Von der Verwahrung zur Selbstermächtigung

Perspektiven der Erwachsenenbildung von und für Menschen mit geistiger Behinderung

Autor:in - Eléonore Vanoli
Textsorte: Diplomarbeit
Releaseinfo: Diplomarbeit im Studiengang Pädagogik in der Fakultät Humanwissenschaften an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Betreuer: Prof. Dr. Walter Bender Zweitkorrektorin: Dr. Andrea Döring Abgabedatum: 03. Juli 2009
Copyright: © Eléonore Vanoli 2009

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen, Modernisierung, vermehrter Ökonomisierungstendenzen und dem rasanten Wandel von Technologien befindet sich der Mensch mehr und mehr in einem Anpassungsdruck an die sich veränderten Lebensbedingungen. Lebenslange Bildung ist dabei eine der Grundvoraussetzungen, um die Welt zu begreifen und Entwicklungen zu bewältigen. Sie bietet zu-gleich die Möglichkeit, infolge der vermehrten Individualisierung eigenen Interessen und Bedürfnissen nachgehen zu können, um somit die eigene Persönlichkeit zu entfalten und die individuelle Autonomie zu bewahren, ohne dabei den Veränderungen hilflos ausgeliefert zu sein.

Doch was geschieht mit Menschen in gesellschaftlich marginaler Position, welche als ‚schwächstes Glied in der Kette' angesehen werden - lohnt sich eine Hinwendung zu Menschen mit geistiger Behinderung[1] gesellschaftlich überhaupt? Durch zahlreiche visionäre und engagierte Vorkämpfer hat sich in den letzten Jahrzehnten der (gesellschaftliche) Blick für den hier betrachteten Personenkreis außerordentlich zum Positiven gewendet. Aus Isolation, Ausgrenzung und defizitären Ansichten wurden die Forderungen nach Förderung, Normalisierung, Selbstbestimmung, Inklusion und Teilhabe an der Gesellschaft sowohl wissenschaftlich als auch praktisch immer stärker thematisiert und umzusetzen versucht. Im Vordergrund moderner Behindertenhilfe steht das Konzept des Empowerments, welches sich stark gegen den Paternalismus der traditionellen Behindertenpädagogik wendet. Es fokussiert die Stärken-Perspektive sowie die Menschenrechte, die Bedürfnisse, die Interessen und die Sichtweisen von Menschen in gesellschaftlich marginaler Position und unterstreicht zugleich die Dialektik von Autonomie und Angewiesensein.

Welche Bedeutung hat Empowerment für den Bereich der Behindertenhilfe und welchen Stellenwert hat es in Bezug auf die Bildungsarbeit mit erwachsenen Menschen mit geistiger Behinderung? Kann es einen Beitrag dazu leisten, dass die Betroffenen gesellschaftlich mehr Anerkennung finden, sich selbst besser behaupten und mit Modernisierungsprozessen besser umgehen können?

In der vorliegenden Arbeit wird zunächst der Wandel der Leitbilder in der Behindertenhilfe der letzten Jahrzehnte aufgezeigt, um anschließend der Frage nachzugehen, welchen Beitrag Erwachsenenbildung zur Förderung von Empowerment-Prozessen leisten kann, nachdem die Bildungsfähigkeit geistig behinderter Menschen unstrittig anerkannt worden ist, ihre Lebenserwartung aufgrund des medizinischen Fortschrittes gestiegen ist und internationale Beispiele die Aufgaben einer zeitgemäßen Erwachsenenbildung von und für Menschen mit (geistiger) Behinderung vorführen. Zweifelsfrei haben die Normalisierungs- und Integrationsbemühungen der letzten Jahrzehnte sowie die Gründung der "Gesellschaft zur Förderung der Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung" (GEB) zur Entwicklung und Etablierung von Bildungsmöglichkeiten geführt, jedoch sind Bildungsangebote in regulären Erwachsenenbildungseinrichtungen noch auszubauen. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob und inwiefern Empowerment ein Bildungsansatz ist und wie es konzeptionell gestaltet werden kann, welche Aspekte der allgemeinen Erwachsenenbildung übernommen werden können und wo sich die Besonderheiten für die Bildungsarbeit für und mit Menschen mit geistiger Behinderung herausstellen.

Der inhaltliche Aufbau dieser Arbeit gestaltet sich wie folgt:

Einleitend werden in Kapitel 1 verschiedene Bestimmungs- und Kategorisierungsansätze von geistiger Behinderung aufgeführt, welche von defizit- und krankheits-orientierten bis zu mehrperspektivischen Sichtweisen reichen. Anschließend fokussiert Kapitel 2 den Wandel der Leitbilder in der Behindertenhilfe der letzten Jahrzehnte, um letztlich zum Empowerment-Ansatz, seinen verschiedenen begrifflichen Zugängen und den damit einhergehenden Leitlinien hinzuführen. In Kapitel 3 wird auf die Helferrolle im Wandel der Leitbilder eingegangen. Der Fokus liegt hierbei auf aktuellen, Empowerment-fördernden Begleit- und Finanzierungskonzepten, welche später (in Kapitel 7) konkret auf Praxismodelle der Erwachsenenbildung übertragen werden. In Kapitel 4 wird das Empowerment-Konzept in Bezug zu einem allgemeinen Bildungsverständnis gesetzt. Darauf aufbauend werden erwachsenenpädagogische und Empowerment-fördernde Grundpositionen aufgeführt, nachdem die Bildungs- und Lernfähigkeit des Personenkreises und ihre Legitimationsproblematik beleuchtet wurden. Anschließend wird in Kapitel 5 auf konkrete Forderungen, Ziele und handlungsbestimmende Leitlinien in Verknüpfung von allgemeinen erwachsenenpädagogischen Aspekten und behindertenspezifischen Besonderheiten in Bezug auf Empowerment eingegangen. Kapitel 6 befasst sich mit diesbezüglich folgenden Anforderungen an den Erwachsenenbildner, an den Lernenden und an den Inhalt, um darauf aufbauend in Kapitel 7 Perspektiven für die theoretische Umsetzung zu erarbeiten.



[1] In der gesamten Arbeit wird der Begriff ‚Menschen mit geistiger Behinderung' verwendet, anstatt der von Betroffenen geforderten Formulierung ‚Menschen mit Lernschwierigkeiten'. Dies geschieht aus dem Grund, dass es sich hierbei um einen offiziell verwendeten Begriff handelt und hat keinen diskriminierenden und die Wünsche Betroffener nicht-respektierenden Hintergrund.

1. "Geistige Behinderung"- Begriff und Klassifikation

Das Phänomen der geistigen Behinderung wird in der Literatur seit mehreren Jahrzehnten unter verschiedenen Sichtweisen kontrovers diskutiert und zu erfassen versucht. Schon Speck (1990) stellt die Frage nach der Notwendigkeit einer Definition und merkt an, dass definieren "schließlich ‚festlegen' und zwar endgültig" (ebd. S. 41) bedeutet und dass damit häufig eine Stigmatisierung einhergeht. Die Debatte um Kategorisierungsversuche wird im Hinblick auf Einschluss oder Ausgrenzung bestimmter Personengruppen unter normativ-moralischer Perspektive und im pädagogischen Kontext stark diskutiert. (Jakobs/König/Theunissen 1998; Mühl 2000; Speck 1990). Gleichzeitig wird deutlich, dass ein begriffliches ‚Festlegen' für administrative und wissenschaftliche Zwecke durchaus begründet erscheint. Dies gilt zum Beispiel für Bereiche der Schulorganisation, der Verteilung von Leistungsansprüchen im rechtlichen Sinn und der Theoriebildung in diagnostischer, prognostischer und therapeutischer Hinsicht.

1.1 Definitionsansätze und Beschreibungsversuche

Das mit ‚geistiger Behinderung' Umschriebene hat sehr unterschiedliche Dimensionen und lässt sich demnach schwierig definieren, um dem Personenkreis gerecht zu werden. Ein früher Kategorisierungsversuch der geistigen Behinderung als komplexes Phänomen stammt vom Deutschen Bildungsrat (1974). Als Beschreibungsmerkmale nennt er die Beeinträchtigung der allgemeinen seelischen Entwicklung, der Lernfähigkeit, einzelner psychischer und kognitiver Funktionen, in deren Folge auch sprachliche, soziale, emotionale und motorische Faktoren beeinträchtigt werden (vgl. ebd. S. 37).

Besonders hervorzuheben ist, dass sich nach diesem Definitionsversuch ein lebenslanger Bedarf an sozialer und pädagogischer Hilfestellungen von Menschen mit geistiger Behinderung ergibt. Dieser Hinweis auf lebenslange Hilfsbedürftigkeit lässt sich ebenfalls bei Speck (1990) finden, indem er spezielle Erziehungsbedürfnisse nennt, "die bestimmt werden durch eine derart beeinträchtigte intellektuelle und gefährdete soziale Entwicklung, daß lebenslange pädagogisch-soziale Hilfen zu einer humanen Lebensverwirklichung nötig werden" (Speck 1990, S. 62). Es geht ihm hierbei nicht um eine Bezeichnung, was geistige Behinderung "'ist', sondern um das, was sie pädagogisch-sozial bedeutet oder signalisiert" (ebd. S. 62). Nach Mühl (2000) muss diese Zuschreibung einer lebenslangen Hilfebedürftigkeit eingeschränkt werden, da sie zu stark stigmatisierend wirkt und somit einer Verselbstständigung und Selbstbestimmung (vgl. Kapitel 2.3) im Wege steht (vgl. ebd. S. 48). Zum breiten Spektrum von Definitionen oder Aussagen über ‚geistige Behinderung' lassen sich nach Theunissen (2000) fünf Sichtweisen ausfindig machen. Die psychiatrisch-nihilistische, die heilpädagogisch-defizitorientierte, die IQ-bezogene, die kognitive Sichtweise und die des Doppelkriteriums (vgl. ebd. S. 16ff.).

1.1.1 Das psychiatrische Modell

Die Psychiatrie entwickelte den historisch ältesten Definitionsansatz. Dieser setzt geistige Behinderung mit Verhaltensauffälligkeit und Krankheit gleich, die nach Reil (1803) in drei Grade aufgeteilt wird. Mit dem äußersten Grad sei der Mensch ohne Urteile, Gefühle, Leidenschaften, ohne Triebe und Wünsche. Er lebe zwar, weil er vegetiert, aber außer dieser allgemeinen Funktion des Organismus sei weiter kein Charakter vorhanden (vgl. ebd. S. 413; zitiert nach Theunissen 2000, S. 16). Der betreffenden Person wurden somit alle menschlichen Eigenschaften abgesprochen und sie wurde als unheilbar krank und als dauerhaften Pflegefall stigmatisiert. Aus diesem Grund fand lediglich eine Versorgung in Heimen oder Anstalten statt, abgesondert von der restlichen Gesellschaft.

Diese Sichtweise kann als eine "radikal individualtheoretische" (Kulig/Theunissen/Wüllenweber 2006, S. 119) aufgefasst werden, nach der Behinderung als eine Eigenschaft des Menschen aufgefasst und in Form einer Krankheit beschrieben wird. Sie findet sich noch heute, wenn in psychiatrischen Kontexten die Behinderung anhand von IQ-basierten Methoden als psychiatrische Krankheit und im letzten Fall als ‚Idiotie' eingeschätzt wird (vgl. Huber 1994, S. 556).

1.1.2 Die heilpädagogisch-defizitorientierte Sicht

Auch in der Sonder- und Heilpädagogik herrschte lange Zeit in Anlehnung an die psychiatrische Sicht ein stark defizitorientiertes Bild der geistigen Behinderung. "Definitionsversuche ‚geistiger Behinderung' ... stellten in der Vergangenheit meist eine Fülle von Negativ-Zuschreibungen und diskriminierenden Bewertungen dar, geprägt von einer Engführung auf einen ‚Defekt' oder Mangel" (Jakobs/König/Theunissen 1998, S. 36).[2]Beispielsweise werden im heilpädagogischen Lehrbuch von Oy/Sagi (1994) ausschließlich Negativkriterien zur Beschreibung geistig behinderter Menschen herangezogen. Sie werden als unfähig angesehen, ihr Leben selbständig zu gestalten und seien auf lebenslange Hilfe angewiesen. Außerdem wird ihre verminderte intellektuelle Leistungsfähigkeit betont, die mit einem gestörten Sozialverhalten einher geht (ebd. S. 15ff.).[3]

In diesem Licht erscheint der Mensch mit geistiger Behinderung als Mängelwesen, dem die Fähigkeit zu Autonomie und Selbstständigkeit abgesprochen wird. Es ist jedoch anzumerken, dass diese Sichtweise im Vergleich zur psychiatrischen Sicht Raum für pädagogische Maßnahmen lässt - sie betont zwar die Defizite, zielt jedoch auf deren Ausgleich ab. Daraus legitimiert sich eine "fortwährende Besonderung des betroffenen Personenkreises und auf institutioneller Ebene ein ausdifferenziertes Sonderschulsystem" (Kulig/Theunissen/Wüllenweber 2006, S. 120).[4]

Speck (1990) betont, dass Definitionsversuche nicht nur die Funktion haben, sich auf die Aufzählung der bloßen Defizite eines Menschen zu beschränken, sondern den pädagogischen Auftrag deutlich machen sollen (vgl. ebd. S. 39).[5]

1.1.3 Die IQ-bezogene und kognitive Sicht

Ein weiterer Bestandteil der psychiatrischen Sichtweise hat sich bis heute gehalten, und zwar die Einteilung in bestimmte Gruppen. Das diesen Klassifikationen zugrunde liegende Merkmal ist der Intelligenzquotient (IQ), welcher dazu dient, die kognitive Leistungsfähigkeit zu bestimmen (vgl. Mühl 2000; Speck 1990, S. 46ff.; Theunissen 2000, S. 20ff.). Die Definition von geistiger Behinderung wird mit Hilfe des Intelligenzbegriffes vorgenommen, Behinderung wird demnach mit einer verminderten kognitiven Leistungsfähigkeit und einem geringen IQ gleichgesetzt.[6] Auch in der Definition des Deutschen Bildungsrates (1974, vgl. Kapitel 1.1) wird die Dominanz der kognitiven Beeinträchtigung angedeutet.

Die Intelligenzdiagnostik[7] wird vor allem im klinischen Bereich und bei der Zuweisung zu bestimmten Schultypen herangezogen, beispielsweise anhand des Klassifikationssystems der ICD-10 (internationale Klassifikation psychischer Störungen). Diese teilt geistige Behinderung in vier Kategorien ein, die von leichter bis schwerster Intelligenzminderung reichen:

Tab.1: Klassifikation der IQ-Werte nach der ICD-10 - in Anlehnung an Fornefeld (2000, S. 58; vgl. auch Kulig/Theunissen/Wüllenweber 2006, S. 121)

Klassifikation nach ICD- 10

IQ- Werte

Leichte Intelligenzminderung

50-69

Mittelgradige Intelligenzminderung

35-49

Schwere Intelligenzminderung

20-34

Schwerste Intelligenzminderung

<20

Nach der American Association on Mental Deficiency (AAMD, später umbenannt zu American Association on Mental Retardation, AAMR) bezieht sich geistige Retardierung "auf signifikant unterdurchschnittliche Allgemeinintelligenz", die im Verlauf der Entwicklung auftritt, und fügt in ihrer Definition "Defizite im adaptiven Verhalten" ein (Speck 1990, S. 48). Diese untere Grenze liegt laut der Definition der AAMD von 1977 bei einem IQ von 52, während ein Mensch laut der Klassifikation der ICD-10 und der späteren AAMR 1992 schon ab einem IQ von 69 als geistig behindert eingestuft wird. Die spätere Definition der AAMR ist ein wenig konkreter als die aus dem Jahr 1977, da beim Kind in mindestens zwei der aufgeführten Bereiche des adaptiven Verhaltens (beispielsweise Kommunikation, Eigenständigkeit, häusliches Leben, soziale Beziehungen, schulische Fertigkeiten, Arbeit, Freizeit) (vgl. Schuck/Lemke 2005, S. 217) Defizite vorhanden sein müssen, um die Diagnose 'geistige Behinderung' stellen zu können.

Die mittels Testverfahren gemessene Intelligenz wird nach Speck (2003) als ein personimmanentes und zeitlich recht stabiles Merkmal im Sinne kognitiver Problemlösefähigkeit betrachtet (vgl. ebd. S. 204). Dass diese Sichtweise allein nicht ausreicht, um die Gesamtpersönlichkeit des Menschen einzuschätzen, ist inzwischen in der Literatur akzeptiert - so kritisiert Mühl (2000), dass der Intelligenzbegriff kultur- und schichtspezifische Sozialisationserfahrungen völlig außer Acht lässt und die Intelligenz auf die kognitive Dimension reduziert (vgl. ebd. S. 48f.).

Die IQ-Messung kann laut Speck (1990) lediglich eine Orientierungsfunktion haben, und zwar der Definition der AAMR nach nur im Zusammenhang mit Angaben über das adaptive Verhalten. Eine bloße Klassifizierung nach IQ-Werten ist somit "psychologisch anfechtbar", denn kein Kind könne "ausschließlich über eine Intelligenz-Testung als geistig behindert diagnostiziert werden" (ebd. S. 49). Letztlich bleibt hier unberücksichtigt, ob die Tests eine repräsentative Aussagekraft besitzen und ob sie an die individuellen Bedingungen der Behinderung angepasst sind.

1.1.4 Das Doppelkriterium

Der reinen IQ-bezogenen Sicht wurde von der AAMR der Aspekt des adaptiven Verhaltens hinzugefügt, welcher mit sozialer Anpassungsfähigkeit umschrieben werden kann und der in Kombination mit IQ-Werten als sogenanntes "Doppelkriterium" (Wendeler 1993, S. 11) für geistige Behinderung zählt. Wendeler verbindet "schwache soziale Kompetenz in Verbindung mit niedriger Intelligenz" (ebd. S. 11). Bei diesem Konzept sollen Stärken wie auch Schwächen des Individuums in von der Gesellschaft angesehenen Bereichen vor allem auf kognitiver, sozialer und handlungspraktischer Ebene aufgedeckt werden. Die oben beschriebene Defizitorientierung wird dadurch nicht völlig aufgegeben, jedoch tritt erstmals eine Stärken-Perspektive auf. Die Person wird als solche akzeptiert und wertgeschätzt und nicht vorrangig auf ihr ‚Nicht-Können' reduziert (vgl. Theunissen 2000, S. 22). "Hier setzt das Konzept Empowerment an, das von einer Einschätzung der Stär-ken und Ressourcen eines behinderten Menschen ausgeht" (Bradl 2002, S. 290). Bei der Beschreibung von Menschen mit geistiger Behinderung werden nun auch Grundrechte beachtet, die sich auf Inklusion, Selbstbestimmung und Partizipation beziehen.[8]

Ein weiteres stärkenorientiertes Konzept stammt von Goll (1994), der sich in extremer Form gegen die vorausgegangenen defizitorientierten Ausführungen wendet. In Anlehnung an Wolfensberger (1988, zitiert nach Goll 1994) versucht er, Menschen mit geistiger Behinderung in einem positiven Licht darzustellen und ausschließlich von deren Kompetenzen, Qualitäten und positiven Eigenschaften auszugehen. Der Fokus liegt auf dem Wahrnehmen von Fähigkeiten in Form einer Diagnose, anhand derer ansonsten die Defizite aufgezählt werden.[9]

Auf Basis dieser Entwicklungen hat sich im Laufe der Jahre ein anthropologischer Wandel von der Defizit- zur Subjektorientierung vollzogen. Mit dieser Betrachtungswende ging ebenfalls eine Veränderung der Wortwahl für die Beschreibung des Personenkreises einher (vgl. Kap 1.2).

So positiv dieser Wandel auch sein mag, darf die kritische Betrachtung nicht außer Acht gelassen werden. Theunissen (2000) vermerkt die Gefahr einer Bagatellisierung von real existierenden Lernschwierigkeiten oder starken Verhaltensauffälligkeiten bei einer ausschließlich positiven Beschreibung (vgl. ebd. S. 25). Um positive individualisierte Lern- und Lebensbedingungen schaffen zu können, müsste das Ausmaß der teilweise eingeschränkten Fähigkeiten ermessen werden.

1.1.5 Beschreibungsmodelle der WHO

Das 1980 entstandene Modell der behinderungsspezifischen Klassifikation der ICIDH[10] setzt Behinderung nicht mehr ausschließlich mit Krankheit gleich, sondern betrachtet Behinderung als sog. "Dreiklang" (Theunissen 2002, S. 26). Dieser setzt sich zusammen aus individueller Schädigung des Organismus in Form von körperlichen Funktionsstörungen, daraus resultierenden Aktivitäts- und Funktionseinschränkungen wie beispielsweise Lern-, Entwicklungs- und Wahrnehmungsstörungen und drittens aus der daraus folgenden Benachteiligung der gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten durch Vorurteile, Stigmatisierung und Barrieren (vgl. Klauß 2008a, S. 198f.; auch Theunissen 2000; Wacker 2008).

Es besteht jedoch die Gefahr, dieses Modell zu linear zu betrachten. Denn es besagt, dass eine zugrunde liegende geistige und/oder körperliche Schädigung die Möglichkeiten der persönlichen und sozialen Entwicklung des Menschen beeinträchtigt, was letztlich zu einer Benachteiligung führt. Daraus lässt sich der nach Theunissen (2000) falsche Schluss ziehen: Je größer die individuelle Schädigung, umso benachteiligter der Mensch. Dieser Ansatz vernachlässigt die Subjektperspektive und betrachtet weder die "emotionale Befindlichkeit, psychosoziale Bewältigungsstrategien (und die, E.V.) Krisenverarbeitung, (noch das, E.V.) Selbstkonzept" (ebd. S. 27) des Individuums. Die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Faktoren werden somit nicht thematisiert (vgl. Kulig/Theunissen/Wüllenweber 2006, S. 123). Des Weiteren blendet dieser Ansatz die soziale Lage der zu beschreibenden Personen gänzlich aus - es wird nicht zwischen einem möglicherweise beeinflussenden sozialen Status differenziert.

Aus diesen Kritikpunkten heraus erweiterte die WHO im Jahr 2001 das Modell von 1980 und gab ihr den neuen Titel ICF[11], welches im Auftrag der WHO (2005) herausgegeben wurde.[12]Die WHO distanziert sich deutlich von der Betrachtung von Behinderung als Ergebnis einer Normabweichung und rückt den gesellschaftlichen Aspekt stärker in den Vordergrund.

Das Modell versucht, alle (derzeit bekannten) Faktoren, die Einfluss auf das Phänomen ‚Behinderung' haben, zu integrieren und ist in der Lage, Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Faktoren abzubilden. Es dient einer Beschreibung von Situationen bezüglich menschlicher Funktionsfähigkeit und ihrer Beeinträchtigungen.

Abb.1: Wechselwirkungen zwischen den Komponenten der ICF. (In Anlehnung an WHO 2005, S. 23)

Aus dem Schaubild wird deutlich, dass sich eine Beeinträchtigung der individuellen Aktivitäten und der gesellschaftlichen Teilhabe aus dem Zusammenspiel der körperlichen Schädigung, der Persönlichkeits- und der Umweltfaktoren ergibt, z.B. die normativen Erwartungen Anderer. Eine Behinderung zeigt sich in eingeschränkten Partizipationsmöglichkeiten, welche aus zahlreichen personenspezifischen, sozialen und kontextbezogenen Ursachen entstehen können und nicht aus den in Kapitel 1.1.3 erläuterten IQ-Werten. Der Maßstab für Behinderung "ist nicht die Funktionsfähigkeit bezogen auf kognitive, physische oder psychische Leistungen, die von einer Person ‚normalerweise' zu erwarten sind" (Wacker 2008, S. 125), sondern liegt in ihrer gelingenden gesellschaftlichen Teilhabe. Die "Behinderungsfrage" (Wacker 2008, S. 125) wird mit diesem Modell anhand eines subjektiv empfundenen Wertes gelöst und ist somit abgekoppelt von der kausalen Betrachtung der ICIDH mit der versuchtobjektiven, defizitorientierten Sicht und geht deutlich über die bloße Erfassung von Einschränkungen hinaus.

Auch die Gestaltung des Sozialgesetzbuches, Neuntes Buch (SGB IX), "Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen" wurde wesentlich durch das Modell der ICF beeinflusst und dient momentan als einheitliche Beschreibung des funktionalen Gesundheitszustandes, der Behinderung, der sozialen Beeinträchtigung und der relevanten Umgebungsfaktoren einer Person. Als ‚behindert' gelten Menschen nach dem SGB IX, §2, "wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist" (Feuser 1995, S. 1).[13]

1.2 Begriffliche Bestimmungsversuche

Der Begriff ‚geistige Behinderung' wurde in den 1950er Jahren von der Elternvereinigung ‚Lebenshilfe' propagiert, womit erstmals sog. Mitbetroffene an der Wortwahl beteiligt waren. Sie versuchten mit der Bezeichnung "für das geistig behinderte Kind" (Fornefeld 2000, S. 45) das spezifische Anderssein ihrer Kinder, die Beeinträchtigung ihrer mentalen Funktionen, so zu beschreiben, dass eine Abwertung der gesamten Person vermieden wird. Damit sollten die zuvor herrschenden, als stigmatisierend und diskriminiert empfundenen Begriffe wie ‚Schwachsinn', ‚Blödsinn', ‚Idiotie', ‚Imbezillität' oder ‚Oligophrenie' ersetzt werden (vgl. Kulig/Theunissen/Wüllenweber 2006, S. 116). Bei der neu entwickelten Begriffsbestimmung orientierte sich die Lebenshilfe e.V. an dem englischen Sprachgebrauch ‚mental retardation' oder ‚mental handicap'.

Wollte man sich in den 1950er Jahren durch den Begriff der ‚geistigen Behinderung' von Stigmatisierung lösen, so wird auch er heute als abwertend betrachtet. Kulig (2006) betont, dass besonders seit den 1990er Jahren verstärkt darüber diskutiert wird, ob "der Begriff nicht seine ursprünglich positive Konnotation verloren habe" (ebd. S. 117) und durch andere Termini ersetzt werden sollte. So kritisiert beispielsweise Theunissen (2000), dass "Begriffe wie geistige Behinderung ... stets soziale Zuschreibungen (Stigmata) aus einer Beobachterperspektive heraus" sind und befürwortet die Bezeichnung "Personen, die als ‚geistig behindert' bezeichnet werden" (ebd. S. 43; [Hervorhebungen nicht übernommen]). Nach Klauß (2008a, S. 196) ergibt sich die Notwendigkeit, einen neuen Begriff zu suchen, vor allem aus dem Wunsch und Anliegen der Betroffenen, die den Begriff 'geistig behindert' mehrheitlich als diskriminierend empfinden (vgl. Mensch zuerst - Netzwerk People First Deutschland e.V. 2009).[14]

Weitere Begriffsalternativen finden sich bei Wüllenweber (2004, S. 49ff.):

  • Menschen mit so genannter geistiger Behinderung

  • Menschen mit kognitiver/intellektueller/mentaler Behinderung

  • Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf/Hilfebedarf

  • Menschen mit besonderen Lernschwierigkeiten

  • Menschen mit geistigen/kognitiven/mentalen Beeinträchtigungen

  • Menschen mit Beeinträchtigungen in der geistigen Entwicklung

  • Mental Beeinträchtigte

Die Bemühungen um begriffliche Veränderungen scheinen plausibel und im Sinne des Empowerments (vgl. Kapitel 2.5) unumgänglich, jedoch ergeben sich erhebliche Nachteile daraus. Kulig (2006) betont verschiedene Konsequenzen durch eine begriffliche Veränderung: Erstens ist der Begriff ‚geistige Behinderung' inzwischen allgemein verständlich - ein ähnlich hoher Verständigungsgrad würde viel Zeit benötigen. Des Weiteren ist mit einer "Konfusion verschiedener Termini" (ebd. S. 117) zu rechnen und die interdisziplinäre Kommunikation zwischen Pädagogik, Medizin, Psychologie und Soziologie würde erschwert werden. Da der Begriff eine sozialrechtliche Relevanz besitzt, können sich aus einer zu erwartenden begrifflichen Aufweichung Nachteile für behinderte Menschen ergeben, wenn es um das Gewähren von Hilfe und finanzieller Unterstützung geht. Als Hauptargument führt Kulig (2006) jedoch an, dass ein neuer Begriff vermutlich bald einen ebenso stigmatisierenden Charakter wie der bisherige hat, weil die mit dem momentan anerkannten Begriff verbundenen Konnotationen auf diesen übertragen würden (vgl. ebd. S. 117f.). Auch nach Klauß (2008a) ist nicht anzunehmen, dass ein neuer Begriff dauerhaft positiv besetzt bliebe, solange sich der Status der betroffenen Menschen nicht verändere (vgl. ebd. S. 196).

Den Ausführungen zufolge stellt sich die Frage, wie nun mit diesem begrifflichen Dilemma sinnvoll umzugehen ist. Demnach scheint es keine "nur gute Lösung" (ebd. S. 200) zu geben. Es gilt abzuwägen, welche Aspekte wie gewichtet sind. Das Anliegen der Betroffenen, einen als diskriminierend empfundenen Begriff zu vermeiden, hat einen hohen Wert, da sie persönlich involviert sind. Anstelle des Begriffs 'geistige Behinderung', der laut Klauß im Alltag vermieden werden sollte, erscheint der Begriff 'Menschen mit Lernschwierigkeiten' als durchaus geeigneter.[15] Im Bereich der Wissenschaft und in rechtlichen Zusammenhängen könnte es jedoch sinnvoll sein, den Begriff der 'geistigen Behinderung' aus Gründen der Verständlichkeit und Einheitlichkeit beizubehalten.

1.3 Erwachsensein und geistige Behinderung

Wie in den oben dargestellten Ausführungen ersichtlich wird, war es für Menschen mit geistiger Behinderung ein langer Weg von der Abwendung der reinen Defizit-Perspektive zu ihrer Anerkennung als gleichwertige Menschen. Durch die Begriffsdebatte zeigt sich, dass sich Selbstbestimmung sowie das Respektieren ihrer Wünsche und Anliegen noch im Anfangsstadium befinden. Ein weiterer Meilenstein für erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung ist die Außensicht auf ihren Erwachsenenstatus. Theunissen/Plaute (2002) heben hervor, dass Erwachsene mit geistiger Behinderung lange Zeit (und auch teilweise noch heute) infantilisiert wurden. Dies hatte zur Folge, dass ihre Persönlichkeitsentwicklung durch ständige Beaufsichtigung, Kontrolle und Fremdbestimmung beeinträchtigt wurde. Die Vorstellung, dass auch ein Mensch mit geistiger Behinderung wie jede andere Person darauf angelegt sein könnte, erwachsen zu werden, war der Sonderpädagogik fremd (vgl. ebd. S. 191f.).

Betrachtet man wie Jakobs/König/Theunissen (1998) die Entwicklung des Menschen als lebenslangen Prozess[16], so scheint es notwendig, den Verlauf des Erwachsenwerdens zu betrachten (vgl. ebd. S. 28). Wohlhüter stellt hierzu 1983 fünf Kriterien auf, die er sowohl für Menschen mit und ohne Behinderung geltend macht (vgl. zu diesem Abschnitt ebd. S. 368ff.). Als ersten Punkt nennt er die Zunahme persönlicher Bewusstheit und das Interesse an der eigenen Biographie, sowie an der Selbstwahrnehmung und -einschätzung der eigenen Behinderung und ihrer Auswirkungen. Des Weiteren schildert er die Zunahme von Individualität als Kriterium des Erwachsenenwerdens. Dies beinhaltet die empfundene Unverwechselbarkeit als konkretes Individuum mit individuellen Wünschen, Bedürfnissen und Fähigkeiten. Wohlhüter betont außerdem die Zunahme der Entscheidungsfähigkeit und der Wahlmöglichkeiten im Alltag sowie die Erhöhung der Selbstständigkeit (bei schwerbehinderten Personen zumindest in Teilbereichen). Das Erwachsenwerden erfordert ein permanentes Ausbalancieren von individuellen Wünschen und Bedürfnissen einerseits sowie von Anforderungen der Umwelt und den Realisierungsmöglichkeiten andererseits.

