Erziehung zum Sein

Autor:in - Mauricio Wild
Themenbereiche: Vorschulischer Bereich
Schlagwörter: Kindergarten, Eltern, Erziehung
Textsorte: Referat
Releaseinfo: Erschienen in: Mit Kindern auf dem Weg II. Referate zu NÖ Kindergartensymposien, NÖ Schriften 103/Dokumentation, Neulengbach, Oktober 1997, ISBN 3-85006-095-0
Copyright: © Mauricio Wild 1997

Einleitung (Überschrift bidok)

Vielleicht, um mich selbst zu schützen, will ich Ihnen sagen, daß, falls Sie von dem Abend enttäuscht sind, das deshalb ist, weil Sie zu hohe Erwartungen an mich stellen.

Ich fühle mich in einer ähnlichen Situation wie im Jahre 1977, als wir mit dem Kindergarten in Equador angefangen haben, einem Kindergarten, den wir für unseren Sohn Raffael gemacht haben, weil wir mit dem öffentlichen Kindergarten nicht zufrieden waren. Damals hat auch die Landesschulbehörde, Kindergartenbehörde ein Kindergartensymposion organisiert und ich mußte als Leiter des Kindergartens da erscheinen und fühlte mich sehr verunsichert.

Es waren von ganz Equador 250 Kindergärtnerinnen anwesend und ich war der einzige Mann. Ich weiß nicht, ob meine Unsicherheit deshalb kam, weil alle Kindergärtnerinnen da waren oder ich eine Idee von Kindergarten oder Umgebung für Kinder, die eigentlich nicht viel mit solchen zu tun hatte, vertreten wollte. Ich weiß nicht, woher diese Unsicherheit kam. So ähnlich fühle ich mich jetzt hier.

Ich habe gefragt, als wir am Abend essen waren, wie viele Kindergärtner es gibt. Man hat gesagt, einer hätte studiert, wurde aber nicht eingestellt. Jetzt frage ich mich eben, was ich hier tue.

Für das Thema des Symposions, die Verbindung der Arbeit vom Kindergarten mit den Eltern, glaube ich, wurde die geeignete Person in mir gefunden. Schließlich bin ich so bescheiden, weil wir unsere Arbeit als Eltern gemacht haben. Ich bin kein Pädagoge, ich bin kein Kindergärtner, ich bin kein Psychologe und meine Frau ist auch nicht in dieser Richtung ausgebildet. Liebende Eltern wollen das Beste für ihr Kind und es klappt einfach nicht. Eine Bekannte hat uns das erste Mal ein Montessoribuch gegeben, das ganz neue Perspektiven eröffnete. Wir merkten eigentlich, wie ungeeignet unsere persönliche Haltung den Kindern gegenüber war und fingen an, uns zu verändern, aber ganz konkret an der Interaktion mit unserem ersten Sohn Leonardo.

Wir haben da z.B. herausgelesen, daß es günstig wäre, unserem Kind einfach die Selbständigkeit zu lassen. Wie ängstliche Eltern hatten wir dann ein Gatter vor die Treppe gemacht, weil wir in einem zweistöckigen Haus wohnten und Angst hatten, daß er herunterfallen könnte. Aus dem Grund wollten wir ihn schützen.

Nachdem wir das erste Buch von Montessori gelesen hatten, haben wir das Gatter weggenommen. Daraufhin ist er hinuntergefallen.

Wir hatten noch lange Angst. Noch eine Idee hatten wir, die wir in die Praxis umsetzten. Die Kinderkrippe hatte eine ungeeignete Höhe. Wir sägten die Beine ab, nahmen das Gitter weg und das Kind konnte nach seinem Wunsch und Willen rein und raus aus seinem Bettchen. Es war sehr angenehm, jetzt konnten wir am Morgen eine Stunde länger schlafen.

Von solchen Erlebnissen angetan, haben wir die Idee von Maria Montessori entdeckt, nämlich die, daß das Kind durch sensible Phasen geht und daß spontane Aktivitäten mit ihren sensiblen Perioden irgendwie zusammenhängen und daß eine vorbereitete Umgebung da sein soll. Dies war ausschlaggebend dafür, wie wir mit unseren Kindern weitermachen wollten.

Ich bastle gern und als Leonardo siebenjährig war, hatte ich verschiedene Montessori-Materialien selber angefertigt. Als wir in Talie waren, suchten wir einen Kindergarten. Keiner gefiel uns. Da haben wir in Talie eine Kindergruppe gebildet. Wir fanden 15 Eltern, die uns ihre Kinder anvertrauten. Wir haben gezittert und Angst gehabt, da wir ja keine Erfahrung hatten und auch keine Fachleute sind. Aber dieses Jahr in Talie hat uns in unserer Haltung, Kinder wahrzunehmen und ihnen zu vertrauen, sodaß sie sich aus sich heraus entwickeln können, bestätigt. Wir sehen dabei etwas ganz, ganz Tolles.

Ganz kurz möchte ich zwei Erlebnisse aus der Zeit in Talie schildern: Ein fünfjähriges Kind kam in den Kindergarten. Es war ein schöner Kindergarten mit viel Montessori-Material und vielen anderen Materialien, wie z.B. Wasserfisch, Sand. Das Kind hat sich hingesetzt und nichts getan - einen Tag nichts, zwei, drei Tage nichts. Rebecca kam nach Hause und fragte, was wir tun sollten. Ich sagte: "Laß es, es wird schon etwas passieren!" Ein, zwei Wochen vergingen und es saß einfach da und tat nichts. Rund um ihn waren 15 Kinder, die fröhlich spielten. Es verging ein Monat, ein zweiter Monat, in denen er nichts tat. Nach diesen zwei Monaten stand er auf und beschäftigte sich. Nach weiteren zwei Wochen gab es keinen Unterschied mehr zu den anderen Kindern. Da riefen uns seine Eltern an und wollten eine Unterredung mit uns. Wir wurden nervös - dies ist ja ein bekanntes Gefühl unter den Kindergärtnerinnen, wenn Eltern anrufen. Wir wurden zu ihnen eingeladen. Sie spürten unsere Nervosität und wollten eigentlich nur wissen, was wir mit dem Kind gemacht hätten, da es sich so verändert hätte. Vor zwei Wochen haben wir auch Veränderungen wahrgenommen, die ganz bestimmt mit dem Kindergartenleben zusammenhängen. Was hatte sich verändert?

Er hatte einen älteren, siebenjährigen Bruder, der die beste Schule in Galie Colomba Britannico besuchte. Der Vater war Engländer, die Mutter Kolumbianerin. Der jüngere Sohn, der bei uns im Kindergarten war, hatte eigentlich keine Identität. Er gebrauchte den Namen der Lehrerin seines Bruders. Er hatte absolut kein ICH und vor zwei Wochen begann er plötzlich ICH, ICH, ICH ..

Ich weiß nicht, ob Ihr nachvollziehen könnt, wie wichtig das für uns war. Wir haben nichts getan, als dem Kind Signal zu geben, daß wir mit ihm sind, es wahrnehmen, es mögen, es respektieren in seinem Nichtstun. Das hat alles bewirkt.

Ein anderer Fall: Ein kleines, rundliches Mädchen hatte reiche Eltern. Sie hatten drei Mercedes und ein Kindermädchen. Sie wollten uns plötzlich auch sprechen und haben uns gefragt, was wir mit dem Kind getan hätten. Wir wußten nicht, was wir sagen sollten, denn was dieses Kind bei uns im Kindergarten tat, war immer nur fegen und wischen. Da sagte der Vater, er wolle uns danken; ja warum? Ich müßte etwas getan haben, denn seit das Kind im Kindergarten ist, liebt es ihn. Vorher hatte er keine Verbindung zu dem Kind. Wir waren begeistert von unserer Arbeit und sagten, daß wir die Ideen von Maria Montessori anwenden. Wir kauften gleich eine ganze Ausstattung von Montessori-Material.

Diese Erlebnisse haben uns in unserer Arbeit bestärkt. Diese Haltung, das Wahrnehmen des Kindes, das Kind zu respektieren ist toll. Ich hatte meine Zweifel. Meine Frau hatte Montessori-Kurse gemacht und sie redete immer nur davon. Ich dachte, es gibt ja noch die Psychologie. Damals, als sie die Kurse besuchte, wurde die gegenwärtige Psychologie nicht erwähnt und da dachte ich, es sei vielleicht ein Kult dahinter und wurde ein bißchen unsicher. Ich habe herumgefragt, wie man unseren Ansatz wissenschaftlich vergleichen könnte, vielleicht mit einer modernen Haltung der Psychologie. Man riet uns, Piaget zu lesen. Wir haben Piaget genommen und haben gelesen und gelesen und ich fand, daß er durch seine Untersuchungen das bestätigte, was Maria Montessori intuitiv getan hatte. Also zumindest so, wie wir sie damals verstanden. Wenn wir schauen, was mit Montessori heute in Deutschland gemacht wird, ist das eine Anpassung an das Schulsystem.

