Unterrichtserleben in den Köpfen saarländischer IntegrationslehrerInnen – und was dies für die Integrationsentwicklung bedeuten kann

Themenbereiche: Schule, Recht
Textsorte: Buch
Releaseinfo: Erschienen in: Schnell, Irmtraud [Hrsg.]; Sander, Alfred [Hrsg.]: Inklusive Pädagogik. Julius Klinkhardt: Bad Heilbrunn 2004.
Copyright: © Julius Klinkhardt 2004

1 Die Ausgangstage

Die integrative Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen mit Sonderpädagogischem Förderbedarf hat in der saarländischen Schullandschaft ihren festen Platz, was sich auch mit den Zunahmen von Integrationsmaßnahmen belegen lässt. Im kollegialen Austausch über den integrativen Unterricht wurde immer wieder thematisiert, dass eine erhebliche Diskrepanz besteht zwischen der Zielvorstellung eines differenzierenden Unterrichts und den tatsächlichen Gegebenheiten in saarländischen Integrationsmaßnahmen. Darüber hinaus scheint es den Verfassern neben der Analyse des quantitativen Zuwachses sinnvoll, auch die Frage nach der Qualität des integrativen Unterrichts zu stellen.

Ein möglicher Zugangsweg schien den Verfassern, an den Wahrnehmungen der IntegrationslehrerInnen anzusetzen, um aus ihnen eventuell Folgerungen für die Lehrerfortbildung, für die Schulentwicklung an saarländischen Förderzentren und Regelschulen und für die organisatorische Gestaltung des Unterrichts zu ziehen.

2 Der Kontext: Integrationsentwicklung im Saarland

2.1 Rechtliche Grundlage

Im Saarland wurden Kinder mit Beeinträchtigungen bis zum Schuljahr 1986/ 1987 weitestgehend in Schulen für Behinderte unterrichtet. Durch eine Änderung des Schulordnungsgesetzes (§ 4 Abs. 1) vom 04.06.1986 (zuletzt geändert am 27.11.1996) wurde die rechtliche Grundlage dafür geschaffen, dass SchülerInnen mit speziellem Förderbedarf (unter bestimmten Voraussetzungen) gemeinsam mit nicht behinderten SchülerInnen an einer Regelschule unterrichtet werden können. Eine weitere Rechtsgrundlage dieser schulischen Integration stellt die Integrationsverordnung vom 04.08.1987, geändert durch Verordnungen vom 22.5.1993 und vom 21.11.2000, dar.

Nach 17 Jahren integrativen Unterrichts stehen somit beide Systeme (Schulen für Behinderte und Gemeinsamer Unterricht) nebeneinander, ohne dass sich ein System gegen das andere hätte durchsetzen können.

2.2 Sonderpädagogische Förderzentren (SFZ)

Zur Versorgung der Integrationsmaßnahmen wurden per Erlass vom 04.06.1998 sechs Sonderpädagogische Förderzentren an Schulen für Lernbehinderte eingerichtet. Diese befinden sich in Saarbrücken, Merzig, Neunkirchen, Saarlouis, Blieskastel und St. Wendel.

„Die Sonderpädagogischen Förderzentren haben die Aufgabe, durch die Bereitstellung und Koordination sonderpädagogischer Hilfen und durch interdisziplinäre Zusammenarbeit dazu beizutragen, dass Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf jeglicher Art in bestmöglicher Weise in den Schulen der Regelform der jeweiligen Schulregion unterrichtet werden können. Zu diesem Zweck weist das Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft den o.g. Schulen Sonderschullehrerinnen und Sonderschullehrer möglichst aller behinderungsspezifischen Fachrichtungen sowie weitere Lehrkräfte und sonstige pädagogische Fachkräfte zu. Diese sollen zur Sicherung ihrer förderschwerpunktspezifischen Handlungskompetenz an den Fachkonferenzen der entsprechenden Schulen für Behinderte teilnehmen.“ (MBKW 1998, S. 147)

Große Förderzentren sind nach Regionen in Teams aufgeteilt, innerhalb derer Fortbildungen stattfinden. Aber auch regionale Sonderschulen stellen Personal, das stundenweise in der Integration eingesetzt wird.

Die saarländischen Förderzentren sind in widersprüchlicher Weise konstruiert. Unter dem Dach der Schule für Lernbehinderte müssen gleichzeitig die Interessen einer separierten Sonderpädagogik vertreten werden, aber mit genauso großer Entschiedenheit eine integrative Pädagogik, die letztlich auf den Verzicht der separierten Förderung abzielt.

