berater: "Wieso hast Dich überzeugen lassen, daß das auch was für Dich wäre?"

Schüler: "Ich glaube, geschickt genug wäre ich dazu."

Die für Sonderschulabgänger leichter zugänglichen Berufe wurden den Jugendlichen dagegen relativ unabhängig von ihren Wünschen "schmackhaft" gemacht. Die im folgenden Beispiel zitierte Schülerin hatte sich zunächst nach den Berufen Kindergärtnerin/Kinderschwester und Verkäuferin erkundigt, von denen der Berater abriet:

Schülerin: "Und Friseurin?"

Berater: "Friseurin" da schaut es günstig aus. Da ist das Lehrstellenangebot relativ günstig, die Anforderungen in der Berufsschule sind durchaus auch so, daß eine interessierte Sonderschülerin auch mitkommen kann. Es ist an und für sich ein recht interessanter Beruf. Perückenmacherin ist die Lehrberufsbezeichnung. Du lernst also Damen- und Herrenfriseur, Du lernst auch Perücken zu knüpfen und wenn Du diese Ausbildung abgeschlossen hast, kannst Du Dich dann noch spezialisieren. Du kannst Maskenbilden dazunehmen, Du kannst eine Ausbildung für Kosmetik besuchen oder Du kannst Dich auch in Richtung Krankenpflege oder Kinderpflege oder Kinderbetreuung etablieren; aber nicht im Sinne qualifizierter Betreuung, sondern als Hilfstätigkeit. Du mußt Dir halt dann überlegen, ob Du nicht doch im erlernten Beruf bleiben solltest. Was meinst Du dazu, bis jetzt?"

Schülerin: "Ja, dann möchte ich schon Friseurin werden."

Berater: "Friseurin ist auch ein Kontaktberuf. Eine Friseurin soll nicht nur gut, genau und sorgfältig arbeiten, sie soll auch eine Kontaktbeziehung zur Kundschaft herstellen, wenn Dir das gelingt, wird man Dich im Betrieb gerne sehen, da wird die Kundschaft kommen und sagen, ich warte auf die U., die hat mich das letzte Mal so nett betreut. Das wird sich auch im Trinkgeld auswirken. Du kannst am späten Abend Kurse besuchen, Du kannst an Wettbewerben teilnehmen, z.B. am Preisfrisieren. Wenn Du da einen vorderen Platz belegst, wird sich das in der Branche herumsprechen. Also im Berufsleben hast Du viele Chancen, Dich zu engagieren."

Gerade jene Kriterien, die in den Broschüren der Arbeitsmarktverwaltung als richtungweisend für die Berufswahl ausgegeben werden. "Der richtige Beruf ist eine Tätigkeit, die Spaß macht, zukunftssicher ist, gute Aufstiegsmöglichkeiten bietet, viel Geld und Erfolg bringt" wurden in der Beratungssituation nicht berücksichtigt. Die Interessen der Jugendlichen wurden ebenso vernachlässigt wie die Information über Arbeitsbedingungen, Zukunftschancen und Verdienstmöglichkeiten in den einzelnen Berufen.



[1] Das Datenmaterial über die Beratungsgespräche entstammt teilnehmenden Beobachtungen von 38 Einzelberatungen (Erstberatungen) von Sonderschulabgängern des Jahres 1978 an fünf allgemeinen Sonderschulen in Wien (WIMMER 1980).

Stellensuche: Ende der "Schonzeit"

Fehlte bei der Beratung vor allem die Zeit für einen ausreichenden Kontakt zwischen Berater und Jugendlichem, so kam bei der Stellenvermittlung erschwerend dazu, daß die Berater ebenfalls aus Zeitgründen nicht in der Lage waren, sich über den Arbeitsmarkt im allgemeinen und über die Arbeitsbedingungen in den Betrieben, in die sie Jugendliche vermittelten, ausreichend zu informieren. Damit fehlten aber alle Voraussetzungen für eine effektive Vermittlung.