Von uns aus gesehen, hat das nichts mehr mit der Arbeit von Dr. Maria Montessori zu tun. Das war unser persönliches Gefühl.

Mit der Sicherheit, daß wir die Sache wissenschaftlich vertreten können, haben wir dieses Jahr weitergemacht. Nachher mußte ich nach Equador zurück. Durch die Arbeitssituationen mußte unser Sohn wieder einen gewöhnlichen Kindergarten besuchen und kam dann in die Deutsche Schule. Später gingen wir auf das Land, und er ging in eine katholische Schule des Salesianer Ordens. Als dann unsere Arbeit auch am Land aus verschiedenen wirtschaftlichen Gründen nicht mehr weiterging, kehrten wir wieder in die Stadt zurück. Inzwischen hatten wir einen zweieinhalbjährigen Sohn.

Er war um 8 1/2 Jahre jünger als unser erster Sohn. Da haben wir gesagt, es wäre schön, für ihn wieder einen Kindergarten zu machen, so wie für den ersten in Talie. So haben wir 1977 den Kindergarten in Tumbaco angefangen. Inzwischen merkten wir auch einen Unterschied: der Sohn, der in die Schule ging, der ursprünglich so lebendig war, war jetzt plötzlich scheu, unsicher und nicht so willig. Wir hatten mit ihm auch Konflikte zu Hause. Der Kleine aber war so lebendig und toll. Da haben wir uns gefragt, was steckt da dahinter? Da haben wir uns ganz allmählich irgendwie durchgerungen, zu sagen, höchstwahrscheinlich stimmt etwas mit der Schule nicht. Als wir dann von den Eltern gebeten wurden, den Kindergarten weiterzuführen in die Primarschulstufe, haben wir uns die Gesetze angesehen, die in Equador für die Schule gültig sind. Je mehr wir diese Sache studierten, desto verzweifelter wurden wir. Die Schule ist gerade das Gegenteil von dem, was wir im Kindergarten zu tun versuchen: Wahrnehmen, welche Bedürfnisse ein Kind hat, die Umgebung vorbereiten, damit es seine Bedürfnisse erfüllen kann, es lieben und respektieren. Die Eltern wollten eine Schule, hatten aber Angst, in diese Problematik einzusteigen.

Der ausschlaggebende Punkt war dann, was tun wir mit Raffael? Schicken wir ihn in die Schule? Nein, das tun wir nicht. Durch diesen Entschluß hat sich der ganze Prozeß ergeben, daß wir mit der Schule anfingen. Als Nichtpädagogen wußten wir nicht, was wir tun sollten. Aus dieser nichtwissenden Haltung haben wir einfach nichts getan, einfach geschaut, was die Kinder tun.

Daraus haben wir dann gelernt. Wenn man uns damals gesagt hätte, daß wir im Jahr 1993 an einem Kindergartensymposion in St. Pölten irgendwie unsere Arbeit darstellen müssen, hätte ich gesagt: "Nein, da steig ich nicht ein!" Es wäre einfach zu schwierig gewesen. Aber es hat sich so ergeben. Wir versuchen jetzt darzustellen, wie unsere Arbeit nach 16 Jahren gegenwärtig aussieht: Wir haben jetzt 190 Kinder im ganzen Projekt. Etwa 75 Kinder sind zwischen drei und 6 Jahren und die anderen sind in der Primaria bis zu 19 Jahre. Im ganzen haben wir 190 Kinder zwischen drei und 19 Jahren. Die Arbeit besteht grundsätzlich darin, die Umgebung für die Kinder so vorzubereiten, daß sie ihre echten Bedürfnisse befriedigen können. Grundsätzlich sind das echte Bedürfnisse, erstmals Liebe ohne Bedingungen. Ob die Kinder dreckig sind, ob sie weinen, ob sie unartig, aggressiv, scheu etc. sind, die Liebe ist immer da, ob sie Angst haben, nicht Angst haben, Liebe, Liebe. Aber, wenn man versucht zu definieren, was Liebe ist, finden wir das sehr schwierig. Es ist, wie wenn wir definieren sollten, was Luft sei, die wir zum Leben brauchen und erst merken, daß es nicht klappt, wenn sie verschmutzt ist. Sodaß wir vielleicht lieber den anderen Teil sehen: Was ist eigentlich die Verschmutzung von Liebe? Das ist der mangelnde Respekt. Wir arbeiten viel mit diesem grundsätzlichen Ansatz von Respekt für die Lebensprozesse. Damit sich das Kind respektiert fühlen kann, müssen wir wahrnehmen oder definieren, wie wir die Lebensprozesse überhaupt angehen, wie wir sie wahrnehmen und dann entsprechend respektieren können. Dieser Wunsch hat dann die Struktur gebildet für unsere Arbeit. Ich möchte erzählen, wie unser Kindergarten jetzt aussieht: Es ist ein rundes Holzgebäude, von etwa 26 m Durchmesser mit einem Innenhof von etwa 8 m und dann noch so ein Ring herum von etwa 5 m. Außerhalb gibt es noch eine Terrasse von 3 m, die rund um das ganze Gebäude führt.

Also, das alles ist der Bereich für die Kinder. Das Gelände ist sehr abschüssig, so uneben. Das Gebäude ist dann auch auf 5 verschiedenen Stufen gelagert, und die Übergänge von einer Ebene in die andere haben wir möglichst verschiedenartig gemacht. Da gibt es gewöhnliche Treppen, schiefe Rampen, Hühnerleiterchen und also alles, damit Kinder ihre motorischen Bedürfnisse befriedigen können. Auf möglichst unterschiedliche Arten können sie sich im ganzen Gebäude bewegen. Das Gebäude ist sehr durchsichtig, also alles mit Glas, mit vielen Glaswänden. Es gibt dann verschiedene Bereiche, in denen viel drinnen ist, das irgendwie den kindlichen Bedürfnissen entspricht. Erstmals gibt es etliche Bereiche, die ans Häusliche erinnern. Da können Kinder Rollenspiele über die Küchenarbeit machen. Es gibt noch ein Schlafzimmer und eine kleine Stube, einfach alles, was einem so einfallen kann. Zum Beispiel haben in Equador die meisten Häuser Waschgelegenheit. Das ist ein Trog zum Wäschewaschen. Wir haben das auch für Kinder in geeigneter Höhe.

Dann haben wir kleine Läden, wo Kinder Sachen kaufen und verkaufen können. Es wird immer Gemüse hingestellt und auch andere Sachen, sodaß die Kinder mit echten Messern schneiden können.

Dann gibt es einen Friseursalon, wo sie frisieren können und einen großen Bereich mit vielen Tischen. Dort können die Kinder nach Wunsch und Laune verschiedene handarbeitliche Sachen tun.

Die Materialien sind immer frei zugänglich. Wir haben Bereiche, in denen es sensomotorisches Montessori-Material gibt.

Es ist ein spezifisches sensomotorisches Material, wie Puppen, Bäume, Klötze, etc., viele Puzzles. Einfach alles, was man sich vorstellen kann, ist da drinnen, frei zugänglich für die Kinder. Diese kommen am Morgen an und gehen je nach Interesse in die verschiedenen Bereiche. Die Terrasse draußen mit der Veranda ist verführerisch für die Kinder und ist als Trennwand zu gebrauchen.

Da aber das Ganze im Holzhaus ist und zuviel Lärm macht, mußten wir uns etwas einfallen lassen und Hindernisse einbauen, damit das ganze nicht zur Rennbahn wird. Die besten Hindernisse sind eigentlich die Hängematten, in denen die Kinder auch liegen können. Unter diesen Gebäuden gibt es dann so Nischen und Höhlen und verschiedene Bereiche, in denen mit Holz gearbeitet werden kann.

