Das aus heterogenen Kindergruppen erwachsende Potential für ein inklusives Wachstum unserer Gesellschaft

Autor:in - Julia Wenzel
Themenbereiche: Psychosoziale Arbeit
Textsorte: Bachelorarbeit
Releaseinfo: Bachelorarbeit: Studiengang Heilpädagogik/ Inclusion Studies von Julia Wenzel. Abgabe: 22. Juni 2012
Copyright: © Julia Wenzel 2012

Einleitende Worte[1]

Groß Oder Klein Oder Irgendwas Dazwischen

Christ Oder Muslim Oder Irgendwas Dazwischen

Junge Oder Mädchen Oder Irgendwas Dazwischen

Schwarz Oder Weiß Oder Irgendwas Dazwischen

Sanftmütig Oder Aggressiv Oder Irgendwas Dazwischen

Laut Oder Leise Oder Irgendwas Dazwischen

Unsere Gesellschaft ist gewachsen und erbaut aus Menschen ganz unterschiedlicher Verfasstheit und Wesensart. Wir sind tagtäglich im Dialog mit einer Umwelt, die von uns ganz verschieden ist und in der wir uns orientierend unseren Weg suchen. Diversität, Heterogenität, Unterschiedlichkeit, Verschiedenheit - VIELFALT.

Es liegt also eine Natürlichkeit darin: Wir alle sind einzigartig unterschiedlich.

In nahezu allen alltäglichen zwischenmenschlichen Bezügen erfahren wir, dass in der Natürlichkeit der Unterschiedlichkeit einzelner Wesensmerkmale keine Selbstverständlichkeit der gegenseitigen Annahme, der Akzeptanz oder Toleranz liegt. Anderssein ist komisch.

Wenn sich nun Menschen in Zusammenhängen begegnen, in denen ihre Individualitäten als Bereicherung für die Gemeinschaft begriffen werden und sie den Wert ihrer vielfältigen Begabungen füreinander entdecken, kann das ein Weg hin zum anerkennenden Miteinander innerhalb unserer Gesellschaft sein.

Welche Bedeutung haben solche Gruppensituationen in der Kindheit und Jugend - wenn Menschen also in frühen Jahren ihres Lebens erfahren, dass Anderssein nicht komisch, sondern natürlich ist? Diese Frage lenkt die Überlegungen zunächst womöglich in Richtung institutioneller Bildungseinrichtungen. Aktuelle Diskurse und Ansätze zu schulpolitischen Reformen lassen jedoch erahnen, dass auf diesem Weg nur große Geduld zum Einen und Hartnäckigkeit zum Anderen zu einem Wandel des Bildungssystems hin zur Schule für alle führen können. Kinder und Jugendliche gestalten ihren Alltag abseits schulischer Verpflichtungen oft mit zahlreichen Freizeitaktivitäten, in denen sie in vielfältigen Kontakt zu Anderen kommen und ihr Bild vom Menschen formen.

Wie kann ein Raum gestaltet sein, in dem junge Menschen zusammen kommen, ihre unterschiedlichen Persönlichkeiten wahrnehmen und Anerkennung für ihr Sosein üben können?

In der vorliegenden Arbeit befasst sich die Autorin mit grundlegenden Ansichten zu Heterogenität, einem hiermit verbundenen inklusiven Menschenbild und Möglichkeiten einer pädagogischen Arbeit, die Inklusionsprozesse unterstützen kann.

Dazu wird zunächst eine Vorstellung zu den entsprechenden Begrifflichkeiten vorgenommen, welche grundlegende Betrachtungsweisen zum Verständnis der weiteren Erarbeitung in den Raum stellen möchte. Darauf aufbauend kann anschließend eine Diskussion von Anderssein und Verschiedenheit begonnen werden, die im Rahmen der Frage nach deren Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung steht. In diesem Zuge werden Ansichten über die Bedeutung des Zwischenmenschlichen angeführt, die mit Annahmen über das Potential, das aus heterogenen Kindergruppen entstehen kann, verknüpft werden. Mit dem Wissen über die Entstehung und Funktion von Vorurteilen und Stereotypen sowie die daraus entstehenden Ausgrenzungstendenzen, wird abschließend ein Menschenbild skizziert, das sich mit Überlegungen der Partizipation, Demokratie und Akzeptanz auseinandersetzt.

Im folgenden Teil II der Arbeit wird dieser Bezugspunkt im konkreten Projektgeschehen "Eine Stadt für Kinder" beleuchtet, welches für Teilnehmende unterschiedlicher Begabungen entwickelt wurde. Bevor eine Auseinandersetzung mit konzeptionellen Überlegungen angeführt wird, findet zunächst das zugrundeliegende pädagogische Selbstverständnis Betrachtung. Hierauf folgend kommt es zu einer differenzierten Darstellung von Momenten, Situationen und Beobachtungen der Projektwoche, die unter verschiedenen Gesichtspunkten des zwischenmenschlichen Geschehens ausgearbeitet werden. Diese Aspekte dienen dann als Anhaltspunkte für die Darstellung und Analyse des Projektes aus der Sicht der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen, welche anhand einer Reflektion der Projekttage durch die Begleitenden beschlossen werden.

Die vorliegende Arbeit wird durch eine Bearbeitung der Frage nach den Möglichkeiten einer Entwicklung und Anbahnung pädagogischer Kompetenzen abgerundet. Das Ausbildungskonzept "Pädagogik der Vielfalt" dient hier als Grundlage der Auseinandersetzung und wird zunächst in Grundzügen vorgestellt. Es folgt eine detaillierte Aufschlüsselung der einzelnen inhaltlichen Bausteine der Ausbildung, die im Sinne eines inklusiven Menschenverständnisses und in Bezug zu unterstützenden methodischen Ansätzen diskutiert wird.

In der Schlussbetrachtung werden Ergebnisse und Erkenntnisse des Erarbeitungsprozesses zusammengefasst und die Frage nach Wegen einer Förderung des inklusiven Potentials von heterogenen Gruppen beleuchtet.

Die Thesis möchte dem Leser Perspektiven auf Unterschiedlichkeit eröffnen und diese von vielfältigen Seiten betrachten. Indem ein Einblick in die Verwirklichung eines Konzeptes zur Unterstützung des Potentials einer heterogenen Kinder- und Jugendlichengruppe gewährleistet wird, kann die Wahrnehmung für daraus erwachsende Möglichkeiten für die Teilnehmenden und ihren Lebensweg angebahnt werden. Zugleich wird die Rolle der Kompetenzen pädagogisch Tätiger beleuchtet und im Kontext der Bedeutung ihres Menschenbildes reflektiert. Dem Leser wird somit ein Bild vorgestellt, das eine Idee von Gemeinschaft und konkrete Überlegungen zur Verwirklichung dieser zeichnet.

Es geht darum, das Andere anzuschauen und es als natürlich gegeben zu begreifen, ohne es als zwischenmenschliches Hindernis zu betrachten.



[1] Im Verlauf dieser Arbeit ist auf eine Feminisierung des Textes verzichtet worden, jedoch werden mit den verwendeten Formulierungen beide Geschlechter gleichermaßen angesprochen.

TEIL I

1. Vorstellung einer Definition von Inklusion und Heterogenität

"Alle Menschen sind gleich. Alle Menschen sind in ihrem Wesen gleich. Und alle sind auch darin gleich, daß sie alle individuell unterschiedlich, in unendlicher Vielfalt unterschiedlich sind"[2].

Die Vergangenheit der menschlichen Gesellschaft lässt uns heute in einer Kultur der Ausgrenzung leben, in der Mitmenschen an den Rand der Gemeinschaft gedrängt werden, weil ihnen abgesprochen wird, in ihren Fähig- und Fertigkeiten, ihrem Aussehen, ihrem Glauben oder ihrem Geschlecht einer scheinbar allgemein gültigen, aber immer veränderbaren, Norm zu entsprechen[3]. Sie werden somit in ihrer Teilhabe an Prozessen des Miteinanders ge- und behindert.

Die somit beschriebene gegenwärtige Realität hat es erforderlich gemacht ein Gedankenkonstrukt und -konzept auszubilden, das sich mit der Problemhaftigkeit und Herausforderung solcher zwischenmenschlicher Grenzen auseinandersetzt und sich der ursprünglichen Natürlichkeit des Andersseins annimmt. Wir sprechen vom inklusiven Menschenbild. Inklusion meint "bejahte und gewollte Heterogenität"[4].

Im Dezember 2006 befasste sich die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit den Rechten von Menschen mit Behinderung und setzte sich mit Möglichkeiten des Schutzes und der Förderung derselben auseinander. Deutschland unterzeichnete dieses "Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen"[5] (Behindertenrechtskonvention - BRK) im Frühjahr 2007 und eröffnete den Weg einer Ratifizierung im Jahr 2009. Somit sind die in der Konvention festgelegten Richtlinien zur Wahrung des Rechts von Menschen mit Behinderung für die Bundesrepublik verbindlich geworden. Verknüpft mit dieser Verbindlichkeit finden sich demnach der Anspruch und die Anforderung an die verantwortlichen Gremien, Umsetzungsideen zu konzipieren und zu verwirklichen, die die Bürger unserer Gesellschaft in ihrer Verantwortung zur Umgestaltung unterstützen.

In zahlreichen Zusammenhängen des Vertragstextes wird die Forderung nach der Achtung der Würde und somit einer Anerkennung der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderung gestellt. So heißt es in Artikel 3, dies seien Voraussetzungen, um sie als "Teil der menschlichen Vielfalt und Menschheit"[6] erkennen und annehmen zu können. Es finden sich darüber hinaus Leitsätze zur Verwirklichung dieses Anspruches und Möglichkeiten zur Bewusstseinserweiterung der Bürger unserer Gesellschaft, wie die Initiierung und Durchführung von Kampagnen, durch welche die Öffentlichkeit für die Belange von Menschen mit Behinderung Sensibilisierung erfahren soll[7].

In diesem Kontext wird ausdrücklich von Menschen mit Behinderung gesprochen - Menschen also, die sich in Verbindung mit Normvorstellungen unserer Zeit sehr schnell am Rand der Gesellschaft wiederfinden. Es soll aber darin keine Ausschließlichkeit verstanden werden, in der nur jene in den Blick genommen werden, die mit wortwörtlichen Behinderungen an Körper und Geist in dieser Welt stehen. Vielmehr umfasst die Begrifflichkeit eine Lebenserschwernis, der wir uns alle gegenüber sehen, wenn wir den "formellen oder informellen Regeln"[8] unseres Umfeldes in Bezug auf Verhalten, Aussehen und Gewordensein nicht entsprechen.

Diese Regeln beziehen sich auf Vorstellungen eines genormten Verhaltens und Handelns, das sich auf konventionelle, rechtliche und moralische Ebenen bezieht. Hier sind Ge- und Verbote gültig, denen ein gesellschaftlicher Konsens zu Grunde liegt - eine Einigkeit also über Richtig- und Rechtmäßigkeit. Normen werden dann zu Anteilen einer Persönlichkeit, wenn sie von einem Menschen erkannt, begriffen, anerkannt und befolgt werden. Dann erhalten sie die Funktion eines Maßstabes für Handlungen und Verhalten. Einfluss auf die Entwicklung der moralischen Identität eines jeden Menschen hat in erster Instanz das familiäre Umfeld, aber auch Vorbilder, Idole und die Peergroup. Normvorstellungen können sich im Laufe eines Lebens verändern, ebenso wie die Begründungen, die dahinter stehen. Bei einem solchen Wandel in Bewusstsein, Handeln, Denken und Fühlen ist die Rolle der Gesellschaft, die Raum für einen solchen Prozess eröffnet oder ihn blockiert und Wege versperrt, bemerkenswert[9].

Mit der Ratifizierung der BRK trat eine verstärkte Diskussion in die Öffentlichkeit, die sich intensiv mit den Möglichkeiten eines Wandlungsprozesses der Gesellschaft hin zur diesbezüglichen Öffnung und somit einer Umsetzung der Richtlinien der UN - Konvention befasste. In dieser Zeit entstand beispielsweise der Index for Inclusion, der von einem englischen Team aus Inklusionsförderern entwickelt wurde und sich mit den Bedingungen und Anforderungen einer inklusiven Schulbildung auseinandersetzt. Der Index unterstreicht in besonderem Maße die Bedeutung der Vielfalt für Prozesse in Klassenverbänden, indem er darauf hinweist, dass Unterschiedlichkeiten als Chance für die Entwicklung der Kinder aneinander begriffen werden können und nicht als Problem, das es zu überwinden gilt[10].

In der Inklusionspädagogik wird ein Diskurs über Menschenbilder, Handlungsmöglichkeiten und methodische Dimensionen einer Vereinigung der Menschen in Vielfalt geführt, der sich auch außerhalb des schulpolitischen Rahmens bewegt und gesamtgesellschaftlich angelegt ist. In diesem umfassenden und ganzheitlichen Blick soll aber Unterschiedlichkeit nicht verloren gehen.

"So sehr du die Gleichheit im anderen entdecken willst, so sehr darfst du auch die Unterschiede im Gleichen gelten lassen. Du mußt die Fremdheiten und Schwierigkeiten im Umgang mit anderen nicht verleugnen, aber du darfst deiner eigenen Menschlichkeit zutrauen, eine große Spannweite an Kommunikationsmöglichkeiten zu entwickeln"[11].

Dabei ist der Grad zwischen der Befassung mit Verschiedenheit als fundamentalem Aspekt des Inklusionsgedankens und -bestrebens und dem Unterstreichen der gefundenen Beobachtungen, um Inklusion zu betonen, ein schwieriges Unterfangen.

"Denn Heterogenität ist nicht einfach da, sondern wird durch praktisches Handeln, durch Unterscheidung, Differenzierung und Kategorisierung immer auch erst hergestellt"[12].

Dannenbeck und Dorrance (2009) weisen hier auf die Verantwortung der Inklusionspädagogik und ihrer Förderer und Unterstützer, die angestrebte umfassende gegenseitige Annahme nicht durch Besonderung zu gefährden, hin. Aber auch die gegensätzliche Tendenz, Verschiedenheit im Sinne einer Gleichmachung aller zu vermitteln, ist lebendig. Die gegenseitige Bedingung von Inklusion und Heterogenität verliert hier an Beachtung und Wert, wobei das Eine ohne das Andere undenkbar ist. Soll es zu einer bewussten "Gleichheit der Verschiedenen"[13] kommen, so ist eine Auseinandersetzung mit dem Anderen, dem Fremden unumgänglich.

In dieser Betrachtung steht nach Hinz (1995) eine "Hinwendung zum Fremden in der eigenen Person"[14] an erster Stelle. Er spricht von der Anschauung der "eigenen dunklen, ungeliebten, schwachen Seite"[15], um der Verleugnung der eigenen Unzulänglichkeiten und Grenzen mit Akzeptanz begegnen zu können. Auf der so geschaffenen Beziehung zu sich selbst kann eine "Hinwendung zum Fremden im Anderen"[16] geschehen, die dessen Individualität und Unterschiedlichkeit in Achtung erkennen lässt und Distanzen abbauen hilft.

Um diese Prozesse befördern und zum Wachstum des Einzelnen in der Begegnung mit dem Anderen beitragen zu können, bedarf es heterogener Strukturen, die einen Raum für den Dialog eröffnen. In der folgenden Erörterung soll die Bezugsgruppe der Kinder in den Blick genommen werden - jene Menschen, die unsere Gesellschaft von morgen gestalten und denen wir auf diesem Weg Begleitung sein dürfen.

2. Wozu Heterogenität? - Annahmen über das Potential von Verschiedenheit

"(...) Systeme mit internen Spannungsverhältnissen erzeugen instabile Phasen und Systeme mit instabilen Phasen erzeugen die Möglichkeit zum Übergang zum neuen Muster und das nennen wir Kreativität. Als erhöhen Sie die Spannung im System, schaffen Sie Unterschiedlichkeit (...). Geben Sie Querdenkern eine Chance. Lassen Sie die Störer zu (...)"[17].

Wenn soeben herausgestellt wurde, dass Unterschiedlichkeit natürlicherweise gegeben ist, so sind alle Lebenszusammenhänge davon durchwirkt und von heterogener Struktur. Im Licht dieser Betrachtung wird auch ersichtlich: Erziehung und Bildung in Vielfalt wird bereits verwirklicht. Doch hier ergibt sich ein differenziertes Bild, das eine Dialektik zwischen gesellschaftlicher Realität und der Verwirklichung dieser in Bildungszusammenhängen zeichnet.

2.1 Ansichten über Verschiedenheit

Wir leben in einem Land, das auf allen denkbaren Ebenen heterogene Strukturen aufweist,

sodass ein Wohnviertel in einer deutschen Großstadt mitunter sehr bunt aussehen

kann:

"Da sind unterschiedlichste Kinder, Frauen und Männer aus Nachbarländern, die ihre Kultur und Religion leben, die hier eine Arbeit gefunden haben oder auf einen längeren Aufenthalt in Deutschland hoffen. Da sind Familien unterschiedlichster Zusammensetzung - zwei Mütter, zwei Väter, Mutter und Vater und Alleinerziehende, gemeinsame Kinder, geschenkte Kinder, adoptierte Kinder. Da sind Menschen unterschiedlichster Begabungen - Künstler, Manager, Studierende, Professoren, Müllfahrer, Handwerker, Menschen mit Behinderung oder anderen Lebenserschwernissen. Da sind Menschen unterschiedlichsten Alters - Babys, Kinder Jugendliche, junge Erwachsene, Erwachsene, Senioren."

In den bis heute gewachsenen Strukturen schulischer und außerschulischer Zusammenhängewird kaum ein reales Abbild der Gesellschaft geschaffen, wenn Kinder aus Migrantenfamilien zumeist auf Hauptschulen unterrichtet werden, wenn Kinder mit Lebenserschwernissen keinen selbstverständlichen Zugang zur Regelschule erhalten oder aufgrund scheinbar mangelnder Leistungsfähigkeit in Sonderschulen ausgegliedert werden und wenn nur Kinder gleichen Alters gemeinsam lernen. Boban und Hinz (2004) sprechen von einer vorherrschenden und unterstützten "Ideologie des Besserseins als andere"[18].

Die hier geführte Diskussion aber soll nicht zu einem flammenden Plädoyer für schulpolitische Veränderung oder zur Beschwerdeführung über Missstände im Bildungssystem führen. Vielmehr ist eine Darstellung der gegebenen Bedingungen unerlässlich, soll die Hinführung auf das zu besprechende Thema gelingen.

Schule nimmt im Leben unserer Kinder heute einen mächtigen, einflussreichen Raum ein, der in seinem Wirken bis in die freizeitlichen Lebensbezüge hineinreicht. Es entsteht der Eindruck, dass das Maß, in dem Schule Lernen in Vielfalt möglich macht, in enger Verbindung mit der diesbezüglichen Flexibilität in außerschulischen Aktivitäten, welche zentraler Gegenstand dieser Erarbeitung sein sollen, steht. Wenn Kinder im Lebensraum Schule nicht erfahren, dass gemeinsames Leben und Lernen mit ganz unterschiedlichen Anderen sinnvoll und förderlich ist, bekommen sie womöglich kein entsprechendes Verständnis für die Natürlichkeit und Notwendigkeit des Kontaktes zu eben diesen von ihnen unterschiedlichen Kindern[19]. Mit Moser (2007) gesprochen ist eben diese Interaktion aber besonders fundamental für die Entwicklung junger Menschen, auch weil diese mit den entsprechenden Erlebnissen in die Zukunft und das Erwachsenwerden gehen.

"Der Einzelne bleibt zeitlebens angewiesen auf den Austausch mit Anderen. Je unterschiedlicher nun diese Interaktionspartner sind, in ihrem Verhalten, den kulturellen Hintergrund betreffend, im Hinblick auf ihre Persönlichkeit, ihr Wissen und ihre Leistungsfähigkeit um nur einiges Wenige zu nennen, desto wahrscheinlicher gelingt die Ausbildung einer differenzierten Ich-Identität. Oder deutlicher: Differenzierte Ich Identität kann sich nur ausbilden, wenn heterogene Interaktionspartner zur Verfügung stehen"[20].

Lew Semjonowitsch Vygotskij (1989) - Begründer der Kulturhistorischen Schule[21] - rückte die Prozesse innerhalb eines "Kinderkollektivs"[22] in den zentralen Blickpunkt seiner Forschungsbestrebungen. In seinen Betrachtungen stellte er die Bedeutung der Gemeinschaftfür den Einzelnen heraus, aus der die "individuellen Funktionen"[23] generiert würden. Der zuvor angenommene Ausgangspunkt kollektiven Verhaltens - die individuelle Verfasstheit des Einzelnen - sei nun nicht mehr als ursächlich für das Wesen einer Gruppe zu betrachten. Andersherum aber stelle sich die Frage nach der Bedeutung des Kollektivs für die Generierung der "höheren Funktionen"[24] des Kindes. So heißt es bei Vygotskij: "Die Funktion wird zuerst im Kollektiv als Beziehung zwischen Kindern zusammengesetzt, danach wird sie zur psychologischen Funktion einer Person"[25].

Mit dieser Arbeit weist Vygotskij (1989) auf einen wichtigen Aspekt des Potentials einer Kindergruppe hin. Es sei dabei jedoch auch der Blick auf die Anstrengung zu richten, die mitunter aus der großen Vielfalt einer solchen erwachsen kann. Cloerkes (1979) gibt zu bedenken, dass das "Miteinander von Kindern unterschiedlicher Begabungen"[26] ebenso unterschiedliche Prozesse auslösen kann, welche sowohl offene Ablehnung und Kontaktvermeidung, als auch Anerkennung und Beziehungsreichtum umfassen. Das Bewusstsein für die durchaus spannungsreichen Bedingungen in einer vielfältigen Gruppe ist demnach eng verknüpft mit einer Begleitung, die Differenzen in der Weise ernst nimmt, dass die Entwicklung aneinander zum "Hauptfaktor des Lernfortschritts"[27] werden kann. Wenn also ein Raum geschaffen ist, in dem "Achtung, Verlässlichkeit und Zugehörigkeit"[28] erfahrbar wird, so kann sogar der Streit zur wertvollen Kraft im Wachstum der individuellen Funktionen

werden[29].

Im Folgenden werden nun differenzierte Annahmen und Erkenntnisse zur Darstellung kommen, die sich mit der Frage des Sozialen und Zwischenmenschlichen, das in einer Gruppe leben kann, auseinandersetzen. Dabei werden zunächst allgemeine Betrachtungen herausgestellt, um ein grundlegendes Verständnis von Beziehung und Kommunikation zu gewinnen. Anschließend wird auf diesem Verständnis die Bedeutungsebene dieser Prozesse für heterogene Kindergruppen beleuchtet werden.

2.2 Die Welt der Beziehung und des Zwischenmenschlichen

Eine Befassung mit den Möglichkeiten des Zwischenmenschlichen führt nahezu unweigerlich in Richtung des Philosophen Martin Buber (1995), der sich in seinem Wirken und seinen Werken dem wahrhaften Dialog zwischen den Menschen widmet. "Der Mensch wird am Du zum Ich"[30], denn "Geist ist nicht im Ich, sondern zwischen Ich und Du. Er ist nicht wie das Blut, das in dir kreist, sondern wie die Luft, in der du atmest"[31]. Buber (1995) begreift in der Unmittelbarkeit dieser Begegnung die Stiftung von Beziehung, in der alle Entwicklung, alles Wachsen und Werden, ihren Anfang finden.

In eben diesen Worten wird die Bedeutung des Anderen für die Bildung des Selbst offenbar - "Durch andere werden wir wir selbst"[32]. Welche Möglichkeiten werden aber erst eröffnet, wenn die Verschiedenheit dieser Anderen vom Selbst sehr groß ist?

Betrachtet man solche Prozesse, steht die Kommunikation als Verständigungsmoment im zentralen Blickpunkt der Aufmerksamkeit. Battegay (1976) benennt sie als "(...) Träger des gesamten sozialen Geschehens (...)"[33] und führt aus, dass eine Gruppe dann zueinander finde, wenn eine positive Haltung gegenüber den Mitgliedern kommuniziert und die Bereitschaft zurIdentifikation mit diesen empfunden und signalisiert würde. Eine natürliche Grenze erreiche die Annäherung in dem Moment, da jeder Einzelne sein Ich vor einem zu großen Einfluss der Anderen schütze. Wann diese innere Distanz eingenommen würde, bestimme unter anderem die "Ich - Stärke"[34] des Menschen, welche wiederum eng mit Charakter und Persönlichkeit zusammenhänge. Die Rolle der Gruppe sei hierbei jedoch nicht zu unterschätzen, da sie in ihrer Verfasstheit und Kommunikation die Atmosphäre der Gemeinschaft ausmacht, in welcher der Grad des Vertrauens und des Gefühls von Sicherheit bestimmt und vermittelt wird[35].