Besonders benachteiligt waren wieder jene Jugendlichen, die eine Stelle als Hilfsarbeiter suchten. Sie wurden an das zuständige Facharbeitsamt verwiesen. Damit fiel für diese Gruppe, die die Unterstützung - sowohl von der Arbeitsmarktlage wie auch von ihrer persönlichen Situation her wahrscheinlich am dringendsten brauchen würde, die persönliche Betreuung durch einen, mit Problemen von Jugendlichen vertrauten Berater weg[2].

Vater: "Ich habe ihr Regalbetreuerin geraten."

Berater. "Na ja, seid Ihr bei den Firmen schon dort gewesen, welche Firmen wären denn das gewesen?"

Vater: "Ich hab' gelesen, daß der Billa Aushilfskräfte aufnimmt."

Berater: "Na ja, das ist eine Frage. Am besten, Sie gehen hin und erkundigen sich dort. Hingehen und Fragen, dann weiß man diesbezüglich Bescheid."

Auch bei jenen Jugendlichen, die eine Stelle als Lehrling suchten, beschränkte sich die Unterstützung auf ein Minimum: Der Berater konnte dem Jugendlichen im Regelfall nur versprechen, ihm Unterlagen über offene Lehrstellen zusenden zu lassen oder er ließ ihn aus einem Lehrstellenverzeichnis offene Stellen selbst herausschreiben. In keinem Fall konnte dabei die von der Arbeitsmarktverwaltung angestrebte Abstimmung zwischen Persönlichkeit des Jugendlichen und Bedingungen des speziellen Arbeitsplatzes erreicht werden.

Mit dem Erhalt der Adressen möglicher Arbeitgeber war in den meisten Fällen der Kontakt zwischen Jugendlichen und Arbeitsamt zu Ende. Eine nachgehende Betreuung und Kontrolle des Vermittlungserfolges fand nur in Ausnahmefällen statt. Beihilfen zur Ermöglichung der Berufseingliederung bezog nur eine Minderheit ehemaliger lernbehinderter Sonderschüler.

Trotz dieser Mängel kann dem Arbeitsamt ein gewisser Erfolg bei der Vermittlung nicht abgesprochen werden: Lernbehinderte, die die Unterstützung des Arbeitsamtes bei der Stellensuche in Anspruch nahmen, fanden häufiger eine Lehrstelle als Jugendliche, die auf eine Unterstützung verzichteten. Der Grund für diesen Verzicht dürfte vor allem darin liegen, daß die Jugendlichen glaubten, eine Stelle in Aussicht zu haben. Relativ häufig dürften allerdings Firmen mehreren Bewerbern um offene Lehrstellen zunächst mündliche, eher unverbindliche Zusagen machen und dann den ihnen am geeignetsten scheinenden Bewerber aufzunehmen - allerdings ohne die anderen Jugendlichen davon zu verständigen. Sonderschüler, vor allem dann, wenn sie sich alleine, ohne Begleitung durch Eltern oder Berufsberater vorstellten, vertrauten offenbar häufiger als Hauptschüler auf vage Versprechungen und bestanden nicht auf einer schriftlichen Abmachung. Dies trifft in besonderem Maße auf Mädchen zu: im Jahre 1978 erhielten zwar 93% der Sonderschüler, aber nur 56% der Sonderschülerinnen die ihnen - nach eigenen Angaben - vorher fix zugesagte Stelle. Bei den Hauptschülern dagegen waren dies 98% bzw. 91% (FORSTER u.a. 1981, S. 46).

Ein Teil der Sonderschulabgänger, denen es nicht gelungen war, auf eigene Faust einen Ausbildungsplatz zu finden, wandte sich später nochmals an das Arbeitsamt. Diese Möglichkeit wurde von ehemaligen Lernbehinderten deutlich seltener als von Hauptschulabgängern wahrgenommen (FORSTER u.a. 1981, S.58). Sonderschulabgänger haben beim Zugang zu Ämtern offenbar höhere subjektive Barrieren zu überwinden.

Berater: "Na schön, hast Du jetzt eine Lehrstelle?"

Schüler: "Nein."