So positiv diese Kriterien erscheinen, wird ihre tatsächliche Umsetzung durch verschiedene Hemmnisse dennoch erschwert. So betonen Jakobs/König/Theunissen (1998), dass "Menschen mit einer geistigen Behinderung ... am Erwachsensein ... durch unsere Definition des Erwachsenenstatus (Bilder, Klischees, Rollenzuschreibungen und -erwartungen)" (ebd. S. 32) gehindert werden. Nichtbehinderte Menschen setzen den Maßstab, wie eine Person sich entwickeln und wie sie beispielsweise Selbstständigkeit erlangen sollte. Dieser Aspekt spiegelt sich auch in der Kritik am Normalisierungsprinzip wider, welches sich an der Mittelschicht orientiert (vgl. Kapitel 2.2). Wohlhüter (1983) betont hierzu: "Wenn wir entscheiden, was für Behinderte sinnvoll ist, dann verhindern wir im Ansatz seine Möglichkeiten zur Verselbständigung" (ebd. S. 371). Ebenso hängt das Erwachsenwerden eines Menschen von seinen Erziehungsbedingungen ab - hat die Person nie gelernt, sich in Selbstständigkeit zu erproben und wurde sie isoliert und demotiviert, umso passiver, mutloser und von ihrer Umwelt abhängiger wird und bleibt sie (Speck 1982, S. 20). Auch Bader (1993) kritisiert in ihrem Artikel über die Entmündigung und Emanzipation von Menschen mit geistiger Behinderung, dass Menschen mit Behinderung nur eingeschränkt an in der Gesellschaft üblichen Grundsituationen des Erwachsenenalters teilnehmen, wie z.B. die selbstbestimmte Ablösung vom Elternhaus oder die Partnerschaft und Familiengründung (vgl. ebd. S. 23f.).

Um diesem Dilemma der Abhängigkeit entgegenzuwirken, erläutert sie verschiedene Faktoren, die für eine "geglückte Identität" (ebd. S. 23) zuständig sind. Es geht ihr um den Aufbau eines Selbstwertgefühls, um verschiedene Handlungskompetenzen im alltäglichen Leben, um das Erlangen von Entscheidungs- und Wahlmöglichkeiten und letztlich, wie es auch Wohlhüter (1983) betont, um den Ausgleich zwischen eigenen Bedürfnissen und sozialen Anforderungen.[17] Um diese Faktoren, die pädagogische Konsequenzen für die Arbeit mit Menschen mit Behinderung haben, realisieren zu können, erläutert Bader (1993) die Notwendigkeit eines Wechsels von lebenslanger Erziehung zu mehr Beteiligung an Beratung und lebenslangen Bildungsprozessen (vgl. ebd. S. 21ff.).

Zwischenfazit: Von der Defizitorientierung zur Stärkenperspektive

Anhand der vorausgehenden Erläuterungen wird deutlich, dass sich die Klassifikations-, Definitions- und Bestimmungsversuche von Menschen mit geistiger Behinderung innerhalb der letzten Jahrzehnte einem deutlichen Betrachtungswandel unterzogen haben. Während der Personenkreis lange Zeit als krank und defizitär angesehen, behandelt und begrifflich benannt wurde, liegt in neueren Überlegungen der Fokus auf der individuellen Besonderheit und der Stärkenperspektive (vgl. Kapitel 2.5), und die einst anerkannte Sichtweise des irreparablen psychischen Defekts wird aberkannt.

Dieser subjektzentrierte und mehrdimensionale Fokus der Beschreibung geistiger Behinderung zeigt sich anhand heutiger Betrachtungen wie beispielsweise der ICF. Diese versucht eine Synthese zu erreichen, die eine kohärente Sicht der verschiedenen Perspektiven von Gesundheit auf biologischer, individueller und sozialer Ebene ermöglicht. Die biologische bzw. medizinische Sichtweise betrachtet Behinderung als ein Problem einer Person, welches sich in Form einer körperlichen Beeinträchtigung kenntlich zeigt, die medizinischer Versorgung bedarf (vgl. WHO 2005). Die individuumszentrierte Mehrperspektivität zeigt sich durch die Verknüpfung mit dem sozialen Aspekt, das heißt Behinderung wird als ein gesellschaftlich produziertes Problem und im wesentlichen als eine Frage der Partizipationsmöglichkeiten innerhalb der Gesellschaft angesehen. Daraus folgt, dass Behinderung nicht - mehr - als feststehende Eigenschaft des Menschen gesehen wird, sondern immer von den Lebensumständen des Einzelnen und seinen sozialen Bezügen abhängt. Damit bleibt ein Definitionsversuch immer relativ (vgl. Fornefeld 2000, S. 46).

Um den heutigen Stand der Behindertenhilfe, die entstehenden Maßnahmen und eine mögliche Übertragung auf die Erwachsenenbildung verstehen zu können, ist der Blick auf den bisherigen Wandel der Leitbilder, bzw. den Paradigmenwechsel zu richten.



[2] Bis 1958, als die Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. in Anlehnung an den englischen Begriff ‚mentally handicapped' die Bezeichnung ‚geistig behindert' geprägt hat, galten stark negativ geprägte Bezeichnungen von Menschen mit geistiger Behinderung wie beispielsweise ‚Idiot', ‚Imbeziler'. "Benutzt wurden auch Ausdrücke, die mit ‚Sinn' in der Bedeutung von Geist, Verstand oder von Sinnestätigkeit verbunden waren, wie ‚Blödsinn', ‚Stumpfsinn' späterhin auch ‚Schwachsinn', ebenso der Ausdruck ‚Oligophrenie'" (Mühl 2000, S. 45; vgl. auch Theunissen 2000, S. 13ff.; Wüllenweber/Mühl 2006; Kapitel1.3).

[3] Vetter (1972) argumentiert hier noch ausschließlicher, indem er beispielsweise Begriffe benutzt wie "völliger Mangel", "ohne Gedächtnisspuren", "totale Unfähigkeit" (vgl. ebd. S. 27).

[4] Vgl. Definition des Deutschen Bildungsrates und von Speck (1990) in Kapitel 1.1

[5] Zur Kritik an der Defizitorientierung vgl. auch Bach (1979, S. 7f.).

[6] Der Begriff der Intelligenz ist nicht eindeutig festgelegt und soll an dieser Stelle auch nicht detailliert diskutiert werden (hierzu vgl. u.a. Kulig/Theunissen/Wüllenweber 2006, S. 120ff.; Speck 1990).

[7] Zur Messung von Intelligenz vgl. Stanford- Binet Intelligenztest von Terman und Merill in Schuck/Lemke (2005, S. 17ff.).

[8] Die Thematik der Selbstbestimmung und des Empowerments wird in Kapitel 2.3 und 2.5 genauer beleuchtet. An dieser Stelle soll es genügen aufzuzeigen, dass die defizitorientierte Sicht mehr und mehr in Kritik geraten ist und zur Beschreibung von Menschen mit Behinderung nicht mehr ausreicht.

[9] Die Diagnose der Fähigkeiten wäre beispielsweise "kann gut zuhören, kann gut sehen, ist aufmerksam, hat ein gutes Gedächtnis ... zeigt Freude an den einfachen Dingen des Lebens" (Goll 1994, S. 134ff.). Wolfensberger spricht in diesem Zusammenhang von sog. "heart-qualities ... , die in der Vergangenheit häufig nicht als wertvolle Kompetenzen eingeschätzt, sondern eher als abzutrainierende ‚Fehlverhaltensweisen' verkannt (wurden, E.V.), wie zum Beispiel als ‚Distanzlosigkeit'" (ebd. S. 136).

[10] "International Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps"; die offizielle deutsche Übersetzung lautet "Internationale Klassifikation der Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen" (Wacker 2008, S. 123). Begrifflich herrscht demnach noch eine starke Orientierung an Defiziten und Mängeln.

[11] "International Classification of Functioning, Disability and Health"; die seit 2005 gültige offizielle deutsche Übersetzung lautet "Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit" (Wacker 2008, S. 124). Der neue Fokus liegt auf der Orientierung an Fähigkeiten - es wird nicht hier mehr von Schädigungen und Störungen gesprochen.

[12] Neben der ICF existiert weiterhin das medizinische Klassifikationsmodell ICD-10 (vgl. Kapitel 1.1.3), welches Informationen über Diagnosen liefert. Dieses Modell kombiniert mit den Informationen über die Funktionsfähigkeit (ICF) liefert ein breiteres und angemesseneres Bild über die Gesundheit von Menschen (vgl. WHO 2005).

[13] In Abgrenzung zu Krankheit zählen Faktoren der Dauerhaftigkeit und der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (vgl. Feuser 1995, S. 1ff.). Die Abgrenzung ist jedoch nicht immer eindeutig, da beispielsweise demenzkranke Menschen ebenso dauerhaft betroffen sind wie geistig behinderte Menschen, Demenz jedoch als Krankheit angesehen wird. Auf diese Problematik wird allerdings an dieser Stelle nicht weiter eingegangen, da diese Arbeit ausschließlich erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung betrachtet und sich die Ausführungen nicht auf altersbedingt kranke Menschen (mit Demenz) bezieht.

[14] Betroffene bzw. "People First"-Gruppen bevorzugen den Begriff "Menschen mit Lernschwierigkeiten" (vgl. Kapitel3.1).

[15] Die Bezeichnung ‚Menschen mit Lernschwierigkeiten' fasst Menschen mit geistigen und mit Lernbehinderungen zusammen. Dort wo eine weitere Spezifizierung erforderlich ist, könnte das über den Hinweis auf den daraus resultierenden Bedarf an Assistenz und Hilfe konkretisiert werden. Man könnte z.B. sagen: 'Menschen mit Lernbeeinträchtigungen', 'Menschen mit Lernbeeinträchtigungen und alltäglichem Hilfebedarf' sowie 'Menschen mit Lernbeeinträchtigungen und hohem Hilfebedarf' (vgl. Klauß 2008a, S. 200ff.).

[16] Auch Speck (1982) merkt an, dass es sich beim Erwachsenwerden eines Menschen (mit und ohne Behinderung) um eine Prozess handelt, "der zu einer gewissen Zentrierung und Stabilisierung des Selbst- und Weltverständnisses, zur Identitätsbildung führt und ... von einer relativ selbständigen Bewältigung der üblichen Erwachsenenfunktionen im Alltag bestimmt ist" (ebd. S. 17).

[17] Diese Ausführungen greift der Leitgedanke des Empowerment-Konzeptes wieder auf, bzw. setzt er sich die Prozesse eines erwachsenengemäßen Lebens zum Ziel (vgl. hierzu folgende Kapitel).

2. Wandel der Leitbilder in der Behindertenhilfe

Seit bereits 20 Jahren ist in der Behindertenarbeit vom sogenannten Paradigmenwechsel die Rede. Konkret und zusammengefasst beschreibt dieser die Abkehr von einer Wahrnehmung und Behandlung des Menschen mit Behinderung als Hilfeempfänger fremdbestimmter Versorgung (vgl. Fornefeld 2008, S. 15). Die Veränderungen der institutionellen Hilfen, Leitgedanken und Menschenbilder seit dem Ende des zweiten Weltkriegs stellen sich wie folgt dar:

Abb.2: Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe im Hinblick auf Veränderungen institutioneller Hilfen, Menschenbilder und Leitprinzipien. (In Anlehnung an Fornefeld 2008, S. 16)

2.1 Der Schritt zur Förderung

Bei der Darstellung des Paradigmenwechsels wird der zuvor beschriebene Wandel des Menschenbildes in obiger Grafik von der ersten zur zweiten Phase abgebildet. Das medizinische Menschenbild wurde vom pädagogisch-optimistischen abgelöst und Hähner (2006) bezeichnete die 1960er Jahre als "Dekade des Aufbruchs" (ebd. S. 28f.). In dieser Zeit entwickelte sich erstmals ein wesentlicher Schritt zu mehr Humanität in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung. Die Lebensbedingungen der 'langzeithospitalisierten Menschen' wurden erstmals auch öffentlich als 'elend' und als 'zum Teil menschenunwürdig' beschrieben (vgl. Schneider 2009) - daraufhin wurde die Enthospitalisierung in Betracht gezogen. Sozialpolitische Entscheidungen beinhalteten beispielsweise Gesetze "wie das Körperbehindertengesetz, das Rentenversicherungsgesetz, 1961 das Bundessozialhilfegesetz, in dem der Vorrang der freien Wohlfahrtspflege beim Ausbau und der Errichtung von Einrichtungen der Behindertenfürsorge festgesetzt ist" (ebd. S. 29).

Des Weiteren gründeten sich in den 1960er Jahren Elterninitiativen sowie zahlreiche Förder-, Rehabilitations- und Sondereinrichtungen. Erstmals wurde die Bildungsfähigkeit des Menschen mit Behinderung anerkannt und daraufhin die Schulpflicht gesetzlich verankert (vgl. Fornefeld 2000, S. 42).

Das Thema ‚geistige Behinderung' machte sich ebenfalls in den Medien bemerkbar, wie beispielsweise durch die 1964 erstmals ausgestrahlte karitative Quiz-Lotterie ‚Aktion Sorgenkind' (heute: ‚Aktion Mensch'), was eine hohe finanzielle Förderung der eben genannten Einrichtungen mit sich brachte. "Zementiert wurde dabei ... die gesellschaftliche Tendenz, den Umgang mit ... behinderten Menschen außerhalb von Regeleinrichtungen zu realisieren und speziellen Fachleuten zu übertragen" (Heiler 1984, S. 83; zitiert nach Hähner 2006, S. 29).

Den Ausführungen zufolge entstand ein ‚pädagogischer Optimismus' - Menschen mit Behinderung wurden nicht mehr ausschließlich gepflegt und verwahrt, sondern zunehmend von qualifizierten Fachleuten betreut und gefördert. Somit galten die 1970er Jahre als "Dekade der Rehabilitation" (Hähner 2006, S. 30).[18] Der Fokus lag zwar nun auf der Förderung der Menschen mit Behinderung, jedoch wurde noch immer von deren Defiziten ausgegangen, die es nun ‚fort zu fördern' galt.

Hähner kritisiert dabei jedoch, dass sich allmählich ein expertengeprägtes Bild von Behinderung durchsetzte (vgl. ebd. S. 31ff.). Demnach wurde jegliche Form von Hilfe unter dem Deckmantel einer ‚optimalen Förderung' praktiziert. Das Durchlaufen einer Förderkette sollte den behinderten Menschen an die ‚normale'Gesellschaft anpassen und ihm Aufnahme und Akzeptanz ermöglichen. Dies könne nur erfolgen, wenn ein gewisses Maß an Hilfebedarf abgedeckt sei. Die Problematik des Rehabilitationsdenkens und der damit einhergehenden ‚Über-Förderung' zeigte sich darin, dass sich alsbald sogenannte ‚Isolationskarrieren'[19] bildeten, die mit dem eigentlichen Ziel der gesellschaftlichen Eingliederung wenig gemein hatten.

An diese Kritik anknüpfend gründete sich 1985 die Elternbewegung ‚Gemeinsam leben - Gemeinsam lernen. Eltern gegen Aussonderung'. Sie protestierte gegen die Aussonderung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Behinderungen in Sonderkindergärten, Sonderschulen, Werkstätten und Wohnheimen für Behinderte und forderte die Integration in Regelkindergärten und -schulen (vgl. Hüwe/Roebke 2006).

2.2 Das Normalisierungsprinzip

Der Leitgedanke der oben beschriebenen Epoche ist der der Normalisierung. Geprägt hat diesen Begriff 1959 der damalige Direktor der Sozialverwaltung Dänemarks, Bank-Mikkelsen. An diesen anknüpfend fand in Schweden 1967 die Aufnahme der Normalisierung in die Gesetzgebung durch den dortigen Hauptvertreter Nirje statt und wurde dann auf Deutschland übertragen (vgl. Pitsch 2006, S. 224ff.). Das Normalisierungsprinzip geht erstens davon aus, dass Menschen mit geistiger Behinderung die gleichen Rechte und Pflichten haben wie die übrige Gesellschaft (Rechtsgleichheit) und zweitens, dass sie in und mit ihrer Behinderung anerkannt und der restlichen Gesellschaft gleichgestellt werden (Bürgerstatus und Akzeptanz). Dabei wurde nicht intendiert, dass die Menschen mit Behinderung normal gemacht werden sollen, sondern vielmehr, die Lebensbedingungen so normal wie möglich zu gestalten. Bank-Mikkelsen zählte zu den veränderbaren Lebensbedingungen hauptsächlich die Bereiche des Wohn-, Arbeits- und Freizeit-bereiches.[20] Nirje (1994) betont des Weiteren, "daß das Normalisierungsprinzip auf alle Gesellschaften und alle Menschen übertragen werden kann, unabhängig vom Grad ihrer Beeinträchtigung oder Behinderung" (ebd. S. 13).

Thimm (1980), der im deutschsprachigen wissenschaftlichen Raum bekannteste Normalisierungsbefürworter, bezeichnet das Konzept als "eine kopernikanische Wende in der Behindertenhilfe" (ebd. S. 85; zitiert nach Pitsch 2006, S. 227). Er merkt an, dass die zwischenmenschliche Kommunikation eine "Bedingung zur Menschwerdung" (ebd. S. 85) ist und somit das Normalisierungsprinzip durch die Aufwertung der sozialen Rolle von Menschen mit Behinderung deren Beziehung zu nichtbehinderten Menschen verbessert wird.

Die Verdienste des Leitgedankens der Normalisierung sind die oben beschriebenen Errichtungen von Sonderschulen und -kindergärten, Tagesförderstätten - es erfolgte die Eingliederung von geistig behinderten Kindern in das Bildungssystem und nach und nach auch Anfänge einer Integration in Regelschulen. Es wurden Werkstätten für Menschen mit Behinderung gegründet[21], psychiatrische Großanstalten wurden gelockert bzw. aufgelöst, stadtteilintegrierte Wohnformen wurden populär - insgesamt entstand ein "durchlässiges System von Hilfen" (Pitsch 2006, S. 228). Weitere Entwicklungen waren die Entstehung sogenannter Familienentlastender Dienste (FED) und ambulanter Pflegedienste, eine Verbesserung der Mobilität durch kostenlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, eine individuelle Hilfe zur Anpassung in bestimmten Lebenslagen (z.B. Wohnen, Arbeiten). Pitsch betont letztlich, dass "die Normalisierungsanforderungen nach Trennung der Bereiche Wohnen - Bildung, Ausbildung, Arbeit - Freizeit ... vielerorts erfüllt" (ebd. S. 230) ist.

Trotz dieser Entwicklungen dank des Normalisierungsprinzips gibt es laut Pitsch gewisse Widersprüche und Ungereimtheiten. Zum einen wurde die Forderung von Nirje (1994), "bis ins Jahr 2000 alle Institutionen für Behinderte, von den kleinsten bis zu den größten, aufzulösen" (ebd. S. 16), in Deutschland bisher nicht einheitlich erfüllt. Des Weiteren entsteht durch eingeführte Förderpläne und -maßnahmen für geistig behinderte Erwachsene nicht zwangsläufig die erwünschte Selbstständigkeit, denn diese bergen die Gefahr, "die Teilnehmenden durch endlose Trainings abhängig zu machen und zu manipulieren" (Nirje 1994, S. 21). Der Autor stößt in eine rechtliche Grauzone, indem er das Normalisierungsprinzip "als Richtlinie und Hilfsmittel bei Gerichtsverhandlungen" (ebd. S. 28) sieht, denn die eingeforderte Normalität widerspricht der geistig behinderten Person zugestandenen eingeschränkten Schuldfähigkeit, die nicht nur vor Strafe, sondern auch vor persönlicher Haftung schützt. Bezüglich der stadtteilnahen Wohnformen wird kritisiert, dass diese zu "intensiveren Konfrontationen mit den eigenen Grenzen und Mängeln" (Pitsch 2006, S. 231) führen, deren Bewältigung für Menschen, denen die hierfür notwendigen Fähigkeiten fehlen, äußerst schwierig ist.

Dieser Kritikpunkt impliziert, dass eine Orientierung an den Lebensverhältnissen nichtbehinderter Menschen für diejenigen mit Behinderung möglicherweise unerreichbar hohe Ziele vorgibt. Hier ist auf das von Wüllenweber (2004) erläuterte Missverständnis hinzuweisen, der dem Konzept eine gewisse Naivität der komplexen Lebensproblematik von Menschen mit Behinderung vorwirft. An dieser Stelle wird eine Fehlinterpretation des Prinzips ersichtlich, da lediglich eine Entwicklung in Richtung der Normalität gefordert wurde und nicht deren komplette Imitation. Wüllenweber benennt die Gefahr, dass der Begriff "Normalisierung" nicht gleichgesetzt werden darf mit einem kompletten Wegfall spezieller Hilfen oder einem "Alles-oder-nichts-Konzept" (ebd. S. 68). Des Weiteren wird das Konzept missverstanden, wenn Menschen mit und ohne Behinderung wahllos zusammen gebracht werden. Durch eine Erhebung von Kief (1994) stellte sich heraus, dass es bei gemischten Wohngruppen zu überhöhten Anforderungen an die nicht behinderten Menschen kam - dies hat dann nicht mehr viel mit Normalisierung gemein (vgl. ebd. S. 33ff.).

Es bleibt festzuhalten, dass das Normalisierungsprinzip nicht das Ziel verfolgte, den Menschen mit Behinderung, sondern lediglich seine Lebensbedingungen an die Gesellschaft anzupassen. Pitsch (2006) betont, dass es trotz positiv veränderter Lebensbedingungen für Menschen mit schwersten Behinderungen schwierig ist, autonom zu handeln - deshalb sollte sich die Normalisierung nicht bloß an ‚fast Selbstständigen' orientieren, sondern vor allem an schwer benachteiligten Menschen. "Normalität wird ... zum Zielpunkt einer Entwicklung, die Schritt für Schritt mit Geduld und Übersicht zu gestalten ist. Das Prinzip ‚Alles oder Nichts' kann und darf hier nicht gelten" (Pitsch 2006, S. 234).

Ramcharan u.a. (2002) betrachten das Normalisierungsprinzip als ein heute überholtes Programm, welches "an Menschen mit Behinderung herangetragen wurde, von Normen einer Mittelschicht fühlbar durchdrungen ... sowie Fragen zum Verhältnis von Normalisierung, Normalität und Normalismus unbeantwortet ließ" (vgl. ebd. S. 245f.; zitiert nach Theunissen 2009, S. 90).

Trotz kritischer Betrachtung und verbesserungswürdiger Maßnahmen hat das Prinzip der Normalisierung die Grundlage für humanere Lebensbedingungen für Menschen mit (geistiger) Behinderung geschaffen und kann somit als normativer Vorläufer der Selbstbestimmung und des Empowerments angesehen werden.

2.3 Selbstbestimmung

In Anbetracht des Paradigmenwechsels der Leitbilder stellt sich die Frage, ob die Betrachtungsweise der Normalisierung durch die der Selbstbestimmung abgelöst wurde. Nach Hähner (2006) ist dies keineswegs der Fall, denn die Forderungen des Normalisierungsprinzips nach einer humaneren Lebensgestaltung haben durch das hinzugekommene Paradigma der Selbstbestimmung keinerlei Bedeutung verloren, sondern haben eher an Relevanz gewonnen (vgl. ebd. S. 105). Die Normalisierungsbewegung bildete den Rahmen für die Ausbildung des Gedankens der Selbstbestimmung für Menschen mit einer geistigen Behinderung, welche ihnen lange Zeit abgesprochen wurde. Die Menschen galten als unfähig, ihr Leben selbstständig zu führen und zu gestalten und wurden als vollkommen abhängig von fremder Hilfe angesehen (vgl. Kulig/Theunissen 2006, S. 237).

Der 1994 von der Bundesvereinigung Lebenshilfe organisierte Kongress zum Thema Selbstbestimmung (Motto: ‚Ich weiß doch selbst, was ich will!') spiegelte erstmals öffentlich das Interesse von Betroffenen wider. Es wurde die sogenannte ‚Duisburger Erklärung' (vgl. Anhang) verabschiedet, in der Betroffene selbst sowie Fachleute artikulierten, was sie unter ‚Selbstbestimmung' verstehen (vgl. Speck 2000, S. 11ff.).[22] Anhand der darin formulierten Aussagen wird deutlich, dass es den Menschen, wie es auch Speck (2007) betont, um eine "Unabhängigkeit von Fremdbestimmung in psycho-physischer, biologischer, sozialer, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht" (ebd. S. 300) ging und noch immer geht.

Der Begriff des ‚Selbst' impliziert eine "moderne Vorstellung der Identität und des Subjekts" (Kulig 2006, S. 238). Dem Wortteil "Bestimmung" kommen hierbei zwei Bedeutungsebenen zu. Einerseits das Erkennen oder Klassifizieren, andererseits die Macht, die jemand über etwas haben kann. Demnach verweist der Begriff der Selbstbestimmung auf einen einzelnen Menschen, der sich selbst erkennt, indem er sich definiert und zugleich Macht über sich ausübt (ebd. S. 238). Nach Wehmeyer (1992) bezieht sich Selbstbestimmung auf "Einstellungen und Fähigkeiten, die für ein Individuum nötig sind, um als primär kausaler Agent (primary causal agent, E.V.) das eigene Leben zu gestalten und in Bezug auf die eigene Lebensqualität frei von allen unnötigen, übermäßigen externen Einflüssen, Einmischungen oder Beeinträchtigungen eine Auswahl von Dingen und Entscheidungen zu treffen" (ebd. S. 292; zitiert nach Theunissen/Plaute 2002, S. 22). Folglich ist die Selbstbestimmung in einem normativen Sinn zu verstehen, als Leitidee eines anzustrebenden Ziels und eines lebenslangen Entwicklungsprozesses. Sie ist gekennzeichnet durch die freie Entscheidung und Handlung des Individuums, die Selbstartikulation und die Fähigkeit, eigene Ziele zu formulieren.

Dieses Konzept des autonomen Individuums ist jedoch mit Vorsicht zu betrachten. Kulig/Theunissen (2006) zeigen die Gefahr auf, die beschriebene Freiheit und Unabhängigkeit allzu absolut zu setzen und das Selbst als eine "egobezogene Größe" (ebd. S. 242) zu erhöhen. Daraus könne eine Ignoranz gegenüber der Umwelt folgen, bzw. ihres Einflusses für die Bildung des Selbst. Auch Speck (2007) merkt an, dass es für die Ausbildung von Selbstständigkeit und -bestimmung von Menschen mit Behinderung immens wichtig ist, diese in eine "tragfähige Gemeinschaft" (ebd. S. 302) zu integrieren.

Rechtlich fand der Begriff der Selbstbestimmung Einzug in die Gesetzgebung - 2001 wurde er im SGB IX als "Zwecksetzung sozialer Leistungen für Menschen mit Behinderung" (Fornefeld 2008, S. 123) eingeführt.[23] Was jedoch als Selbstbestimmung und Teilhabe gilt, wird gesetzlich nicht definiert und bleibt Ermessenssache.

Fornefeld (2008) betrachtet aufgrund der "Übernahme ökonomischen Denkens in die Behindertenversorgung (die Selbstbestimmung, E.V.) als Pflicht für Menschen mit Behinderung" (ebd. S. 123).[24] Diese Sichtweise lässt sich ebenfalls bei Waldschmidt (1999) finden, indem sie anmerkt, dass der Begriff der Selbstbestimmung mit einer Ambivalenz behaftet ist. Einerseits bedeutet er die Befreiung aus Zwang, Unterdrückung und aus rigiden Strukturen und wird als Freiheitsrecht angesehen (vgl. ebd. S. 43). Auf der anderen Seite geht Selbstbestimmung auch mit einer bestimmten Pflicht einher, wie es auch Fornefeld (2008) versteht. Den Individuen wird ein hohes Maß an Eigenverantwortung aufgetragen, woraus sich die Gefahr einer Überforderung ergeben kann. Menschen mit Behinderung brauchen stärker als andere die Solidarität der Gemeinschaft: "Ohne entsprechende Rahmenbedingungen wird Selbstbestimmung zum Drahtseilakt ohne Netz. ... Der verallgemeinerte Individualismus birgt somit für behinderte Menschen zwei Enden, die schwerlich zusammenzuhalten sind. Er ermöglicht ihnen einerseits - endlich! - die Emanzipation; andererseits konfrontiert er sie mit der schlichtweg unerfüllbaren Anforderung, ganz allein auf sich gestellt zu sein" (ebd. S. 44). Diesen Aspekt der Ambivalenz greift der EmpowermentAnsatz später auf.

Speck (2000) spricht in diesem Zusammenhang von dem "Bemühen um eine ständig neu zu findende Subjekt-Objekt-Balance" (ebd. S. 21), denn jedes Individuum ist eigenständig und gleichzeitig eingebunden. Demnach wird zwar eine Abkehr der völligen Fremdbestimmung fokussiert, jedoch darf die Abhängigkeit von gesellschaftlichen Normen und die Verbundenheit zu anderen nicht ausgeklammert werden (vgl. auch Fornefeld 2008, S. 125ff.). Gleichzeitig hebt der Autor hervor, dass Freiheit, Wahl- und Mitbestimmungsrecht nicht legitimiert, jegliche Hilfestellung von Außen einzustellen (vgl. Speck 2000, S. 21). Auch Niehoff (1994) benennt die Problematik dieses Missverständnisses, indem er betont, dass Selbstbestimmung in keinem Fall bedeuten darf, "daß ein Mensch, wenn er auf Hilfe angewiesen ist, ohne das Wissen und ohne Hilfe von Dritten leben müßte" (ebd. S. 190). Laut seines Verständnisses bedeutet es ferner selbstbestimmt zu leben, die erforderlichen Hilfen und deren Inhalte selbst zu bestimmen.

Den Ausführungen von Ackermann (2008) zufolge beinhaltet die Selbstbestimmungsdiskussion den Aspekt, die Individuen in die Lage zu versetzen, mit den sich entwickelnden Herausforderungen umzugehen - das heißt "sie in ihrer Persönlichkeit zu stärken, ohne sie dabei alleine zu lassen" (ebd. S. 58).

An diese Sichtweise setzt der Empowerment-Ansatz als Erweiterung der Selbstbestimmung an. Doch zunächst wird auf den Leitgedanken der Integration und die darauf aufbauende Inklusion eingegangen, welche jeweils einen wichtigen Aspekt für die Selbstermächtigung darstellen.

2.4 Integration und Inklusion

Ein weiteres Paradigma, welches neben dem der Selbstbestimmung Bestand hat, ist das der Integration bzw. der Inklusion. Im Vergleich zur Selbstbestimmung, die das Subjekt thematisiert, richtet sich die Integration eher auf die soziale und strukturelle Dimension.