In einer Ecke gibt es etliche Musikinstrumente, wo Kinder nur so herumprobieren können. Ringsherum stehen dann viele Turngeräte, auf denen sie klettern können. Ebenso gibt es eine Sandkiste und einen Sandhaufen. Wir haben ein kleines Bächlein, das durchfließt. Da gruben wir einen Brunnen und mit Seilen können Kinder mit Eimern Wasser heraufholen. Eine Hängebrücke führt über das kleine Bächlein, eine Hängebrücke auf das Dach vom Sandkasten etc., etc. Wir gestalten alles so vielfältig wie möglich. In diese Umgebung kommen die Kinder jeden Morgen. Sie bekommen Lunchpakete von zu Hause mit, die sie dann jederzeit essen können, nur dann nicht, wenn wir mit einem Material arbeiten. Das ist eine Hausregel. Die Kinder kommen also. Vielleicht setzen sie sich gleich hin und essen. Dann räumen sie alles schnell in ihre Kästchen, auf denen der Name steht und gehen zielbewußt etwas tun. In jedem Bereich ist dann eine Betreuerin. Ihre Aufgabe ist dafür zu sorgen, daß die Umgebung für die Kinder vorbereitet ist. Auch die Erwachsenen gehören zu dieser vorbereiteten Umgebung. Die Umgebung muß entspannt sein, das heißt, es darf keine aktiven Gefahren, keine Forderungen und Erwartungen geben. Grundsätzlich sagen wir den Kindern, was sie zu tun haben. Sie müssen immer selber wählen, selbst entscheiden, was sie tun wollen.

Die ganze Problematik liegt darin, ob sie jetzt lernen oder nicht lernen werden. Ich glaube, wenn man lebt, kann man nichts anderes als lernen, ob man will oder nicht, man wird etwas lernen. Es ist einfach besser, daß ich das lerne, was richtig zu mir paßt, als das, was in das Programm einer Gesellschaft paßt, was von mir aus gesehen ohnedies schnurstracks in den Abgrund führt. Vielleicht noch eine wichtige Anmerkung zur Orientierung: Es sind sechs Betreuerinnen in diesen Bereichen für etwa 75 Kinder.

In der zweiten Hälfte des Vormittags gibt es eine zeitliche Struktur. Ein Erwachsener geht durch die verschiedenen Bereiche und sagt:" Es ist Saftzeit!" Wenn der Erwachsene gut singen kann, singt er das vielleicht, wenn er es nicht gut kann, kräht er es vielleicht. Diese Zeit wird aber gemeldet. Die Kinder haben vielleicht Interesse und gehen hin und bedienen sich selbst. Etwas ganz Eingenartiges möchte ich berichten. Am Anfang haben sich alle Kinder draufgestürzt. Jetzt sind sie alle in Reih und Glied, ohne daß ihnen das jemand beigebracht hätte.

Man fragt sich dann, woher haben sie das? Wie sind sie auf die Idee gekommen? Ich kann mir das nur so erklären: Seit fünf Jahren will die Stadt Kito modern werden oder ist es geworden. Es wurden zweistöckige Busse eingeführt wie in London. An den Haltestellen hat die Stadtregierung selbst angeordnet, daß die Leute in Reih und Glied warten müssen, bevor sie in den Bus steigen. Vielleicht haben die Kinder daraus gelernt. Wir wissen es nicht, aber wir glauben, daß die Kinder intelligent sind und nicht immer von uns angehalten werden müssen.

Die jenigen die keinen Saft haben wollen, müssen keinen nehmen, müssen gar nicht hingehen. Nach der Saftzeit wird wieder aufgerufen: Projektzeit! Dies ist eine vorbereitete Handarbeitsaktivität. Die Sachen liegen bereits auf den Tischen. Vielleicht haben die Betreuerinnen auch ein kleines Modell gemacht, aus dem ersichtlich wird, was man mit dem Material tun könnte. Die Kinder kommen nun und tun, was sie wollen. Wenn sie etwas anderes tun wollen, sagen wir z.B., wir haben Vorbereitungen zum Malen getroffen, ein Kind will aber schneiden. So sagt die Betreuerin: "Nein, jetzt malen wir!" "Aber ich will schneiden!" "Ja, du kannst schneiden, aber nicht hier." Dann geht das Kind einfach woanders hin und schneidet dort. Ein Kind kann an der Gruppenaktivität teilnehmen, wenn es will. Wenn es mitmacht, so macht es diese Sache auf seine eigene Art. Es wird nicht kontrolliert, geprüft oder geholfen. Wir können das später genauer besprechen, warum wir das so machen. Nach der Handarbeitszeit wird aufgerufen: Musik oder Tanz! Da gehen auch nur die Kinder hin, die gehen wollen. Sie müssen diese Aktivitäten aber respektieren, d.h. wenn sie am Singen oder Tanzen nicht interessiert sind, dürfen sie nicht dazwischenfunken. Falls sie herumrennen wollen oder etwas anderes tun wollen, haben wir genügend Platz, daß sie dies tun können. Nach der Musik und dem Tanz ist dann Zeit für Geschichten. Man erzählt den Kindern Geschichten, Märchen, Sagen. Dananach wird es Zeit, nach Hause zu gehen. Die Kinder nehmen ihre Sachen und fahren nach Hause. Die Hälfte der Kinder kommt aus der Stadt Quito, die ungefähr eine halbe Autostunde entfernt ist. Je nachdem wie weit die Kinder in der Stadt wohnen, müssen sie vielleicht eine ganze Stunde mit dem Auto oder dem Bus fahren.

Die andere Hälfte der Kinder kommt aus dem Tal.

Unsere Schule liegt 2500 m auf dem Berg. Das ist bisher die Grundstruktur unseres Kindergartens.

In der Primaria läuft es ähnlich ab. Es sind in verschiedenen Bereichen Materialien vorbereitet. Wir können sagen, daß das ganze Pensum, das Schüler bei uns bis zur mittleren Reife bewältigen müssen, in der vorbereiteten Umgebung als konkretes Material enthalten ist. In diese Umgebung kommen die Kinder und tun, was sie gern tun wollen, woran sie Interesse haben etc. Es gibt keine äußeres Programm, das sie befolgen müssen. Es gibt keine Klassen, keinen Unterricht, keine Bindung und keine Hausaufgaben, außer freiwilligen.

Wir haben so eine Idee über Hausaufgaben: diejenigen, die sie machen wollen, machen sie, diejenigen die das nicht tun wollen, tun es nicht. Die Aufgaben werden nicht korrigiert, es sei denn, die Schüler verlangen es. Es gibt auch kein Diplom und keinen Schein bei uns am Schluß jeder Ausbildung. Da wir hauptsächlich wegen des Kindergartenthemas hier sind, werde ich nicht weiter auf die Primarschularbeit eingehen. Falls sie nachher Fragen dazu haben, kann ich darauf eingehen.

Wie könnte man diese Arbeit jetzt rechtfertigen? Als wir die Arbeit begonnen haben, hätte ich mich gar nicht rechtfertigen können. Ich habe immer gesagt: Ich mag einfach die Kindergärten, oder ich mag die Schule nicht, aber was ich tun werde, daß weiß ich noch nicht, ich werde sehen. Wenn ich also für den Kindergarten ein Konzept hätte aufstellen müssen, hätte ich das nicht gekonnt. Aber mit der Zeit sind wir durch die Arbeit, ich würde sagen, hauptsächlich durch die Arbeit der Eltern, ein bißchen an ein Konzept gekommen, das ich euch hier im nachhinein darstellen kann. Aber bitte ganz klar, das ist nicht der Ausgangspunkt gewesen. Der Ausgangspunkt war: Eltern, die verzweifelt waren, die nicht wußten, wie sie mit dem Kind umgehen sollten und es einfach gesagt haben, irgendwie aus der Situation von den Kindern zu lernen. Wir hatten von Anfang an das Gefühl, daß wir intensiv mit den Eltern arbeiten müssen, denn in Equador sind die Kindergärten die strikte Vorbereitung auf die Primarschule.