2.3 Aktuelle Situation

2.3.1 Zur quantitativen Weiterentwicklung schulischer Integration

Zunächst werden anhand von statistischem Material Entwicklungen skizziert und Interpretationen vorgenommen.

Die Tabelle 1 zeigt, dass die Zahl der IntegrationsschülerInnen deutlich angestiegen ist. Im Schuljahr 2002/ 03 besuchten 1169 SchülerInnen mit Sonderpädagogischem Förderbedarf saarländische Regelschulen (dabei wurden 52 SchülerInnen in Sprachförderklassen an Grundschulen mitgezählt).

Tab. 1: SchülerInnen mit Sonderpädagogischem Förderbedarf

Unterrichtung

86/87

87/88

88/89

99/00

00/01

01/02

02/03

in S. f. Behinderte

3348

3092

2797

3370

3519

3685

3827

Steigerung

-8 %

-8 %

-10 %

1,17 %

4,42 %

4,72 %

3,85 %

in Regelschulen*

32

97

200

882

972

1024

1169

Steigerung

./.

203 %

106 %

10,80 %

10,20 %

5,35 %

14,16 %

Summe

3380

3189

2997

4252

4491

4709

4996

Steigerung in %

-7 %

-6 %

-6 %

3,03 %

5,62 %

4,85 %

609 %

Anteil der Integrationsschüler

1 %

3 %

7 %

20,74 %

21,64 %

21,75 %

23,40 %

* ohne die SchülerInnen, die in Kooperation mit Regelschulen gefördert werden (im Schuljahr 2002/ 03 ist dies ein Schüler einer Schule für Geistigbehinderte)

Das sind 23,26 % aller SchülerInnen mit Sonderpädagogischem Förderbedarf.

Eine differenziertere Darstellung zur schulischen Integration im Saarland findet sich bei SANDER (2003).

2.3.2 Integrationsberatung und LehrerInnenfortbildung

Eine kontinuierliche, alle Adressaten (Schulleitungen, Kollegien, Eltern) ermutigende Information, Begleitung und entsprechende qualifizierende Fortbildung existiert nicht.

Dem quantitativen Anstieg wurde nicht mit dem Aufbau einer adäquaten Beratungs- und Fortbildungsstrategie entsprochen. Viel versprechende Ansätze hatten keine Chance zur Entfaltung. Offensichtlich war es auch nicht der politische Wille der jeweiligen Mehrheit im Landtag, den Gemeinsamen Unterricht deutlicher zu qualifizieren und zu professionalisieren (dieser Wille fehlt aber auch in Bezug auf die Schulen für Behinderte!).

Manche „trotz alledem“ durchgeführte Integration ist dem starken Engagement einiger Eltern (vor allem im Verein „Miteinander Leben Lernen“, MLL.) und einiger LehrerInnen zu verdanken.

Die Organisation des Gemeinsamen Unterrichts zeigt im Saarland u.a. folgende Strukturelemente:

  • Die Stundenzuweisung für die Ambulanzlehrer erfolgt nach der Schüler- Lehrer-Relation des jeweiligen Sonderschultyps; der Durchschnitt im Schuljahr 2002/2003 betrug 3,2 Std. pro IntegrationsschülerIn. Dieser Durchschnittswert ist die Grundlage für die Zuteilung an das Förderzentrum. Die Leitung des Förderzentrums berücksichtigt bei der Zuteilung der Stunden die Gegebenheiten des einzelnen Falles (z.B. die Möglichkeit der Bündelung).

  • Die Zuordnung der jeweiligen Ambulanzlehrer erfolgt im Prinzip in jedem Schuljahr neu. Oft bleibt jedoch die Zuordnung Schüler-Förderlehrer einige Schuljahre konstant. In der Sekundarstufe I haben sich einzelne Kolleginnen über Jahre an einer Schule etabliert. Andere haben in einer Woche drei oder vier, manche fünf und mehr Schulen anzufahren: die Arbeitssituation, die Intensität und Qualität der Kooperation mit den Regelschulen variiert demnach stark.

Verständlicherweise ergibt sich aus dieser beruflichen Situation eines „Integrationslehrers“ ein hoher Bedarf an qualifizierter Fortbildung und kollegialem Austausch – der aber vom landeseigenen Institut für Lehrerfortbildung („Landesinstitut für Pädagogik und Medien“, LPM) nicht abgedeckt wird.

Welche Angebote gibt es?