Integration versteht sich als konsequente Weiterentwicklung des Normalisierungsprinzips, folglich der Angleichung der Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderung an die der nichtbehinderten Bevölkerung. Am stärksten wurde die Integration im schulischen Bereich gefordert und meint "im sozial- und bildungswissenschaftlichen Kontext den Prozess der Eingliederung von Menschen in gesellschaftliche Systeme ... und die gemeinsame Beschulung von behinderten und nichtbehinderten Kindern" (Fornefeld 2008, S. 110). Hierbei ist anzumerken, dass sich diese Forderung weniger als erwünscht erfüllt hat - es werden bisher in Deutschland faktisch nur 5% der Schüler mit Behinderung integrativ beschult (vgl. Fornefeld 2008, S. 111).[25]

Des Weiteren verfolgte die Integrationsdebatte das Ziel, Ausgrenzung und Ungleichbehandlung zu vermeiden. Zu dieser Thematik merkt Fornefeld kritisch an, dass sich die Integration teilweise in neue Formen der Exklusion verwandelt hat. Dies zeige sich im schulischen wie im außerschulischen Bereich, wo Integration selektiv vollzogen werde - nur die ‚fitten' Schüler oder Heimbewohner werden in Regelschulen integriert bzw. in kleinere stadtteilnahe Wohngruppen untergebracht (ebd. S. 113f.).

Nach Feuser (1995) ist Integration "heute ein überstrapazierter, bereits inflationär gebrauchter und missbrauchter Begriff" (ebd. S. 10), der nahezu für alles verwendet wird, was mit (Wieder-)Eingliederung von Menschen mit Behinderung verbunden wird. Auch Schulze (2004) benennt die Gefahr, dass der Begriff der Integration zu einem Schlagwort verkommt (vgl. ebd. S. 214f.).

Aus dieser Argumentation und der Ansicht, welche nicht die bloße Eingliederung von Menschen mit Behinderung vertritt, entwickelte sich der Begriff der Inklusion. Der Fokus liegt nicht mehr auf der sich zu verändernden Person, damit sie (wieder) Teil der Gesellschaft sein kann: "Inklusion ... heißt, dass es erst gar nicht zur Ausgrenzung kommt. Der Idee der Inklusion liegt die Annahme zugrunde, dass man nicht behindert ist, sondern behindert gemacht wird. Handeln nach dem Gedanken bedeutet, bestehende Strukturen so zu verändern, dass Ausgrenzung verhindert wird und somit Benachteiligung erst gar nicht entsteht" (Lucia 2008, S. 168f.). Diese Sichtweise verknüpft sich mit der ICF, welche verschiedene Faktoren für die Ursache von Behinderung in den Blick nimmt (vgl. Kapitel 1.1.5).

Folglich beinhaltet der Gedanke der Inklusion weder eine bloße Eingliederung der Menschen mit Behinderung, noch eine Normalisierung durch Anpassung an gegebene Strukturen. Die Inklusion geht davon aus, dass die Gesellschaft umstrukturiert werden muss - sie "verlangt eine Abkehr von Maßnahmen, die nur das Behindertsein in den Augenschein nehmen" (Theunissen/Schirbort 2006, S. 21) und fordert einen Ansatz, der behinderte und nichtbehinderte Menschen gleichermaßen als eine Art Lebensgemeinschaft in Betracht zieht (beispielsweise in ihrem vertrauten Sozialraum wie der Gemeinde, dem Stadtteil oder der Wohnsiedlung).

Für Tefloth (2006) bildet das Konzept der Inklusion einen gesellschaftlichen Idealzustand, "denn im Rahmen des (sonder-)pädagogischen Inklusionsverständnisses beinhaltet der Begriff die Vorstellung einer (heterogenen, E.V.) Gesellschaft, welche die interne Differenzierung in unterschiedliche Subsysteme negiert" (ebd. S.9f.; zitiert nach Fornefeld 2008, S. 114). Nach Fornefelds Verständnis des Paradigmas geht jedoch nicht nur mit dem Postulat der Integration, sondern auch mit dem Begriff der Inklusion eine Exklusion einher. In Anlehnung an Dederich (2006) konkretisiert sie Merkmale, an denen die Exklusion von Menschen mit Behinderung innerhalb des Versorgungsystems deutlich wird.[26] Diese Probleme der sozialen und kommunikativen Kontakte belasten das inkludierte Individuum. Sie argumentiert ferner, dass "solche Prozesse der Exklusion aber erst dann auffällig werden, wenn die Differenzierungsform der Gesellschaft ein Exklusionsverbot oder ein Inklusionsgebot mit sich bringt" (ebd. S. 116). Laut ihrer Argumentation steigert ein Exklusionsverbot die Komplexität der Gesellschaft, weil dort wo (noch) keine Inklusion möglich ist, neue Institutionen entstehen und sich das System weiter ausdifferenziert.

Den Ausführungen zufolge ist Inklusion (noch) schwer zu realisieren, da sich ein Teil der Menschen mit Behinderung aufgrund behindernder Strukturen nur sehr schwer integrieren lässt - schwerbehinderte Personen, die auf hohe materielle und pädagogische Hilfe angewiesen sind, werden ‚wieder' ausgeschlossen, indem sie in Spezialeinrichtungen untergebracht werden. "Mit der Exklusion der Menschen mit komplexer Behinderung und deren Überführung in ein anderes System ... gesundet zwar das System der Behindertenversorgung, (und, E.V.) kann so dem auferlegten Modernisierungszwang gerecht werden, verliert jedoch an Glaubwürdigkeit, weil es nur noch ein System für die leistungsstärkeren, die integrationsfähigen Menschen mit Behinderung ist" (ebd. S. 118). Der Unterschied zu früheren Ausgrenzungsmaßnahmen besteht dieser Auffassung nach darin, dass Menschen mit Behinderung nicht mehr aus der Gesellschaft, sondern innerhalb der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Integration und Inklusion weisen demnach einen paradoxen Effekt von Einschluss einerseits und Ausschluss andererseits auf.

In Bezug auf die schulische Inklusion, im amerikanischen Sprachgebrauch als "inclusive education" bezeichnet (vgl. Theunissen/Schirbort 2006, S. 15ff.), lässt sich keine einheitliche Differenzierung zwischen Integration und Inklusion verzeichnen - die Begriffe werden laut Theunissen/Schirbort (2006) weitestgehend synonym benutzt, woraus sich Missverständnisse ergeben können.[27] Ferner weisen die Autoren auf kritische Stimmen bezüglich der schulischen Inklusion, vor allem der "full inclusion", hin: "Nicht wenige Kritiker befürchten, dass Politiker, Behörden, und Schulträger in Inklusion die Chance wittern, Kosten im Bereich der Förderung behinderter Kinder und Jugendlicher einzusparen. Zudem wurden bis vor kurzem aus der Sicht vieler Lehrer die strukturellen und curricularen Bedingungen für eine ‚full inclusion' als unzureichend betrachtet" (ebd. S. 17). Anhand dieser Kritikpunkte ist eine völlige Auflösung der schulischen Sondersysteme letztlich (noch) nicht zu verantworten.

Resümierend lässt sich das Paradigma der Inklusion als eine "Einheit des Heterogenen" sowie als "unbedingte Zugehörigkeit in der Gesellschaft" (Kulig 2006, S. 51) beschreiben. Trotz kritischer Stimmen bleiben die Leitideen der Inklusion im Sinne der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft bestehen und finden im Konzept des Empowerments weiter Berücksichtigung (vgl. Kapitel 2.5).

2.5 Die neue Leitidee des Empowerments

Eine Betrachtung des neuesten Leitbildes der Behindertenhilfe, des Empowerment-Konzepts, hat nicht das Ziel, die vorherigen Leitbilder abzulösen - Teile der Selbstbestimmung und der Inklusion bilden die Basis für Empowerment.[28] Es greift die oben beschriebenen Widersprüchlichkeiten der Selbstbestimmung auf und baut darauf ein Programm, welches gleichermaßen "das Soziale, die Du-Bezogenheit und die Gesellschaftlichkeit des Individuums" (Pitsch 2006, S. 242) in den Blick nimmt. Pitsch formuliert weiter, dass Empowerment weitaus mehr als bloße Selbstbestimmung bedeutet (vgl. ebd. S. 243). Des Weiteren handelt es sich um ein Konzept mit einer dialektischen Grundorientierung, da es einerseits die Verhältnisse von Autonomie und andererseits das Angewiesensein auf andere, das soziale Eingebundensein und die soziale Abhängigkeit fokussiert (vgl. Weiß 2000, S. 251).

2.5.1 Historische Entwicklungslinien

Der Begriff ‚Empowerment' entwickelte sich aus der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der afroamerikanischen Bevölkerung Ende der 1950er Jahre (black empowerment) (vgl. Kulig/Theunissen 2006, S. 244). Diese Bürgerrechtsbewegung leistete anhand von selbstorganisierten Aktionen gewaltfreien Widerstand gegen Diskriminierung, Segregation und Benachteiligung von Minderheiten (vgl. Theunissen/Plaute 2002, S. 15). Seit 30 Jahren dient sie in den USA sowie auch in westlichen Industrienationen als Vorbild für andere Randgruppen und soziale Bewegungen, die unter dem Konzept des Empowerments beispielsweise verschiedene Selbsthilfe- und Selbstvertretungsgruppen, politische Bürgerinitiativen, Selbstbildungs- und Selbstermächtigungskampagnen gründeten. Gemeinsam ist den Bewegungen "der Versuch, durch direkte politische Mitsprache, Mitgestaltung und Kontrolle Einfluss auf die unmittelbaren Lebensumstände oder auch auf ‚riskante' Erscheinungen gesellschaftlicher Entwicklung ... zu nehmen" (Theunissen(Plaute 2002, S. 15).[29] Im Kontext dieser verschiedenen sozialen Bewegungen befinden sich die Anfänge des Empowerment-Konzepts, von dem ausgehend Menschen ihren Anspruch auf "ein Mehr an eigenem Leben" (Herriger 2006, S. 22) ihre Einstellung gegen scheinbar unverrückbare Lebensverhältnisse immer deutlicher zum Ausdruck gebracht haben. Im Hinblick auf das Thema ‚Empowerment für Menschen mit (geistiger) Behinderung' leistete das Independent Living Movement in den USA einen wichtigen Beitrag, deren Verdienste die Anerkennung von Menschen- und Bürgerrechten, Partizipationsmöglichkeiten und gesellschaftlicher Integration von Menschen mit Behinderung darstellen (hierzu vgl. Kapitel 3.1).

2.5.2 Entwicklung und begriffliche Zugänge

Empowerment wird häufig übersetzt mit ‚Selbstbefähigung', ‚Selbstermächtigung', oder ‚Stärkung von Autonomie und Selbstbestimmung' (vgl. Herriger 2006, S. 13; Klauß 2008b, S. 34). Pitsch (2006) kritisiert an solchen Übersetzungsversuchen, dass diese zu kurz greifen und dem ganzen Anliegen des Empowerments nicht gerecht werden, da es sich eher um eine Philosophie oder ein umfangreiches Programm handelt (vgl. ebd. S. 243). Auch Herriger (2006) betont, dass ein allgemein akzeptierter Begriff, der "sowohl den wissenschaftlichen Diskurs als auch die psychosoziale Praxis anleiten könnte" (ebd. S. 13), nicht existiert. Vor diesem Hintergrund lässt sich nach Pitsch (2006) der Begriff am besten durch vier Zugänge erfassen (vgl. ebd. S. 243f; vgl. auch Theunissen/Plaute 2002, S. 11ff.):

  • Empowerment verweist auf individuelle Selbstverfügungskräfte, vorhandene Stärken und Ressourcen des Menschen, die es dem Einzelnen er-möglichen, Probleme, Krisen oder Belastungssituationen aus eigener Kraft zu bewältigen sowie ein relativ autonomes Leben zu führen und "ein nach eigenen Maßstäben gelingendes Lebensmanagement zu realisieren" (Herriger 2006, S. 15). Es betrachtet eine Abkehr vom Defizit-Blickwinkel hin zum optimistischen Menschenbild, welches Fremdbestimmung und Abhängigkeit ablegt.

  • Empowerment wird mit einer politisch ausgerichteten Durchsetzungskraft verbunden, indem sich zum Beispiel Gruppen von Menschen mit Behinderung oder Eltern behinderter Kinder für einen Abbau an Benachteiligungen und Vorurteilen, für Barrierefreiheit, rechtliche Gleichstellung und Gerechtigkeit engagieren. Empowerment hat "zum Ziel, die Macht etwas gerechter zu verteilen - und das dort, wo es wichtig ist, nämlich im Hinblick auf die Selbstbestimmung und die Kontrolle der Menschen über das eigene Leben" (Berger/Neuhaus 1996, S. 164; zitiert nach Herriger 2006, S. 14).

  • Empowerment steht im reflexiven Sinn für einen selbstbestimmten Lern- und Handlungsprozess, für eine Selbst-Aneignung von Lebenskräften, indem zum Beispiel Menschen mit Behinderung oder deren Eltern ihre Angelegenheiten selber in die Hand nehmen, sich dabei ihrer Kompetenzen bewusst werden, sich in eigener Regie Wissen und Fähigkeiten aneignen und soziale Ressourcen nutzen. Diese Definition betont somit den Aspekt der Selbsthilfe und der aktiven Selbstorganisation von Betroffenen und wendet sich gegen die Allmacht von Fachkräften (vgl. Kapitel 3).

  • Empowerment wird im transitiven Sinn benutzt, indem die Menschen mit Behinderung und deren Angehörige von anderen angeregt, ermutigt und in die Lage versetzt werden, eigene (oft verschüttete) Stärken und Kompetenzen zur Selbstgestaltung der Lebenswelt zu entdecken, zu entwickeln und zu nutzen. In den Blick rücken hier die beruflichen Helfer der unterschiedlichen Handlungsfelder sowie der "Leistungskatalog der Mitarbeiter psycho-sozialer Dienste und Einrichtungen, die Prozesse der (Wieder)Aneignung von Selbstgestaltungskräften anregen, fördern und unterstützen" (ebd. S. 17). Ziel ist es demnach im transitiven Verständnis, den Menschen vielfältige "Vorräte von Ressourcen für ein gelingendes Lebensmanagement" (ebd. S. 17) zur Verfügung zu stellen, auf welche die Menschen bei Bedarf zurückgreifen können.

Empowerment steht für eine professionelle Praxis, die im Hinblick auf die Arbeit mit (geistig) behinderten Menschen und ihren Bezugspersonen bereit ist, das medizinisch orientierte Helfermodell aufzugeben und sich auf Prozesse der Zusammenarbeit, eines gemeinsamen Suchens nach Lösungen und Beratung einzulassen und dabei die Interessen Betroffener respektiert (vgl. Pitsch 2006, S. 243). Herriger (2006) spricht von einer "neuen Kultur des Helfens" und wendet sich in Anlehnung an Theunissen/Plaute (2002) gegen paternalistische Helfermodelle, die eine Praxis für Menschen in gesellschaftlich marginaler Position ohne deren Zustimmung betreiben (vgl. ebd. S. 41).

Den oben beschriebenen Zugängen ist eines gemeinsam: Die Konstruktion einer Subjektivität, die die Kraft findet, für sich und für andere ein besseres Leben zu erlangen. An dieser Stelle wird die Erweiterung des Selbstbestimmungsgedankens ersichtlich - das Individuum wird in seiner Persönlichkeit gestärkt, jedoch mit dem Ziel sich ebenfalls mit anderen Menschen zusammenschließen zu können oder von ihnen Unterstützung zu erhalten. Lindmeier (2008) betrachtet Empowerment als ein Konzept, welches jeweils Selbst- und Fremdbestimmung, Autonomie und Bindung, Freiheit und Risiko, Persönlichkeitsrechte und Unterstützungsbedarf bewusst aufnimmt und als Pole ansieht, zwischen denen menschliche Entwicklungsmöglichkeiten immer wieder auszuhandeln sind. Der Mensch wird dazu befähigt, einseitige Lösungen zu verhindern bzw. einmal gefundene Lösungen wieder zu überdenken (vgl. ebd. S. 114). Es gilt, diese Widersprüche wahrzunehmen, auszuhalten und damit zurechtzukommen (vgl. Weiß 2000, S. 254).

Resümierend verweist Empowerment auf zwei zentrale Aspekte: Zum einen gilt es, dass die Menschen in gesellschaftlich marginaler Position ihre eigenen Stärken und Ressourcen erkennen und einsetzen und zum anderen tritt Empowerment als "Fokus professioneller Bemühungen" (Stark 1996, S. 118; zitiert nach Theunissen/Plaute 2002, S. 13; [Hervorhebung nicht übernommen]) in Erscheinung, um den Menschen bei der Stärkung ihrer Eigenmacht behilflich zu sein.

Die Anforderungen an eine Empowerment-gestützte Praxis und die Grundlage für nachfolgende Ausführungen stellt Herriger (2006) so dar: "Handlungsziel einer sozialberuflichen Empowerment-Praxis ist es, Menschen das Rüstzeug für ein eigenverantwortliches Lebensmanagement zur Verfügung zu stellen und ihnen Möglichkeitsräume aufzuschließen, in denen sie sich die Erfahrung der eigenen Stärke aneignen und Muster einer solidarischen Vernetzung erproben können" (ebd. S. 19; [Hervorhebungen nicht übernommen]).

2.5.3 Handlungsbestimmende Leitlinien

Auf der Basis der Stärken- und Ressourcenorientierung stellen Theunissen/Plaute (2002) fünf Leitlinien auf, die auch in Bezug auf eine Empowerment-gestützte Erwachsenenbildung handlungsleitend sind: die Kollaboration, die Stärken-Perspektive, die Subjekthaftigkeit, die Kontextorientierung und die Solidarische Professionalität und Parteinahme (vgl. ebd. S. 35ff.).

Kollaboration

  • Die Grundlage für gelingende Empowerment-Prozesse ist die Kollaboration, welche eine Gleichberechtigung zwischen Adressaten und Professionellen fokussiert und von drei Prinzipien geleitet wird: "1. Eine geteilte Anerkennung der Dringlichkeit von Problemen, mir denen sich der Klient (besser gesagt der Adressat, E.V.) konfrontiert sieht; 2. Eine gemeinsame Verpflichtung in Bezug auf Problemlösungen auf einer größtmöglichen demokratischen Basis; 3. Eine durch den Helfer (besser Dienstleister) initiierte Wertschätzung der menschlichen Würde beider Partner der Beziehung, ungeachtet aller Unterscheidungsmerkmale von sozialer Klasse, ethnischer Zugehörigkeit, Lebenschancen und Bildungsvoraussetzungen" (Simon 1994, S. 8; zitiert nach Theunissen/Stichling 2008, S. 36). Kritisch zu betrachten ist hierbei, dass es nicht in jedem Fall möglich ist, das Machtgefälle zwischen Adressaten und Dienstleister aufzuheben, damit sich ein gleichberechtigtes Beziehungsverhältnis aufbauen kann.

Stärken-Perspektive

  • Die Stärken-Perspektive baut auf einem optimistischen Menschenbild auf und spielt vor allem im Bereich der Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung eine wichtige Rolle. Ausgangspunkt ist die Erschließung individueller, selbstheilender und sozialer Stärken, beispielsweise durch eine "biographische Spurensuche nach verschütteten Fähigkeiten, Talenten, Ressourcen, Interessen, Lebenskräften oder kulturellen Bräuchen" (Theunissen/Plaute 2002, S. 36; vgl. auch Herriger 2006, S. 72ff.). Die Arbeit geht jedoch über eine Individuumszentriertheit hinaus, da sie sich sowohl auf einzelne als auch auf Gruppen und Familien bezieht. Dadurch werden Möglichkeiten der kollektiven Selbstorganisation und der Gründung von Selbsthilfegruppen gefördert (vgl. Theunissen/Plaute 2002, S. 36).

Subjekthaftigkeit

  • Die dritte Leitlinie beinhaltet die Wertschätzung der menschlichen Autonomie, die Anerkennung des Personseins, des Eigensinnes, der Einzigartigkeit sowie die Lebenssouveränität des Menschen. Herriger (2006) verweist auf das Missverständnis, dass eine Anerkennung und Akzeptanz des Menschen kein "'sich-Abfinden', ‚Hinnehmen' oder gar ‚Gutheißen'" (ebd. S. 75f.) bedeutet, und dass die Toleranz nicht grenzenlos sein darf. "Sie endet dort, wo Grundwerte von Interaktion und sozialem Austausch ... in Gefahr geraten" (ebd. S. 75f.). Für den tätigen Pädagogen folgt daraus, die eigenen normativen Überzeugungen zu überdenken und mit dem Klienten zu besprechen und zugleich Grenzen zu setzen. Theunissen/Plaute (2002) fassen zusammen, dass aus dem Dreiklang der bisher vorgestellten Leitlinien ein Konzept hervorgeht, welche aus der Sicht des Betroffenen (Subjektzentrierung), mit ihm gemeinsam (Kollaboration) und seine individuellen und Umfeldstärken (Stärken-Perspektive) berücksichtigend, zu entwickeln ist.

Kontextorientierung

  • Des Weiteren betont Theunissen (2008) die Notwenigkeit einer Lebensweltorientierung (vgl. Kapitel 4.3.1). In Anlehnung an Simon (1994) analysiert er die Verknüpfung und den doppelten Fokus von ‚Person und Umfeld' - eine Beschreibung der Interaktion und der Lebenswelt, "die es im Hinblick auf einschränkende und entwicklungsfördernde Bezüge und Bedingungen zu analysieren gilt" (ebd. S. 387). Daraus ergibt sich ein möglicher Veränderungsbedarf, welcher in eine lebensweltorientierte Praxis mündet.

Solidarische Professionalität und Parteinahme

  • Die letzte Leitlinie resultiert aus den bisherigen Dimensionen - sie bedeutet, Menschen mit Behinderung als Bürger mit Ansprüchen, Verantwortlichkeiten und Rechten wahrzunehmen und zu unterstützen. Diese Unterstützung kann sich beziehen auf subjektiv empfundene Benachteiligung, Ausgrenzung, Diskriminierung oder Stigmatisierung und sollte laut Theunissen/Plaute (2002) in eine Ermutigung zur Selbsthilfe münden (vgl. ebd. S. 38). Es ist auf die Gefahr bei der solidarischen Professionalität hinzuweisen, dass die Kritik mit daraus folgenden potentiellen Loyalitäts- und Gewissenskonflikten seitens der pädagogisch Tätigen sich häufig an bestehende Institutionen und herrschende Mächte richtet, in deren Abhängigkeit sich professionelle Dienstleister befinden (vgl. ebd. S. 38). Diesbezüglich ist es den Autoren zufolge aus dem Empowerment-Blickwinkel sinnvoll, wenn sich auch professionelle Dienstleister "in eigeninitiierten Solidargemeinschaften oder Gewerkschaften zusammenschließen" (ebd. S. 38).

Zwischenfazit: Von der Förderung zur Selbstermächtigung

Im Laufe der Jahre hat sich die Behindertenhilfe von der Aussonderung zum Em-powerment stark verändert - und mit ihr das Menschenbild von Personen mit geistiger Behinderung und der Umgang mit ihnen. Folgende Tabelle soll den starken Wandel resümierend widergeben:

Tab.2: Paradigmenwechsel von der traditionellen zur Empowerment-gestützten Behin- dertenarbeit (In Anlehnung an Theunissen/Plaute 2002, S. 43)

Traditionelle Heilpädagogik und Be-hindertenhilfe

Empowerment-Konzept

Betroffener - Laie, Patient

Betroffener - Experte

Professioneller Helfer - Experte

Professioneller Helfer - Assistent

Medizinisches Modell

Sozialwissenschaftliches Modell

Defizitorientierung

Stärkenperspektive

Individuumszentrierte Interventionen

Lebensweltbezogene Behindertenarbeit

Ziel: Gesellschaftliche Anpassung

Ziel: Selbstbestimmung, kollaborative und demokratische Partizipation

Helfersicht/ -perspektive

Betroffenen- und Rechteperspektive

Segregation und Besonderung

Integration und Inklusion

Hervorzuheben ist, dass sich die verschiedenen Paradigmen seit dem Normalisierungsprinzip nicht abgelöst haben, sondern sich eher gegenseitig ergänzt haben.

Inwiefern sich der Paradigmenwechsel tatsächlich vollzogen hat ist strittig. Laut Speck (2008) ist kein eindeutig neues Paradigma anstelle des vorangegangenen gerückt, vielmehr ist ein Paradigmen-Pluralismus zu verzeichnen, welcher sich zu einem ökologischen Modell zusammenführen lässt, ein "Denkansatz ..., der auch die Zusammenhänge verschiedener Einzelmodelle, also ihre Vereinbarkeit unter wissenschaftlichem Aspekt, ins Gesichtsfeld rückt" (Speck 2008, S. 30).

Es hat sich gezeigt, dass Aspekte der Selbstbestimmung, der Integration und der Inklusion auch im Licht des Empowerments noch handlungsleitend sind.

Der Grundwert der Selbstbestimmung bleibt dem Empowerment-Ansatz erhalten, jedoch wird die Selbstbestimmung nicht absolut gesetzt, um allzu egobezogene Handlungen zu vermeiden, sondern wird von zwei Werten ergänzt. Zum einen um die kollaborative Partizipation, welche den Gedanken der Mitbestimmung und der Gemeinschaftlichkeit in den Fokus nimmt. Empowerment richtet sich nicht wie die traditionelle Heilpädagogik ausschließlich auf personenbezogene Prozesse, sondern nimmt auch gesellschaftliche Bezüge und kontextorientierte Aspekte ins Blickfeld. Weiter unterstreicht das Empowerment-Konzept eine Aufhebung sozialer Benachteiligungen und Ausgrenzungen, wodurch sich die Empowerment-Philosophie wiederum mit Aspekten der Inklusion verknüpft. An dieser Stelle werden auch Gemeinsamkeiten von Empowerment mit der in Kapitel 1.1.5 beschriebenen Klassifikation der ICF deutlich - beide Ansätze betrachten Behinderung nicht primär als Schädigung und Störung, sondern es werden mit Blick auf Menschenrechte soziale und gesellschaftliche Aspekte und Konsequenzen in den Fokus genommen.

Wie es Kulig/Theunissen (2006) beschreiben, ist das Empowerment-Konzept "insgesamt betrachtet ein anspruchsvolles Unternehmen, das den Grundeinsichten entsprechend eine permanente Gratwanderung zwischen professioneller Einmischung und Zurücknahme verlangt" (ebd. S. 246). Die neue Leitidee macht es sich zum Ziel, eine Balance zu finden zwischen den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung nach Hilfe, Schutz und Unterstützung einerseits und gleichzeitig ihre Wünsche, Interessen, Stärken und Potentiale zu berücksichtigen und zu stärken. Vor diesem Hintergrund erstellte Theunissen (2002) ein spezielles Assistenzmodell für Menschen mit geistiger Behinderung, welches zur Professionalisierung der heilpädagogischen Arbeit beitragen soll (vgl. Kapitel 3.2).

Es bleibt festzuhalten, dass im Rahmen des Empowerments die Gefahr der Idealisierung besteht - nicht alle Menschen mit Behinderung (jedoch auch ebenfalls Menschen ohne Behinderung) sind gleichermaßen in der Lage, ihr Leben völlig selbstständig zu gestalten. Aus dieser Perspektive ist es wichtig, dass die Partizipation, die Teilhabe und die Abkehr von Fremdbestimmung, wenn auch noch nicht flächendeckend umgesetzt, jedoch zumindest Einkehr in die Gesetzgebung gefunden hat.

Problematisch wird die Umsetzung möglicherweise in großen Einrichtungen, in denen die Mitarbeiter zwischen den Ansprüchen und Anforderungen ihres ‚Dienstherren' einerseits und den Bedürfnissen und Rechten ihrer Adressaten andererseits stehen, die unter dem Empowerment-Blickwinkel Priorität haben. Demnach ist es notwendig, die Komplexität der Machtstrukturen zu analysieren und gegebenenfalls zu verändern, damit mehr Handlungsspielraum entsteht (vgl. Theunissen/Stichling 2008, S. 394).

Durch den erläuterten Perspektivwechsel wird an die Gesellschaft im Allgemeinen und an die Pädagogik im Speziellen appelliert, einen Kontext zu schaffen, in dem der Mensch mit (geistiger) Behinderung optimal am gesellschaftlichen Leben partizipiert und sein Leben so führt, wie es ihm möglich ist, anstatt ihn wie vor einigen Jahrzehnten bewusst von der Gesellschaft zu separieren. Als Hauptakteure ihres Lebens stehen die Menschen mit (geistiger) Behinderung vor der Aufgabe, sich in Selbstbestimmung zu üben, da die erlernte Bedürfnis- und Hilflosigkeit aufgrund von einst stark ausgeprägter Fremdbestimmung recht hoch ist (vgl. Theunissen 2009, S. 74).



[18] Charakteristisch hierfür ist das Schwerbehindertengesetz von 1974, eine einheitliche Pflichtquote zur Einstellung von Menschen mit Behinderung, die Ausgleichsabgabe bei Nichterfüllung der Quote sowie die zunehmende Errichtung von Werkstätten für Behinderte und Sonderschulen.

[19] Isolationskarrieren beginnen laut Hähner (2006) mit dem Eintritt in die Frühförderung und münden über Sonderkindergärten und Sonderschulen in Werkstätten für Behinderte (vgl. ebd. S. 31).

[20] Wüllenweber (2004) nennt in Anlehnung an Bank-Mikkelsen folgende Beispiele: Einen geregelten Tages- und Jahresrhythmus, einen normalen Lebensablauf, die Respektierung der jeweiligen individuellen Bedürfnisse, angemessene Kontakte zwischen den Geschlechtern, einen normalen wirtschaftlichen Standard und letztlich die Anhebung der Standards an ein zumutbares Niveau in Einrichtungen der Behindertenhilfe hinsichtlich ihrer Größe, Ausstattung und Lage (vgl. ebd. S. 67f.).

[21] Die Werkstätten lassen sich bezüglich der Normalisierung nur teilweise als Erfolg betrachten - zwar wird den Menschen dadurch ein Arbeitsplatz geschaffen, jedoch werden sie weiterhin von der restlichen Gesellschaft segregiert.

[22] Beispielsweise wurden folgende Aussagen von Menschen mit Behinderung getroffen: "Wir wollen genauso behandelt werden wie andere; ihr könnt uns doch nicht vorschreiben, was wir essen und trinken; wir möchten die Wahl haben, in welche Schule wir gehen und wo wir wohnen; wir wollen überall dabei sein; wir wollen Verantwortung übernehmen" (vgl. Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. 1997, S. 10f.).

[23] SGB IX, Kapitel 1, §1 Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft: "Behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen nach diesem Buch und den für die Rehabilitations-träger geltenden Leistungsgesetzen, um ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken. Dabei wird den besonderen Bedürfnissen behinderter und von Behinderung bedrohter Frauen und Kinder Rechnung getragen" (Fuchs 2008, S. 1).

[24] Auch Ackermann (2008) führt kritisch an, dass Selbstbestimmung heute längst nicht mehr Befreiung des Subjekts, sondern Pflichtprogramm der Bürger und damit zur Voraussetzung für die Teilhabe an der heutigen Gesellschaft geworden ist (vgl. ebd. S. 58).

[25] Zur ausführlichen Entwicklung der Integration im schulischen Bereich vgl. Schulze (2004).

[26] Laut Dederich (2006) weisen Menschen mit Behinderung einen schlechten Gesundheitszustand auf, drohen von bisherigen Krankenkassenleistungen ausgeschlossen zu werden und es gibt häufig Probleme in der Kommunikation zwischen Fachkräften und Menschen mit Behinderung (vgl. ebd. S. 115f.).

[27] Theunissen/Schirbort (2006) erläutern bezüglich dieser Problematik, dass es auf der einen Seite Inklusionsbefürworter gibt, die sich für spezielle pädagogische Programme außerhalb des gemeinsamen Unterrichts für behinderte Schüler in Regelklassen einsetzen, und auf der anderen Seite gibt es die "Inclusive Schools Movement", die für eine uneingeschränkte Aufnahme behinderter Schüler eintritt und auf spezielle Hilfen außerhalb des Unterrichts verzichten möchte. Diese Befürworter folgen der Leitlinie einer sogenannten "full inclusion" (ebd. S. 17).