Es gibt noch keine Pflichtkindergärten, doch die Regierung bemüht sich sehr, sie einzuführen. In Equador ist Schulerziehung sehr formal, also still sitzen, das tun, was die Lehrerin sagt. Dies ist auch im Kindergarten so. Die ganze Entwicklung, die sensomotorische Entwicklung der Kinder wird immer von außen bestimmt. Das hat uns irgendwie nicht zugesagt. Um dies zu verändern, mußten wir dies den Eltern nahebringen. Und wie ich gesagt habe, sind wir keine Pädagogen, keine Psychologen. Wie sollte man dies also tun? Ich habe irre Angst. Ich habe gesagt, jeden Monat gibt es eine Elternversammlung über ein ganz bestimmtes Thema über Kinder, wie Beziehung zu Kindern, Essenprobleme, Schlafprobleme, Spielsituationen, Zustand vom Kind, Entwicklungsetappen etc. Ich habe ein Fach gebüffelt, gelesen, irgendwie eine Arbeit geschrieben. Dann bin ich in die Elternversammlung gegangen und habe versucht, mein Zittern irgendwie zu verstecken. Ich habe vorgetragen und dann noch weiter gezittert, als die Fragen kamen. Kann ich, werde ich die noch beantworten können? Etwa zwei Jahre war das eine richtig intensive Arbeit und ich bin jetzt sehr dankbar dafür. All die verschiedenen Sachen, die wir da ausarbeiten mußten, haben uns eine Grundlage gegeben, damit wir sie den Eltern näherbringen konnten. Aber nach diesen zwei Jahren waren wir irgendwie voller Frust. Wir machten uns so viel Mühe unsere Weisheiten den Eltern dazustellen, aber diese nahmen nichts an. Es hat sich überhaupt nichts geändert. Dann habe ich mir gedacht, ach, die Eltern sind so komische Leute. Wenn wir bemerkten, daß wir einen Fehler gemacht haben, waren wir gleich bereit, dies zu ändern. Warum tun dies nicht auch Eltern? Dies hat unserer Öffentlichkeitsarbeit nicht gut getan, denn wenn Eltern Probleme von Kindern besprechen wollten, haben wir manchmal barsch geantwortet: "Selber schuld". Natürlich gab es da Schwierigkeiten und plötzlich haben wir bemerkt, daß uns die Eltern im Prinzip leid tun. Sie stehen unter Druck, ökonomischen Druck, sie müssen arbeiten gehen und haben überhaupt kein Interesse oder vielleicht keine Kraft mehr, auf die ganze Problematik der Kinder einzugehen. Wenn Eltern eine ungeeignete Haltung haben, liegt der Grund in ihrer eigenen Entwicklungszeit. Wie können wir nun Eltern in ihren Bedürfnissen helfen?

Elternarbeit

Da begannen wir mit Elternarbeit in bezug auf deren Entwicklung, bis wir gemerkt haben, daß das eigentlich nicht unser Job ist. Wir arbeiten mit Kindern, nicht mit Eltern. Seit diesen Zeitpunkt haben wir ein klares Bild. Wir geben den Eltern ganz genaue Informationen über unseren Ansatz, die ganze Arbeit, besprechen die Probleme, wie die Prozesse, Lebensprozesse bei den Kindern stattfinden und wie man sie unterstützen kann. Aber was die Eltern damit machen, ob sie selber davon wachsen oder nicht, ist ihr Problem. Wir können sagen, daß die Elternarbeit bei uns, vielleicht aus Selbstschutz so gelagert ist, daß wir intensivst mit den Eltern arbeiten, damit sie genügend Vertrauen zu uns haben, um die Kinder bei uns zu lassen. Verschiedene Pädagogen schreiben über Elternarbeit: Elternarbeit ist verlorene Mühe oder um Erziehung zu verändern, müßte man eine ganze Generation abschaffen, die Eltern. Wir sind nicht auf dieser Stufe, aber wir haben das Gefühl, daß die einzige Möglichkeit Kindern effektiv zu helfen darin besteht, mit den Eltern zu arbeiten. Wir brauchen mehr Zeit für Elternarbeit als für Kinder. Wir haben verschiedene Gruppen von Eltern, die müssen jeden Monat zu einer Versammlung kommen, in denen spezifische Themen der Kindererziehung und deren Problematik behandelt werden. Drei Nachmittage in der Woche sind für Elternbesprechungen reserviert. Für jedes Elternpaar sind mindestens zwei Stunden reserviert. Also wenn Sie mit Eltern arbeiten, würde ich als Prinzip anraten, aus eigenen tiefschmerzlichen Erlebnissen, nie mit Eltern Alleingespräche zu führen. Die Transformationen, die stattfinden können, können zu großen Problemen führen. Also führen Sie Gespräche immer zu zweit, damit man einen Zeugen hat. Wir haben auch ganz sture Regeln: Eltern müssen immer beide kommen, auch wenn sie geschieden sind. Solange das Kind mit den Eltern in Verbindung ist, müssen beide kommen und die Verantwortung mit uns tragen. Ich weiß nicht, wie die Zeitrelation ist, in bezug auf die Zeit, die ein Kind im Kindergarten verbringt, zu der zu Hause. Bei uns sind die Kinder fünf Tage in der Woche vier Stunden pro Tag im Kindergarten. Wir haben uns ausgerechnet, daß 1/11 der Zeit die Kinder bei uns sind. 10/11 der Zeit sind sie bei den Eltern. Wir wollen den Kindern helfen, also heißt das, den Eltern helfen, mit den Eltern arbeiten. Was sagen wir den Eltern? Da würde ich vielleicht ein paar freche Sachen sagen, die aber hilfreich sind für uns, um ganz spezifisch an die Probleme heranzugehen, die man mit Kindern im Kindergarten hat. Wenn ich sage, mir sind Kinder egal. Können wir das schlucken? Nein. Warum? Wenn ich ein Problem mit einem Kind habe, wie kann ich entscheiden, ob ich vom Kind manipuliert werde oder ob es zur Entwicklung des Kindes gehört? Es ist eine Problematik. Wenn ich sage, ich liebe ein Kind, ist das das Problem für die Mütter. Aus Liebe machen sie Sachen mit den Kindern, die den Kindern, Entschuldigung, schaden. Um diese Problematik angehen zu können, haben wir gesagt: Was wollen wir eigentlich? Was ich gerne möchte, das ist eine grundsätzliche Problematik der heutigen Welt, daß unsere Kulturzivilisation absolut respektlos gegenüber der Natur ist. Damit sind doch alle einverstanden, oder?

Aber es ist nicht nur gegen die äußere, sondern auch gegen die innere Natur des Menschen eine Respektlosigkeit vorhanden. Was ich mir nun wünsche ist, Lebensprozesse zu respektieren, nicht Kinder zu lieben, Kinder zu haben, vielleicht mit einem - wie sagt man? Honigkuchenherz. Das klappt nicht. Wenn man sich dieser Problematik stellt und Lebensprozesse respektiert, dann ist ein Kind garantiert auch entwicklungsfähig. Da kann ein Kind nicht anders als sich zu entwickeln im Einklang mit der gesamten Natur. Also, ein Ansatz ist der Respekt von Lebensprozessen. Dies kann wieder in Frage gestellt werden, da wir ja keine Metaphysiker sind, um hier zu definieren, was Lebensprozesse sind. Ich sage: wie schade, wir sind unserem eigenen Leben schon so entfremdet, daß wir uns nicht mehr getrauen zu sagen, wie wir leben und was Leben ist. Man geht vielleicht zum Psychologen und die Psychologen sagen, die Sachen sind so und so und so. Dann hat man wieder eine große Problematik, denn es gibt 500 verschiedene psychologische Richtungen und eine Seite sagt das Gegenteil von der anderen. Ich habe wieder das Problem, wie entscheide ich mich? Aus dieser Situation heraus haben wir plötzlich gesehen, daß es von der Biologie her sehr interessante Bilder gibt, die uns in der Definition, was ein Lebensprozeß ist, unterstützen.

Die Grundstruktur vom Leben will ich respektieren. Was heißt das genau? Ein Kind muß lernen, auf zwei Füßen zu gehen. Wo ist die Schwierigkeit? Wo liegt die Schwierigkeit, daß man auf zwei Füßen gehen kann? Im Gleichgewicht? Wo ist das Gleichgewicht? Innen oder im Finger der Mutter? In dem Moment, in dem die Mutter das Kind beim Gehen unterstützt, ihm hilft, es stimuliert, fördert und so, wird verhindert, daß wir das innere Organ, das Gleichgewichtsorgan entfalten. Das Vestibulärsystem, das zuständig ist für das physische Gleichgewicht, ist auch zuständig für die Fähigkeit, sich im Leben zu orientieren. In dem Moment, in dem ich einem Kind sage, schau da ist eine schöne Blume, habe ich von außen definiert, wie es sich mit der Außenwelt in Verbindung setzen soll, was es soll. Die Sache, die es sieht, ist schön. Stimmt das mit den Lebensprozessen, wie wir sie vorher definiert haben, überein? Überhaupt nicht. Diejenigen, die Interesse haben, diese ganze menschlische Entwicklung in bezug auf die biologischen Grundlagen auch im kulturellen Bereich näher kennenzulernen, sollten ein sehr schönes Buch lesen und zwar "Der Baum der Erkenntnis" von Humberto Maberana und Franzisco Varella. Das ist hochwissenschaftlich mit sehr schönen Definitionen, wie z.B. lebendige Organismen sind diejenigen, die sich selbst machen. Wie sieht darin die Rolle der Kindergärten aus? Machen sie die Kinder? Machen sie sie gehfähig, sehfähig, handlungsfähig, projektfähig etc., etc. Die Schule macht die Kinder lesefähig. In Equador ist es so lustig. Da müssen die Kinder lesen lernen und weil sie noch nicht reif dafür sind, lernen sie ganz mechanisch lesen, also ganz unsinnig lesen. Ich muß lesen MA, ME, MI, MO, MU, PA, PE, PI, PO, PU. Also Lesen ist unsinnig.