Eine solche Atmosphäre wird durch die Bilder und Vorstellungen, die die Gruppenmitglieder voneinander entwickeln und sich signalisieren, geprägt. Diese Signale können auf verbaler (das gesprochene Wort) und nonverbaler Ebene (z.B. Körpersprache, Mimik, Kleidung) gesendet und empfangen werden. Joachim Bauer (2006) erklärt mit dem System der Spiegelneuronen eine weitere Möglichkeit der Übertragung von Empfindungen und Gedanken, die auf neuronaler Basis vor sich geht.

Es existiere ein "soziale(r) Resonanzraum"[36] zwischen Menschen, da jede ausgeführte Handlung und jede Empfindung im Beobachter eine spiegelnde Reaktion seiner neuronalen Netzwerke hervorrufe. Dies fühle sich so an, "als würden sie selbst das Gleiche empfinden oder die gleiche Handlung ausführen, obwohl sie tatsächlich nur Beobachter sind"[37]. Diese Fähigkeit des menschlichen Gehirns ist laut Bauer (2006) die Grundlage der Empathiefähigkeit und des Einfühlungsvermögens, welche den zwischenmenschlichen Raum gestalten. Auf diesem Weg würden demnach soziale Signale untereinander nicht nur durch verbale oder nonverbale Vermittlung, sondern auch (meist unbewusst) durch die Aktivierungen "(...) im Gehirn des jeweiligen Empfängers (...) spürbar (...)"[38].

Kommunikation, auf verbaler, nonverbaler und neuronaler Ebene ist also Ver- und Übermittler von zwischenmenschlichen Botschaften und generiert somit den sozialen Raum. Im Gruppenprozess werden in diesem Zusammenhang Ängste, Vorurteile, Bilder und Vorstellungen bedeutsam, die aus dem Erfahrungsschatz und dem Sosein der Mitglieder erwachsen und in das Miteinander eingebracht werden. Diese können zwar die Kontaktaufnahme und einen Beziehungsaufbau erschweren, können aber abgebaut werden, sobald die Möglichkeit eröffnet wird, einander zu begegnen und sich kennenzulernen. In Battegays (1979) Ausführungen über den "Mensch(en) in der Gruppe" ist von der Notwendigkeit einer gemeinsamen Betroffenheit die Rede, welche in Problemlagen von der Gemeinschaft empfunden wird, damit das Interesse an der Gruppe bestehen bleibt[39].

Welche Bedeutung haben diese Aspekte für das Zusammenleben innerhalb einer vielfältigen Kindergemeinschaft? In den sogleich folgenden Ein- und Ansichten wird mitunter Bezug zur institutionellen/ schulischen Ebene hergestellt. Dies geschieht im Bewusstsein, dass womöglich nicht alle dieser Aspekte auf den Freizeit- und Projektbereich übertragbar sind. Dennoch werden sie als wertvolle Sichtweisen auf vielfältiges gemeinsames Leben und Lernen betrachtet und daher angebracht,

2.3 Das Potential heterogener Kindergruppen

"Eines der Mädchen ruft ihn: ‚Jochen, schau her, das wird unser Adventskranz.' Sie geht auf ihn zu, nimmt ihn in den Arm und führt ihn zum Tisch. Er blickt auf den Kranz und berührt ihn mit seinen Händen. Die Mädchen geben ihm ein Stück Draht: ‚So musst du's machen. Wickle den Draht um die Tanne!' Sie wiederholt es mehrere Male geduldig, nimmt seine Hände in die ihren und führt die Bewegung aus. Schnell verliert Jochen seine Aufmerksamkeit, aber die Mädchen ermuntern ihn. Er greift nach den roten Kerzen, die auf dem Tisch liegen. Als auch die Kerzen schief, aber stehend, am Adventskranz befestigt sind, sagt Jochen: ‚Ein Adventskranz'"[40].

Im Erkennen des Anderen, in der Wahrnehmung seiner Kommunikation, hat das Mädchen verstanden, wie sie auf Jochen zugehen kann. Sie hat sich nicht distanziert, weil er nicht interessiert an dem Gegenstand war, der sie beschäftigte. Sie hat sich nicht von ihm und seinen Bedürfnissen abgegrenzt, weil er unaufmerksam und träumerisch wirkte. Sie hat sich nicht abgewandt, weil er sich vielleicht in seiner Leistungsfähigkeit nicht auf ihrer Ebene befindet. Ganz im Gegenteil versucht sie mit ihm in den Dialog zu kommen, indem sie seine Aufmerksamkeit durch Berührung und Worte auf ihr Tun richtet. Dabei beachtet sie seine Verfasstheit und geht behutsam auf ihn ein, fordert aber auch sein Mitwirken.

In dieser Szene beschreiben Boban und Wocken (2009) sehr deutlich, dass Kommunikation - der Quell des Beziehungsaufbaus, wie zuvor beschrieben - unabhängig von Leistungsfähigkeit ist[41]. Dies zeigt, dass Verständigung, die das Wesen des Anderen ergründen hilft und Raum für Begegnung eröffnet, als Grundlage eines Miteinanders möglich sein kann.

"Kinder erfahren, dass sie einander brauchen. Sie lernen zu nehmen und zu geben - beides nicht selbstverständlich"[42]. Die in der Unterstützung der Anderen empfundene Selbstwirksamkeit und die daraus erwachsende Formung des Selbstbildes[43], wird in Gruppen, die z.B. bezogen auf ihre Begabungen, ihr Alter oder ihren kulturellen Hintergrund unterschiedlich sind, besonders gefördert. Kinder erfahren sich als natürlicherweise hilfebedürftig, ebenso aber auch als Unterstützer - als Lehrende und Lernende[44]. In diesem Moment wird anteilnehmende Gemeinschaft spür- und erfahrbar. Meister und Schnell (2007) beschreiben die Bedeutung einer inklusiven Pädagogik für die Stärkung der Selbstwirksamkeit, indem sie betonen, dass diese allen Kindern den Raum eröffne, "(...) sich als kompetent zu erfahren - ungeachtet individueller Voraussetzungen"[45].

Gerade aus diesen individuellen Voraussetzungen aber kann eine ebenso individuelle Bedeutung des Einzelnen in der Gruppe hervorgehen. Ältere Kinder beispielsweise können in ihrer möglicherweise zugeschriebenen Autorität auf die Einhaltung von Gruppenregeln achten oder zur Klärung von Auseinandersetzungen beitragen und somit die Rolle eines Vorbildes einnehmen[46]. Die Mitglieder einer Gruppe bewegen und beeinflussen sich also wechselseitig, sodass sie einen entscheidenden Anteil am Verhalten des Einzelnen haben[47].

"Es ist eine allgemeine Erfahrungstatsache, daß sich Kinder und Jugendliche in einer Gruppe (...) anders verhalten, als wenn sie allein auf sich abgestellt sind. Dementsprechend können die Charakteristika einer Gruppe nicht aus den Einzelcharakteren herausgelesen werden. (...) Wir können also (...) sagen, daß die Gruppe mehr als die Summe der Beteiligten ist"[48].

Boban und Wocken (2004) erkennen in ihrem Erleben der Kinder in einer integrativen Grundschule, dass nicht nur friedliches und nahezu fürsorgliches Miteinander, wie geschildert, das Zusammenleben prägt. Sie beobachten eine "(...)Polarität von Kampf, Auseinandersetzung und Diskussion einerseits und Dialog andererseits (...)"[49].An dieser Stelle sei mit Janusz Korczak (1980) auf die Wichtigkeit von Auseinandersetzung und Streitigkeiten hingewiesen. "Es gibt in einer Kinderschar keine absolute Kameradschaftlichkeit und Solidarität, und es kann sie auch nicht geben"[50].

Stähling (2007) gibt zu Bedenken, dass ein Kind in der Realisierung "(...) des Unterschieds zu den ‚Normalen' (...)"[51] eine Entmutigung erfahren kann. Auch sei die Frage berechtigt, wie adäquat auf die individuellen Besonderheiten der Kinder einer Gruppe eingegangen werden kann[52].

Hier wird ausdifferenziert, dass auch heterogene Konstellationen mit durchaus problemhaften Situationen konfrontiert sind, die mitunter gerade die Verschiedenheit zum Thema haben können. In diesem Punkt aber wird ein sehr wertvolles Moment ersichtlich, denn erst durch diese Auseinandersetzung kann ein Bewusstsein für den Wert des Gemeinsamen wachsen. Kritische Betrachtungen des Prozesses hin zu Inklusion und Vielfalt, die mögliche Grenzen der Bestrebungen in den Blick nehmen, sind in der Diskussion um das Potential von Heterogenität von fundamentaler Bedeutung, um einen reflektierten Diskurs zu gestalten, der um eine Entwicklung wahrhaft bemüht ist.

Im folgenden Kapitel werden Entwicklungschancen und -räume für den inklusiven Wandel unserer Gesellschaft betrachtet, die sich aus den bisher beschriebenen möglichen individuellen und kollektiven Prozessen einer heterogenen Kindergruppe eröffnen können.

3. Entwicklung eines Menschenbildes aus der Erfahrung von Verschiedenheit

"Ein Kind muß wissen, daß es erlaubt ist und daß es sich lohnt, aufrichtig seine Meinung zu sagen, daß es weder Ärger noch Unwillen erregt und dass es verstanden wird. Aber das ist noch nicht genug: es muß sicher sein, von seinen Kameraden weder ausgelacht noch verdächtigt zu werden, sich einschmeicheln zu wollen"[53].

In einer vielfältigen Gruppengemeinschaft kommen Kinder in die Begegnung mit einem Abbild der Gesellschaft, welche eine intensive und tiefgründige Auseinandersetzung mit der Welt, in der sie heute und in der Zukunft leben, ermöglicht und ein Menschenbild vermitteln kann, welches den Weg zum gemeinsamen Leben und Lernen bereitet. Es wird also ein Raum der Beschäftigung mit den Bedingungen eines Zusammenlebens geschaffen, der in gewisser Weise ein geschütztes Lernen aneinander eröffnet. In eben diesem Kontext wird die Entwicklung von Kindern hin zu " (...) toleranten, kritischen, selbstbewussten, gemeinschaftsfähigen, kommunikativen, couragierten, optimistischen und lernfähigen Erwachsenen (...) "[54] thematisiert.

Mit dieser Intention ist ein beachtlicher Anspruch an und hohe Verantwortung für den Gruppenprozess verknüpft, der die Entfaltung des Potentials einer heterogenen Kindergruppe unterstützen soll. In der anschließenden Diskussion werden Vorstellungsmaximeeines Menschenbildes ermittelt und beleuchtet, die in einer solchen Gruppe erlern- und erlebbar werden können. Dabei wird der Blick zunächst auf zwischenmenschliche und gruppenspezifische Dynamiken gelenkt, worauf eine Betrachtung der Wertevorstellungen von Partizipation, Demokratie und Toleranz erfolgt.

3.1 Stereotype, Vorurteile und Ausgrenzung

Wenn Kinder unterschiedlichster Begabungen, unterschiedlichster äußerer Merkmale, unterschiedlichsten Alters und unterschiedlichster Kultur zueinander kommen, so begegnen sich zugleich sehr individuelle Vorstellungen und Annahmen über die jeweils Anderen: Stereotype und Vorurteile. Erstere meinen tradierte Bilder, welche soziale Erscheinungen verallgemeinernd kategorisieren[55]: "Kleine, schmale Jungen sind schüchtern und essen schlecht." Vorurteile erwachsen aus einer Stereotypisierung. Sie äußern sich in einer gefühlsbetonten, unreflektierten, nicht per se negativen Haltung gegenüber dem Anderen, die auch durch gegensätzliche Erfahrungen nur schwer zu beeinflussen ist[56]: "Dieser kleine, schmale Junge ist schüchtern und isst schlecht." In der verfestigten Meinung über das Kind findet keine Begegnung mit dessen Individualität statt, wird alles zwischenmenschliche Handeln und Sein von dieser Vorstellung geprägt.

Nach Peuckert (2003) finden Vorurteile in Gruppenzusammenhängen ihre Bedeutung in der Stärkung eines Gefühls der Zusammengehörigkeit, der Sicherheit und des legitimierten Aggressionsabbaus, wenn beispielsweise alle Kinder ein anderes hänseln. Der Gewinn einer gemeinsamen "Verschwörung" für den Einzelnen kann in der Ausübung von Macht und damit der Herstellung von hierarchischen Verhältnissen liegen und somit eine vermeintliche Stärkung des Selbstwertgefühls bewirken[57].

Vorgefertigte Meinungen oder auch Normvorstellungen bei Kindern sind meist zunächst vermittelte und übernommene Bilder, die noch keine Verfestigung erfahren haben, sodass eine Änderung der Einstellung gegenüber einem anderen Kind möglich ist. Reimann (2011) spricht von einer "Vorverurteilung"[58], die sich aber im ungünstigen Fall der dauerhaften Bestätigung und des Festhaltens zum Vorurteil wandeln kann. Dabei spielt das Umfeld - Familie, Freunde, Kindergarten, Schule - vor allem im Alter von vier bis acht Jahren eine besondere Rolle, da in dieser Lebensphase soziale Kompetenzen besondere Ausprägung und Wachstum erfahren und persönliche Eigenschaften große Beweglichkeit aufweisen[59].

Aus Stereotypen und Vorurteilen können schon im Kindesalter diskriminierende Haltungen und ausgrenzende/ exklusive Tendenzen entstehen, sodass in einer Gruppe einzelne Kinder oder kleinere Gruppen in die Position des Außenseiters befördert werden. Ihre Teilhabe an der Gruppengemeinschaft, an sozialen Prozessen und die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse nach Kommunikation und damit einhergehender Anerkennung werden somit eingeschränkt und können für die Betroffenen eine erhebliche Minderung der Lebensqualität bedeuten.

Reimann (2011) betont, dass Gruppen mit einem hohen Grad der Heterogenität nicht automatisch vor Ausgrenzungstendenzen gefeit sind. Die Autorin rückt hier die Bedeutung der pädagogischen Kompetenzen und Rahmenbedingungen ins Blickfeld, denn allein die große Unterschiedlichkeit aller Kinder führe nicht automatisch zu der Erkenntnis einer natürlichen Individualität des Einzelnen. Erst die ernst nehmende Auseinandersetzung mit verschiedenen Begabungen und Persönlichkeiten und den im Raum stehenden individuellen Vorstellungen und Bildern kann eine Atmosphäre schaffen, in der Partizipation, Demokratie und Toleranz erfahr- und erlebbar werden können[60].

3.2 Partizipation, Demokratie und Akzeptanz

Inklusive Pädagogik in schulischem und außerschulischem Rahmen "(...) macht Schülerinnen und Schüler zu Experten in eigener Sache und (...) ist auf eine größtmögliche Partizipation aller Beteiligten ausgerichtet, in der sich alle anerkannt, eingebunden, wertgeschätzt und selbstwirksam fühlen können"[61].

Partizipieren meint nach Vilmar (1986) hierbei nicht nur die Mitsprache und das Mitwirken an Entscheidungsprozessen, sondern vor allen Dingen das Recht auf Mitbestimmung und somit eine Gleichverteilung von Macht in der Gruppe. Wichtigstes Moment und verbindendes Element zur Inklusionspädagogik ist hierbei eben die Gleichberechtigung aller Beteiligten, die das Mitspracherecht der Kinder ermöglicht und sie in ihrer Teilhabe an der Gestaltung ihrer Lebenswelt unterstützt[62].

Demokratie als "Herrschaft des Volkes"[63] lässt sich im Gruppenprozess sehr eng mit dem Partizipationskonzept verbinden und betont einen pädagogischen Ansatz, der Kinder in ihrer Entwicklung zu mündigen und aufgeklärten Menschen und Bürgern unterstützen möchte[64].

Durch das Eingestehen der natürlichen Gleichberechtigung zwischen Erwachsenen und Kindern und dem damit einhergehenden ernst nehmenden Umgang miteinander auf Augenhöhe, können Kinder " (...) sich selbst kennen lernen und ihre Ich-Stärke entwickeln (...)"[65]. In der wahrhaften Anerkennung ihrer Lebenswelten und Auffassung ihrer Realität erlernen sie die Grundlagen des demokratischen Miteinanders und somit die Basis unseres Gesellschaftssystems. Eine Pädagogik, die Partizipation aller Beteiligten, Demokratielernen, Geschlechterbewusstsein und inklusive Beziehungen in den Blick nimmt, lässt eine anerkennende Haltung gegenüber jedem Menschen und dessen unantastbarer Würde erfahrbar werden und fördert somit einen akzeptierenden Blick auf andere Lebenskonzepte "(...)Traditionen, Einstellungen und Interessen (...)"[66].

Die Umsetzung des beschriebenen Ansatzes im konkreten Kontext bedeutet mitunter zunächst ein Mehr an pädagogischem Aufwand, da Kinder erst einen Umgang mit der ihnen zugesprochenen Kompetenz finden müssen. Entscheidungen, die früher von Erwachsenen getroffen wurden - Welches Thema wollen wir in den Mittelpunkt stellen? Wie wollen wir die Gruppen zusammensetzen? Was wollen wir in unserer Zeit hier erleben? - werden mit Kindern gemeinsam besprochen, sodass alle Beteiligten miteinander eine für alle vertretbare Entscheidung treffen können. Partizipationskompetenzen betreffen "(...) soziale, methodische und kognitive (...)[67]" Fertigkeiten, die es den Kindern erlauben, orientiert an ihrer individuellen Entwicklungslogik, am Entscheidungsprozess teilzuhaben.

In diesem Punkt stellt sich die Verantwortung der pädagogischen Instanz in die Diskussion und die Rolle, die Begleitende beim Erlernen der angesprochenen Kompetenzen einnehmen können und sollen. Zumeist ist mit der Förderung von Partizipation ein natürlicher Vorgang gemeint, der sich in der Gestaltung alltäglicher Situationen offenbart. Es geht also um Aushandlungsprozesse, die zum Einen zwischen den Kindern stattfinden können: Was soll geschehen? Wer übernimmt welche Aufgabe? Welches Verhalten wird akzeptiert, welches nicht? Genau in diesen Fragen aber können Erwachsene Moderatoren oder auch Initiatoren sein, bzw. ein Mitspracherecht ihrerseits wahrnehmen, wenn beispielsweise ein Vorhaben der Kinder diskutiert werden muss. In dieser Auseinandersetzung muss differenziert betrachtet werden, welche inneren Haltungen der Erwachsenen gegen oder für Kindervorschläge sprechen, da diese möglicherweise seine Verwirklichung und Partizipation blockieren. Hier soll allerdings nicht von Vorhaben die Rede sein, welche die Beteiligten womöglich gefährden oder solche, die in bestimmten Rahmenbedingungen tatsächlich nicht realisierbar sind. Jedoch werden ähnliche Argumente schnell angeführt, wenn kindliche Macht als zu groß empfunden wird.

Durch die Unterstützung im Erlernen von "sozialen Kompetenzen, wie beispielsweise Empathiefähigkeit, kommunikative Fähigkeiten, Frustrationstoleranz oder Handlungskompetenz" [68], können Begleiter einen Raum der Übung eröffnen, indem Teilhabe und Akzeptanz wachsen können.

4. Rückschau und Ausblick

Der nun beschlossene Teil I hat einen weiten Bogen, begonnen mit allgemeinen Ansichten zu Heterogenitätsbezügen und Inklusion über die Betrachtung von Potentialen heterogener Kindergruppen bis hin zu einem in diesem Kontext vermittelbaren Menschenbild, gezogen.

Die Anerkennung des Anderen wird durch die Anschauung der eigenen Vielfalt und dem eigenen inneren Fremden möglich und eröffnet einen Dialog mit der von uns so unterschiedlichen Lebenswelt. Für Kindergruppen bedeutet dies, dass vielfältige Interaktionspartner zur Ausbildung einer differenzierten Ich-Identität beitragen und in diesem Kontext schon in frühen Jahren die Bedeutung der Begegnung mit dem Anderen verinnerlicht werden kann. In der heterogenen Kindergruppe wird Selbstwirksamkeit erfahrbar, wenn eigene Ressourcen zur Unterstützung Anderer beitragen oder diese mit ihren Begabungen die eigenen Einschränkungen aufheben. Es wird aber auch deutlich, dass dieses gegenseitige Miteinander nicht ohne bereiteten Rahmen entstehen und somit kein Selbstläufer sein kann. So ist die Arbeit an Vorurteilen und Diskriminierungstendenzen zentraler Bestandteil der Auseinandersetzung, wenn ein Verständnis vom Anderen entwickelt werden soll, das abseits jeder unreflektierten Voreinstellung wächst. In der gleichberechtigten Haltung zueinander können Erwachsene ihre Verantwortung zur Förderung selbstbewusster, toleranter und couragierter Kinder wahrnehmen.

Obgleich die Erörterung der bisher durchleuchteten Aspekte eines Miteinanders von Kindern und nicht zuletzt Erwachsenen einen klar umschriebenen Rahmen für die Arbeit mit heterogenen Kindergruppen aufzeigt, so ist eine Umsetzung in die praktische Tätigkeit ein mitunter mühsamer Weg. Der folgende Teil der Erarbeitung beschreibt und erläutert die Entwicklung einer Projektidee und deren Entwicklungsprozess bis hin zur Durchführung der Projekttage "Eine Stadt für Kinder"[69].

Dieser Teilabschnitt der Thesis setzt sich mit den Erlebnissen aus der Projektwoche auseinander. Dazu wird zunächst der Entstehungs- und Durchführungsprozess der Projektidee erläuternd dargestellt, woraufhin eine Diskussion des pädagogischen Selbstverständnisses im Zusammenhang mit der Umsetzung der konzeptionellen Überlegungen folgt. Im Anschluss an einen differenzierten Einblick in das Geschehen der Projektwoche aus Erwachsenen- und Begleitendensicht, werden Einschätzungen der Teilnehmenden vorgestellt. Im letzten Kapitel wird schließlich eine Reflektion der Projektwoche im Sinne einer Besprechung des Potentials der Kindergruppe vorgenommen.



[2] Essener Programmsätze 1989 zitiert nach Herrmann, von Lüpke 1991, S. 298

[3] Vgl. Moser 2007, S. 149

[4] Wocken 1987 zitiert nach Wocken 2011, S. 106

[5] Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen o.J., S. 1

[6] Deutsches Institut für Menschenrechte 2012, S. 6

[7] Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte 2012, S. 9

[8] Battegay 1979, S. 22

[9] Vgl. Oerter, Montada 2002, S. 619 ff.

[10] Vgl. Boban, Hinz 2003, S. 10

[11] Von Lüpke 1994, o.S.

[12] Dannenbeck, Dorrance 2009, o.S.

[13] Von Lüpke 1994, o.S.

[14] Hinz. 1995, o.S.

[15] ebd, a.a.O.

[16] ebd, a.a.O.

[17] Kruse o.J., o.S.

[18] Boban, Wocken 2004, S. 26

[19] Vgl. Eckhart 2006, S. 3

[20] Moser 2007, S. 150

[21] von Lurija, Leontjew und Vygotskij ausgehender Ansatz, der den Menschen vor dem Hintergrund seiner Geschichte und der damit verbundenen Entwicklungsbedingungen begreift.

[22] Vygotskij 1992, S. 238

[23] Ebd., a.a.O.

[24] Ebd., a.a.O.

[25] Vygotskij 1989, S. 297

[26] Cloerkes 1979 zitiert nach Eckhart 2006, S. 2

[27] Stähling 2007, S. 242

[28] Ebd, S. 241

[29] Vgl. Vygotskij 1989, S. 297

[30] Buber 1995, S. 28

[31] Ebd., S. 37

[32] Vygotskij 1989, S. 294

[33] Battegay 1976, S. 33

[34] Battegay 1976, S. 35

[35] Vgl. Ebd., a.a.O.

[36] Bauer 2006, S. 106

[37] Ebd, a.a.O.

[38] Ebd., S. 17

[39] Vgl. Battegay 1979, S. 26 ff

[40] Boban, Wocken 2004, S. 19 f.

[41] Vgl. Von Lüpke 1994, o.S.

[42] Vgl. Preuss - Lausitz 2005 zitiert nach Stähling 2007, S. 238

[43] Die Vorstellung von der eigenen Person, eng verbunden mit Selbstbewusstsein (was wir sind) und Selbstvertrauen (was wir können).