[28] Auch das Postulat der Normalisierung hat in gewissen Teilen noch eine starke Bedeutung - so darf nach Furrer (1990) Normalisierung "nicht Einpassung in die inhumanen Zwänge des Systems sein, sondern ein Anstreben und Ausgleichen von Lebensbedingungen, die für alle Menschen ... mehr Lebensqualität versprechen" (ebd. S. 11).

[29] Ausführliche Darstellung der Bürgerrechtsbewegung und weiterer sozialer Bewegungen in den USA wie beispielsweise die Frauen-, Ökologie-, Friedens- und politische Bewegung vgl. Herriger (2006, S. 22ff.).

3. Vom Betreuer zum Begleiter - der "Helfer" im Wandel der Leitbilder

Der Perspektivwechsel hin zur Selbstermächtigung bringt einen Wandel der Rolle des professionellen Begleiters mit sich: Das klassische Helfermodell wurde im Rahmen der Selbstbestimmungsdebatte durch verschiedene Assistenzkonzepte ersetzt. Im Sinne des Gleichberechtigungsgedankens des Empowerments zwischen Adressaten und Professionellen ist zudem auf verschiedene Begleiter-Modelle, auf die von Theunissen (2009, S. 71ff.) in Anlehnung an Herriger (2006, S. 223ff.) aufgestellten Assistenzformen sowie auf das selbstbestimmungsfördernde Konzept des ‚Persönlichen Budgets' im Rahmen des Kundenmodells hinzuweisen.

Im Ansatz des Empowerments tritt ebenfalls die Forderung von Betroffenen auf, sich in selbstorganisierten Gruppen zusammenzuschließen und für ihre eigenen Belange in Abkehr zur Fremdbestimmung selbst einzutreten. In Anlehnung an die amerikanische ‚Independent-Living'-Bewegung (in Deuschland ‚Selbstbestimmt Leben' [vgl. Rock 2001, S. 12ff.]), die sich aus Menschen mit Körper- und Sinnesbehinderungen zusammensetzt[30], ist die Bewegung der Menschen mit kognitiver und geistiger Behinderung in den Blick zu nehmen. Die ‚National Self-Advocacy-Organisation' formuliert ihre Philosophie folgendermaßen: "We believe that people with disabilities should be treated as equals. That means that people should be given the same decisions, choises, rights, responsibilities, chances to speak up to empower themselves" (Recommendations for the National Self-Advocacy Organization 1991; zitiert nach Rock 2001, S. 29).

3.1 Self-Advocacy - Empowerment-Bewegung geistig behinderter Menschen

"Der Begriff ‚Self-Advocacy' steht im angloamerikanischen Sprachraum für den Aufbau und die Vernetzung von eigenständigen Interessenvertretungen geistig behinderter Menschen ... sowie für den damit verbundenen Anspruch der Menschen auf Selbstbestimmung und Selbstvertretung" (Rock 2001, S. 23). Die Betroffenen diskutieren ihre Situation und Probleme, finden Unterstützung beieinander, setzen sich für gemeinsame Interessen ein und vertreten diese öffentlich. In diesem Zusammenhang steht Self-Advocacy für Selbsthilfe und kollektive Interessenvertretung. Mit Respekt als erwachsene und gleichberechtigte Bürger angese-hen zu werden, die eigenen Belange selbst zu vertreten sowie mehr Wahlmöglichkeiten bei der eigenen Lebensgestaltung zu haben sind Forderungen, die im Mittelpunkt der Bewegung stehen (vgl. ebd. S. 22).[31]

Es lassen sich verschiedene Modelle von Self-Advocacy-Gruppen aufzeigen, die von der Mitsprache und Mitbestimmung in bestehenden Behinderteneinrichtungen bis zur politischen Lobby-Arbeit reichen (vgl. ebd. S. 23f.). Einen wichtigen Stellenwert haben außerdem die Organisation, Durchführung und Partizipation an und von Kongressen (vgl. beispielsweise "Duisburger Kongress 1994" in Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. 1997). Bezüglich der Errungenschaften der Gruppen erläutert Rock (2001) Veränderungen von der individuellen über die institutionelle bis hin zur gesellschaftlichen Perspektive. An dieser Stelle werden Empowerment-Prozesse sichtbar - zum einen da sich die Mitglieder auf der individuellen Ebene selbstständiger fühlen, mehr Selbstvertrauen haben und von der Position des Hilfeempfängers zur Unterstützung-gebenden Rolle gelangt sind. Des Weiteren wurden auf institutioneller Ebene Veränderungen durchgesetzt. Beispielsweise trug die Arbeit von People-First-Gruppen zur Schließung von Großeinrichtungen bei. Auf gesellschaftlicher Ebene erreichten sie eine Abschaffung des in Kapitel1 erläuterten, als stigmatisierend empfundenen Begriffs ‚mental handicap' (vgl. ebd. S. 31ff.). Anhand dessen wird deutlich, dass die Gruppierungen Selbstbestimmung und damit auch Selbstdefinition fokussieren - ihre Forderung ist die Bezeichnung von ‚Menschen mit Lernschwierigkeiten'.[32] Wie es Hähner (2006) formuliert, verlangen Menschen mit Behinderung anhand von Self-Advocacy "nichts anderes, als daß die allgemeinen Menschenrechte auch auf sie Anwendung finden, sowie auf uns alle" (ebd. S. 35).

Um den Menschen, die Hilfe und Unterstützung trotz aller Selbstbestimmung benötigen, zu mehr Eigenständigkeit zu verhelfen, ohne sie jedoch dazu zu drängen, entwickelten sich Formen der Assistenz als Abkehr von dem oben genannten therapie- und förderzentrierten Modell der Betreuung (Hilfe) von Menschen mit Behinderung. Auch Theunissen/Plaute (2002) betonen die Koppelung des Eintretens für Selbstbestimmung und die Verbesserung von Lebenssituationen mit unterstützenden Dienstleistungen oder assistierenden Hilfen, welche ebenfalls für eine Empowerment-gestützte Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung unumgänglich sind (vgl. ebd. S. 58; Kapitel 7.4).

3.2 Das Assistenzkonzept

Laut Theunissen (2009) hat sich das Helferprofil stark verändert und gleicht einer "Dienstleistungskultur" (ebd. S. 72), dessen Arbeitsmentalität auf der Anerkennung und Gleichberechtigung von Betroffenen und Professionellen sowie auf dem wesentlichen Aspekt der Assistenz beruht, welcher die "Stärkung der Adressaten als Regisseure der eigenen Entwicklung" (ebd. S. 72) in den Blick nimmt.

Das Assistenzkonzept bezieht sich auf ein verändertes Selbstverständnis von bezahlten und nichtbezahlten Helfern: "Gegen die bisherigen paternalistischen oder advokatorischen Figuren von Fürsorge, Betreuung, Förderung und Therapie wurden die Aufgaben und die Rolle der Helfer neu bestimmt" (Ackermann 2004, S. 163). Nach Gaedt (1997) gibt es einen "wesentlich höheren Grad an Individualisierung der Hilfen" (ebd. S. 90) und eine Angleichung der Dienste an die Interessen der Betroffenen. Theunissen (2009) betont weiter, dass sich das Aufgabenspektrum des Assistenten nicht generalisieren, sondern zielgruppenbezogen erschließen lässt, weshalb an dieser Stelle nicht ausführlich auf die einzelnen Aufgaben eingegangen wird (vgl. ebd. S. 71f.).[33] Insgesamt betrachtet darf nicht der Anspruch auf "care im Sinne assistierend-fürsorglicher Hilfen" (ebd. S. 73) negiert werden. Im Sinne einer Empowerment-gestützten Assistenz werden Probleme nicht ignoriert oder versucht ‚fortzufördern', sondern anhand der individuellen Stärken wird "auf der Basis einer dialogischen Verständigungsarbeit, ... Partizipations-, Mitgestaltungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten auf größtmögliche Handlungsspielräume des Einzelnen" (ebd. S. 73) verwiesen.

Unter dem Konzept der Persönlichen Assistenz wird jede Form der persönlichen Hilfe verstanden, die einen Assistenznehmer in die Lage versetzt, sein Leben möglichst selbstbestimmt zu gestalten (vgl. Niehoff 2006, S. 53). Dabei setzt es die Kompetenz einer Arbeitgeber- und Anleitungsfunktion voraus, indem die betreffende Person die Aufgaben einer assistierenden Person selbst bestimmt, anleitet und organisiert. Das Modell impliziert die Gefahr einer Ausgrenzung von Personen, die weder für sich selber sprechen, noch aus eigener Kraft oder mit Hilfe von Unterstützung ein für sie lebenswertes, eigenständiges und verantwortliches Leben führen können. Dies betrifft vor allem Menschen mit schweren Lern- und Entwicklungsstörungen. Theunissen (2009) hebt die Gefahr einer Überforderung von Menschen mit geistiger Behinderung durch Überschätzung ihrer (Selbsthilfe-) Fähigkeiten hervor (vgl. ebd. S. 73; auch Niehoff 2006, S. 54).

Eine adäquate Umsetzung der Persönlichen Assistenz auf Menschen mit einer geistigen Behinderung stellt sich auch aus Gründen der erlernten Bedürfnis- und Hilflosigkeit, des geringen Selbstwertgefühls, diffuser Ängste, fehlender Eigeninitiative und Verständigungs- und Kommunikationsprobleme als potentiell problematisch dar (vgl. ebd. S. 73). Damit eine Übertragung dennoch möglich ist, schlussfolgert der Autor aus dieser Aufzählung von ‚Besonderheiten', die es individuell zu erfassen und zu beachten gilt, Anforderungen an den Assistenten. Diese beziehen sich auf fachliche Kenntnisse wie beispielsweise ein Wissen über sozialisationsbedingte, entwicklungs-, lern- und neuropsychologische Zusammenhänge bezüglich des Adressaten, um qualifiziert mit ihm arbeiten zu können. Dabei steht das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben jedes Einzelnen im Mittelpunkt der Arbeit, selbst wenn die Person aufgrund ihrer Funktionsbeeinträchtigung Unterstützung bei der Verwirklichung ihrer Autonomie benötigt (vgl. Theunissen 2009, S. 73ff.). Vor diesem Hintergrund entwickelt der Autor in Anlehnung an die Leitprinzipien des Empowerments ein Assistenzkonzept speziell für Menschen mit geistiger Behinderung. Dieses setzt sich zusammen aus der dialogischen, der lebenspraktischen, der advokatorischen, der sozialintegrierenden, der konsultativen, der facilitatorischen, der lernzielorientierten und der intervenierenden Assistenz (ausführlicher vgl. ebd. S. 77ff.; Theunissen 2001, S. 266ff.). Bezüglich der Assistenzmodelle tritt der von Dörner (2006) geforderte "kategorische Imperativ des Sozialen" in Erscheinung, um die Chancen der stark benachteiligten Menschen nicht zu verspielen. Der Autor fordert, "stets mit dem Letzten zu beginnen, bei dem es sich am wenigsten lohnt" (ebd. S. 99). Letztlich ist die Rolle des Assistenten bei Menschen mit geistiger Behinderung nicht lediglich die eines praktischen Helfers, sondern dieser dient auch als wichtige Bezugsperson für die persönliche Lebensplanung und die Kommunikation des Menschen mit (geistiger) Behinderung. Positiv hervorzuheben ist außerdem die Abkehr vom allmächtigen Helfer hin zum Begleiter und Assistenten, welcher sich nach den Wünschen des Betroffenen richtet.

3.3 Das Kundenmodell

In Anlehnung an die Persönliche Assistenz hat sich in den vergangenen Jahren das sogenannte Kundenmodell herausgebildet, welches auf dem Konzept des Persönlichen Budgets[34] basiert. "Beim Trägerübergreifenden Persönlichen Budget (TPB) handelt es sich um ein seit 1.1.2008 rechtsverbindliches Angebot, mit dem Menschen mit Behinderungen Teilhabeleistungen nach dem SGB IX wahlweise anstelle einer Sachleistung auch in der Form einer Geldleistung erhalten können" (Heß 2008, S. 20). Für den Nutzer bedeutet die Einführung konkret, für sich selbst zu entscheiden, in welcher Form das Persönliche Budget genutzt werden soll. Dies bedeutet, dass eine Bereitschaft von der Nutzerseite gegeben sein muss, sich mit rechtlichen und finanziellen Fragestellungen auseinanderzusetzen. Die Angebote der Leistungsträger müssen sich umorientieren, und zwar von einer "systemorientierten Sachleistung zur personenbezogenen Hilfe" (Frevert 2007, S. 37). Dies spielt insbesondere dann eine Rolle, wenn mehrere Leistungsträger die Hilfen erbringen.

Das Kundenmodell versteht und organisiert professionelle Hilfe für behinderte Menschen als Dienstleistungen, die auf vertraglicher Regelung zwischen den Beteiligten beruhen. Dadurch soll Menschen mit Behinderung ein größerer Einfluss auf das Angebot sowie auf die Ausgestaltung professioneller Hilfe ermöglicht werden, indem sie bzw. ihre Angehörigen anhand von ihnen zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln zu Käufern sozialer Dienstleistungen und folglich zu Kunden mit Qualitätsansprüchen und Verbraucherschutzrechten werden.

Bezweckt wird damit einerseits eine größere Kundenorientierung von Seiten der Dienstleistungserbringer, wodurch Angebot und Nachfrage sich einander angleichen, andererseits soll es die helfende Beziehung von einer einseitigen Abhängigkeit befreien. Ziel ist es folglich, die Machtverhältnisse zugunsten der Nutzer sozialer Dienstleistungen zu verändern. Durch die Möglichkeit, eine Kundenrolle einzunehmen, wandelt sich für behinderte Menschen die Rolle vom Hilfeempfänger hin zum Käufer sozialer Dienstleistungen (vgl. Rock 2001, S. 58; auch Niehoff 2006, S. 54f.). Rock betont weiter: "In der persönlichen Assistenz und als Kunde sozialer Dienstleistungsanbieter sollen die Betroffenen ihre eigenen Bedürfnisse ohne Fremdinterpretation aktualisieren und die Art und Weise, in der diese befriedigt werden, selbst bestimmen können" (ebd. S.59f.).

Die mit dem Kundenmodell einhergehenden strukturellen und finanziellen Veränderungen bedeuten für den Empfänger mehr Einfluss auf das Hilfesystem. Für Menschen mit (geistiger) Behinderung folgt daraus, dass sie "als gleichberechtigte Mitgestalter von Unterstützungsleistungen (betrachtet werden, E.V.) und an allen Planungs- und Entscheidungsprozessen in Einrichtungen und Trägerorganisationen der Behindertenhilfe" (Rock 2001, S. 61) beteiligt sind.[35] Niehoff (2006) sieht die Problematik jedoch darin, dass "souveränes Kundenverhalten zum einen an intellektuelle und psychische Fähigkeiten ... und zum anderen an ‚wirtschaftliche Marktfähigkeit'" (ebd. S. 55) gebunden ist, welche Menschen mit geistiger Behinderung nicht zwingend in ausreichendem Maße zugeschrieben werden können. Ebenfalls wird der Erfolg der Kundenrolle von Aspekten wie der unabhängigen Willensbildung, der Entscheidungsfindung und der Artikulation der eigenen Bedürfnisse geprägt, was sich bei Menschen mit geistiger Behinderung als problematisch darstellen kann. Die Schwierigkeit liegt auch darin, dass Menschen mit geistiger Behinderung bezüglich der Meinungsbildung vielfach von Bezugspersonen abhängig sind.

Auch sozialrechtlich ist laut Niehoff (2006) das Konzept des Kundenmodells problematisch, denn der Hilfebedürftige ist jeweils Antragsteller für sozialstaatliche Leitungen, jedoch entscheidet der Kostenträger über deren Umfang und Inhalt.[36] Dennoch impliziert das Kundenmodell einen selbstbestimmten Umgang mit der Art und dem Umfang der Sachleistung, woraus sich mehr Teilhabechancen und Mitbestimmungsmöglichkeiten für Menschen mit (geistiger) Behinderung ergeben.

Zwischenfazit: Der selbstermächtigte Betroffene in verschiedenen Bereichen

Die Leitideen des Empowerments zeigen sich mittlerweile in verschiedenen Bereichen. Beispielsweise auf der Ebene von Betroffenen, die sich gegenseitig unterstützen, um mehr Anerkennung, Mitbestimmung und gesellschaftliche Akzeptanz zu erhalten und gemeinsam dafür einstehen. Es wurde auf rechtlicher Ebene durch die Einführung des Persönlichen Budgets, auf finanzieller Ebene im Kundenmodell und bezüglich der neuen Rolle des Begleiters durch die Einführung von Assistenzformen dafür Sorge getragen, dass den Menschen mit Behinderung mehr Selbst- und Mitbestimmung ermöglicht wird. Trotz einer gewissen Problematik bezüglich der Übertragbarkeit der vorgestellten Konzepte auf Menschen mit geistiger Behinderung ist sie im Sinne des Empowerments unumgänglich und durchaus möglich. Vor allem das Konzept der Assistenz hat für die Professionalisierung der (Bildungs-)Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung einen erheblichen Stellenwert - im Sinne der Selbstermächtigung und gleichzeitig des ‚erlaubten' Hilfebedarfs.

Welche Perspektiven ergeben sich für die Erwachsenenbildung, um den Menschen mit geringerer Willensäußerung, eingeschränkten intellektuellen Fähigkeiten und erlernter Bedürfnis- und Hilflosigkeit (vgl. Theunissen 2009, S. 74) zu mehr Selbstermächtigung, Selbstbewusstsein und Ichstärke zu verhelfen? Wie kann sich eine Empowerment-gestützte und -fördernde Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung gestalten und welche didaktischen Konsequenzen ergeben sich daraus? Und inwiefern ist der Empowermentansatz ein Bildungskonzept (vgl. Bender 1995, S. 3)?



[30] "Die Angebots- und Aufgabenpalette der Zentren für Independent Living ist breit und reicht von Rechtsberatung, Beratung in Bezug auf Freizeitgestaltung, Sport, soziale Kontakte, Partnerschaft und Sexualität, über Beratung für behinderte Menschen, ihre Partner und Angehörigen, Lebensberatung, Beratung von Familien mit einem behinderten Kind, bis hin zur Interessenvertretung (advocacy) für und mit Kunden, Gruppenarbeit zur Unterstützung von Solidargemeinschaften und Netzwerken, Schulungs- und Trainingskurse in Bezug auf Bewältigungs- und Problemlösungsstrategien, Selbsthilfetätigkeiten, Mobilitätstraining, Anleitung von Helfern, Wohnungs- und Helfervermittlung, Fahrdienste, Hilfsmittelreparaturen oder Arbeitsvermittlung" (Theunissen/Plaute 2002, S. 45).

[31] "Allein in den USA wurde 1996 die Zahl der aktiven Mitglieder auf ca. 17 000 geschätzt - organisiert in 743 Selbstvertretungsgruppen (self-advocacy groups) in 48 Staaten der USA" (Braddock 1996, XIII; zitiert nach Theunissen 2009, S. 109). In Deutschland gibt es zurzeit etwa 20 Selbstvertretungsgruppen mit ca. 173 Mitgliedern, die sich regelmäßig auf (über-)regionaler Ebene sowie bundesweit unter der Regie des "Netzwerk People First Deutschland e.V." als Dachorganisation mit Sitz in Kassel treffen (vgl. Göthling/Schirbort/Theunissen 2006, S. 564).

[32] Aktuell veranstaltet das ‚Mensch zuerst - Netzwerk People First Deutschland e.V.' eine Unterschriftenaktion für die Verbreitung des Begriffs (vgl. Mensch zuerst - Netzwerk People First Deutschland e.V. 2009). Des Weiteren setzt sich ‚Mensch zuerst' für Menschen ein, die in Werkstätten arbeiten oder in Heimen leben. Sie bieten Fortbildungen und Schulungen zum Thema ‚Heim- oder Werkstatträte' an und haben eine Materialsammlung in unkomplizierter Sprache herausgegeben. Die leichte Sprache ist ihnen ein wichtiges Anliegen (vgl. Göthling/Schirbort/Theunissen 2006, S. 562ff.).

[33] Die wesentlichen Rollenbilder und -aufgaben eines professionellen Assistenten stellt Herriger (2006) wie folgt dar: Enabler, Biographiearbeiter, Lebenswelt-Analytiker, Faciliator, Mobilizer, Advocate, Sozialreformer, Mediator, Ressourceninformant sowie Vertrauensperson und Advisor (vgl. ebd. S. 223ff.).

[34] vgl. Grafik im Anhang "Paradigmenwechsel durch PB (2): Persönliches Budget", in Anlehnung an ARINET GmbH Hamburg 2009

[35] An dieser Stelle zeigen sich die Forderungen der Self-Advocacy-Bewegungen nach Mitbestimmung und Mitsprache (vgl. Kapitel 3.1).

[36] "In der Behindertenhilfe wird bezüglich der rechtlichen Situation von einem Dreiecksverhältnis gesprochen, in dem Einrichtungen und Dienste, der behinderte Mensch sowie der Kostenträger zueinander stehen" (Niehoff 2006, S. 55). Die Einrichtung der Behindertenhilfe wird somit zum Verkäufer einer Dienstleistung, und der Kostenträger wird somit zum Kunden einer Dienstleistung. Der Verbrauch der gezahlten Leistung geschieht jedoch durch den behinderten Menschen. "Ihn ... deswegen aber durch die Bezeichnung Kunde in den Status desjenigen zu versetzen, der bezahlt und bestimmt, ist irreführend, solange das Dreiecksverhältnis in der bestehenden Form existiert" (ebd. S. 55f.; vgl. Grafik im Anhang "Paradigmenwechsel durch PB (1): Rechtsbeziehungen bisher", in Anlehnung an ARINET GmbH Hamburg 2009).

4. Bildung im Licht von Empowerment

Die Loslösung vom ‚medizinisch-psychiatrischen Modell' (vgl. Kapitel1), die zunehmende Anerkennung der Bildungsfähigkeit, des Erwachsenenstatus sowie die demographischen Entwicklungen[37] bewirken eine seit drei Jahrzehnten wachsende Hinwendung zum Thema der Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung. Vor allem Theunissen (2002; 2003; 2008; 2009) stellt einen Bezug zwischen Bildung und Empowerment her.

Wie Bender (1995) formuliert, gilt es, im Sinne des Empowerments dem Rat- und Hilfesuchenden, in diesem Fall dem Menschen mit Behinderung, durch Bildung zu neuen Kenntnissen und Fähigkeiten zu verhelfen, "die für eine selbstverantwortliche und befriedigende Lebensführung unerläßlich sind" (ebd. S. 3), um die eigenen Lebensbedingungen mitbestimmen zu können. Es handelt sich dabei um selbstgesteuerte oder angeleitete Bildungsprozesse, die durch "die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung zu einer Hilfe zur Selbsthilfe (beitragen, E.V.). Hilfe und Bildung gehen ... eine notwendige Synthese ein, sie lassen sich nicht gegeneinander ausspielen" (ebd. S. 3, [Hervorhebungen nicht übernommen]).

Klassische Bildungskonzepte bilden hierfür die Grundlage, überprüft werden muss jedoch ihre Übertragbarkeit auf eine heilpädagogisch orientierte Erwachsenenbildung. Theunissen (2003) betont diesbezüglich, dass eine besondere Bildungsarbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung, eine sogenannte Sonder-Andragogik, aus integrationspädagogischer Sicht möglichst vermieden werden und sich an allgemeinen Bildungskonzepten orientieren sollte (vgl. ebd. S. 11f.). Welche Bedeutung hat Bildungsfähigkeit für Menschen mit geistiger Behinderung und wie gestaltet sich eine Empowerment-gestützte Erwachsenenbildung in Anlehnung an ein allgemeines Bildungsverständnis?

4.1 Bildungs- und Lernfähigkeit

Dem defizitären Menschenbild zufolge, welches in Kapitel 1 diskutiert wurde, galten Menschen mit geistiger Behinderung lange Zeit als bildungs- und lern-unfähig.[38]

Speck (2007) formuliert Bildungsfähigkeit in erster Linie als schulpädagogischen Begriff mit schulrechtlicher Relevanz, der im Zusammenhang mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht entstand. Kinder, die den allgemeinen Unterrichtsanforderungen nicht gerecht werden konnten, wurden von der Schule ausgegrenzt. "Dabei verfügte die Schule über ein brauchbares Instrument, die individuelle Bildungsfähigkeit bzw. Bildungsunfähigkeit objektiv unterscheiden zu können" (ebd. S. 52). Erst mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht für Menschen mit geistiger Behinderung im Jahr 1966 (vgl. Lebenshilfe Duisburg e.V. 2009) "wurde der Widerspruch dieser Rechtsnorm zur anthropologisch-psychologischen Grundthese der Bildbarkeit jedes Menschen aufgehoben. ... Nach diesem Verständnis ist Bildungsfähigkeit ein für schulische Selektionszwecke ungeeigneter und deshalb ... auch schädlich wirkender Begriff" (Speck 2007, S. 52).[39]

Nach Fornefeld (2000) ist es schwer, den Bildungsanspruch von Menschen mit geistiger Behinderung uneingeschränkt anzuerkennen, "wenn er allein an der Fähigkeit des Erlernens klassischer Kulturgüter ... wie Lesen, Schreiben, Rechnen u.a.m., festgemacht wird. Bildung ist mehr und darf nicht mit ‚Vernünftigkeit' oder gesellschaftlicher ‚Nützlichkeit' gleichgesetzt werden" (ebd. S. 102, [Hervorhebungen nicht übernommen]). Die Autoren Antor und Bleidick (1995) verknüpfen das Recht auf Bildung mit dem Recht auf Leben. Den Autoren zufolge gehört das Bildungsrecht wesensgemäß zum Menschsein und der Mensch ist auf Weiterentwicklung im Sinne von Selbstentfaltung und Selbstwerdung angelegt. "Lebens-recht und Bildungsrecht sind zwei Aspekte ein und derselben normativen Anerkennung des Menschen als Wesen, dessen Leben auf Weiterentwicklung angelegt ist. ... Sein Leben lang erfährt er Situationen, die eine Veränderung, eine Anpassung, also Lernen erforderlich machen" (Antor und Bleidick 1995, S. 14; zitiert nach Fornefeld 2000, S. 102f.). Carroll (1998) nennt bezüglich der Legitimation und des Bedarfs einer Bildung im Erwachsenenalter auch für Menschen mit geistiger Behinderung die Notwendigkeit einer Sicherung und Erweiterung des in der Schulzeit Gelernten. "Hierauf baut die Erwachsenenbildung auf, da einmal erworbene Fähigkeiten nur durch Anregung und Beanspruchung gesichert und erweitert werden können" (ebd. S. 293). Des Weiteren betont er die Erfordernis des Erlernens neuer Rollen, die im Rahmen des Erwachsenseins auftreten. Auch für Menschen mit geistiger Behinderung ist eine Anpassung an den technologischen Fortschritt und die sich damit verändernden Lebensbedingungen notwendig. Diese Entwicklungen "machen systematische Hilfen zur Orientierung und zur größtmöglichen Selbständigkeit notwendig" (ebd. S. 293).

Den Ausführungen zufolge ist Bildung ebenso für Menschen mit geistiger Behinderung ein möglicher, notwendiger und lebenslanger Prozess der Selbstgestaltung und Selbstfindung, der sich am humanistischen Bildungsideal orientiert, welches als oberstes Prinzip die Entfaltung der Persönlichkeit darstellt (vgl. Kapitel 4.2). Es ist festzuhalten, dass Menschen mit geistiger Behinderung durchaus Potential haben, auch im Erwachsenenalter zu lernen und sich weiterzuentwickeln, weshalb sich ein Anspruch auf Erwachsenenbildung zu Recht erhebt.

4.2 Bezug zum allgemeinen Bildungsverständnis nach Klafki

Die in Kapitel 2.5 erläuterte, stärkenorientierte Wertebasis des Empowerments, welche Ziel und gleichzeitig Mittel einer Bildung für Menschen mit geistiger Behinderung darstellt, spiegelt sich beispielsweise im kritisch-konstruktiven Bildungsverständnis von Klafki (1996) wider.[40]

"Demnach soll Bildung als Vehikel für Chancengleichheit und mehr Humanität zur Demokratisierung der Gesellschaft beitragen" (Theunissen/Plaute 2002, S. 134). Die Bildungskommission NRW (1995) beschreibt Klafkis Bildungsverständnis als "die Befähigung aller zur Verwirklichung des Anspruchs auf Selbstbestimmung in gesellschaftlich vertretbarer Relation und zur ‚Entwicklung eigener Lebens-Sinnbestimmungen'" (ebd. S. 31; zitiert nach Theunissen/Plaute 2002 S. 134). Koller (1997) beschreibt das Bildungsverständnis als Neuauflage des von Humbold vorgenommenen Versuchs, Bildung in einer Dialektik von individueller Selbstbestimmung und vernünftiger Humanität zu bestimmen (vgl. ebd. S. 52f.). Daran anknüpfend nennt Klafki (1996) als oberstes Bildungsziel die Emanzipation des Menschen, die er durch den Dreiklang von Grundfähigkeiten einer "Allgemeinbildung als Bildung für alle zur Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit" präzisiert (ebd. S. 40; 52).

Klafkis Bildungsverständnis und der Empowermentansatz sind sich normativ sehr ähnlich: Beide stimmen in ihrem Grundwert der Selbstbestimmung überein, welche durch die Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit bzw. im Konzept des Empowerments durch die demokratische und kollaborative Partizipation (vgl. Kapitel 2.5.3) ergänzt werden. Diese Fähigkeiten werden in beiden Ansätzen lediglich als Recht und nicht als naturgegeben angesehen, weshalb laut Klafki die Förderung von Handlungskompetenz und Autonomie sinnvoll ist, um von diesem Recht bestmöglich Gebrauch machen zu können. Förderung bezieht sich hierbei nicht darauf, "etwas aus dem Lernenden zu machen, sondern ihn zu befähigen, aus sich selbst etwas zu machen" (Theunissen/Plaute 2002, S. 135).

Klafki hebt die Notwendigkeit einer "Bildung (als Grundrecht, E.V.) für alle" (ebd. S. 21) hervor, weshalb niemand, unabhängig von Art und Schwere der Behinderung, davon ausgeschlossen werden darf. Des Weiteren soll dieser Anspruch im Medium von "Schlüsselproblemen" (ebd. S. 63; 69ff.) eingelöst werden, die Fragen und Grundthemen der Menschen betreffen und die für das Individuum sowie für die Gesellschaft von Bedeutung sind. Es sollen dabei sowohl Wissen als auch Schlüsselqualifikationen wie Kritik- und Argumentationsbereitschaft, Empathie und vernetztes Denken angeeignet werden. Im Bildungsprozess wird "alles mit allem" (ebd. S. 63) verknüpft, um zu einer Bewältigung individueller und gesellschaftlicher Lebensaufgaben sowie zu mehr Partizipationsmöglichkeiten gelangen zu können.

Eine am Empowermentansatz orientierte Bildungsarbeit sollte jedoch klären, welchen ‚Schlüsselthemen' (vgl. hierzu ebd. S. 197f.) für Menschen mit Behinderung besondere Bedeutung zukommt. Die Betroffenen sollten möglichst auch an der Entscheidung beteiligt werden - die Auswahl darf nicht allein "in der Hand von Helfern liegen" (ebd. S. 197).

Klafki betont jedoch, dass es bei der Allgemeinbildung nicht ausschließlich um Schlüsselprobleme gehen darf, sondern dass diese mit dem Erwerb von instrumentellen Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie mit frei wählbaren Interessenschwerpunkten gekoppelt werden müssen (vgl. ebd. S. 74f.).

