Eine Reise in das Leben

- Zeitgenössische Betrachtungen im Angesicht des Todes -

Autor:in - Manuela Steger
Themenbereiche: Theoretische Grundlagen
Textsorte: Diplomarbeit
Releaseinfo: Diplomarbeit zur Erlangung eines akademischen Grades einer Magistra der Philosophie an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck; eingereicht bei: Univ. Prof. Dr. Volker Schönwiese, am Institut für Erziehungswissenschaften; Innsbruck, Juli 1999
Copyright: © Manuela Steger, Juli 1999

Einleitung

- Muß das Sterben todernst sein? -

Dieses Thema beschäftigt mich seit jener Zeit, in der ich eine an HIV-erkrankte Frau aus diesem Leben begleitete. Ihr Tod bedeutete für mich das Ende eines sehr schmerzvollen Weges, auf dem viele "unbeantwortete Fragen" in mir liegengeblieben sind. Die Erinnerungen an diese Zeit sind verbunden mit vielen unausgesprochenen Ängsten, die unter anderem mit Sprachlosigkeit und mangelndem Ausdruck von Emotionen, im Umgang mit dem Tod zu tun hatten.

Auch die professionellen Helfer in den Einrichtungen des Gesundheitswesen sprachen wenig über Ängste in Zusammenhang mit dem Tod. Für die medizinische und pflegerische Unterstützung in bezug auf Pflege, Medikamentenverabreichung etc. wurde gesorgt. Angehörige, Betroffene und auch Pflegepersonal waren jedoch psychisch überfordert und fühlten sich alleingelassen in ihrer Situation. Das Ansprechen vom Tod ging mit dem entsprechenden Überwinden einer sehr großen Hemmschwelle einher.

Die Erfahrungen mit dem riesigen Tabu rund um das Thema Tod waren der Anlaß, mich intensiver damit auseinanderzusetzen. Dies in Form einer persönlichen Reise, denn "vom Tod zu sprechen, bedeutet über sich selbst zu sprechen" (THEUNISSEN zit. in WINAU 1984, S. 107). Mit der Wahl dieses Themas erwartete ich mir nicht nur eine kognitive Bearbeitung, sondern erhoffte dadurch auch eine Art Bewußtseinserweiterung zu erhalten.

Im ersten Kapitel befaßte ich mich mit den Ursachen mangelnder Ausdrücke von Emotionen, Worten und Handlungen. Dazu untersuchte ich zeitgenössische Phänomene in unserer westlichen Kultur, welche spürbar unser Leben und die entsprechende Tabuisierung vom Tod beeinflussen.

Unsere momentane Lebenseinstellung prägt spürbar unser Bewußtsein gegenüber dem Tod und führte mich zur Hypothese, daß es Todesverdrängung in dieser Form nicht immer gegeben haben kann. Der geschichtliche Vergleich mit dem Mittelalter eignete sich gut, da es in dieser Zeit sehr große Wandlungen im Hinblick auf die jeweiligen Einstellungen zum Leben und dem Tod gegeben hat, die sowohl in Bildern als auch durch Literatur gut veranschaulicht werden.

Inwieweit sich Werte im Sinne des zivilisatorischen Prozesses verändert haben und wie sich diese auf unsere natürlichen Einstellungen zum Leben sowie zu unserem Tod auswirken, ist ein weiterer Punkt meiner Reise. Wir haben den Tod "aus den Händen gegeben". Die Unterwerfung der Natur und die Grenzen der Technik, die im Namen des Lebens bereits in größtem Maße überschritten werden, spielen dabei ein wesentliche Rolle. Ich fragte mich nach den Konsequenzen dieser Entwicklungen auf unser gegenwärtiges Leben.

Kirchliche Bemühungen um die Bewältigung von Tod und Trauer erweisen sich für mich in der heutigen Zeit als höchst unbefriedigend. Bestrafungsphantasien und eine Sündentheorie des christlichen Glaubens, können Menschen im Umgang mit dem Tod nicht entsprechend unterstützen. Auch hier der Vergleich mit dem mittelalterlichen Menschen, seinem Bezug zur göttlichen Ordnung und der entsprechenden Haltung zum Leben und zum Tod.

Das zweite Kapitel widme ich der Vorbereitung des Menschen auf seine letzte Lebensphase im Hinblick auf den Tod. Es beinhaltet zum einen das Zulassen von Ängsten und zum anderen das Loslassen vom Leben, um sich dem großen Reifeprozeß des Abschiednehmens zu stellen. Mit einer Reise in das Innere der Seele möchte ich herausfinden, welche Ressourcen für diesen Wachstumsprozeß enthalten sind. Auf meiner Suche einen Geist-Seele Kontakt herzustellen ist mir das Wissen und die Erfahrung von C.G.Jung sehr hilfreich gewesen.

In meinem letzten Kapitel versuchte ich herauszuarbeiten, ob sich scheinbare Gegensätze wie Leben und Tod im Grunde nicht ergänzen können bzw. ob in der Endlichkeit unseres Daseins nicht auch ein positives Phänomen vorhanden ist? Ich ging der Frage nach, welche Möglichkeiten und Chancen für jeden Menschen im Erleben von Gegensätzen enthalten sind.

Es handelt sich hier um ein sehr umfangreiches Unterfangen. Aufgrund meiner Neugier zu diesem Thema und der von mir hinzugezogenen Literatur, die ich während dieser Reise sammelte, versuchte ich selbst vertrauter zu werden mit dem großen Geheimnis, welches das Thema Tod umgibt.

Gibt es ein Leben vor dem Tod?

Individuelle Zeit versus objektive Zeit

Ein wichtiges Phänomen in Verbindung mit dem Umgang von Tod und Sterben ist das Thema "Zeit". Ich unterscheide im folgenden das individuelle Zeitempfinden gegenüber der Zeit aus objektiver Sicht. Die Themen Zeit und Tod sind sich in einer gewissen Weise sehr ähnlich. Beide werden in unserer westlichen Zivilisation in der Form, wie sie unser Leben bestimmen, sehr einengend empfunden. In meiner Jugend war Zeit für mich in keinster Weise ein Thema zum Nachdenken. Im Gegenteil, Zeit war genug vorhanden. Schulferien kamen mir unendlich lange vor. Heute erlebe ich zunehmend eine Verände-rung gegenüber diesem damaligen Zeitempfinden. Anhand der Vorstellung, daß ich mich bereits am Ende meiner ersten Lebenshälfte bzw. vielleicht schon am Anfang meiner zweiten Lebenshälfte befinde, werden mir Ereignisse im Hinblick auf ihre Vergänglichkeit und Flüchtigkeit viel bewußter. Mit zunehmendem Alter wird Zeit immer mehr zum kost-baren Gut. Die Dimension der Zeit bedeutet für mich, daß unser Leben von Anfang an durch den Tod bestimmt ist. In meinen Auseinandersetzungen mit der Zeit hinterfrage ich vor allem "Wie Zeit erlebt wird" und warum sie aufgrund ihrer Vergänglichkeit so bedrohlich auf uns wirkt. Es gibt einige Gründe weshalb das Vergehen und die Flüchtigkeit der Zeit eine so unangenehme Erfahrung mit sich bringt. Einer davon besteht darin, daß sich der Mensch mehr und mehr als "Gefangener der Zeit" fühlt und dadurch nicht mehr unbefangen leben kann. In dem Bewußtsein des Zeitablaufs und seiner strengen Gliederung ist es schwer zu entspannen. Man spürt ständig die Flüchtigkeit sowie die Vorläufigkeit der Zeit und damit die Begrenztheit seiner Existenz.