In der fünften Klasse führt man den neuen Stoff ein, lesen mit Verständnis - schön, nicht war? Warum das? Weil man Lebensprozesse nicht respektiert. Wenn wir jetzt von der biologischen Struktur die Sache ein bißchen betrachten wollen, dann können wir sagen, daß zwischen O und 7 Jahren die innere Struktur im Kind aktiviert wird durch das lymbische System, neurologisch gesehen. Das Gehirn hat drei Schichten. Die innerste Schicht ist das Retikularsystem (Formatio Reticularis), das zuständig ist für den Stoffwechsel. Es entwickelt sich während der Gestation im Mutterleib. Wenn es dann reif ist, wird das Kind geboren. Der Körper hat ein inneres Programm, daß der Stoffwechsel im Menschen so stattfindet. Es ist artspezifisch definiert. Die 2. Struktur des lymbischen Systems befähigt uns, mit der Außenwelt durch Signale in Interaktion zu treten. Unsere Augen können nur so die Sachen wahrnehmen und nicht anders. Wenn ein Kind geboren wird, hat es ebenso feste Programme in sich und sie werden durch die äußeren Umstände aktiviert z.B.: Ein Kind liegt in der Krippe, aktivierte Motorik. Ganz allmählich wird es länger wach bleiben. In solch einer Situation hat es ein Erlebnis. Dieses wird im Neocortex festgehalten. Dieser hat kein festes Programm.

Die im Neocortex gespeicherten Erlebnisse geben dem Menschen die Möglichkeit, sich willentlich, aus freier Entscheidung anders zu verhalten, als es eigentlich artspezifisch programmiert ist. Es gibt uns die Möglichkeit, uns so zu verhalten, wie wir es als gut erachten. Die Eigenständigkeit ist die Grundlage des Menschseins und diese muß von innen bestimmt werden, von meinem Erlebnis bestimmt werden, nicht von äußeren Faktoren. Für mich ist diese Problematik sehr kritisch, weil ich von Südamerika komme. Ich bin Südamerikaner und ihr wißt ja, welche Geschichte wir haben. Meine Eltern waren Schweizer, also bin ich ganz Südamerikaner. Es ist eine Problematik z.B. die Eigenständigkeit, die innere Struktur, den Menschen respektieren, daß er sich von innen entwickelt in einer vorbereiteten, entspannten Umgebung. Wenn die Umgebung nicht entspannt ist, kann man sich nicht von innen entwickeln. Da muß man abwehren, sich schützen, muß weggehen. Da kann man sich überhaupt nicht entwickeln. Ich bin auch ein gläubiger Mensch. Wir haben noch die Tradition, daß man sagt, der Mensch ist ein Sünder. Ja, ich bin einverstanden, daß wir Sünder sind. Aber seit wann? Seit dem Sündenfall. Es gibt andere, die sagen: Nein, die ganze Natur vom Menschen ist irgendwie schief aufgebaut. Es gibt ja Leute, die sagen, daß der ganze Evolutionsprozeß des Menschen so schief ist, daß man jetzt eingreifen sollte mit Drogen und mit chirurgischen Eingriffen, damit wir unsere Verhaltensweisen verändern können. Also das soll nicht geschehen. Aber es ist eine Frage, die wir uns als Christen grundsätzlich stellen müssen. Glauben wir, daß der Mensch übel ist, von Grund auf schlecht und daß wir ihn jetzt erziehen müssen oder nicht? Ich habe mir diese Frage gestellt, indem ich ganz kurz die Geschichte von Sündenfall wieder gelesen habe. Ich habe es für mich persönlich geklärt, indem ich wahrgenommen habe: Gott hat die Welt erschaffen, die ganze Geschichte da und es war gut. Wir sind gut erschaffen worden, das ist die Grundlage. Dann ist etwas passiert, und was ist passiert? Ich weiß nicht, was es bedeutet, aber ich schaue auf den Prozeß. Die Schlange kommt und sagt zu Eva: "Tu das, das ist gut für dich!" - Freudbestimmung - Eva tut es. Nachher geht sie wieder zu Adam und sagt:"Du, du, ich hab's probiert, das ist gut, tu du das auch!" Da sagt man, das ist der Fall. Vielleicht stimmt es nicht ganz theologisch, aber obwohl ich selbst Theologie studiert habe, habe ich das Gefühl, daß das eine ziemlich verdrehbare Interpretation ist. Freudbestimmung ist auch hier die Problematik. Wenn ich jetzt sage, ich will Lebensprozesse respektieren, von innen nach außen wachsen, wie sind da die Grundsätze? Außen ist Chaos, alles wird von innen her geleitet, geführt. Übrigens sind das für Kindergärtnerinnen und Leiterinnen ganz tolle, erleichternde Situationen, wenn wir fragen, sind wir im Kind drinnen oder draußen? Draußen, also gehören wir zum Chaos vom Kind. Wir müssen also nicht perfekt sein.

Diavortrag:

Ich möchte hier jetzt Schluß machen, damit wir ein paar Lichtbilder sehen können. Vielleicht wird die Sache für euch dann klarer. Das ist jetzt der Schulbereich, 1989 wurde die Schule offiziell von den Behörden anerkannt. Das weiße Gebäude rechts ist von den Indianern gemeinsam für die Schule erbaut worden. Es ist ein Fachwerkbau, also aus Leim und Holz, und wir werden nachher noch etliche Bilder von innen sehen.

Das ist das Primarschulgebäude.

Das nächste Gebäude mit dem schwarzen Dach war ursprünglich als Verwaltungsgebäude gedacht, es wird jetzt auch als Schulgebäude benutzt. Kinder können dort spielen, es ist aber auch für die Sekundärschulkinder, so von 13 - 19 Jahren, die bei uns sind. Versammlungen mit den Eltern finden ebenfalls dort statt.

Das kleine weiße Häuschen in der Mitte steht nicht mehr, es wurde abgebaut.

Die zwei Hallen da waren früher für die Kindergartenprimarschule im anderem Land, in dem wir vorher waren. Wir sind 1989 umgezogen.

Jetzt sind dort die Verwaltung und auch die Werkstätte zum Teil für Kinder untergebracht.

Dieses Haus ist eine Schreinerei. Bis vor zwei Jahren hatten wir ständig einen Schreiner, der Material für uns herstellte. Er wurde dann pensioniert. Der Wunsch ist jetzt, daß wir ein Unternehmen beginnen, das die Schule ökonomisch unterstützen soll. Wir haben immer ökonomische Schwierigkeiten, und wir haben gute Verbindungen mit dem Leiter von ÖED in Equador. Er ist Familienvater bei uns, und wir haben schon Seminare gemacht für das ÖED-Personal in Equador. Eine Schreinereiwerkstatt wurde genehmigt, und es gibt bereits die Anfangsfinanzierung. Mit dem Erlös sollen dann Stipendien vergeben werden, es soll Material hergestellt werden, und sie soll auch als Werkstätte zur Ausbildung von Jugendlichen dienen. Alles wurde von Österreich finanziert.