Als drittes Bestimmungsmoment einer allgemeinen Bildung führt Klafki die ästhetische Dimension an (vgl. ebd. S. 30ff.). Diese bezieht sich nicht primär auf ‚große Kunst', sondern eher auf ein breites Spektrum der Alltagsästhetik wie beispielsweise die "Entwicklung der Einbildungskraft oder Phantasie, des Geschmacks, der Genußfähigkeit, ..., Befähigung zum Spiel und zur Geselligkeit" (ebd. S. 33).[41]

Wie bereits in Kapitel4 erläutert, benötigen Menschen mit geistiger Behinderung keinen eigenen Bildungsbegriff, sondern lediglich eine "Anerkennung und Antworten auf ihre Selbst- und Lebensgestaltung ... (sowie, E.V.) bildende Verhältnisse, die ihnen Bedingungen zur Bildung als Selbstgestaltung pädagogisch-systematisch, institutionell verankert und qualitätssichernd garantieren" (Stinkes 2008, S. 104). Auch Theunissen (2008) betont, dass "das Konzept der Allgemeinbildung nach Klafki für eine am Empowerment-Konzept orientierte Erwachsenenbildung bei Menschen mit Lernschwierigkeiten konstitutive Bedeutung hat" (Theunissen 2008, S. 122).

4.3 Allgemeine didaktische Grundpositionen

Klafkis Bildungsverständnis zufolge wird weder eine spezielle heilpädagogische Bildungstheorie noch eine Sonderdidaktik benötigt. Theunissen (2008) betont jedoch die Notwendigkeit einer Aufbereitung der Grundzüge in didaktisch-methodi-scher Hinsicht, sodass "durch die Verbindung von subjektzentrierten und allgemeinen Zielsetzungen Empowerment-Prozesse angeregt werden können" (ebd. S. 122).

Es ist zu prüfen, welche erwachsenenbildnerischen Grundpositionen für den hier zu berücksichtigenden Personenkreis im Sinne des Empowerment-Konzeptes (besondere) Bedeutung haben und wo die Unterschiede zu einer allgemeinen Erwachsenenbildung liegen.

4.3.1 Lebensweltorientierung

Eine am Empowerment-Konzept orientierte Bildungsarbeit knüpft laut Bender (1995) an die lebensweltorientierte Sichtweise in der Tradition von Husserl und Schütz[42] an, "die an den individuellen lebensweltlichen Deutungen der Adressaten, ihrer ‚subjektiven Wirklichkeit' ansetzt" (ebd. S. 4). Nach diesem Verständnis soll das Individuum dabei unterstützt werden, "sich selbst tendenziell zum Er-kenntnis- und Handlungssubjekt seiner eigenen Lebensverhältnisse zu entwickeln" (ebd. S. 4). In diesem Sinn ist es entscheidend, was "für den Einzelnen von wirklicher Bedeutung für sein Leben in seiner kulturellen und sozialen Umwelt, also in seiner Lebenswelt" ist (Speck 1995, S. 33).

Laut Dewe/Frank/Huge (1988) lässt sich dieser Aspekt der Erwachsenenbildung als ‚Alltagswende' bezeichnen, "die Bildung wie auch Erwachsenenbildung weniger in den Zusammenhang objektiv gegebener Anforderungen an die Handlungs- und Arbeitsfähigkeit des Menschen stellt, sondern die spezifische Bedeutung von Bildungsprozessen für die Bewältigung von alltäglichen, lebenspraktischen Problemen des Subjekts in den Vordergrund stellt" (Dewe/Frank/Huge 1988, S. 48). Demnach richtet sich eine alltagsorientierte[43] Erwachsenenbildung an "'praktische Fragen' aus dem lebensweltlichen Zusammenhang der Adressaten" (ebd. S. 50) und stellt die konkreten Lebensbedingungen der Teilnehmer in den Mittelpunkt. Die lebensweltbezogene Sichtweise betrachtet Lernen als ‚Hilfe zur Selbsthilfe' und spricht sich gegen eine verschulte Erwachsenenbildung sowie gegen eine Infantilisierung von Erwachsenen aus, beispielsweise durch Lernkontrollen. Des Weiteren nimmt sie eine hohe Selbstbestimmung hinsichtlich der Lernziele in ihren Fokus (vgl. ebd. S. 52).

Martin (2005) hebt hervor, dass sich im Rahmen der Sozialen Arbeit sowie in der an Menschen mit (geistiger) Behinderung orientierten Erwachsenenbildung eine pädagogische Hilfe nicht auf Unterricht, sondern eher auf Situationen, den täglichen Umgang und Hilfe bezieht. Der Kern der pädagogischen Tätigkeit beinhaltet infolgedessen kein festgeschriebenes Wissen, sondern richtet sich nach der jeweiligen Erfahrungs- und Problemlage von Individuen und Gruppen (vgl. ebd. S. 31ff.).

Thiersch (1979) akzentuiert die Notwendigkeit, die Aufgaben des Alltags als Chance zu einem emanzipierten Lernen zu verstehen, in ihnen folglich Erfahrungs- und Lernprozesse zu entdecken, die zu nützlichen und autonomen Verhaltens- und Lebensstrategien führen. Dadurch erlangt der Mensch eine wirkliche Aneignung seiner eigenen Erfahrungen und verändert so seine Realität (vgl. ebd. S. 463; zitiert nach Martin 2005, S. 37).

Bezüglich des Personenkreises der Menschen mit geistiger Behinderung wird die Lebensweltorientierung sehr stark gewichtet. Theunissen (2003) spricht diesbezüglich von einer ‚Kontextorientierung' (vgl. Kapitel 2.5.3) und räumt den unmittelbaren Bezugspersonen einen wichtigen Stellenwert im Bildungsprozess ein. Bildendes Lernen, Fähigkeiten oder Kompetenzen entwickeln sich am besten, "wenn das Verhältnis und Zusammenspiel zwischen individuellen Ressourcen und Umgebungsfaktoren passen" (Theunissen 2003, S. 58f.). Daraus folgend bedarf die an Menschen mit (geistiger) Behinderung orientierte Erwachsenenbildung einer Betrachtung und Einbeziehung des sozialen Bezugsfelds, da ein Lernen bei geistig behinderten Erwachsenen im Sinne langfristig wirksamer Veränderung nicht erfolgen kann, wenn sich das sie umgebende soziale Bezugssystem nicht mit verändert (vgl. Linden/Schwarte 1985, S. 175).[44]

Folglich werden die Lebenswelt und die individuelle Entwicklung als Einheit anerkannt und sind bei der Planung von Bildungsmaßnahmen zu berücksichtigen, um etwa "Anstöße zur Veränderung von Rahmenbedingungen (zu) geben und vor allem ... die Fähigkeit und Bereitschaft von Bezugspersonen (zu) fördern, dem Behinderten mehr Selbständigkeit zu gestatten" (ebd. S. 177). Theunissen/Plaute (2002) heben hervor, dass Handlungsfelder mit relevanten Bezugspersonen abzustecken sind, um isolierende Bedingungen zu verringern und eine kontinuierliche Ausdehnung von Lern- und Erfahrungsräumen zu ermöglichen (vgl. ebd. S. 200). Dies eröffnet den Betroffenen die Möglichkeit, "sich selbst besser kennen zu lernen, sich ausdrücken und äußern zu lernen, ihre Wahrnehmung für sich und andere zu sensibilisieren, ihnen kritisches Betrachten ihrer Umweltbedingungen zu ermöglichen und ihre Selbstbehauptungstendenzen zu stärken" (Badelt 1992, S. 6).

Dieser Argumentation zufolge leistet eine an der Lebenswelt orientierte Erwachsenenbildung für den Personenkreis der Menschen mit geistiger Behinderung einen wichtigen Beitrag, Erfahrungen zu verarbeiten, die zu einem "ritualisierten und fremdbestimmten Anpassungsverhalten geführt haben" (Theunissen/Plaute 2002, S. 200).[45]

Bezüglich des Aspekts der Kooperation mit dem zugehörigen Bezugsfeld wird der Unterschied zur allgemeinen Erwachsenenbildung ersichtlich. Die Zusammenarbeit mit Eltern, Angehörigen oder Mitarbeitern von Wohn- oder Werkstatteinrichtungen gehört zu einem wesentlichen Bestandteil der Bildungsarbeit mit geistig behinderten Menschen - "diese Kontextgewichtung ist der Bildungsarbeit mit nichtbehinderten Erwachsenen weithin fremd" (Theunissen/Plaute 2002, S. 59).

4.3.2 Subjektorientierung

Die in Kapitel 2.5.3 erläuterte Leitlinie der Subjekthaftigkeit spielt für den Bildungsprozess im Sinne des Empowerment-Ansatzes eine tragende Rolle. Als didaktische Grundlage dient der erwachsenenbildnerische Ansatz der Subjektorientierung, welcher "als Ausdruck eines besonderen Interesses am Subjekt verstanden" (Ludwig 2005, S. 75) wird. Als Ziel von didaktischen Ansätzen der Subjektorientierung betrachtet Bender (1991) die "Identitätsentfaltung des Individuums in seiner Lebenswelt" (ebd. S. 49, [Hervorhebungen nicht übernommen]).

Ludwig schreibt dem Individuum eine eigene Erkenntnisqualität zu, "die es gegenüber pädagogischen Zumutungen und inhaltlichen Ansprüchlichkeiten zu schützen gilt" (ebd. S. 75).[46] Der individuellen Erkenntnisfähigkeit werden jedoch Grenzen zugeschrieben. Tietgens (1981) verweist bezüglich des Lerneffekts auf die Gefahr: "Eine unreflektierte Anpassung an die Wünsche von Teilnehmern löst noch keine Bildungsprozesse aus, weil zum Lernen auch das Überwinden von Widerständen gehört (und) ... jede Art von Lernhilfe auch und wenn sie sich emanzipatorisch geriert, mit Intentionen verbunden ist, die nicht selbstverständlich auch die der Lernenden sind" (ebd. S. 182; zitiert nach Ludwig 2005, S. 75).

Meueler (1993) betont mit seinem "dialogorientierten Modell" (Ludwig 2005, S. 75) anhand von 32 Annahmen zur subjekivitätsfördernden Erwachsenenbildung eine Subjektentwicklung als offenen, lebenslangen Prozess durch gezieltes Lernen mit anderen (vgl. Meueler 1993, S. 171ff.). Er beschreibt Bildung "als Prozeß der Veränderung, durch den sich der einzelne in seinem Handeln bestimmt. ... Grundlegend ist die Annahme, daß der Mensch, wenngleich Objekt und Produkt der Gesellschaft, sich selbst als Subjekt setzen kann" (ebd. S. 170). Nach der subjekttheoretischen Perspektive von Ludwig (2005) zielt der Mensch mit seinem Handeln auf erweiterte gesellschaftliche Teilhabe. "Dies begründet Subjektorientierung als Orientierung an subjektiven Handlungsproblematiken der Lernenden in ihrer gesellschaftlichen Vermitteltheit" (Ludwig 2005, S. 77). Nach Meueler (2001) gilt das Hauptinteresse einer subjektorientierten Bildungsarbeit "stets der Frage, wie lernende Erwachsene mit ganz unterschiedlichen Lebensgeschichten, Lernvoraussetzungen und aktuellen Lebensbedingungen, die als aktive Subjekte ihre Lebenswelt handelnd bestehen wollen, darin pädagogisch unterstützt werden können" (ebd. S. 293). In Bezug auf Menschen mit geistiger Behinderung bedeutet eine Orientierung am Subjekt neben der vorausgesetzten Erkenntnisfähigkeit von Handlungsproblematiken zu allererst eine Anerkennung des Eigensinnes, der Einzigartigkeit sowie der Lebenssouveränität des Menschen. Daran anknüpfend können die Probleme der jeweiligen Person nach Ludwig (2005) "mit dem Möglichkeitsraum gesellschaftlicher Bedeutungen vermittelt und verglichen werden" (ebd. S. 78).

Zwischenfazit: Lebensbegleitende Bildung

Den Ausführungen zufolge wird auf professioneller Ebene im Rahmen einer Empowerment-fördernden Bildung die Akzentuierung der jeweiligen Lebenswelt und der darin vorkommenden Handlungsproblematiken in den Blick genommen. Ziel ist, die Fähigkeiten und Kompetenzen der Adressaten durch eine Förderung der freiwilligen Selbstbildung zu stärken. Die individuelle Ebene bezieht sich auf das Erkennen eigener Stärken. Laut Bender (1995) geschieht dies mit Hilfe einer lebensbegleitenden Bildung durch "eine reflexive Aufklärung von vorhandenen Erfahrungen und Deutungsmustern und (durch, E.V.) die Aufdeckung von sozialen Rahmenbedingungen, die das Handeln der Betroffenen nicht selten hinter ihrem Rücken bestimmen" (ebd. S. 4, [Hervorhebungen nicht übernommen]). Klafki (1996) spricht in diesem Zusammenhang von Schlüsselproblemen, Siebert (2006) von "aktuellen Sorgethemen" (ebd. S. 66), und Ludwig (2005) von subjektiven Handlungsproblematiken, die im Sinne der Lebensweltorientierung zu thematisieren sind. Angestrebt sind eine verbesserte Realitätskontrolle und eine gesteigerte Entscheidungs- und Handlungsautonomie bei der Bewältigung individueller und gesellschaftlicher Lebensaufgaben (vgl. Theunissen/Plaute 2002, S. 197).



[37] Aufgrund der NS-Euthanasie und der früher geringeren Lebenserwartung gab es in Deutschland bis zu den 1970er Jahren nur relativ wenige Menschen mit geistiger Behinderung im Erwachsenenalter. Durch den medizinischen Fortschritt und den allgemeinen Bevölkerungszuwachs gibt es heutzutage mehr und mehr Menschen mit (geistiger) Behinderung (vgl. Hoffmann/Theunissen 2006, S. 416).

[38] Gunzburg (1974) leistet einen wissenschaftlichen Nachweis darüber, dass Erwachsene mit geistiger Behinderung durchaus lern- und bildungsfähig sind und dass sie den Gipfel ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit im Durchschnitt zwischen 20 und 34 Jahren erreichen. Außerdem weist er darauf hin, dass bei vielen Erwachsenen mit geistiger Behinderung die Aufnahmefähigkeit für Bildungsmaßnahmen oft größer ist als in ihrer Kindheit. Durch systematische Bildungsprogramme konnte außerdem das Sozialalter der 16-25jährigen Teilnehmer signifikant erhöht werden (vgl. ebd. S. 670ff.; zitiert nach Speck 1982, S. 26ff.; vgl. auch Meyer-Jungclaussen 1985, S. 23ff.).

[39] Zur schulischen Förderung, Erziehung und Bildung vgl. Fornefeld (2000, S. 97ff.).

[40] Weiß (2000) sieht im Konzept des Empowerments eine Analogie zum Bildungsverständnis von Litt. "Für ihn ist das Ziel von Bildung nicht mehr wie in klassischen Bildungsbegriffen die möglichst harmonische Entfaltung allseitiger menschlicher Potenzen" (ebd. S. 257). Vielmehr gilt es, durch Bildung die Wider-sprüche der menschlichen Existenz zu erkennen und auszuhalten. In Anknüpfung daran nennt der Autor als mögliches Bildungsziel die "Autonomie bei gleichzeitigem Ertragen-Können eines Mehr an behinde-rungsbedingter Abhängigkeit (damit ein selbstbewussteres Annehmen von Hilfen möglich werden kann)" (ebd. S. 257; [Hervorhebungen nicht übernommen]).

[41] Dieser Aspekt hat unter der Bezeichnung des ‚basalen Lernens' vor allem für den Personenkreis der schwerstmehrfachbehinderten Menschen an besonderer Bedeutung gewonnen (vgl. hierzu Theunissen 1997). Auch ältere Personen mit schweren kognitiven Beeinträchtigungen wie beispielsweise Demenz profitieren von einer ästhetischen Praxis, da "ein bloß kognitiv dimensionierter Bildungsbegriff die

[42] "Deren gemeinsamer Kampf galt generell der Aufwertung des ‚Erlebens', des Emotionalen, des Intuitiven, der Betonung des Anschaulichen" (Barz/Tippelt 2009, S. 118).

[43] Laut Waldenfels (1985) ist der Begriff ‚Alltag' von einem einst trivial und beschränkt betrachteten Anse-hen zu einem besseren gelangt - Alltag bedeutet nun, diesen nicht bloß als "Sinndepot, sondern auch als Stätte der Sinnproduktion zu begreifen" (ebd. S. 10).

[44] Als veranschaulichendes Beispiel wird ein Kochkurs aufgeführt, der nur zu Lerneffekten führt, wenn Versorgungsmentalitäten, die im sozialen Umfeld auszumachen sind, ebenfalls angegangen werden (vgl. Linden/Schwarte 1985, S. 174).

[45] Die Grenzen zwischen (vor allem ästhetischer) Bildungsarbeit und Therapie können fließend sein. Theunissen/Plaute (2002) betonen, "dass der Einsatz spezieller therapeutischer Verfahren in der Erwachsenenbildung für Menschen mit geistiger Behinderung nur dann legitim ist, wenn dieser der Entwicklung von Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit nicht entgegensteht" (ebd. S. 200f.).

[46] Ludwig (2005) nimmt in seinem Artikel zur subjektorientierten Didaktik eine didaktisch-theoretische Perspektive ein. "Nach einer Kritik des konstruktivistischen und interaktionstheoretischen Modells wird ein subjekttheoretisches Modell vorgeschlagen, das Subjektorientierung als Reflexion der Besonderheit individueller Handlungsproblematiken vor dem Hintergrund ihrer allgemeinen Vergesellschaftungsprozesse begründet" (ebd. S. 75).

5. Folgerungen für die Bildungsarbeit

5.1 Handlungsbestimmende Leitprinzipien

In Anlehnung an das im vorigen Kapitel erläuterte Bildungsverständnis und die all-gemeinen theoretischen Bezugspunkte stellen sich Leitprinzipien als handlungsleitende Grundpositionen dar, die den Hintergrund für eine Bildungsarbeit für und mit Menschen mit geistiger Behinderung bilden. Sie setzen sich aus allgemeinen erwachsenenpädagogischen Grundlagen zusammen und werden durch spezifische behindertenpädagogische Aspekte ergänzt.

5.1.1 Erwachsenengemäße Ansprache

Als erstes Prinzip für eine an der allgemeinen Erwachsenenbildung orientierten Bildungsarbeit für den Personenkreis der Menschen mit geistiger Behinderung betont Carroll (1998) die erwachsenen- oder altersgemäße Ansprache, nach der alle "Bildungsteilnehmer mit geistigen Behinderungen als erwachsene Persönlichkeiten mit äußerst individuell ausgeprägten Erfahrungen, Wünschen und Bedürfnissen zu akzeptieren sind" (ebd. S. 303). Damit wendet er sich stark gegen die in Kapitel 1.3 erläuterte, lange Zeit herrschende Infantilisierung des Personenkreises und betont die Dringlichkeit der Akzeptanz ihrer Erwachsenenrolle.

5.1.2 Partnerschaftliche Beziehung

Carroll (1998) akzentuiert eine vertrauensvolle und partnerschaftliche Beziehung zwischen dem (geistig behinderten) Teilnehmer und dem pädagogisch Tätigen als weitere Grundlage einer Bildungsarbeit. Die vertrauensbasierte Interaktion "ist keine didaktisch-methodische Kategorie, die durch bestimmte Kriterien festlegbar, erreichbar und überprüfbar wäre" (ebd. S. 306), sondern ist vielmehr ein Fundament und gleichzeitig auch eine Zielsetzung für jegliche pädagogische Vorgehensweisen im Rahmen der Erwachsenenbildung. Dem Autor nach wird ein gleichberechtigtes Verhältnis zwischen Bildungsteilnehmer und dem Erwachsenenbildner hervorgehoben. Dies kann am ehesten dann gelingen, wenn letzterer den Menschen mit Behinderung in seiner Art akzeptiert und als eigenständige erwachsene Person respektiert (vgl. Carroll 1998, S. 306). "Wenn die Bildungssituation als eine Lebenssituation begriffen wird (vgl. Kapitel 5.1.5, E.V.), dann treten Kursleiter und Teilnehmer in eine Beziehung, in der sie sich als gesellschaftlich-individuelle Subjekte anerkennen" (Meyer-Jungclaussen 1985, S. 79).

Für die respektvolle Annahme und Wertschätzung des Teilnehmers wird seitens des Erwachsenenbildners ein hohes Maß an sozialer, kommunikativer und empathischer Kompetenz sowie auch Echtheit, Geduld und Offenheit vorausgesetzt.[47] Um die Beziehungsebene und die eigenen Verhaltensmuster reflektieren zu können, schlägt Carroll Fortbildungen und Supervision vor. Damit werden "ein großes Maß an Sensibilität im kommunikativen Geschehen und eine hohe meta-kommunikative Kompetenz zu wesentlichen Merkmalen eines qualifizierten Mitarbeiters in der Erwachsenenbildung" (ebd. S. 307; vgl. Kapitel 6.1).

5.1.3 Freiwilligkeit, Wahlmöglichkeit und Mitbestimmung

Siebert (1980) betont, dass die Erwachsenenbildung auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruht und ein bedürfnisdeckendes Bildungsangebot aufstellen muss, welches anschließend von Adressaten in Anspruch genommen werden kann (ebd. S. 117; zitiert nach Luchte 2001, S. 57). "Um unter verschiedenen Angeboten auswählen zu können, also Wahlfreiheit zu haben, muss sichergestellt sein, dass ein weitgefächertes Bildungsprogramm, auch für Menschen mit geistiger Behinderung, verfügbar ist" (Bücheler 1998, S. 238). Laut Carroll (1998) widerspricht eine Verpflichtung zur Teilnahme an bestimmten Bildungsmaßnahmen dem Erwachsenenstatus und die Partizipation kann nur aus persönlicher Motivation heraus erfolgen (vgl. ebd. S. 303).

An dieser Stelle kann sich jedoch die Problematik für Menschen mit geistiger Behinderung ergeben, dass diese nicht zwangsläufig die Gewohnheit haben, selbst zu entscheiden und häufig von ihren Eltern oder professionellen Begleitern für Bildungsmaßnahmen ohne deren Wissen angemeldet werden (vgl. die in Kapitel 3.2 erläuterte erlernte Bedürfnis- und Hilflosigkeit). Um dem entgegenzuwirken hebt Theunissen (2003) die Notwendigkeit einer Rückversicherung seitens des Erwachsenenbildners bei den jeweiligen Teilnehmern über ihre persönlichen Wünsche hervor. Außerdem gilt es "zu überprüfen, ob und inwieweit auch wirklich Lust und Interesse an jenen Angeboten besteht, die von Anderen als sinnvoll erachtet wurden" (ebd. S. 66). Ferner schlägt der Autor vor, in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) oder in öffentlichen Bildungsstätten Reklame für die angebotenen Kurse zu machen, um die Personen als "aktive Kundschaft" (ebd. S. 67) zu gewinnen und ihre Selbstbestimmung zu fördern.

Der Grad der Abhängigkeit sowie verbale Ausdrucksschwierigkeiten mancher Menschen mit schwerer geistiger Behinderung dürfen jedoch dem Autor zufolge nicht bagatellisiert oder ignoriert werden, sondern sollten geduldig akzeptiert werden. "Daher steht der Bildner hier von Anfang an vor der Aufgabe, ihre Bedürfnisse zu erahnen, zu erraten und ihre Interessen aus ihrem Erleben und Verhalten zu erschließen" (ebd. S. 67). Im Sinne der partnerschaftlichen Beziehung werden starke empathische, sensible und kommunikative Fähigkeiten des Lehrenden vorausgesetzt.

Letztlich gilt es, die individuellen Bedürfnisse der (geistig behinderten) Teilnehmer nicht zu ignorieren und sie im Sinne der Teilnehmerorientierung[48] nicht von Mitbestimmungsmöglichkeiten auszuschließen und "alle Teilnehmer soweit wie möglich an der Auswahl der Inhalte, der Festlegung von Themen und Lernzielen sowie an der Wahl der Verfahren zu beteiligen, individuelle Vorschläge zuzulassen und zu unterstützen" (ebd. S. 67).[49] Für Menschen mit schweren Artikulationsschwierigkeiten stellt die Mitbestimmung an sich schon ein Lernziel dar.[50]

5.1.4 Subjektzentrierung und Individualisierung

Das in Kapitel 4.3.2 diskutierte Prinzip der Subjektorientierung ist für die Bildungsarbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung von erheblicher Bedeutung, denn der einzelne Teilnehmer darf nach Theunissen (2003) nicht als Objekt einer Maßnahme oder gar Behandlung angesehen werden, sondern er muss in seiner Subjektivität und Individualität erschlossen werden (vgl. ebd. S. 68). Als Ausgangspunkt für Bildungsinhalte betrachtet der Autor Interessen, Vorerfahrungen, Bedürfnisse und Entwicklungsmöglichkeiten des Einzelnen, welche seiner Selbstverwirklichung sowie der Bewältigung von Lebenssituationen dienlich sind. Für die praktische Umsetzung dessen bedarf es eines weiten, vielfältigen Bildungsangebotes mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Inhalten, damit den individuellen Wünschen und Interessen eines breiten Adressatenkreises entsprochen werden kann. Der Autor betont neben der subjektzentrierten Auswahl der Inhalte eine Zielsetzung, die "von der Person (subjektzentriert), mit ihr (kooperativ) und für sie (antizipatorisch)" (ebd. S. 68) zu entwickeln ist.

Aufgrund der starken subjektzentrierten Orientierung der Inhalte an den jeweiligen Teilnehmer kann es keine festen, gleichbleibenden und generalisierbaren Programme und Verfahren für die Bildungsarbeit geben. So hebt Siebert (1974) hervor, dass "jedes kodifizierte Curriculum, das den Erwachsenen ‚fertig' angeboten wird, ... unabhängig vom Inhalt potentiell eine Form der Fremdsteuerung" (ebd. S. 186) ist.

Speck (1982) unterstreicht eine weitestgehende Individualisierung der Angebote (vgl. ebd. S. 30). Diese erweist sich aufgrund der unterschiedlichen Ausprägungen und Formen der geistigen Behinderung in einer Gruppe als besonders wichtig. Ferner weist der Autor darauf hin, dass die Belange der Menschen mit schweren Formen einer Behinderung auf gleiche Weise zu berücksichtigen sind wie die der Personen, die geringfügig mehr Transfer und Selbstständigkeit aufweisen (vgl. ebd. S. 30).

Im Sinne der Individualisierung und Subjektzentriertheit gilt es folglich, für jeden Bildungsteilnehmer ein persönliches Curriculum zu erstellen. Es geht darum, auch in einer heterogenen Gruppe dem Lernbedarf und den Entwicklungsmöglichkeiten jedes Teilnehmers gerecht zu werden. Vor allem für die Einbeziehung von stark geistig behinderten Menschen wird "eine derart individualisierte Praxis (gefordert die, E.V.) nicht nur die methodisch-didaktische Kompetenz der Bildungsassistenten sondern auch geeignete Rahmenbedingungen" (vgl. Theunissen 2003, S. 68f.) sowie professionelle Begleiter und passende Räumlichkeiten voraussetzt.

5.1.5 Lebensnähe und handelndes Lernen

Wie in Kapitel 4.3.1 erläutert knüpft die Bildungsarbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung stark an die jeweilige Lebenswelt und -situation und den sich aus ihr ergebenden Bedürfnissen, Problemen und Erfahrungen an. Theunissen (2003) betont, dass "das konkrete Alltagsleben auch unter dem Aspekt der Bildung zu sehen (ist, E.V.), das heißt die Trennung von Lernen, Persönlichkeitsentwicklung und Alltag aufzuheben und Lernprozesse als integrale Bestandteile des alltäglichen Lebens zu betrachten" (ebd. S. 70) sind. Die Erwachsenenbildung bietet einen Rahmen für die Teilnehmer, indem sie ihre Lebenslage, Erfahrungen, Wünsche und Lernbedürfnisse zum Ausdruck bringen können. "Erst dann lassen sich Bildungsprozesse ‚lebensnah' realisieren, so dass die didaktische Situation zur Lebenssituation wird" (ebd. S. 71). Auch Kade (1982) betont die besondere Bedeutung lebensweltlicher Erfahrung im Rahmen der Erwachsenenbildung, welche auf die Subjektivität der Teilnehmer abzielt. "Der Bezug auf lebensweltliche Erfahrungen verlangt ... die Abkehr von kognitiv überdeterminierten Lernprozessen. ... Dadurch wird der Raum frei für Bildungsprozesse, die auf den Aufbau eines praktischen, nicht nur auf Erkenntnisgewinnung zentrierten Umgangs mit der Welt zielen" (ebd. S. 59).

Theunissen (2003) koppelt die Notwendigkeit des Lebensbezuges mit handelndem Lernen (vgl. ebd. S. 71). Schoger (2004) bezeichnet die Handlungsorientierung als "die Ausrichtung didaktischen Denkens und Handelns auf das Handeln Erwachsener in spezifischen Situationen, mit dem Ziel, ihre Handlungsfähigkeit durch ganzheitliches Entwickeln von Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen generell zu verbessern. Handelndes Lernen versucht, relevante Situationen nachzubilden oder aber maßvoll in Bildungssituationen zu inszenieren, um das Richtziel Handlungskompetenz mit bildendem Impetus zu fördern bzw. zu ermöglichen. Damit dient Handlungsorientierung der Bildung Erwachsener" (ebd. S. 53). Je mehr handelndes Lernen stattfinden kann, desto weniger gestaltet sich Erwachsenenbildung zu einer lebensfremden, künstlichen, abstrakten und vom Alltag abgehobenen Maßnahme. "Es wird darauf ankommen, alle sinnvollen Möglichkeiten zu nützen, die geistigbehinderten Erwachsenen an die Dinge und Ausschnitte der ihnen zugänglichen Wirklichkeit heranzuführen und diese auszuweiten. ... Dabei wird es vor allem darauf ankommen, daß man mit ihnen handelt, sich interpersonal verständigt, nicht also lediglich belehrt" (Speck 1982, S. 29; [Hervorhebung im Original]).

Für Menschen mit geistiger Behinderung kann das Lernen durch Handeln von immenser Bedeutung sein: "Haben Betroffene keine oder nur unzureichende Möglichkeiten, ihren Lebensraum handelnd zu erfassen, dann können unnötige Überforderungen oder Ängste die Folge sein, die in Hilflosigkeit münden, Lebensaufgaben oder Probleme angemessen zu lösen" (Theunissen 2003, S. 71). Um der oben zitierten erlernten Hilflosigkeit und der damit verknüpften Fremdbestimmung entgegenzuwirken, bzw. diese zu beheben, ist es vonnöten, "dass Betroffene soweit wie möglich ihren Lebensraum verstehen lernen und so ein gewisses Maß an Verfügung und Kontrolle über die eigenen Lebensumstände gewinnen" (ebd. S. 71).

5.1.6 Zeitliche Kontinuität

Als weitere Leitidee für eine an Menschen mit geistiger Behinderung orientierte Bildungsarbeit betont Theunissen (2003) die Notwendigkeit einer zeitlichen Regelmäßigkeit als Orientierungshilfe im Rahmen der Angebote, um die eher mittel- bis langfristig zu erreichenden Bildungsziele optimal erreichen zu können. "Lediglich sporadische, zufällige, punktuelle Angebote und Informationen ergeben bei geistiger Behinderung noch kein stimmiges Gesamtbild der Realität und keine aktivierende Einbeziehung in diese. Erforderlich sind vielmehr zeitlich gleichbleibende und inhaltlich aufeinander abgestimmte Angebote, die zusammen mit dem Lebensalltag dieser Menschen ein verläßliches Ganzes ergeben" (Speck 1982, S. 30; vgl. auch Geißler 1982, S. 79ff.).