Berater: "Wir haben hier ein Angebot. Und zwar ein Lehrstellenangebot des Wiener Gewerbes. Wir werden einmal nachschauen, wie es hier aussieht. Du wohnst im 15. Bezirk. Du kannst also hier einige Adressen herausschreiben. Die Berufsberatung ist in der Herbststraße, da mußt Du Dir frei nehmen von der Schule. Dann sagst Du, daß es mit der Lehrstelle nicht geklappt hat und wir versuchen es vermittlungsmäßig. Im 15. Bezirk schaut es nicht einmal so schlecht aus, da sind fünf Lehrstellen vorgemerkt. Du kannst einmal unverbindlich hingehen, ich kann nicht beurteilen, wieweit das noch aktuell ist. Du hast ja Zeit, Du schaust Dir das einmal an. Gut, soweit ist das erledigt, ich gebe Dir jetzt noch ein Zetterl mit meiner Telefonnummer."



[2] In kleinstädtischen und ländlichen Regionen gibt es keine eigenen Arbeitsämter für Jugendliche. Dadurch tritt zwar einerseits die Diskontinuität in der Betreuung nicht auf, andererseits sind die Berater mit der spezifischen Problematik Jugendlicher, insbesondere ehemaliger Sonderschüler, noch weniger vertraut.

Berufseingliederung: Stationen des Scheiterns

Das Ergebnis der Bemühungen um eine Berufseingliederung ehemaliger Sonderschüler sieht nach empirischen Erfahrungen bei mehreren Abgängergruppen so aus, daß nur etwa die Hälfte bis maximal zwei Drittel der ehemaligen Sonderschüler, aber ca. 80% der ehemaligen Hauptschüler und nur ein Zehntel bis ein Viertel der ehemaligen Sonderschülerinnen aber die Hälfte bis zwei Drittel der ehemaligen Hauptschülerinnen, eine abgeschlossene Berufsausbildung erreichten (FORSTER u.a. 1981, S. 49).

Die Bedeutung dieser Minderqualifikation für das weitere Lebensschicksal soll im folgenden kurz dargestellt werden[3].

"Freiwilliger" oder erzwungener Verzicht auf den Beginn einer Ausbildung

Etwa ein Viertel der Sonderschulabgänger 20% der Burschen, aber 39% der Mädchen hatten ihre Berufstätigkeit als Hilfsarbeiter begonnen.

Maßgeblich für den Start als Hilfsarbeiter können zwei Gründe sein: der Verzicht auf weitere Ausbildung oder aber ein Scheitern bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz. 15% der Sonderschüler, aber kaum ein Hauptschüler hatten sich schon von Anfang an für eine Hilfsarbeit entschieden. Auffallend ist, daß dieser "Verzicht" auf eine qualifizierte Ausbildung vor allem bei Mädchen festzustellen war: Ein Viertel der Sonderschülerinnen wollte bei der Beratung eine Stelle als Hilfsarbeiterin[4]. Diese Tendenz wurde von Eltern wie auch von Lehrern unterstützt. Wie sehr eine solche "Beratung" der Mädchen von objektiv vorhandenen Berufsmöglichkeiten beeinflußt wird, läßt sich daran ablesen, daß die Sonderschullehrer in Niederösterreich, einem Gebiet mit objektiv schlechteren Berufschancen, ihre Schüler und hier besonders Mädchen in weit höherem Maß als Wiener Sonderschullehrer als "ungeeignet" für eine Ausbildung ansahen. Die Berater des Arbeitsamtes wieder nahmen diese Entscheidung zur Kenntnis, ohne die Gründe für einen derartigen Verzicht, die ja sowohl in persönlichen Gründen wie Schulmüdigkeit, Geldorientierung, geringe Einschätzung der eigenen Fähigkeiten etc. wie auch in der Situation, z.B. in ökonomischen oder familiären Notwendigkeiten, Abraten von Eltern und Lehrern etc. liegen können, genauer abzuklären und eventuell zu diskutieren. Ebensowenig wurden die Jugendlichen über die Nachteile einer Position als Hilfsarbeiter im Hinblick auf Arbeitsbedingungen, Verdienstchancen etc. informiert.

