Arbeit in demokratischen Unternehmen: Ihr Potenzial für eine demokratische Gesellschaft

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Erschienen in: Zeitschrift für Sozialpsychologie und Gruppendynamik in Wirtschaft und Gesellschaft, 1/2015, Wien, ISSN: 0254-928X Zeitschrift für Sozialpsychologie und Gruppendynamik in Wirtschaft und Gesellschaft (1/2015)
Copyright: © Wolfgang G. Weber und Christine Unterrainer

Abbildungsverzeichnis

    1. Geschichte und Aktualität von Wirtschaftsdemokratie als Alternative zur ”Postdemokratie”

    Das gegenwärtig in den Gesellschaftswissenschaften stark diskutierte „postdemokratische“ Syndrom (Crouch, 2008) ist neben Anderem dadurch gekennzeichnet, dass die parlamentarische Legislative und die weiteren demokratischen Institutionen zwar formell aufrecht erhalten bleiben, die in parlamentarischer Volkssouveränität zu treffenden Entscheidungen jedoch zunehmend begrenzt sind, ohne dass dies breiten Kreisen der Bevölkerung bewusst würde. Für die Gesellschaft, ihre politische Regulierung und ihr Sozialsystem hochrelevante strategische Entscheidungen gehen dabei faktisch in die Gewalt von nicht demokratisch legitimierten, häufig international agierenden, Wirtschaftsinstitutionen oder spekulativen Finanzakteuren einer politisch-ökonomisch mächtigen Elite über. Demokratische Parlamente geraten, unter dem impliziten Diktat „wirtschaftlicher Sachzwänge“ immer stärker unter Druck, die durch „postdemokratische“ Akteure getroffenen Vorentscheidungen nachträglich zu bestätigen. Auch Aktionäre und Top Manager/innen von Großunternehmen versuchen sich diese Entwicklung zunutze zu machen, indem sie die Mitbestimmung der Belegschaften und ihrer Repräsentanten bekämpfen. In den letzten Jahren entwickelte sich in den deutschsprachigen Ländern eine neue Diskussion um Wirtschaftsdemokratie (z.B. Meine, Schumann & Urban, 2011) als langfristiger Alternative, um der grob skizzierten Entwicklung Einhalt zu gebieten.

    Wirtschaftsdemokratie bildet ein vielfältiges Bündel von Modellen und Werkzeugen zur sozialen Regulierung von Marktwirtschaften (unterschiedlichen Typs). Im vorliegenden Beitrag soll gezeigt werden, inwiefern demokratisch verfasste Unternehmen einen Baustein der Wirtschaftsdemokratie und der gesellschaftlichen Kohäsion bilden können. Unterschiedliche Konzepte der Wirtschaftsdemokratie entstanden besonders in Europa und USA im Zuge der Arbeiter- bzw. Genossenschaftsbewegungen im 19. Jahrhundert als Gegenkraft zum Manchester-Kapitalismus. Auch humanistisch gesinnte Reformunternehmer wie Robert Owen leisteten durch die Umsetzung von konkreten Unternehmensutopien damals einen nicht zu unterschätzenden, bis heute existierenden Beitrag (siehe http:/www.newlanark.org/). Wirtschaftsdemokratische Ideen erlangten dann wieder, z.B. im Zuge der demokratischen Rätebewegung (die übrigens bereits in der frühen „Sowjet“-Union durch den Stalinismus ausgerottet wurde) in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg – auch in Österreich (siehe die gemein-wirtschaftlichen Institutionen im „Rote Wien“ Otto Bauers, Rudolf Hilferdings und Max Adlers sowie die Schaffung der Arbeiterkammern 1920) – eine gewisse Bedeutung. Sie beeinflussten nach der Katastrophe des nazi-faschistischen Weltkriegs die Grundsatzprogramme mancher Gewerkschaften und das deutsche Mitbestimmungsgesetz und tauchten zunächst ab den 1950-er Jahren in der jugoslawischen Arbeiterselbstverwaltung, Anfang der 70-er Jahre in demokratisch-sozialistischen Reformprojekten (exemplarisch: der damalige skandinavische Dritte Weg) und Reformunternehmen sowie Ende der 70-er Jahre in basisdemokratischer Gestalt in den zahlreichen selbstverwalteten Alternativbetrieben der „Dualwirtschaft“, und auch in Programmen grüner Parteien wieder auf.

    Im Zuge der marktfundamentalistischen politischen Hegemonie „neoliberaler“ Politikfähigkeit verschwand in den 1990-er Jahren die Vorstellung, bestimmte Wirtschaftsabläufe könnten demokratisch reguliert und vergesellschaftet werden, fast aus der politischen Arena. Die gegenwärtige globale Krise des (noch) schwach regulierten Finanzkapitalismus und die reale Chance des Zusammenbruchs seiner sozialdarwinistischen, tendenziell antidemokratischen, pseudoindividualistischen und sozial gleichgültigen Ideologie ermöglicht eine überraschende Renaissance wirtschaftsdemokratischer Konzepte, die wenigstens in ersten Ansätzen erkennbar wird, z.B. in Initiativen zur Finanzmarktkontrolle. Der diesbezügliche politische Diskurs wirkt von zivilgesellschaftlichen Organisationen (z.B. Solidarische Ökonomie, attac, gewerkschaftliche Diskussionen in der GPA bzw. IG Metall, verdi) in Parteien hinein und hat deshalb Chancen, längerfristig gesellschaftspolitisch wirksam zu werden. Der Diskurs ist „lagerübergreifend“ und reicht von christlich-sozialethischen, über grünalternative bis zu demokratisch-sozialistischen Beiträgen.

