Behinderte Frauen weltweit

Autor:in - Martina Puschke
Themenbereiche: Recht
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Impressionen vom Weltgipfel von Disabled Peoples International 2004 in Winnipeg, Kanada erschienen in: WeiberZeit, Zeitschrift des Projektes "Politische Interessenvertretung behinderter Frauen" des Weibernetz e.V., Ausgabe 5/November 2004, S.1-3 WeiberZeit (05/2004)
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Behinderte Frauen weltweit

Frauen in bunten Saris sitzen neben ebenfalls farben-prächtig gekleideten Schwarzafrikanerinnen. Sie reihen sich ein in die Menge geschäftsmäßig oder auch lässig gekleideter Frauen und Männer aus allen fünf Kontinenten. Ein Sprachengewirr flirrt durch den Raum. Einige umarmen sich und freuen sich über das Wiedersehen. Sogar Geschenke werden ausgetauscht. Andere beobachten die Menge und schauen, was auf sie zukommen wird. Sie haben eines gemeinsam: Sie sind beheimatet in der weltweit organisierten Selbstbestimmt-Leben-Bewegung behinderter Menschen. Und sie wollen in der kanadischen Provinz Manitoba ihre Verschiedenheit feiern. Diversity within - so lautet das Motto des diesjährigen Weltgipfels von Disabled Peoples´ International - DPI.

Spannung und Neugier liegt in der Luft. Für Viele der Anwesenden war es ein Akt, vom 8. - 10. September hier her zu kommen, nach Winnipeg, im Süden Kanadas. Ungefähr 800 Delegierte aus 109 Ländern sind gekommen.

Doch nicht alle, die kommen wollten, haben es geschafft. 43 mussten draußen bleiben. Trotz gekauftem Flugticket und Hotelreservierung. Denn ihnen wurde die Einreisegenehmigung verweigert. Die kanadischen Behörden befürchteten, dass ärmere behinderte Menschen, z.B. aus Peru, einen Asylantrag stellen könnten, weil sie in Kanada bleiben wollen. Somit wurde "Armut" dank der kanadischen Bürokratie ein Ausschlusskriterium. Dies wurde jedoch erst nach dem Kongress bekannt. Ein Wehrmutstropfen der bleibt und der wütend macht.

Schließlich leben von weltweit 600 Mio. behinderten Menschen 80 % in sogenannten Entwicklungsländern. Und es ist wichtig, dass Delegierte von den verschiedenen Kontinenten und Ländern an Konferenzen wie diesen teilnehmen, um Erfahrungen auszutauschen und Strategien auch im Kampf gegen Hunger, Armut und Folgen von Kriegen zu entwickeln. Dies sind wichtige Themen von DPI.

Die Delegierten aus Deutschland konnten dank der Finanzierung durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und das Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung nach Kanada fliegen. Sie berichteten vom Bundesgleichstellungsgesetz, dem SGB IX, der Situation behinderter Menschen in Einrichtungen, den Bemühungen, ambulante Strukturen zu schaffen und explizit von der Lebenssituation behinderter Frauen in Deutschland. In zahlreichen Gesprächen und beim Besuch des Centres for Independent Living in Winnipeg (dem Zentrum für selbstbestimmtes Leben) gab es Gelegenheit zum Austausch sowie Anregungen für neue Projektideen in Europa.

Für die Weibernetz-Vertreterinnen Brigitte Faber, Martina Puschke, Sigrid Arnade und Andrea Tischner verlief die Tagung sehr erfolgreich. Schließlich war das Thema "Behinderte Frauen" eines der vier Schwerpunktbereiche der Konferenz und entsprechend waren viele Vertreterinnen der internationalen Bewegung behinderter Frauen angereist.

Die Lebenssituation behinderter Frauen ähnelt sich auf der ganzen Welt. Überall sind Frauen mit Behinderung im besonders großen Maße von sexualisierter Gewalt betroffen. Weltweit stärken sich Frauen untereinander, gibt es Kooperationen zwischen der Frauenbewegung und behinderten Frauen, sollen Frauenhäuser barrierefrei werden.

Gemeinsamkeiten gibt es darüber hinaus im fehlenden barrierefreien Zugang zum Gesundheitssystem. Viele Arztpraxen, Therapeutinnenpraxen etc. bleiben behinderten Frauen verschlossen. (Zwangs-) Sterilisation ist für viele Frauen ein Problem. Mit kreativen Ideen wie der Herstellung eines Plakates von Frauen aus Nigeria und den USA soll eine Öffentlichkeit für dieses Problem geschaffen werden.

Auch der Zugang zum Schulsystem und zur Lebensmittelversorgung trifft behinderte Frauen in ärmeren Regionen der Welt besonders hart. Da Mädchen, behinderte Mädchen erst recht, in der Rangfolge weit hinten stehen, haben sie häufig keine Schulbildung und ernähren sich von wenig nährreichen Lebensmitteln, was wiederum einen neuen Problemkreis eröffnet.

Nach dem Motto "Gemeinsam sind wir stark" gründen behinderte Frauen überall auf der Welt Netzwerke. Sie arbeiten ähnlich wie das Weibernetz und die Landesnetzwerke behinderter Frauen hier in Deutschland. Auf der Tagung haben die deutschen Vertreterinnen Netzwerkerinnen z.B. aus Australien, Korea, Kanada, Kosovo, Nigeria und Simbabwe kennen gelernt. Andere Frauen, zum Beispiel in Thailand wollen Netzwerke aufbauen.

Frauenforderungen

Nach Zweieinhalb Tagen strömten alle wieder zurück in ihre Heimat. Erfüllt von den vielen Eindrücken, neuen Kontakten und wichtigen internationalen Forderungen, die sie gemeinsam aufgestellt haben. Dazu gehört eine UN-Konvention, welche die Anliegen behinderter Frauen berücksichtigt, der barrierefreie und gleichberechtigte Zugang zum Gesundheits- und Schulsystem und die Zusammenarbeit von Frauenorganisationen mit behinderten Frauen. Zudem sollen arabische Staaten die Belange von Frauen mit Behinderung berücksichtigen!

Und natürlich wollen sich die Frauen wieder treffen! Zum Beispiel auf einer inter-nationalen DPI-Tagung für behinderte Frauen zum Themenblock "Bioethik". Denn hier gibt es einigen Diskussionsbedarf.

Martina Puschke

Bilder von der Tagung

Information zu DPI - Disabled Peobles' International:

DPI - Disabled Peoples' International - ist eine weltweite Nichtregierungs- und Menschenrechts-organisation mit Vertretungen in mehr als 160 Ländern im Sinne der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung. DPI ist die einzige internationale Organisation, in der die Interessen behinderter Menschen behinderungsübergreifend von Frauen und Männern mit Behinderung vertreten werden.

Die Gremien von DPI müssen mit Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen aus verschiedenen Regionen der Welt besetzt sein. Zudem wird auf die paritätische Besetzung wert gelegt. Mehr Informationen (in englischer, französischer und spanischer Sprache) gibt es unter www.dpi.org

Leicht Lesen

Diesen Text gibt es auch in leichter Sprache: http://bidok.uibk.ac.at/library/wzl-5-04-puschke-weltweit.html

Quelle:

Martina Puschke: Behinderte Frauen weltweit

Erschienen in: WeiberZeit, Zeitschrift des Projektes "Politische Interessenvertretung behinderter Frauen" des Weibernetz e.V., Ausgabe 5/November 2004, S.1-3

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 20.04.2009

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