16% der Sonderschüler, die eine Lehrausbildung angestrebt hatten, hatten keine Lehrstelle gefunden. Bei den Hauptschülern waren das nur 4%.

Dieser geringere Erfolg der Sonderschüler bei der Lehrstellensuche muß vor allem auf ein in den letzten Jahren zunehmendes Überangebot an Stellensuchenden auch aus Hauptschulen zurückgeführt werden. Gab es früher eine Reihe typischer "Sonderschülerberufe", so weichen jetzt immer mehr schwächere Hauptschüler in diese Berufe aus und machen es damit für Sonderschüler - einerseits infolge tatsächlich vorhandener schulischer Minderqualifikation, aber auch auf Grund des Stigmas "Sonderschüler" zunehmend schwieriger, eine Lehrstelle zu erhalten.

Mädchen sind dabei in einer besonders schwierigen Situation, da es ihnen offenbar seltener als Burschen möglich ist, auf andere als ursprünglich gewünschte Lehrberufe auszuweichen. Im Gegensatz zu der immer wieder kritisierten mangelnden Flexibilität der Mädchen, die sich angeblich auf einige wenige Lehrberufe versteifen, zeigten Beobachtungen von Beratungsgesprächen, daß Mädchen mit durchaus unterschiedlichen Berufswünschen zur Beratung kamen; Lehrstellen standen dann allerdings vor allem für Sonderschülerinnen nur in einigen wenigen Berufen zur Verfügung.

Der Beitrag der Arbeitsmarktverwaltung zum Scheitern der Jugendlichen in dieser Phase der Berufseingliederung ist einerseits in einer mangelhaften Übersicht der Berater über die Lehrstellensituation aufgrund der "Freiwilligkeit" der Meldungen offener Lehrstellen durch die Arbeitgeber, vor allem aber im Fehlen einer Unterstützung der Sonderschüler bei der Lehrstellensuche zu sehen; eine Begleitung des Jugendlichen beim ersten Kontakt mit dem Arbeitgeber würde sowohl die Vorstellung erleichtern wie auch eine bessere Einschätzung der Wahrscheinlichkeit des Erhalts der Lehrstelle erlauben.

Geringere Chancen auf erfolgreichen Abschluß einer Ausbildung

Sieht die Bilanz bei der Unterbringung der lernbehinderten Jugendlichen in Lehrstellen noch ganz respektabel aus, so ist ihre weitere Laufbahn doch ernüchternd: Nahezu zwei Drittel aller Sonderschüler und sogar 81% der Mädchen gegenüber 44% der Hauptschüler, die eine Lehre begonnen hatten, brachen das erste Lehrverhältnis verhältnismaßig bald wieder ab.

Mehr als die Hälfte (53%) der Sonderschüler gegenüber etwas mehr als einem Viertel (28%) der Hauptschüler die je eine Lehre begonnen hatten, davon drei Viertel der Mädchen konnten die Lehrausbildung nicht beenden. Dabei hatten diese Jugendlichen keineswegs leicht aufgegeben: Ein Drittel hatte zwei Versuche, 16% drei oder vier Versuche unternommen, doch noch zu einem Lehrabschluß zu kommen; zwei Fünftel hatten nicht nur die Lehrstellen, sondern auch den Lehrberuf gewechselt. Für den Abbruch gaben bei weitem die meisten Jugendlichen (44%) und hier vor allem wieder Mädchen soziale Gründe an, also etwa die Notwendigkeit, der Familie den Haushalt zu führen oder ein erkranktes Familienmitglied zu pflegen, etc. Der Rest verteilte sich etwa gleichermaßen auf Unzufriedenheit mit dem Beruf (22%), Schwierigkeiten mit der Bewältigung der Ausbildung (19%) oder Probleme am Arbeitsplatz (15%).

Damit zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen der mangelnden Förderung der Lernbehinderten bei der Beratung und Vermittlung und ihrem Scheitern in der Ausbildung.

So könnte es bei entsprechender Kenntnis der sozialen Situation durchaus gelingen, die Abbrüche von Lehrausbildungen auf Grund familiärer oder auch ökonomischer Schwierigkeiten durch Organisation von Beihilfen oder Sozialdiensten etc. zu verringern.