    Die Ziele, welche durch Wirtschaftsdemokratie angestrebt werden, sind vielfältig (siehe Vilmar & Weber, 2004). Sie repräsentieren den Versuch eines Dritten Wegs jenseits fundamentalistischer Varianten des Sozialismus und des Kapitalismus. Es wird ein gesellschaftlicher Ausgleich zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik angestrebt. Dabei sollen die vom Wirtschaften betroffenen Akteursgruppen (z.B. ArbeiterInnen und Angestellte, Management, Kapitaleigner, KonsumentInnen, Umweltschutz, BürgerInnenrechtsinitiativen) auf unterschiedlichen Ebenen direkt oder über RepräsentantInnen an der Regulierung makrowirtschaftlicher und unternehmensbezogener Prozesse beteiligt werden. Hierdurch sollen demokratische und humanistische Grundwerte wie Schutz der Gesundheit und Umwelt, Menschenwürde, Mitbestimmung, Gerechtigkeit und Solidarität auch im Bereich der Wirtschaft besser umgesetzt werden. Wirtschaftsdemokratische Reformen, wie sie insbesondere in kontinental-europäischen Staaten der 70-er Jahre, aber mitunter auch in Osteuropa (Prager Frühling 1968 unter Ota Šik; jugoslawische Arbeiterselbstverwaltung unter Tito) ansatzweise versucht wurden, strebten Ziele an wie die bessere Einkommens- und Vermögensgerechtigkeit, den Schutz der Demokratie vor wirtschaftlicher oder politisch-bürokratischer Machtkonzentration und vor einer Unterstützung totalitärer Tendenzen durch Wirtschaftsführende (Beispiele: österreichischer Ständestaat; Weimarer Republik). Auch die Erziehung zur politischen Mündigkeit in Betrieben und ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen sozialpolitischen und betriebswirtschaftlichen Anliegen bei Wirtschaftsentscheidungen auf Ebene der Gesellschaft und des Unternehmens (Nachhaltigkeit und Arbeitsplatzerhalt statt Finanzspekulation und Profitmaximierung) gehören dazu. Wirtschaftsdemokratische Modelle berücksichtigen durchaus auch wirtschaftliche Ziele wie die Förderung des wirtschaftlichen Denkens und Handelns der Beschäftigten (z.B. Problemlösekompetenz, Innovativität, Wissensaustausch, Flexibilität), die Verringerung volkswirtschaftlicher Schäden durch egoistisches Wirtschaften (z.B. führungs-/arbeitsbedingte psychosoziale Störungen; Umweltschäden; Abbau sozialer Dienstleistungen). Wirtschaftsdemokratische Ziele schließen auch die humane Arbeitsgestaltung ein.

    Wirtschaftspsychologische Modelle versuchen einen schwierigen Kompromiss zu leisten, nämlich Wettbewerb (mittels individuellem sowie kollektivem Unternehmertum) soweit wie gesellschaftlich verträglich zuzulassen und dabei Planung und Steuerung soweit wie nötig (Schutz des Gemeinwohls) zu leisten. Die demokratische Mitentscheidung, an welcher die abhängig Beschäftigten als wesentliche Erzeuger der Wirtschaftsleistungen besonders teilhaben sollen, geschieht natürlich auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlicher Intensität. Werkzeuge bei der Umsetzung von Wirtschaftsdemokratie können beispielsweise sein (siehe Demirovic, 2007; Meine et al., 2011; Vilmar & Weber, 2004):

    • Transnationale demokratische Kontrolle und Regulierung der Finanzmärkte und Geldpolitik;

    • volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, auch auf europäischer Ebene;

    • Branchenrahmenplanung und direkte oder indirekte (über zweckgebundene Subventionen und Steuern) Kapital- und Investitionslenkung, z.B. durch paritätische Wirtschafts-, Sozial- und Umwelträte, paritätische Mitbestimmung in Aufsichtsräten und Vorständen, unter Teilnahme von BetroffenenrepräsentantInnen (z.B. Staat, Gemeinden, Unternehmen, Gewerkschaften, prekär Beschäftigte, Erwerbslose, Initiativgruppen der Zivilgesellschaft, z.B. attac, Initiative für Gemeinwohlökonomie, Umweltschutzverbände, Fair Trade);

    • gemeinwohl-bezogene Steuerrechtsreform, produktivkapital-/ KMUorientierte Investitionsfonds (Einbezug von Sozial-, Umwelt-, Ethikkriterien) bzw. Pensionsfonds; soziale und ökologische Steuerpolitik (inkl. gerechte Einkommens- und Vermögenspolitik);

    • öffentlich-demokratische Kontrolle (tendenziell realisiert bei echten Ethik- bzw. Genossenschaftsbanken) bzw. Machtentflechtung besonders im Bereich von finanz-, energiewirtschaftlichen, Nahrungsmittel- und Infrastruktur-Oligopolen;

    • Ausbau demokratisch (anstatt proporz-) geführter öffentlicher, gemeinwirtschaftlicher sowie genossenschaftlicher Unternehmen, Rücknahme einseitig renditefixierter Privatisierungen; - gesetzliche Initiativen zur Demokratisierung der Betriebsverfassung (z.B. paritätische Mitbestimmungsgesetze);

    • Förderung der umfassenden Beteiligung von Arbeitenden am Produktivvermögen;

    • nachhaltige Beschäftigungs- und Unternehmenspolitik (statt am Shareholder Value orientierter „Wirtschaftlichkeit“);

    • Mindestlohn, im Umfang einer sozialen Grundsicherung auf zivilisatorischem Niveau.

    Sicherlich wird eine gesellschaftsweite Realisierung dieser Elemente eine sehr langfristige und internationale Perspektive der Kooperation, entsprechendes Engagement und evolutionäre Lernprozesse großer Bevölkerungsteile benötigen. Dies scheint ziemlich fern. Dass Wirtschaftsdemokratie im Prinzip ökonomisch realisierbar ist, belegen Großversuche wie Mondragon CC (Baskenland; siehe Hafner, 2009) oder das nur mit erheblicher Mühe seiner Gegner gestoppte schwedische Modell der 1970-er Jahre. Spannende Anregungen für eine makroökonomische Absicherung von demokratischen Unternehmen böten die im Rahmen der damaligen schwedischen Wirtschaftspolitik von Rudolf Meidner konzipierten und nur ansatzweise umgesetzten Arbeitnehmerfonds, die auf Ideen von Rudolf Hilferding und Karl Polanyi zurückgreifen. Auf Basis einer Gewinnbesteuerung sollten diese Fonds eine umfassende Produktivkapitalbildung im Besitz der Beschäftigten verwirklichen. Mit Hilfe der durch Gewerkschaften und kommunale Institutionen kontrollierten Fonds sollte nicht nur der Wohlfahrtsstaat finanziert werden, sondern es wurde als wirtschaftsdemokratische Gegenmachtbildung auch angestrebt, nach und nach substanzielle Anteile an dominierenden Konzernen und Großunternehmen zu erlangen (Blackburn, 2006).