[44] Vgl. Schöler et. al. o.J., S. 47

[45] Meister, Schnell 2007, S. 222

[46] Vgl. Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München o.J., S. 1

[47] Vgl. Battegay 1976, S. 24

[48] Battegay 1976, S. 24

[49] Boban, Wocken 2004, S. 10

[50] Korczak 1980, S.273

[51] Stähling 2007, S. 241

[52] Vgl. Kron 2010, o.S.

[53] Korczak 1980, S. 272

[54] Reimann 2011, o.S.

[55] Vgl. Thomas 2006, S. 3 ff.

[56] Vgl. Reimann 2011, o.S.

[57] Vgl. Peuckert 2003 zitiert nach Reimann 2011, o.S.

[58] Reimann 2011, o.S.

[59] Vgl. Ebd., o.S.

[60] Vgl. Reimann 2011, o.S.

[61] Meister, Schnell 2007, S. 222

[62] Vgl. Vilmar 1986, S. 339ff.

[63] Wenzel 2011, S. 4

[64] vgl. Grasy 2004, S. 53

[65] Arbeitskreis Gemeinsame Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher 2000, o.S.

[66] Ebd., a.a.O.

[67] Grasy 2004, S. 199

[68] Wenzel 2011, S. 6

[69] Ursprünglich für Kinder bis 12 Jahre konzipiert, daher der Titel des Projektes

TEIL II

1. "Eine Stadt für Kinder" - Ein inklusives Projekt in Leipzig

Gelächter aus einer Ecke des Raumes - drei Jungs bearbeiten über einen Laptop gebeugt die Audiodateien; Melissa[70] sitzt am Tisch und bastelt "ihren" "Clara - Zetkin- Park" mit Spielplatz und Wasserfontäne; Aus dem Nebenzimmer dringen Ballspielgeräusche zu uns - Alex entspannt sich; Robert kommt die Treppe herunter und verkündet, dass das Essen fertig ist.

Wie kann ein Raum gestaltet werden, in dem sich Kinder und Jugendliche unterschiedlichster Begabungen begegnen und mit ihren Persönlichkeiten und Interessen auseinandersetzen können? Dieser Leitgedanke begleitete das Medienprojekt "Eine Stadt für Kinder" über sechs Monate des Entstehens und Werdens, im Bestreben, die Teilnehmenden in ihren individuellen Lebensrealitäten anzusprechen und sie für ein gemeinsames Thema zu interessieren. Das Konzept orientierte sich dabei an einem Filmprojekt, das im Sommer 2011 mit einer Kindergruppe von elf Teilnehmenden stattgefunden hatte und vereinte erneut die damaligen Kooperationspartner - den Sächsischen Ausbildungs- und Erprobungskanal (SAEK) und die Autismusambulanz Leipzig.

Sechs Mädchen und Jungen im Alter von zehn bis fünfzehn Jahren gestalteten vom 10. bis 13. April 2012, begleitet durch ein Team von sechs Mitarbeitern des SAEK und der Ambulanz, die Projektwoche "Eine Stadt für Kinder"[71]. Zentrales Thema war die Auseinandersetzung mit der idealen Stadt für junge Menschen und den Möglichkeiten einer gegenseitigen Bewusstseinserweiterung für die Belange und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen. Dazu machten sich die Teilnehmenden auf den Weg durch die Stadt Leipzig, besuchten für sie besondere Orte, interviewten sich gegenseitig und erklärten, warum sie Änderungen vornehmen oder was sie erhalten würden. Passanten wurden nach ihrer Meinung befragt, Vogelgezwitscher und Straßenlärm wurden auf Tonband festgehalten und die ersten Ideen zur Entwicklung idealer Orte wurden entwickelt. Aus all diesen Erlebnissen und Überlegungen entstanden Modelle aus verschiedenen Materialien, welche die zuvor besichtigten Plätze und Gebäude in individueller Form und Gestaltung wiedergaben. Alle Projektergebnisse wurden der Öffentlichkeit in einer Abschlusspräsentation und einer Ausstellung im Leipziger Rathaus vorgestellt, bei der die Teilnehmenden maßgeblich mitwirkten.

Um aber die nun vorgestellte Konzeption der Projekttage und deren letztendliche Durchführung in ihrer Art und Weise greifbar zu machen, wird zunächst eine Erläuterung des zu Grunde liegenden Menschenbildes und den damit verbundenen pädagogischen Grundprinzipien angestellt.

1.1 Pädagogisches Selbstverständnis

Bei der Konzipierung des Projektes "Eine Stadt für Kinder" standen von Beginn an die Kinder und Jugendlichen, sowie ihre Rolle und Bedeutung beim Gelingen des Vorhabens im Mittelpunkt der Überlegungen.

Gelingen - das bedeutete, gemeinsam einen Prozess zu gestalten, der vom Erleben eines Gemeinschaftsgefühls, dem Aushandeln von Vorgehensweisen und von der geteilten Freude am gemeinsamen Tun geprägt war. Wir wollten den Teilnehmenden einen Raum eröffnen, in dem Begegnung möglich wird, in dem Auseinandersetzung gewünscht und Streit erlaubt ist. Die unterschiedlichen Stärken der Teilnehmenden, ihre Grenzen, ihre Wünsche und Lebensrealitäten sollten erlebbar werden, sodass jeder die Chance zur Einbringung seiner Persönlichkeit erhalten könnte. "Du bist anders, ich bin anders und das ist ok" - solch eine anerkennende und tolerante Haltung anzubahnen bedarf wohl eines längeren Zeitraumes als den einer Projektwoche und dennoch wollten wir sie miteinander auf den Weg bringen. Daneben stand natürlicherweise die Vorstellung, dass die Teilnehmenden in der Erfahrung ihrer Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung eine Idee von der Kraft und Bedeutung ihrer Stimme bekommen würden und ihr Recht auf Teilhabe an Entscheidungsprozessen erfassen könnten.

Das Verstehen des Anderen in seiner Individualität und die damit einhergehende Akzeptanz seines Wesens und Verhaltens kann nur dann Vermittlung finden, wenn die begleitenden Erwachsenen eine innere Einstellung zu den Kindern und Jugendlichen entwickeln, die genau diese Sprache spricht. Aus diesem Anspruch erwächst die Herausforderung, dem Anderen die Möglichkeit einzuräumen, immer wieder neu SEIN zu dürfen. Die Begegnung steht dann immer im Licht einer positiven Erwartungshaltung, die Zutrauen entgegen bringt und zum Handeln und Verhalten nach individuellen eigenen Möglichkeiten befreit.

Die Erwachsenen verstehen sich in ihrer so umschriebenen Rolle als Begleiter und Wegbereiter der Kinder und Jugendlichen, als Dialogpartner auf Augenhöhe im Bewusstsein und der Anerkennung der gegenseitigen Gleichberechtigung. Damit geht die Vorstellung eines Raumes für die Ideen der Teilnehmenden und deren selbstbestimmtes Handeln einher, sodass diese IHR Projekt entwickeln können. Die Identifikation mit dem Vorhaben kann dann unterstützt werden, wenn sich ein Jeder in seiner Individualität angesprochen fühlt und seine Begabungen einbringen kann. Dementsprechend bedarf es eines vielfältigen In- Beziehung - Setzens zum "Gemeinsamen Gegenstand"[72], der ein möglichst breites Interessenfeld anspricht und entsprechend unterschiedliche Tätigkeiten ermöglicht.

Georg Feuser (1989) stellt den Gemeinsamen Gegenstand, als geteilte Aufmerksamkeit für den Gruppenprozess, ins Zentrum seiner Betrachtungen, an dem gemeinsames Lernen und Erfahren möglich werden soll. Feuser (1989) betont die Bedeutung dieser Gerichtetheit, indem er vom "innere(n) Wesen der äußeren Erscheinung eines Projektes"[73] spricht und eine Kooperation aller Beteiligten, auf dem jeweils individuellen Entwicklungsniveau, meint. Es ist also hiermit ein einendes Moment angesprochen, das aber eine Arbeit an unterschiedlichen Vorhaben innerhalb dieses Projektes nicht verneint. Vielmehr ist von einem gemeinsamen Interesse und einer gemeinsamen Beziehung zum thematischen Prozess die Rede[74]. Ist so eine Verbundenheit zum Gegenstand gewachsen, können die Beteiligten durch den Gegenstand hindurch vom Ich zum Du sprechen und sich als Persönlichkeiten begreifen und erkennen. In diesem Moment geschieht eine Begegnung jenseits des Wissensaustausches und von Mensch zu Mensch.

1.2 Umsetzung der konzeptionellen Überlegungen

Die anfänglichen Überlegungen zur Projektgestaltung standen im Zeichen der Themensuche und somit der Vorstellung von einem Gegenstand, der Kinder wahrhaft ansprechen würde. "Eine Stadt für Kinder" entwickelte sich aus dem Partizipationsgedanken, der auf dem Gebiet der Stadtplanung, trotz der natürlichen Betroffenheit der Kinder und Jugendlichen unserer Gesellschaft, bisher sehr wenig Verwirklichung findet. Wie sieht die ideale Stadt in den Augen junger Menschen aus? Welche Einrichtungen sind wichtig und wie sollten sie gestaltet sein? Was brauchen Jungen und Mädchen, um sich in einer Stadt wohl zu fühlen?

Die Unterschiedlichkeit der Teilnehmenden erforderte von der Konzeption und Ausgestaltung des Projektes zum Einen ein breites Tätigkeitsangebot, in dessen Rahmen alle Kinder und Jugendlichen zur Selbstverwirklichung finden und ihre Persönlichkeiten als Bereicherung des Projektes erfahren könnten. Inhaltlich sollte dies durch die Ebenen der Traumstadt, die fantastische und träumerische Formen annehmen konnte und der realen Gestaltung Leipzigs angebahnt werden. In methodischer Hinsicht gab es ein breites Angebot, das von Workshops zum allgemeinen Austausch in Gesprächsrunden, über Aufnahmeübungen mit Audiogeräten auf der Straße und in der Stadt, bis hin zu Modellbau und kreativem Schreiben reichte. Neben diesen thematischen Aspekten konnten die Teilnehmenden sich in der Küche bei der Zubereitung der Mittagessen einbringen und jederzeit mit Anderen gemeinsam oder nach Wunsch mit einem Begleiter allein Entspannung suchen (z.B. auf dem Spielplatz oder in einem Nebenraum).

Die Idee von der Selbstbestimmung und Mitbestimmung der Teilnehmenden, die in umfangreichem Maß Umsetzung finden sollte, war von Beginn des Projektes an wegweisend. Diese sollte nicht nur bei der Festlegung der zu besuchenden Orte in Leipzig spürbar werden. Im Raum stand das Bemühen darum, alle Ideen und Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen - und selbstverständlich auch der Begleiter - zu hören und zu berücksichtigen. Der Ermöglichung einer Freiheit der Entscheidungen und dem Recht eines Jeden gehört zu werden, liegt ein klarer Orientierungsrahmen und eine dementsprechende Strukturierung der Projekttage zu Grunde.

Konkret gestaltete sich jeder Tag im selben Grundrhythmus, der täglich gleichbleibende Orientierungspunkte markierte:

  • Ankommen in der Spiele- und Begrüßungsrunde, in der auch der Ablauf der kommenden Stunden besprochen wurde;

  • Mittagspause von einer Stunde;

  • Feedbackrunden, in denen Erlebnisse, Ärgernisse und Wunschäußerungen für den kommenden Tag angebracht werden konnten.

Die hier geschilderten allgemeinen Handlungsansätze und Überlegungen werden nun an Beispielsituationen konkretisiert dargestellt, um ein differenziertes Bild der Projektwoche zeichnen zu können.

1.3 "Eine Stadt für Kinder"- Momente, Situationen, Beobachtungen

Der pädagogische Anspruch eines hohen Maßes an Mitbestimmung durch die Teilnehmenden wurde an jedem Projekttag in der Herangehensweise an Aufgaben- und Fragestellungen auf vielfältige und beständige Weise verwirklicht.

Raum geben

1. Projekttag: "09:45 - 10:30 Vorstellen des Themas - Was stellt ihr euch vor? Was stellen wir uns vor? Was gibt es für Möglichkeiten?"[75] Wir fragten die Kinder nach ihren Ideen und Wünschen für die Projektwoche und wurden sogleich Zeugen sprudelnder Fantasie und zahlreicher Vorschläge für Orte in Leipzig, die wir besuchen könnten.

In diesem Prozess stellten wir Begleiter fest, wie vorausschauend wir die großzügigen Zeitangaben im Ablaufplan festgelegt hatten: Statt eine halbe Stunde lang Wünsche und Möglichkeiten zu sammeln, saßen wir eine Stunde beieinander und besprachen bereits spezifische Orte Leipzigs, ein Thema, das eigentlich erst am Nachmittag Raum bekommen sollte. Schon im Vorfeld hatten wir im Begleitendenteam besprochen, dass die einzelnen thematischen und organisatorischen Abschnitte zwar unseren Vorstellungen eines Ablaufes entsprachen, aber in gegebenem Fall Änderungen denkbar wären. Die Impulse, Ideen und Einfälle sollten in dem Moment, in dem sie lebendig würden, auch beachtet und ernst genommen werden

Aus dieser gedanklichen Haltung heraus konnten wir einen Workshop am Nachmittag des ersten Tages sogar komplett umgestalten. Ursprünglich hatten wir geplant die Teilnehmenden nach ihren Vorstellungen einer idealen Stadt zu fragen und anzubieten, diese aufzumalen, aufzuschreiben oder anderweitig kreativ darzustellen. Aus dem Erleben der Gruppe hatten wir aber das Gefühl, die Kinder und Jugendlichen hätten sich schon sehr in konkrete Ideen für Leipzig hineingedacht und könnten die allgemeine Idee von einer Stadt für junge Leute nicht so recht greifen. Wir entschieden die Aufgabenstellung zu ändern und bastelten aus großen Papierstücken einen Stadtplan, der, bis auf einige angedeutete Straßenzüge, vollkommen weiß war. Die Aufgabe lautete nun, gemeinsam eine Stadt für Kinder und Jugendliche zu entwerfen. Es entspann sich eine bunte, manchmal hitzige Diskussion um dreieckige Rathäuser und Riesenachterbahnen im Stadtzentrum.

In den Dialog kommen

Die Rolle der Erwachsenen bestand dabei lediglich in der Beobachtung des Prozesses und manchmal in der fragenden Position der Außenstehenden. Es war erstaunlich, welche Kompetenzen der einzelnen Kinder sich im Prozess offenbarten:

Alexander war die Lautstärke bei der Auseinandersetzung um die Form des Rathauses offensichtlich sehr unangenehm und so verschaffte er sich Gehör und schlug vor abzustimmen. Im Nu war entschieden: Ein dreieckiges Rathaus muss her. In ähnlicher Weise entstanden nach und nach eine Schule direkt neben dem Bauernhof, ein grüner Gürtel aus Parkanlagen und Spielplätzen, drei Wohnsiedlungen und ein Zeltplatz mit Schwimmbad.

Marius hatte viele ausgefallene Ideen, wie etwas gestaltet und was gebaut werden könnte und Robert wollte gerne malen, wusste aber nicht so genau, was und wohin. Schließlich entstand eine spannende Zusammenarbeit, in der Marius Vorschläge machte und Robert abwog, ob er einverstanden war - meist begann er dann voller Begeisterung eine seiner Zeichnungen. Genauso vertieft war auch Melissa, die einen Park und die dazugehörige Wohnanlage in liebevoller Kleinstarbeit mit Bunt- und Filzstiften Wirklichkeit werden ließ.

Christian hatte keine rechte Lust selber zu malen, war aber sehr interessiert an der Beobachtung der Stadtentwicklung. Als er aufgefordert wurde die Kaufhalle anzumalen, tat er dies zunächst nur ungern. Später stellte er fest, dass das kritzelig ausgemalte rote Dach nicht zu dem kunstvoll gestalteten Turm in der Nachbarschaft passte und so wurde es rasch verbessert. Niklas hatte die Achterbahn konstruiert und entschloss, sie ganz in rosa zu halten. Damit waren nicht alle einverstanden und Niklas wurde für sein vorschnelles Handeln gerügt. Als er dann der Straße, die um sein Kunstwerk herum verlief, auch noch einen Namen gab, mit dem niemand etwas anfangen konnte, rief das entrüstete Diskussionen um den Bestimmer Niklas[76] hervor. Schließlich aber hatten alle Straßen einen Namen - es gab die Mariusstraße, den Melissaweg, die Robertstraße usw. Nach eineinhalb Stunden Arbeit bestaunten wir gemeinsam das bunte Stadtbild, indem sich alle vorstellen konnten zu wohnen - bis auf Marius, der immer noch mit der rosa Achterbahn haderte. Wie alle visualisierten Ergebnisse wurde auch der Stadtplan an der Wand des Gruppenraumes angebracht, sodass die Teilnehmenden und auch wir Begleitenden ein greifbares Bild von den bisherigen Schritten der Projektarbeit vor Augen hatten.

Am Morgen des zweiten Projekttages, an dem wir in Kleingruppen die zuvor ausgewählten Orte in Leipzig besuchen wollten, überlegten sich die Kinder und Jugendlichen zunächst Fragen, die sie Passanten stellen könnten und machten sich Gedanken, was sie selber auf die Frage, warum sie sich diesen oder jenen Ort ausgesucht hatten, antworten würden. Die Aufnahmearbeiten fanden dann meist sehr selbstständig statt, auch wenn zunächst wir Begleitenden die Vorbeieilenden ansprachen und ein Interview mit den Mädchen und Jungen vorschlugen. Das Selbstbewusstsein wuchs allmählich und schließlich waren sehr erstaunliche Begegnungen zu beobachten:

"Da kam ein Jogger vom Fockeberg oben runter und dann habt ihr alle gesagt ‚Nein der joggt, der hält bestimmt nicht an' da bin ich losgegangen und der ist dann extra für mich angehalten"[77].

Die folgenden Tage waren so strukturiert, dass große Zeiträume für das Bearbeiten der Interviews an den Computern und das Basteln der Modelle eingeräumt wurden. Die Jungen und Mädchen arbeiteten sehr konzentriert an den jeweiligen Aufgaben - die aufgrund von Platzgründen in einem Raum verortet waren - holten sich Hilfe und Unterstützung, wenn sie derer bedurften und nahmen die Angebote zu kleinen Obst- und Naschpausen oder einem Spiel auf dem Hof gerne an.

Konflikthafte Situationen oder Die Anschauung des Soseins

Das gemeinsame Toben oder auch das Verlassen des Raumes wirkte sehr ausgleichend, denn wie bereits angedeutet waren die räumlichen Rahmenbedingungen so gestaltet, dass alle Teilnehmenden meist eng beieinander waren. Drei der teilnehmenden Jungen kannten sich aus vorherigen Projekten und der gemeinsamen Zeit in der Autismusambulanz und wussten um ihre zwischenmenschlichen Barrieren. Auch einige der Begleitenden kannten die Jungs in ihrer mitunter schwierigen Konstellation, sodass eine Vorstellung von möglichen Konfliktsituationen bestand. Wir sprachen im Team über diese Vorannahmen und fanden eine gemeinsame Sensibilität für die Sorgen, die damit verbunden waren. Wir setzten uns aber auch mit der Wichtigkeit der Unvoreingenommenheit gegenüber jedem Teilnehmenden auseinander und wurden uns der Bedeutung einer positiven Erwartungshaltung bewusst.

Zu Auseinandersetzungen zwischen den Teilnehmenden kam es in unterschiedlichen Zusammenhängen, die meist mit dem Gefühl einer ungerechten Behandlung zusammenhingen. Die teilweise sehr heftigen Reaktionen (z.B. Treten, Schlagen) waren für die Beteiligten oft überraschend, da sie in dieser Form kaum erwartet wurden. Dieses Verhalten ging vor allem von Niklas, der in der Verletzung seiner Gefühle oder Nichtachtung seiner Bedürfnisse zu aggressivem Verhalten neigt, aus. Dass diese Ausdrucksweise auch mit seinem Asperger-Autismus in Verbindung steht, konnte vielleicht ein Verständnis für sein Sosein erleichtern, schützte aber die anderen Kinder und Jugendlichen nicht vor Niklas' mitunter gefährlichen Reaktionen.

Für uns Begleitende hatte sich im Vorfeld der Projekttage die Frage gestellt, inwiefern das Thema Autismus und damit verknüpfte individuelle Verhaltensweisen und besondere Wahrnehmung eine Rolle spielen sollten. Dabei stand die Auffassung von der Gefahr der Verbesonderung durch die Betonung von Heterogenität zur Diskussion. Damit soll nicht die Ignoranz oder Nichtachtung der Individualitäten der Teilnehmenden gemeint sein, in denen der Autismus seinen Ausdruck findet. Im Gegenteil sollten die Mädchen und Jungen eine Begegnung und einen Dialog erfahren können, der vom Interesse am Anderen lebt und nicht durch eine möglicherweise vorgefertigte Brille ins Stocken gerät. Die konkrete Umsetzung einer solchen Rahmengestaltung suchten wir mit Hilfe einer durch uns signalisierten offenen Haltung gegenüber den Belangen der Teilnehmenden zu verwirklichen, welche Raum für die Begegnung mit Stärken und Grenzen zulassen wollte. Eine solche grundlegende Überzeugung würde eine Atmosphäre schaffen können, in der Fragen und Auseinandersetzungen natürlich wären.

Tatsächlich kamen weniger direkte Gespräche über Besonderheiten unterschiedlicher Kinder und Jugendlicher, weder mit den Begleitenden noch zwischen den Teilnehmenden, zum Tragen. Vielmehr wurden Hilfestellungen im gegenseitigen Verständigungsprozess in expliziten Situationen bedeutsam. So kam im Nachgang einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Niklas und Marius die Möglichkeit einer veränderten Wahrnehmung und Einschätzung eigener Kräfte zur Sprache, sodass ein Prozess des Erkennens des Anderen auf den Weg gebracht werden konnte. Im Nachhinein dieses Gespräches entwickelte sich ein besonderes Reaktionsmuster bei Marius, der, wenn Niklas nun über die Bedürfnisse eines Anderen hinweg seinen Willen durchsetzte, trocken kommentierte: "Niklas wieder!" Er hatte eine Möglichkeit gefunden, ein Verhalten, das ihm fremd war, greifen und diesem mit Toleranz begegnen zu können. Die Frage nach der Bedeutung von Toleranz im Zusammenhang mit verletzendem Verhalten sei hier ebenso in den Raum gestellt, wie auch die später kritisch zu reflektierende Rolle der Begleitenden.

Schaut man sich nun die Relevanz dieser Reaktion für Niklas' Verhalten in differenzierter Weise an, so mag dadurch die Frage nach der Nachhaltigkeit für den weiteren Entwicklungsprozess des Jungen aufkommen. Es ist eine Strategie des Umgangs mit schwierigem Verhalten ersichtlich geworden, wenn diese auch womöglich nicht vor körperlichen Verletzungen zu schützen vermag. An dieser Stelle kann nicht genauer darauf eingegangen werden, welche Auswirkung Marius' Reaktionsweise auf Niklas selber, die beobachtenden Kinder und Jugendlichen oder die Begleitenden gehabt haben könnte. Dieser Frage wäre in einer ergänzenden Diskussion nachzugehen.

In den alltäglichen Feedbackrunden kamen oft Empfindungen zur Sprache, die mit dem Verhalten einzelner Teilnehmer zusammenhingen. Hier war ein Raum geschaffen, in dem Wut und Unverständnis ausgesprochen werden konnten und zudem eine Durcharbeitung des Tagesgeschehens stattfinden konnte. In seiner Bedeutung konnte dieses abschließende Zusammenkommen auch den Neubeginn am folgenden Tag unterstützen.

Die eigene Stimme wahrnehmen - Präsentation der Projektergebnisse

Der Anspruch eines partizipativen Miteinanders als grundlegendes Konzept erweiterte den Blick über die Projektwoche hinaus auf die nachhaltige Teilhabe der Teilnehmenden an Entscheidungsprozessen der Gesellschaft. Es eröffnete sich die Frage nach einer Möglichkeit der Veröffentlichung von Projektergebnissen, um auf die Stimme von Kindern und Jugendlichen und auch in der Darstellungsweise auf deren Kompetenz aufmerksam zu machen. Aus diesen Überlegungen entstanden Kooperationen mit der Leipziger Volkszeitung, die in zwei Artikeln über "Eine Stadt für Kinder" berichtete[78] und mit dem Amt für Stadtgrün und Gewässer, das sich mit stadtplanerischen Kontexten befasst und die Ideen der Teilnehmenden in seine Überlegungen einbeziehen wollte. Aus der Zusammenarbeit mit Letzterem ergab sich die Möglichkeit einer einwöchigen Ausstellung im Neuen Rathaus Leipzig, welche eine Präsentation der Projektergebnisse einschloss.