Meyer-Jungclaussen (1985) stellt des Weiteren "die Frage nach dem Umgang mit der Zeit innerhalb des Bildungsgeschehens". Entscheidend ist es, sich Zeit lassen und Zeit verlieren zu können, um ein effektives Lernen zu ermöglichen (vgl. Meyer-Jungclaussen 1985, S. 84ff.). Die Erörterungen von Geißler (1982) bezüglich der Zeitfrage im Rahmen der Bildungsarbeit erhält für den Personenkreis der Menschen mit geistiger Behinderung eine erhebliche Relevanz: "Umher- und Abschweifen, Trampelpfade, nicht Lernschnellwege suchen, Phantasien, Einfälle, Assoziationen fördern, dies sind Aspekte eines Lehr-Lernprozesses, in dem die Besonderheiten der konkreten Subjekte nicht dem abstrakten Prinzip der Zweck-Mittel-Rationalität geopfert werden" (ebd. S. 124f.).

Resümierend erweist sich der Aspekt der Zeit in zweierlei Hinsicht als bedeutsam: Die Notwendigkeit einer zeitlichen Kontinuität tritt erstens bezüglich der äußeren Rahmenbedingungen und zweitens innerhalb des Bildungsgeschehens in Erscheinung, in dessen Rahmen genügend Raum für Ungeplantes und Unvorhersehbares bleiben soll (vgl. Theunissen 2003, S. 72f.).

5.1.7 Prinzip der Entwicklungsgemäßheit

Speziell für die Arbeit mit Menschen mit schwerer geistiger Behinderung, die sich auf einem verhältnismäßig frühen Entwicklungsniveau befinden, ist eine entwicklungsgemäße Vorgehensweise von Bedeutung. Sie "ist als jene Initiierung und Unterstützung von Lernprozessen zu verstehen, die sich an Gesetzmäßigkeiten und am Verlauf der menschlichen Entwicklung orientiert" (ebd. S. 73). Es gilt, nicht lediglich das momentane Niveau, sondern ebenfalls eine potentielle Entwicklung in den Blick zu nehmen. An den Erwachsenenbildner wird die Forderung gestellt, sich darüber im Klaren zu sein, welche Aufgaben der Teilnehmer selbstständig erledigen kann und ab welchem Zeitpunkt er Unterstützung benötigt. "Die Differenz zwischen beiden Ergebnissen ... kann dann die ‚Zone der nächsten Entwicklung' bestimmen. ... (Es sollen, E.V.) eine ganze Reihe von Funktionen, die ... in der Zone der nächsten Entwicklung liegen, geweckt und ins Leben gerufen (werden, E.V.). Und eben darin besteht die wichtigste Bedeutung des Lernens für die Entwicklung" (Wygotski 1972, S. 50f.; zitiert nach Theunissen 2003, S. 74). Die Angebote setzen sich aus neuen sowie aus bekannten Inhalten zusammen, um die Teilnehmer weder zu langweilen, noch zu überfordern.

Bezüglich der Bildungsarbeit mit geistig schwer behinderten Personen hebt Theunissen (2003) die Notwendigkeit der Einsicht hervor, dass der entwicklungsgemäße Anknüpfungspunkt "häufig ‚regressiven Charakter' hat und somit nicht dem tatsächlichen Alter der Betroffenen entspricht" (ebd. S. 74). Um der erwachsenengemäßen Ansprache (vgl. Kapitel 5.1.1) und der Zunahme von Individualität als Aspekt des Erwachsenenstatus (vgl. Kapitel 1.3) dennoch gerecht zu werden "sollten nach Möglichkeit erwachsenengemäße Bildungsmittel offeriert werden, die entwicklungsgemäßes Lernen zulassen" (ebd. S. 74).

5.2 Zielebenen

Anknüpfend an das in Kapitel 4.2 erläuterte humanistische, lebensweltorientierte Bildungsverständnis fokussiert eine sozialarbeitsorientierte bzw. heilpädagogisch orientierte Erwachsenenbildung eine ‚Hilfe zur Selbsthilfe' mit dem Endziel von mehr Teilhabe und Inklusion der Betroffenen (vgl. Miller 2003, S. 35). Deren konzeptionelle Weiterentwicklung stellt das Konzept des Empowerments dar, welches auf der Stärkung von eigenen Fähigkeiten und Potentialen zur Selbstgestaltung des eigenen Lebens, Autonomie, Selbstverantwortung und Lebenskräften basiert (vgl. Kapitel 2.5.2). Die sozialarbeitsorientierte Erwachsenenbildung "zielt auf die Verminderung von materiellen, sozialen, kulturellen und ökologischen Teilhabeproblemen, indem sie die AdressatInnen in ihren Teilhabemöglichkeiten unterstützt" (vgl. Miller 2003, S. 33) ab.[51]

Theunissen (2003) hebt drei zentrale Aufgaben der Bildungsarbeit für Menschen mit geistiger Behinderung hervor (vgl. hierzu auch Hoffmann/Theunissen 2006, S. 421f.), damit letztlich im Sinne des Empowerments eine ‚Hilfe zur Selbstbildung' möglich wird (vgl. ebd. S. 79): Als ersten Punkt erläutert er die Unterstützung und Begleitung der Identitätsbildung und der Persönlichkeitsentwicklung. Miller (2003) konkretisiert diese Ebene u.a. mit der Betonung des Erwerbs von Fähigkeiten zur privaten und beruflichen Alltagsbewältigung (vgl. Kapitel 5.1.5), des Erwerbs von Kulturtechniken, der Stärkung von Entscheidungsfähigkeit, der Ermöglichung von Erlebnisräumen, der Förderung der Kreativität sowie mit der bewussten Wahrnehmung individueller Gefühle und Bedürfnisse und deren Ausdrucksmöglichkeiten (vgl. Miller 2003, S. 141). Als zweite zentrale Aufgabe einer Erwachsenenbildung für den hier behandelten Personenkreis betont Theunissen (2003) das "soziale Lernen zum Zwecke der sozialen und gesellschaftlichen Partizipation" (ebd. S. 79; vgl. Kapitel 2.5) und letztlich als dritten Aspekt die Begleitung und Unterstützung bei der Sachwelterschließung. Als hierfür notwendige Ziele zählen Konfliktfähigkeit, Verantwortungsübernahme in der Gruppe, die Stärkung von kommunikativen Fähigkeiten und Empathie, das Verarbeiten belastender Probleme und Erfahrungen, das Verstehen sozialer Ereignisse und Zusammenhänge sowie eine bessere Teilhabe an Bereichen des öffentlichen und kulturellen Lebens (vgl. Miller 2003, S. 141f.).

Theunissen (2003) unterstreicht die starke Verknüpfung und Abhängigkeit der drei Aufgaben: "So kann sich zum Beispiel die Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen, die wir als eine allseitige und harmonische Entfaltung der im Individuum angelegten Möglichkeiten (Talente, Stärken, Fähigkeiten...) begreifen, nur im sozialen Kontext als eine Auseinandersetzung mit der Welt (insbesondere im Handeln) äußern und entfalten" (ebd. S. 79). Die Identitätsentwicklung ist demnach ohne Sozialbezug, Partizipation und Aktivität nicht denkbar und ist gekoppelt mit sach-bezogener sowie sozial-kommunikativer Kompetenzen, die im Rahmen von Bildungsprozessen erlernt werden.[52] "Dieser Lernprozess erstreckt sich auf unter-schiedliche Formen des Zusammenseins und klammert das gesellschaftliche Zusammenleben nicht aus" (ebd. S. 79). Demnach ist eine gelingende Identitätsentwicklung zum einen vom Individuum und gleichfalls von der Bereitschaft der Gesellschaft abhängig, Menschen mit geistiger Behinderung als gleichwertige Mitbürger zu akzeptieren.

Aus den unterschiedlichen Zielen ergeben sich verschiedene, eng verflochtene Handlungsebenen, auf denen Bildungsprozesse zur Unterstützung der Selbstermächtigung der Adressaten stattfinden.

5.3 Handlungsebenen

Eine am Empowerment orientierte Erwachsenenbildung muss sich den Ausführungen zufolge an der Stärkung der Autonomie und der Selbstbestimmung der Adressaten ausrichten, diese aus bestehenden Abhängigkeiten befreien sowie individuelle und objektive Bedingungen überwinden, "die einem selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Leben im Wege stehen" (Rohrmann/Rosenkötter 1997, S. 106). Zugleich soll laut Theunissen/Plaute (2002) eine an Menschen mit geistiger Behinderung orientierte Erwachsenenbildung "die Einbindung des Einzelnen in soziale Zusammenhänge berücksichtigen und zur kollektiven und demokratischen Partizipation befähigen" (ebd. S. 216).

Der Blick auf unterschiedliche, eng miteinander verflochtene Ebenen zeigt, welchen Stellenwert Bildung als Unterstützung von Empowerment-Prozessen haben kann.

5.3.1 Individuelle Ebene

Die subjektzentrierte Ebene beleuchtet die Stärkung und das (Wieder-)Erlangen individueller Fähigkeiten, Selbstvertrauen und Zuversicht sowie die Überzeugung, eigene Angelegenheiten selbstständig oder gegebenenfalls mithilfe von Assistenten (vgl. Kapitel 3.2; 6.4) bewältigen zu können (vgl. ebd. S. 216). Es zeigt sich an dieser Stelle die Abwendung vom reinen Defizitblickwinkel, von Behandlungsplänen und Expertenurteilen. Im Mittelpunkt stehen, wie schon mehrfach erläutert, die Kompetenzen und Stärken der Adressaten, die respektiert werden und denen eine eigenständige Problemlösefähigkeit zugesprochen wird (vgl. Bender 1995, S. 5).

Aus der Bildungsperspektive geht es laut Bender "einerseits um ein einfühlsames, akzeptierendes Verstehen der Situation und der individuellen Beweggründe für eigenes Handeln" (ebd. S. 5; [Hervorhebungen nicht übernommen]). Andererseits soll das Ziel die Entwicklung handlungsorientierter Lebensentwürfe sein, die mithilfe von lebensweltorientierten Angeboten "zur Differenzierung individueller und als problematisch erlebter Deutungsmuster angeboten werden" (Bender 1995, S. 5; [Hervorhebungen nicht übernommen]). Die Grundsätze der Freiwilligkeit, Wahl- und Mitbestimmungsmöglichkeit sowie das handelnde Lernen bilden hierfür die Grundlage.

5.3.2 Gruppenbezogene Ebene

Neben individuellen Lernbedürfnissen spielt das Zusammentreffen mit anderen Personen eine tragende Rolle, um dem jeweiligen Bedürfnis nach Anerkennung und Akzeptanz gerecht werden zu können. In diesem Rahmen können sich Menschen mit gemeinsamen oder ähnlichen Deutungsmustern und Problemlagen zusammenfinden, sich gegenseitig Schutz und Rückhalt geben oder auch alternative Deutungsmuster[53] kennenlernen (vgl. Bender 1995, S. 5). Auch Theunissen/Plaute (2002) bestärken die Bedeutsamkeit einer gemeinsamen "Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Biographien und Lebenssituationen" (ebd. S. 217). Die pädagogische Aufgabe der sozialen Praxis sieht Bender (1995) in einem Anstoßen und Fördern sozialer Zusammenhänge, um Selbsthilfe in primären sowie in sekundären Netzwerken unterstützen zu können, "denn individuelle Kräfte lassen sich bündeln und gewinnen dadurch an Potential und Durchsetzungsvermögen" (ebd. S. 5). An diese Zusammenkunft diverser individueller Kräfte knüpfen Grundpositionen des Self-Advocacy-Konzeptes an (vgl. Kapitel 3.1), weshalb der Aufbau von Selbstvertretungsgruppen und die Unterstützung kollektiver Empowerment-Prozesse im Rahmen der Erwachsenenbildung eine tragende Rolle spielen (vgl. Theunissen/Plaute 2002, S. 217).

5.3.3 Institutionelle Ebene

Die institutionelle Ebene fokussiert ein Einbinden der Adressaten in die Planung und Organisation der Erwachsenenbildung. Dies bezieht sich im Sinne der Subjekt- und Lebensweltorientierung auf Inhalte sowie auf die Ausgestaltung des Veranstaltungsortes und auf die Kursleitung (vgl. ebd. S. 217). Des Weiteren wird das Verhältnis zwischen den Institutionen und den Adressaten betrachtet. "Da viele Menschen mit geistiger Behinderung in (großen) Einrichtungen leben, macht es für die Empowerment-Praxis Sinn, die institutionelle Ebene zu beleuchten, um gemeinsam mit den Betroffenen ... und ihren Bezugspersonen ... einen institutionellen Veränderungsbedarf ... zu erschließen" (Kulig/Theunissen 2006, S. 248). Der Veränderungsbedarf bezieht sich einerseits auf den Abbau von Hierarchien und Zentralinstanzen zugunsten der Schaffung demokratischer Partizipationsformen. Gleichzeitig bezieht sich ein Veränderungsbedarf auf Möglichkeiten einer Deinstitutionalisierung durch bedarfsgerechte und flexible gemeindeintegrierte Wohn- und Dienstleistungsangebote wie beispielsweise bedürfnisorientierte Angebote der Erwachsenenbildung (vgl. ebd. S. 248).

Für den in einer Einrichtung arbeitenden Erwachsenenbildner ergibt sich daraus die Aufgabe, zu prüfen, ob die Teilnehmer ernst genommen und respektiert werden und ob ihre Autonomie trotz gesetzlicher Interventionsnotwendigkeiten eingeschränkt ist. Des Weiteren gilt es zu kontrollieren, ob den Adressaten in der jeweiligen Institution genügend Lernmöglichkeiten und -angebote zur Verfügung gestellt werden, die es ihnen ermöglichen, ihre Situation im Sinne des Empowerments aus eigenen Kräften zu ändern. Resümierend soll nach Bender (1995) "auch die eigene Arbeitsstätte im Institutionengefüge ... im Sinn eines selbstreflexiven Arbeitskonzepts daraufhin (befragt werden, E.V.), inwieweit sie nach außen und nach innen, den Mitarbeiterinnen gegenüber, Bildungsmöglichkeiten eröffnet" (ebd. S. 6; [Hervorhebungen nicht übernommen]).

Ferner bezieht sich der institutionelle Blickwinkel auf die Art der Bildungsangebote. Neben zielgruppenbezogenen Kursen für Menschen mit geistiger Behinderung, welche lange Zeit das vorherrschende Kursmodell für den Personenkreis war (vgl. kritisch hierzu Lindmeier 2008; Lindmeier/Schöler 2000, S. 145ff.; Siebert 1993, S. 74ff.) "gilt es integrative Bildungsangebote in den Blick zu nehmen und zu organisieren" (Theunissen 2009, S. 354), was durchaus der Wunsch Betroffener ist (vgl. Forderungen des Self-Advocacy-Movement). Weiter hebt der Autor die Notwendigkeit "einer generellen Aufgeschlossenheit der Organisationen und Institutionen der Behindertenhilfe gegenüber einer Bildungsarbeit behinderter Menschen im Erwachsenenalter" hervor (ebd. S. 354f.). An dieser Stelle knüpft die gesellschaftliche Ebene an.

5.3.4 Sozialpolitische und gesellschaftliche Ebene

Aufgrund von bisher geringen Partizipations- und Finanzierungsmöglichkeiten von Menschen mit geistiger Behinderung an Erwachsenenbildungsangeboten (vgl. Kapitel 7) erhebt sich ein großer Veränderungs- und Handlungsbedarf. Der Theunissen (2009) unterstreicht diesbezüglich die politische Aufgabe einer Bildungsarbeit, die darin besteht, die Betroffenen "für das Einklagen ihrer Rechte stark zu machen, sie dabei zu unterstützen, Zusammenschlüsse ... anzuregen und für eine Lobbyarbeit zu befähigen" (ebd. S. 355). Demzufolge steht die gesellschaftliche Ebene für die Stärkung eines kritischen Kontrollbewusstseins der eigenen und politischen Situation.

Bender (1995) bezeichnet diese Ebene als Gemeinwesen- und Stadtteilorientierung, auf der sich "je nach Ausstattung mit Bildungs- und Beteiligungsangeboten bzw. Offenheit der kommunalen Strukturen unterschiedliche Lernherausforderungen" (ebd. S. 6) im jeweiligen Lebensumfeld ergeben. Der Bildungsprozess bezieht sich auf soziale Bedingungen und Zusammenhänge im Gemeinwesen und auf die Verarbeitung eigener Erfahrungen in Situationen des alltäglichen Lebens (vgl. Kapitel 5.1.5). "Das Bildungsziel auf dieser Ebene ist es einerseits, das Alltagsleben und sein Bedingungsgefüge im Milieu transparent zu machen" (ebd. S. 6) und andererseits bezieht es sich auf die Schaffung von Mitgestaltungsmöglichkeiten bezüglich des eigenen Lebensraumes. Durch eine Stärkung der Autonomie sollen kommunalpolitische Prozesse mitentschieden werden können, damit die Adressaten weniger fremden Entscheidungen ausgeliefert sind, sondern gemeinsame Ziele in den politischen Instanzen umgesetzt und der eigene Lebensraum aktiv mitgestaltet werden kann. Diese Mitgestaltungsfähigkeit kann laut Bender "ein Bewußtsein der eigenen Stärke vermitteln und auf eigene Kräfte zur Selbstorganisation zurückwirken" (ebd. S. 6f.).



[47] Schuchardt (1980b) betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung einer meta-kommunikativen Kompetenz und überträgt die von Watzlawick aufgestellten Axiome der Kommunikation auf die Erwachsenenbildung mit geistig behinderten Menschen (vgl. ebd. S. 35ff.).

[48] Zur Diskussion um die Teilnehmerorientierung vgl. Siebert (2006, S. 99ff.); Tietgens (1983).

[49] Siebert (2006) führt bezüglich der Partizipation im Sinne der didaktisch-methodischen Mitbestimmung der Teilnehmenden jedoch den Aspekt auf, dass es oft nicht teilnehmerorientiert ist, die Adressaten direkt nach ihren Wünschen zu fragen. "Wenn es ein Lernbedürfnis ist, etwas Neues kennen zu lernen, kann man vorweg kaum sagen, was dieses Neue denn sein soll" (ebd. S. 102). Es könne jedoch darüber nachgedacht und besprochen werden, was den Teilnehmern zu der Thematik schon bekannt ist, für welche Verwendungssituationen und aus welchen Gründen sie sich mit diesem Thema beschäftigen möchten.

[50] Ein Verfahren zur Förderung der individuellen Entwicklung ist die SIVUS-Methode. Ziel ist es, Menschen mit (schwerer) geistiger Behinderung so zu unterstützen, dass sie sowohl individuell als auch in einer Gruppe ihr Leben selbstbestimmt und so unabhängig wie möglich führen bzw. bewältigen können. Hierfür werden Fähigkeiten trainiert wie Selbstvertrauen, Zusammengehörigkeitsgefühl und Selbstständigkeit (vgl. Walujo/Malmström 1991, S. 15f.).

[51] Miller (2003) nennt als oberste Ziele der allgemeinen sozialarbeitsorientierten Erwachsenenbildung "die Verminderung von Inklusionsproblematiken ..., die Verhinderung (und Bewältigung, E.V.) von Exklusion ..., lebensbegleitende, identitätsstabilisierende und sinnorientierte Unterstützung ..., Unterstützung bei der Gestaltung eines lebenswerten Umfeldes ..., die Stärkung der Handlungs- und Problembewältigungskompetenz ... (und, E.V.) die Stärkung der Solidarität und Unterstützung der Gesellschaft" (ebd. S. 33f.).

[52] Dieser Aspekt hat ebenfalls im Grundverständnis der WHO Eingang gefunden (vgl. Kapitel 1.1.5), die gesellschaftliche und soziale Aspekte zur Beschreibung von Behinderung in den Fokus nimmt.

[53] Zum Umgang mit Deutungsmustern seitens der Lerner vgl. Kapitel 6.2.

6. Anforderungen an die Erwachsenenbildung

Aus den vorangegangenen Folgerungen für die Bildungsarbeit, den Leitlinien, Zielen und Handlungsebenen ergeben sich unterschiedliche Perspektiven für die Rolle des Erwachsenenbildners, für den Lernenden sowie für den Inhalt. Wie Theunissen/Plaute (2002) hervorheben, ist eine auf Empowerment und Inklusion abzielende Bildungsarbeit ein "sehr anspruchsvolles Unternehmen" (ebd. S. 219).

6.1 Perspektiven für den Erwachsenenbildner

Um Prozesse der Selbstermächtigung und der Teilhabe von Menschen mit (geistiger) Behinderung durch Bildungsangebote zu erhöhen, werden an den Erwachsenenbildner hohe Anforderungen gestellt. Theunissen/Plaute betonen, dass nicht das Konzept allein, sondern auch die persönliche Kompetenz des Erwachsenenbildners Einfluss auf die Autonomieentwicklung des Teilnehmers nimmt (vgl. ebd. S. 219).

Zum einen soll der Erwachsenenpädagoge laut Theunissen (2003) ein notwendiges Maß an themenbezogener Sachkompetenz mitbringen und gleichzeitig im Sinne der ‚neuen Kultur des Helfens' (vgl. Kapitel 3) die unterschiedlichen Assistenzformen verinnerlicht haben und transferieren können. Demzufolge ergibt sich ein weites Aufgabenspektrum für den Pädagogen: Er fungiert als Organisator, Lehrender, Unterstützer, Berater, Fürsprecher und Vertrauensperson und nicht etwa "als Bestimmer, autoritärer Führer oder Macher, der unbewusst seine Überlegenheit in die Begegnungsprozesse oder Lernsituationen einfließen lässt" (ebd. S. 102).

Ferner hebt der Autor hervor, dass es von Vorteil für den Erwachsenenpädagogen ist, über fachwissenschaftlich qualifizierte und profunde Kenntnisse über Grundzüge einer modernen Behindertenpädagogik und Sozialen Arbeit zu verfügen. Überdies sind Kenntnisse im Bereich der allgemeinen Erwachsenenbildung und der damit einhergehenden didaktisch-methodischen Grundlagen notwendig, um den speziellen Ansprüchen der Gruppe, wenn Menschen mit geistiger Behinderung daran teilhaben, zu genügen, ohne dabei allgemeine Ziele zu vernachlässigen (vgl. ebd. S. 101f.).

Hinsichtlich der Frage nach der Qualifikation der Kursleiter resultiert aus den Studien von Goeke (2005) und von Hoffmann/Kulig/Theunissen (2000, S. 355f.), dass die spezifischen Kurse für Menschen mit geistiger Behinderung hauptsächlich vom pädagogischen Personal durchgeführt werden. Das Ergebnis von Hoffmann/Kulig/Theunissen (2000) zeigt, dass 18% der Kursleiter Mitarbeiter der Behindertenhilfe und 21% der Kursleiter aus der Berufsgruppe der Lehrer stammen. Den hohen Lehreranteil erklären die Autoren "mit dem didaktisch-methodischen Know-how ..., das diese zielgruppenbezogene Arbeit verlangt" (ebd. S. 355), wohingegen sich andere Berufsgruppen wie beispielsweise Künstler (10%) möglicherweise methodisch überfordert fühlen.

Goeke (2005) untersuchte zusätzlich die Repräsentanz der ausgebildeten Erwachsenenbildner, welche lediglich bei 11% der Kursleiter lag. Anhand der Ergebnisse fordert die Autorin, dass "in der universitären Ausbildung der Erwachsenenbildner ... die Zielgruppe der Menschen mit (geistiger) Behinderung mehr Berücksichtigung finde(n soll, E.V.) und die Qualifizierung nicht nur den Verbänden (Bundesvereinigung Lebenshilfe) oder Vereinen (GEB)[54] überlassen bleib(en soll, E.V.)" (ebd. S. 10). Auch die GEB (2003) setzt sich für mehr Kooperation zwischen der pädagogischen Ausbildung und der wissenschaftlichen Forschung ein. Diese Vernetzung wird als Lösung der Herausforderungen der Inklusion angesehen (ebd. S. 5).

Den Ergebnissen der Studie von Babilon (2002) zufolge besteht die Problematik in einer unangemessenen Finanzierung der Kursleiter, "die zu einem Drittel auf ehrenamtlicher Basis lediglich eine Aufwandsentschädigung, jedoch kein Honorar bekommen" (ebd. S. 37). Des Weiteren werden die Kursleiter der untersuchten VHS schlechter vergütet, wenn sie einer Behindertenorganisation angehören als wenn sie Honorarkräfte der VHS sind. Diesen Ergebnissen entsprechend stellt sich für den Erwachsenenbildner die Frage, ob er ausreichend vergütet wird und letztlich davon leben kann.

Theunissen (2003) unterstreicht das Ziel der Emanzipationsförderung im Rahmen des assistierenden Wirkens des Erwachsenenbildners, "so dass der Andere als sein Kunde zu mehr Autonomie, verbesserter Handlungskompetenz und zu einem erfüllten Leben gelangen kann" (Theunissen 2003, S. 102). Dem Autor zufolge ist dies durch offene Curricula und durch kommunikationsreiche, angstfreie und sozialkonstruktive Situationen zu erreichen, welche ein hohes Maß an Eigeninitiative, Partizipation, Kreativität und gemeinsames Erleben ermöglichen. Für den Erwachsenenbildner sind solche Situationen jedoch mit Unsicherheit und Unberechenbarkeit verknüpft. "Damit müssen die Professionals leben, das müssen sie aushalten. ... Im Prinzip ist eine solche Begegnung ein ‚Wagnis', ... indem der Bildungsassistent erst im Nachhinein weiß, ob er den anderen (den Teilnehmer, E.V.) erreicht hat" (ebd. S. 102).

Die professionelle Tätigkeit im Bildungsgeschehen bezieht sich laut Bender (1995) auf Lernmöglichkeiten, welche der Pädagoge anbieten kann, um die Selbstbildung des Einzelnen zu stärken. Ob das Individuum die Angebote annimmt oder autonom andere Lernmöglichkeiten hat und nutzt, steht nicht in der Macht des Erwachsenenbildners - darin liegt die mögliche Hilflosigkeit des pädagogisch Tätigen (vgl. ebd. S. 4).

Neben der Hilflosigkeit befinden sich der Studie von Rock (2001) zufolge die mit geistig behinderten Menschen Tätigen in weiteren dauerhaften und unauflösbaren Handlungsdilemmata. Die Lehrenden zielen auf die Förderung und Unterstützung von Autonomie und Selbstermächtigung ihrer Kunden, doch gleichzeitig bestehen Spannungsverhältnisse zwischen der geforderten, erwarteten und erwünschten Autonomie einerseits und der empfundenen Verantwortlichkeit für die Teilnehmer, der Förderung, der Organisationserfordernisse, der bestehenden Rahmenbedingungen, dem eigenen Leistungsanspruch und den gesellschaftlichen Normalitätsstandards andererseits (vgl. ebd. S. 150ff.).

Die Spannungen sind laut Rock durch Grundsätze eines autonomieorientierten professionellen Handelns zu lindern: Zum einen nennt sie die Übertragung von Verantwortung und Entscheidungskompetenz im Sinne des Empowerments auf die Kunden. Bezüglich des Personenkreises der Menschen mit geistiger Behinderung verweist die Autorin darauf, "daß Verantwortung individualgeschichtlich durch unzählige Entscheidungsakte zustande kommt und entsprechend Menschen mit einer geistigen Behinderung die Fähigkeit zur Verantwortung schrittweise durch ‚praktizierte Selbstbestimmung' erwerben können" (ebd. S. 180), indem sie bei banalen Alltagsentscheidungen sowie bei zentralen Belangen selbst entscheiden können. Die Grenzen der Selbstbestimmung liegen jedoch dort, "wo Entscheidungen oder autonome Handlungen sozial destruktive Wirkungen erzeugen bzw. Selbst- oder Fremdgefährdung droht" (Rock 2001, S. 180).

Hähner (2006) schlägt diesbezüglich vor, dass Professionelle und Teilnehmer gemeinsam Grenzen aushandeln und diese in einem Kontrakt festhalten, um den genauen Gegenstand und Umfang der unterstützenden Tätigkeit in einer für beide Partner tragbaren Form definieren zu können (vgl. ebd. S. 141f.).

Als weitere Anforderung an den Erwachsenenbildner nennt Rock (2001) das Erkennen individueller Bedürfnisse, Interessen und Entwicklungsperspektiven des Einzelnen im Sinne der Subjektorientierung (vgl. Kapitel 4.3.2 und 5.1.4). Um den Forderungen gerecht zu werden betont Hähner (2006) den Bedarf eines hohen Maßes an Sensibilität und Empathie sowie eine spezifische Interpretationsfähigkeit von Verhaltensäußerungen von Seiten des Pädagogen (vgl. ebd. S. 132ff.).[55]

Theunissen/Plaute (2002) heben die Erfordernis einer partnerschaftlichen Beziehung (vgl. Kapitel 5.1.2) hervor, welche auf der dialogischen Assistenz beruht. Diese bezieht sich auf die "Herstellung und Fundierung einer vertrauensvollen Beziehungsgestaltung und kommunikativen Situation" (ebd. S. 39). In dieser erbrachten Wertschätzung und Anerkennung liegt "der Schlüssel für eine Enthierarchisierung der Beziehung" (Rock 2001, S. 184) im Sinne der Kollaboration (vgl. Kapitel 2.5.3) zwischen allen Beteiligten.

Bezüglich der Handlungsdilemmata, in welchen sich die in der Behindertenhilfe Tätigen laut Rock (2001) oftmals befinden (s.o.), spricht sich Theunissen (2003) für die Bereitschaft "zur reflexiven Auseinandersetzung mit dem eigenen professionellen Handeln (aus, E.V.). Hierzu sollen durch Fortbildung oder Praxisbegleitung entsprechende Möglichkeiten eröffnet werden" (ebd. S. 103). Ziel hierbei ist es einerseits, dem praktisch Tätigen sein Handeln bewusst zu machen, damit dieser zu neuen Handlungsmöglichkeiten und Sichtweisen gelangen kann. Andererseits zielt die reflexive Auseinandersetzung auch auf gegebene objektive Verhältnisse im Sinne der politischen Emanzipation ab, damit Widersprüche und unaufhebbare Handlungsparadoxien aufgedeckt und anschließend ausbalanciert werden können. "Das macht die bildungsbezogenen Anstöße zur Umorientierung oder Veränderung von Situationen ... letztlich glaubwürdiger und bedeutet keineswegs die Preisgabe der Bildungsidee in der Arbeit mit Menschen" (Rock 2001, S. 103) mit geistiger Behinderung.

Resümierend werden für die Umsetzung der Handlungsgrundsätze in einer autonomiefördernden Erwachsenenbildung diejenigen Persönlichkeitseigenschaften und moralischen Einstellungen des Erwachsenenbildners als erforderlich erachtet, welche "auf Einfühlungsvermögen, Sensibilität, Risikobereitschaft, Wertschätzung, Respekt, Achtung, Toleranz und Distanz zielen" (Rock 2001, S. 186).

6.2 Perspektiven für den Lernenden

Damit sich der Bildungsprozess für den Lernenden (mit Behinderung) erfolgreich gestalten kann, können nach Schüßler (2000) Lernerfolge dann zustande kommen, wenn an die Deutungsmuster der Wirklichkeit der jeweiligen Teilnehmer angeknüpft wird. "Da sich diese Deutungsmuster hinsichtlich ihrer handlungsorienti-renden Funktion im Alltag des Menschen entwickeln, (gilt, E.V.) es diese Lebenswelt in den Erfahrungszusammenhang der ... Teilnehmer in der Planung und Durchführung erwachsenenbildnerischer Maßnahmen zu berücksichtigen" (Schüßler 2000, S. 63). Wie es auch Bender (1995) formuliert zielt die lebensbegleitende Bildung "auf eine reflexive Aufklärung von vorhandenen Erfahrungen und Deutungsmustern und auf die Aufdeckung von sozialen Rahmenbedingungen" (ebd. S. 4; vgl. Kapitel 4.3.1 und 5.1.5) ab. Nuissl (1992) betrachtet Deutungsmuster als eine "hilfreiche Kategorie, wenn es darum geht, ... den Aufbau von Bewusstsein aus der Erfahrung mit Handlungen zu verstehen" (ebd. S. 47).