    Arbeits- bzw. Sozialgenossenschaften und sonstige demokratische Unternehmen in Beschäftigtenhand können ein demokratisches Steuerungsorgan der Wirtschaftsdemokratie auf der mesoökonomischen Ebene bilden (siehe Vilmar & Weber, 2004). Auch im deutschsprachigen Raum findet sich ein vielfältiges Spektrum von partizipativen bis hin zu demokratischen Unternehmenstypen (siehe Weber, Unterrainer & Höge, 2008; Pullig, 2000):

    1. Genossenschaftsunternehmen einer Ergänzungsgenossenschaft (z.B. Raiffeisenbetriebe)

    2. Partnerschaftsunternehmen mit stark erweiterter Mitsprache und oftmals Beteiligung der Beschäftigten am Gewinn und/oder Produktivkapital (z.B. GEA / Waldviertler Schuhwerkstätten in Österreich und Deutschland; Stasto KG in Innsbruck; viele Betriebe der „Gemeinwohlökonomie“: http://www.gemeinwohloekonomie.org)

    3. Großunternehmen mit paritätischer gesetzlicher Mitbestimmung (im deutschen Bergbau und Stahlindustrie sowie Volkswagen AG in Deutschland)

    4. Konventionell geführte Belegschaftsunternehmen bzw. konventionell geführte Produktivgenossenschaften (z.B. Tischlerei Passeier in Südtirol)

    5. Demokratisch strukturierte Produktivgenossenschaften (z.B. MalDek in Wien; Sprachschule Alpha & Beta in Südtirol) (6) Demokratisch verfasste Reformunternehmen (z.B. Tele-Haase Steuergeräte Ges.m.b.H. in Wien; Hoppmann GmbH in Siegen (D); Trisa AG in Tiengen in der Schweiz)

    6. Selbstverwaltete basisdemokratische Unternehmen in Belegschaftsbesitz (z.B. Hermes FahrradbotInnen in Wien; Cafe Ruffini GmbH in München; Oktoberdruck in Berlin)

    7. Kommunitäre, kibbuzähnliche Arbeits- und Lebensgemeinschaften (z.B. die christlichen Basisgemeinden Wulfshagener Hütte und Prenzlauer Berg in Deutschland).

    Nach verschiedenen Schätzungen existierten in den frühen 1990-er Jahren in West-Deutschland zwischen 3000 und 12000 selbstverwaltete Unternehmen mit durchschnittlich 7 bis 9 Beschäftigten sowie ca. 400 ostdeutsche Produktivgenossenschaften. Die Zahl der selbstverwalteten Unternehmen in Belegschaftsbesitz wurde Ende der 1980-er-Jahre für Österreich auf etwa 70 veranschlagt. Staaten wie Italien, Frankreich, Spanien oder Großbritannien weisen dagegen eine viel höhere Dichte an Genossenschaften in Beschäftigtenbesitz auf: So umfasst das Europäische Komitee der Produktiv- und Sozialgenossenschaften ca. 60.000 Unternehmen mit 1,5 Mio Beschäftigten (http://www.ica.coop/al-ica). Sowohl für Europa insgesamt als auch für Deutschland (Überblick hierzu: Vilmar & Weber, 2004) ist das längere wirtschaftliche Überleben, die höhere Beschäftigungssicherheit sowie die stärkere strategische Mitentscheidung der Beschäftigten im Vergleich zu hierarchischen, autoritär geführten klein- und mittelständischen Unternehmen durch wissenschaftliche Untersuchungen gut belegt. Die über 100-jährige Geschichte demokratischer Unternehmen deutet trotz aller ihrer Probleme an, dass ein humaneres und demokratischeres Wirtschaften im Prinzip möglich ist.

    2. Das Innsbrucker Forschungsprogramm ODEM: Befunde zum psychologischen Wirkpotenzial von demokratischen Unternehmen

    Das an der Universität Innsbruck durchgeführte Forschungsprogramm ODEM (Organisationale Demokratie – Ressourcen für soziale, demokratieförderliche Handlungsbereitschaften) untersucht partizipativ bzw. demokratisch strukturierte Betriebe und deren psychologisches Wirkpotenzial. ODEM geht der Frage nach, inwiefern verschiedene Formen von organisationaler Demokratie und ein wertschätzendes (soziomoralisches) Organisationsklima demokratische und sozial verantwortliche Einstellungen und Handlungsorientierungen der Beschäftigten fördern. Es geht darum zu untersuchen, ob Arbeitende, wenn sie Gelegenheit haben, an anspruchsvollen Entscheidungen in ihrem Unternehmen demokratisch mitzuwirken, längerfristig Handlungsorientierungen entwickeln, die ihr soziales und demokratisches Engagement in der Gesellschaft wahrscheinlich machen. Das Programm startete im März 2004[1] und ist weiterhin aktiv. Bis dato kann es grob in vier Untersuchungsreihen zusammengefasst werden, von denen wir drei im folgenden Abschnitt überblicksmäßig beschreiben werden. Die detaillierten theoretischen und methodischen Überlegungen sowie Analysen können in den im Folgenden genannten Originalartikeln nachgelesen werden.

    2.1 Stichprobenbeschreibungen

    In der ODEM-Untersuchungsreihe A wurden 30 hierarchisch und demokratisch strukturierte Betriebe aus Österreich, Deutschland und Italien (Südtirol) mit insgesamt 542 teilnehmenden MitarbeiterInnen analysiert (Originalartikel: Weber, Unterrainer & Höge, 2008; Weber & Unterrainer, 2013).Die ODEM-Untersuchungsreihe B (Originalartikel: Pircher Verdorfer, Weber, Unterrainer & Seyr, 2013) verglich demokratische und hierarchische Betriebe in Südtirol. In Zusammenarbeit mit dem Bund der Genossenschaften Südtirols (Legacoopbund) konnten für die Studie fünf demokratische und fünf hierarchische Klein- und Mittelbetriebe gewonnen werden. In diesen 10 Betrieben wurden 285 Arbeitende untersucht. Diese Stichprobe ist völlig unabhängig von den Stichproben der Untersuchungsreihen A und C. Für die ODEM-Untersuchungsreihe C (Originalartikel: Weber, Unterrainer, & Schmid, 2009) wurden Daten von 325 aus Österreich, Deutschland und Italien (Südtirol) stammenden Beschäftigten in 22 demokratisch strukturierten Betrieben analysiert. Die TeilnehmerInnen dieser Studie waren Arbeitende aus Unternehmen mit variierendem organisationalen Demokratieniveau. MitarbeiterInnen aus hierarchisch strukturierten Betrieben wurden erst in der zeitlich nachgelagerten Untersuchungsreihe A untersucht.