  • In den Förderzentren finden Teamsitzungen statt, die sich mit den Thematiken des beruflichen Alltags befassen (differenzierende Unterrichtsformen, Supervision, Gutachtenerstellung, fachlicher Austausch).

  • Pädagogische Tage können mit Unterstützung der Fortbildungsinstitute organisiert werden.

  • Einmal im Jahr gibt es einen „Tag der Förderzentren“, veranstaltet vom nicht-staatlichen, katholischen Fortbildungsträger („Institut für Lehrerfort- und Weiterbildung“, ILF).

3 Fragestellung und Methode

Die Verfasser sind sich bewusst, dass die Konstruktion des SFZ im Saarland in sich widerspruchsvoll ist (s. Kap. 2.2). Die Feststellung dieser inneren Widersprüchlichkeit muss jedoch nicht den Verzicht auf Organisationsentwicklung bedeuten. Vielmehr sollte eine qualitative Entwicklung im Sinne der Organisationsentwicklung bei der Personalentwicklung ansetzen. Ohne Personalentwicklung erfolgt keine Unterrichtsentwicklung, ohne Unterrichtsentwicklung keine schulische Organisationsentwicklung. Nach ROLFF ist die Personalentwicklung Kernaktivität für Schulentwicklung (vgl. ROLFF 1993, 20). Zentrale Fragestellung ist somit die qualitative Weiterentwicklung des integrativen Unterrichts, die bei der Selbstwahrnehmung der Pädagoglnnen ansetzt.

Aus dieser Notwendigkeit der Personalentwicklung leiten wir den Ansatz ab, uns den Wahrnehmungen und Erfahrungen der Integrationslehrerlnnnen in Bezug auf ihre berufliche Situation zuzuwenden. Um diese Erfahrungen der LehrerInnen abzurufen, bedienten wir uns der Methode des stummen Schreibgesprächs. Bei einem stummen Schreibgespräch erhält jeder Teilnehmer einen Stift und äußert sich auf einem Plakat zu einem vorgegebenen Thema. Die Bearbeitungsstruktur orientierte sich dabei an dem Verfahren PATH (Planning Alternative Tomorrows with Hope), das BOBAN/ HINZ (1998) in ihrem Aufsatz „Diagnostik für Integrative Pädagogik“ darstellten. Aus dem Verfahren wurden zwei Schritte in abgeänderter Form ausgewählt:

  1. Wie soll integrativer Unterricht in einem Jahr angenehmer Weise aussehen?

  2. Wie sieht er jetzt aus?

Die Entscheidung, ein Schreibgespräch mit zwei Fragen aus dem Verfahren PATH durchzuführen, geschah auf dem Hintergrund folgender Überlegungen: Wir sind interessiert an den Eigenwahrnehmungen der Pädagoglnnen, einschließlich möglicher Widersprüche und Ambivalenzen. Wir interessierten uns für lebendige, authentische Äußerungen der TeilnehmerInnen, wobei keine Wertungen der Äußerungen im Sinne eines „richtigen/ falschen“ integrationspädagogischen Handelns erfolgte. Der Ansatz, die Gegenwart im Lichte einer besseren Zukunft zu sehen, vermag den Blick auf die gegenwärtige Praxis zu erweitern. Dadurch werden Handlungsperspektiven eröffnet. Weitere Impulse sind aus der Dialogform des Schreibgesprächs zu erwarten, indem TeilnehmerInnen auf die Äußerungen der anderen Bezug nehmen und sich anregen lassen. Von Vorteil ist dabei, dass die Äußerungen der Teilnehmer sofort verschriftet vorliegen. Dabei ist es das Ziel, die erfahrungsbezogenen, verbalen Daten so zu strukturieren, dass Hinweise für die Weiterentwicklung des integrativen Unterrichts resultieren.

4 Erhebung

Um ein Bild über das Empfinden bzw. Wohlbefinden von saarländischen Integrationslehrern bezüglich ihres Arbeitsfeldes zu erhalten, wurde von den Verfassern eine Gruppe von insgesamt fünf IntegrationslehrerInnen zu der Schreibkonferenz gebeten.

4.1 Datenstruktur und Datenauswertung

Die in der Schreibkonferenz gewonnenen Daten wurden drei Rubriken zugeordnet:

  • Wie soll es nach einem Jahr sein?

  • Ich fühle mich wohl, wenn ...

  • Ich fühle mich unwohl, wenn ...

