Stellungnahme vom Netzwerk Selbstvertretung Österreich zum 1. Staatenbericht

Schlagwörter: Selbstbestimmung, Bildung, Familie, Recht, Arbeit, Inklusion, Assistenz, Beschäftigungstherapie, Gewalt, Österreich, Menschen mit Lernschwierigkeiten, UN-Konvention, Missbrauch, Selbstvertretung
Textsorte: Artikel
Releaseinfo: Dies ist ein Text von der Internet-Seite von wibs
Copyright: © Netzwerk Selbstvertretung Österreich 2010

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Diesen Text haben wir von der Internet-Seite von wibs.

Das ist die Internet-Adresse von wibs:

http://www.wibs-tirol.at

Das Netzwerk Selbstvertretung Österreich hat den Text geschrieben.

Dieser Text ist aus dem Jahr 2010.

Das Thema heißt: Stellungnahme vom Netzwerk Selbstvertretung

Österreich zum 1. Staatenbericht

Information zu diesem Text vom Netzwerk Selbstvertretung Österreich

Wir können nicht zu allen Artikeln unsere Meinung schriftlich

abgeben.

Es ist uns aber sehr wichtig,

dass auch unsere Meinung gehört und berücksichtigt wird.

Deswegen haben wir hier unsere Meinung zu einigen wichtigen

Artikeln aufgeschrieben.

Zu Artikel 8: „Bewusstseinsbildung.“

Peer Counseling Projekte und Sensibilisierungsprojekte werden in

Österreich heuer noch bezahlt.

Aber viele wurden gekürzt oder bekommen überhaupt kein Geld

mehr.

Mit Ende 2010 sollen solche Projekte überhaupt nicht mehr bezahlt

werden.

Da endet eine Übergangsfrist, die 2003 beschlossen wurde.

Ab 2011 sollen nur noch Projekte bezahlt werden,

die Menschen mit Behinderungen in den 1. Arbeitsmarkt bringen.

Dadurch verlieren viele SelbstvertreterInnen ihre Arbeit.

Ihr Wissen geht verloren.

Peer Counseling Projekte und Sensibilisierungsprojekte müssen

auch weiterhin bezahlt werden!

Sie sind wichtig,

damit die Öffentlichkeit ein respektvolleres Bild von unseren

Fähigkeiten bekommt.

Wir müssen andere über die Rechte von Menschen mit

Behinderungen aufklären, so wie es in der UN Konvention steht.

Wir brauchen unabhängige Beratung und Informationen.

Nur so bekommen wir mehr Wissen über unsere Rechte und

Pflichten.

Nur wenn wir wissen was Recht und Unrecht ist können wir uns

wehren.

Zum Beispiel gegen Missbrauch.

Zu Artikel 16: „Freiheit von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch.“

In Einrichtungen wird man fremdbestimmt.

Selbstbestimmung gibt es in Einrichtungen nicht.

In Einrichtungen kann man höchstens mitbestimmen.

Und auch nur dann,

wenn die EinrichtungsleiterInnen das erlauben.

Viele Menschen mit Lernschwierigkeiten werden missbraucht.

Missbraucht werden heißt, nicht nur geschlagen zu werden.

Manchmal werden wir wie Kinder behandelt oder bestraft.

Auch das ist Missbrauch.

Alle Menschen mit Lernschwierigkeiten brauchen Unterstützung.

Einige Einrichtungen, Eltern und BetreuerInnen nutzen das aus.

Missbrauch gibt es nicht nur in Einrichtungen.

Auch zu Hause.

Es braucht unabhängige Stellen, die alle Einrichtungen

überwachen.

Unabhängig heißt, dass sie nicht gleichzeitig auch die Interessen

von Eltern oder von BetreuerInnen, von Dienstleistern oder dem

Geldgeber vertreten.

Diese Stellen müssen sich auf die Seite der Menschen mit

Lernschwierigkeiten stellen.

Diese Stellen müssen den Menschen mit Lernschwierigkeiten

glauben, was sie erzählen.

Denn es ist nicht einfach sich gegen BetreuerInnen, Einrichtungen

und Eltern zu wehren.

Am besten geht das mit unabhängiger Peer Beratung.

Die soll es in jedem Bundesland.

Zu Artikel 19: „Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft.“

Wir Menschen mit Lernschwierigkeiten leben fast immer in

Einrichtungen.

Wir werden nicht gefragt, wo, wie und mit wem wir leben möchten.

Viele wissen nicht,

dass es persönliche Assistenz überhaupt gibt.

Aber wir haben das Recht auf persönliche Assistenz in allen

Lebensbereichen.

Zum Beispiel beim Wohnen, in der Freizeit und bei der Arbeit!

So steht es in der UN Konvention.

In Österreich ist es auch ein Problem,

dass viele Menschen mit Lernschwierigkeiten eine niedere

Pflegestufe bekommen.

Zum Beispiel: Pflegestufe 1 oder 2.

Trotzdem brauchen wir Unterstützung.

Manche mehr und manche weniger.