    2.2 Verwendete Verfahren

    Zur Datenerhebung wurden strukturierte Interviews, Dokumentenanalysen und standardisierte Fragebogen mit hinreichender Reliabilität und Validität (siehe dazu Pircher Verdorfer et al., 2013; Unterrainer et al., 2011; Weber & Unterrainer, 2012; Weber et al., 2008; Weber et al., 2009) eingesetzt. Die verwendeten Messverfahren unterschieden sich teilweise in den Untersuchungsreihen A-C. Insgesamt setzten wir folgende Verfahren ein:

    Strukturell verankerte Organisationale Demokratie – demokratische Unternehmenstypologie: Zur Erhebung der strukturell verankerten Organisationalen Demokratie (OD) wurden betriebliche Dokumente analysiert und Leitfadeninterviews mit den GeschäftsführerInnen bzw. Vorstandsmitgliedern durchgeführt. Jedes partizipativ oder demokratisch geführte Unternehmen konnte damit, je nach Niveau (z.B. Mitwirkung der abhängig Beschäftigten, paritätische Mitbestimmung in Gremien oder basisdemokratische Selbstbestimmung), Direktheit (vs. repräsentativ) und Reichweite (taktische oder strategische Entscheidungen) der Entscheidungsbeteiligung seiner Beschäftigten einem Demokratietyp zugeordnet werden. Die ursprüngliche Unternehmenstypologie umfasst acht Betriebstypen mit unterschiedlichem Ausmaß an strukturell verankerter OD (zusammengefasst in Abschnitt 1). Der Grad des Belegschaftseinflusses nimmt von Unternehmenstyp (1) bis Typ (8) tendenziell zu.

    Weiterentwicklung der U-Typologie: In Untersuchungsreihe D analysierten wir mit Hilfe unserer Projektpartnerin Prof. Michal Palgi (University of Haifa und Emek Yezreel College) auch Arbeitende in Kibbutzbetrieben in Israel. Viele Kibbutzbetriebe erlitten seit Jahren Strukturveränderungen (Palgi, 2004) und nur ein kleinerer Teil der hoch-demokratischen Kibbuzim existiert heute noch. Die revidierte Version der Unternehmenstypologie umfasst nun 10 Unternehmenstypen (detailliert beschrieben bei Unterrainer et al., 2011).

    • Individuell wahrgenommene OD: Das Verfahren zur Messung der individuell wahrgenommenen OD wurde im ODEM-Projekt neu entwickelt und fragt die Arbeitenden nach deren tatsächlicher, wahrgenommener Partizipation an strategischen (langfristigen), taktischen (mittelfristigen) und operativen (kurzfristigen) Unternehmensentscheidungen. Der Fragebogen besteht aus 43 Items, welche mit Hilfe des Influence Power Continuums (IDE, 1981) auf einer 5-stufigen Likert-Skala bewertet wurden (1 = Ich bin überhaupt nicht daran beteiligt; 2 = Ich werde darüber informiert, bevor die Sache entschieden wird; 3 = Ich kann meine Meinung dazu vortragen; 4 = Meine Meinung wird in die Überlegungen miteinbezogen; 5 = Ich nehme gleichberechtigt an der Entscheidung teil).

    • Soziomoralische Atmosphäre (anerkennendes Betriebsklima): Zur Erhebung der soziomoralischen Atmosphäre wurde im Rahmen des ODEM-Projekts ein Fragebogen mit insgesamt 16 Items entwickelt (Weber et al., 2008). Dieses Screeningverfahren erfragt folgende vier Komponenten: a) Offene Auseinandersetzung mit sozialen Problemen und Konflikten; b) Zuverlässig gewährte Wertschätzung, Zuwendung und Unterstützung; c) Gelegenheit zur zwanglosen Kommunikation und partizipativen Kooperation und d) Angemessene Zuweisung von Verantwortung.

    • Vorberufliche Sozialisationserfahrungen: Die vorberuflichen Sozialisationserfahrungen beziehen sich auf das erinnerte elterliche Erziehungsverhalten und wurden mit den drei Indikatoren a) Emotionale Wärme, b) Ablehnung und Strafe und c) Erinnerter demokratischer Erziehungsstil erhoben.

    • Prosoziale Handlungsbereitschaften: Prosozialen Handlungsbereitschaften erfragten wir mit den Indikatoren a) Prosoziales Arbeitsverhalten, b) Perspektivenübernahme bzw. Empathie und c) Solidarität am Arbeitsplatz.

    • Gemeinwesenbezogene und demokratische Wertorientierungen: Diese Wertorientierungen sind für den Erhalt demokratischer Gesellschaften elementar. Sie beziehen sich auf den Schutz der Menschenwürde, die Sorge für Andere und für das öffentliche Wohl, das Engagement für Arme und Unterdrückte; weiterhin auf die Bereitschaften zur Verteidigung demokratischer Institutionen, Minderheitsrechte zu unterstützen, an Protestaktionen teilzunehmen sowie auf die Toleranz gegenüber abweichenden Lebenszielen und Meinungen. Gemeinwesenbezogene Wertorientierungen wurden ebenfalls mit drei Skalen erfasst: a) Humanitär-egalitäre Ethik, b) Demokratische Engagementorientierung und c) Selbstwirksamkeit hinsichtlich der Schaffung bzw. Bewahrung einer gerechten Welt.