Die Auswertung der Äußerungen erfolgte nun durch Auszählung und Zuteilung zu folgenden Auswertungsebenen:

1. Unterrichtliche Ebene

2. Zwischenmenschliche Ebene

2.1. zu SchülerInnen

2.2. zu LehrerInnen

2.3. zu Eltern

2.4. zu anderen IntegrationslehrerInnen

3. Organisatorische Ebene

4. Fachliche Ebene (Qualifikation)

5. Reflexion der Berufsrolle

Tab. 2: Ausweitung der Integrationslehreräußerungen

Wie soll es nach einem Jahr aussehen?

Ich fühle mich wohl, wenn...

Ich fühle mich unwohl, wenn...

Summe (gesamt)

1. Unterrichtliche Ebene

10

11

8

29

2. Zwischenmenschliche Ebene

1

1

0

2

2.1 zu SchülerInnen

1

7

1

9

2.2 zu LehrerInnen

9

3

6

18

2.3 zu Eltern

0

2

0

2

2.4 zu anderen IntegrationslehrerInnen

0

0

1

1

3. Organisatorische Ebene

2

4

5

11

4. Fachliche Ebene (Qualifikation)

0

0

1

1

5. Reflexion der Berufsrolle

3

0

4

7

Die in der Schreibkonferenz gewonnenen Daten sind nicht repräsentativ. Die Auszählung der Daten und die Darstellung in Tabelle 2 soll lediglich die quantitative Verteilung der Nennungen veranschaulichen.

4.2 Darstellung einzelner Äußerungen und mögliche Folgerungen

Nachfolgend werden Beispiele angeführt und einige Schlussfolgerungen gezogen.

4.2.1 Zur Unterrichtlichen Ebene

Am häufigsten gab es Äußerungen, die der Unterrichtlichen Ebene zugeordnet werden konnten. Beispiele:

„Ich fühle mich wohl, wenn ...

  1. IntegrationsschülerInnen auf ihrem Niveau lernen und auch Erfolgserlebnisse haben können – und auf der Regelschule bleiben können.“

  2. es eine Mischung von gemeinsamem Unterricht, Einzelunterricht und Gruppenunterricht gibt.“

  3. die Leistungen der Integrationsschülerlnnen deutlich besser werden.“

„Ich fühle mich unwohl, wenn ...

  1. ich etwa die Hälft der Stunde dabei sitze, zuhöre, mitschreibe.“

  2. es eine Mischung von gemeinsamem Unterricht, Einzelunterricht und Gruppenunterricht gibt.“

  3. ich Vertretung machen ‚darf‘.“

„In einem Jahr ...

  1. wird es Differenzierungsangebote nicht nur wegen der Integrationsschüler geben.“

  2. soll Unterricht situativ, auch ganz anders als geplant sein können, an der aktuellen Situation der Kinder orientiert. Ich will mit ihnen arbeiten.“

In den Äußerungen a), c), d), g) und h) scheinen uns in besonderer Weise einige Konfliktlinien (integrations-)pädagogischer Arbeit abgebildet zu sein:

  • IntegrationslehrerInnen sollen das Kind an das Niveau der Klasse anpassen, damit es langfristig an der Regelschule verbleiben kann.

  • Häufig wird in der Regelschule nicht auf dem Niveau gelernt, das jedem Kind gerecht wird. Der Anspruch, dieses für die IntegrationsschülerInnen zu realisieren, wirkt auf diesem Hintergrund geradezu anmaßend.

Eine wünschenswerte Lösung wäre es, wenn alle SchülerInnen auf ihrem Niveau lernen könnten. Ein Weg zur Realisierung dieses Ansatzes wäre, wenn LehrerInnen sich über Reflexion ihrer Unterrichtsgestaltung und in Kooperation die dazu notwendigen Fähigkeiten aneignen. Viele Anregungen finden sich im „Konzept eines dialogischen Unterrichts“, das Urs RUF u.a. (2002) entworfen haben.

  • In den Äußerungen wird ein Druck artikuliert, der durch die Existenz des Sonderschulwesens und die zunehmende Verknappung der Ressourcen verursacht wird. Dadurch ist „Problemlösung durch Abschiebung“ ein immer gegenwärtiges Thema.

4.2.2 Zur Zwischenmenschlichen Ebene der LehrerInnen

Ein ebenfalls oft genannter Bereich war auf der Zwischenmenschlichen Ebene der Kontakt bzw. die Zusammenarbeit mit anderen LehrerInnen. Beispiele:

„Ich fühle mich wohl, wenn ...