Um den Begriff Zeit zu beschreiben, verwende ich vorläufig die Definition aus der Welt der Physik. Diese antwortet auf die Frage "Was ist Zeit" in seinem physikalischen Geschehensablauf wie folgt: "Physiker machen die Lösung des philosophischen Problems an der Bewegung der Atome fest. Sie halten das stabile Atom Caesium-133 in einem Laserstrahl gefangen und kühlen es auf diese Weise. Dadurch verlangsamen sich die Schwingungen des Teilchens; ein Elektron des Caesium-133 nimmt nämlich zwei verschiedene Energiewerte an, zwischen denen es pendelt.Seit rund 40 Jahren wir anhand dieses Prinzips die Dauer einer Sekunde gemessen: So lange braucht das Elektron für 9.192.631.770 Schwingungen. (TIROLER TAGESZEITUNG Nr. 217 19/20.09.98)

Es handelt sich hier um eine mathematische Formel, in der das Maß Zeit als Quantum eine Rolle spielt. Eine faßbare Definition, die jedoch nicht mit einer individuellen Zeitvorstellung in Bezug steht.

,, Der einzelne Mensch lernt beim Heranwachsen, die in seiner Gesellschaft gebräuchlichen Zeitsignale zu verstehen und sich im Verhalten an ihnen zu orientieren. Das Erinnerungsbild von der Zeit, die Vorstellung von ihr, die ein einzelner Mensch besitzt, hängt also von dem Entwicklungsstand der die Zeit repräsentierenden und kommunizierenden sozialen Institutionen ab und von den Erfahrungen, die der Einzelne mit ihnen von klein auf gemacht hat".(ELIAS, 1988, S. XXI)

Norbert Elias spricht von der sozialen Zeit und wehrt sich dagegen, daß Uhren die Zeit ausmachen. Auch wenn diese zu den markantesten Einrichtungen gehören, die die Zeit repräsentieren. Er stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis der pyhsikalische Geschehensablauf eines Zeitbestimmers, wie dem des Uhrmechanismus, zu der sozialen Funktion des Gerätes als Ankündiger von Zeit steht. Die Uhr als Mittel der Zeitbestimmung bezeichnet Elias als wahrnehmbaren Geschehensablauf oder, wie im Falle der Kalender, in geschriebener oder gedruckter Form, als simulierte Geschehensabläufe. Die Uhr wird vom Mensch als Instrument eingesetzt und dieser ordnet sich durch ihre Zeitgliederung in Stunden, Minuten und Sekunden an ihre Gesetzlichkeit unter.

"Den Charakter als Zeitbestimmer gewinnt ein physikalischer Ablauf erst dadurch, daß er im Zusammenhang mit den physikalischen Aspekten auch den Charakter eines beweglichen sozialen Symbols besitzt und als solches, sei es informierend, sei es regulierend, in den Kommunikationskreislauf menschlicher Gesellschaften eingeschaltet ist." ( ebd. S. XXII)

Aufgrund der Messung von Zeit weiß man über ihre Begrenztheit und versucht sie so gut wie möglich auszufüllen bzw. zu nützen. Dabei ist die Nutzung der Zeit zu einem Lebensprinzip geworden mit der stets präsenten Frage: Was mache ich mit der Zeit und wie kann ich sie am besten nützen? Zeit wird in ihrem instrumentellen Charakter mit Uhr und Kalender genau gegliedert, berechnet und kontrolliert. Timeplaner übernehmen fast schon unsere gesamte Lebensplanung. Vom Blumengießen bis zur täglichen Arbeits- und Freizeitgestaltung wird alles genau festgehalten. Die Gestaltung der Lebensplanung geht über von Kopf und Gefühl in ein im besten Fall in Kalbsleder gehülltes Buch.

R. Wendorf zur Nutzung der Zeit: "Erst als in Europa Individualität als Ideal und im parallelen Prozeß der Rationalisierung sich stärker durchsetzte und sich das Recht zur Selbstbestimmung des eigenen Lebens erkämpfte, wurde die Nutzung der Zeit zum einem wesentlichen Thema." (WENDORF 1988, S. 105)

Kein Wunder also, wenn die Aussage "Ich habe keine Zeit", zu einem der meist verwendeten Sätze in unserer westlichen Industriegesellschaft geworden ist. Daraus resultiert Ungemütlichkeit und Hektik in den verschiedenen Formen des Zusammenlebens. Es bleibt unter anderem wenig Zeit für Familie und immer weniger Zeit für Ruhe in unserer rast-losen Gesellschaft. Die Begriffe Zeit und Leben scheinen dabei in Verwechslung zu geraten. Vor allem dann, wenn sich jemand vom eigenen Leben unter dem Vorwand distanziert, die Zeit sei zu kurz und fließe zu schnell vorüber. Der Grund könnte daran liegen, daß die eigene Lebenszeit nicht den Vorstellungen entsprechend zufrieden erlebt wird und als Ursache dafür der ständige Mangel an Zeit vorgeschoben wird.

Redewendungen wie "Alles zu seiner Zeit", "Kommt Zeit kommt Rat" verloren ihre Bedeutung. Mit einem kurzen historischen Exkurs ins Mittelalter möchte ich auf die damalige Bedeutung von Zeit eingehen. Hier galt Zeit als geheimnisvolle Macht im Sinne von "Zeit Gottes", die entweder erduldet oder verehrt wurde. Der mittelalterliche Mensch erfuhr Zeit über die Beobachtung und den Lauf der Sterne sowie in der Verrichtung, der durch den Jahreslauf sich charakteristisch wandelnden Tätigkeiten, die jeweils "ihre Zeit hatten". Zeit orientierte sich auch über die Feste des Kirchenjahres und den Gedenktagen der Heiligen. Die alte Zeitrechnung diente sozusagen dem mittelalterlichen Menschen, um Anteil an der göttlichen Ordnung und dem Lauf der Heilsgeschichte zu erlangen.

Die Zahlen, deren man sich für die Zeitrechnung bediente und die sich aus den Zeitmessungen ergaben, waren keineswegs bloße Meßdaten. Voll der Symbolik verwiesen sie den Andächtigen auf die Wunder der Schöpfung und die Zeichen des Heilsplanes Gottes. Jede Zahl hatte ihre tiefere Bedeutung und wies über sich selbst hinaus. Mittelalterliche Zeitrechnung war nicht auf die naturwissenschaftliche Bestimmung der Zeit oder eine in unserem Sinne korrekte Chronologie aus, sondern auf ihre heilsgeschichtliche Deutung. (vgl. GRONEMEYER 1996, S. 80)

Es ging nicht darum, Ereignisfolgen an einem abstrakten Zeitkontinuum aufzureihen,

sondern Ereignisse unterschiedlichster Art, die zu verschiedensten Zeiten geschehen sind, bedeutungsvoll miteinander in Beziehung zu setzen.