Bei den diesbezüglichen Vorüberlegungen erfragten wir die Ideen der Teilnehmenden im Bezug auf die Aufstellung der Modelle und die Gestaltung der Stellwände. Für die Vorstellung der Projektwoche bestand sogar großes Interesse an der Mitgestaltung der Veranstaltung, sodass schließlich die Begrüßung und die Erläuterungen zu den einzelnen Projekttagen anhand einer Bilderzusammenstellung von Teilnehmenden in nahezu vollkommener Selbstständigkeit verantwortet wurden.

Das Engagement der Kinder und Jugendlichen in der abschließenden Veranstaltung, spricht die Sprache einer Verbundenheit der Akteure mit den Projekttagen. Wie haben sie nun "Eine Stadt für Kinder" erlebt? In den folgenden Absätzen soll eine Zusammenstellung der Eindrücke aus Teilnehmenden - Sicht einen Zugang zur Innenwelt der Mädchen und Jungen und zugleich des Projektes eröffnen.

2. "Eine Stadt für Kinder" aus der Sicht der Teilnehmenden

"Es gibt manchmal Meinungsverschiedenheiten, aber die muss es ja auch geben, es kann ja nicht immer alles perfekt sein"[79].

2.1 Methodik der Erfassung eines Meinungsbildes

Im Zusammenhang mit dem Interesse an einer Förderung des Potentials von Kinderund Jugendlichengruppen steht das Streben nach Einsichten in Vorstellungswelten der Teilnehmenden und die Diskussion ihrer Kritikpunkte und Überzeugungen: Vor diesem Hintergrund wurde eine Befragung der Kinder und Jugendlichen angestrebt.

Im konkreten Zusammenhang des vorgestellten Projektes zeichnete sich die Herausforderung einer Vermittlung der komplexen Fragestellung ab. Die Unterschiedlichkeit der Kinder erforderte ein Interviewkonzept, das einen entsprechenden Spielraum der Fragen über den Inhalt und die individuellen Erfahrungen eröffnen würde, um allen Teilnehmenden in ihrer Lebenswelt und ihren individuellen Begabungen entsprechend begegnen zu können.

Vor jedem Gespräch konnten die Kinder und Jugendlichen nach Wunsch den Inhalt der Fragen erfahren, sich Zeit zum Durchdenken dieser nehmen und sie mit der Interviewpartnerin besprechen. Alle Gespräche fanden in jeweils ruhiger Atmosphäre statt und wurden von der Verfasserin der vorliegenden Erarbeitung durchgeführt.

2.2 Darstellung und Reflektion der Erkenntnisse

Die nun folgende Zusammenfassung der Aussagen orientiert sich an der inhaltlichen

Struktur des vorangegangenen Kapitels (Raum, Dialog und Sosein) und schließt eine jeweilige

Reflektion an, die aber aus Gründen des Umfanges der Thesis nicht dem Anspruch

einer umfassenden Betrachtung gerecht werden kann. Die Präsentation der Projektergebnisse

(Wahrnehmung der eigenen Stimme) kann in den Stellungnahmen der Befragten

keine Rolle spielen, da die Interviews zu einem früheren Zeitpunkt aufgezeichnet wurden.

Raum geben

Die Frage nach den empfundenen Möglichkeiten der Mitgestaltung bezog sich zunächst auf das Bild von der Rolle der Erwachsenen, das die Teilnehmenden im Laufe der Tage entwickeln konnten. Diese hätten von Beginn an mitgeteilt, dass sie "uns nur helfen wollen" [80] und somit den zu gestaltenden Freiraum aufgezeigt. Christian meint dazu: "Ich war froh, dass wir entscheiden konnten, was wir machen. [...] Das geht mir immer auf'n Keks, wenn Erwachsene bestimmen, wo ich hin rennen muss, wo ich gar nicht hin will"[81].

Er und zwei andere Jungen hatten am Vormittag des dritten Projekttages gemeinsam Interviews und Audioaufnahmen vom Vortag bearbeitet und dabei ein Gespräch geführt, das sehr von Jugendsprache geprägt war. Die Begleitenden hatten dies bemerkt, nahmen aber keinen Einfluss auf die Interaktion, sondern verfolgten den Austausch aus der Entfernung. Einer der Jungen meinte später, dies sei der schönste Augenblick des ganzen Projektes gewesen und wenn die Erwachsenen eingegriffen hätten, wäre dieser zerstört und die Beteiligten traurig, wenn nicht sogar böse geworden[82]. Auch Robert sagt im Interview, dass die Freiheit selber bestimmen zu können den meisten Spaß bringe und eine Leitung oder Anweisungen von Erwachsenen ihm die Freude an dem Projekt genommen hätten[83]. Marius spricht einen Nachteil der Zurückhaltung der Begleitenden an - er hätte sich in Konfliktsituationen ein schnelleres Eingreifen gewünscht[84].

Die Teilnehmenden erlebten den angebotenen Entscheidungs- und Mitbestimmungsraum im Miteinander aber auch im Bezug auf die thematischen Gestaltungsmöglichkeiten. In dieser Beobachtung werden unterschiedliche Ebenen von Freiheit verdeutlicht, die eng miteinander verknüpft sind und sich bedingen. Wenn also die Begleitenden zu Beginn der Projekttage signalisierten, dass Partizipation eine signifikante Größe sein solle und somit die Kinder und Jugendlichen eine gleichberechtigte Stimme bei der Gestaltung der Tage und deren Struktur haben würden, so ist hier eine thematische Dimension angesprochen und gemeint.

Die Teilnehmenden empfanden die so benannte Freiheit aber auch auf der Ebene der Zwischenmenschlichkeit, indem die Begleitenden sie in den subjektiv sinnvollen Tätigkeiten nicht einschränkten und eine tolerante Haltung vermittelten, sie ernst nahmen und ihrer Stimme Gewicht gaben.

Reflektion

Die Haltung zur Selbstbestimmung der Teilnehmenden, die eine Bevormundung dieser ausschließt und sie in ihrem Sein akzeptiert und wertschätzt, geht einher mit einem besonderen Bild von Macht und Kontrolle. Diese Größen, im Sinne einer Machtausübung und einer Kontrollhandlung gegenüber den Teilnehmenden, zu wahren, entspricht nicht der Auffassung von Menschsein und Partizipation, die in der Projektwoche erlebbar werden sollten. Es ist dennoch ein schmaler Grad der Bewegung zwischen selbstbestimmtem Handeln und Verhalten, das den Anderen gefährden mag. Damit geht die Verantwortung der Begleitenden einher - die Wahrung der Unversehrtheit des Menschen, wenn dieser an eine eigene Grenze gelangt. Hier sei auf Marius' Anmerkung hingewiesen, die von einem Gefühl der Unsicherheit spricht. Er hat sich in Momenten der Bedrohung nicht ausreichend geschützt gefühlt, bzw. beobachtet, dass ein schnelleres Handeln durch die Erwachsenen einen Konflikt hätte begrenzen können. Es darf also eine Freiheit nicht missverstanden werden als Zügellosigkeit, sondern als angeleitete Selbsterfahrung, in der zunächst Raum für jeglichen Seinszustand ist und in der Sicherheit erlebbar wird.

In diesem Zusammenhang erst wird Selbstwirksamkeit spürbar - Verhalten und Handeln werden wahrgenommen, aber auch bewertet und entsprechend wertgeschätzt beziehungsweise kritisch betrachtet, was entsprechende Reaktionen einbezieht. Aus diesem Erleben kann die Freude erwachsen, beieinander zu sein, Zeit zu verbringen und miteinander tätig zu werden.

In den Dialog kommen

Die gemeinsame Tätigkeit und Interaktion ist eng mit einer umfassenden Kommunikation und somit eines dialogischen Miteinanders verknüpft. Im Kontext des Projektes eröffnen sich auch hier zwei eng verbundene Ebenen, betrachtet man thematische Zusammenarbeit auf der einen und das Beisammensein in der Gemeinschaft auf der anderen Seite. Die Kinder und Jugendlichen sind sich in der Frage nach der Art und Weise der Kooperation darin einig, dass es nicht immer ganz einfach war, miteinander in einen guten Austausch zu kommen. Marius fand Robert manchmal nervig[85].und Alexander hat beobachtet, dass Niklas sehr oft bestimmen wollte[86]. Die beiden Jungen kennen sich schon seit einer Weile und wissen um ihre Reibungspunkte. Daher meint Alexander, habe er sich auch gut mit Niklas Rechthaberei arrangieren können. Für Andere, die das nicht gewöhnt seien, könnte es schwierig werden sich darauf einzustellen.

Alexander stellt aber auch fest: "Es ist jetzt hier keiner in einer Außenrolle, aber es ist jetzt keiner hier auch der Hauptmann"[87]. Er ist auch derjenige, der sich während der Projekttage für einen friedlichen Umgang miteinander einsetzte und vorschlug, in Streitfragen abzustimmen. "Da versuchte ich es diplomatisch wie ein Jedi"[88][89]. Die Möglichkeit demokratisch zu entscheiden fand bei den Anderen viel Anklang, dann müsse man sich wenigstens nicht mehr so viel streiten[90]. Marius löste Meinungsverschiedenheiten auf seine eigene Art, indem er nachfragte, wenn er eine andere Ansicht nicht verstehen konnte und dann entweder zustimmte oder dagegen argumentierte. Andersherum habe er seine Meinung oft erklärt, wenn die Anderen einen Vorschlag nicht verstanden hätten und dann hätten diese meist eingesehen, dass dieser sinnvoll sei[91].

Das ist auch die Auffassung, die Marius anbringt, als es im Interview um eine bessere Zusammenarbeit geht: "Naja, erstmal muss man sich verstehen"[92]. Außerdem sei es nicht förderlich, wenn man immer davon ausginge, man werde ohnehin nicht gemocht[93]. Außerdem schlagen er, Robert und Niklas vor, Gruppenregeln aufzustellen "weil man sonst den Anderen nicht verstehen kann"[94]. Alexander findet es noch wichtig, dass man generell alle fragt, was sie von einem Vorschlag halten und zur Not könne ja auch ein Erwachsener dazugeholt werden[95].

Miteinander zu arbeiten und sich einigen zu können erscheint Robert sehr wichtig, "(...) weil man dann erstens eine Hilfe hat und zweitens kommt dann immer noch eine Idee dazu irgendwie"[96]. Robert spricht hier von unterschiedlichen Stärken und Potentialen der Teilnehmenden, die einander ergänzen und zum Wachsen der Gemeinschaft beitragen können. Melissa könne sehr gut basteln und malen, Marius habe "sehr viele Ideen"[97] findet Robert weiter. Marius selber ist eher der Auffassung, dass er manchmal Dinge im Spaß sage und die Anderen dann dadurch plötzlich auf Ideen kämen[98]. Niklas hat seine Begegnung mit dem Jogger auf dem Fockeberg im Kopf und beantwortet die Frage nach seiner Rolle in der Gruppe vor diesem Hintergrund. In diesem Moment sei er sehr mutig gewesen und habe sich etwas getraut, was die Anderen nicht gemacht hätten. Das Interview mit dem Mann wäre ohne ihn also gar nicht zustande gekommen[99].

Reflektion

Aus den Stellungnahmen der Kinder und Jugendlichen wird deutlich sichtbar, wie deren Unterschiedlichkeit die Gruppensituation prägte und welche Mühe mitunter mit einer Begegnung verbunden war. Verhaltensweisen wurden zunehmend akzeptiert, aber dabei nicht weniger diskutiert. Eine Begleiterin stellt fest, dass die große Unterschiedlichkeit der Kinder ein Zusammenwachsen der Gruppe erleichtert habe: "(...) dadurch fällt es nicht so sehr ins Gewicht, dass halt jetzt ich sag mal vier autistische Kinder hier sitzen"[100]. Die Herausforderung vor der die Teilnehmenden stünden sei allgemein die Auseinandersetzung mit den Anderen in ihrer Besonderheit, ohne den Fokus auf eine spezielle Eigenschaft (wie z.B. eine zum individuellen Autismus gehörige) zu legen[101]. Man habe weiterhin kaum einen signifikanten Unterschied im Verhalten der Kinder und Jugendlichen mit Autismus erkennen können, deren Besonderheit sei in der Verschiedenheit der Gruppe nahezu auf- gelöst worden[102]. Diese Unterschiedlichkeit birgt, wie bereits besprochen, dennoch ein Potential der Auseinandersetzung, welche konflikthafte Züge annehmen kann.

Konflikthafte Situationen oder Die Anschauung des Soseins

Alexander und Robert haben gleich am ersten Tag einen heftigen Streit, in dessen Folge es zu einem moderierten Gespräch zwischen den beiden kommt. Zum Zeitpunkt des Interviews, am dritten Tag, ist diese Auseinandersetzung bei Alexander noch sehr präsent, er beantwortet die Frage nach seiner Meinung von dem Projekt mit der Schilderung des Konfliktes. Ihn beschäftigt vor allem, dass sich die Beziehung zwischen ihm und Robert danach nicht verbessert hat. Sie seien einfach auseinander gegangen und würden ungern in einer Gruppe zusammenarbeiten, da sie sich miteinander nicht wohl fühlten[103].

Christian antwortet auf die Frage nach dem Zusammensein in der Gruppe: "Wir können uns gut verstehen, außer wenn mal Robert oder Niklas frei dreht"[104]. Auch Marius hat bemerkt, dass sich die beiden nicht besonders gut vertragen und Mühe mit den Verhaltensweisen des jeweils Anderen haben[105]. Eine entsprechende Situation findet in einer Pause auf dem Spielplatz inmitten der Gruppe statt. In solchen Momenten, betont Christian, greife er dann schon ein, immerhin sei er der Älteste und Stärkste in der Gruppe. Alexander meint, dass es generell schwierig sei, sich als Außenstehender in einen Streit zu begeben. Wenn man dort hingehe, laufe man Gefahr, dass etwas ausgelöst würde, was zu eigenen aggressiven Reaktionen führen könne. Er selber versuche sich durch Sprache einzumischen und die Beteiligten zu beruhigen, wie es auch die Jediritter täten, die sich nur wehren dürften und im Grunde friedliche Wesen seien. Alexander meint aber auch, dass am ehesten ein "Großer" Streit schlichten könne, wie z.B. Christian. Außerdem gibt er zu bedenken, dass "(...) Kinder das noch nicht so einschätzen (können) wie ihr Erwachsenen"[106].

Bei der Frage danach, wie wohl man sich in der Gemeinschaft fühle, wurden meist Namen von anderen Teilnehmenden erwähnt, die Einfluss auf dieses Empfinden nähmen. Alexander und auch Niklas fühlen sich am wohlsten, wenn sie nicht mit Robert in einer Kleingruppe sind und sich so weniger streiten[107]. Es habe sich aber nie jemand ausgegrenzt oder sei ausgeschlossen worden, davon ist zumindest Marius überzeugt. "Es gibt manchmal Meinungsverschiedenheiten, aber die muss es ja auch geben, es kann ja nicht immer alles perfekt sein"[108].

Reflektion

Die befragten Kinder und Jugendlichen gehen in sehr bewusster Weise mit den von ihnen beobachteten Konfliktsituationen um und haben sich zum Zeitpunkt des Interviews eine klare Haltung erarbeitet. Es wird deutlich, dass sich die Auseinandersetzungen zwar um eine kleine Gruppe aufbauen, die Kompetenz eines Umgangs mit solchen Momenten scheint aber vor allem in den mittelbar Beteiligten zu wachsen. Tatsächlich konnte im Verlauf der vier Projekttage nicht unbedingt die Abnahme von Streitigkeiten, doch aber die veränderte Reaktion der Teilnehmenden beobachtet werden. So übten sich diese aufgrund besserer Kenntnis der Anderen in Zurückhaltung oder versuchten aktiv Einfluss zu nehmen. Die anfängliche Unsicherheit in ähnlichen Momenten war weniger spürbar.

Dieser sehr reflektierte und kompetente Umgang mit der Besonderheit des Einzelnen mag sich auch in der Auseinandersetzung mit den eigenen Grenzen vergegenwärtigen, wenn Alexander z.B. feststellt, dass er sich zumindest körperlich weniger einmischen sollte, um nicht Gefahr zu laufen, mitzumachen.

Streitigkeiten, wie Marius es bereits auf den Punkt brachte, sind zwar natürlicher Bestandteil

in jeder Gruppensituation. Als einzig besonders ist, wie bereits dargestellt, womöglich

die Heftigkeit einiger Wutausbrüche anzusehen. An dieser Stelle scheint sich die

Herausforderung darzustellen, einen gemeinsamen Weg aller Beteiligten zu finden, der

zum Einen im Vertrauen aufeinander und zum Anderen in der Entwicklung eines kompetenten

Begegnens miteinander Sicherheit und ein Wohlgefühl schaffen kann.

3. Zusammenfassung und Reflektion des Projektes "Eine Stadt für Kinder"

"Deswegen find ich's auch so wichtig, dass man auch auf Betreuungsseite nicht nur Leute hat, die einfach tagtäglich mit behinderten oder irgendwie beeinträchtigten Kindern und Erwachsenen oder was auch immer zu tun haben, sondern da eben auch noch ein bisschen Vielfalt rein(zu)bringen, weil das soll ja auch irgendwie Ziel sein. Also das sehe ich hinter dem Projekt, dass es für uns alle ein Stückweit normaler ist, dass es einfach Menschen gibt, die ganz unterschiedlich sind"[109].

Die im vorangegangenen Kapitel angestellte Rückschau auf charakteristische Situationen und Momente der Projektwoche kann als grundlegend für eine folgende Reflektion im Kontext einer verallgemeinerten Ebene betrachtet werden, welche auch die Stellungnahmen der Begleitenden einschließen soll. Die Erwachsenen wurden, ähnlich wie auch die Teilnehmenden, in einem Interview am Ende der Projekttage um eine Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Zeit gebeten. In der Ausrichtung der Fragen stand das Erleben des Gruppengeschehens in seiner Ganzheitlichkeit im Fokus, sodass Reflektionen in vielfältiger Richtung ermöglicht werden konnten.

Es mag erstaunlich erscheinen, dass die vielfältige Zusammensetzung der Gruppe zwar in jedem Gespräch eine Rolle spielt, die Begleiter dieser aber im Nachhinein sehr unterschiedliche Bedeutungen beimessen. Anne begreift den Gruppenzusammenhang zwar als besonders, hat aber keine Prozesse beobachten können, die sie nicht auch aus anderen Projekten kennen würde, "(...) nur weil da vielleicht ein paar autistische Kinder dabei waren (...)"[110]. Auf die Frage nach dem möglicherweise erwachsenden Potential antwortet Peter, es sei generell gut, wenn Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenkämen. Heterogenität sei dennoch kein Garant für die Entwicklung eines besonderen Potentials[111]. Sarah empfindet die Gemeinschaft aus Mädchen und Jungen unterschiedlichen Alters und vielfältiger Persönlichkeit als Herausforderung, vor allem für die Teilnehmenden selber, da "(...) sich jedes Kind (...) auf jedes andere Kind mit seinen Besonderheiten einstellen muss (...)"[112]. Dadurch eröffne sich aber der Raum die unterschiedlichen Begabungen und Interessen als gegenseitige Bereicherung begreifen zu können und im gemeinsamen Arbeiten Verantwortungen verteilen und Aufgaben zuordnen zu können[113].

Im Erleben der Begleitenden spielte die spürbar große Bereitschaft zur gegenseitigen Unterstützung der Kinder und Jugendlichen, abseits jeglicher Betonung von unterschiedlichen Ressourcen, eine sehr bedeutende Rolle. Dies sei durch das kontinuierliche Beisammensein über den Zeitraum von vier Tagen unterstützt worden, wodurch sich die Gruppe schnell zusammengefunden habe[114]. Auch die Vielzahl der Begleitenden wurde als sehr wertvoll eingeschätzt. Zum Einen habe man sich aus einer Situation herausnehmen können, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben[115], zum Anderen habe die Verantwortung somit auf jedem Einzelnen nicht zu schwer gelastet. Diese Entspanntheit trug auch zur Klärung von Konflikten bei, da zahlreiche, begleitete Pausen zum Toben ermöglicht werden konnten und das Verlassen der Gruppe zu Klärung eines Konfliktes ohne Weiteres möglich war.

Gerade im Zusammenhang mit konflikthaften Momenten sei die Absprache im Vorfeld der Projekttage allerdings unzureichend gewesen. So sei im Unklaren geblieben, wie auf aggressives Verhalten eingegangen werden könnte, sodass eine einheitliche Linie spürbar geworden wäre und Unsicherheiten auf Seiten der Begleitenden und somit auch der Teilnehmenden hätten abgebaut werden können.

In diesem Zusammenhang wurden erste Verbesserungsvorschläge und Ideen von einheitlichen Handlungsmaßstäben oder vorher benannten Streitschlichtern eingebracht, um den Umgang mit Aggressionen und Gewalt ins Bewusstsein und somit in die aktive Auseinandersetzung in Vorbereitung auf ein Projekt zu leiten[116]. In eben dieser Phase könnte auch ein Austausch der Begleitenden in Hinblick auf deren Profession angeregt werden. Im Projekt "Eine Stadt für Kinder" fanden sich Medienpädagogen neben Sozial- und Heilpädagogen, sowie Kommunikationspsychologen wieder. Ein Einblick in die jeweiligen Handlungsfelder und maximen könnte bei den Medienverantwortlichen dazu beitragen, Unsicherheiten oder Vorbehalte in Bezug auf schwierige Verhaltensweisen in das Gespräch zu bringen und somit einen gemeinsamen Weg des Umgangs zu finden. So können Überlegungen zur Gewaltprävention und -intervention als Stütze für alle Beteiligten verstanden werden, die vor diesem Hintergrund ein vertrauenschaffendes Gefüge aufbauen können.

4. Rückschau und Ausblick

In der Zusammenschau der Überlegungen und Diskussionen werden Verknüpfungen zu den Ausführungen über Annahmen eines Potentials von Kindergruppen aus Teil I sichtbar. Wurde dort ausführlich auf Wege der Kommunikation und des Dialogs eingegangen, so wird in den Aussagen der Teilnehmenden und Begleitenden deutlich, dass an eben diesen Stellen sowohl Reibungspunkte als auch erstaunliche Momente spürbar waren. Die Kinder und Jugendlichen begegneten sich in ihrer ganz individuellen Art und Weise, setzten sich aber in jedem Fall mit dem Sosein des Anderen auseinander und scheuten kein Infragestellen von Verhalten. Wenn Korczak (1980) betont, dass Streit notwendig und natürlich ist, so ist dies sicherlich auch eine Erfahrung der Projekttage, auch wenn Konflikte nicht nur als Entwicklungschance für alle Beteiligten zu betrachten sind[117].

Ebenso konnten Szenen beobachtet werden, in denen Zusammenarbeit und Unterstützung aus den Akteuren heraus entwickelt wurde. Der Wert der eigenen Persönlichkeit in Entscheidungs- und Ideenfindungsprozessen war für die Teilnehmenden beeindruckend und spielte in den Interviews eine große Rolle. Zur Sprache kam auch, dass jeder Einzelne seine Bedeutung für die Gruppe erkennen konnte - in unterschiedlichsten Bereichen und auf ganz vielfältige Art und Weise.

Das bis hierher skizzierte Gesamtbild des Projektes, das vor dem Hintergrund unterschiedlichster Sichtweisen gezeichnet wurde, lässt erahnen, welche Bedeutung Teilnehmende und Begleitende den gemeinsamen Erlebnissen beimessen. Das Erfahren von Verständigung zwischen ganz unterschiedlichen Menschen - das Erleben und auch Lösen von Konflikten - die Begegnung mit dem herausfordernden Verhalten des Anderen, der als gleichwürdig anerkannt wird - können in den Beteiligten eine ergänzende Vorstellung vom Gegenüber wachsen lassen, die sich möglicherweise auf ganzheitliches Handeln und Sein auswirken.