    • Organisationales Commitment: Vom Konzept des organisationalen Commitments, nämlich der Bindung von Arbeitenden an die Ziele und Werte ihres Unternehmens, kamen die beiden Dimensionen Affektives und Normatives (pflichtbetonendes) Commitment zum Einsatz.

    2.3 Ergebnisse

    ODEM-Untersuchungsreihe A

    In dieser Untersuchungsreihe gingen wir der Frage nach, ob sich Betriebe mit strukturell unterschiedlichem Demokratiegrad darin unterscheiden, wie die Beschäftigten ihre tatsächlich ausgeübte Mitbestimmung, die soziomoralische Atmosphäre (wertschätzendes Betriebsklima), ihre prosozialen Handlungsbereitschaften sowie gemeinwesenbezogenen Wertorientierungen und ihre Bindung an ihren Betrieb wahrnehmen. Zudem untersuchten wir auch, ob sich die MitarbeiterInnen in Betrieben mit unterschiedlich ausgeprägter soziomoralischer Atmosphäre im Erleben der gerade genannten Phänomene unterscheiden. Dabei wurde ein multivariates, varianzanalytisches Untersuchungsdesign gewählt und 30 Unternehmen auf Basis der Unternehmenstypisierung in drei Gruppen unterteilt (siehe Tabelle 1). Gruppe 1 beinhaltet die hierarchisch organisierten Betriebe, Gruppe 2 die sozialen Partnerschaftsbetriebe und konventionellen Produktivgenossenschaften (U2 + U4) und Gruppe 3 die Produktivgenossenschaften mit Komponenten direkter Demokratie, demokratische Reformunternehmen und selbstverwaltete Betriebe (U5, U6 + U7). Ursächlich für die Zuordnung der Unternehmenstypen zu den dargestellten Gruppen ist der Grad an organisationaler Demokratie in den jeweiligen Unternehmenstypen. Unternehmenstyp U2 und U4 sind durch deutlich weniger demokratische Strukturelemente gekennzeichnet als Unternehmenstyp 5, 6 und 7. Die Gruppenbildung wurde auch deshalb vorgenommen, weil pro demokratischem Typ teilweise zu wenige Betriebe gewonnen werden konnten.

    Tabelle1. Klassifizierung der teilnehmenden Betriebe nach Unternehmenstyp

    Unternehmenstyp

    Anz. Betriebe

    Anz. TeilnehmerInnen

    Varianzanalytische Gruppe

    Strukt. verank. OD

    Hierarchische Unternehmen

    9

    198

    1

    kein

    U2

    Soziale Partnerschaftsunternehmen

    4

    86

    2

    mittel

    U4

    Konventionell geführte Belegschaftsunternehmen/ Produktivgenossenschaften

    4

    72

    2

    mittel

    U5

    Demokratisch geführte Belegschaftsunternehmen/ Produktivgenossenschaften

    2

    26

    3

    hoch

    U6

    Demokratische Reformunternehmen

    6

    112

    3

    hoch

    U7

    Selbstverwaltete Belegschaftsunternehmen/ basisdemokratische Produktivgenossenschaften

    5

    48

    3

    hoch

    Wie die Gruppenvergleiche zeigen (Abbildung 1), unterscheiden sich hierarchisch strukturierte Betriebe sowie Betriebe mit mittlerer und hoch strukturell verankerter OD statistisch bedeutsam darin, wie die Arbeitenden die tatsächliche Mitbestimmung im Betrieb erleben. In Gruppe 1 (keine OD) werden die MitarbeiterInnen am wenigsten an operativen, taktischen und strategischen Entscheidungen beteiligt. Gruppe 2 (mittlere OD) erreicht statistisch bedeutsam höhere Werte als Gruppe 1 (keine OD) und gleichzeitig bedeutsam niedrigere Werte als Gruppe 3 (hohe OD) in den operativen, taktischen und strategischen Entscheidungen. Die tatsächliche Mitbestimmung der Arbeitenden an betrieblichen Entscheidungen steigt somit kontinuierlich von Gruppe 1 bis Gruppe 3 an (starke Effekte: η² = zwischen ,23 und ,33).

    Abbildung 1. Mittelwerte der betrieblichen Entscheidungen in Betrieben mit unterschiedlichen Demokratiegrad

    Die Grafik wird im Absatz davor beschrieben.

    Unterschiede zwischen Betrieben mit keiner, mittlerer und hoher strukturell verankerter OD hinsichtlich der tatsächlich wahrgenommen Mitbestimmung.

    Abbildung 2 zeigt, dass mit zunehmender struktureller Verankerung der OD im Unternehmen (von keiner OD, über mittlerer OD bis hin zu hoher OD) auch die Mittelwerte der soziomoralischen Atmosphäre im Betrieb steigen. Die durchgeführten Varianzanalysen bestätigen dieses Ergebnis mit einem starken Effekt (η² = ,48).

    Abbildung 2. Mittelwerte der Soziomoralische Atmosphäre in Betrieben mit unterschiedlichem Demokratiegrad

    Die Grafik wird im Absatz davor beschrieben.

    Unterschiede zwischen Betrieben mit keiner, mittlerer und hoher strukturell verankerter OD hinsichtlich der soziomoralischen Atmosphäre.

    Abbildung 3 veranschaulicht den Einfluss demokratischer Unternehmensstrukturen auf die prosozialen und gemeinwesenbezogenen Orientierungen der Beschäftigten und auf deren gefühlsbezogene und normative Bindung an den Betrieb. Der varianzanalytische Vergleich bestätigte, dass sich die drei Gruppen der demokratischen Betriebsstruktur statistisch bedeutsam in der Solidarität am Arbeitsplatz (mittelstarker Effekt: η² = ,15), in der humanitär-egalitären Ethik (schwacher Effekt: η² = ,07), in ihrer Neigung zu demokratischem Engagement (mittelstarker Effekt: η² = ,17), ihrer Selbstwirksamkeit hinsichtlich der Bewahrung einer gerechten Welt (schwacher Effekt: η² = ,02), der gefühlsbezogenen (mittelstarker Effekt: η² = ,14) und normativen (schwacher Effekt: η² = ,05) organisationalen Bindung unterscheiden. Auch bei diesen Merkmalen (Selbstwirksamkeit ausgenommen) konnte ein stetiger Anstieg der Mittelwerte von Gruppe 1 über Gruppe 2 bis hin zu Gruppe 3 beobachtet werden. Hinsichtlich des prosozialen Arbeitshandelns und der Perspektivenübernahme zeigten sich jedoch keine bedeutsamen Gruppenunterschiede.