Die bedeutsame Zeit der Heilsgeschichte ist allerdings aufgrund von Ereignissen wie Krisen, Seuchen, Beben und Kriegen fragwürdig geworden. Zeit wurde nicht mehr ertragen, erlitten, erlebt und erhofft, sondern sie sollte kalkulierbar werden. Mit Erfindung der Räderuhr wurde Gott als Herr der Zeit entmachtet und der Mensch ist an dessen Stelle getreten. Er begann Zeit zu machen und zu gestalten. Die abendländische Welt beschleunigte ihren Schritt und die Zeit begann zu ticken ... (GRONEMEYER, 1996, S.82.)

Abb 1: "Tischuhr 1600/1630"

(Anmerkung bidok: Alle Abbildungen sind aus technischen Gründen leider nicht verfügbar)

Von der Absurdität der Beschleunigung

"Guten Tag< sagte der kleine Prinz. >Guten Tag< sagte der Händler. Er handelte mit höchst wirksamen, durststillenden Pillen. Man schluckt jede Woche eine und spürt überhaupt kein Bedürfnis mehr zu trinken. >Warum verkaufst du das?< sagte der kleine Prinz. >Das ist eine große Zeitersparnis<, sagte der Händler. >Die Sachverständigen haben Berechnungen angestellt. Man erspart dreiundfünfzig Minuten in der Woche.< >Und was macht man mit diesen dreiundfünfzig Minuten?< >Man macht damit was man will....< > Wenn ich dreiundfünfzig Minuten übrig hätte<, sagte der kleine Prinz, >würde ich ganz gemächlich zu einem Brunnen laufen..." (SAINT-EXUPÉRY 1950, S. 54)

Mit dieser Geschichte vom "Kleinen Prinzen" möchte ich deutlich machen, daß hier die Kostbarkeit der Zeit in ihrer Quantität und nicht in ihrer Qualität gesehen wird. Trotz aller erdenklich technischen Errungenschaften gibt es sie jedoch noch immer nicht - die sogenannte Beschleunigungspille. Ein großer Teil unserer sogenannten zivilisatorischen Bemühungen zielt vielmehr darauf ab, Vorgänge aller Art noch mehr zu beschleunigen. Die Beschleunigung von Produktionsabläufen, Daten- und Informationstransporten etc. bewirkte jedoch lediglich, daß wir alles immer noch schneller tun müssen, um einigermaßen mithalten zu können.Es gilt so schnell wie möglich ein Ziel, eine Leistung oder ein Produkt zu erreichen. Unsere Leistungs- und Produktionsgesellschaft läßt nicht sehr viel Raum und Zeit für den Weg dazwischen. Im Zuge der Mobilmachung und dem Einsatz von neuesten technischen Mitteln, begann das Zeitbewußtsein im Sinne von Geschwindigkeit und Beschleunigung in eine neue Dimension zu geraten. Schallmauern von Raum und Zeit wurden durchbrochen und es wurde immer leichter, ferne Räume zu erobern bzw. zu erschließen und durch dieses Überwinden fortlaufend weniger Zeit zu benötigen.

U. Beck zeigt die Entwicklung von Zeiteinsparung sehr gut am Beispiel Familie auf. Er bezeichnet den neuen Typus von Familie als "Verhandlungsfamilie auf Zeit". Diese hat sich zwischen Berufserfordernissen, Bildungszwängen, Kinderverpflichtung und Hausarbeit zu die anscheinend nicht mehr aufeinander abzustimmen sind, fallen unter anderem Rituale, wie der gemeinsame Mittagstisch, sprichwörtlich gesehen "unter den Tisch". Das gemeinsame Mittagessen wird abgekürzt in Form von Fünf-Minuten-Mahlzeiten, wenn möglich noch mit Turbomixern zubereitet.

Turbomixer, Fertigmahlzeiten, die Concorde und Datenhighways haben jedoch nicht unbedingt dazu geführt, daß unser Leben qualitätvoller geworden ist. Ein Grund dafür scheinen unvereinbare Zeitstrukturen sowohl im Hinblick auf Arbeits- und Schulzeiten, als auch zunehmend in der Freizeitgestaltung zu werden. (BECK 1986, S. 118). Trotz aller Rationalisierungsmaßnahmen, so viel Zeit wie möglich zu gewinnen, bleibt dabei viel "auf der Strecke". Angesichts einem Überangebot von Möglichkeiten wird dem Menschen die Zeit in ihrer Knappheit und der daraus folgenden Angst etwas zu versäumen sehr bewußt. Mit Schnelligkeit wird versucht das wettzumachen, was vielleicht an Lebenslänge fehlt.

In unserem heutigen Umgang mit der Zeit ist die schnellstmögliche Erreichung eines Zieles wichtiger geworden ist, wie der Weg an sich. Dies möchte ich mit einem Beispiel aus eigener Erfahrung untermauern.

Meine Arbeit mit dem Verlauf einer Reise zu vergleichen, ist vielleicht mit der Erinnerung an meine langjährige Mitarbeit in einem Reisebüro verbunden, die offensichtlich ihre Spuren hinterlassen hat. Reisen zu organisieren und teilweise daran teilzunehmen waren Schwerpunkte meiner damaligen Beschäftigung. Jene Zeit bot mir die Gelegenheit, ferne Länder in kürzester Zeit und auf kürzestem Wege zu erreichen. Es war mir in dieser Zeit oft nicht bewußt, weshalb mich viele Reisen teilweise so unberührt ließen und entsprechend wenig Eindrücke blieben in meiner Erinnerung zurück.

Im Rückblick gesehen versuchte ich sehr oft, ein gestecktes Ziel bzw. Vorhaben so schnell wie möglich zu erreichen und den Weg dazwischen ebenso schnell zu überwinden. Dementsprechend schwer fiel mir der Umgang mit "nicht einkalkulierten" Unterbrechungen, die mein "geplantes" Vorhaben im Ablauf störten.

Derartige Verzögerungen erforderten oft Geduld und die Überlegung einer neuen Variante, um an mein Ziel zu kommen. Dieses Anhalten empfand ich als "zeitraubend" und mit Ungeduld beschäftigte ich mich in solchen Situationen bereits mit der Ausführung meiner nächsten Schritte.

Als Vergleich dazu möchte ich eine Reise anführen, die ich einige Jahre später während meiner Studienzeit unternahm. Ein fernes Land, welches ich nicht in kürzester Zeit bereisen wollte, sondern für das ausreichend Zeit vorhanden war.

Ab dem Zeitpunkt der Anreise gestaltete sich diese Fahrt sehr strapaziös und das angestrebte Ziel, war in jener Zeit als Rucksacktouristin, mit einigen Anstrengungen verbunden. Im Rückblick gesehen "verflogen" viele Reisen in meinem Gedächtnis. Umso intensiver erinnere ich mich an den Verlauf, an die Beschwernisse und vor allem an die damalige Ankunft jener ausgedehnten Reise, die mit einem sehr beschwerlichen Vorankommen verbunden war. Obwohl es mir auch hier schwer viel Zeitverzögerungen hinzunehmen, erlebte ich diese Reise, trotz einigen verspäteten Ankünften, als schön und intensiv. Das Erreichen des Zieles ist mir mit dem Gefühl einer großen inneren Erfülltheit, sehr ein-drucksvoll in Erinnerung geblieben.