  1. Absprachen getroffen werden und ich Informationen bekomme.“

  2. Regelschullehrer bereit sind, Erklärungen über Wechselwirkungen und Ursachen im Verhalten und Lernen problematischer Schüler/ Lehrer/ Eltern zu hören und zu akzeptieren (bzw. überprüfen). Das ändert ihr Verhalten.“

„Ich fühle mich unwohl, wenn ...

  1. ich zwar in das Kollegium integriert bin, allerdings von privaten Kontakten fast ausgeschlossen bin.“

  2. ich in der Sekundarstufe nur eine Kollegin sehe, die bereit ist, mit mir zu differenzieren.“

„In einem Jahr ...

  1. soll mein Unterricht von (Regel-)Kolleglnnen anerkannt werden und nicht lapidar abgetan werden. Sie sollen zumindest Spuren von Wertigkeit erkennen (und anerkennen).“

  2. werden bei Wochenplänen abgestimmte Aufgaben für IntegrationsschülerInnen gleichwertig neben denen des Klassenlehrers stehen.“

  3. werden die jüngeren Kolleginnen (bis 30 Jahre) weniger Ängste/ Vorbehalte gegenüber Integration haben.“

Dabei ist festzustellen, dass mehr Nennungen zum Ausblick, wie es in einem Jahr sein soll, genannt wurden als zur gegenwärtigen Situation. Demnach besteht der Wunsch, besonders auf dieser Ebene etwas zu verändern.

Vor allem in den Äußerungen a), b), c), e) und g) scheint uns der Beziehungsaspekt der integrationspädagogischen Arbeit hervorzutreten, der sich bei positivem Verlauf in gegenseitiger Wertschätzung und Respekt sowie in Sympathie ausdrückt. Die Äußerungen drücken aber auch aus, dass dieser positive Verlauf in der Realität häufig nicht gegeben ist und “kommunikative Fallen“ zum Alltag gehören.

„Innovationsprozesses mit dem Ziel der Integration sind von der .Lernfähigkeit’ und der Kommunikationsstruktur einzelner Einrichtungen sowie von der Konfliktfähigkeit betroffener Individuen abhängig“ (MEISTER/ KRÄMER 1994,408).

Die Konfliktfähigkeit der betroffenen Lehrkräfte kann u.a. durch systemische Beratung, externe Supervision und kollegiale Fallbearbeitung gesichert werden.

4.2.3 Zur Organisatorischen Ebene und zur Schülerlnnen-Ebene

Etwa gleich viele Äußerungen gab es zur Organisatorischen Ebene und zum Bereich Schülerlnnnen auf der Zwischenmenschlichen Ebene. Beispiele (Organisatorische Ebene):

„Ich fühle mich wohl, wenn ...

  1. Beratungsstunden Gelegenheit zu Absprachen und Austausch geben.“

  2. ich mehr IntegrationsschülerInnen in einer Klasse habe (damit kann ich arbeiten).“

„Ich fühle mich unwohl, warn ...

  1. wir Schüler mit ‚schwerer’ Körperbehinderung wegen unzureichender Pflegevoraussetzung ablehnen müssen.“

  2. ich zwar auch regelmäßig sage: „Mal langsam!“, aber eigentlich ja keine Zeit da ist – was auch mir am meisten fehlt = paradox!“

„In einem Jahr ...

  1. möchte ich erreichen, dass die Anforderungen an mein .Spezialistentum’ durch mehr Zeit auch verwirklicht werden können.“

  2. möchte ich Zeit haben, Anfragen der Regelschulkolleginnen um Auskünfte, Hilfen etc. zu beantworten und mit problematischen Kindern präventiv zu arbeiten.“

Auf dieser Ebene wird die Ressourcenproblematik mit den bekannten Fakten und Forderungen deutlich. Die tägliche Arbeit wird stark durch die organisatorischen Rahmenbedingungen beeinflusst und kann sich auf die zwischenmenschliche Ebene auswirken. Beispiele zur zwischenmenschlichen Ebene bezüglich SchülerInnen:

„Ich fühle mich wohl, wenn ...

  1. die Integrationsschüler dazu gehören.“

„Ich fühle mich unwohl, wenn ...

  1. es SchülerInnen gibt, bei denen ich nur wenig tun kann/ brauche, ich also .überflüssig’ bin(?)“

„In einem Jahr ...

  1. werden meine SchülerInnen nach intensiver Beratung in eine ‚absehbare’ Zukunft aus Klasse 9 entlassen.“

4.2.4 Zur Reflexion der Berufsrolle

Die Reflexion der Berufsrolle erhielt nur geringe Nennungen. Von Bedeutung ist hierbei aber, dass keine Nennung zur Rubrik „Ich fühle mich wohl,...“ erfolgte. Beispiele:

„Ich fühle mich unwohl, wenn ...