Eine Begleitende sagt, dass sie annimmt toleranter gegenüber Fremden geworden zu sein. Sie habe als Medienpädagogin wenig mit Kindern mit Behinderung zu tun und könne durch Projekte wie "Eine Stadt für Kinder" Berührungsängste abbauen. Es sei daher wichtig, dass das Begleitendenteam aus Menschen unterschiedlicher Professionen zusammengesetzt sei[118]. Neben zwischenmenschlichen Erkenntnissen sind auch konkrete Ideen für ein neues Projekt entstanden. Eine Sozialpädagogin meint sie habe nun noch mehr Interesse an inklusiven Vorhaben und wolle in ihrer Arbeitsstelle verstärkt in diesem Sinne tätig werden[119].

Die bisher angestellten Überlegungen zur Förderung eines Gruppenpotentials stehen in enger Verbindung zu einem Prozess des Hinbewegens auf ein Vorhaben, wie das des hier beschriebenen Projektes. Im abschließenden Teil der Thesis wird daher die Schaffung eines Rahmens zur Förderung von Gruppenprozessen in heterogenen Zusammenhängen fokussiert, der in seiner Vielgestaltigkeit Raum für alle Wesensarten und Persönlichkeiten eröffnet.

In der Weiterführung der Überlegungen zu Leitbildern und Handlungsmaximen aus dem zurückliegenden Kapitel, werden nun Wege diskutiert, auf denen pädagogisch Wirkende inklusionsfördernd tätig werden können. Es wird somit schlussfolgernd eine Betrachtung der möglichen Anbahnung und Entwicklung solcher Kompetenzen angestellt, die versucht die Frage nach der Verantwortlichkeit in der Förderung von Vielfalt in pädagogischen Zusammenhängen zu beantworten. Es wird hingegen bewusst außer Acht gelassen, welche strukturellen Bedingungen geschaffen werden müssen und welche Prozesse eines Projektmanagements zu beachten sind. Diesbezügliche Überlegungen müssten in ergänze den Erarbeitungen angestellt werden.



[70] Alle Namen geändert

[71] Es ist im Folgenden bewusst auf eine explizite Charakterisierung und Vorstellung der Teilnehmenden verzichtet worden, die eine Verbesonderung mit sich bringen könnte. Die hier vorliegenden Ausführungen beschreiben die Wesenszüge der Kinder und Jugendlichen im konkreten Zusammenhang und erscheint daher sinnvoll.

[72] Feuser 1989, o.S.

[73] Ebd., a.a.O.

[74] Vgl. ebd., a.a.O.

[75] Projektablauf Anhang 4

[76] Robert Anhang 2, Interview 4

[77] Niklas Anhang 2, Interview 2

[78] siehe Anhang 1

[79] Marius Anhang 2, Interview 1

[80] Alexander Anhang 2, Interview 3

[81] Ebd., a.a.O.

[82] Ebd, a.a.O.

[83] Robert Anhang 2, Interview 4

[84] Marius Anhang 2, Interview 1

[85] Marius Anhang 2, Interview 1

[86] Alexander Anhang 2, Interview 3

[87] Alexander Anhang 2, Interview 3

[88] Ebd, a.a.O.

[89] Figur aus dem Star Wars Zyklus, die vor Einsatz von Gewalt friedliche Wege zur Lösung von Konflikten sucht.

[90] Robert Anhang 2, Interview 4

[91] Marius Anhang 2, Interview 1

[92] Ebd., a.a.O.

[93] Marius Anhang 2, Interview 1

[94] Niklas Anhang 2, Interview 2

[95] Alexander Anhang 2, Interview 3

[96] Robert Anhang 2, Interview 4

[97] Ebd., a.a.O.

[98] Marius Anhang 2, Interview 1

[99] Niklas Anhang 2, Interview 2

[100] Sarah Anhang 3, Interview 3

[101] Ebd., a.a.O.

[102] Anne Anhang 3, Interview 4

[103] Alexander Anhang 2, Interview 3

[104] Ebd., a.a.O.

[105] Marius Anhang 2, Interview 1

[106] Alexander Anhang 2, Interview 3

[107] Niklas Anhang 2, Interview 2

[108] Marius Anhang 2, Interview 1

[109] Jördis Anhang 3, Interview 5

[110] Anne Anhang 4, Interview 3

[111] Peter Anhang 3, Interview 2

[112] Sarah Anhang 3, Interview 3

[113] Jördis Anhang 3, Interview 5

[114] Sarah Anhang 3, Interview 3

[115] Peter Anhang 3, Interview 2

[116] Jörids Anhang 3, Interview 5

[117] Vgl. Korczak 1980, S.273

[118] Jördis Anhang 3, Interview 5

[119] Sarah Anhang 3, Interview 3

TEIL III

"Sowohl die Verherrlichung des Ichs mit aller Verschiedenheit als auch das träge Verharren im Gleichklang des Wir oder das Verschwinden von Menschsein überhaupt hinter einem dominanten Thema führt zu spürbaren Entfremdungen"[120].

Die Verantwortlichkeit der pädagogischen Größe innerhalb einer Begegnung verneint nicht die Gleichstellung der beteiligten Interaktionspartner, unterstreicht aber Vorstellungen eines Dialoges, in dem besondere Kompetenzen wirksam werden können. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach einer Generierung solcher Fähigkeiten und Fertigkeiten, die inklusive Prozesse im projektorientierten Kontext unterstützen. Hiermit sind zwar sowohl die persönlichen Haltungen der Teilnehmenden als auch die der Begleitenden angesprochen. Im Sinnzusammenhang der vorliegenden Erarbeitung stellt sich jedoch in besonderem Maße die Frage nach der Entwicklung begleitender und leitender Handlungs- und Wirkweisen

"(...) weil wir wissen, dass in allen sozialen Berufen die eigene Persönlichkeit ein wichtiges Instrument ist. Nicht nur die Techniken, Methoden, Konzepte oder Theorien bewirken viel, sondern auch und sogar vor allem Pädagog(inn)en durch ihre je eigene Person"[121].

Mit der hier gemeinten Generierung von Kompetenzen ist kein kausaler Zusammenhang angesprochen nach dem Motto: Durch methodische Arbeit und Vermittlung entwickeln die Teilnehmer ein inklusives Menschenbild. Diese Vorstellung einer Anleitung zur Ausbildung von Haltungen Anderer ist ein simples Rezept, das aber weder zu Nachhaltigkeit noch zu tatsächlicher gegenseitiger Anerkennung von Menschen und einem entsprechenden Menschenbild führen kann. Das einzig Konkrete sind Angebote, die in ihrer Erprobung darauf hinweisen, dass Menschen durch sie möglicherweise einen geebneten Weg zur Auseinandersetzung mit sich selbst finden. Immer aber bleiben der Ausgang und die Entwicklung unlenkbar. Welche Bedeutung diese Hilfestellung für den Einzelnen haben kann, entscheidet dieser eigenständig und selbstverantwortlich - ob bewusst oder unbewusst.

Es bedarf also eines Erforschens des Selbst und demzufolge einer Vorstellung davon, welche eigenen Lebensbedürfnisse existieren und auf welche Weise sie befriedigt werden können. Dies kann in einem Rahmen geschehen, der von gegenseitigem Vertrauen geprägt ist und somit das Schauen auf sich selbst, ohne Scheu vor dem Anderen und dessen Selbst, gelingen kann. Möglicherweise kann dann, auch mit methodischer Unterstützung, ein Standpunkt erarbeitet werde, der den Anderen als Spiegel des Selbst erkennt: Was du möchtest, das man dir tue, das tue dem Anderen wieder. Dieser uralte Glaubenssatz, der sich in der Bibel als Goldene Regel wiederfindet und der in jeder Weltreligion verankert ist, hat in diesem Zusammenhang wertvolle Bedeutung. In der Essenz handelt es sich also um das Kennenlernen des ICH, um daraus eine Anerkennung des Gegenübers zu generieren. Mit einer solchen Haltung ist eine kompetente Begegnung auch in schwierigen pädagogischen Kontexten und das Erkennen einer sinnvollen Methode möglich.

In diesem Bewusstsein möchte die folgende Ausführung verstanden werden. Sie wird sich exemplarisch mit einem möglichen Weg zur Ausbildung eines inklusiven Menschenbildes auseinandersetzen und in diesem Zuge Anhaltspunkte vorstellen und Anregungen geben.

1. Eine "Pädagogik der Vielfalt"

Mit dem Ausbildungskonzept "Pädagogik der Vielfalt" ist an der Kieler Universität vor mehr als 10 Jahren ein Konzept geschaffen worden, Kompetenzen zur Förderung einer inklusiven Gesellschaft zu generieren und in pädagogischen Bezügen anzuwenden. Dieses Konzept ist in dem Sinne als wertvoll zu begreifen, da es eine Möglichkeit zur Ausbildung eines Menschen- und Weltbildes vorstellt, welches das inklusive Potential heterogener Zusammenhänge befördern kann. Die zur Vorstellung kommenden zentralen Elemente des Kompetenztrainings sollen dem Leser weiterhin auch Anregung zur Auseinandersetzung mit eigenen Bildern von pädagogischem Tätigwerden sein und die Aufmerksamkeit für das gegenwärtige alltägliche Miteinander schärfen. Grundlage für den sich nun entwickelnden thematischen Abschnitt der Erarbeitung bildet eine Arbeitsmappe, welche die Inhalte der Ausbildung zusammenfasst und von deren Initiatoren zusammengestellt wurde.

"Pädagogik der Vielfalt" spricht pädagogische Mitarbeiter in schulischen und außerschulischen Tätigkeitsfeldern an und möchte zum reflektierten und anerkennenden Umgang mit Differenzverhältnissen befähigen. Die einzelnen Bausteine der Ausbildung bauen auf eine Grundhaltung, die Menschen in ihrer Individualität als etwas Besonderes begreift und damit das Recht auf Anerkennung zum Einen und pädagogische Förderung zum Anderen verbindet[122]. Bei der Entwicklung des Konzeptes wurde nicht außer Acht gelassen, dass der Umgang mit Heterogenität eine Herausforderung darstellen kann. Mitunter wird vor dem Hintergrund langjähriger Erfahrungen im Berufsfeld gearbeitet, die eine Öffnung für veränderte Sichtweisen auf die eigene Person und das Umfeld behindern können. Prengel (2009) betont, dass eine Ausbildung, die ein Verständnis von und für Vielfalt anbahnen und zur Entfaltung bringen möchte, neben der Wissensvermittlung vorrangig auf Erleben bauen muss, das zur Selbstreflexion anregt[123].

1.1 Ausgangspunkte der Ausbildung

Auf der Grundlage dieses Lernbegriffes eröffnen sich die Dimensionen der Ausbildung, die zum Einen eine Wertschätzung von Heterogenität als produktiver Größe befördert und zum Anderen die Auseinandersetzung mit ausgrenzenden Tendenzen durcharbeitet und Barrieren beleuchtet, die "Menschen aufgrund ungerechtfertigter Macht- und Dominanzverhältnisse in ihrer Persönlichkeitsentwicklung einschränken"[124]. Um aber diese Hindernisse ergründen und erkennen zu können, bedarf es eines Wissensschatzes über "differente Sozialisationsbedingungen"[125], Minderheiten und Dominanzgruppen und Alter und Lebenswelten, die Identitätsentwicklung unterstützen, aber auch erschweren können. Gerade in solchen Zusammenhängen wird womöglich der Nährboden für Ausgrenzung und Diskriminierung bereitet, über dessen Entstehung und Mechanismus demzufolge ebensolche Kenntnis aufgebaut werden muss. Eine Auseinandersetzung mit der Funktion und Prävention von Stereotypen und Vorurteilen und der Entwicklung einer professionellen und orientierten Haltung ist in solchem Maße fundamental, indem sie zur Schaffung eines Umfeldes beiträgt, das Vielfalt lebendig und Toleranz erfahrbar werden lässt[126].

In dieser Hinwendung zum Thema wird auch der Raum eröffnet, die eigene Persönlichkeitanzuschauen - eigene Einstellungen und Haltungen zum inneren Fremden und Unsicherheit - Stiftenden zu überprüfen und zugleich die Vielfältigkeit, die in diesem einen Menschen vereint ist, zu entdecken[127]. Die Ausbildung sieht einen wichtigen Auftrag des pädagogisch Tätigen, in der Beleuchtung von Persönlichkeitsanteilen, die möglicherweise schmerzhaft und daher unterdrückt sind. Unreflektierte Anteile könnten zu Verarbeitungsprozessen führen, in denen das Umfeld direkt betroffen ist, so etwa, wenn Vorurteile gegenüber Teilnehmenden bestehen[128].

Aus den beiden Kernkompetenzen, welche Sachwissen und die personale Ebene betreffen, können Handlungsfähigkeiten und -sicherheit erwachsen, die die professionelle Identität ergänzen und erweitern können. Im Rahmen der Ausbildung "Pädagogik der Vielfalt" wird daher ein besonderes Augenmerk auf die Verknüpfung von theoretischem Wissen und persönlichen Erfahrungen gelegt, die mit praktischen Handlungsfeldern in Verbindung gebracht werden sollen. Teilnehmende werden mit den Möglichkeiten von Materialien und Methoden vertraut gemacht, die eine Übertragung und Verbindung der einzelnen Kompetenzbereiche erleichtern sollen.

1.2 Themenzentrierte Interaktion

Die didaktische Ausrichtung innerhalb der Ausbildung orientiert sich an der von Ruth Cohn in den 1960ern entwickelten Themenzentrierten Interaktion (TZI), die das Lernen und das Zusammensein in Gruppen durch ihre strukturgebende und zugleich raumgebende Ausrichtung erleichtert[129]. Die didaktischen Ansätze, welche in den Kursen vermittelt werden, lassen sich auch in der praktischen Gruppenarbeit in den jeweiligen Arbeitsbereichen der Teilnehmenden anwenden. So kommen die Teilnehmenden zu einer selbst erfahrenen Herangehensweise, die sie aus dem Erleben heraus in ihre Handlungsfelder übertragen können.

Ausgangspunkt der TZI ist eine Auffassung vom Menschen, die von einem Interesse an seiner Vergangenheit, einem Bestreben zur Entwicklung seiner Zukunft und seinem Handeln im Gegenwärtigen ausgeht. Dieser Mensch nimmt seine Mitmenschen und ihr Sosein wahr. In der Gruppenarbeit wirkt sich dieser Ansatz in der Stellung des ICH zum WIR und zum THEMA aus. Aus der wechselseitigen Beeinflussung und Bedingung dieser drei Faktoren entsteht ein "Balance-Dreieck"[130], indem sich ICH (einzelne Person)- WIR (die Gruppe) - THEMA (Auftrag) dynamisch bewegen. Dabei ist die Selbstbestimmung der Gruppe ausschlaggebend, die, begleitet durch die Leitung, stets zu einer Ausgewogenheit zurückfindet. In unterschiedlichen Phasen eines Gruppenprozesses werden natürlicherweise unterschiedliche Schwerpunkte auf ICH, WIR und THEMA gesetzt - die Weiterentwicklung der persönlichen Identität aber kann dann angebahnt werden, wenn die drei Faktoren miteinander im Ausgleich stehen und somit eine ganzheitliche Anschauung ermöglicht wird. "Sowohl die Verherrlichung des Ichs mit aller Verschiedenheit als auch das träge Verharren im Gleichklang des Wir oder das Verschwinden von Menschsein überhaupt hinter einem dominanten Thema führt zu spürbaren Entfremdungen"[131].

Die Teilnehmenden werden dazu angeregt, aus den inneren und äußeren Bedingungen heraus das zu tun was ihnen entspricht und sich Grenzmomenten und neuen Erfahrungen zu öffnen. Aus dieser inneren Haltung heraus können Andere in eben diesen eigenen Bedingungen wahrgenommen und anerkannt werden bzw. bei der Entwicklung hin zu einem solchen bewussten Wahrnehmen ihres Selbst unterstützt werden. Der Rahmen einer Gruppengemeinschaft kann dabei ein Orientierung gebendes und daher schützendes Element darstellen[132].

Aus der TZI entstehend ergibt sich eine klar definierte Leitungsposition, die in ihren Maximen

Verbindung zu pädagogischem Handeln im alltagspraktischen Bezug aufnimmt.

1.3 Partizipatorischer Leitungsstil

Leitung - auch in Beg-leitung - spricht im Grunde weniger das Bild einer Leitung, die dirigierend vor der Gruppe steht, an. Sielert et.al. (2009) imaginieren ein Orchester (die Gruppe) und einen Konzertmeister (die Leitung), der, wie im realen musikalischen Kontext, zwar eine anleitenden und strukturgebende Position einnimmt, sich aber mitten im Orchester befindet und somit gemeinsam mit den anderen Musikern agiert.

Somit ist die Leitung Teil der Gruppe, bekommt aber besondere Verantwortlichkeiten zugesprochen. In einem intensiven Prozess, wie dem während der Ausbildung in Richtung vielfältige Pädagogik, in dem die Teilnehmenden stark mit ihren Einstellungen und ihrem So - Geworden - Sein konfrontiert werden, bekommen emotionale Wesenszüge womöglich stärkere Bedeutung. Auftretende Störungen, die die Einzelperson betreffen, nehmen auch Einfluss auf die Gruppengemeinschaft und haben in jedem Fall Vorrang. Dies impliziert, dass eine Wahrnehmung für solche Atmosphären entwickelt werden muss. Diese Aufgabe liegt zunächst natürlicherweise bei den Beteiligten selbst, die ein Gespür für ihre Stimmungen entwickeln und durch die Struktur der Ausbildung dabei unterstützt werden. Die Leitung jedoch sollte eine diesbezügliche sehr feine Wahrnehmung generieren, um Störungen in die Bearbeitung der Gruppe einbringen zu können.

Eine solche Störung kann beispielsweise durch das So - Geworden - Sein eines Teilnehmenden in den Raum gelangen. Ein langjährig als Lehrender arbeitender Mensch, der vielerlei Kompetenzen ausbilden konnte, die aber möglicherweise nicht im Zusammenhang mit Heterogenität oder der anerkennenden und wertschätzenden Begegnung mit Kindern stehen, kann mit den Vorstellungen einer "Pädagogik der Vielfalt" überfordert sein. Es gilt hier als Leitung einen Zugang zu diesen Befindlichkeiten zu eröffnen, indem ein Bewusstsein für die emotionale Welt geschaffen wird. In der Anschauung der verstörenden oder gar schmerzhaften Momente der eigenen Persönlichkeit und der Anerkennung dieser, kann eine Achtung vor dem Sosein der Anderen wachsen. Der Weg zur Wertschätzung aller Menschen als gleichberechtigt am Leben Teilhabende ist dann geebnet. Mit diesem Anspruch an die leitende Position geht aber auch deren Verantwortung für das Auffangen solcher subjektiv belastenden Betrachtungen einher und damit die Kenntnis psychischer Prozesse sowie die Kenntnis eines entsprechenden möglichen Umgangs.

In diesem Zusammenhang steht auch die grundlegende Fähigkeit der Leitung eigene Befindlichkeiten authentisch in das Gruppengeschehen einzubringen. In solchem Tun stellt sie sich in die Gruppe hinein und verkörpert gleichberechtigtes Miteinander. Sie erkennt eigene Schwächen und Stärken an, ebenso, wie sie die der anderen Mitglieder vorurteilslos annimmt und kann in diesem Handeln eine authentische Verkörperung der Ausbildungsinhalte darstellen. Eine partizipatorische Leitung ist somit eng verbunden mit den Gruppenprozessen und kann aus diesem Erleben einen Rahmen konstruieren, indem sich die Teilnehmenden immer wieder zusammenfinden und sowohl subjektiv bedeutsame, als auch vorgegebene Themen bearbeiten können[133].

Die Struktur des Ausbildungskurses sieht eine Auseinandersetzung mit vielfältig angelegten, ganzheitlichen Momenten einer Auffassung von Menschen und Gemeinschaft vor.

In der folgenden Darstellung sollen die einzelnen Bausteine des Ausbildungskurses und damit verbundene innere und äußere Prozesse vorgestellt und diskutiert werden. Diese Betrachtung versteht sich, in der Beschreibung einzelner methodischer Elemente, als Vorstellung von Möglichkeiten. In diesem Sinne möchte sie Anhaltspunkte schaffen und dem Leser eine, die Theorie unterstützende, Idee von der Umsetzung eines Kompetenztrainings vermitteln.

Baustein 1: Homogenität und Heterogenität

Die Eröffnung der Ausbildung wird zunächst, in ähnlicher Weise wie in Teil I geschehen, durch eine Darstellung von Gleichheit und Verschiedenheit gestaltet, wodurch eine gemeinsame Basis der Befassung mit einer entsprechenden Pädagogik geschaffen wird. In diesem Zuge werden Dimensionen von Unterschiedlichkeit in den Raum gestellt, die ein Verständnis der Bandbreite anbahnen und auf die Zielstellung des Kompetenztrainings hinarbeiten: "(...) wechselseitige Anerkennung der vielfältigen Lebenswege und Herkunftswelten der Individuen zu fördern (...)"[134] und dabei gleichzeitig das Interesse an einenden Momenten zu wahren[135].

Honneth (1998) entwickelt drei Horizonte einer Anerkennung, die sich auf die Achtung intersubjektiver Beziehungen, die rechtliche Bestätigung der eigenen und anderer Personen und die Wertschätzung kultureller Lebenswelten beziehen. Alle drei Formen sind Voraussetzung eines achtsamen Umganges miteinander und somit einer Unterstützung der Ausbildung von Selbstachtung des Einzelnen. Dieser Prozess gestaltet sich in der Artikulation eigener Wünsche und Bedürfnisse, die schon innerhalb einer umschriebenen Gruppe große Vielfältigkeit sichtbar machen. In der Anschauung und dem Erfassen der Subjektivität kann Intersubjektivität wachsen und somit ein Verständnis für das individuelle Sein des Gegenübers[136]. Diese Auseinandersetzung erfordert auch ein aufmerksames Beobachten von ausgrenzenden Erlebnissen, die in der biografischen Vergangenheit liegen und verdrängt oder kaum bearbeitet wurden. Es kann hier "zu einer Akzeptanz der eigenen Begrenztheit" [137] kommen, die für die Grenzen des Anderen sensibilisiert.

In der Befähigung der Teilnehmenden auf diesem Weg werden diese in ihren pädagogischen und auch alltäglichen Bezügen zugleich zu Unterstützern einer anerkennenden Haltung anderer Menschen. In dem Erkennen der Subjektivität des Einzelnen wird greifbar, welche Dimension und Bedeutung pädagogisches Handeln und Wirken in der Anbahnung von Achtung füreinander und für das Selbst hat.

Vorgehensweise und didaktische Vermittlung

Dem Anspruch des Kompetenztrainings nach einer verinnerlichten Haltung der Anerkennung von Unterschiedlichkeit in der Auseinandersetzung mit dem Selbst folgend, sind neben der theoretischen Vermittlung von Vielfaltskontexten vor allem praktische Übungen maßgebend. So werden in den ersten Seminaren vor allem grundlegende Übungen zur Unterschiedlichkeit und Besonderheit der eigenen Person angeboten.

Im "Diversity-Bingo"[138] notieren die Teilnehmenden Eigenschaften ihrer Persönlichkeit, z.B. in Bezug auf Hobbys, Lieblingsessen, die momentane Beziehungsform und Wohnsituation, die sie anschließend nacheinander mit den anderen Gruppenmitgliedern vergleichen. Dabei soll deutlich werden, in welchen Punkten Unterschiede vorliegen, sodass die Vielfältigkeit der Gruppe greifbar wird.

In der Übung "Toleranzbilder"[139] sucht sich jeder Teilnehmende aus einem Postkartenfundus ein ihm ansprechendes Motiv heraus und setzt in der Kleingruppe auseinander, warum er es gewählt hat, was ihn eventuell daran bewegt oder was das Bild mit ihm verbindet. Die Gruppe hat dann die Aufgabe, aus allen Postkarten einen Zusammenhang (z.B. in Form einer Geschichte) herzustellen und diesen im Plenum vorzustellen.

Eine Auseinandersetzung mit Stärken und Schwächen kann in einer weiteren Übung

angebahnt werden, in der die Gruppenmitglieder eigene positive und negative Eigenschaften,

deren Ursprünge, sowie förderliche und hinderliche Bedingungen festhalten sollen. Im

Anschluss werden alle negativen Charakterzüge in positive umformuliert, sodass eine

Neudefinierung der vermeintlichen Schwächen entwickelt werden kann. In der Großgruppe

können dann alle Eigenschaften gesammelt und deren Potential für die Gemeinschaft untersucht

werden.