Das runde Haus da oben ist das, in welchem wir selber wohnen. Das ganze liegt auf 2500 m Höhe. Da hinauf geht es zum ältesten Vulkan Equadors, dem Illalor. Er ist aber erloschen. Es ist ziemlich ruhig dort. Das Tal liegt in 2300 m Höhe und links geht es in die Stadt Quito hinauf, die auf 2800 m liegt. Von dort kommt die Hälfte der Schüler zu uns in die Schule. Bis zur Hauptstraße führt ein gepflasteter Weg. Man geht ca. 2 1/2 km. Wenn die Kinder ankommen, wird es immer kritisch: Sie haben vielleicht eine lange Busfahrt hinter sich, haben schlecht geschlafen oder irgendwelche anderen Schwierigkeiten gehabt. Wir finden, es ist sehr wichtig, die Kinder in Empfang zu nehmen. Wir sind immer da, damit sie einfach die vorbereitete Umgebung spüren, die sie liebevoll und respektvoll in Empfang nimmt. Das ist jetzt ein Bild vom Kindergarten. Da sieht man eine Hängematte auf der Veranda. Im Hintergrund das Gebäude ist das Primarschulgebäude. Da sind die Kinder einfach frei, sie tun, was sie gerade am liebsten tun möchten. Allerdings innerhalb von Regeln, die wir aufstellen.

Ein Blick auf den Kindergarten. Rechts im Hintergrund sieht man den 6 m hohen Turm mit vielen, vielen motorischen Aktivitäten für Kinder.

Hier ist wieder eine Ansicht vom Kindergarten. Da sieht man z.B. die Hängebrücke, die vom Dach des Sandkastens hinaufgeht. Das ist der Innenhof im Kindergarten mit den Tischen für Wasserspiele. Da können die Kinder frei mit Wasser spielen, Schaum machen etc., ohne Angst zu haben, daß der Boden kaputt gehen könnte. Eine der Regeln, damit sie mit Wasser spielen können ist die, daß sie eine Schürze anziehen müssen.

Jetzt ein Blick in eine Ecke, in der die Küche ist. Ein Kind ißt gerade dort. Man hat ein bißchen den Eindruck, wie diese Bereiche voneinander getrennt sind. Die Kinder haben freien Zugang und können sich der Aktivität widmen, für die sie gerade Intersse haben. Im Hintergrund sieht man den Waschstein, der typisch ist für Equador. Da sind die Leinen, auf denen die Kinder die gewaschene Wäsche aufhängen können. Dies ist eine Ecke mit verschiedenartigen Materialen, die sich alle auf Kinderhöhe befinden. Eine der Regeln, die wir haben, ist, daß Kinder, die Materialien brauchen, diese nachher auch wieder wegräumen.

Das ist ein Bild der alten Schule, in der wir früher waren. Da sieht man wieder Gefäße für das Wasser. Wir hatten dort öfters Wasserprobleme, es gab nicht genügend davon. Im Hintergrund steht ein Krippeturm.

Da sind verschiedene Materialien, die wir uns für Balancierübungen für Kinder ausgedacht haben. Die Kinder spielen aber lieber Auto damit. Kinder spielen mit dreidimensionalen, geometrischen Figuren von Montessori. Das größere Mädchen ist ein behindertes Mädchen. Zwei Kinder spielen mit dem Montessorimaterial. Bei uns gilt die Regel, daß Kinder zuerst frei mit dem Montessori-Material spielen, ehe ihnen eine Demonstration gegeben wird, falls sie diese überhaupt wünschen, was sehr selten ist.

Das ist ein Kind in einer kleinen Werkstatt mit Balserholz. Es ist übrigens auch ein behindertes Kind.

Dies ist der Friseursalon im Kindergarten, und jetzt sehen wir wieder eine Ansicht von der Küche im Kindergarten mit Regalen.

Da sieht man auch verschiedene Stufen, eine Ecke, in der die Kinder Handarbeiten aufgehängt haben. Wenn Kinder wollen, können sie ihre Arbeiten in den Abfall schmeißen, oder mit nach Hause nehmen und dort aufhängen.

Auch in der Primaria werden Geschichten erzählt. Da ist jetzt ein Lehrer, der den Kindern gerade eine Geschichte erzählt, bevor sie nach Hause fahren.

Hier sieht man auch das kleine Bächlein, an dem die Kinder spielen.

Jetzt werfen wir einen Blick auf den Sandkasten. Damals gab es die Hängebrücke noch nicht. Vorher haben wir sie gesehen, sie führt auf dieses Dach.

Das ist der Fußballplatz, der zugleich Spielplatz ist. Im Hintergrund ist der Turm zu sehen, als er noch ein Bau war. Auf diesem Spielplatz sind 30 oder 40 Kinder beim Spielen. Es kann ohne weiteres geschehen, daß in eine Richtung Fußball gespielt wird und zur gleichen Zeit in die andere Richtung Basketball. Es gibt keine Probleme.

Da sieht man jetzt den Turm mit einer Klettermöglichkeit und mit der Hängebrücke. Man sieht es hier nicht, aber an dieser Seite gibt es ein Netz, auf dem die Kinder hinaufklettern können.

Meistens, wenn Kinder dort sind, drehen sich die Erwachsenen um. Gott sei Dank passieren keine Unfälle. Wir haben ein Wäldchen, in dem Kinder ihre Clubs bauen können. Dort haben wir Holz, Ziegelsteine, einfach alles, was wir gerade haben können. Die Kinder können sich so ihre Hütten und Clubs bauen. Sie können sich dorthin zurückziehen. Es ist sehr wichtig, daß Kinder auch unter sich sein können, ohne diese verflixten Erwachenen um sich zu haben.

Das ist ein Blick auf das Primarschulgebäude, das von den Indianern gebaut wurde. Der Morgen kann bei uns sehr kühl sein und die Balkons sind dann sehr schön, um draußen vielleicht Mathematik zu lernen.

Hier sehen sie den Friseursalon der Primaria. Wir hatten den Friseursalon zuerst im Kindergarten eingerichtet. Dann waren viele Primarschulkinder im Kindergarten im Friseursalon. Sie haben gesagt, wir wollen so etwas auch bei uns haben. So haben wir so einen Salon auch in der Primaria eingerichtet.

Rechts sieht man einen Teil eines kleinen Ladens, in dem die Kinder ihre Sachen kaufen und verkaufen können. Sie verwenden Geld, das sie selber machen. Bei uns in der Schule ist es nicht erlaubt, daß die Kinder untereinander Handel treiben.

Das ist jetzt ein Blick auf die innere Struktur des Primarschulgebäudes. Verschiedene Orte haben wir nicht mit Lehm ausgefüllt, damit man sieht, wie die ganze Struktur des Gebäudes ist.

Hier hinten ist dann die Küche, in der die Primarschulkinder richtig kochen können. Sie kochen ganz fein. Grundsätzlich sind hier die Regeln so, daß die Kinder, nachdem sie fertiggekocht und gegessen haben, alles aufräumen. Was man gekocht hat, soll man auch essen. Im oberen Bereich gibt es Regale. Das hier ist z.B. der Sprachbereich und daneben sind dann möglichst viele, viele Sachen so vorbereitet, daß sie die Kinder eigenständig mit der ganzen Problematik der Sprache, Grammatik etc., lesen, schreiben, auseinandersetzen können, ohne, daß ihnen etwas beigebracht werden muß. Solange Kinder das Material nicht kaputtmachen und nachher wieder wegräumen, können sie frei damit umgehen. Sie müssen nicht, einer Didaktik zufolge, Bestimmtes damit tun können. Wir sehen hier ein Sandtablett, auf dem ein Kind Schreibübungen macht. Wenn z.B. ein Kind kommt und sagt: "Ich möchte gerne etwas schreiben!" Da sagt man: "Ja, hast du schon auf dem Tablett im Sand geschrieben?" Dann sagt es: "Nein!" "Also gut, du kannst dir ein Tablett nehmen und holst zuerst gesiebten Sand." Da muß das Kind durch die ganze Schule gehen, wo viele Kinder viele andere schöne Sachen machen. Wenn es zum Sand kommt, bleibt es vielleicht beim Sand. Dann wissen wir, daß kein echtes Bedürfnis da war, zu schreiben. Wenn das Kind aber wiederkommt, ist es sehr wahrscheinlich, daß es effektiv etwas tun wollte.

Dies ist ein Kind, das sich mit Mathemtik beschäftigt, ebenso dieses hier. Die Räumlichkeiten hier, es ist die alte Schule, in der wir früher waren, waren ungefähr für 30 - 35 Kinder bestimmt. Als das Bild aufgenommen wurde, hatten wir 70 Kinder. Aber alles ist gut gegangen und es gab keine Schwierigkeiten.

Da sehen wir eine Gruppe von Kindern, die Reisebüro spielt. Sie gebrauchen auch ohne weiteres strukturiertes Material, das vielleicht auch Montessori verwendet hat.