Die Ermöglichung einer eigenen, fundierten Berufswahl der Jugendlichen durch eine längere, ihren Bedürfnissen besser angepaßte Berufsinformation anstelle einer Steuerung ihrer Entscheidung entsprechend dem Lehrstellenangebot würde die Zahl der von ihrem Beruf Enttäuschten reduzieren.

Probleme am Arbeitsplatz könnten einerseits durch die Schaffung besserer Voraussetzungen für die Vermittlung - also Intensivierung des Kontaktes zu Schülern wie auch zu Lehrherrn, andererseits aber durch eine ständige Kontrolle des Vermittlungserfolges und ein zeitgerechtes Eingreifen bei auftauchenden Problemen hintangehalten werden.

Eine solche nachgehende Betreuung würde es auch ermöglichen, auftretende Schwierigkeiten bei der Bewältigung der Ausbildung - und zwar sowohl in der Berufsschule wie auch am Arbeitsplatz rechtzeitig zu erkennen und auszugleichen.



[3] Alle zahlenmäßigen Angaben stammen aus einer auf administrativen Dokumenten basierenden Untersuchung über Wiener Schulabgänger des Jahres 1974,welche vom Arbeitsamt für Jugendliche beraten worden waren (WIMMER 1980).

[4] In ländlichen Gebieten war diese frühzeitige Resignation, v.a. bei Mädchen aus Sonderschulen, noch wesentlich stärker ausgeprägt (FORSTER u.a.1981, S. 39).

Ehemalige Sonderschüler: Sozial benachteiligt, minderqualifiziert, abgestempelt

Sonderschüler hatten sowohl eine geringere Chance als Hauptschüler eine Ausbildung zu beginnen als auch eine begonnene Ausbildung zu beenden, sie wurden also häufiger Hilfsarbeiter. Die Arbeitssituation der jugendlichen Hilfsarbeiter war geprägt von außerordentlich geringer Arbeitsplatzsicherheit und langen Perioden von Arbeitslosigkeit: In den ersten vier Jahren ihrer Berufstätigkeit waren die Jugendlichen, die 1974 die Sonderschule verlassen hatten, also zu einer von der Arbeitsmarktlage her noch verhältnismäßig günstigen Zeit ein volles Jahr arbeitslos gewesen. Sie hatten jede ihrer Stellen im Durchschnitt nur etwa sechs Monate behalten und hatten dann jeweils zweieinhalb Monate gebraucht, um wieder eine Stelle zu finden.

Sehr viel besser dagegen präsentierte sich die Berufssituation der Sonderschüler, denen es gelungen war, eine Lehrausbildung abzuschließen: Sie waren fast durchgehend 96% der Lehrzeit beschäftigt gewesen. Sie hatten eine Stelle im Durchschnitt etwa 30 Monate innegehabt und hatten bei einem Stellenwechsel nur etwa einen Monat gebraucht, bis sie wieder zu arbeiten begannen.

Daß diese Unterschiede in der Berufssituation auf den Status als Hilfsarbeiter oder Lehrling, nicht aber auf individuelle Verschiedenheiten zurückzuführen sind, zeigen die Berufslaufbahnen jener Jugendlichen, die sowohl Lehrlinge wie auch Hilfsarbeiter gewesen waren: Als Hilfsarbeiter verloren sie ihre Stellen weitaus schneller und waren auch länger arbeitslos als während der Lehrzeit. War der Status als Hilfsarbeiter oder Lehrling einmal erreicht, zeigten sich keine Unterschiede in der Arbeitsplatzsicherheit danach, ob der Jugendliche aus der Haupt- oder der Sonderschule gekommen war.

