Bevor ich sterbe

In Einfacher Sprache

Autor:in - Jenny Downham
Schlagwörter: Erfahrungsbericht, Selbstbestimmung, Sexualität
Textsorte: Buch
Releaseinfo: Herausgegeben vom Spaß am Lesen Verlag
Copyright: © Spaß am Lesen Verlag 2016

Informationen von bidok

Jenny Downham hat ein Buch geschrieben.

Das Buch heißt: Bevor ich sterbe.

Das Buch gibt es auch in Einfacher Sprache.

In unserer Bibliothek können Sie

in das Buch in Einfacher Sprache hinein-lesen.

Sie finden hier die ersten Seiten von dem Buch.

Das ganze Buch können Sie für 14,00 Euro bestellen.

Hier können Sie das Buch bestellen:

Spaß am Lesen Verlag

Sie können das Buch auch in einer Buch-Handlung bestellen.

Das Buch ist vom Spaß am Lesen Verlag.

Einige Wörter sind fett geschrieben.

Das sind schwere Wörter.

Die schweren Wörter werden in einer Wörter-Liste erklärt.

Die Wörter-Liste finden Sie am Ende von diesem Text.

1

Ich hätte gerne einen Freund.

Er soll in meinem Schrank sitzen.

Dann kann ich ihn herausholen, wann immer ich will.

Er soll mich ansehen:

voll Verlangen, voll Bewunderung. Schweigend.

Er soll seine Lederjacke ausziehen

und seine weiße Jeans-Hose.

Und dann soll er auch mich ausziehen und flüstern:

„Tessa, ich liebe dich.

Ich liebe dich verdammt noch mal.

Du bist so schön.“

Ich setze mich im Bett hin und mache das Licht an.

Nehme einen Stift und schreibe auf die Wand neben mir:

„Ich will einen Jungen auf mir spüren.“

Dann lege ich mich wieder hin

und starre durchs Fenster in den Himmel.

Er ist rot und grau.

Es ist Samstagabend.

Papa und mein Bruder Cal essen gleich vor dem Fernseher,

jeder mit einem Teller auf dem Schoß.

Papa brät gerade Würstchen.

Ich höre Cal die Treppe hochkommen.

Er fragt, ob ich auch etwas essen will.

„Nein, ich habe keinen Hunger“, sagte ich.

„Das wird Papa nicht gefallen.

Was soll ich ihm denn sagen?“, fragt Cal.

„Dass ich einen kleinen Elefanten haben möchte“, antworte ich.

Cal lacht. „Ich werde dich vermissen“, sagt er.

2

Zoey kommt einfach zu mir ins Zimmer herein,

sie klopft nicht einmal.

Sie guckt mich erstaunt an.

„Was ist los mit dir?“, fragt sie.

„Wieso?“

„Kommst du nicht nach unten?“

„Hat mein Vater dich angerufen?“

Sie nickt kurz.

„Hast du Schmerzen?“

„Nein.“

Zoey zieht ihre Jacke aus.

Sie trägt ein kurzes rotes Kleid.

Es steht ihr super.

„Gehst du aus?“, frage ich.

Sie zuckt mit den Schultern.

„Was hast du denn da auf die Wand geschrieben?“

Sie kommt näher und liest den Text ein paar Mal.

Sie lacht.

„Dein Vater denkt wohl eher,

dass du dir ein Pony wünschst“, sagt sie dann.

„Oder einen Ausflug nach Disneyland.

Aber bestimmt nicht Sex mit einem Jungen.“

Wir lachen beide.

Lange und laut.

Lachen mit Zoey, das mache ich am allerliebsten.

Das werde ich am meisten vermissen.

Und atmen.

Und reden.

Und Torte essen.

Und angeln gehen.

Ich liebe es zu angeln.

„Hilf mir, Zoey“, sage ich.

Zoey guckt mich erstaunt an.

„Wobei?“, fragt sie.

„Ich habe eine Liste“, sage ich.

„Eine Liste von Dingen, die ich alle noch machen will.

Du musst mir dabei helfen.

Und du musst dafür sorgen, dass ich auch echt alles mache.“

„Du meinst das, was du auf die Wand geschrieben hast?“

Sie grinst.

„Ja. Und noch viel mehr.

Aber das ist der Anfang.

Du hast schon mit so vielen Jungs geschlafen –

und ich habe noch nicht mal geknutscht!“

Ich sehe, dass Zoey beeindruckt ist.