Das ist eine Leseecke, in der wir alles mögliche haben, auch Comics und so. Da können sich die Kinder zurückziehen, einfach in aller Ruhe sitzen und lesen. Wir haben auch Hängematten, in die sie sich zum Lesen zurückziehen können oder auch nur zum Warten oder Schlafen, je nachdem, was sie gerne möchten.

Die einzige Pflichtaktivität ist die Generalversammlung in der Primaria jeden Montagmorgen. Alle Kinder, die älter als sieben Jahre sind, müssen daran teilnehmen. Es werden alle Regeln, wie die Primaria jetzt funktioniert, aufgestellt und es ist die höchste Autorität. Alle drei Monate wird ein neuer Präsident, Vizepräsident und Schatzmeister gewählt. Sie hören sich Klagen an, bestimmen Verantwortliche unter den Kinder für die verschiedenen Bereiche, nehmen Ideen auf etc. Lehrer haben ebenso wie Kinder nur eine Stimme.

Da sieht man ein Kind, das fertig gekocht und gegessen hat und jetzt die Sachen wegräumt.

Zweimal im Jahr haben wir Festlichkeiten: zu Weihnachten und zum Jahresschluß, dem Schuljahresschluß. Da helfen Kinder selber mit, das Picknik vorzubereiten und es ist ein sehr seltenes Bild in Equador, daß Jungen Küchenarbeit leisten. Wenn Ihr jetzt ganz spezifische Fragen habt, kann ich darauf eingehen, damit sich das Bild abrundet.

Grundüberlegungen und Fragen aus dem Publikum

Zuerst möchte ich aber noch gewisse Grundüberlegungen anstellen. Wir wissen, daß Menschen von Natur aus begrenzt sind, daß es Regeln gibt, Gesetze und keiner fühlt sich von diesen Grenzen und Regeln im natürlichen Bereich in seiner Persönlichkeit angegriffen. Ein Beispiel: Es gibt ein Schwerkraftgesetz. Es ist einfach da und wenn es keine Schwerkraft gäbe, wäre nichts so, wie es jetzt ist. Diese Grenzen oder Regelmäßigkeiten, Gesetzmäßigkeiten, die es im Natürlichen gibt, sind immer wirksam. Wenn wir gegen so eine Grenze verstoßen, ist es immer schmerzlich. Die Steine werden nicht weich, wenn ein Kind hinfällt, sonst hätten wir, glaube ich, nie gehen gelernt. Im sozialen Bereich sind wir genau so abhängig von Regeln, Grenzen, Gesetzmäßigkeiten. Wenn wir diese Grenzen, Regeln und Gesetzmäßigkeiten nicht bewußt darstellen und uns ihrer nicht bewußt werden, sind sie trotzdem wirksam und zwar unterschwellig. Die Grenzen und Regeln im gesellschaftlichen Bereich sind, das kann man bis zu einem gewissen Punkt sagen, von uns Menschen gemacht worden. Das sind Grundüberlegungen. Aber vielleicht noch etwas anderes: Diese Regeln und Gesetzmäßigkeiten sind immer in direkter Beziehung zur Umgebung. Was meine ich damit? Eine Ampel steht nicht in der Wüste, und wir nehmen auch keine Ampel mit ins Schlafzimmer. Wenn wir jetzt eine Gruppe von Kindern haben und dieser eine vorbereitete, entspannte Umgebung geben wollen, die ihren inneren Bedürfnissen entspricht, kommen wir in eine kritische Situation. Die Kinder machen Sachen, die eigentlich für die anderen störend sind, z.B. einander den Kopf einschlagen. Da ist dann für die anderen die vorbereitete Umgebung nicht mehr entspannt. Da müssen wir eine Regel einsetzen. Wir sind der Meinung, daß wir, wenn wir unter Menschen, Kindern sind, die Sicherheit haben sollten, daß nicht ein Jeder kommen und uns eins über den Kopf geben kann. Bei uns darf man nicht schlagen.

Wir haben so viele Materialien, so unglaublich viele Sachen in der Schule und wenn dann jeder etwas herausnimmt und liegen läßt, dann haben wir nach 10 Minuten einen Saustall. Dafür gibt es eine Regel, damit wir uns in der Umgebung entspannt fühlen und unsere Bedürfnisse fühlen können. Unsere Handlungen müssen wir auch zu Ende führen: ich habe es gewollt, habe es herausgenommen, dafür ist die Regel, daß ich es auch zurücklege, woher ich es genommen habe. Genauso wie in der Natur uns weder der liebe Gott, weder Geister noch Engeln die Regeln erklären und sagen: Paßt auf, wenn ihr gegen das Schwerkraftgesetz verstößt, passiert dies oder jenes, so sind wir der Meinung, daß Regeln im sozialen Umfeld nicht erklärt oder dargestellt werden müssen. Eine der größten Schwierigkeiten, die Kinder haben, sind unsere Erklärungen. Wenn jetzt ein Kind eine ganz spezifische Handlung ausführt und gegen Regeln verstößt, ich nehme ein ganz einfaches Beispiel, und komme nachher auf die Materialproblematik zurück, wenn ein Kind also gegen die Regel, daß Abfall in den Abfallkorb gehört, verstößt, so geht ein Erwachsener, der das sieht, hin zum Kind mit viel Respekt und macht sich ganz klein. Er versucht wahrzunehmen, ob das Kind Körperkontakt annimmt und sagt ganz streng: "Hier werfen wir die Sachen in den Abfallkorb." Wenn das Kind eingeschüchtert sofort die Sache aufnehmen und in den Abfallkorb geben will, sage ich: "Du mußt es nicht tun, ich tue es." Die Umgebung außen kann entspannt sein, das Kind innerlich aber sehr angespannt, ängstlich, wütend, aggresiv etc.. Bevor es nicht die innere Entspannung hat, wird jegliche Regel als aufdringlich empfunden und es entsteht wieder ein Autoritätsproblem. Solange das Kind diese innere Anspannung hat, werden wir die Regel erfüllen. Die Regel muß erfüllt werden, sonst verliert sie ihr Daseinsrecht. Stellen wir uns vor, daß wir manchmal bei Rot vor der Ampel halten und manchmal nicht, wie dies in Equador geschieht. Wenn ein Kind ständig erlebt, daß es wohl Regeln gibt, aber nichts passiert, beginnt es sich zu entspannen. Wenn wir in der Lehrerversammlung feststellen, daß das Kind ganz entspannt ist, muß es von jetzt ab die Regeln einhalten. Wirft es wieder den Abfall auf den Boden, geht man hin und sagt: "Hier werfen wir den Abfall in den Abfallkorb." Wenn das Kind jetzt antwortet: "Ich weiß schon, aber mir ist es egal", dann sagt man: "Wenn du es jetzt nicht tust, darfst du nicht mehr in die Schule kommen." Hat es weh getan? Ich hoffe. Die Kinder haben kein Problem damit, die wollen da sein, wollen mitspielen. Seid Ihr verletzt, wenn Ihr Fußball spielt und die Hände nicht gebrauchen dürft? Das sind die Regeln. Ich will ja Fußball spielen.

Wenn jetzt Kinder Material herausnehmen, weggehen, ein anderes Material nehmen und wieder weggehen, so geht das nicht. Wenn das Kind sein Material nicht wegräumt, lassen wir ihn kein anderes mehr nehmen. Wenn das Kind jetzt in andere Bereiche gehen will, dann ist dort wieder die Lehrerin, die zuschaut. Räumt das Kind seine Materialien wieder nicht weg, dann muß sie eine Grenze setzen aber sie sagen, wie sie es tun soll, hier: "Komm, sei lieb, die Regel hier ist doch ..." Nein. Ich sage, die Regel ist so und schaue was es tut. Wenn das Kind nicht wegräumt, tue ich es. Mit dem Material ist es grundsätzlich so: Wenn das Kind ein Material herausnimmt und nicht wegräumt, dann sagt man dem Kind, daß es dieses Material nicht mehr nehmen dürfe. Wir haben so viel Material, daß das Kind dadurch nicht eingeschränkt wird. Wenn ich nur ein Material hätte, und ihm dieses verbieten würde, wäre dies grausam. Ein Kind kann sich ohne die Auseinandersetzung mit dem Material nicht entfalten. Aber wenn es viele Möglichkeiten hat, aktiv zu sein, kann man schauen, wie es sich zu dem Verbot stellt. Wir müssen annehmen, daß die Situation schmerzlich für das Kind ist. Es wird sich sträuben, wird sogar sagen: "Du bist schlecht!" "Ja, ich bin schlecht. Die Regel ist, das Material wegzuräumen." Wir können nicht verlangen, daß das Kind jetzt dankbar ist, daß wir es zur Ordnung erziehen.