Doch mit Pflegestufe 1 oder 2 können wir die Unterstützung die wir

brauchen nicht bezahlen.

Außerdem bekommen wir mit Pflegestufe 1, 2 und 3 keine

persönliche Assistenz am Arbeitsplatz.

Das ist nicht richtig.

Zu Artikel 23: „Achtung der Wohnung und der Familie.“

Menschen mit Lernschwierigkeiten werden nicht darüber informiert,

welche Wohnmöglichkeiten es für uns gibt.

Wir kommen oft einfach dahin, wo ein freier Platz ist.

Ohne gefragt zu werden.

Eltern, BetreuerInnen und HeimleiterInnen bestimmen darüber,

wie wir unser Leben leben sollen.

Wir werden nicht gefragt, wo und mit wem wir wohnen wollen.

Wenn wir aus den Heimen ausziehen wollen,

dann müssen wir hart dafür kämpfen.

Dafür brauchen wir sehr viel Mut und Kraft.

In den meisten Einrichtungen werden wir nämlich nicht dabei

unterstützt auszuziehen.

Alle Menschen mit Lernschwierigkeiten müssen über die

verschiedenen Wohnmöglichkeiten aufgeklärt werden.

Zum Beispiel: Über das Leben mit persönlicher Assistenz, das

Leben in einer Wohngemeinschaft oder das Leben in einem Heim.

Außerdem haben wir das Recht uns immer wieder neu zu

entscheiden.

Ein ganzes Leben lang.

Artikel 24: „Bildung.“

In Österreich gibt es noch sehr viele Sonderschulen.

Es gibt aber auch integrative Schulen.

Es wäre besser, wenn es nur 1 Schule für alle gibt.

Das ganze Geld, das in 2 Schulsysteme geht, soll in 1 Schulsystem

gehen.

So bekommen dann alle SchülerInnen die Unterstützung,

die sie brauchen.

Auch als erwachsene Menschen haben wir Männer und Frauen mit

Lernschwierigkeiten das Recht auf Bildung.

So wie alle anderen Menschen auch.

Bildungsangebote müssen für alle zugänglich sein.

Das heißt sie müssen in leichter Sprache sein.

Und es muss Assistenz beim Lernen geben.

Artikel 27: „Arbeit und Beschäftigung.“

Die meisten Menschen mit Lernschwierigkeiten in Österreich sind in

der Beschäftigungstherapie.

Dort sind wir nicht pensions- und sozialversichert.

Das heißt, wir können nicht in Pension gehen.

Wir bekommen nur ein Taschengeld.

Wir haben so auch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld.

In der Beschäftigungstherapie werden Menschen mit

Lernschwierigkeiten ganz oft nicht darüber aufgeklärt,

dass das keine richtige Arbeit ist.

Viele wissen also gar nicht,

dass sie keine sozialversicherte Arbeit haben.

Die Arbeit in der Beschäftigungstherapie muss sozialversichert und

bezahlt werden.

Menschen mit Lernschwierigkeiten müssen Informationen und

Unterstützung bekommen, welche Möglichkeiten wir haben.

Es ist wichtig, dass diese Beratung nicht von den Menschen

gemacht wird, die eine Dienstleistung verkaufen wollen.

Es ist auch wichtig, dass diese Beratung nicht von den Menschen

gemacht wird, die die Dienstleistungen bezahlen müssen.

Und es ist wichtig, dass die Beratung nicht von Eltern gemacht wird.

Nur so kann sich der oder die Beraterin voll auf die Seite der

Person mit Lernschwierigkeiten stellen.

Zu Artikel 29: „Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben.“

Am politischen Leben teilhaben zu können,

heißt nicht nur wählen gehen zu dürfen.

Wir Menschen mit Lernschwierigkeiten haben auch das Recht

gewählt zu werden!

Gesetze, Wahlprogramme und Stimmzettel müssen in leicht lesen

zur Verfügung stehen.

Das ist im Moment noch nicht so.

Es muss Schulungen für Menschen mit Lernschwierigkeiten geben,

in denen das Wählen erklärt wird.

Aber das reicht noch nicht.

Wir Männer und Frauen mit Lernschwierigkeiten brauchen eine

eigene und unabhängige Interessensvertretung.

Wir brauchen keine DienstleiterInnen, Eltern oder BetreuerInnen die

für uns sprechen.

Wir können und wollen für uns selbst sprechen!

Jede Interessensvertretung braucht Geld und Unterstützung.

In Österreich gibt es unser Netzwerk Selbstvertretung.

Das hat letztes Jahr und heuer Geld vom Staat bekommen.

Aber das Geld reicht nicht,

damit die SelbstvertreterInnen für ihre Arbeit bezahlt werden.

Außerdem müssen wir jedes Jahr einen neuen Antrag stellen.

Quelle

Netzwerk Selbstvertretung Österreich: Stellungnahme vom Netzwerk Selbstvertretung Österreich zum 1. Staatenbericht. Innsbruck 2010.

Original: http://www.wibs-tirol.at/userfiles/dateien/2010_Stellungnahme_Staatenbericht.pdf

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 01.03.2016

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