Heute ist mir wesentlich bewußter, weshalb sich meine "schnellen" Reisen oft als leer und bedeutungslos erwiesen. Im wahrsten Sinne hat mir "der Boden unter den Füßen" gefehlt. Heute fühle ich mich dort wohler, wo ich die Qualität und die Beschaffenheit des Weges verspüre, auch wenn dieser manchmal etwas länger benötigt. Mich erinnert diese Erfahrung mit Zeit auch sehr an die bekannte östliche Weisheit, in der der Weg als das Ziel gesehen wird.

Der Alltag erweist sich jedoch anders und entsprechend unserer rasenden Lebensart, ist ein gemütliches Dahinfahren im Zeitalter der Autobahnen fast unmöglich geworden. Die Konstruktionen aus Stahl und Beton lassen sich von räumlichen Begebenheiten nicht mehr beirren und die schnellste Verbindung zwischen zwei Punkten ist die Gerade. Ob sich die Fahrt in schwindelnden Höhen über dem Abgrund spannt oder durch das Tal führt wird gar nicht mehr bemerkt. Es geht über Berg und Tal und der Mensch nimmt die unter-schiedlichen Qualitäten der Reiseroute nicht mehr wahr.

Tempobeschleunigung ist keine natürliche Entwicklung. Sie bildet sich heraus, wenn versucht wird, ein Ziel noch schneller wie geplant zu erreichen. Das Tempo muß auch beschleunigt werden, wenn Zeit intensiviert werden soll. Es wird viel erwartet von einem Tag, einem Jahr etc. Umso mehr gilt es, möglichst viele Erlebnisse und Handlungen unterzubringen und im gleichen Zuge, mit immer schnellerem Tempo voranzufahren.

Die nächsten Stationen meiner Reise befassen sich mit den Auswirkungen dieser "Beschleunigung des Lebenstempos" anhand der allgemeinen Zunahme von Schnelligkeit und der überhöhten Bedeutung von Geschwindigkeit in unserer Gesellschaft.

Im Zeichen des Fortschritts durch die Industrialisierung

"Wer sich beim Gehen an etwas erinnert, verlangsamt seinen Schritt, wer etwas Unangenehmes vergessen will, beschleunigt ihn"(M. KUNDERA zit. in EGENER 1967, S.238)

Auch wirtschaftlicher Fortschritt ist bisher weitgehend begründet in einer Steigerung des Tempos durch Erhöhungen der Leistungen pro Zeiteinheit. Diese Entwicklung bedeutet für mich, daß es ist nicht die "Schuld" der Zeit sein kann, welche immer schneller vergeht und uns mit ihrem pausenlosen Ticken bedroht. Vielmehr sind es deren Inhalte, die immer dichter und mit möglichst viel Leistung, Produktion etc. gefüllt werden müssen. "Eigentlich hat nicht die Zeit selbst sich beschleunigt, aber die qualitative Steigerung ihrer Inhalte erscheint quantitativ als Steigerung des Tempos" (WENDORF 1988, S. 136)

Durch das Land ziehen, innehalten, verweilen und Landschaft betrachten. Die Qualität von Langsamkeit und Gemächlichkeit haben keinen hohen Stellenwert. In unserem Zeitalter der Industrialisierung wird es immer schwieriger, sich einzubremsen und innezuhalten. Es gilt keine Zeit zu vergeuden. M. Gronemeyer spricht in diesem Zusammenhang "Von der Vermeidung des Leerlaufs" und benennt dabei Zeiten, in denen keine anerkannten Zwecke verfolgt werden, als sogenannte Leerläufe (vgl.ebd, S. 130). Unter Leerläufe fallen unter anderem Wartezeiten und Pausen im Sinne von sinnloser Zeitverschwendung. Im Gegensatz zur effizient genutzten Zeit vergleicht M.Gronemeyer Zeiten des Wartens und der Muße, des Schlafes und der Pausen mit einer Art "Materialermüdung des menschlichen Körpers", die den gestellten Tempoansprüchen nicht gewachsen ist.

Daß diese, sehr unproduktive "Formder Materialermüdung" erst gar nicht entsteht, dafür ist seit Erfindung der Mobiltelefone, ohnehin gesorgt. Unabhängig von Ort, Zeit oder Situation, muß der Mensch jederzeit "abrufbereit" und verfügbar sein. "Zugriffe" die im Zeichen des Fortschritts zur immer schnelleren Möglichkeit des Kommunizieren geschaffen wurden, entwickelten sich vielmehr zu "Übergriffen" auf jegliche Form der menschlichen Intimsphäre.

Meine diesbezügliche Einstellung mag sicher nicht zeitgemäß sein. In Bezug auf Lebensqualität gesehen, stelle ich jedoch den fortschrittlichen Gedanken, in dieser Form von Vernetzung, immer mehr in Frage.

Es wird immer schwieriger Ruhe zu bewahren und bei sich selbst Ruhe zu finden. Obwohl der Mensch äußerlich sehr belastbar wirkt, kann das Innere der Seele bei diesem Tempo nicht mehr mithalten. Die momentane Welt der schnellen Bilder und der ununterbrochenen Informationsübermittlung läßt keinen Freiraum zum Anhalten und Überlegen. Im Gegenteil. Wir fühlen uns aufgehalten, wenn nicht alles "schnell und reibungslos" funktioniert.

"Die Seele ist langsamer als der Intellekt - und so entstand das Gefühl der Entfremdung im Strom der Zeit .... Aus der historischen Plötzlichkeit, mit der dieser neue Lebensstil und die entsprechenden Umweltveränderungen sich durchsetzten, resultierte weitgehend eine Überforderung der Menschen, die innerhalb der schnellen Prozesse nicht mehr >zur Besinnung<, zu vorübergehenden zeitlichen Ruhepunkten und Umschaltphasen kamen." (WENDORF 1988, S. 84)

Besinnung zu finden in einer Zeit, die das Ziel verfolgt, alles rund um die Uhr anzubieten, ist sicher kein leichtes Unterfangen. Dies kann am Beispiel der sehr umstrittenen Abschaffung kirchlicher Feiertage gesehen werden. Um es dem Konsumenten zu er-möglichen, all das auszuschöpfen, was die Produktion zur Verfügung stellt, muß die Arbeitswoche von sechs Tagen erweitert werden. Ruhezeiten wie Sonn- und Feiertage werden nicht mehr eingehalten. Die Arbeitszeiten werden wie am Beispiel der Schichtarbeit immer flexibler und ohne Rücksicht auf gesundheitsschädliche Auswirkungen gestaltet.

"Der Beschleunigungseffekt beruht auf der Vereinheitlichung der Prozeduren, auf der Nivellierung von Differenzen, auf der systematischen Eliminierung der Abweichung, auf der Etablierung von Gesetzmäßigkeit und auf der Programmierbarkeit aller Vorhaben". (GRONEMEYER 1996, S. 138).

Unsere rasende Lebensart, in der alles rund um die Uhr funktionieren muß, hat keine schmerzvollen Unterbrechungen programmiert. Profitorientiertes Denken läßt wenig Raum und Zeit für Leid, Krankheit, Scheitern, Unsicherheit und Tod.

Die "Verrohung der Beziehungen" und Ängste, die aus diesem Fortschrittsdenken hervorgehen, führen zur nächsten Station meiner Reise.