Vorauszusetzen ist, dass der Lernende in der Lage ist, seine Erfahrungen, Einschätzungen, Meinungen und Deutungsmuster im Bildungsgeschehen artikulieren zu können. Des Weiteren soll der Teilnehmer laut Schüßler (2000) bereit sein, "einen vertrauten Zustand aufzugeben, sich auf neuartige und möglicherweise verunsichernde Situationen einzulassen und das Gefühl des Nicht- oder Noch-Nicht- Wissens auszuhalten" (Schüßler 2000, S. 98). Die Autorin betont ferner, dass Lernende nicht selten durch ihre eigenen Deutungsmuster ‚fremdgesteuert' bleiben, wenn es ihnen nicht gelingt, gewohnte, aber nicht mehr handlungsleitende Deutungen ihrer Wirklichkeit zu hinterfragen oder gar aufzugeben. Daraus folgt, dass der Lernprozess über eine Bestätigung der Alltagswissensbestände nicht hinauskommen kann. Für viele Vertreter der Erwachsenenpädagogik erhebt sich die Aufgabe, den Prozess des ‚In-Frage-Stellens' der eigenen Sichtweisen in Form eines reflexiven Lernens zu begleiten (vgl. ebd. S. 98f.).

Dem konstruktivistischen Verständnis des Erwachsenenlernens zufolge setzt das Lernen eine aktive Beteiligung und eine Selbststeuerung des Lerners mit dem Ziel von Kompetenzaufbau und Autonomie voraus, da Handeln und Erkennen zirkulär aufeinander bezogen sind und der Lernende selbst entscheiden muss, welche Inhalte für ihn von Bedeutung sind. "Aufgrund seiner Strukturdeterminiertheit verarbeitet der Lernende das ihm Dargebotene auf seine spezifische Weise, in dem die wahrnehmungsbedingten Erfahrungen in Abhängigkeit vom Vorwissen, den gegenwärtigen mentalen Strukturen und bestehenden Überzeugungen interpretiert werden" (ebd. S. 153). Demnach konstruiert sich jeder Lerner seinen Lerngegenstand und die Lernsituation selbst.[56]

Daraus ergeben sich drei Prinzipien für die Erwachsenenbildung, welche ein spezifisches Lernen Erwachsener kennzeichnen. Das Prinzip der Situations- und Handlungsorientierung bezieht sich auf die Auseinandersetzung mit eigenen Lernproblematiken. Die Lern- und Aneignungsprozesse des Teilnehmers hängen stark davon ab, inwieweit es der Person gelingt, die eigenen Lernproblematiken im Kurs zu verbalisieren und daran im Sinne des expansiven Lernens - der Lernmotivation, Handlungsmöglichkeiten zu erreichen - zu arbeiten (vgl. ebd. S. 155).

Das Prinzip der Selbstorganisation betrachtet Lernen als selbstgesteuerten Wissenserwerb. Aus diesem Aspekt, der für diese Arbeit hohe Relevanz besitzt, da auch Teilnehmer mit geistiger Behinderung Entscheidungen über Inhalte und Vorgehensweisen mitentscheiden können, ergeben sich Anforderungen an den Lernenden. Zum einen soll sich laut Schüßler der Lernende mit und auch ohne Hilfe anderer selbst motivieren und aktivieren können, sich seiner Lernbedürfnisse bewusst sein oder werden, seine Lernziele selbst festlegen und bestimmen können und letztlich seine persönliche Lernstrategie haben oder entwickeln (vgl. Schüßler 2000, S. 159). Damit ein solches Problemlösungswissen handlungsleitend sein kann, benötigt der Lerner spezifische kognitive Fähigkeiten wie beispielsweise inhaltliches Vorwissen, um neue Informationen bezüglich des Lernprozesses aufnehmen und verarbeiten zu können, ein Wissen um die eigenen Schwächen und Stärken sowie ein Wissen über materielle und soziale Ressourcen (vgl. ebd. S. 160).

Bezüglich der Menschen mit geistiger Behinderung ist hervorzuheben, dass es für sie als Stärke anzusehen ist, beispielsweise einen Assistenten für sich einzustellen, wenn dem Menschen gewisse Schwierigkeiten bewusst sind und er spezifische Anforderungen, die eine Aufgabe stellt, nicht alleine lösen kann.

Schüßler (2000) betont ferner, dass das selbstorganisierte Lernen neben den kognitiven Fähigkeiten und den zur Verfügung stehenden Lerntechniken stark von biographischen Lernerfahrungen des Lernenden und von seinem Selbstkonzept beeinflusst wird (vgl. ebd. S. 160). In Anbetracht der Tatsache, dass die Bildung für Menschen mit geistiger Behinderung lange Zeit keine Selbstverständlichkeit war, ihnen die Bildungsfähigkeit abgesprochen wurde (vgl. Kapitel 4.1), sie abgesondert wurden und ihre Behinderung als defizitär und als ‚zu behandeln' betrachtet wurde, ist die Berücksichtigung ihrer vorherigen Lernerfahrungen und ihres möglicherweise negativen Selbstverständnisses für die Bildungssituation von erheblicher Bedeutung.

Hinsichtlich des dritten Prinzips der Kooperation erfolgt das Lernen durch Interaktionsprozesse und den Dialog mit anderen, wodurch für den Lernenden Bedeutungen ausgehandelt und kommunikative Fähigkeiten gefördert werden. Im Sinne des Lehr-Lern-Vertrags, welcher die Basis des kooperativen Lernens darstellt, ist kooperatives Lernen immer dialogisches und reflexives Lernen (vgl. ebd. S. 162). Ferner hebt Schüßler (2000) in Anlehnung an Wollnik die Notwendigkeit einer Selbstdistanzierung hervor, wodurch dem Lernenden durch Reflexionsangebote seine Deutungsmuster bewusst werden sollen. Der Autorin zufolge wird der Lernende zum einen "durch Selbstbeobachtung zur Selbstdiagnose angeregt, ... (welche, E.V.) das Lernsubjekt anschließend zur Selbstbeschreibung" (Schüßler 2000, S. 172; [Hervorhebungen nicht übernommen]) führt. Anschließend setzt der Teilnehmer sein durch die Selbstbeschreibung aufgedecktes Selbstverständnis in Verbindung und Gegensatz zu anderen Erfahrungen, damit er letztlich zu einer Distanz zu sich selbst und seinen Handlungsroutinen gelangen kann (vgl. ebd. S. 172).

Mezirow/Arnold (1997) ergründen die Frage, wie das Lernen Erwachsener zur Veränderung der subjektiven Wirklichkeit führen kann und durch welche Bedeutungsperspektiven die Lernenden begleitet und beeinflusst werden. Den Autoren zufolge bilden diese Bedeutungsschemata "unsere ‚Grenzstrukturen' für die Wahrnehmung und das Verständnis neuer Informationen. ... Wir lassen es zu, daß unser Bedeutungssystem unsere Wahrnehmung, wie die Dinge wirklich sind, einschränkt, um Ängste zu vermeiden" (ebd. S. 4).

Der Lernende interpretiert Ereignisse und findet darin Orientierungspunkte, auf die er Bezug nehmen kann. Er schafft Bedeutung dadurch, dass er Erfahrungen deutet und in einen Zusammenhang stellt. Folglich geht es den Autoren in Erwachsenenbildungsprozessen darum, mit dem Ziel transformierter Bedeutungsperspektiven dem Lernenden zur Reflexion seiner Annahmen zu verhelfen, welche er einst unkritisch akzeptierte (vgl. ebd. S. 9ff.).

Den Ausführungen zufolge stellt sich die Anforderung an den Teilnehmer (mit geistiger Behinderung), seine bisherigen Deutungen, Ansichten und Bedeutungsperspektiven durch den Lernprozess zu überdenken und gegebenenfalls zu er-weitern, damit er neue Lernstrategien, eine gegebenenfalls andere Lebensführung und mehr Selbstermächtigung erlangen kann.

6.3 Perspektiven für den Inhalt

Inhalte einer an Menschen mit geistiger Behinderung orientierten Erwachsenenbildung können sich als Fortsetzung des in der Schule Erlernten gestalten, unter Berücksichtigung des Erwachsenenstatus (vgl. Kapitel 1.3) und als Erschließung neuer kultureller, persönlicher und berufsbildender Qualifikationen. Meyer-Jung-claussen (1985) unterscheidet sozialbezogene Themen (wie Umweltorientierung, zwischenmenschliche Beziehungen, Basisfertigkeiten und Kulturtechniken) und freizeit-, wohn- und arbeitsbezogene Inhalte (vgl. ebd. S. 60ff.; auch Carroll 1998, S. 297ff.).

Theunissen (2003) erweitert Meyer-Jungclaussens Angebotsspektrum um verschiedene Aspekte, in denen sich Themen und Inhalte der allgemeinen Erwachsenenbildung widerspiegeln, "und (die, E.V.) damit auch für eine integrative Bildungsarbeit ... prädestiniert sind" (ebd. S. 86f.).

Theunissen betont den Bedarf an sozial-kommunikativen Angeboten der zwischenmenschlichen Begegnung, an psychosozialen Inhalten zum sozialen Lernen sowie an lebenspraktischen und alltagsbezogenen Angeboten. Des Weiteren hebt der Autor die Erfordernis von Kursen hervor, welche das Erwachsenwerden und -sein im Fokus haben, in denen beispielsweise über Rechte und Pflichten und die Loslösung vom Elternhaus diskutiert wird. In Anbetracht der Tatsache, dass in der modernen Gesellschaft Technik immer notwendiger und normaler wird, werden auch Kurse für Menschen mit geistiger Behinderung immer wichtiger, in denen der Umgang mit neuen Medien und Kommunikationsmitteln vermittelt wird.

Einen wichtigen Stellenwert nehmen im Zuge des Empowerment-Ansatzes Kurse ein, welche Selbstbestimmung und Selbstvertretung in den Blick nehmen. In diesen Angeboten können die Teilnehmer beispielsweise lernen, welche Assistenzformen es gibt und wie sich die Zusammenarbeit mit den Begleitern gestaltet. Des Weiteren kann die Erwachsenenbildung über die Ziele und Inhalte von People-First-Gruppen und wie sich die Teilnehmer darin selbst vertreten können, informieren (vgl. Kapitel 3.1). Kurse über das Trägerübergreifende Persönliche Budget stellen sich dem Autor zufolge als besonders bedeutsam dar, da die Thematik einen wichtigen Stellenwert bezüglich der (finanziellen) Selbstbestimmung der Adressaten einnimmt (vgl. zu diesem Abschnitt Theunissen 2003, S. 85f.).

Auch Lindmeier (2008) hebt Themen hervor, die sich besonders dafür eignen, den Lern- und Erfahrungsprozess zu initiieren und zu begleiten, indem Menschen ihre Interessen als benachteiligte Gruppe artikulieren und durchzusetzen lernen: "In der Situation erwachsener Menschen mit geistiger Behinderung sind dies u.a. Themen, die sich mit Selbstbestimmung und Teilhabe, Selbstvertretung und politischer Mitwirkung, (finanzieller) Unabhängigkeit und Gestaltung von Unterstützungsstrukturen beschäftigen" (ebd. S. 116). Die verschiedenen Bereiche können für den Personenkreis der Menschen mit geistiger Behinderung von erheblicher Bedeutung sein, da sie ihre individuellen Wünsche, ihre Lebenslage, Interessen, Ressourcen, Möglichkeiten und Voraussetzungen unmittelbar betreffen. Welche konkreten Themen sich aus den Inhaltsbereichen ergeben, hängt von den jeweiligen Teilnehmern des Bildungsangebotes und von deren individuellen Bildungswünschen und Schweregraden der Behinderung ab (vgl. Carroll 1998, S. 298).

Theunissen (2003) akzentuiert bezüglich der inhaltlichen Kursgestaltung, dass es den Leitprinzipien (vgl. Kapitel5.1) widersprechen würde, die Kurse für den Personenkreis der Menschen mit geistiger Behinderung auf bestimmte Themen oder Inhalte festzulegen, oder diese lediglich im musisch-kreativen Bereich[57] anzulegen (vgl. ebd. S. 87). Gewiss gibt es Bildungsangebote, die sich aus speziellen Bildungserfordernissen, der jeweiligen Lebenswelt und der spezifischen Lebensbedingungen geistig behinderter Menschen ergeben und welche thematisch auf den Personenkreis zugeschnitten sind. Jedoch fordert Theunissen diesbezüglich, dass die Betroffenen, wie alle anderen Teilnehmer, als Kunden betrachtet werden, die an der Themenauswahl beteiligt werden und deren Wünsche, Interessen und Bedürfnisse Beachtung finden und die Teilnehmer im Sinne der Subjektorientierung involviert werden (vgl. ebd. S. 87).

Wie schon mehrfach erläutert stellt sich der Ausdruck der eigenen Wünsche für manche Menschen mit Behinderung als schwierig dar. Dies erfolgt aufgrund spezifischer Sozialisationserfahrungen und damit einhergehender Probleme, wie beispielsweise die schon mehrfach zitierte "erlernte Bedürfnis- und Hilflosigkeit" (vgl. Theunissen 2009, S. 74) sowie die "ausgeprägte Zustimmungsneigung oder Zufriedenheitsbekundung" (Theunissen 2003, S. 87). Solchen Beschränkungen kann dem Autor zufolge dadurch begegnet werden, dass die Teilnehmer dazu ermutigt werden, an Kundenbefragungen in Verbindung mit einer Infobörse (beispielsweise mit Hilfe von Plakat- und Fotowänden) diejenigen Kurse zu evaluieren, die sie belegt haben bzw. dadurch die Möglichkeit erhalten, sich für neue Kurse auszusprechen (vgl. ebd. S. 87).[58]

Trotz der Forderungen nach vermehrten Angeboten zur Stärkung der Selbstermächtigung seitens der Adressaten mit geistiger Behinderung bilden der Studie von Hoffmann/Kulig/Theunissen (2000) zufolge zielgruppenspezifische VHS-Kurse, "die sich auf eine autonome Lebensführung, Selbstbestimmung, Selbstdarstellung ... sowie auf Sexualität, Freundschaft oder Partnerschaft beziehen, ... (mit 10%, E.V.) das Schlusslicht" (ebd. S. 354).[59]

Die Ergebnisse lassen vermuten, dass der Bedarf einer auf den Selbstbezug des Erwachsenseins, auf individuelle Lebensziele, Selbstverwirklichung in partnerschaftlicher Beziehung und der Selbstbestimmung im Sinne von Empowerment hin ausgelegten Bildung für Menschen mit geistiger Behinderung im Rahmen der allgemeinen Erwachsenenbildung noch nicht hinreichend erkannt worden ist.

Zwischenfazit: Voraussetzungen für eine theoretische Umsetzung

Aus den vorangegangenen Erläuterungen sind die Voraussetzungen, Ziele, Handlungsebenen und die daraus resultierenden Anforderungen einer an erwachsenen Menschen mit geistiger Behinderung orientierten Bildungsarbeit hervorgegangen.

Meyer-Jungclausen (1985) hebt die Erfordernis einer Umsetzung der diskutierten handlungsbestimmenden, didaktisch-methodischen Akzentuierungen auf die praktische Bildungsarbeit hervor, die es Teilnehmern mit geistiger Behinderung ermöglichen, an Angeboten der Erwachsenenbildung teilzunehmen (vgl. ebd. S. 89). Zu unterstreichen ist der Bezug zu ihrer jeweiligen Lebenswelt, die Stärkung ihrer Selbstständigkeit und die Voraussetzung, dass sie als erwachsene, lernfähige Personen akzeptiert werden. Die Handlungsnotwendigkeit auf unterschiedlichen Ebenen macht deutlich, dass es sich bei der Unterstützung zur Selbstermächtigung um ein umfangreiches Unternehmen handelt.

Im Hinblick auf die spezifische Bildungsarbeit ergeben sich unterschiedliche Methoden, um sowohl die Selbstbildung als auch die Autonomie der Teilnehmer zu steigern (vgl. hierzu Theunissen 2003, S. 88ff.; Theunissen/Plaute 2002, S. 211ff.). Die Umsetzung der Leitprinzipien und Ziele wird durch autonomiefördernde Modelle versucht, welche Kursangebote der Separation und der reinen Zielgruppenarbeit teilweise ablösen.



[54] Die Gesellschaft Erwachsenenbildung und Behinderung e.V., Deutschland (GEB) "versteht sich als Bindeglied zwischen Forschung und Praxis in der Erwachsenenbildung. Sie fördert den fachübergreifenden Dialog zwischen Erwachsenenbildung und Behindertenpädagogik sowie den praxisorientierten Austausch zwischen Wissenschaft und Anwendung" (GEB 2003, S. 7).

[55] Grundlagen der erwachsenenbildnerischen Prozesse auch für die Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung sind laut der GEB (2003), dass der Dozent ein fundiertes theoretisches Grundwissen hat, dass er individuelle Lernbedürfnisse differenziert berücksichtigen kann, Methodenvielfalt besitzt und dass partnerschaftliche Kommunikationsformen im Bildungsprozess herrschen (ebd. S. 5).

[56] Die konstruktivistische Erwachsenenbildung geht ferner davon aus, dass der Wissensaufbau in einen sozialen, kulturellen und historischen Kontext eigebunden ist und dass Kognitionen in kulturell organisierten Kontexten mit anderen gemeinsam konstruiert werden (vgl. Schüßler 2000, S. 154).

[57] Der Studie von Hoffmann/Kulig/Theunissen (2000) zufolge dominieren musisch-kreative Angebote mit ca. 30%, wohingegen sie innerhalb der allgemeinen Erwachsenenbildung weniger als 20% der Kurse ausmachen (vgl. ebd. S. 353).

[58] Für die Koordination, Auswertung und Planung eines solchen Programms erörtert Theunissen (2003) die Möglichkeit einer Übertragung des niederländischen Amts des Bildungskonsulenten auf hiesige Modelle. Dessen Aufgaben reichen von der individuellen Bildungsberatung von Menschen mit geistiger Behinderung hin zur Organisation und Weiterentwicklung bzw. Vernetzung von Angeboten im Bereich Freizeit und Bildung, die Bereitstellung von Informationen sowie die Entwicklung neuer Ideen (vgl. Stöppler/Gattermann 2008, S. 6).

[59] Bezüglich der Forderung nach politischer Bildung kommt die Studie von Goeke (2005) zu dem Ergebnis, dass weder politische Themen noch Sprachen für Menschen mit (geistiger) Behinderung angeboten wurden (vgl. ebd. S. 7).

7. Theoretische Ansätze für die Praxis

Mit dem Wandel der Leitbilder in der Behindertenhilfe geht ebenfalls eine Wende bezüglich der Praxismodelle einer Bildungsarbeit von und für Menschen mit Behinderung einher. Woraus entwickelten sich aktuell geforderte Empowerment-fördernde Bildungsangebote, welche Modelle sind momentan handlungsleitend und wo gibt es Kritikpunkte und Schwierigkeiten?

7.1 Historische Entwicklung - die Zäsur ab 1970

Ausschlaggebend für die Anerkennung der Kursgestaltung für Menschen mit (geistiger) Behinderung im Rahmen der Erwachsenenbildung war der 1970 vorgelegte Strukturplan des Deutschen Bildungsrats und der Bildungsgesamtplan der Bund-Länder-Kommission von 1973, wodurch "Erwachsenenbildung in der BRD als eigenständiger vierter Bildungsbereich anerkannt" (Hoffmann/Kulig/Theunissen 2000, S. 349) wurde. Dem Strukturplan ging das Gutachten von 1960 ‚Zur Situation und Aufgabe der deutschen Erwachsenenbildung' des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen voraus. Bezüglich des Bildungsbegriffs heißt es darin: "Gebildet im Sinne der Erwachsenenbildung wird jeder, der in der ständigen Bemühung lebt, sich selbst, die Gesellschaft und die Welt zu verstehen und diesem Verständnis gemäß zu handeln" (Deutscher Ausschuss 1960, S. 20f.; zitiert nach Arnold 1996, S. 24). Mit diesem Gutachten zielte der Deutsche Ausschuss darauf ab, "das Selbstverständnis der Erwachsenenbildung klären zu helfen (sowie, E.V.) den Bereich der Erwachsenenbildung in das öffentliche Erziehungs- und Bildungswesen einzubeziehen" (Arnold 1996, S. 25f.). An das veränderte Selbstverständnis anknüpfend entwickelte sich der Strukturplan als "deutlicher Ausdruck gewachsener bildungspolitischer Wertschätzung" (Faulstich 1980, S. 67; zitiert nach Arnold 1996, S. 29). Die gesellschaftliche Relevanz der Bildung Erwachsener zeigt sich in verschiedenen Perspektiven, die der Bildungsrat entwirft (vgl. hierzu ebd. S. 29ff.).

Besonders hervorzuheben war für den Deutschen Bildungsrat, dass "die erste Bildungsphase ... ohne ergänzende Weiterbildung unvollständig (ist, E.V.). Der Gesamtbereich Weiterbildung ist daher Teil des Bildungssystems; Fortbildung, Umschulung und Erwachsenenbildung gehören in den Rahmen dieses Bereiches" (Deutscher Bildungsrat 1970, S. 199f.). Des Weiteren orientierte sich der Struktur-plan "nachdrücklich an unterschiedlichen Arbeitsbedingungen und leitete daraus seine Forderungen nach ‚Adressatenbezug und Zielgruppenarbeit' ab" (Schuchardt 1980a, S. 332). Daran anlehnend forderte die Bildungspolitische Zwischenbilanz 1976 die "Ansprache neuer Gruppen ... wie Behinderte und ausländische Arbeitnehmer" (Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft 1976, S. 77; zitiert nach Schuchardt 1980a, S. 332).

Mit der Anerkennung der Erwachsenenbildung im allgemeinen Sektor gingen somit auch zunehmend Kurse und Angebote für Menschen mit (geistiger) Behinderung einher, deren Bildungsfähigkeit, wie in Kapitel 4.1 erläutert wurde, in den 1960er Jahren allmählich in den Blick genommen wurde. Diese Anerkennung des Bildungsrechts sowie die Entwicklungen aufgrund des Strukturplanes ergaben eine Hinwendung zur Eingliederung der Menschen mit Behinderung in die Erwachsenenbildung. Kade/Nittel/Seitter (1999) bezeichnen die 1960er und 1970er Jahre als entscheidenden "Institutionalisierungsschub der Erwachsenenbildung" (ebd. S. 52). Es kristallisierten sich erwachsenenbildnerische "Verbandsstrukturen der Kirchen, Gewerkschaften und Volkshochschulen" heraus (ebd. S. 52).

In Anlehnung an diese Entwicklungen wurde 1977 die erste Bildungsstätte für Erwachsene mit geistiger Behinderung gegründet, die Tagesbildungsstätte TABS in München (vgl. Speck 1982, S. 59ff.).[60] Erste Kurse der Zielgruppenarbeit[61] mit Menschen mit Behinderung wurden Anfang der 1970er Jahre an Volkshochschulen in Nürnberg, Ludwigshafen, Bethel/Bielefeld, Frankfurt und Hannover durchgeführt (vgl. Schuchardt 1980a, S. 340ff.).

Neben der Zielgruppenarbeit entwickelte sich in Einrichtungen der Behindertenhilfe (z.B. Wohneinrichtungen, WfbM) eine Art ‚Sonder-Erwachsenenbildung'. Diese trug laut Heß (2008) zwar erheblich zur gesellschaftlichen Anerkennung und Umsetzung des Rechts auf lebenslange Bildung bei (vgl. Heß, S. 18), gerät jedoch seit einiger Zeit zunehmend in Misskredit (vgl. Lindmeier/Schöler 2000).

Theunissen (2003) verdeutlicht, dass sich die Sonder-Erwachsenenbildung "nach dem Vorbild der übrigen Sonderwege und -institutionen unseres Bildungswesens etabliert hat und teilweise eine Ausdifferenzierung dieser Organisationsformen darstellt" (ebd. S. 192).

Bezüglich der Zielgruppenarbeit "wurde der generelle Vorwurf erhoben, dass die Homogenisierung der Lerngruppen eine Orientierung an den Defiziten der jeweiligen Zielgruppe darstellt (und, E.V.) einer Ghettoisierung und Isolation" (Lindmeier 2003, S. 28f.) Vorschub leistet (vgl. auch Schlutz 1994, S. 202; Zeuner 2006, S. 54). Befürworter halten jedoch dagegen, dass "diese Gruppen zunächst in einem sozialen ‚Schonraum' stabilisiert und durchsetzungsfähig werden sollten, um sich dann in gemischten Gruppen und im ‚gemischten Alltag' behaupten zu können" (Siebert 1993, S. 79).

Noch immer ist das Modell der Zielgruppenarbeit handlungsleitend und laut Theunissen (2003) für behinderungsspezifische Themen sinnvoll (vgl. Kapitel 6.3), jedoch verstärken sich in den letzten Jahren Forderungen, Bildungsangebote für Menschen mit geistiger Behinderung von Anfang an integrativer zu gestalten und den Teilnehmern Bildungsassistenten zur Verfügung zu stellen.

7.2 Das "weiche" Integrationsmodell

Bereits seit längerem entwickeln verschiedene Einrichtungen der allgemeinen Erwachsenenbildung (z.B. Volkshochschulen, Familienbildungsstätten) spezielle integrativ gestaltete Angebote (vgl. Heß 2008, S. 20). Diese vollziehen sich auf zwei Ebenen: Zum einen bieten Einrichtungen der allgemeinen Erwachsenenbildung separate Kurse für Menschen mit Behinderung an und zum anderen öffnen sie ihre regulären Kurse für Menschen mit Behinderung (vgl. Lindmeier/Schöler 2000, S. 147ff.). Demnach sollen Bildungskurse primär in allgemeinen Erwachsenenbildungseinrichtungen stattfinden und nicht ausschließlich separiert in Behinderteneinrichtungen organisiert sein. Laut Knust-Potter (1993) werden Ausgrenzungen dadurch vermindert, dass die öffentlich ausgeschriebenen, allgemeinen Erwachsenenbildungs-Angebote Chancen und Möglichkeiten einer Integration schaffen vgl. Knust-Potter 1993, S. 11).[62] Das Öffnen ausgewählter Kurse bietet den Vorteil einer Integration von Menschen mit (geistiger) Behinderung in allgemeinen Kursen (vgl. BIV integrativ - Akademie für integrative Bildung 2007, S. 7).

Die integrative Erwachsenenbildung fordert keine völlige Abschaffung separater Kurse, denn diese sind dann berechtigt, "wenn die Schaffung einer angemessenen Lernumgebung für einen Menschen mit Behinderung nicht anders möglich ist (beispielsweise bei Gehörlosen, E.V.)" (Lindmeier 2003, S. 34). Letztlich wird gefordert, dass die Einrichtungen Angebote im Sinne einer "umfassenden Dienstleistung" (ebd. S. 34) stellen und den Teilnehmern verschiedene Möglichkeiten bezüglich der Organisationsform anbieten.[63]

Studien zufolge beträgt die grundsätzliche Offenheit, Zugänglichkeit und Integrationsmöglichkeit aller Angebote für den Personenkreis der Menschen mit Behinderung 28% derjenigen befragten Volkshochschulen (VHS), die keine zielgruppen-bezogenen Angebote machen. Dies zeigt die Befragung an 86 VHS von Goeke (2005), bei der die Rücklaufquote bei 63% lag. Lediglich 6 von 53 untersuchten VHS gaben an, spezifische Angebote für Menschen mit geistiger Behinderung bereitzustellen (vgl. ebd. S. 4). Die eher geringen Zahlen der behinderungsspezifischen Kursangebote belegt ebenfalls mit 10-15% der befragten VHS die Studie von Hoffmann/Kulig/Theunissen (2000). Integrativ organisierte Kurse machen im Vergleich zur Gesamtzahl der VHS-Kurse lediglich 7,7% aus (vgl. ebd. S. 354). Zu diesem Ergebnis kommt auch die Studie von Babilon (2002, S. 32ff.): Demnach gestalten sich lediglich 12 von 118 untersuchten Kursen integrativ, von denen 6 allein von öffentlichen Erwachsenenbildungsanbietern organisiert und durchgeführt wurden. Mehr als die Hälfte der Kurse sind nach dem Separationsmodell organisiert. "Auch die meisten der 66 ... Kooperationsveranstaltungen[64] müssen zusätzlich diesem Modell zugerechnet werden, da der Kooperationspartner ... oft nur bei der Finanzierung in Erscheinung tritt" (vgl. Babilon 2002, S. 37).

Als Argument für das kleine Angebot sowie die geringe Partizipation an integrativen Kursen nennt Heß (2008) Akzeptanzprobleme seitens nichtbehinderter Menschen. "Die als integrativ gesehenen Angebote der allgemeinen Erwachsenenbildung erreichen nur in wenigen Fällen die ‚Mitte der Gesellschaft', und selbst bei beigelegtem Besuch ‚normaler' Kurse der allgemeinen Erwachsenenbildung bestehen Probleme der Akzeptanz unterschiedlicher Lernbedürfnisse und Lerntempi sowie der latenten Ausgrenzung als Folge wachsenden wirtschaftlichen Verwertungsdrucks" (ebd. S. 20). Als Hauptgründe werden in der Studie von Goeke (2005) seitens der Kursanbieter zu 30% eine fehlende Nachfrage, zu 20% fehlende Rahmenbedingungen und zu 20% die Abdeckung durch andere Träger aufgeführt (ebd. S. 6). Des Weiteren wird der mangelnde oder unzureichende Fahrdienst als Grund der geringen Integration betrachtet. Nach einer Studie von Elbert/Villinger (1999) nennen 13% der Menschen mit Behinderung Transportprobleme als Grund, nicht an Angeboten teilnehmen zu können (vgl. ebd. S. 260ff.; zitiert nach Babilon 2002, S. 38).

Theunissen (2003) bemängelt bezüglich der Anerkennung und Umsetzung integrativer Bildungsangebote, dass die Bildungsmöglichkeiten und -interessen von Menschen mit Behinderung, anders als in der Phase die Zielgruppenarbeit, in der jetzigen Phase integrativer Erwachsenenbildung von der Regelerwachsenenbildung kaum beachtet werden. "Das könnte damit zusammenhängen, dass die Art der Verschiedenheit gesellschaftlich weniger von Interesse ist, als die Verschiedenheit der Geschlechter, der Generationen, der Kulturen" (ebd. S. 191). Als weiteren möglichen Grund für das Desinteresse der allgemeinen Erwachsenenbildung führt Theunissen die häufig problematische 'Zahlungskräftigkeit' der Adressaten auf. "In den letzen Jahren hat diese zunehmend erforderlich werdende Markt- und Kundenorientierung im Erwachsenenbildungssektor dazu geführt, dass die (Angebote, E.V.) für Menschen mit Behinderungen an Einrichtungen der allgemeinen Erwachsenenbildung wie z.B. den Volkshochschulen weiter zurückgegangen sind" (ebd. S. 192). Auch Heß (2008) bemängelt, dass es bislang zu wenig integrative Bildungsangebote gibt, die für Menschen mit Behinderung geeignet und erreichbar sind. "Die Qualität und Intensität der erreichten Integration bleibt hinter dem Bedarf und den praktischen Möglichkeiten zurück" (ebd. S. 22).

