Inclusive Research with People with Learning Disabilities

Past, Present and Futures

Themenbereiche: Rezension
Textsorte: Rezension
Copyright: © Jan Walmsley, Kelley Johnson 2003

Titelseite:

Buchinformationen:

AutorIn/Hrsg.: Jan Walmsley, Kelley Johnson

Titel: Inclusive Research with People with Learning Disabilities: Past, Present and Futures

Infos: Sprache: Englisch, Taschenbuch - 256 Seiten, London, New York: Jessica Kingsley Publishers, Erscheinungsdatum: 21. März 2003, ISBN: 1843100614, http://www.jkp.com/catalogue/book.php/isbn/1-84310-061-4

Kurzbeschreibung:

Buchbesprechung von Petra Flieger

So wichtig es mir erscheint, über dieses jüngst in Großbritannien erschienene Buch zu schreiben, so schwierig ist es gleichzeitig, da es für die zentralen Begriffe kein vergleichbares Konzept und daher auch keine übertragbare Terminologie in der Fachliteratur des deutschsprachigen Raums gibt. Hier verwendete Begriffe sind daher nur als vorläufige Übersetzungen der Autorin zu verstehen, die weiterer Diskussion bedürfen.

Jan Walmsley aus Großbritannien und Kelley Johnson aus Australien widmen ihr Buch inklusiven Ansätzen in der Forschung über Menschen mit Lernbehinderung.

Die Kritik an naturwissenschaftlichen Methoden in den Sozialwissenschaften hat ebenso wie die Entstehung von Disability Studies und die Selbstvertretungsbewegung lernbehinderter Personen zur Entwicklung dieser Ansätze geführt. Inklusive Forschung bedeutet, dass Frauen und Männer mit Lernbehinderung aktiv an der Forschung teilnehmen bzw. sie selbst (mit)gestalten. Sie sind nicht mehr bloße Objekte für ForscherInnen sondern InitiatorInnen, AutorInnen und MitarbeiterInnen. Walmsley und Johnson charakterisieren inklusive Forschung folgendermaßen:

  • die Forschungsfrage muss behinderten Personen gehören, auch wenn sie nicht von ihnen initiiert wurde

  • sie muss behinderten Menschen nützen; nicht-behinderte ForscherInnen sollten Verbündete an der Seite von behinderten Menschen sein

  • lernbehinderte Personen sollten am Forschungsprozess aktiv mitwirken

  • sie sollten Einfluss auf den Forschungsprozess und die Ergebnisse haben

  • Berichte über das Forschungsprojekt und Ergebnisse müssen für lernbehinderte Leute zugänglich sein (vgl. S. 64)

Die AutorInnen zeichnen sich durch eine hohe Kritik- und Reflexionsfähigkeit aus, die sie auch auf eigene Forschungsprojekte beziehen. Walmsley beschreibt z.B. die fünfjährige Arbeit an einem Buch über die Lebensgeschichten lernbehinderter Frauen. Das ursprünglich von nichtbehinderten Frauen entwickelte Buchkonzept wurde von einer Redaktionsgruppe lernbehinderter Frauen verändert, seine Umsetzung von ihnen gesteuert. Johnson schildert ein Projekt aus Australien über Partnerschaft und Sexualität lernbehinderter Männer und Frauen. Nichtbehinderte ForscherInnen kooperierten mit einer Referenzgruppe von lernbehinderten Frauen und Männern. Durch die detaillierten Darstellungen wird einerseits nachvollziehbar, was konkret mit inklusiver Forschung gemeint ist, andererseits werden die Schwierigkeiten bei der Umsetzung anschaulich vermittelt. Inklusive Forschung stellt sowohl für ForscherInnen als auch für Personen mit Lernbehinderung einen radikalen Paradigmawechsel mit Machtverschiebungen dar, die praktisch und im konkreten Miteinander bewältigt werden müssen. Walmsley und Johnson nennen vielfältige Schwierigkeiten und machen Vorschläge, wie in Zukunft inklusive Forschungsprojekte gestaltet und umgesetzt werden könnten. Sie betonen, wie wichtig methodologische Diskussionen über inklusive Forschung sind, um diese in der allgemeinen Forschungslandschaft zu etablieren und dementsprechend Finanzierungen sicherzustellen.

Inklusive Forschung kann als wissenschaftliches Äquivalent zur gesellschaftlichen Integration und zur politischen Selbstvertretung lernbehinderter Frauen und Männer gesehen werden. Sie ist Ausdruck eines veränderten, an Kompetenz, Ganzheitlichkeit und Grundrechten orientierten Menschen- und Weltbilds, das dem herkömmlichen, defizitorientierten Verständnis von lern- oder geistig behinderten Menschen widerspricht. In der deutschsprachigen Fachliteratur sind bis jetzt kaum partizipative oder gar inklusive Ansätze zu entdecken. In den wenigen Fällen geben sich ForscherInnen damit zufrieden, anstelle von Eltern oder BetreuerInnen lernbehinderte Leute selbst als InformantInnen heranzuziehen. Das vorliegende Buch ist daher eine wichtige Anregung für die Weiterentwicklung der Methodik und Ethik in der Forschung über Personen mit Lernbehinderung.

Denn auch wenn keine inklusive Forschung im engen Sinn angestrebt wird, sollten sich, so Walmsley und Johnson, alle ForscherInnen, die das Thema Lernbehinderung behandeln, fragen, ob ihre Forschung für Leute mit Lernbehinderung selbst bedeutsam ist und wie sie ihre Forschungsergebnisse für lernbehinderte Personen zugänglich machen können.

Quelle

Rezensiert von Petra Flieger

bidok - Rezensionshinweise

Stand: 13.09.2005

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