Baustein 2: Biografische Selbstreflexion: Konstruktion von Werten, Normen und Handlungsmustern in der eigenen Sozialisation

Erst im Verstehen der eigenen Menschwerdung, die durch zahlreiche aufgeschichtete Erfahrungen der Vergangenheit und Gegenwart generiert wird, können Vorstellungen vom Entwicklungsprozess eines jeden Menschen entstehen. Ein authentisches Sein gegenüber dem Anderen - vor dem Hintergrund der Kenntnis von sich selbst und eigener Einstellungen - kann dann möglich werden. In der selbstreflektiven Arbeit wird Beobachtungslernen in Bezug auf das eigene Innenleben, aber auch in Hinblick auf die Wahrnehmung des Gegenübers, angebahnt. Hieraus kann Verstehen wachsen. Mit diesem Verstehen ist aber nicht immer das Nachvollziehen - Können gemeint. An einem Punkt, an dem eine Verbindung mit subjektiv sinnvollen Handlungs- und Verhaltensweisen unmöglich ist, kann doch aus dem Verständnis eines Lebensweges, der Sosein generiert, eine wertschätzende Anschauung des Anderen in seiner Lebenswelt geschehen. Es erschließt sich aus dieser Ansicht die zentrale Rolle, die der Betrachtung und der Er- und Bearbeitung des biografischen Entwicklungsweges im Prozess der Auseinandersetzung mit Vielfaltskontexten zukommt.

Biografisches Lernen besteht aus zwei Strängen:

  • Aus der biografischen Selbstreflektion, in der sich das Subjekt mit der eigenen Biografie auseinandersetzt,

  • Aus der Auseinandersetzung mit Fremdbiografien, in denen Außenstehende sich mit biografischem Material des Lebens anderer Menschen beschäftigen[140].

Heutige Handlungs- und Denkweisen generieren sich aus den Erlebnissen und Bedingungen des Heranwachsens und Werdens der eigenen Persönlichkeit, sind bestimmt worden durch Entscheidungen, durch Grenzerfahrungen und die Begegnung mit Herausforderungen. In der Ergründung dieser einzelnen prägenden Lebensbausteine können Verhalten und Handeln in der Gegenwart transparent und greifbar gemacht werden, sodass möglicherweise auch unbewusste Anteile in eine Anschauung kommen können. Im so entwickelten individuellen Verständnis für das eigene So-Geworden-Sein kann der persönliche Anteil als aktives Handeln und Arbeiten am eigenen Weg erfasst werden. Wenn die Frage nach dem ICH Raum findet, wird bewusst, dass zukünftiges Sein in allem Umfang aktiv gestaltet werden kann. Die Selbstbestimmung des Einzelnen bekommt hier Gewicht und Bedeutung[141].

Wenn aber nun die Bedeutung eines Weges und seine (selbst)bestimmte Schaffung ergriffen wurden, so ist eine Verknüpfung fremder Lebensgeschichten mit diesem Bild möglich. Eine Verbindung zum Gegenüber, zum Fremden, zum Anderen ist angebahnt.

Auch an dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass das selbstreflektierende Element innerhalb einer Ausbildung immer Angebot im Sinne einer selbstbestimmten Entwicklung bleiben muss.

Vorgehensweise und didaktische Vermittlung

Die biografische Selbstreflexion ist immer sowohl prozessorientiert als auch auf ein Ergebnis ausgerichtet: Es sollen, im subjektiven Möglichkeitsraum, Erkenntnisse über das Selbst gewonnen werden, die in der Übertragung auf Gegenwart und Zukunft Bedeutung haben. Dabei ist eine Ganzheitlichkeit der didaktischen Vermittlung von besonderem Wert, sodass Körper, Seele und Geist in gleichem Maße angesprochen werden.

Die Verantwortung der anleitenden Person liegt dabei nicht nur in einer Vorbereitung auf mögliche schwere Momente, denen Teilnehmenden begegnen können, sondern auch in der transparenten Erläuterung der Übungen, die ein Darauf- Einlassen erleichtern.

Um ein Gefühl für die Gruppe und zugleich jeden einzelnen Teilnehmenden generieren zu können, bietet sich eine Methode an, die sowohl Lebensgeschichten Anderer als auch die eigene anspricht. Die Gruppenmitglieder bringen für sie bedeutsame Gegenstände mit, die eine Verbindung zur inneren Erlebniswelt haben. Diese werden in einen Sack verpackt, aus dem die Teilnehmenden reihum ziehen und nach genauer Betrachtung eine Beschreibung des Gegenstandes sowie Vermutungen einer Bedeutung für den Besitzer anbringen. Erst nachdem alle Besitztümer je einer Person zugeordnet wurden, dürfen sich die Teilnehmenden zu der Richtigkeit der Annahmen äußern und die Verbindung zum Gegenstand erläutern.

Auch den Lebensverlauf kreativ zu gestalten kann eine Möglichkeit zur Be- und Verarbeitung für in der Vergangenheit Geschehenes eröffnen und spricht zugleich nicht nur Denken und Reflektieren an. Zudem wird durch ruhiges Arbeiten, das Zeit zum Zur-Ruhe-Kommen schafft, ein ganz anderes Zugehen auf die eigene Person und Befindlichkeit möglich.

Eine Auseinandersetzung mit in der Biografie entwickelten Werten und Normen schafft ein Bewusstsein für Einstellungen und deren Entstehung, welche in einer Diskussion im Plenum in Frage gestellt werden dürfen. Mögliche Aspekte zur Unterstützung eines Andenkens dieses Teils der persönlichen Geschichte können sich auf die Rolle von Personen oder Instanzen während der Identitätsentwicklung beziehen, auf Grenzen und Chancen der Werte und Normen und deren Auswirkung auf die Lebens- und Beziehungswelt[142].

Baustein 3: Personale Differenzverhältnisse: Innere und äußere Dimension der Persönlichkeit

Die Wichtigkeit des Ergründens der eigenen inneren Vielfalt wurde bereits angeführt, soll aber an dieser Stelle noch einmal differenziert betrachtet werden. Es geht hierbei um die Lebenswelt und -wahrheit, die aufgrund des Werdeganges und der natürlichen Gegebenheiten bei jedem Menschen subjektiv ausgeprägt und gefärbt ist und die Bedingungen, die unsere subjektive Wirklichkeit und Persönlichkeit formen.

"Persönlichkeit bezieht sich auf die einzigartigen psychologischen Merkmale eines Individuums, die eine Vielzahl von (offenen und verdeckten) charakteristischen konsistenten Verhaltensmustern in verschiedenen Situationen und zu verschiedenen Zeitpunkten beeinflussen"[143].

Die hier angesprochene Heterogenität in der inneren Welt eines Menschen findet sich in der "Pädagogik der Vielfalt" im Konzept der "Chairperson"[144] wieder. Hiermit ist der Vorsitzende des inneren Teams gemeint - die Wesensart also, die alle anderen vereint, aber dominant bleibt[145]. Diese wird von Anderen meist als bestimmend für die Persönlichkeit wahrgenommen. Sie unterstützt die Orientierung vor allem im sozialen Kontext, kann aber auch zu einem behindernden Faktor werden, wenn sie unbewusst und unreflektiert bleibt. Einfluss auf eine persönliche Wirklichkeitskonstruktion, die durch Wahrnehmung und Lebensgeschichte entsteht, nehmen auch die innere und äußere Dimension der Persönlichkeit eines Menschen[146].

Mit der inneren Dimension sind vor allem körperliche und angeborene Konstitutionen angesprochen, auf deren Ausprägung und -bildung wir wenig Einfluss haben. Neben Hautfarbe und Ethnie wird hier auch die Spiritualität einbezogen, da sie in enger Verbindung zur Herkunft steht[147]. Allerdings ist diese im Laufe des Lebens veränderlich und kann bewusst geformt werden. Wird der Mensch in dieser inneren Dimension angesprochen, reagiert er sehr sensibel und ist besonders schnell verletzt - es trifft ihn im Innersten[148].

Die äußere Dimension bezeichnet das Lebens- und Wirkumfeld des Menschen, Sphären, in denen er Entscheidungen trifft und zum Tätigen in der Außenwelt wird[149].

Vorgehensweise und didaktische Vermittlung

Eine bildhafte Darstellung kann in einem Kreisdiagramm vorgenommen werden, in das die Teilnehmenden die persönlichen Elemente ihrer inneren und äußeren Dimensionen eintragen. Im Nachhinein kann es zu einem Austausch in Kleingruppen kommen, bei dem Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Mitglieder verdeutlicht werden und eine Auseinandersetzung mit Lebensbedingungen ermöglicht wird.

Zu diesem Prozess kann es auch bei folgender Übung kommen, die im Schweigen durchgeführt wird: Die Teilnehmenden stellen sich in einer Gruppe auf eine Seite des Raumes. Die Leitung ruft Kategorien auf, die Persönlichkeitseigenschaften und innere und äußere Dimensionen beinhalten. Wer sich gemeint fühlt, verlegt seinen Standort auf die andere Seite des Raumes. Wichtig ist dabei, dass es keinen Zwang gibt, bei einer zutreffenden Kategorie den Platz zu wechseln. Es geht bei der Übung nicht ausschließlich darum zu beobachten, welche Gruppenmitglieder sich ebenfalls einer bestimmten Eigenschaft zugehörig fühlen. Der Fokus soll zunächst auf der Gefühlswelt liegen: Wie fühlt es sich an, durch den Raum zu gehen und damit einen Persönlichkeitszug anzunehmen[150].

Baustein 4:Einstellungen, Vorurteile, Stereotype und Diskriminierung

An dieser Stelle soll auf die Ausführungen zu Stereotypen, Vorurteilen und Ausgrenzungsprozessen in Teil I unter Punkt 3.1 verwiesen werden, in denen eine Erläuterung zu deren Entstehung und Funktion vorgenommen wurde. Sind solche Sachkompetenzen angebahnt, so kann sich das Bemühen um eine diesbezügliche Vermittlung auf persönlicher Ebene anschließen:

Vorgehensweise und didaktische Vermittlung

Ein Bewusst - Werden der eigenen Voreinstellungen kann in spielerischer Situation möglicherweise leichter ohne Scheu geschehen, weil dadurch ein gewisser Abstand zur inneren Dimension gewahrt bleibt.

Der Anleitende setzt sich auf den mittleren von drei nebeneinander aufgestellten Stühlen und benennt einen personalisierten Begriff, z.B. "Ich bin eine Schwarzafrikanerin. Wer passt zu mir?" Die Teilnehmenden müssen nun möglichst schnell ihre Assoziationen in den Raum werfen und sich auf einen der beiden leeren Stühle setzen. Wenn nun das Dreiergespann aus "Schwarzafrikanerin", "musikalisch" und "aus ärmlichen Verhältnissen stammend" vor der Gruppe sitzt, entscheidet die mittlere Person, welche Assoziation am besten zu ihr passt. Der übrig gebliebene Mitspieler wechselt nun auf den mittleren Stuhl und beginnt eine neue Spielrunde. Zu beachten ist, dass die Teilnehmenden keine langen Überlegungen anstellen, welche Assoziation sie einbringen. Wichtig ist, dass innere Vor- und Einstellungen deutlich werden. Ein Austausch in der Nachbereitung des Spieles, indem mögliche Emotionen aufgefangen werden können, ist möglicherweise sehr notwendig und sollte eingeplant werden.

In der Begegnung mit Menschen sortieren wir diesen oft automatisch Eigenschaften zu und verbinden Ideen mit ihnen, die selten thematisiert werden, aber existent sind. Alle Mitspieler bekommen einen Steckbrief auf den Rücken geheftet, in dem es u.a. um Alter, religiöse Ausrichtung, Musikgeschmack und Begabungen geht. Zur Musik bewegen sich alle im Raum. Wenn diese stoppt, füllen alle die Steckbriefe des ihnen am nächsten Stehenden aus. Dieser Vorgang wird je nach Gruppengröße mehrmals wiederholt. Anschließend wird in der Kleingruppe diskutiert, welche Eigenschaften zutreffen, welche nicht und wie erste Eindrücke entstehen[151]. Wichtig hierbei ist eine Sensibilität für die emotionalen Regungen der Teilnehmenden. Es ist möglich, dass Zuschreibungen verletzen können und einer intensiven Verarbeitung bedürfen.

Baustein 5:Physische und Psychische Einschränkungen: Integrative bzw. inklusive Pädagogik

Eng verknüpft mit Baustein 1 zu Homo- und Heterogenität wird zunächst eine Diskussion über die spezielle Besonderheit geistiger und körperlicher Behinderung angeführt. In der Bezeichnung hat sich seit den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein Wandel zunächst vom "Behinderten" hin zum "Menschen mit Behinderung" abgezeichnet, wobei letztere Form zwar den Menschen und nicht seine Einschränkung in den Mittelpunkt stellt, doch aber eine Zuschreibung trifft. In den 60er Jahren rückte ein mehr und mehr ganzheitlicher Blickwinkel, der das Umfeld und behindernde Bedingungen berücksichtigt, in den Fokus der Betrachtung. Demnach ist ein Mensch nicht per se behindert, sondern erfährt Lebenserschwernisse, die ihn einschränken können.

Hier wird zunächst die Verantwortung des näheren Umfeldes thematisiert, zugleich eröffnet sich aber eine erweiterte Auffassung dieser Lebenswelt auf die Gesellschaft hin. Wenn Anderssein, ob durch Behinderung, Herkunft, Geschlecht oder andere Besonderheiten charakterisiert, eine problematisierte Größe darstellt und Vielfalt nicht als Bereicherung begriffen wird, überwiegen exklusive, ausgrenzende Tendenzen.

Der gesellschaftliche Konsens zu Konzepten von Gesundheit und Krankheit, von Leistung und Effektivität und daraus erwachsende institutionelle Bildungsmöglichkeiten, tragen nicht zu Erleichterung eines Neudenkens bei. Dabei sind, wie bereits dargestellt, alle Menschen langfristig auf einem Weg zwischen Krankheit und Gesundheit unterwegs, der sie fast nie einen dieser beiden Pole zu hundert Prozent erreichen lässt.

Im Sinne einer Auffassung von behindernden Bedingungen kann zum Einen unser eigener Einfluss und damit einhergehende Verantwortung auf anerkennende Umfelder sichtbar werden. Zum Anderen erleben wir selber in vielfältigen Lebensbezügen nahezu täglich eingrenzende und einschränkende Umwelten. Ein Bewusstwerden für diesen Umstand und eine daraus erwachsende Sensibilisierung für besondere Lebenskonzepte können zu einem Umdenken in Richtung gegenseitiger Anerkennung und Annahme und somit zur Entwicklung einer Gesellschaft in Richtung Inklusion befähigen[152].

Vorgehensweise und didaktische Vermittlung

In den entsprechenden Übungseinheiten wird zumeist eine Sensibilisierung für Wahrnehmung in den Mittelpunkt gestellt. So sind z.B. Selbsterfahrungen im "Wahrnehmungsparcours" [153]möglich, der alle Sinne anspricht und den Teilnehmenden das Erleben einer Einschränkung nahe bringen möchte. Eine ganz andere Herangehensweise wird in der Aufgabe offenbar, ein Projekt für Kinder unterschiedlichster Lebensgeschichte und Begabung zu entwickeln. Dabei sind vielfältige Überlegungen zu Thematik, räumlichen und inhaltlichen Bedingungen zu besprechen. Schwerpunkt dieser Projekterarbeitung soll aber ein Konzept zum Abbau von Ängsten und Voreinstellungen sein, damit die Teilnehmenden einen Zugang zueinander eröffnet finden.

Etwas weiter gefasst erscheint die Erarbeitung der eigenen vielfältigen und verletzlichen Persönlichkeitsstruktur, indem eine Anschauung der Dimensionen "Schizophrenie", "Hysterie", "Depression" und "Zwanghaftigkeit" angeleitet wird. Die Teilnehmenden beantworten für sich die Frage, wie ausgeprägt sie die einzelnen Persönlichkeitstypen in sich selber empfinden und in welchen Momenten diese jeweils stärker zum Ausdruck kommen. Die Überlegung, dass in jedem Menschen alle Strukturen gewachsen sind und deren Mischung großes Potential haben kann, ist zwar durch den Leitenden kommunizierbar, eine wahrhafte Erkenntnis aber kann jeder Einzelne nur in der persönlichen Reflektion erreichen[154].

Baustein 6: Sexuelle Identität: Sex, Gender, Sexuelle Orientierungen

Ein wichtiger, nicht nur für die Inklusionspädagogik, fundamentaler Gegenstand der Auseinandersetzung ist die geschlechtliche Zugehörigkeit eines jeden Menschen, die, weicht sie von gesellschaftlich generierten Vorstellungen der Richtigkeit ab, zu einem enorm einschränkenden Persönlichkeitsanteil werden kann.

"Gendernormen stellen die standardisierten Wertvorstellungen für Frauen und Männer und die Geschlechtsverhältnisse im öffentlichen und privaten Raum dar. Sie entstehen im Kontext von Historie, Gesellschaft und Kultur"[155].

Dabei ist zu unterscheiden zum Einen zwischen dem Geschlecht, das sich auf die körperliche Verfasstheit und zugehörige Organe bezieht (=Sex). Anhand dieser wird rasch nach der Geburt festgestellt, ob ein Junge oder ein Mädchen zur Welt gekommen ist. Zum Anderen wird von nun an das Heranwachsen dieses Kindes einen weiblichen oder männlichen Anstrich erhalten (= Gender), der in seiner Ausprägung sicherlich von der Lebenswelt der Eltern abhängig ist.

Jungen werden in blau und grün gekleidet, bekommen Autos geschenkt und müssen auf Bäumen herumklettern. Mädchen sind meist in Rosa anzutreffen, spielen mit Barbies und kochen schon früh auf dem Puppenherd für die ganze Familie. Dieses überspitze Bild verdeutlicht den Einfluss des sozialen Umfeldes eines Kindes, das sich aus institutionellen Einrichtungen, Verwandtschaft, Freunden und weiteren Bezügen zusammensetzt. In den Berührungspunkten mit diesen Größen werden dem Kind Vorstellungen, Bilder und damit verknüpfte Ansichten vom "richtigen" und "falschen" Junge - oder Mädchen - Sein vermittelt. Daraus generiert sich eine Idee von "richtiger" und "falscher" sexueller Orientierung und von "normalen" und "unnormalen" Beziehungscharakteren.

Jungen dürfen nicht am Puppenherd kochen und Mädchen dürfen nicht auf Bäume klettern. Jungs heiraten bei der Kita - Fete Mädchen und andersherum. Männer dürfen sich nicht in andere Männer verlieben und Frauen haben sich für das andere Geschlecht zu interessieren. Läuft in dieser Ordnung etwas "aus dem Ruder" und eine homosexuelle Verbindung entsteht, ist Derjenige "nicht ganz richtig"[156].

Dass sexuelle Orientierungen aber genauso vielfältig sein können, wie es Menschen auf dieser Erde gibt - dass Menschen sich zugleich in einen Mann und eine Frau verlieben können - dass manche Menschen nach den körperlichen Merkmalen zwar weiblich sind, sich aber als männlich begreifen UND dass das alles ganz normal sein kann, davon sind wir weit entfernt.

Vorgehensweise und didaktische Vermittlung

Es ist deutlich geworden, dass Sex und Gender ein sehr sensibles und mitunter persönlich sehr bewegendes Thema sein kann. Es ist bedeutsam und wichtig, dass die Teilnehmenden vor dem individuellen Hintergrund ihrer Lebensgeschichte und -erfahrungen angeschaut werden. Daher ist eine in diesem Sinne reflektierte Herangehensweise von besonderem Wert.

Ein Herantasten an die Themeneinheit kann durch eine auflockernde und belebende Übung geschehen. Alle Teilnehmenden bewegen sich ruhig durch den Raum, in ihrer eigenen, natürlichen Art und Weise und konzentrieren sich auf ihr emotionales Befinden im Moment. Auf Anregung der Leitung wird diese Bewegung abgeändert in zarte, mutige, schüchterne, freudige, traurige Gangarten, wobei die anderen Gruppenmitglieder in ihrem Tun beobachtet werden. Schließlich bekommen alle die Aufgabe, sich typisch männlich und weiblich zu bewegen und sich in dieser Art zu grüßen. Gegenstand der Übung kann es auch sein einem Anderen, der in der Nähe steht, ein Feedback über typisch männliche bzw. weiblich Züge, die an ihm festzustellen sind, zu geben. Im Anschluss sollte ein Plenumsgespräch angeboten werden, in dem Fragen nach Gender und sexueller Orientierung diskutiert werden können. Welche Bewegungen haben sich seltsam angefühlt? Welche sind tatsächlich beobachtbar und was machen diese mit unserem Bild von einem Menschen? Welche Erfahrungen haben die Teilnehmenden mit Geschlechtsspezifika in ihrer Jugend gemacht? Welche Normen sind ihnen bekannt oder schmerzlich bewusst geworden?

Auch hier kann die Reflektion bisher fest bestehende Grenzen aufweichen und können sogar Verweigerungen bestimmter Bewegungsformen oder das diesbezügliche Unwohlgefühl Auslöser persönlicher Betroffenheit sein. Die Verantwortung des Leitenden wird erneut deutlich.

Baustein 7: Kultur und Ethnozentrismus

Der Kulturbegriff ist, trotz einer meist sehr klaren Definition als natürlicher und geistiger Raum, den Menschen sich aneignen und nach ihren Vorstellungen gestalten, von vielseitiger Bedeutung. Menschen eines Kulturraumes sind demnach zum Einen durch diesen geprägt und bilden ihn zum Anderen nach eigenen Kräften mit aus - sie sind Kulturwesen. Nach dem Ansatz der Transkulturalität, der vor dem Hintergrund einer mehr und mehr durchmischten Weltengesellschaft entwickelt wurde, die Unterschiede zwischen fremden und vertrauten kulturellen Welten verwischen, werden "(...) die kulturellen Erscheinungsformen und Deutungsmuster zwischen und in den Individuen"[157] vervielfältigt.

Die zunehmende Globalisierung und damit einhergehende Multikulturalität, in der Abgrenzungen zwischen Kulturen aufgeweicht werden, geschieht aber vor einem Hintergrund der Auffassung von der eigenen Kultur als der vorherrschenden und über Anderen stehenden. Aus diesem einenden Bewusstsein heraus, das als Ethnozentrismus bezeichnet wird, kann eine Vorstellung von und ein Zugang zu anderen gleichberechtigten Kulturen und damit verbundenen Lebenswelten erschwert sein.

Eine Verständigung und anerkennende Einstellung zu fremden Kulturen sind wesentlicher Bestandteil einer Interkulturellen Pädagogik, die Gemeinschaft in Vielfalt um den Aspekt der Herkunft und Prägung ergänzt. Dieser Ansatz spricht nicht nur Migranten, sondern auch die Angehörigen dominanter Mehrheiten, in ihrer Kompetenz des Aufeinander - Einlassens an[158].

"Interkulturelle Kompetenz ist die Fähigkeit, im Umgang mit Angehörigen andere Kulturen deren ethnisch beeinflusste Denk- und Wertgrundlagen erkennen, sie zum besseren Verständnis ihres Verhaltens heranzuziehen, um mit ihnen kultursensibel interagieren zu können und Bestandteile anderer Kulturen in das eigene Leben integrieren zu können"[159].

Vorgehensweise und didaktische Vermittlung

Auch wenn der Kulturbegriff eine gefüllte Größe ist, da sich viele Menschen bereits unbewusst oder bewusst mit ihm auseinandergesetzt haben, so ist ein tatsächliches Begreifen der eigenen Kultur oft wenig entwickelt.

Die Teilnehmenden erhalten ein Diagramm, in dessen Zentrum ein Kreis abgebildet ist. Dieser ist verbunden mit weiteren, ihn sternförmig umgebenden kreisförmigen Strukturen. In Einzelarbeit werden der eigene Name an der zentralen Stelle und zudem ringsherum individuell beeinflussende vergangene und gegenwärtige Elemente eingetragen. Nachdem dies geschehen ist können wichtige Werte und Normen, die von diesen Einflussgrößen ausgingen und ausgehen, aufgelistet werden. Anschließend werden diese Diagramme in Kleingruppen vorgestellt und besprochen, sodass Gemeinsamkeiten und Differenzen sichtbar werden können. Im Plenum werden dann kulturelle Quellen und dazugehörige Vermittlungen veranschaulicht und diskutiert.