Die ungenügende berufliche Qualifikation der ehemaligen Lernbehinderten ist als Hauptdeterminante ihrer schwachen Arbeitsmarktposition anzusehen. Ca. 10 Jahre nach Pflichtschulabgang war ihre berufliche Situation vor allem durch niedrige berufliche Positionen gekennzeichnet (FORSTER u.a.1981, S.61-63). Mit der niedrigen beruflichen Position gingen weniger Gratifikationen und mehr Belastungen einher (a.a.O, S.65-69). Als eine bereits im Alter von ca. 25 Jahre nachweisbare Folge ist der deutlich schlechtere körperliche Gesundheitszustand ehemaliger Sonderschüler (verglichen mit ehemaligen Hauptschülern) anzusehen (a.a.O, S.76). Ehemalige Sonderschüler empfanden ihre aktuelle Lebenssituation wesentlich häufiger problematisch und unbefriedigend als die Vergleichsgruppe (a.a.O., S.78-80).

Zusammenfassend ist somit festzustellen, daß nach den Ergebnissen verschiedener Untersuchungen Lernbehinderungen durch die Ausgliederung in Sonderschulen nicht kompensiert, sondern eher verfestigt werden. Nach den Ergebnissen der dargestellten österreichischen Studie werden lernbehinderte Sonderschulabgänger nach der Pflichtschule übergangslos und ohne nennenswerte Unterstützung, mit geringerer Qualifikation und abgestempelt durch ihren Sonderstatus in einen Konkurrenzkampf um Arbeits- und Ausbildungsplätze entlassen, den sie überwiegend nicht bestehen können.

Der Übergang von der Schule in den Beruf, die Zuweisung zu niedrigeren beruflichen Positionen, erweist sich als weichenstellend für die weitere berufliche und soziale Lage. Die Maßnahmen der Arbeitsmarktverwaltung sind dabei kaum geeignet, an diesem "Karriereübergang" die fast zwangsläufig wirkenden Mechanismen abzuschwächen. Wenn auch unter anderen Randbedingungen, wird beim Berufseintritt nochmals die vorherrschende gesellschaftliche Strategie gegenüber "Lernbehinderten" reproduziert: Schul -und Arbeitsmarktverwaltung verwalten die "Dummheit", die als individuelles Schicksal des Betroffenen gilt. Verwaltung bedeutet Zuweisung, Selektion- gleich ob dies durch ein Überstellungsverfahren in die Sonderschule oder die vermeintlich anonymen Mechanismen von Angebot und Nachfrage geschieht. Verwaltung bedeutet den Verzicht auf grundlegende Eingriffe, den Verzicht auf Unterstützung zur Selbsthilfe, Entwicklung und Emanzipation. Die Strategie der Verwaltung von sozialen Problemen trägt letztlich zur Verfestigung bestehender sozialer Ungleichheit bei.

Literaturverzeichnis:

FORSTER, R., Wem nützt die Sonderschule? Kritische Anmerkungen zur Praxis der Aussonderung lernbehinderter Kinder in eigene Schulen, in:

M.NEIDER, A.RETT (Hrsg.), Behindertenpolitik - Politik für Behinderte, Jugend & Volk, Wien-München 1981, S. 205-230.

FORSTER, R.,u.a., Normalisierung oder Ausschließung - über die Berufsfindung und das Lebensschicksal von Sonderschulabgängern, Sonderpublikation des Instituts für Höhere Studien, Wien 1981.

MARQUARDT, R., Sonderschule - und was dann? Zur Situation der Sonderschüler auf dem Arbeitsmarkt und im Beruf, Campus, Frankfurt-New York 1977 (2. Auflage).

WIMMER, H., Die berufliche Integration von Abgängern Allgemeiner Sonderschulen des Jahres 1974 in Wien unter besonderer Berücksichtigung der von der Arbeitsmarktverwaltung angebotenen Serviceleistungen, in: Normalisierung oder Ausschließung - über die Berufsfindung und das Lebensschicksal von Sonderschulabgängern, 2. Ergebnisbericht, Institut für Höhere Studien, Wien 1980 (unveröffentlichter Projektbericht).

Quelle:

Helga Wimmer: Die Berufseingliederung lernbehinderter Sonderschüler oder: Wie man Hilfsarbeiter wird.

Erschienen in: Forster, Rudolf/ Schönwiese, Volker (Hrsg.): BEHINDERTENALLTAG - wie man behindert wird, Jugend und Volk, Wien 1982, S. 187 - 200

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 21.06.2005

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