Die Angst vor dem Ungewissen

"Ich komme, ich weiß nicht woher,

Ich bin, ich weiß nicht wer,

Ich sterb`, ich weiß nicht wann,

Ich geh`, ich weiß nicht wohin,

Mich wundert`s, daß ich fröhlich bin"

(JASPERS 1970, S. 12)

Fortschrittsdenken setzt voraus, Abläufe zu planen und zu organisieren, die im nächsten Moment zu erfolgen haben. Ich erlebe es als immer größere Herausforderung, in der Gegenwart zu verweilen und nicht im gleichen Atemzuge mit den Gedanken, Sorgen etc. im Morgen zu sein. Ruhig in der Gegenwart zu verweilen und abwarten was die Zukunft bringt, entspricht nicht unserem momentanen Umgang mit Zeit. Unser Vernunftsdenken bringt es mit sich, daß wir den Dingen der Zukunft nicht ausschließlich vertrauensvoll und optimistisch entgegenblicken. Das Denken ist mit vielen Ängsten und Unsicherheiten verbunden. Trotz eines relativ hohen Lebensstandards oder wahrscheinlich gerade deshalb, gibt es gleichzeitig sehr viele Ängste, die Menschen in Bezug auf Altersversorgung, Umweltzerstörung etc. beschäftigen.

In der mittelalterlichen Welt konnten die Menschen auf ein erfülltes Leben zurückblicken und lebenssatt sterben. Heute gilt das Leben als gesättigt, wenn auf eine "blankgefegte Zukunft" vorausgeschaut werden kann. Eine Zukunft, die nichts mehr erwarten läßt, was nicht die Gegenwart bereits enthält. (vgl. GRONEMEYER 1996, S. 140).

Dieser Druck und die Angst davor, in der kurzen Lebensspanne möglichst viel unterzubringen, beeinträchtigt entsprechend unseren täglichen Lebensablauf. "Die Gegenwart, wie überfüllt sie auch ist, wird definiert durch das , was ihr abgeht" (ebd, S. 145).

Die Fülle an gegenwärtig, reichlich Vorhandenem scheint nicht auszureichen. Den dies-bezüglichen Reiz am nicht Verfügbaren, was noch alles sein und gemacht werden könnte, bezeichnet M. Gronemeyer als die sogenannte "Versäumnisangst". Daraus resultiert ein Defizitdenken, welches vorwiegend darauf beruht, daß sich die Menschen mehr mit ihrer Zukunft beschäftigen, als mit ihrer Gegenwart.

Die Anfänge der Entwicklung zur Zukunftsbezogenheit, bei der es sich um ein generelles Phänomen der abendländischen-westlichen Zivilisation handelt, lassen sich bis zu den frühen Hochkulturen zurückverfolgen.

"Die Geschichte der Zukunft begann wahrscheinlich im alten Vorderen Orient, in Babylonien und im Iran. Im Iran wurde neben die endliche Zeit die Konzeption einer unendlichen Zeit gestellt und damit eine weit in die Zukunft laufende Zeitlinie näher definiert. In Babylonien führten die zum Teil hervorragenden astronomischen Beobachtungen nicht nur zu Gliederung des Jahres in zwölf Monate und zur 7-Tage-Woche, sondern in Ausdeutung der Gestirnskonstellationen um 3000 v.Chr. auch zu einer ersten Blüte astrologischer Wahrsagekunst. Von hier aus verbreitet sich die Kunst der Sterndeutung nach Ägypten und von dort nach Griechenland, Persien, Indien und dem Fernen Osten" (WENDORF 1988, S. 89)

Eine starke Zukunftshoffnung hat auch das Judentum fest verankert. In seiner Religion und im Stil des Lebens manifestierte sich eine zuvor unbekannte Intensivierung des Zeitbewußtseins. Mit der Erreichung eines vielleicht späten aber sicheren Zieles, für den Glauben und die Geschichte des Volkes bis in die Gegenwart hinein, bildete sich eine Zuversicht heraus, die bis in die Gegenwart hinein existiert. Diese wurde zwar durch Rückschläge manchmal erschüttert, dadurch aber im Grunde nur noch mehr gestärkt.

Dieses Zukunftsdenken wurde vom Christentum übernommen, umgestaltet und vor allem stärker in die konkrete historische Zeit einbezogen. Später bildete Christus die "Mitte der Zeit". "Er war real auf der Welt und wird wiederkommen, und alle Zukunft ist von diesem Zeitpunkt an klar umrissen und mehr als eine vage Hoffnung . Die Eschatologie handelt von der Zukunft im christlichen Sinne, von der historischen Zeit bis zur "Wiederkunft des Herrn " und dem damit bezeichneten Ende, das gleichzeitig die Erfüllung des Sinnes aller Geschichte darstellen soll" (WENDORF 1988, S. 90)

Im Laufe der Zeit ergaben sich erhebliche Differenzen und unterschiedliche Bewertungen in der christlichen Religion in Bezug auf die heilsgeschichtliche Zukunftserwartung. Trotzdem ist Zukunft im überwiegenden Sinne vorwiegend als positives Phänomen angesehen worden. Die Menschen lebten in dem Bewußtsein, daß es eine Begrenzung von außen her gab und somit alles selbstverständlich zu Ende ging. Im allgemeinen Zeitbewußtsein der religiös-kirchlichen Sphäre war der ständige Hinweis auf die Bedeutung der Zukunft, die Aufforderung zur Wachheit hoffnungsvoller gläubiger Erwartung und die Empfindung für die Gerichtetheit der Zeit auf ein Ziel hin, sehr entscheidend.

Im Gegensatz dazu wird heute die Kirche nicht mehr als Hoffnungsträger und Übermittler von gläubiger Erwartung bezeichnet. Es ist nicht nur die Skepsis gegenüber den jeweiligen Vertretern der Kirche oder Kirchensteuern, die zum scheinbaren Anlaß geworden sind, aus der Kirche auszutreten. Durch eine sehr (er)nüchtern(d)e, realistische Lebenseinstellung verliert die Kirche ihren Raum. Fortschrittsdenken, welches hauptsächlich auf die Steigerung im technisch-ökonomisch-materiellen Bereich ausgerichtet ist, läßt wenig Spielraum für ein Beten um die Zukunft. Einen wesentlichen Beitrag dazu lieferte die Calvinistische Wirtschaftsethik vom fleißigen, braven Arbeiter, wo weltlicher Wohlstand mit dem Zeichen von Auserwähltsein verbunden war.

Planen statt Beten. In unserer Industriegesellschaft haben zeitlich weit ausgreifende Planungsüberlegungen das Beten um eine gute Zukunft abgelöst. "Als sicher durfte schließlich nur noch das Gemachte gelten. Nur was gemäß eigenen Absichten und Plänen gestaltet war, konnte dem Ideal der Berechenbarkeit, Vorhersehbarkeit und Durchschaubarkeit genügen. " (GRONEMEYER 1996, S. 39)

Zwar im Sinne der Sicherheit, jedoch mit einem großen Teil an Selbstüberschätzung, werden im Zuge der immer intensiveren Technik- und Wirtschaftsentwicklung, ökonomische Entscheidungen über künftige Generationen getroffen. Die Ausschöpfung vorhandener materieller und finanzieller Ressourcen und die entsprechende Planung von Maschinen- und Produktionsabläufen bringt mit sich, daß die "Sache" an sich beherrschbar zu sein scheint.