Die Erfahrung unterschiedlicher Lebenswelten und damit verbundener tradierter Kommunikationswege kann in folgender Übung erfahrbar werden: Die Gruppenleitung baut auf einem bekannten Kartenspiel unterschiedliche Regelsysteme auf, die das Ziel des Spieles nicht verändern, den Weg dahin aber schon. Die Teilnehmenden finden sich in Kleingruppen zusammen und erhalten jeweils ein Regelsystem, das sie sich aneignen sollen. Nach einer vereinbarten Zeit gilt absolutes Redeverbot. Zudem sucht der Spielleiter aus jeder Gruppe einen Spieler heraus, der in eine andere Gruppe wechseln muss und sich nun dort ohne (!) Sprachgebrauch in das neue Regelsystem einfinden muss. In der Reflektion kann es dann um einen Austausch über erlebte Gefühlswelten gehen, der es den Teilnehmenden ermöglicht, die Selbsterfahrung für sich und im Kreis der Anderen zu reflektieren[160].

2. Rückschau und kritische Betrachtung

Das Ausbildungskonzept "Pädagogik der Vielfalt" vereint einen umfassenden Blick auf bedeutsame Themengebiete im Kontext eines Heterogenitätslernens. Mit der Befassung von Unterschiedlichkeiten in Bezug auf Behinderung, kulturelle Hintergründe und Gender kann eine Grundlage in Bezug auf Sachkompetenz aufgebaut werden, mit der eine Sensibilität in pädagogischen Zusammenhängen entwickelt werden kann. Dies wird in der Auseinandersetzung mit persönlichen Differenzverhältnissen und inneren Bildern vom Anderen, vom Fremden, angebahnt, wenn im selbstreflektorischen Prozess eine Anschauung dieser inneren Vielfalt möglich wird.

Das hier zur Vorstellung gekommene Ausbildungskonzept findet jedoch in diesem Punkt nicht nur Anhänger. Moser (2010) bezeichnet die Herangehensweise an innere Haltungen und biografisch entwickelte Überzeugungen durch die "Diskussion von abstrakten Konfliktfällen" [161]als naiv. In einer Ausbildung könne letztlich nur ein "professioneller Habitus"[162] bearbeitet werden, der die Gestaltung einer Beziehung zum Klienten in Bezug zu Vertrauensschutz, Autonomie und Respekt umfasse. Eine Arbeit mit individuellen Überzeugungen erfordere vor allem Freiwilligkeit und bedürfe zunächst einer generellen gründlichen Erforschung der Entwicklung und Herkunft solcher inneren Haltungen. Selbst dann sei eine entsprechende Auseinandersetzung insofern hochsensibel, da sie mitunter psychotherapeutische Intervention erfordere, sollten sich fest verankerte Überzeugungen als hinderlich erweisen. Der Teilnehmende sieht sich dann vor die Herausforderung gestellt, einen Umgang mit dem erkannten Konflikt zu finden[163].

Durch diese kritische Betrachtungsweise werden zu schaffende Bedingungen deutlich, die eine Erweiterung der Kompetenzen der Teilnehmenden ermöglichen. Zugleich werden an dieser Stelle Grenzen des Trainings offenbar. So kann ein Leitender, der keine entsprechenden psychotherapeutischen Fertigkeiten in sich vereint mit der Verfasstheit eines betroffenen Teilnehmenden überfordert sein und eine positive Entwicklung während dessen Ausbildung gefährden.

Das Potential des Ansatzes "Pädagogik der Vielfalt", Teilnehmenden einen Weg zur Erweiterung ihrer persönlichen Kompetenzen zu ebnen, sodass diese, gemeinsam mit Kenntnissen über zwischenmenschliche Prozesse, in Handlungswissen gefügt werden können, wird durch die Kritik nicht in Frage gestellt. Vielmehr werden ergänzende Überlegungen angestellt, um die Entwicklung der Teilnehmenden und somit deren pädagogischer Identität zu stützen. In diesem Sinn erfährt das wertvolle Moment des Ausbildungskonzeptes, Fühlen, Denken und Handeln besonders intensiv anzuschauen, um eine Förderung von inklusiven Prozessen auf den Weg zu bringen - sei es in Projektarbeit oder in anderem pädagogischen Kontext - besondere Betonung.

Mit der Ausbildung kann eine Bewegung auf mehreren Ebenen angebahnt werden, die

sich nicht auf pädagogische Wirkzusammenhänge beschränken lässt:

  • Aus globaler Sicht können Machtstrukturen deutlich gemacht und ausgeglichen werden, sodass Differenzverhältnisse nicht länger "aufgrund ungleicher Ressourcenzuteilung erzeugt (werden)"[164].

  • Durch eine Anerkennung des Anderen als gleichberechtigte Person in ihrer Verschiedenheit zum Selbst können Interaktionen erleichtert werden.

  • In der Anschauung der differenten Anteile der eigenen Persönlichkeit und der Wertschätzung dieser kann eine Befreundung mit den inneren bekannten und unbekannten Elementen geschehen[165].

Bei alledem ist weiterhin Folgendes zu bedenken:

"Menschen sind immer im ‚Fluss'. Aussagen über Individuen sind immer nur punktuell möglich und richtig. Auch Selbstachtung und die Anerkennung Anderer entwickeln sich in kleinen Schritten, manchmal mit Rückschritten, als individuell selbstständiger Weg, der begleitet und gestützt werden kann. Jeder einzelne Schritt auf dem Weg und der Zeitpunkt, wann dieser gegangen wird, ist immer dem einzelnen Menschen überlassen"[166].

In diesem Sinne lernen Teilnehmende des Kompetenztrainings "Pädagogik der Vielfalt" ein Menschenbild und dementsprechende (pädagogische) Haltungen kennen, die ihnen nicht nur auf theoretischem Weg vermittelt werden. In der so ermöglichten Erfahrung von Begegnung mit sich selbst und mit unterschiedlichen Anderen, können Übertragungen auf die jeweiligen pädagogischen Handlungsfelder erleichtert und angebahnt werden. Die Unterstützung inklusiver Potentiale von Gruppen wird im Verinnerlichen eines annehmenden Umganges möglich, welcher Verhalten und Handeln vor dem Hintergrund eigener Vergangenheiten ernst nehmen, wertschätzen und kritisch betrachten kann.



[120] Sielert et. al. 2009, S. 25

[121] Ebd, S. 114

[122] Vgl. Sielert et. al. 2009, S. 13

[123] Vgl. Prengel 2009, S. 7

[124] Sielert et. al. 2009, S. 13

[125] Ebd. S. 15

[126] Vgl. Sielert et. al. 2009, S. 15 ff.

[127] Vgl. Sielert et. al. 2009, S. 13

[128] Vgl. ebd., S. 15

[129] Vgl. ebd., S. 23

[130] Vgl. Sielert et. al. , S. 24

[131] Ebd., S. 25

[132] Vgl.. Sielert et. al. 2009, S. 28

[133] Vgl. Sielert et. al. 2009, S. 26

[134] Ebd., S. 41

[135] Vgl. ebd, S. 40 ff.

[136] Vgl. Sielert et. al. 2009, S. 42 fff.

[137] Ebd., S 46

[138] Ebd., S. 59

[139] Ebd., S. 61

[140] Sielert et. al. 2009, S. 111

[141] Vgl. Sielert et. al. 2009, S. 11 ff.

[142] Vgl. Sielert et.al. 2009, S. 121 ff.

[143] Zimbardo 1996, nach Sielert et.al. S. 137

[144] Sielert et. al. 2009, S. 138

[145] Vgl. ebd., S. 138

[146] Vgl. ebd., S. 138 ff.

[147] Vgl. ebd., S. 138

[148] Vgl. ebd., a.a.O.

[149] Vgl. ebd., a.a.O.

[150] Sielert et.al. 2009, S. 144 ff.

[151] Sielert et. al. 2009, S. 168 f.

[152] Vgl. Sielert, S. 187 ff.

[153] Ebd., S. 198

[154] Sielert et. al. 2009, S. 198 ff.

[155] Welpe, Schmeck 2005 zitiert nach Sielert et.al. 2009, S. 213

[156] Vgl. Sielert et. al. 2009, S.211

[157] Sielert et. al. 2009, S. 235

[158] Sielert et. al. 2009, S. 241 ff.

[159] Ebd., S. 236

[160] Vgl. Sielert et. al. 2009, S. 241 ff.

[161] Moser 2010, S. 5

[162] Ebd., a.a.O.

[163] Vgl. Sielert et. al. 2009, S. 3 ff.

[164] Sielert et.al., S. 15

[165] Vgl. Sielert et.al. 2009, S. 15

[166] Ebd.,S. 47

Schlussbetrachtung

Groß Oder Klein Oder Irgendwas Dazwischen

Christ Oder Muslim Oder Irgendwas Dazwischen

Junge Oder Mädchen Oder Irgendwas Dazwischen

Schwarz Oder Weiß Oder Irgendwas Dazwischen

Sanftmütig Oder Aggressiv Oder Irgendwas Dazwischen

Laut Oder Leise Oder Irgendwas Dazwischen

Eine solch bunte Gesellschaft wie die unsere stellt uns vor zahlreiche Herausforderungen der Begegnung und des Lebens miteinander. Die Unterschiedlichkeit des Anderen zu akzeptieren und einen entsprechenden Umgang zu finden erfordert Anstrengung und verlangt eine intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Menschen- und Weltbild.

Ein in solchem Bewusstsein realisiertes pädagogisches Wirken kann nicht nur jungen Menschen einen Raum eröffnen, sich auf den Weg zueinander zu machen. Im Erleben des Anderen als Unterstützung und unterstützungswürdig, als gleichberechtigt und gleichwürdig, als Spiegel meiner selbst, in dem ich mich erkenne, erfahre ich den Wert und die Bedeutung von vielfältiger Gemeinschaft.

Solches erfahrbar zu machen und Räume zu schaffen, in denen Menschen aller Generationen, Herkunft, Weltsicht und Verfasstheit zueinander kommen und in einen Dialog finden können, ist Aufgabe eines Jeden und lässt sich nicht allein auf pädagogisches Wirken beschränken.

Hier wird ein Bild gezeichnet, das sich fernab einer rosaroten Realität bewegen möchte, in der Unstimmigkeiten und Diskussionen nicht erlaubt wären. Offener Umgang miteinander bedeutet auch Auseinandersetzung und möglicherweise die Erkenntnis, dass nicht alle Lebenswirklichkeiten Zustimmung erfahren können.

Im Blick ist ein Dialog, der für die Hinwendung zueinander birgt, für das Interesse aneinander steht und für Offenheit gegenüber dem Anderssein wirbt.

Es gilt ein Miteinander erlebbar zu machen - in dem Anderssein nicht mehr komisch, sondern normal ist - in dem farbige Menschen in der Straßenbahn freundliche Worte hören- in dem Menschen mit körperlicher Behinderung interessierte und neugierige Blicke begegnen - in dem die Muslima und die Christin über ihre Religionen ins Gespräch kommen - in dem fremdes Verhalten und Handeln Anlass zur Anschauung gibt - in dem die friedliche Lebensweise und -welt eines Jeden Beachtung findet, ernst genommen und anerkannt wird.

Literaturverzeichnis

Bücher und Zeitschriften:

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Deutsches Institut für Menschenrechte. (2012). Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. verfügbar unter: http://www.institut-fuermenschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDFDateien/Pakte_Konventionen/CRPD_behindertenrechtskonvention/crpd_de.pdf, [24.4.2012].

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Reimann, L. (2011). Vorurteile, Ausgrenzung und Diskriminierung - ein präventives Aufgabenfeld in einer inklusiven Schule. Welche Handlungsoptionen bietet der Anti-Bias-Ansatz im gemeinsamen Unterricht?. verfügbar unter: http://bidok.uibk.ac.at/library/reimannvorurteile.html , [27.3.2012].

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Anhang

1. Zeitungsartikel

2. Interviews Teilnehmende

Interview 1: Marius, 12 Jahre alt

Was sagst du zum Projekt?

Das Projekt ist eine gute Idee. Es gibt manchmal Meinungsverschiedenheiten, aber die muss es ja auch geben, es kann ja nicht immer alles perfekt sein.

Hast du das Gefühl gehabt, dass es schwierig war zusammenzuarbeiten?

In Kleingruppen ging es sehr gut, in größeren gibt es halt mehr dafür- oder dagegen Stimmen. Dann sind manche weniger zufrieden, aber es ging.

Gab es eine Strategie?

In meiner Gruppe war das so, dass ich, wenn ich mit etwas nicht einverstanden war, nachgefragt habe, was das bringt. Dann habe ich manchmal dafür gesprochen und wenn die anderen was nicht gut fanden, dann habe ich erklärt, was das bringt und dann haben alles "achso" gesagt.

Hast du das Gefühl gehabt, dass ihr alle zusammen eine Gruppe wart?

Eigentlich war keiner abseits. Niklas und Robert haben sich nicht so verstanden. Es hat sich niemand ausgegrenzt oder wurde ausgegrenzt.

Welche Ideen hast du, damit eine Gruppe gut zusammenarbeiten kann?

Naja, erstmal muss man sich verstehen. Man muss positiv denken und nicht davon ausgehen, dass man sowieso nicht gemocht wird und dann klappt das auch.

Hattest du eine besondere Rolle in der Gruppe?

Wenn ich was im Spaß sage, dann bekommen die anderen Ideen. Aber ich merke das oft nicht.

Was denkst du über die Erwachsenen?

Bei kleineren Streitigkeiten hätten die Erwachsenen schneller eingreifen können.

Interview 2: Niklas, 10 Jahre alt

Wie hat dir das Projekt bisher gefallen?

Gut, weil wir Ausfüge gemacht haben und Modelle gebaut haben. Mir hat alles Spaß gemacht.

Hast du dich wohl gefühlt?

Manchmal gab es Probleme. Wenn Robert genervt hat.

Bist du gerne her gekommen?

Ja.

Fandest du, dass ein Kind nicht so dazu gehört hat?

Eigentlich nicht.

War die Zusammenarbeit mit den anderen Kindern einfach?

Eigentlich war das einfach, aber nicht immer, wenn Robert genervt hat. Es gab einen Vorschlag ein dreieckiges Rathaus zu malen und manche wollten das nicht und dann haben wir abgestimmt. Es ist ein dreieckiges Rathaus rausgekommen. Das war in Ordnung, dass wir abgestimmt haben.

Was macht es einfacher zusammenzuarbeiten?

Wenn einer ärgert, dann kann man ihm sagen, dass er aufhören soll. Man kann auch Gruppenregeln abmachen. Sonst kann man den anderen vielleicht gar nicht verstehen, wenn alle durcheinander reden.

Hast du eine besondere Rolle gehabt?

Bei den Interviews haben sich manche nicht getraut und ich hab mich getraut. Da kam ein Jogger vom Fockeberg oben runter und dann habt ihr alles gesagt ‚nein der joggt, der hält bestimmt nicht an' da bin ich losgegangen und der ist dann extra für mich angehalten.

Interview 3: Alexander, 11 Jahre alt

Wie findest du das Projekt bisher?

Wir haben ja jetzt den vorletzten Tag und ich finde, es war ganz gut. Nur ein Tag hat mir nicht so gut gefallen. Am ersten Tage hatten Robert und ich einen Streit. Wir sind einfach auseinander gegangen und wir streiten uns immer noch

Fühlst du dich wohl in der Gruppe?

Wenn Robert in meiner Gruppe ist, dann fühlen wir uns beide nicht wohl. Aber in der großen Gruppe fühle ich mich wohl. Es ist jetzt hier keiner in einer Außenrolle aber es ist jetzt keiner hier auch der Hauptmann. Es sind alle gleichberechtigt.

Wie ist das mit der Zusammenarbeit? Könnt ihr euch schnell einigen?

Ja, nur Robert und ich wir gehen uns aus dem Weg. Ich hatte einmal die Idee, dass wir abstimmen. Niklas wollte trotzdem immer alles nach seinem Kopf entscheiden, aber alle haben dagegen gestimmt. Er hat trotzdem versucht, alles durchzusetzen.

Wie findest du das mit dem Rechthaben Wollen und Bestimmen?

Ich bin das schon ein bisschen gewöhnt. Ich kenne das schon. Für die, die das nicht kennen wird es schon schwer sein. Für mich ist das auch blöd, aber...

Wie gehst du damit um, wenn jemand immer bestimmen will?

Man kann die anderen Kinder fragen: "Was denkt ihr denn davon?" Oder man holt einen Erwachsenen dazu. Man muss das in Gruppen klären. Aber wenn die Gruppen nicht funktionieren, wie vorhin mit Robert und Niklas. Und manche sind da grober oder können ihre Kraft nicht so dosieren. Wie ich zum Beispiel. Die Situation zwischen Niklas und Robert war schon härter. Da haben sie sich um das Klettergerüst gestritten und wer darauf klettern darf. Robert hat Niklas gehauen und Niklas hat zugetreten, bis einer geheult hat. Robert hat dann angegriffen, sodass Niklas sich wehren musste.

Wie habt ihr da reagiert?

Wir wollten da nicht hineingeraten. Sonst löst sich da eine Reaktion aus und dann machen wir mit. Christian ist größer und stärker und der könnte was machen. Auch die Erwachsenen kamen ja schnell her. Ich habe das so gesehen, dass Niklas sich verteidigen musste, aber vielleicht seht ihr Erwachsenen das ja anders. Ich habe den beiden gesagt, dass sie es lassen sollen. Natürlich können Kinder das noch nicht so einschätzen wie ihr Erwachsenen. Ich bin auch einer, der das friedlich versucht, wie die Jediritter bei Starwars. Die dürfen sich nur wehren und dürfen nicht angreifen. Ich möchte nicht in Schlägereien geraten, mit der Brille ist das gefährlich. Ich habe das schon in der ersten Klasse erlebt. Das war ganz schlimm. Einmal wurde ich auch angegriffen, aber der Andere hat das so aussehen lassen, als ob ich Schuld wäre. Wenn ich von Robert geärgert werde, dann wehre ich mich. Er macht das manchmal extra noch schlimmer. Ich sag immer, dass er aufhören soll. Aber er macht das nicht. Wenn es aber nicht geht, dann muss ich hauen. Robert hat schon Angst vor mir. Nur ich bin eigentlich kein Schlägertyp. In der großen Gruppe müssen ich und Robert nicht in einer Gruppe sein und das ist viel besser, weil wir da nicht so gestresst sind. Er schubst absichtlich, lässt es aber so aussehen, als ob es aus Versehen gewesen wäre. Das hat auch Niklas schon gemerkt. Robert hätte man auch mal zu Recht weisen können. Das ist eine schlechte Charaktereigenschaft von Robert. Ich möchte nicht treten, aber sonst ärgert Robert mich die ganze Zeit und dann bin ich deprimiert und lasse das an anderen aus. Dafür kriege ich dann wieder Ärger.

Hast du eine besondere Rolle gehabt?

Bei dem Stadtplan, da versuchte ich es diplomatisch wie ein Jedi. Das finde ich aber nicht besonders. Wie haben Sie es denn gesehen?

- Ich habe wahrgenommen, dass du die Idee hattest. Die kam nicht von uns. Ich habe vorhin auch gesehen, dass du versucht hast den Streit zu schlichten. Das ist doch eine besondere Rolle oder? -

Wir haben einen Jungen in der Schule, mit dem ich schon viel Ähnliches erlebt habe.

Wie hast du uns Erwachsenen gesehen?

Die Erwachsenen haben ja von Anfang an gesagt, dass sie uns nur helfen wollen. Sie haben uns das alles erklärt mit dem Geräusche - Aufnehmen. Und Sie mussten ja auch schon einen Streit schlichten zwischen Robert und mir.

Aber du denkst schon, dass ihr ein Recht darauf habt mitzusprechen?

Wir Kinder machen natürlich auch Spaß miteinander. Wie fick dich oder du machst mit deiner Mutter Sex oder rumgefickt und so. Das machen Kinder halt in unserem Alter, weil wir das witzig finden. Ihr Erwachsenen seht das doch bestimmt anders, oder?

- Ich habe das gehört und wir haben euch ja aber nur gebeten nicht so grob miteinander zu reden, als wir Gäste da hatten. Aber das hat euch ja Spaß gemacht, oder? -

Ja, wir haben uns da genervt und grob miteinander gesprochen. Das war der schönste Augenblick. Wenn die Erwachsenen uns unterbrochen hätten, dann hätten wir vielleicht keinen Spaß mehr gehabt.

Alexander führt weiter Einiges über die nun folgenden Tätigkeiten des Tages aus und erzählt

von seiner Schule.

Interview 4: Robert, 11 Jahre alt

Wie gefällt dir das Projekt bisher?

Sehr gut, Weil es mir sehr viel Spaß macht - das Basteln, die Audiogeräte, das Bummeln durch die Stadt.

Fühlst du dich wohl in der Gruppe?

Zum einen Teil gefällt es mir. Aber es gibt einen Junge, der nervt mich immer und das gefällt mir nicht.

Wie war die Zusammenarbeit?

Es war ein klein wenig schwierig. Manche wollten Einiges nicht. Es war ein bisschen zu laut, und wir haben nicht aufeinander gehört. Niklas hat oft den Bestimmer getan. Das mit dem Abstimmen war gut, dann brauchten wir uns nicht immer zu streiten. Einige Ideen die ich habe funktionieren bestimmt nicht.

Konntest du etwas besonders gut in der Gruppe? Oder hast du mitbekommen, dass ein Kind etwas besonders gut konnte?

Melissa kann sehr gut basteln. Marius der hat sehr viele Ideen.

Warum ist das gut?

Weil man dann erstens eine Hilfe hat und zweitens kommt dann immer noch eine Idee dazu irgendwie.

Denkst du, dass es gut ist, dass Christian dabei ist? Der ist ja älter und größer als ihr.

Er wäre bestimmt traurig, wenn wir ihm sagen würden, dass wir ihn nicht dabei haben wollen.

Hast du das Gefühl, dass ihr bestimmen dürft, was ihr machen wollt?

Wenn wir nicht bestimmen dürften, würden wir traurig und sauer werden. Sonst hätten wir keinen Spaß mehr.

Interview 5: Christian, 15 Jahre

Wie hast du dich in der Gruppe gefühlt?

Ich habe mich gut gefühlt. Ich find immer alles toll.

Hast du gemerkt, dass du von den anderen in bestimmten Momenten gebraucht wurdest?

Das war mir eigentlich egal. Beim Streit zwischen Niklas und Robert habe ich eingegriffen. Aber ich helfe auch Leuten in der Straßenbahn.

Wie gefällt dir das Projekt bisher?

Das Projekt ist wunderbar. Wenn es noch welche geben würde, würde ich weiter machen. Ich finde das Projekt gut, weil man auch auf der Straße von anderen Leuten noch erfährt, wie die das mit dem Citytunnel z.B. finden.

Wie war die Zusammenarbeit mit Marius?

Mir fiel das leicht.

Wie war die Zusammenarbeit in der Gruppe?

Wir können uns gut verstehen, außer wenn mal Robert oder Niklas frei dreht. Wenn die sich so streiten wie vorhin auf dem Spielplatz, da versuche ich schon dazwischen zu gehen. Bei Hektik oder wenn es kompliziert wird halte ich mich raus.

Was macht es leichter miteinander zu arbeiten?

Das mit dem Abstimmen war eine gute Idee.

Was denkst du über uns Erwachsene?

Die waren ok, lieb und nett. Das erhoffe ich mir auch für das weitere Leben.

Wie fandest du die Entscheidungsfreiheit?

Das fand ich sehr gut. Ich war froh, dass wir entscheiden konnten, was wir machen. Das geht mir immer auf'n Keks, wenn Erwachsene bestimmen, wo ich hin rennen muss wo ich gar nicht hin will.

Anmerkung: Melissa war am Tag des Interviews krank und konnte daher nicht befragt werden.

3. Interviews Begleitende

Interview 1: Maria

Wie hat dir das Projekt gefallen?

Ich fand es sehr lehrreich und gut.

Hast du einen besonderen Moment erlebt?

Ich habe mir noch nie ein Bild von autistischen Kindern gemacht und hatte noch nie mit ihnen zu tun. Daher war alles besonders.

Fandest du das schwierig mit der gemischten Gruppe?

Schon, es gibt ja ziemlich unterschiedliche Bedürfnisse. Einer will gar nicht angefasst werden, einer immer. Und dann ist es schwierig in den entsprechenden Situationen das Richtige zu machen. Gegenseitige Unterstützung, wenn Defizite da waren. Klar ist das explosiv aber auch unterhaltsam.

Hast du auch mitbekommen, dass Potential da ist?

Auf jeden Fall. Wenn da Differenzen waren, dann wurde viel untereinander geholfen, auch altersübergreifend.

Wie muss ein Team sein, damit so ein Projekt gelingen kann?