    Abbildung 3.

    Die Grafik wird im Absatz davor beschrieben.

    Der Einfluss unterschiedlich demokratischer Organisations-strukturen auf prosoziale und gemeinwesenbezogene Handlungsorientierungen sowie auf die Bindung an den Betrieb.

    Der Einfluss der soziomoralischen Atmosphäre auf die prosozialen und gemeinwesenbezogenen Orientierungen der Arbeitenden sowie auf deren affektive und normative Bindung an den Betrieb ist in Abbildung 4 dargestellt. Für den varianzanalytischen Vergleich teilten wir die untersuchten Betriebe hinsichtlich ihrer Ausprägung in der soziomoralischen Atmosphäre in drei Gruppen ein: Gruppe 1 = Betriebe mit einer gering ausgeprägten soziomoralischen Atmosphäre; Gruppe 2 = Betriebe mit einer mittleren Ausprägung der soziomoralischen Atmosphäre; Gruppe 3 = Betriebe mit einer hochgradig ausgeprägten soziomoralischen Atmosphäre. Abbildung 4 zeigt, dass sich die Beschäftigten in Betrieben mit unterschiedlich starker soziomoralischer Atmosphäre hinsichtlich prosozialem Arbeitshandeln und Perspektivenübernahme (jeweils schwache Effekte: η² = ,02), Solidarität am Arbeitsplatz (mittelstarker Effekt: η² = ,10), demokratische Engagementorientierung (schwacher Effekt: η² = ,04), gefühlsbezogene (mittelstarker Effekt: η² = ,12) und normative (schwacher Effekt: η² = ,05) Bindung an den Betrieb statistisch bedeutsam voneinander unterscheiden. Diese Handlungsbereitschaften und Wertorientierungen der MitarbeiterInnen sowie deren Commitment sind am schwächsten in Betrieben mit einer niedrigen soziomoralischen Atmosphäre (Gruppe 1) ausgeprägt, während Arbeitende in Unternehmen mit einer mittleren bzw. hohen soziomoralischen Atmosphäre (Gruppe 2 und 3) Angaben über bedeutsam stärkere prosoziale bzw. solidarische Handlungsorientierungen, demokratische Engagementneigungen und Commitment machen. Die Stärke der soziomoralischen Atmosphäre hatte allerdings keinen Einfluss auf deren berichtete humanitär-egalitäre Ethik und Selbstwirksamkeit hinsichtlich einer gerechten Welt.

    Abbildung 4.

    Die Grafik wird im Absatz davor beschrieben.

    Der Einfluss einer unterschiedlich ausgeprägten soziomoralischen Atmosphäre auf prosoziale und gemeinwesenbezogene Handlungsorientierungen sowie auf die Bindung an den Betrieb.

    Vergleicht man den Einfluss der Demokratie und der soziomoralischen Atmosphäre in einem Betrieb auf die prosozialen und gemeinwesenbezogenen Orientierungen, so erkennt man, dass für die arbeitsplatznahen prosozialen Handlungsbereitschaften die soziomoralische Atmosphäre wichtiger zu sein scheint, wohingegen die demokratischen Strukturen stärker die gemeinwesenbezogenen Wertorientierungen der Arbeitenden beeinflussen.

    ODEM-Untersuchungsreihe B

    Mithilfe eines Multigruppenvergleichs überprüften wir in der Untersuchungsreihe B die Passung eines Zusammenhangmodells zu organisationaler Demokratie in fünf demokratisch und fünf hierarchisch strukturierten Südtiroler Betrieben. In dieser Studie testeten wir zusätzlich zur soziomoralischen Atmosphäre auch den Einfluss des erinnerten elterlichen Erziehungsverhaltens auf prosoziale und gemeinwesenbezogene Handlungsorientierungen. Es ist davon auszugehen, dass vorberufliche Sozialisationserfahrungen – besonders Erfahrungen in der Familie – maßgeblich an der (Weiter-)Entwicklung von prosozialen Handlungsbereitschaften und Wertorientierungen beteiligt sind. Wie die Strukturgleichungsmodelle (modelfit baseline model: χ2 = 522,64; df = 279; p < ,001; RMSEA = 0,039; TLI = 0,952; CFI = 0,963) in Abbildung 5 erkennen lassen, scheint ein statistisch bedeutsamer Effekt des erinnerten elterlichen Erziehungsverhaltens nur in den hierarchisch strukturierten Betrieben (β = ,23) gegeben zu sein. In den demokratisch strukturierten Unternehmen war der Einfluss nicht bedeutsam (β = ,04). Allerdings wirkte das soziomoralische Klima auf die prosozialen und gemeinwesenbezogenen Handlungsorientierungen deutlich stärker (β = ,78) als in den hierarchischen Betrieben (β = ,31). Wir vermuten aufgrund dieser Ergebnisse, dass natürlich auch Arbeitende in hierarchisch strukturierten Betrieben relativ hohe Ausprägungen in prosozialen und gemeinwesenbezogenen Orientierungen aufweisen können. Allerdings werden diese nicht nur durch eine positive soziomoralische Atmosphäre, sondern auch durch das frühere Erziehungsverhalten der Eltern (und weitere, unbekannte Einflüsse) mit verursacht. In den demokratischen Betrieben scheint die Ausprägung der prosozialen und gemeinwesenbezogenen Orientierungen der Beschäftigten nicht durch das Erziehungsverhalten von deren Eltern, sondern durch ein stark wertschätzendes Betriebsklima gefördert worden zu sein.

    Abbildung 5.

    Vergleiche anhand der Kategorien "Soziomoralisches
Klima" und "Erinnertes elterliches
Erziehungsverhalten".

    Vergleich der Zusammenhangsmodelle für demokratisch und hierarchisch strukturierte Betriebe.