Der Mensch ist nicht "vorausberechenbar" und somit entsteht eine Art Ausgeliefertsein an technische Berechnungen, in denen kein unkalkulierbarer Zufall bzw. nicht der kleinste Fehler passieren darf. Ich denke dabei an eigene Ängste, die sich darauf beziehen, daß ich keinen Einfluß bei der Verhinderung solcher Katastrophen ausüben kann und mich auch in keiner Weise davor schützen kann.

Angst und Furcht - früher und heute Zur Wiederbelebung der Furcht

"In allen Winkeln der Kinderstube, in allen Tätigkeiten des Alltags: überall lauert die Verwünschung, die Verhexung, das Böse und die Angst vor ihm.... Mangelnde Einsicht in die tatsächlichen Ursachen von Krankheit und Tod machen die Menschen empfänglich für die Erfindung dämonischer, irrationaler Ursachen für alltägliches Unheil" .(RATHMAYR, Skriptum "Zur Wiederbelebung der Furcht").

Heutige Ängste wirken sich unter anderem auf die Unsicherheit gegenüber der Zukunft sowie technischer Auslieferung aus. Ängste waren jedoch auch im Alltag unserer Vorfahren allgegenwärtig. Die mangelnde Einsicht auf Ursachen von Krankheiten und Tod übertrug sich auf sogenannte "Sündenböcke" wie Hexen, Juden etc. Norbert ELIAS stellt in seinen Ausführungen zum Prozeß der Zivilisation, einen für mich sehr wesentlichen Unterschied zu den Ängsten in der heutigen Zeit fest:

"Früher, in der Kriegergesellschaft, konnte der Einzelne Gewalt üben, wenn er stark genug dazu war; er konnte seinen Neigungen in vielen Richtungen offen nachgehen, die inzwischen mit gesellschaftlichen Verboten belegt und unauslebbar geworden sind. Aber er bezahlte die größere Chance zur unmittelbaren Lust mit einer größeren Chance der offenliegenden und unmittelbaren Furcht; die mittelalterlichen Höllenvorstellungen lassen uns manches davon ahnen, wie stark und intensiv bei diesem Aufbau der Beziehungen zwischen Mensch und Mensch diese Furcht in dem Einzelnen war. Beides, Lust und Unlust, entlud sich hier offener und freier nach außen. Aber das Individuum war ihr Gefangener; der Einzelne wurde oft genug von seinen eigenen Empfindungen wie von Naturgewalten hin und her geworfen. Er beherrschte die Leidenschaften weniger, er wurde von ihnen beherrscht". (ELIAS 1975, Bd. II. S 330-336)

N. Elias unterscheidet in dieser Betrachtung zwischen Angst und Furcht. Furcht, als entwickeltes Verhaltensrepertoire, um auf konkrete Bedrohungen zu reagieren. Unvermeidbar war es dem Menschen des Mittelalters, sich im alltäglichen Handeln auf Gefahr, Krankheit und Tod einzustellen, da sich dies als unumgänglich erwies. Jederzeit war es möglich in ein Handgemenge, einen Tumult, eine kriegerische Auseinandersetzung sowie eine kleinere oder größere Naturkatastrophe oder Epidemie zu geraten. Es gelang den Menschen nicht, dem Schicksal weitsichtig auszuweichen bzw. ihm durch kontrollierte Lebensführung zu entgehen.

Mit Furcht wurde der Gefahr begegnet wenn sie da war, dies bedeutete sich zu verteidigen, sich zu verbergen, die Flucht zu ergreifen, einen Zauber anzuwenden oder einen Heiligen aufzurufen. (vgl. RATHMAYR). Heute sehen wir dem Tod "nicht mehr ins Auge" und dies führt mitunter zu der zunehmenden Tabuisierung. In Zusammenhang mit dieser Angst bzw. Furcht des Hinsehens stellt Norbert Elias fest, daß es im heutigen medizinischen Umgang fast nicht mehr möglich ist, einen Toten zu Gesicht zu bekommen: "Niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit wurden Sterbende so hygienisch aus der Sicht der Lebenden hinter den Kulissen des gesellschaftlichen Lebens fortgerafft, niemals zuvor wurden menschliche Leichen so geruchlos und mit solcher technischer Perfektion aus dem Sterbezimmer ins Grab transportiert" (ELIAS 1982, S. 38)

Der Anblick verfaulender Menschenleichen war in dieser Zeit alltäglich. Es wurde darüber relativ unbefangen gesprochen und auch Kinder wußten wie Leichen aussahen. Zu den seinerzeit wichtigsten Todesursachen zählten Infektionskrankheiten, in denen die Menschen, je nach Zeit und Ort, vorwiegend an Pest, Bauchtyphus, Fleckfieber, Pocken, Malaria, Cholera und Tuberkulose starben. Nachdem es sich hier um ansteckende Krankheiten handelte, war es in dieser Zeit möglich, mit bloßem Auge zu sehen, wie sich diese Seuchen ausbreiteten. Man war gezwungen den Tatsachen "ins Auge zu blicken" und das entsprechende Denken und Handeln ging von diesen Erfahrungen aus. Tatsache war, und dies geht für mich aus der entsprechenden Literatur in Bezug auf den Umgang mit dem Tod im Mittelalter hervor, daß das Leben als unsicher galt. Im Vergleich zu heute erfolgte jedoch ein direkter und öffentlicher Umgang mit Tod und Sterben.

Gemäß damalig vorherrschender christlicher Weltanschauung, wurde das Seelenheil oft erst in der Sterbestunde entschieden. Die Menschen lebten in der Vorstellung, daß um die freiwerdende Seele ein erbitterter Kampf zwischen guten und bösen Mächten, zwischen Teufeln und Engeln entbrennen würde. Die entsprechende Furcht vor großen Höllenqualen erforderte von den Menschen, sich "zeitgerecht" vor dem größten Fluch zu schützen. Dies bedeutete unvorbereitet und ohne Beistand, dem letzten entscheidenden Augenblick des Lebens gegenüberzutreten. Aufgrund der Seuchenzeiten etc. war es nicht immer sicher, einen geistlichen Beistand zu bekommen. Dieser Tatsache mußte unvoreingenommen ins Auge gesehen werden und bedeutete folglich für die Menschen, sich selbst auf ihre entscheidende Sterbestunde vorzubereiten. Mit der großen Furcht in der entscheidenden Stunde alleine zu sein, war jedoch nicht nur jeder einzelne sondern auch die Kirche überfordert.

Ein Sterbebüchlein aus dem Mittelalter - ARS MORIENDI

Der Kulturhistoriker Arthur Imhof beschreibt das Sterben im Mittelalter als integralen Bestandteil des Lebens und als Übergang zwischen dem irdischen Leben und der Weiterexistenz in eine andere Weise. Die Menschen lebten vor allem in der Zeit des 14. und 15. Jhd. von der Vorstellung des "Jüngsten Gerichts", bei dem angesichts des Todes, die sogenannte Bilanz des Lebens gezogen wurde. Der Tod erhielt Zeichencharakter, indem er auf die Erlösung im Jenseits verwies. Als eigentliches Leben galt nicht mehr das kurze, vergängliche und sterbliche Dasein auf dieser Welt, sondern die jenseitige Ewigkeit, verheißen durch die Erlösungstat Jesu Christi. Das endzeitliche Schicksal des Menschen folgte dem Schema von den letzten vier Dingen: Tod, Gericht, Himmel und Hölle.