Wir haben kein Problem mit den Regeln bei uns, im Gegenteil. Eltern kommen, sie müssen ja mindestens einmal alle zwei Monate die Schule besuchen und beobachten, wie es bei uns läuft. Diese Eltern sagen immer: "Wie haben sie es fertiggebracht, daß mein Kind die Sachen wegräumt?" Ich weiß nicht, ob diese Erklärung genügt!

Im Kindergarten sind die Regeln von uns aufgestellt, von uns als Behörde. In der Primaria gelten die gleichen Grundregeln, aber die Generalversammlung der Kinder kann neue Regeln aufstellen.

Im Prinzip hätten sie die Fähigkeit, auch Grundregeln zu verändern. Es wird aber keinem Kind einfallen, die Grundregeln, nicht zu schlagen, abzuschaffen. Es würde der erste sein, der Schläge bekommt.

Im Kindergarten gilt die Regel, daß Material, das gebraucht wird, auch weggeräumt wird. Ebenso darf Material, das ein Kind braucht, einem anderen nicht weggenommen werden. Material darf nicht beschädigt werden. Essen, das mitgebracht wurde, darf nicht gegessen werden, wenn man mit Material spielt. Der Abfall gehört in den Abfallkorb, ist ein weitere Regel. Wenn man mit Sand spielt, muß eine Schürze angezogen werden. Um 12 Uhr gehen alle nach Hause. Andere Kinder dürfen nicht geschlagen werden. Wir haben sehr wenig Probleme mit Aggressionen. Die Leute, die uns besuchen, sind erstaunt, wie aktiv und friedlich unsere Kinder sind. Anfang des Jahres haben wir eine bestimmte Struktur. In der ersten Oktoberwoche beginnt das neue Schuljahr. Die Kinder, die schon bei uns waren, kommen bereits am 1. Schultag. Die neueingeschriebenen Kinder noch nicht. Die "alten" Kinder, wenn man so sagen will, können in der 1. Woche ihre Aggressionen von den Ferien im freien Spiel ausarbeiten. In der 2. Woche kommen dann die neuen Kinder und finden bereits eine entspannte, aktive Umgebung vor und sind sehr, sehr glücklich. Wir haben mit dem Eingewöhnen wenig Schwierigkeiten. Wenn gleichaltrige Kinder untereinander in Konflikt kommen, begleiten wir sie, ohne etwas zu tun. Wir sind einfach dabei, sind gegen Körperkontakt, reflektieren, greifen aber nicht ein.

Wenn jetzt 2, 3, 5 Kinder im Sandkasten sitzen und ein Kind plötzlich mit der Schaufel ausholt, ich da bin und das sehe, dann schreie ich, bevor die Schaufel hinuntergeht. Vielleicht laufe ich hin und sage: "Nein, hier schlagen wir nicht!" Allmählich nimmt man wahr, welche Kinder das sind, die ihre Spannungen durch Aggressionen loslassen. Die Betreuerin, die in dem Bereich ist, verspricht dann ein bißchen aufzupassen. Wenn jetzt ein Kind zu schlagen beginnt, geht man sofort hin und sagt: "Nein, hier schlagen wir nicht!" Es ist wichtig, daß verhindert wird, daß der Schlag ausgeführt wird. Wenn das Kind das immer wieder versucht, dann sagt die Betreuerin: "Wenn du so schlägst, kann ich dich nicht allein lassen, dann mußt du bei mir bleiben".

Das hassen die Kinder. Es ist nicht als Strafe gedacht, sondern die Umgebung muß geschützt werden. Das Kind verspricht dann: "Nein, ich werde nicht mehr schlagen". "Na gut, wenn du nicht schlägst, dann kannst du spielen." Höchstwahrscheinlich wird es nach 5 Minuten wieder schlagen. Dann geht man hin, und das Kind verspricht wieder, es nicht mehr zu tun. Da sagt mann dann: "Nein, du kannst ja nichts anderes als schlagen, ich kann dich nicht allein lassen." Nach 5 Minuten kommen dieselben Versprechungen vom Kind. "Also gut, du kannst gehen!". Es sind langsame Prozesse, bis das Kind wahrnimmt:" Aha, die meinen es ernst. Mit Schlagen erreiche ich hier nichts!". Das Kind schlägt nicht mehr.

Frage: Sie haben gesagt, daß ihre Schule kein Zeugnis und kein Dekret hat. Hat Ihre Schule Öffentlichkeitsrecht und können die Kinder eine Hochschule besuchen?

Wir haben 1977 mit dem Kindergarten angefangen. Dieser war von Anfang an genehmigt. Die Primarschule wurde nicht genehmigt. Wir haben dann illegal gearbeitet und uns immer auf das Grundgesetz des Landes berufen. Es gibt da einen Artikel, in dem steht, daß Eltern das Recht haben, den Kindern die Erziehung zukommen zu lassen, die sie für richtig erachten. Wir sagen immer, das Grundgesetz steht über dem Schulgesetz. Die Eltern unterschreiben, daß sie diese Erziehung für die Kinder wollen und damit haben wir uns immer verteidigt, verteidigt und verteidigt. Die Primarschule war 10 Jahre illegal, also von 1979 bis 1989.

Im letzten Trimester, ehe die Schule anerkannt wurde, hatten wir von der Behörde drei Instanzen, die die Schule schließen wollten. Es war also ein ständiger Kampf. 1989 hat die Experimentalababteilung der Erziehungsbehörde einen Erlaß herausgegeben, daß Experimentalschulen jene sind, die außerhalb der Schulgesetze arbeiten. Wir waren aber die einzigen, die sie erfüllten. Da mußten sie uns anerkennen. Es gibt noch 45 andere Experimentalschulen, die z.B. einen Stundenplan verwenden und grundsätzlich keine Veränderungen einführen. Als die Schule mit all unseren Ansätzen anerkannt wurde, gab es von unserer Seite keinen Kompromiß.

Es gibt keinen Unterricht, den Kindern wird nichts beigebracht, es gibt keine Zeugnisse, nur eine ganz intensive Berichterstattung über die Beobachtung. Es ist eine Zusammenfassung der Beobachtungen, die die Lehrer von den Kindern machen. Es ist eine ganz komplizierte Sache. Zweimal im Jahr wird das den Kindern gegeben. Es ist ein Dokument zwischen 30 und 50 Seiten, aus dem die Eltern und auch die Behörde entnehmen können, was die Kinder jeweils getan haben, mit welchem Material sie sich beschäftigten, welche Schwierigkeiten sie haben, welche Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer etc. sie haben. Man bekommt ein Bild von den Kindern, eine subjektive Darstellung, auf welchem Gebiet man Schwierigkeiten mit einem Kind wahrnimmt und in welcher Richtung man es unterstützen könnte. Das haben wir zu unserem Schutz gemacht, denn in einem freien System will die Behörde Kontrolle haben. Wenn es kein Zeugnis gibt, dann glauben sie, daß die Sache nicht unter Kontrolle ist. Wenn wir ihnen die Dokumente geben, können sie sehen, was die Kinder getan haben, daß wir ganz verantwortungsvoll sind. Sie könnten sonst kommen und fragen: "Ja, wo sind denn die Zeugnisse?" "Wir haben keine". "Aber wie wissen Sie, was die Kinder getan haben?" So können wir ihnen einen Stapel Dokumente geben, und sie sind zufrieden. Der andere Vorteil ist der, daß die Eltern immer Informationen haben. Auch die Eltern selber müssen einen Bericht erstatten. Von den Lehrern wird verlangt, daß wir ständig da sind, die Kinder wahrnehmen, nicht beobachten. Beobachtung zerstört die entspannte Umgebung. Man darf nicht beobachten, sondern die Kinder einfach wahrnehmen und aus dieser Wahrnehmung heraus sich dann immer wieder die Frage stellen, wie können wir das Kind unterstützen?

Das hat auch zu immer neuer Materialentwicklung geführt, denn wir glauben nicht, daß wir den Kindern Sachen beibringen können. Wir müssen einfach die Problematik in den Raum stellen, und das Kind muß sich damit auseinandersetzen.

Quelle:

Mauricio Wild: Erziehung zum Sein

Erschienen in: Mit Kindern auf dem Weg II. Referate zu NÖ Kindergartensymposien, NÖ Schriften 103/Dokumentation, Neulengbach, Oktober 1997, ISBN 3-85006-095-0

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 14.12.2004

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