    ODEM-Untersuchungsreihe C

    In der Untersuchungsreihe C testeten wir ebenfalls ein Zusammenhangsmodell (mithilfe eines Strukturgleichungsmodells) in ausschließlich partizipativ bzw. demokratisch strukturierten Betrieben. Im Unterschied zur Untersuchungsreihe B überprüften wir zusätzlich den Einfluss der von den Beschäftigten individuell wahrgenommenen OD auf die soziomoralische Atmosphäre, die prosozialen und gemeinwesenbezogenen Orientierungen sowie auf das organisationale Commitment. Abbildung 6 zeigt: Je mehr die Arbeitenden angeben, in demokratisch strukturierten Betrieben individuell an betrieblichen Entscheidungen teilzunehmen, umso ausgeprägter wird von ihnen auch die soziomoralische Atmosphäre wahrgenommen. Eine stark ausgeprägte soziomoralische Atmosphäre begünstigt im weiteren Verlauf auch prosoziale und gemeinwesenbezogene Handlungsorientierungen (β = 0,52) der MitarbeiterInnen. Das heißt, die individuell wahrgenommene OD wirkt teilweise indirekt, nämlich vermittelt durch die soziomoralische Atmosphäre, auf die prosozialen, gemeinwesenbezogenen Handlungsorientierungen. Der Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen OD und den prosozialen und gemeinwesenbezogenen Orientierungen (β = 0,65) verringert sich beträchtlich (auf β = 0,28), wenn die soziomoralische Atmosphäre statistisch berücksichtigt wird. Allerdings bleibt ein direkter positiver Einfluss der wahrgenommenen OD auf die prosozialen und gemeinwesenbezogenen Orientierungen mittelstark (β = 0,28) erhalten. Ähnlich verhält sich die soziomoralische Atmosphäre in der Beziehung zwischen der individuell wahrgenommenen OD und der Bindung der MitarbeiterInnen an ihren Betrieb (organisationales Commitment). Eine von den Arbeitenden stark empfundene soziomoralische Atmosphäre erhöht deren gefühlsbezogene und normative Bindung an ihren Betrieb. Der Effekt ist allerdings etwas geringer (β = 0,29). Der positive Zusammenhang zwischen der individuell wahrgenommenen OD und dem organisationalen Commitment (β = 0,43) verringert sich durch die statistische Berücksichtigung der soziomoralischen Atmosphäre, bleibt aber dennoch statistisch bedeutsam (β = 0,28). Dies bedeutet, dass die tatsächliche Beteiligung der MitarbeiterInnen an betrieblichen Entscheidungen nicht nur indirekt (vermittelt über eine gute soziomoralische Atmosphäre), sondern auch direkt die MitarbeiterInnenbindung an den Betrieb erhöht.

    Abbildung 6.

    Grafische Darstellung zum vorhergehenden Absatz.

    Zusammenhangmodell in demokratisch strukturierten Betrieben.

    Die Ergebnisse der ODEM-Untersuchungsreihen zeigen ziemlich einheitlich: Demokratische Betriebsstrukturen fördern die tatsächliche Mitbestimmung der Arbeitenden im Betrieb. Beide, die strukturell verankerte und die individuell wahrgenommene OD, fördern die Ausbildung eines wertschätzenden, soziomoralischen Betriebsklimas. Letzteres ist wieder eine wichtige Voraussetzung für die (Weiter)Entwicklung von prosozialen und gemeinwesenbezogenen, demokratieförderlichen Orientierungen und für die Bindung der Arbeitenden an ihren Betrieb.



    [1] Das ODEM-Forschungsprogramm wurde aus Mitteln des damaligen österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Research Programm >node< – New Orientations for Democracy in Europe), vom Tiroler Wissenschaftsfonds und vom österreichischen Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (Impactförderung >node<) gefördert.

    3. Das gesellschaftliche Wirkpotenzial demokratischer Unternehmen

    Auch Befunde von – leider noch recht wenigen – Untersuchungen anderer Forschender unterstützen die Annahme, dass demokratische Mitwirkung und Mitbestimmung in Unternehmen für das Gemeinwesen und die Demokratie nützliche Handlungsorientierungen der Beschäftigten fördern können (einen Überblick über diese Studien gibt Weber, 2014). Einzelbefunde weisen darauf hin, dass Arbeitende in demokratisch strukturieren Unternehmen, die über Entscheidungen (auf Abteilungs-, Bereichs- oder Unternehmensebene) direkt mitbestimmen können, stärker als Arbeitende, die diese Möglichkeit nicht haben – politische Selbstwirksamkeit erleben,

    • prosoziales Arbeitsverhalten (Hilfsbereitschaft, Mitgefühl) zeigen,

    • eine solidarische Haltung gegenüber ArbeitskollegInnen vertreten,

    • moralische konsistentere Beurteilungen von ethischen Dilemmaszenarien leisten,

    • eine humanistische Ethikorientierung aufweisen,

    • für demokratische, soziale (auch gewerkschaftliche) Belange in der Gesellschaft eintreten.

    14 Befunden (unsere ODEM-Studien eingeschlossen), die einen positiven Zusammenhang zwischen organisationaler Demokratie und prosozialen bzw. gemeinwesenorientierten Handlungsorientierungen belegen, stehen sechs Ergebnisse gegenüber, die eine solche Beziehung nicht belegen. Somit kann vorläufig zumindest von einem moderaten sozialisatorischen Einfluss demokratischer Arbeitsverhältnisse ausgegangen werden. Selbstverständlich haben frühere elterliche Erziehung, Schulunterricht, Aktivität in Gleichaltrigengruppen und Berufsausbildung, aber auch Selbst- und Fremdselektion ebenfalls einen Einfluss darauf, wie stark das Wirkpotenzial organisationaler Demokratie beim einzelnen Arbeitenden zum Tragen kommt, wie es Forschungsergebnisse aus der Pädagogischen Psychologie nahe legen (siehe Pircher Verdorfer et al., 2013).