Das hat sie nicht von mir erwartet.

„Okay“, sagt sie langsam.

Sie geht zu meinem Schrank und kramt darin herum.

Dann holt sie das Wickel-Kleid heraus.

Papa hat es letzten Monat für mich gekauft.

Das Preisschild hängt noch daran.

„Ich ziehe das hier an“, sagt Zoey.

„Und du ziehst mein Kleid an.“

Sie knöpft ihr Kleid auf.

„Gehen wir etwa aus?“

Sie verdreht die Augen und lacht:

„Tessa, es ist Samstagabend!“

Ich schwanke, als ich mich hinstelle.

Zoey hilft mir in das rote Kleid.

Es duftet so gut wie sie.

„Warum soll ich dein Kleid anziehen?“

„Dann fühlst du dich gleich wie jemand anders.“

Ich gucke in den Spiegel:

Es ist fantastisch!

Ich sehe echt ganz anders aus:

Mit großen Augen, gefährlich.

Sogar meine Haare sehen gut aus.

Nicht wie gerade nachgewachsen nach der Chemo.

Sie sehen aus, als ob ich sie extra ganz kurz geschnitten hätte.

Sie nimmt meinen Korb mit Make-up

und setzt sich neben mich aufs Bett.

Sie malt meine Lippen mit Lippenstift aus,

tuscht meine Wimpern ganz dunkel.

Im Spiegel glitzere und funkele ich.

Ein bisschen so wie sie.

„Wo willst du hin?“, fragt sie.

Ich überlege – alles ist möglich:

Ein Café, eine Disco, eine Party.

Ich stelle mir einen großen, dunklen Saal vor.

Einen Raum,

in dem man sich kaum bewegen kann, so voll ist es.

Und ich will ganz laute Musik.

„Lass uns tanzen gehen“, sage ich.

„Lass uns ein paar Jungs suchen und Sex haben.“

„Okay“, Zoey nimmt ihre Tasche

und geht mit mir nach unten.

Papa kommt aus dem Wohnzimmer

und guckt uns verdutzt an.

„Du bist aufgestanden“, sagt er.

„Ein Wunder!“

Und zu Zoey: „Wie hast du das bloß geschafft?“

„Wir gehen aus“, sage ich.

Als ob ich das jeden Samstag tun würde.

Papa guckt besorgt auf die Uhr.

„Ich kümmere mich um sie“, beruhigt Zoey ihn.

„Nein“, Papa schüttelt den Kopf.

„Sie braucht Ruhe.“

Er macht einen Schritt auf mich zu.

„Wenn sie Ruhe braucht, warum haben Sie mich dann angerufen?“

„Du solltest mir ihr reden – nicht gleich mit ihr ausgehen!“

„Machen Sie sich mal keine Sorgen“, sagt Zoey und lacht.

„Ich habe das Auto meiner Mutter

und bringe sie auch wieder nach Hause.

So gehen drei Uhr.“

„Das ist viel zu spät“, findet Papa.

„Sie muss spätestens um 12 Uhr zu Hause sein.“

Zoey nimmt ihre Tasche

und wir machen uns auf den Weg.

„12 Uhr ist auch okay“, sage ich zu ihr beim Hinausgehen.

Sie bleibt an der Tür stehen

und schaut mich streng an.

„Wenn du die Liste abarbeiten willst,

dann darfst du dich nicht an die Regeln halten“, erklärt sie mir.

„Aber ich will echt um 12 Uhr zu Hause sein“, sage ich.

„Sonst macht er sich Sorgen.“

„Und wenn schon“, sagt Zoey

und tritt aus dem Haus.

„Für jemanden wie dich hat das doch keinerlei unangenehme Folgen.“

Da muss ich drüber nachdenken.

3

Wir kommen ohne Probleme am Türsteher vorbei.

In der Disco gibt es immer zu wenig Mädchen am Samstagabend.

Und Zoey sieht super aus.

Wir stehen erst ganz hinten in der Reihe,

aber der Türsteher winkt uns nach vorne.

„Einen schönen Abend, die Damen.“

Wir brauchen noch nicht mal zu bezahlen.

An der Theke bestellen wir beide eine Cola.

Zoey schüttet noch Rum dazu,

den hat sie in einer kleinen Flasche in ihrer Tasche dabei.

Ich trinke nicht.

Ich war einmal sturzbetrunken nach einer Bestrahlung.