  1. ich mich fragen muss, ob ich überhaupt ein ‚Lehrer’ bin.“

  2. ich mich meist anpassen muss.“

  3. eine ideologische Diskussion besteht: Integration vs. Sonderschule (ich bin ‚nur’ Integrationslehrer).“

„In einem Jahr...

  1. bin ich geschickter darin, meine Ziele in der Regelschule zu vertreten.“

In den Äußerungen tritt die Schwierigkeit deutlich hervor, dass der Integrationslehrer seine Rolle in der Integration für sich selbst gestalten muss. Dies lässt einerseits Raum für Gestaltung zu, bewirkt aber auch berufliche Identitätsprobleme.

Es scheint uns sinnvoll, einen Vorschlag zu diskutieren, der eine stärkere Verankerung von IntegrationslehrerInnen im Unterricht der Regelschule vorsieht. Dies könnte heißen, dass Integrationspädagoglnnen ein Unterrichtsfach verpflichtend übernehmen. Ratsam wäre darüber hinaus, sich in weitere schulische Aktivitäten einzubringen. Damit wäre eine größere Zugehörigkeit von Integrationspädagoglnnen in das Kollegium der Regelschule möglich.

Von nur geringer Bedeutung war die Fachliche Ebene sowie auf der Zwischenmenschlichen Ebene der Kontakt zu anderen IntegrationslehrerInnen, denen jeweils nur eine Nennung zugeordnet werden konnte.

5 Schluss

Wir haben gezielt Bezug genommen auf Themenbereiche der pädagogischen Arbeit, die durch das Handeln der einzelnen Lehrkraft aktiv beeinflusst werden können. Dazu zählen auf der Personalentwicklungsebene die Gestaltung des Unterrichts und die Gestaltung der Beziehungsebene. Dies war der von uns gewählte Rahmen, um den Ansatz der Organisationsentwicklung durch Personalentwicklung zu veranschaulichen.

Aus den dargestellten Schlussfolgerungen könnten Anregungen für die Fortbildung an Sonderpädagogischen Förderzentren und an Regelschulen sowie für die Schulentwicklung gewonnen werden.

Literatur

BOBAN, INES; HINZ, ANDREAS: Diagnostik für integrative Pädagogik. In: EBERWEIN, HANS; KNAUER, SABINE (Hrsg.): Handbuch Lernprozesse verstehen. Wege einer neuen (sonder-) pädagogischen Diagnostik. Weinheim und Basel 1998,151-164

KEMPFERT, GUY; ROLFE, HANS-GÜNTER: Pädagogische Qualitätsentwicklung. Weinheim und Basel 1999

MEISTER, HANS; KRÄMER, HERBERT: Innovation als Aufgabe, Voraussetzung und Wirkung integrativer Pädagogik. In: EBERWEIN, HANS (Hrsg.): Behinderte und Nichtbehinderte lernen gemeinsam – Handbuch der Integrationspädagogik. Weinheim und Basel 1994 (3. Auflage), 404-410

MINISTERIUM FÜR BILDUNG, KULTUR UND WISSENSCHAFT: Erlass über Sonderpädagogische Förderzentren an Schulen für Behinderte. In: Ministerialblatt des Saarlandes vom 26. Juni 1998. Saarbücken 1998

RUF, URS; BADR GOETZ, NADJA: Dialogischer Unterricht als pädagogisches Versuchshandeln – Instruktion und Konstruktion in einem komplexen didaktischen Arrangement. In: VOSS, REINHARD (Hrsg.): Unterricht aus konstruktivistischer Sicht – Die Welten in den Köpfen der Kinder. Neuwied 2002,66-84

SANDER, ALFRED: Über Integration zur Inklusion. Entwicklungen der schulischen Integration von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf auf ökosystemischer Grundlage am Beispiel des Saarlandes. St. Ingbert 2003

Quelle

Pascal Decker, Bernd Weismüller: Unterrichtserleben in den Köpfen saarländischer IntegrationslehrerInnen – und was dies für die Integrationsentwicklung bedeuten kann.

Erschienen in: Schnell, Irmtraud [Hrsg.]; Sander, Alfred [Hrsg.]: Inklusive Pädagogik. Julius Klinkhardt: Bad Heilbrunn 2004.

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Stand: 28.11.2018

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