    Die Befunde unserer und anderer empirischer Studien belegen, dass ein Arbeiten jenseits des Shareholder-Value-Diktats und jenseits autokratischer Herrschaftsstrukturen, ein Arbeiten unter kompetenter demokratischer Beteiligung der Belegschaften im Prinzip realisierbar ist. Trotzdem wurde die politische Bedeutung einer demokratieförderlichen Sozialisation in demokratischen Unternehmen, als ein möglicher Ansatz, der postdemokratischen Transformation der Gesellschaft entgegen zu wirken, in den letzten Jahren nur selten thematisiert. Es läge an zivilgesellschaftlichen Demokratieinitiativen, Gewerkschaften und Arbeiterkammern, Wirtschaftsverbänden sowie an durch die christliche Soziallehre geprägten kirchlichen Untergliederungen auf die berichteten Forschungsergebnisse zurückzugreifen, in einen ernsthaften Dialog mit demokratischen Unternehmen einzutreten und zu reflektieren, wie diese in eine Strategie zum Aufbau von Wirtschaftsdemokratie einbezogen werden können. Es hat diesen gesellschaftspolitischen Dialog und konkrete Unterstützungsnetzwerke der genannten Akteure unter Bundessozialminister Alfred Dallinger in den 1980-er Jahren in Österreich bereits gegeben (siehe z.B. Bundesministerium für soziale Verwaltung, 1983). Wenn (transnationale, hochkonzentrierte, auf Megaspekulation und virtuellem Kapital aufbauende) Wirtschaftsmacht es schafft, Demokratie zu gefährden, kann (demokratisch und sozial regulierte) Wirtschaftsmacht im Prinzip Demokratie ebenso schützen.

    Literatur

    Blackburn, R. (2006).Ein visionärer Pragmatiker: Rudolf Meidner (1914–2005). Sozialismus, 33 (2), 57–59.

    Bundesministerium für soziale Verwaltung (Hrsg.) (1983). Betriebliche Selbstverwaltung in Österreich. Wien: Bundesministerium für soziale Verwaltung.

    Crouch, C. (2008). Postdemokratie. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

    Demirovic, A. (2007). Demokratie in der Wirtschaft. Münster: Westfälisches Dampfboot.

    Hafner, A. (2009). Genossenschaftliche Realität in Mondragon. Journal für Entwicklungspolitik, 25 (3), 43–64.

    IDE International Research Group (1981). Industrial democracy in Europe. London: Oxford University Press.

    Meine, H., Schumann, M. & Urban, H.-J. (Hrsg.) (2011). Mehr Wirtschaftsdemokratie wagen! Hamburg: VSA.

    Palgi, M. (2004). Social dilemmas and their solutions: The case of the kibbutz. In W. G. Weber, P.-P. Pasqualoni, & C. Burtscher (Eds.), Wirtschaft, Demokratie und soziale Verantwortung (S. 317–332). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

    Pircher Verdorfer, A., Weber, W. G., Unterrainer, C., & Seyr S. (2013). The relationship between organisational democracy and socio-moral climate: Exploring effects of the ethical context in organisations. Economic and Industrial Democracy, 34 (3), 423–449.

    Pullig, K. K. (2000). Innovative Unternehmenskulturen. Leonberg: Rosenberger Fachverlag.

    Unterrainer, C., Palgi, M., Weber, W. G., Iwanowa, A., & Oesterreich, R. (2011). Structurally anchored organizational democracy: Does it reach the employee? Journal of Personnel Psychology, 10(3), 118–132.

    Vilmar, F., & Weber, W. G. (2004). Demokratisierung und Humanisierung der Arbeit – ein Überblick. In W. G. Weber, P.-P. Pasqualoni, & C. Burtscher (Eds.), Wirtschaft, Demokratie und Soziale Verantwortung (S. 105–143). Göttingen: V & R.

    Weber, W. G. (2014). Jenseits von Postdemokratie: Zur Reproduktion bürgerschaftlicher Praxen der Tätigkeitsgesellschaft durch demokratisch regulierte Arbeit. In C. Clases et al. (Hrsg.), Grenzgänge der Arbeitsforschung (S. 360–380). Lengerich: Pabst.

    Weber, W. G., & Unterrainer, C. (2012). The analysis of preconditions for the fostering of democratic behavioral orientations in business organizations – The ODEM questionnaire (POPD). In L. Chisholm, A. Ostendorf, M. Thoma, & W. G. Weber (Hrsg.), Democratic competences and social practices in organizations (S.118-143). Wiesbaden: VS Springer.

    Weber, W. G., & Unterrainer, C. (2013). Democratic Education Potentials in Business Organizations. In E. Nowak, D. Schrader, & B. Zizek (Eds.), Educating competencies for democracy. Bern: Peter Lang.

    Weber, W. G., Unterrainer, C. & Höge, T. (2008). Socio-moral atmosphere and prosocial and democratic value orientations in enterprises with different levels of structurally anchored participation. Zeitschrift für Personalforschung. 22 (2), 171–194.

    Weber, W. G., Unterrainer, C., & Schmid, B. E. (2009). The influence of organizational democracy on employees’ socio-moral climate and prosocial behavioral orientations. Journal of Organizational Behavior, 30, 1127–1149.

    Weber, W. G., Unterrainer, C., Schmid, B.E. & Iwanowa, A. N. (2007). Solidarisches Handeln in demokratischen Betrieben – Illusion oder Realität? Internationale Zeitschrift für Sozialpsychologie und Gruppendynamik in Wirtschaft und Gesellschaft, 32 (1), 22–37.

    Anschrift der Verfasser

    Porträtfoto von Wolfgang Weber.

    Univ.-Prof. Dr. Wolfgang WEBER, Institut für Psychologie, Universität Innsbruck, Bruno-Sander-Haus, Innrain 52A-6020 Innsbruck, Wolfgang.Weber@uibk.ac.at

    Porträtfoto von Christine Unterrainer.

    Dr. Christine UNTERRAINER, Institut für Psychologie, Universität Innsbruck, Bruno-Sander-Haus, Innrain 52A-6020 Innsbruck, Christine.Unterrainer@uibk.ac.at

    Quelle

    Wofgang G. Weber und Christine Unterrainer: Arbeit in demokratischen Unternehmen: Ihr Potenzial für eine demokratische Gesellschaft; erschienen in: Zeitschrift für Sozialpsychologie und Gruppendynamik in Wirtschaft und Gesellschaft, 1/2015, Wien, ISSN: 0254-928X

    bidok-Volltextbibliothek: Neuveröffentlichung im Internet

    Stand: 27.4.2018

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