Da hatte ich alle Flaschen aus Papas Schrank leergetrunken.

Seitdem denke ich immer sofort an Bestrahlung,

wenn ich Alkohol trinke.

„Ich habe Kondome dabei“, sagt Zoey.

„Sie sind in meiner Tasche.“

Sie legt ihre Hand auf meine.

„Alles okay?“

„Ja, klar.“

Ich atme tief durch:

Ich habe mit meiner Liste angefangen.

Ich werde nicht sterben,

bevor ich nicht alle zehn Dinge auf der Liste gemacht habe.

„Guck mal“, sagt Zoey.

„Wie findest du den da?

Sieht super aus, oder?“

„Ich will keinen Kiffer“, antworte ich.

„Ich will auch niemanden, der total besoffen ist.

Ich will jemanden,

der sich daran erinnert, dass er mit mir geschlafen hat.“

„Auch wenn es jetzt vielleicht blöd klingt, Tessa:

Aber so viel Zeit hast du leider nicht mehr“, sagt Zoey.

Sie zieht mich auf die Tanzfläche.

„Das hier ist meine Freundin“, ruft sie dem Kiffer durch die Musik zu.

„Sie heißt Tessa und will gerne mal an deinem Joint ziehen.“

Er lächelt und gibt mir den Joint.

Ich muss husten und mir wird schwindelig.

Zoey nimmt den Joint und inhaliert tief.

Zu dritt bewegen wir uns zur Musik.

Durch die Musik sind wir miteinander verbunden.

Wenige Stunden – oder Minuten – später sitze ich auf dem Klo.

Als ich das Kleid hochziehe,

sehe ich rote Flecken auf meinem Bauch.

Zoey wartet auf mich, als ich aus der Kabine komme.

„Er hat einen Freund“, sagt sie.

„Der ist süßer und den darfst du haben.

Sie heißen Scott und Jake

Und wir gehen mit zu ihnen nach Hause.“

Ich wasche sehr lange meine Hände

und gucke dann in den Spiegel.

Meine Augen blicken mich ganz fremd an.

Zoey zieht mich aus der Toilette.

„Da sind sie, der da ist für dich.“

Er steht da wie ein Cowboy,

mit seinen Daumen am Gürtel.

Ich weiche zurück.

„Ich kann das nicht“, sage ich zu Zoey.

„Klar kannst du das!

Lebe wild, sterbe jung und sei eine schöne Leiche!“

„Nein, Zoey!

Ich will nicht mit fremden Jungs nach Hause,

die ich überhaupt nicht kenne.

Da kann alles Mögliche passieren.“

„Sehr schön.

Genau das hoffe ich:

Dass alles Mögliche passieren wird.

Sonst passiert nämlich überhaupt nichts mehr in deinem Leben.“

Ich habe plötzlich Angst.

Zoey sieht es.

„Komm schon“, sagt sie beruhigend.

„Dann kannst du gleich die erste Sache

von dieser dämlichen Liste streichen.

Ich weiß, dass du es willst.

Sag es laut und deutlich, Tessa!“

„Ja.“

Sie nimmt meine Hand und zieht mich mit.

„Jetzt werden wir erstmal deinem Vater eine SMS schreiben,

dass du bei mir schläfst.“

4

„Magst du kein Bier?“, fragt Jake.

Er lehnt gegen den Küchenschrank

und ich stehe ganz nah bei ihm, zu nahe.

„Ich hatte mehr Lust auf Tee.“

Er nimmt einen Schluck Bier

und wischt sich den Mund am Ärmel ab.

„Alles okay?“, fragt er.

„Ja, mit dir auch?“

Er lächelt mich an.

Er hat ein nettes Lächeln.

Zoey tanzt mit dem Kiffer im dunklen Wohnzimmer.

Sie hat einen Joint in der Hand

und ist ziemlich weggetreten.

„Ihr braucht euch keine Hoffnungen zu machen“,

hatte sie gesagt, als wir ins Haus gingen.

Ich weiß, dass ich mich nicht an den Plan zu halten brauche.

Noch kann ich einfach gehen.

„Küss mich“, sage ich zu Jake.

Ich wusste immer schon, dass ich gut küssen konnte.

Ich habe alles darüber gelesen:

Über Nasen, die einander im Wege stehen.

Über zu viel Spucke

Und wo man mit seinen Händen hin soll.

Wir küssen einander minutenlang,

unsere Körper aneinandergedrückt.