Imhof belegt mit seinen Untersuchungen, wie unsere Vorfahren mit dem Gefühl der ständigen Todesbedrohtheit lebten und versuchten sich "zeitgerecht" auf ihr Sterben vorzubereiten. Der personifizierte Tod gewährte der Kunst in dieser Zeit eine Darstellungsmöglichkeit wie es am plastischen Beispiel der "Totentänze" ersichtlich ist, in denen der Tod als Skelett dargestellt wurde. Als Quelle führt er dabei ein fünfhundert Jahre altes Büchlein an, welches zu dieser Zeit für die Menschen als Anleitung galt, gutes und vor allem gottwohlgefälliges Sterben zu "lernen". In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstand dieses sogenannte "Ars-moriendi-Büchlein", das mit 11 Holzschnittzeichnungen die "Kunst des Sterbens" veranschaulichte.

Abb.2:"ARS-Moriendi: Der Einfluß der Dämonen 15. Jhd."

In diesen 11 Abbildungen werden Szenarien abgebildet, die zur Alltagskultur der damaligen Zeit gehörten. Sie stellten geläufige Bibelpassagen und markante Episoden aus dem Leben der Heiligen dar. Die Illustrationen sprachen für sich selbst. "Fünf Mal sieht man auf einer Abbildung, wie die Abgesandten Satans das Bett des Sterbenden umlagern und ihn mit immer neuen Listen in Versuchung führen wollen. Und fünf Mal erkennt man als Antwort darauf, wie der Sterbende mit Hilfe herbeieilender himmlischer Mächte allen Versuchungen standzuhalten vermag. Auf dem abschließenden elften Bild ist sodann zu beobachten, wie die Seele des Verstorbenen von einem Engel in Empfang genommen und in den Himmel getragen wird. " (Imhof 1991, S. 20)

Im Todes- bzw. Lebenskampf für alle Ewigkeit wird die Ambivalenz des Sünders aufgezeigt. Auf der linken Seite mit den 5 Versuchungen, den Absichten des Teufels zu widerstehen und demgegenübergestellt im Sinne des Heiles und der guten Einsprechungen, die entsprechende Gegenhaltungen:

Versuchungen

Gegenhaltungen

1. die Anfechtung des Glaubens

Glaubensstärke

2. " der Verzweiflung

Zuversicht und Hoffnung

3. " der Ungeduld

Geduld und Fügung

4. " des Hochmutes

Demut und Bescheidenheit

5. " d. irdischen Güter

Entsagung und Verzicht

Den Abschluß bildet ein Bild, welches das gute Ende vorstellt. (vgl.Imhof 1991, S. 34)

Wesentlich sind die sogenannten Anfechtungen bzw. die entsprechenden Gegenhaltungen, mit welchen sich der mittelalterliche Mensch bereits zu Lebenszeiten im Hinblick auf sein Sterben auseinandergesetzt hat.

Mein historischer Exkurs stellt die mittelalterliche Grundbefindlichkeit dar, indem die Menschen große Furcht empfanden, einsam und in Not zu sterben. Trotz dieser Furcht galt der Tod, wie es der französische Sozialhistoriker Philipp Ariès mit seiner Forschungsarbeit "Zur Geschichte des Todes" beschrieb, als naher und vertrauter Begleiter. Er war ein Bestandteil des Alltagslebens und so wurde er auch akzeptiert. Die Menschen fügten sich in das Unvermeidliche und in den Willen der Natur, da der Tod nichts Außergewöhnliches darstellte. Die Einstellung zum Tode bezog sich darauf, daß die Menschen ihre Ende nahen fühlten und sich im Vergleich zu heute, ihrem Schicksal fügten. Die damalige Umwelt war vertraut mit den Ritualen des Todes, die sie von Kindheit an durch Brauchtum und Erfahrung gelernt hatten.

Die Pest im Spätmittelalter - Der Tod tanzt aus der Reihe

Eine folgenschwere Erschütterung für das Bewußtsein und das Lebensgefühl der Menschen des 14. Jahrhunderts war die Schwarze Pest. Ihre Unheimlichkeit, ihr entsetzliches Ausmaß und ihre Rätselhaftigkeit hat das Gesicht des Todes wesentlich verändert. Bis zu dieser Zeit der Schwarzen Pest, wurde der Tod von seinen Haltungen und Ritualen über Jahrhunderte als "gezähmt und vertraut" angesehen. (vgl. ARIÈS 1995, S. 42). In der Zeit der Schwarzen Pest mit seinem Massensterben und mit seiner Unberechenbarkeit, nahm sie dem zum Sterben "Bestimmten" seine Zeit der Vorahnung. Diese Vorahnung war die Voraussetzung dafür, daß der Tod eine zwar furchtbare, aber doch wohl oder übel erwartete, willig hingenommene Notwendigkeit sein konnte.

Der plötzliche Tod wurde, genauso wie unvorbereitet und einsam zu sterben, als besondere Strafe Gottes angesehen. (ebd. S. 19). Ab dem Zeitpunkt der Schwarzen Pest, hörte der Tod auf, ein heilsgeschichtliches Ereignis zu sein. Er wurde als Naturereignis entdeckt und war somit nicht mehr mit dem Übergang in eine neue Existenz verbunden, sondern bedeutete das endgültige Ende.

Abb.3:"Die Pest, Ende des 16. Jhd."

Anhand des Grauens der Schwarzen Pest wurde der Tod zum ersten Mal zu einem "lebensverneinenden Prinzip", der die Würde des Menschen bedrohte. In dieser chaotischen Zeit des 14. Jahrhunderts brachen alle äußeren und inneren Ordnungen und es war gleichzeitig der Beginn einer gesteigerten Todesfurcht. Gott als Herr über Leben und Tod wurde im Zuge der damaligen Glaubenskrise entmachtet. Jeder einzelne wurde auf sich selbst zurückgeworfen. Das Bewußtsein von der Einzigartigkeit eines jeden Lebens kam auf.