Lindmeier/Schöler (2000) betrachten es als Aufgabe der Zukunft, "zwar weiterhin speziell für bildungsbenachteiligte Zielgruppen Angebote adressatengerecht zu planen und zu koordinieren, dabei aber die gemeinsame Bildung von Menschen mit und ohne Behinderung viel stärker in die Realität umzusetzen .... Dies schließt zielgruppenspezifische Angebote nicht aus, sie sollen sich aber inhaltlich und methodisch stärker an der allgemeinen Erwachsenenbildung orientieren" (ebd. S. 209).

Trotz der Kritik einer mangelnden Umsetzung der Integrationsbemühungen wird im Sinne des Empowerments die letztlich vollständige Inklusion von Menschen mit geistiger Behinderung in den Bildungsprozess gefordert und umzusetzen versucht.

7.3 Das "konsequente" Integrationsmodell - Inklusive Bildung

Das Inklusionsmodell bezieht sich auf die Öffnung aller Kursangebote für Menschen mit Behinderungen und deren selbstverständliche Teilhabemöglichkeit in Einrichtungen der Erwachsenenbildung, unabhängig von der Anzahl und der Behinderungsform. Dieses Modell gilt laut dem BIV (2007) als Ziel aller Integrationsbemühungen durch inklusive Bildung. "Allerdings setzt es voraus, dass die Bildungseinrichtung bereits sehr viel Know-how und Erfahrung besitzt. Es erfordert große Flexibilität, eine gute Vernetzung mit Hilfsmittelstellen und Fachkräften, ein multifunktionales Kursleiterteam und ein großes Repertoire an Lernassistenten und damit auch an finanziellen Ressourcen" (ebd. S. 7), denn der Wandel zu inklusivem Lernen betrifft nicht nur die Unterrichtsinhalte und die Kursorganisation, sondern auch die Strukturen der gesamten Einrichtung: "Menschen mit Behinderungen und ihre Bedürfnisse werden von vornherein im gesamten System mitbedacht. Dabei geht es nicht allein um das Dabeisein, sondern viel mehr um echte Teilhabe" (Babilon 2008, S. 70) im Sinne des Empowerments und der handlungsbestimmenden Leitprinzipien (vgl. Kapitel 5.1).

Ferner hebt die Autorin hervor, dass es bei inklusiven Angeboten durchaus Exklusion geben kann. Menschen mit (geistiger) Behinderung haben nach diesem Modell zwar die Möglichkeit an allen Kursen teilzunehmen, jedoch fehlen ihnen möglicherweise bei speziellen Angeboten, wie etwa bei Kursen wie ‚Wirtschaftsenglisch', die notwendigen Teilnahmevoraussetzungen. Folglich geht es nicht nur dem Integrationsmodell, sondern auch der inklusiven Erwachsenenbildung nicht darum, separate Angebote vollkommen einzustellen, da es Themen gibt, die speziell nur eine bestimmte Personengruppe betrifft (beispielsweise Themen der Selbstbestimmung, des Persönlichen Budgets, der Arbeitsassistenz). Den Ausführungen der Autorin zufolge sollen diese Kurse, wie bereits in Kapitel 6 erläutert, im Rahmen der allgemeinen Erwachsenenbildungsinstitutionen durchgeführt werden. Im Mittelpunkt der inklusiven Erwachsenenbildung steht demnach die Möglichkeit einer normalisierten Teilhabe am regulären Kursprogramm der allgemeinen Erwachsenenbildungseinrichtungen (vgl. zu diesem Abschnitt Babilon 2008, S. 72).

Babilon (2008) räumt jedoch ein, dass inklusive Erwachsenenbildung ohne Zweifel "eine komplexe Herausforderung für alle Beteiligten und das Erwachsenenbildungssystem (darstellt, E.V.): Es geht um politische, rechtliche und natürlich auch ökonomische Rahmenbedingungen, um das Gesamtprogramm einer Einrichtung, um eine inklusive Didaktik, die individualisiertes Lernen in Vielfalt forciert" (ebd. S. 72).

Um den Anforderungen entsprechend handeln zu können wirbt Grill (2005) für inklusive Schulungen und stellt einen ausführlichen Leitfaden zur Umsetzung inklusiver Gedanken in den konkreten Erwachsenenbildungsprozess dar. Grill geht der Frage nach, wie Kurse so gestaltet werden können, dass alle Teilnehmer mit ihren individuellen Fähigkeiten, Interessen und (Lern-)Erfahrungen inkludiert werden und bestmögliche Bedingungen für ihren Lernprozess vorfinden können. Der Leitfaden richtet sich konkret an Personen, die Kurskonzepte entwerfen oder Kurse durchführen. Zur Umsetzung der vorgestellten Integrationsmodelle für Menschen mit Behinderungen in den Erwachsenenbildungsprozess erweist sich das Konzept der Assistenz, welches die Teilnahme durch konkrete Unterstützungsmöglichkeiten zu er-leichtern verspricht, als handlungsleitend.

7.4 Assistenzmodell

Wie bereits in Kapitel 3.2 erläutert erweist sich die Assistenz für Menschen, die auf ein hohes Maß an persönlichen Hilfeleistungen angewiesen sind, als besonders bedeutsam. Die Abkehr vom Helfer- und Betreuermodell hat nicht lediglich im Pflegebereich, sondern ebenfalls in Erwachsenenbildungsprozessen Einzug gefunden: "Assistenz in der Erwachsenenbildung ist der Schlüssel zu einer integrativen Bildung" (GEB 2003, S. 6).

Bezüglich der Bildungspraxis ist vor allem die lernzielorientierte Assistenz hervorzuheben. Demnach sind strukturierte Lernhilfen oder Formen zum Erwerb subjektiv bedeutsamer Fertigkeiten in den Blick zu nehmen. "Die Bedeutung dieser lern-zielorientierten Assistenz ergibt sich aus Situationen, in denen am besten mittels didaktisch-strukturierter Hilfen gelernt werden kann" (Theunissen 2009, S. 78). Assistenzleistungen sind praktische Unterstützungsleistungen von Assistenzkräften für Teilnehmer, die Hilfestellungen im Lernprozess benötigen und/oder wünschen. Die eigentliche Assistenzleistung im Bildungsprozess ist laut Bretschneider (2008) die "Analyse von Ressourcen, Kommunikationsstrukturen, Beziehungsgeflechten und Gruppendynamiken. ... Diese kann nur dann zur Entfaltung kommen, wenn offene, gleichberechtigte und inklusive Gruppensituationen vorhanden sind" (ebd. S. 96).

Folglich fokussiert der Assistent nicht lediglich die Anliegen von Menschen mit Behinderung, sondern die Bedürfnisse von Personen in einer ganzen Gruppe und befriedigt diese im Zusammenhang mit den Ressourcen, die in der Gruppe vorhanden sind. Im Rahmen der Erwachsenenbildungssituation kann dem Autor demzufolge das Ziel von Assistenz sein, dass bestimmte Leistungen für einen behinderten Teilnehmer nicht ausschließlich von dem Bildungsassistenten, sondern auch von anderen Teilnehmern übernommen werden. "Assistenzleistung fokussiert sich auf Inklusion - auf stabile, gruppendynamische Prozesse von unter-schiedlichen, selbstständigen, behinderten und nichtbehinderten Personen" (Bretschneider, S. 96) und darauf, Menschen mit (geistiger) Behinderung in einem inklusiven Gruppenprozess einzubinden. Die GEB (2003) betrachtet ebenfalls eine der Hauptaufgaben des Bildungsassistenten als die "Bildung und Förderung von Sozialkompetenzen bei allen am Bildungsprozess beteiligten Menschen (sowie den, E.V.) Abbau von fremdbestimmenden institutionalisierten Strukturen" (ebd. S. 6).

Die Bereiche, in denen Assistenzleistungen vonnöten sein können, beziehen sich auf Problem- und Konfliktsituationen, auf Begebenheiten mit Kommunikationsschwierigkeiten sowie auf die Ebene der Kenntnisvermittlung, denn laut Bretschneider (2008) vermittelt der Assistent den Menschen mit (geistiger) Behinderungen unter Anleitung des Dozenten spezifische Kenntnisse, vermittelt in Konfliktsituationen und überbrückt Kommunikationsbarrieren (vgl. ebd. S. 96). Ferner betont der Autor die Aufgabe des Dozenten, Wissen und Kenntnisse auf der Grundlage des gemeinsamen Gegenstandes weiterzutragen, wobei der Assistent stabile, inklusive Gruppensituationen auf Basis der Gemeinsamkeiten der Gruppe verfolgt, welche "aufgegriffen, analysiert und verstärkt" (ebd. S. 96) werden.

Des Weiteren gehören zu den konkreten Aufgaben der Lernassistenten die Unterstützung bei der Umsetzung der Lerninhalte, die Vermittlung zwischen Teilnehmern und der Kursleitung, die Aufbereitung und Wiederholung der Inhalte sowie die didaktisch-methodische Beratung der Kursleitung. Assistenzkräfte sind demnach Moderatoren und Multiplikatoren unterschiedlicher Interessenlagen. Voraussetzend hierfür sind inhaltliche und methodische Differenzierungen, welche unter-schiedliche Lerngeschwindigkeiten und inhaltliche Prioritätensetzungen zu berücksichtigen haben. Die "sogenannte Win-Win-Situation" (ebd. S. 98), welche sich aus dem subjektiven Mehrwert und Nutzen für alle Teilnehmenden ergibt, stellt sich als elementaren Bestandteil der Inklusion dar.[65]



[60] Nach 23 Jahren wurde die Tagesbildungsstätte im Jahr 2005 aufgrund von mangelnden finanziellen Mitteln jedoch wieder geschlossen (vgl. Brockert 2006).

[61] Laut Siebert (1993) lassen sich seit dem 19. Jahrhundert vier Phasen sozialer Integration durch Erwachsenenbildung unterscheiden, deren Gemeinsamkeit die Integration von benachteiligten Menschen ist. Menschen mit Behinderung werden erst ab der dritten Phase in Überlegungen einbezogen. "In den 70er Jahren setzte sich das Konzept einer Zielgruppenarbeit durch, das Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit durch die Befähigung benachteiligter Schichten zur Artikulation und Durchsetzung ihrer Interessen versprach" (ebd. S. 79). Wegen der politischen Zielsetzung waren anfangs vor allem Industriearbeiter eine bevorzugte Zielgruppe, später auch Menschen mit Behinderung.

[62] Lindmeier/Schöler (2000) verweisen darauf, dass Integration nicht als ‚Einpassen' der behinderten Teilnehmer in ein bestehendes, unverändertes Kurskonzept verstanden wird, sondern dass "die Teilnahme von Erwachsenen mit besonderen Lernvoraussetzungen ... zum Prüfstein für die Verständlichkeit, Individualisierung und Teilnehmerorientierung des gesamten Lernprozesses" (ebd. S. 204) wird.

[63] Die Volkshochschule Ulm veranstaltet seit 1999 mit der Behindertenstiftung Ulm/NU und der Lebenshilfe die "Sommerschule Ulm", bei der zahlreiche Kurse für Menschen mit intellektueller und mehrfacher Behinderung angeboten werden (vgl. Schweitzer 2009).

[64] "Einrichtungen der Behindertenhilfe und Einrichtungen der allgemeinen Erwachsenenbildung kooperieren bei der Kursorganisation und der Durchführung von Kursen. ... Die Volkshochschulen in der Bundesrepublik Deutschland, die einen Fachbereich ‚Behinderte-Nichtbehinderte' haben, fallen unter dieses Modell, soweit sie einen Teil ihrer Aufgaben an Einrichtungen der Behindertenhilfe delegieren" (Lindmeier/Schöler 2000, S. 141). Der Aufgabenbereich der Erwachsenenbildungseinrichtungen umfasst in der Regel die zur Verfügungstellung von Räumlichkeiten, die Erledigung der Kursadministration sowie die Teilnehmerwerbung (vgl. ebd. S. 142).

[65] Als Praxisbeispiel zum Assistenzmodell zählt zum einen das 1980 in England von MENCAP organisierte Projekt "mainstream classes" (vgl. Lindmeier/Schöler 2000, S. 21ff.). Als deutsches Pendant dazu gilt das Würzburger EIP, welches 1994 erstmals durchgeführt wurde (vgl. Lindmeier 1997; Lindmeier/Schöler 2000, S. 33ff.; Tippelt/Hippel 2009, S. 824ff.). Beide Projekte unterstützen die Einzelintegration von Menschen mit geistiger Behinderung mit Hilfe von Assistenten in ausgewählten regulären Kursen der Erwachsenenbildung.

8. Kritische Würdigung und Ausblick

In der fachlichen Diskussion wird Behinderung heute als Synthese von individuellen, biologischen und sozialen Faktoren betrachtet, und zwar in Abgrenzung zu ihren über lange Zeit als statisch, unveränderbar und defizitorientiert angesehenen Eigenschaften. Was unter (geistiger) Behinderung verstanden wird hängt - unter heutigem Blickwinkel - stark von den jeweiligen Lebensumständen und sozialen Bezügen ab, aus denen sich die an individuellen Besonderheiten und Stärken orientierte und diese fördernde Basisnorm des Empowerment-Konzeptes erhebt. In der theoretischen Diskussion haben sich verschiedene Leitbilder abgelöst bzw. gegenseitig ergänzt, sodass Aspekte der Selbstbestimmung, der Integration und der Inklusion auch im Licht von Empowerment stets handlungsleitend sind. Der Empowerment-Ansatz betrachtet Menschen (mit geistiger Behinderung) als kompetente Akteure, die über das Vermögen verfügen, ihr Leben in eigener Regie zu gestalten und Lebenssouveränität zu gewinnen. Dieses Vertrauen in die Stärken der Menschen, in produktiver Weise die Belastungen und Zumutungen der alltäglichen Lebenswirklichkeit zu verarbeiten, ist Zentrum und Leitmotiv der ‚Philosophie der Menschenstärken'.

Bildungssituationen dienen als Empowerment-fördernde Möglichkeit und bauen gleichzeitig auf dem stärkenorientierten, lebensweltlichen Verständnis des Leitbildes auf, sodass Empowerment als Bildungskonzept verstanden werden kann. Speziell die Erwachsenenbildung dient als notwendiges Medium, den Adressaten zum Erkennen ihrer eigenen Stärken und ihrer Rahmen- und Umweltbedingungen zu verhelfen und sie bei der Aufklärung und einer eventuellen Veränderung ihrer Deutungsmuster und Erfahrungen zu unterstützen. Des Weiteren verfolgt eine Empowerment-fördernde Bildung das Ziel einer verbesserten Realitätskontrolle und einer gestärkten Handlungsautonomie hinsichtlich individueller und gesellschaftlicher Lebensaufgaben der jeweiligen Teilnehmer auf verschiedenen Ebenen.

Dem Wandel des Menschenbildes im Rahmen der Behindertenhilfe zufolge gestaltet sich die Erwachsenenbildung für den Personenkreis der Menschen mit geistiger Behinderung heutzutage mit der Zielsetzung, sie für ein selbstbestimmtes und selbstgesteuertes Leben zu stärken, als notwendig und wertvoll. Dabei gilt es, bei der Auswahl und Aufbereitung von Inhalten das Recht auf Selbstsein und Autonomie des Adressaten als Basisnorm zu verankern.

Durch die Orientierung an individuellen, stärkenorientierten Faktoren und der gleichzeitigen Fokussierung auf gesellschaftliche und kontextorientierte Aspekte gestaltet sich Empowerment als umfangreiches Unternehmen - Empowerment stellt sich als Gratwanderung zwischen professioneller Einmischung und Zurücknahme, zwischen der Stärkung der Eigenmacht der Adressaten und deren Schutz dar. An den pädagogisch Tätigen stellt sich die Anforderung, sein professionelles Selbstverständnis zu ändern und eine Balance zwischen den Polen zu finden. Das neue professionelle Selbstverständnis ist vielmehr das eines Assistenten.

Die Abwendung von der reinen förderzentrierten, anleitenden Hilfsperspektive und die Hinwendung zum respektierenden, pädagogisch optimistischen und nondirektiven Assistenzdenken auch in Prozessen der Erwachsenenbildung machen deutlich, dass eine an Menschen mit geistiger Behinderung orientierte Erwachsenenbildung kein Vollzugsorgan der Instanzen sozialer Kontrolle oder gesellschaftlicher Mächte wie beispielsweise Behindertenheime, Verbände oder Kostenträger darstellen soll, sondern eher die Funktion eines Anwalts von und für Personen in marginalisierter Position hat. Gleichzeitig ist sie jedoch wachsenden ökonomischen Rationalisierungsmaßnahmen ausgesetzt (s.u.).

Der Abschied von einer expertokratischen Professionalität (vgl. Herriger 2006) hat sich als Konsens im wissenschaftlichen Diskurs entwickelt. Anstelle des allmächtigen Professionsverständnisses wird heute eine pädagogische Praxis gefordert, die sich von Mustern der Bevormundung und Expertendominanz abwendet, die Gestaltung von Selbst und Umwelt zur Leitlinie der helfenden Arbeit macht und dabei den Adressaten der Dienstleistung die Möglichkeit einer weitestgehenden Selbstbestimmung einräumt. Es wäre wünschenswert, wenn sich diese Trendwende in den Theorien der Sozialen Arbeit, der Behindertenhilfe und der Erwachsenenpädagogik weiter fortsetzt und in der Fachliteratur erkennbar wird, so dass eine Auseinandersetzung mit der Lebenswirklichkeit der Adressaten stattfinden kann.

Dieser Perspektivwechsel hinsichtlich des Verhältnisses zwischen pädagogisch Tätigen und ihren Adressaten mit (geistiger) Behinderung birgt auf der Praxisebene die mögliche Problematik bezüglich des Austretens aus gewohnten Rollenmustern. Der Mensch mit geistiger Behinderung verharrt allzu oft in einer Position der Fügsamkeit und delegiert jegliche Verantwortung auf den Begleiter, womit er sich von ihm abhängig macht. Aus dem Festhalten an Machtgefällen resultiert potentiell eine Zurückweisung der empfundenen ‚Zumutung' der Selbstbestimmung und -verantwortung, die dem Adressaten aufgrund seiner erlernten Hilflosigkeit fremd erscheinen. Self-Advocacy- und People-First-Gruppen bieten für sie eine hilfreiche Möglichkeit, sich mit anderen Betroffenen in Selbstbestimmung und der Stärkung der eigenen Fähigkeiten zu üben sowie diese öffentlich zu machen. Gleichzeitig ist es für den pädagogisch Tätigen keine Selbstverständlichkeit, sein ‚sicheres Terrain' der routinierten Arbeitsweisen, der höheren Hierarchieebene und des damit einhergehenden Überlegenheitsgefühls aufzugeben und sich von seiner ‚Übermacht' zu verabschieden, bzw. diese gegen ein gleichberechtigtes Arbeitsverhältnis einzutauschen.

Empowerment setzt die Bereitschaft voraus, diesbezüglich Denk- und Handlungsblockaden aufzugeben, sich somit aus routinierten Situationen hinaus und in assistierende Begleitformen, wie beispielsweise das Konzept der Persönlichen Assistenz, hinein zu begeben. Folglich geht mit der Umsetzung des Empowerment-Konzeptes die Herausforderung eines neuen beruflichen Selbstverständnisses einher. Als dienlich werden sich diesbezüglich berufsbegleitende Qualifizierungen und Fortbildungen im Hinblick auf autonomiefördernde, gleichberechtigte Arbeitsweisen ergeben, sowie die vermehrte Unterstützung der pädagogisch Tätigen in Form von Supervision. Trotz aller Forderungen nach und der Notwendigkeit von Selbstbestimmung und nondirektiver Begleitung bleibt dennoch zu bedenken, die Freiheit des Adressaten nicht absolut zu setzen und deutliche Grenzen zu ziehen, sobald die Integrität anderer Menschen gefährdet ist.

Wie die Eingliederung in reguläre Erwachsenenbildungskurse zeigt, hat sich die Lage bezüglich der räumlichen und institutionellen Ausgrenzung von Menschen mit geistiger Behinderung der letzten Jahrzehnte in Richtung integrativer Tendenzen, obgleich noch nicht flächendeckend und teils eher sporadisch, aber dennoch deutlich verbessert. Auf gesellschaftlicher Ebene sind jedoch Erschwernisseauszumachen. Zwar zeigt sich eine zunehmende Öffnung für die Belange von Menschen mit Behinderung und es gibt beispielsweise immer mehr Möglichkeiten der Teilnahme an zielgruppenspezifischen oder kooperativen Angeboten der Erwachsenenbildung, allerdings ist ein leichter Trend zur erneuten Ausgrenzung der Menschen, die besonders unterstützungsbedürftig sind, hervorzuheben.

Die sich aktuell abzeichnende schwindende Solidarität und Verantwortlichkeit füreinander sowie die Dominanz ökonomischen Denkens und die mit ihr einhergehende Fokussierung auf den gesamtgesellschaftlichen Nutzen vernachlässigen die Orientierung am Wohl des einzelnen Menschen. Diejenigen, die beispielsweise dem Gesundheitswesen aufgrund einer Behinderung oder Krankheit besonders teuer zu stehen kommen, werden weniger als spezifische Individuen gesehen, sondern als kleiner Teil eines Ganzen, als Kostenfaktor des Gesundheitswesens. So formuliert ‚Der Spiegel' (2003) im Zusammenhang mit der Entwicklung der Sozialhilfe- und Eingliederungskosten: "Der wahre Treibsatz für die Sozialhilfe-Etats steckt in den Ausgaben für Schwerstbehinderte" (ebd. H. 40., S. 21). Dieser Rationalisierungsdruck, der durch den wirtschaftlichen Wettbewerb ausgeübt wird, betrifft am ehesten schwerst-mehrfach behinderte Menschen. Für diesen Personenkreis wird es in Zukunft sehr bedeutsam sein, Aspekte des Empowerments stärker in den Blick zu nehmen.

Kritische Stimmen behaupten ferner, dass die Selbstverwirklichung durch Empowerment einen extrinsisch motivierten Aspekt beinhaltet. So hebt Schlummer (2008) hervor, dass sich hinter der Umsetzung des Empowerments gesellschaftlich orientierte Ziele verbergen, die erst durch das gelungene Ergebnis des Empowerments erreicht werden sollen oder möglich werden (vgl. ebd. S. 63ff.). Demzufolge ließe sich Empowerment im Kontext von Erwachsenenbildung als Spannungsfeld zwischen Zweckoptimismus und Innovationsdruck ansiedeln.

Ferner ist auf die von Theunissen (2009) thematisierte Gefahr hinzuweisen, dass das Empowerment auch dazu missbraucht werden kann, unter dem Deckmantel der Ermöglichung der Selbstbestimmung die finanzielle Unterstützung für Menschen mit Behinderung zu kürzen (vgl. ebd. S. 97). Kritisch betrachtet ließe sich metaphorisieren, dass Empowerment und Inklusion vor den Karren einer staatlichen bzw. regierenden Macht gespannt und damit instrumentalisiert ist. Als Beispiel könnte das Konzept des Persönlichen Budgets dienen, doch es stellt trotz der Kritik, dass es zur Instrumentalisierung der Leitbilder beitrage, einen wichtigen Schritt in Richtung Selbstbestimmung und Teilhabe für Menschen mit Behinderung dar. Es bleibt zu hoffen, dass es in Zukunft mehr Anwendung findet.

Die Sparmaßnahmen wirken sich auch auf Bildungsangebote für Menschen mit Behinderung aus. So wurde beispielsweise die Tagesbildungsstätte TABS in München für Menschen mit geistiger Behinderung nach 23 Jahren trotz hoher Teilnehmerzahlen und stetig steigendem Interesse aufgrund von finanziellen Kürzungen geschlossen (vgl. hierzu Brockert 2006).

Diese Entwicklungen lassen darauf schließen, dass sich die Erwachsenenbildung für und mit Menschen mit (geistiger) Behinderung trotz normativer Akzeptanz finanziell in einer kritischen Situation befindet und dass die ‚soziale Schere' sich weiter öffnet, da die ökonomische Krise das Bildungsgeschehen beeinflusst, indem finanzielle Einschnitte die Rahmenbedingungen von Bildungsprozessen mehr und mehr einengen und vorschreiben. Pointiert betrachtet verändert sich durch finanzielle Eingrenzungen auch das Bildungsverständnis dahingehend, dass Verwertbarkeit von Bildung als Anpassungsqualifizierung an gesellschaftliche normative Vorgaben im Mittelpunkt steht.

Doch sollte Erwachsenenbildung den Ausführungen dieser Arbeit zufolge nicht lediglich als Kostenfaktor angesehen, sondern in seiner ganzheitlichen Bedeutsamkeit verstanden werden. Durch Bildung werden Empowerment-Prozesse gefördert und Ghettoisierung, Isolation, Fremdbestimmung und Abhängigkeit gehemmt. Erwachsenenbildung benötigt Qualität und die Rahmenbedingungen müssen stimmen, denn sie soll Bildungsprozesse ermöglichen, die die Weltsicht sich bildender Menschen erweitern.

Ausgehend von der Annahme, dass der Mensch (mit geistiger Behinderung) durch Bildung zu mehr Selbstermächtigung und Autonomie gelangt und diese sich beispielsweise förderlich auf den Gesundheitszustand des Menschen auswirkt, wäre es interessant zu erforschen, ob langfristig Kosten im Gesundheitswesen gesenkt werden könnten, wenn mehr finanzielle Mittel in die Bildung fließen würden. Folglich wäre Bildung auch oder gerade für Menschen mit geistiger Behinderung und gleichzeitig für die Gesellschaft eine lohnenswerte Investition in die Zukunft!

Zusammenfassend ist zu sagen, dass das Empowerment-Konzept für eine zukunftsweisende Behinderten- und Bildungsarbeit steht. Trotz oder gerade wegen der Hindernisse bleibt zu hoffen, dass sich der Ansatz des Empowerments in Zukunft in stärkerem Maße durchsetzt, um denjenigen, die gesellschaftlich als schwach angesehen werden, zu mehr Stärke zu verhelfen, damit diese sich gesellschaftlich und individuell besser behaupten können. Um die Hindernisse abzubauen bedarf es sicherlich noch einiger Zeit und einer engagierten, selbstkritischen und durchsetzungsstarken Soziale Arbeit und nicht zuletzt auch einer offenen, inkludierenden und nachhaltigen Erwachsenenbildung.

Das Schlusswort dieser Arbeit soll im Sinne des Empowerments durch Betroffene selbst zum Ausdruck gelangen:

"Alle sollen wissen, dass Bildung für Menschen mit Behinderung wichtig ist. PolitikerInnen müssen unsere Forderungen unterstützen und sich für das Recht auf Erwachsenenbildung einsetzen!

Bildung für alle muss eine Bildung ohne Hindernisse sein!" [66]



[66] Schlusssatz der "Kölner Erklärung" von (behinderten und nichtbehinderten) Teilnehmern der Fachtagung im September 2007 zum Thema "Wir wollen - wir lernen - wir können! Erwachsenenbildung und Empowerment" (vgl. Schlummer 2007, S. 26f.).

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Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Tab.1: Klassifikation der IQ-Werte nach der ICD-10 - in Anlehnung an Fornefeld (2000, S. 58; vgl. auch Kulig/Theunissen/Wüllenweber 2006, S. 121)

Tab.2: Paradigmenwechsel von der traditionellen zur Empowerment-gestützten Behindertenarbeit - in Anlehnung an Theunissen/Plaute (2002, S. 43)

Abb.1: Wechselwirkungen zwischen den Komponenten der ICF - in Anlehnung an WHO (2005, S. 23)

Abb.2: Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe im Hinblick auf Veränderungen institutioneller Hilfen, Menschenbilder und Leitprinzipien - in Anlehnung an Fornefeld (2008, S. 16)

Anhang

Die Duisburger Erklärung

Vorbereitet vom Programmkomittee behinderter Menschen, per Akklamation angenommen von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Kongresses "Ich weiß doch selbst was ich will!" Menschen mit geistiger Behinderung auf dem Weg zu mehr Selbstbestimmung. Duisburg 27.9. bis 1.10. 1994

Wir möchten mehr als bisher unser Leben bestimmen.

Dazu brauchen wir andere Menschen.

Wir wollen aber nicht nur sagen was andere tun sollen.

Auch wir können etwas tun!

Wir wollen Verantwortung übernehmen.

(Zum Beispiel in der Werkstatt nach der Pause pünktlich mit der Arbeit anfangen.)

Wir wollen uns auch um schwächere Leute kümmern. Auch schwerbehinderte Menschen können sagen, was sie wollen. Vielleicht nicht durch Sprache, aber man kann es im Gesicht sehen oder am Verhalten.

Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(Zum Beispiel soll eine Familie mit behindertem Kind genauso wie andere eine Wohnung mieten können.)

Alle haben das Recht, am Leben der Gemeinschaft teilzunehmen.

(Zum Beispiel ist es nicht in Ordnung, wenn man behinderte Menschen abfüttert oder Ihnen sagt, wann sie ins Bett oder zur Toilette gehen sollen.)

Wenn Politiker von Selbstbestimmung sprechen, heißt das nicht, dass sie damit Geld sparen können. Denn Selbstbestimmung heißt nicht, dass man ohne Hilfe lebt.

Selbst zu bestimmen heißt, auszuwählen und Entscheidungen zu treffen!

Wir möchten die Wahl haben, in welche Schule wir gehen: zusammen mit Nichtbehinderten in die allgemeine Schule oder in die Schule für Geistigbehinderte.

Wir möchten die Wahl haben, wo und wie wir wohnen: mit den Eltern, zu zweit oder mit Freunden, im Wohnheim, in einer Außenwohngruppe oder Wohngemeinschaft. Es soll auch betreutes Wohnen geben.

Wir möchten mehr Mitbestimmung bei der Arbeit - in der Werkstatt für Behinderte oder in anderen Betrieben. Wir wollen richtige Arbeitsverträge.

Wir möchten soviel Geld verdienen, wie man zum Leben braucht.

Wir wollen überall dabei sein! Im Sport, in Kneipen, im Urlaub, wie jeder andere auch. Wir möchten über Freundschaft und Partnerschaft selbst entscheiden. Es soll leichter sein, sich zu treffen oder sogar zusammenzuleben.

Jeder lernt am besten durch eigene Erfahrung!

Eltern meinen es oft zu gut. Sie lassen uns nicht selbst probieren. Es ist ja nicht schlimm, wenn man Fehler macht und von vorne anfängt.

Betreuer sollen uns helfen, dass wir Dinge selbst tun können. Sie sollten sich mit Geduld auf behinderte Menschen einstellen. Wie wollen zusammenarbeiten, wir sind keine Befehlsempfänger.

Wie werden wir stark?

Wir können mehr als uns zugetraut wird - zum Beispiel allein fortgehen oder mit der Bahn fahren. Das wollen wir zeigen; auch wenn man mal etwas gegen den Willen der Eltern oder der Betreuer tun muss.

Wir wollen oft mit behinderten Menschen aus anderen Orten sprechen, um zu wissen, wie sie leben. So können wir vergleichen und sagen, was besser werden soll. Wir wollen Gruppen bilden, in denen wir miteinander reden können.

Erklärung

"Ich erkläre hiermit gemäß § 30 Abs. 8 Satz 3 DPO, dass ich die vorstehende Diplomarbeit selbst verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe."

Quelle:

Eléonore Vanoli: Von der Verwahrung zur Selbstermächtigung -Perspektiven der Erwachsenenbildung von und für Menschen mit geistiger Behinderung

Diplomarbeit im Studiengang Pädagogik in der Fakultät Humanwissenschaften an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Betreuer: Prof. Dr. Walter Bender Zweitkorrektorin: Dr. Andrea Döring Abgabedatum: 03. Juli 2009

bidok - Volltextbibliothek: Erstveröffentlichung im Internet

Stand: 28.04.2010

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