Ich fühle durch mein rotes Kleid, wie sehr er mich will.

„Komm mit nach oben“, sagt er leise.

Er nimmt meine Hand

und zieht mich hinter sich her.

Im Wohnzimmer lasse ich ihn kurz los,

um Zoeys Tasche mitzunehmen.

Sie sieht es und streckt mir die Zunge raus.

Mir ist ein bisschen schlecht,

als ich hinter Jake die Treppe hochgehe.

Sein Schlafzimmer ist ziemlich klein und unscheinbar.

Er wirft die dreckige Wäsche vom Bett

und zieht die Bettdecke gerade.

„Komm, setz dich neben mich.“

Ich bleibe ein bisschen steif stehen.

„Kannst du vielleicht ein paar Kerzen anzünden

und das Licht ausmachen?“, frage ich ihn.

Das ist mein großer Moment,

aber ich habe Angst.

Ich muss so tun, als ob ich jemand anders wäre.

Zoey.

Ich fange an, die Knöpfe an meinem Kleid aufzumachen –

bis ich in BH und Unterhose vor ihm stehe.

„Was ist das?“ fragt er.

Er guckt auf die schrumpelige Haut auf meiner Brust.

„Ich war krank.“

„Was hattest du denn?“

Ich küsse ihn, damit er nicht weiter fragen kann.

Die Kerzen knistern.

„Ich habe das noch nie gemacht“, sage ich leise.

„Wow, abgefahren.“

Er legt einen Arm um mich

und streichelt meinen Rücken

und meinen Nacken.

Vielleicht brauchen wir es gar nicht zu machen, denke ich.

Vielleicht können wir uns einfach aneinander kuscheln

und einschlafen.

Uns verlieben.

Es ist nur ein kurzer Moment:

„Hast du Kondome?“, fragt er.

„Meine sind auf.“

Ich nehme Zoeys Tasche

und werfe den Inhalt auf den Boden.

Er nimmt ein Kondom und legt es neben sich bereit.

Ich ziehe meinen BH und meine Unterhose aus.

Mein Herz schlägt wie verrückt.

Er hat Schwierigkeiten mit seiner Unterhose,

fummelt daran herum.

Dann sind wir beide nackt.

Ich denke an Adam und Eva.

Er nimmt mich in den Arm.

„Hab keine Angst“, sagt er.

„Es wird dir gefallen.“

Wir kriechen unter die Decke.

Es ist unser Boot.

Unsere Hütte.

Unser Versteck.

Wir fangen an uns zu küssen, erst langsam.

Aber dann fliegt seine Zunge hin und her,

seine Hände sind überall.

„Oh ja, oh ja“, sagt er die ganze Zeit.

Aber ich glaube nicht, dass er mich meint.

Seine Hand gleitet nach unten.

Ich will das nicht und drehe meine Hüfte weg.

Aber er hört nicht auf.

Dann setzt er sich plötzlich im Bett auf.

„Alles in Ordnung?“, fragt er.

Ich nicke.

Er nimmt das Kondom und zieht es über.

Das geht ganz schnell.

Er ist ein Kondom-Kenner.

„Bist du bereit?“

Ich nicke wieder.

Es wäre unhöflich, jetzt noch Nein zu sagen.

Oder?

Er drückt meine Knie auseinander

und legt sich auf mich.

Dann spüre ich ihn in mir

und weiß endlich, worüber alle reden.

Das ist es also.

Es passiert tatsächlich.

Ich erlebe es.

Jetzt.

Sex.

Ich denke, dass ich mich unter dem Bett sicherer fühlen würde.

Oder mit dem Kopf auf dem Schoß meiner Mutter.

Als es vorbei ist, fühle ich mich klein

Und bedeutungslos.

Ich schluchze wie ein kleines Kind,

während ich in seinen Armen liege.

„Ganz ruhig“, flüstert er in mein Ohr.

Seine Hand dreht kleine Kreise auf meinem Rücken.

Wörter-Liste

Disneyland

ein Freizeitpark

Chemo

Behandlung bei Krebspatienten

Bestrahlung

Behandlung bei Krebspatienten

Kiffer

Jemand, der Hasch raucht.

Hasch ist eine Droge,

die mit Tabak gemischt wird.

Joint

Haschzigarette

Quelle

Jenny Downham: Bevor ich sterbe. Spaß am Lesen Verlag. Münster 2016.

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 02.05.2017

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