Ich fand die verschiedenen Hintergründe und Erfahrungen sehr hilfreich. Das hat den Umgang miteinander geprägt. Eine Mischung aus Kompetenz und Intuition finde ich sehr wichtig.

Müsste bei einer größeren Gruppenstärke irgendwas anders laufen?

Dan müsste man auf jeden Fall Untergruppen bilden. Sonst wird das ein zu großes Durcheinander. Ich finde eins zu eins Betreuung da sehr sinnvoll.

Interview 2: Peter

Wie hat dir das Projekt bisher gefallen?

Bisher ganz gut. Gestern war das Wetter sehr anstrengend. Wir hatten ja schon besprochen, dass eine eins zu eins Betreuung sehr gut ist.

Hast du einen Unterschied zu anderen erlebten Projekten festgestellt?

Es ist alles entspannter. Man kann sich mal ausklinken ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Viele Projekte beim SAEK verlaufen nach Schema F und wenn man da zu zweit für eine Gruppe von 15 bis 20 Schülern verantwortlich ist und der Lehrer sich ausklingt, dann ist das anstrengend.

Findest du es sehr anstrengend mit der Gruppe?

Das eine hat ja nichts mit dem anderen zu tun. Wenn ich mich genervt fühle, dann hat das ja nichts mit dem Projekt zu tun.

Entsteht ein Potential aus einer Gruppe mit vielfältigen Kindern?

Das ist eine schwierige Frage. Wenn Menschen aus unterschiedlichen Sparten der Gesellschaft zusammenkommen, finde ich das generell gut. Ob da jetzt mehr Potential drin steckt als bei Projekten, die eher homogen sind, mag ich nicht sagen. Ich würde das nicht von der Heterogenität abhängig machen.

Was hätten wir als Teamer noch besser machen können?

Ich habe noch nicht so viel Berufserfahrung. Man kann sich was den Ablauf betrifft gut vorbereiten. Aber Spontaneität ist wichtig. Auch Empathie, wenn etwas nicht funktioniert, das man das mitbekommet und das eigene Ego runterfahren, weil es nicht darum geht etwas durchzuziehen. Eine gute Mischung ist wichtig. Wenn die Umstände es anders wollen, als das der Plan es vorgibt, dann wird das halt auch anders gemacht.

Ist ein weniger fester Plan sinnvoll

Es kommt auf die Größe der Gruppe an. Wir haben sechs Kinder und sechs Betreuer. Umso größer die Gruppe, umso sinnvoller ist ein Plan, desto strukturierter muss das sein. Die Mitarbeiter brauchen einen Plan in die Hand, damit man sich sicherer fühlt und Ruhe ausstrahlt.

Wie wichtig findest du es, dass die Kinder selber bestimmen dürfen?

Ich finde es immer wichtig. Aber je größer die Gruppe ist, desto mehr muss man da intervenierend eingreifen. Und das hängt ja auch sehr von der Verfassung des Einzelnen ab.

Was nimmst du dir aus den Projekttagen mit?

Ich nehme etwas mit, aber was das ist, das weiß ich jetzt noch nicht. Ich finde immer Aspekte wichtig, die meine Arbeit in Zukunft erleichtern. Außerdem kann man sich als Teamer ausprobieren, weil es keine Routine gibt. Man muss sich beobachten und reflektieren.

Interview 3: Sarah

Wie hat dir das Projekt gefallen?

Ich fand es sehr schön und fand es schade, dass ich nicht die ganze Zeit dabei sein konnte. Es war eine tolle Woche.

War es mit der Gruppe anders als in anderen Projekten?

Es war anders, weil es eine inklusive Sache war. Ich arbeite sonst nur mit autistischen Kindern. Dass das Projekt eine Woche lang dauerte verändert die Gruppendynamik. Das Miteinander entwickelt sich anders, die Kinder wachsen tagtäglich mehr zusammen. Wenn wir uns wöchentlich treffen, dann dauert ein solcher Prozess länger.

Denkst du, dass ein Potential aus so einer Gruppe entstehen kann? Was ist schwierig?

Ich bin ein Verfechter davon zu mischen und zu gucken, was passiert. Ich denke es ist aber gut, das Alter so über fünf oder sechs Jahre einzugrenzen. Sonst gehen die Fertigkeiten und Interessen so auseinander. Die Mischung und Vielfalt ist sehr positiv. Dadurch fällt es nicht so sehr ins Gewicht, dass halt jetzt ich sag mal vier autistische Kinder hier sitzen. Jeder wird in seiner Persönlichkeit individuell wahrgenommen und auch teilnehmen kann und sich jedes Kind halt auf jedes andere Kind mit seinen Besonderheiten einstellen muss und nicht abhängig von einer bestimmten Eigenschaft.

War die Struktur des Projektes in deinen Augen sinnvoll?

So wie es hier passiert ist, war es sehr gut. Für jeden war ersichtlich, wer wann was zu tun hat. Das kann auch nach hinten los gehen. Man sollte flexibel und spontan sein und sich auf Neues einstellen können. Das hat glaub ich die Gruppe auch ausgemacht bei Kindern und auch bei uns Betreuern, dass wir alle denk ich da sehr offen sind uns auf den Andern einstellen zu können uns auf neue Situationen einstellen zu können. Das Team hat sich sehr gut gefunden, wenn die Kinder mitbekommen hätten, dass es bei uns nicht stimmt, wären andere Dynamiken entstanden

Was müsste ein Teamer für Kompetenzen haben, damit man gut mit einer gemischten Gruppe arbeiten kann?

Selber ein bisschen Kinder geblieben zu sein, ist sicher gut. Etwas zuzulassen, auf das Rumalbern eingehen zu können, sich zurück nehmen zu können. Fachlich ist es wichtig, dass man weiß, wie eine Gruppe zu leiten ist. Kinder sind individuell, bringen individuelle Fertigkeiten mit und so muss man dann auch auf sie eingehen. Ein Rundumblick ist wichtig, damit niemand runterfällt Offen zu sein für Kritik ist genauso wichtig.

Was hast du dir mitgenommen?

Mein Interesse an inklusiver Arbeit ist gewachsen. Wir haben auch gerade im Büro gesponnen, wie das nächste Projekt aussehen könnte. Diese Ideen kommen aus dem Vorfeld der Planung und aus dem Erleben der Woche. Ich habe mir mitgenommen, wie eine Gruppendynamik immer wieder neu entsteht, auch bei uns Erwachsenen. Ich hätte mir mehr Austausch gewünscht zwischen uns Erwachsenen. Wie der Tag war und was wir uns mitnehmen. Dass es gut läuft sollte man genießen und das miteinander teilen.

Interview 4: Anne

Wie hat dir das Projekt gefallen?

Mir hat das Projekt sehr gut gefallen. Am Anfang war ich unsicher, ob ich überhaupt Lustdarauf hab. Aber schon der erste Tag war super, die Kinder waren toll. Ich fand es gut, dass wir so viele Betreuer waren. Da konnte man sich mal rausnehmen und hatte nicht das Gefühl, dass man die Kinder 24 Stunden betreuen muss. Das Projekt ist eine sehr schöne Idee.

Was war anders im Vergleich zu anderen Kindergruppen?

Ich habe schon viel Erfahrung gemacht. Ich fand es gar nicht so anders. Streitigkeiten sind normal. Sie hatten teilweise gute Strategien damit umzugehen. Es war nicht anders, nur weil da vielleicht ein paar autistische Kinder dabei waren dass man da jetzt nen übelsten Unterschied gemerkt hätte, dass die sich anders verhalten zueinander im Gruppengefüge oder auch uns gegenüber.

Wenn du das Projekt noch mal planen dürftest, was würdest du anders machen?

Das weiß ich gar nicht. Ich fand die Vielseitigkeit der Angebote sehr gut. Die Kinder waren auch sehr selbstständig. Das Team war sehr aufgeschlossen. Wir haben uns einfach gut ergänzt.

Wie müsste ein Team sein, damit eine heterogene Gruppe Potential entfalten kann?

Die Teamer waren sich sehr einig in den Einstellungen zum Verhalten der Kinder, wie man den Kindern begegnet, was man durchgehen lässt usw. Wir waren uns einig, dass wir viel Freiraum lassen, haben alles offen kommuniziert. Alle konnten sich einbringen, vor allem in den Feedbackrunden. Ich als Praktikantin habe keine Hierarchien empfunden. Jeder hat alles gemacht. Das Wichtigste ist permanentes Miteinander und Austausch. Die Kommunikation ist ganz wichtig.

Welche Erkenntnisse nimmst du dir mit?

Ich fand gut, wie einige auf Kinder reagiert haben. Ich habe mir einige Reaktionen abgeschaut. Es hat sehr viel Spaß gemacht.

Interview 5: Jördis

Wie hat dir das Projekt bis hierher gefallen?

Mir hat es sehr gut gefallen. Ich fand es sehr entspannt, gerade weil wir so viele Betreuer waren. Wir hätte nicht weniger sein dürfen, damit sich jeder mal rausnehmen kann und nicht permanent zu hundert Prozent Verantwortung trägt.

Also war es manchmal anstrengend?

Ich war nicht so stark involviert und fand das daher nicht so anstrengend.

Hast du Unterschiede zu anderen Gruppen die du kennst festgestellt?

Man hat schon einen engeren Kontakt zu den Kindern, da einige in der TV- Redaktion arbeiten. Es ist schon auch noch mal anders, weil wir Kinder mit Autismus dabei haben. Der Betreuungsaufwand ist dadurch höher. Wenn jemand mal den Raum verlassen muss, um einen Konflikt zu klären. Der Umgang untereinander ist nicht so anders. Sowohl zwischen den Kindern, als auch zwischen uns und den Kindern.

Welches Potential kann aus einer solchen heterogenen Gruppe entstehen?

Die einzelnen Potentiale kann man besser ausschöpfen, wenn man so im Team arbeitet. Aufgaben können verteilt werden, auch von den unterschiedlichen Interessen her betrachtet. Die Kinder helfen sich da auch untereinander sehr. Die Altersunterschiede sind eher Vorteile. Das Mädchen - Jungs - Gefälle ist allerdings nicht ganz einfach. Die Jungs wollen sich mehr raufen und da ist Melissa eher außen vor. Diese Problematik ist aber die einzige, die ich sehe. Melissa ist aber in keiner Außenseiterposition.

Was haben wir als Teamer gut gemacht, was können wir verändern?

Die Rollenaufteilung war sehr gut, sodass die Verantwortlichkeiten gut verteilt waren. Unsere Truppe ist ja auch heterogen. Medienpädagogen, Sozialpädagogen und Heilpädagogen. Wir sind eher ergebnisorientiert und die Sozial- oder Heilpädagogen sind eher prozessorientiert. Da treffen auch schon mal irgendwie zwei Welten zusammen. Diese Mischung ist aber schon spannend und hat Potential. Was wir nicht so gut gemacht haben, fällt mir spontan gerade nichts ein.

Wie hast du das empfunden, dass wir den Kindern so viel Freiraum gegeben haben? Sind sie damit gut umgegangen?

Teils teils. Vor allem bei der Ideenfindung hat das sehr gut geklappt. Ich dachte, dass es da mehr Reibereien gibt. Nach dem Motto, den Fockeberg hätte ich lieber gemacht oder so. Die Kinder verlangen aber auch sehr danach, dass wir eine gewisse Struktur vorgeben, ein Zeitfenster. Aber ich denke mit einem relativ freien Ablauf, in den sie noch eingreifen können, kommen sie sehr gut vgzu Recht.

Was nimmst du dir aus den Projekttagen mit?

Aus dem Rückblick lässt sich das ja immer besser sagen. Aber ich denke, ich bin offener, toleranter Fremden gegenüber. Wir als Medienpädagogen haben ja sonst wenig mit behinderten Kindern zu tun. Da hat man natürlich immer eine gewisse Scheu. Deswegen find ichs auch so wichtig, dass man auch auf Betreuungsseite nicht nur Leute hat, die einfach tagtäglich mit behinderten oder irgendwie beeinträchtigten Kindern und Erwachsenen oder was auch immer zu tun haben sondern da eben auch noch ein bisschen Vielfalt reinbringen weil das soll ja auch irgendwie Ziel sein also das sehe ich hinter dem Projekt, dass es für uns alle ein Stückweit normaler ist, dass es einfach Menschen gibt, die ganz unterschiedlich sind."

Interview 6: Julia

Wie hat dir das Projekt gefallen?

Ich war im Vorfeld sehr aufgeregt, weil ich ja die Idee zu "Eine Stadt für Kinder" hatte und daher ein bisschen angespannt war, wie die Tage so werden würden. Ob die Teilnehmenden und auch die Begleitenden ihre Freude am Projekt haben würden und ob organisatorisch alles gut laufen würde, das habe ich mich gefragt. Jetzt kann ich aber sagen, dass alles viel schöner war, als ich mir das vorgestellt habe. Die Kinder und Jugendlichen machen den Eindruck, als ob sie wirklich gern dabei gewesen wären und die Teamer sagen alle, dass das Projekt ein voller Erfolg ist und dass sie gerne dabei waren.

Hast du Unterschiede zu anderen Gruppen die du kennst festgestellt?

Ich habe gemerkt, dass ich ein bisschen anders sensibilisiert war für die einzelnen Kinder. Ich kannte ja alle Teilnehmenden aus der Autismusambulanz schon aus dem Projekt des letzten Jahres. Daher hatte ich eine Vorstellung, welche Schwierigkeiten auftreten könnten. Im Vergleich zu der Gruppe vom Filmprojekt habe ich aber nicht festgestellt, dass etwas doll anders gewesen wäre. Das war aber auch schon eine inklusive Gruppe. Mir hat sehr imponiert, dass sich alle echt Mühe gegeben haben, miteinander eine schöne Zeit zu verbringen und die Reflektiertheit in so jungem Alter hat mich beeindruckt.

Welches Potential kann aus einer solchen heterogenen Gruppe entstehen?

Ich habe selber in einer Klasse gelernt, in der zwei Kinder mit Behinderung unterrichtet wurden. Mich hat das sehr geprägt, weil ich ab diesem Moment Menschen mit ähnlichen Lebenserschwernissen immer in Verbindung mit meinen beiden Klassenkameraden gebracht habe. Ich denke, dass jeder, der solche Erfahrungen machen kann, anders auf seine Mitmenschen schaut und vielleicht eher vertraut ist mit Anderssein. Vielleicht kann das nicht in einem viertägigen Projekt geschehen, aber ich denke, wenn solche Projekte etabliert sind, können junge Menschen einen sehr anerkennenden Umgang mit Anderen entwickeln.

Was haben wir als Teamer gut gemacht, was können wir verändern?

Wir haben sehr gut harmoniert. Irgendwie konnte jeder seine Persönlichkeit einbringen und ganz frei tätig sein. Ich habe uns als sehr gleichberechtigt empfunden. Meine Sicht auf das Verhalten von Pädagogen ist sehr kritisch geworden, aber mir fällt gerade keine einzige Situation ein, in der ich dachte, dass das nicht ok gewesen wäre, wie gehandelt wurde.

Wie hast du das empfunden, dass wir den Kindern so viel Freiraum gegeben haben? Sind

sie damit gut umgegangen?

Ich habe diesen Ansatz in der Vorbereitung ja sehr stark vertreten, nachdem ein Kollege, dem ich den ersten Projektentwurf gegeben hatte, sagte, dass das so fest geplant nicht ginge. Dann habe ich mich in mich hineinversetzt, wie ich als Kind gerne arbeiten würde. Angebote annehmen oder ablehnen, eigene Vorschläge einbringen, spüren, dass man wichtig ist, so sollte das sein. Ich habe wahrgenommen, dass die Teilnehmenden das sehr, sehr gut gemacht haben. Wir mussten sie kein einziges Mal bremsen, das war alles sehr realistisch.

Was nimmst du dir aus den Projekttagen mit?

Ich habe erneut erfahren dürfen, dass wir junge Menschen viel zu oft unterschätzen, was ihre zwischenmenschlichen Kompetenzen angeht. Sie können ihre Differenzen sehr gut klären und wir Erwachsenen müssen uns da nicht ständig einmischen. Außerdem habe ich erfahren, dass ganz unterschiedliche Menschen gemeinsam eine tolle Zeit verbringen können, wenn sie sich aufeinander einlassen. Und ich habe gelernt, dass die Vorbereitungeines solchen Projektes sehr intensiv sein kann und man da mindestens soviel lernt, wie bei der Durchführung.

Annmerkung: Die Autorin und Interviewerin hat die Fragen schriftlich beantwortet und ist

sich bewusst, dass diese durch die Erwartungen im Kontext der Bachelor - Thesis gefärbt

sein können.

4. Projektablauf

ABLAUFPLAN PROJEKTWOCHE 10. - 13. APRIL 2012 -EINE STADT FÜR KINDER

Stand: 02.04.2012, 16:00 Uhr

DATUM

INHALT

METHODE

VERANTWORTLICHER BEGLEITER

ORGANISATORISCHES

Tag 1 - 10. April 2012

SAEK

08.00 - 08:45 Absprache im Team

 

Alle

 
 

09:00 - 9:45 Begrüßung und Organisatorisches

 

Jördis

Einverständniserklärung, Geld einsammeln, Projektablauf und Ortswechsel, Teilnehmerliste, Einteilung Cateringteam

 

09:15 - 9:45 Kennenlernen

Spielerisches

Anne + Maria

 
 

09:45 - 10:30 Vorstellen des Themas

Workshop

Julia

Was stellt ihr euch vor? Was stellen wir uns vor? Was gibt es für Möglichkeiten? Ergebnisvorstellungen

 

10:30 - 11:30 Erstes "Herantasten" kleine Geräuschesafari mit vorhergehender Technikeinweisung

   

Stadt?

 

11:30 - 12:30 Mittagspause

Gem. Kochen

Jördis

Spaghetti mit Tomatensoße

 

12:30 - 13:30 Ideenfindung

Basteln etc. Workshop

Sarah ? (Alle)

Wie stellt ihr euch eure ideale Stadt vor?

 

13:30 - 14:30 Ideenfindung

Workshop Kleingruppen (?)

Peter (Alle)

Wo ist ein interessanter Ort? Was braucht es, damit du dich wohl fühlst? Gruppeneinteilung ?

 

14:30 - 15:00 Evaluation/ Webblog, Ausblick

Abschlussrunde

Peter, Jördis (Alle)

Was soll morgen anders/ gleich sein? Was soll im Webblog stehen?

Mitbringen am 2. Tag für TN: Rucksäcke für Lunchpakete, Wetterfeste Kleidung, gg. Digitalkameras um Eindrücke festzuhalten:

 

15.00 - 15:30 Absprachen im Team/ Feedbackrunde

 

Alle

 

2. Tag - 11. April 2012

SAEK

08.00 - 08:45 Absprachen im Team

 

Alle

 
 

09:00 - 09:15 Begrüßung, Organisatorisches

Spiel, gem.

Jördis

Gruppeneinteilung ? Zeitabsprachen, Straßenordnung, Regeln?

 

09:15 - 09:45 Mittag vorbereiten

 

Peter

Lunchpakete

 

09:45 - 14:00 Besuch der Orte, Aufnahmearbeiten

Gruppenarbeit

Alle

Warum habe ich den Ort ausgesucht? Was gefällt mir hier, was nicht? Wie soll der Ort sein? Gegenseitige Interviews, Passanten fragen?

 

14:30 - 15:00 Evaluation/ Webblog, Ausblick

AbschlussrundeAnsagen: !!!Achtung: Morgen Treff in Ambulanz

Peter, Jördis (Alle)

Was soll morgen anders/ gleich sein? Was soll im Webblog stehen?

 

15:00 - 15:30 Absprachen im Team, Feedbackrunde

 

Alle

 

3. Tag - 12. April 2012

AuAm,

08:00 - 08:45 Absprachen im Team

 

Alle

Jördis: Material + Essen in Ambulanz

evtl. Besuch verschiedener Pressevertreter oder Kooperationspartner

09:00 - 09:30 Begrüßungsspiel, Organisatorisches

Spiel

Anne + Maria

Tagesplan

 

09:00 - 11:30 Bearbeitung der Audios, kreative Gestaltung des Wunschortes

Basteln

Alle

Modellbau, Wie soll der Ort aussehen? Modellbau, etc

 

11:30 - 12:30 Mittagspause

gem. Kochen

Sarah?

Grießbrei

 

12:30 - 14:30 Bearbeitung der Audios, kreative Gestaltung des Wunschortes

Gruppenarbeit

Peter, Jördis, Praktikantin

Was soll in den Podcast einfließen? Hintergrundgeräusche etc., Modellbau etc.

 

14:30 - 15:00 Evaluation/ Webblog, Ausblick

Abschlussrunde

Alle

Was soll morgen anders/ gleich sein? Was soll im Webblog stehen?

 

15:00 - 15:30 Absprachen im Team, Feedbackrunde

 

Alle

 

4. Tag - 13. April 2012-03-25

AuAm

08:00 - 08:45 Absprachen im Team

 

Alle

 
 

09:00 - 09:30 Begrüßung, Organisatorisches

Spiel

Anne + Maria

Tagesplan

 

09:30 - 11:30 Fertigstellung Podcast

Gruppenarbeit

Alle

 
 

11:30 - 12:30 Mittagspause

gem. Kochen

Julia

Gemüse-/ Hamburger

 

12:30 - 13:30 Vorstellung der Gruppenarbeiten

Workshop

Sarah (Alle)

Wie sieht euer Wunschort aus? Wie sieht unsere Stadt aus?

 

13:30 - 14:00 Vorbereiten der Abschlussveranstaltung

Workshop

Julia

Was haben wir für Ideen? Was stellt ihr euch vor?

 

14:00 - 15:00 Evaluation/ Webblog, Ausblick

Abschlussrunde

Alle

Was haben euch die Projekttage gefallen?

 

15:00 - 15:30 Feedbackrunde

 

Alle

 

Danksagung

Die letzten drei Monate habe ich als sehr intensive Zeit erlebt. Es war sehr spannend so unterschiedliche Momente und Gemütszustände zu erleben - Von höchster Freude über einen gelungenen Absatz bis hin zu Brütereien über irgendeine "ganz wichtige" Formulierung. Ich möchte all den Menschen danken, die mich nicht nur in der Zeit der Erarbeitung meiner Bachelor - Thesis, sondern auch in den drei Jahren meines Studiums unterstützt, inspiriert und getragen haben.

Ein Dankeschön geht an meine Professorinnen und Professoren - Frau Blin, Frau Römer, Herr Jödecke und Herr Störmer. Sie haben einen Raum gestaltet, der mir meinen Weg zu einem Verständnis von Gemeinschaft und Miteinander bereitet und mich als Inklusionsund Heilpädagogin geprägt hat.

Ich möchte meiner Familie danken - meinen Eltern, Geschwistern und Großeltern - die unzählige Arbeiten Korrektur gelesen haben, immer ein offenes Ohr für meine Erlebnisse und Erkenntnisse hatten und mich auf jede erdenkliche Art und Weise auf meinem Weg begleitet haben.

Ein Dankeschön geht auch an meine Hospifamilie, die mein Leben in der neuen Heimat so sehr bereichert hat und mir in den letzten Monaten mit ihrer liebevollen Atmosphäre nicht nur eine wundervolle Ersatzbibo ermöglichte.

Ich bedanke mich bei Marietta und Daniel sowie Sabrina und Dan für ihre wunderbare Freundschaft, die mich sehr getragen hat und es hoffentlich noch lange tun wird. Und ich möchte Daniela danken, die mich mit ihrer Sicht der Dinge und ihrer Anwesenheit sehr bereichert hat.

Danke Ferenc für dein Wesen und deine Freundschaft. Ich bin mir sicher, dass viele meiner geistigen Höhenflüge nur zustande kamen, weil du pausenlos neben mir gesessen und deine großartige Arbeit verfasst hast.

Danke Benny - dafür, dass du an meiner Seite bist.

Selbstständigkeitserklärung

Ich versichere, dass die vorliegende Arbeit ohne fremde Hilfe angefertigt wurde und ich mich keiner anderen als der von mir angegebenen Hilfsmittel und Literatur bedient habe. Im Rahmen einer Prüfung wurde das Thema von mir noch nicht schriftlich bearbeitet. ...........................................

Julia Wenzel

Quelle:

Julia Wenzel: Das aus heterogenen Kindergruppen erwachsende Potential für ein inklusives Wachstum unserer Gesellschaft. Bachelorarbeit Studiengang Heilpädagogik/ Inclusion Studies Abgabe: 22. Juni 2012

bidok - Volltextbibliothek: Erstveröffentlichung im Internet

Stand: 14.05.2013

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