Die Furcht vor dem Tod wurde ab diesem Zeitpunkt anders erlebt, als es vorher war. Das kostbare Leben galt als das in eine Ordnung eingebettete Glied, innerhalb einer Kette von Werden und Vergehen. Wie nun mit dieser Furcht vor dem Ungewissen zur mittelalterlichen Zeit umgegangen wurde, möchte ich anhand von M.Montaigne und R. Descartes veranschaulichen, die sehr gegensätzliche Geisteshaltungen für die damalige Zeit repräsentierten. Michel de Montaigne (1533-1592) vertrat die Meinung, daß der Tod ohnehin unvermeidbar ist und die entsprechende Furcht davor sah er als unvernünftig an. Seine Gründe dafür waren:

  • der Tod ist unausweichlich und Teil unseres Wesens

  • der Tod ist Schicksal, das mit allem was lebt, wächst und gedeiht geteilt wird

  • der Tod ist nicht erfahrbar und gleichzeitig der Verlust unserer Wahrnehmung

  • der Tod ist das Ende aller Plage und Knechtschaft

Unabhängig zur jeweiligen Lebensführung betrachtete M. Montaigne die Todesfurcht in jedem Fall als gegenstandslos. Vielmehr ging es ihm darum, das Leben recht zu nützen. "Wer sein Leben Augenblick für Augenblick recht genützt hat, kann auch in jedem beliebigen Moment lebenssatt sterben. Wer es aber ungenützt verstreichen ließ, dem ist es ohnehin nichts nütze. Warum sollte er es festhalten." (MONTAIGNE zit. in GRONEMEYER 1996, S. 30)

Auch Sorgen um den zu frühen Zeitpunkt des Todes empfand er als unvernünftig und versuchte der Todesfurcht zu entgehen, indem er sich der Liebäugelei mit jeder Form von Unsterblichkeit versagte. Montaigne ging es um das "wie" des Lebens. Er nahm die Haltung der Selbstgenügsamkeit und des Ruhegebens ein, um sich sicher zu fühlen. Dies bedeutete für ihn der unberechenbaren Welt im Sinne des "Aushalten-Könnens" standzuhalten.

Sicherheit war für Montaigne kein Ideal. Sie bestand für ihn darin, den Aufenthalt in der ungeborgenen Lebensspanne zu bejahen und dem Leben mit Freiheit vor Furcht, Heiterkeit und Lebensgenuß zu begegnen. "Der Nutzen des Lebens kömmt nicht auf desselben Dauer, sondern auf den Gebrauch an. Mancher der kurze Zeit gelebt hat, hat lange gelebt ... Es beruht auf eurem Willen, nicht auf der Anzahl der Jahre, die ihr gelebt habt" (ebd. S. 131)

Im Gegensatz dazu steht René Descartes (1596 - 1650) mit seinem Programm der vernunftsmäßigen Weltgestaltung. Er gilt als Anbahner für den Weg in die Moderne. Auch er verurteilte Furcht in jederlei Gestalt, da dies mit seiner damaligen Vorstellung von Sicherheitsbegehren nicht vereinbar war. Ganz im Sinne des auf Fortschritt abgestimmten Konzeptes moderner Weltgestaltung, galt seine Anleitung der sukzessiven Minimierung von Unsicherheit, Gefahr und Unvorhersehbarkeit. Gemäß seiner Anschauungsweise, sollte der Welt ihre Unberechenbarkeit ausgetrieben werden. Er war überzeugt von seiner Idee, sich vor Überraschungen und Zufällen zu schützen. Diese sollten durch Planung und Organisation eliminiert werden.

In ihren unterschiedlichen Einstellungen in Bezug auf das damalige Sicherheitsdenken möchte ich die wesentlichen Inhalte dieser beiden Vertreter gegenüberstellen:

Michel de Montaigne

René Descartes

Selbstbildner

Welterneuerer

Der Welt in ihrer Unvorhersehbarkeit standhalten

der Welt die Unberechenbarkeit austreiben

Unsicherheit aushalten

Unsicherheit ausschalten

Die Welt als befristete Bleibe, die man auf sich beruhen läßt

die Welt als Objekt der korrigierenden Vervollkommnung

Als zukunftsweisend kann René Descartes mit seinem vorausschauenden Denken im Hinblick auf Planen und Durchorganisieren gesehen werden. Es hatte bereits damals schon mit der Beherrschung von Natur zu tun. Descartes bewahrte sich vor dem Schmerz der Vergänglichkeit. Die Anlässe von Furcht sollten mit Sicherheit erübrigt werden. Mit seinen fortschrittlichen Ideen zählte er zu den Wegbereitern moderner Weltgestaltung und Michel des Montaignes Ideen blieben historisch gesehen bisher ohne Nachhall. (vgl. GRONEMEYER 1996, S.33).

Mit der Fortschrittsidee des modernen Menschen begann eine Art Kampfansage an die Grundunsicherheit der menschlichen Existenz. Die Anstrengungen der modernen Weltveränderung brachten es mit sich, das Leben "sicherer" zu machen. Sicherer um es von Zufällen zu befreien. Sicherheit wurde nicht mehr im Vertrauen auf Gott ausgerichtet, sondern der Mensch begann sich selbst für die Sicherheit seines Lebens zuständig zu fühlen. Dabei entwickelte er unter anderem Sicherheitssysteme, die mit Hilfe ausführender Kräfte, das Überleben der Menschen aus heutiger Sicht sichern sollten. Der Tod signalisiert jedoch die Grenzen dieses Systems in einer Gesellschaft, die sich gerne das Bewußtsein unbegrenzter Ressourcen und Machbarkeit versichern würde.

Es notwendig, daß wir die Geisteshaltung von Michel de Montaigne wieder in unser Leben integrieren und Einhalt gebieten in einer Zeit, die dem fortschrittlichen Denken von René Descartes keine Grenzen gesetzt hat.

Bernhard Rathmayr verweist auf die unzähligen Beweise in der Geschichte, in denen Furcht als Schande angesehen wurde. Trotzdem ist er der Ansicht, daß die Zukunft den "Furchtsamen" gehören sollte und als eine menschliche Überlebensnotwendigkeit anzusehen ist. Furcht als rechtliches Potential des Menschen, das ihm zustehen sollte, um entsprechend politische Entscheidungen zu beeinflussen. Auch wenn Furcht im mittelalterlichen Denken als Schande galt, so entsprach sie doch einer natürlichen Verhaltensform gegenüber Bedrohungen, mit der offen umgegangen wurde.

Nach diesem Wendepunkt der Schwarzen Pest mußte das Leben sicherer gemacht werden. Welche Konsequenzen und Auswirkungen bringt nun ein Leben mit sich, das durch Planung und Kontrolle versucht, den Tod "in den Griff zu bekommen"?

Zur Austreibung der Natur und ihrer technischen Wiederherstellung

"Es geht darum die Sprache der Natur zu enträtseln, damit man ihr präzise Befehle geben kann"

(SPECHT zit. in GRONEMEYER 1986, S. 37)

Diese Erkenntnis entstammt dem damals zukunftsdenkenden und vorausschauenden René Descartes, mit der Idee, daß sie dem Menschen "nützlich" sein sollte. Eine Erkenntnis, die wahrhaftig im Zeichen des Fortschrittes ihre Früchte getragen hat, wobei die Natur im Laufe der Entwicklungen immer mehr "auf der Strecke" geblieben ist. Was sind nun die Folgen dieses respektlosen Umganges mit der Natur? Eine davon besteht in den nicht mehr vorhandenen "natürlichen" Verhaltensformen, die sich zunehmend in einen "unnatürlicheren" Umgang mit existentiellen Phänomenen, wie beispielsweise dem Tod auswirken.

Heute geht es nicht mehr darum, die Sprache der Natur zu enträtseln, sondern vielmehr wie M. Gronemeyer es bezeichnet, um ihre Unterwerfung. Selbst wenn der Mensch zu glauben vermeint, die Natur in ihrer Sprache enträtseln zu müssen, so hat er sie in der Zwischenzeit ohnehin in einer gewissen Weise "sprachlos" gemacht. Das Ergebnis ist, daß sie uns in Anbetracht ihrer Ausbeutung, teilweise nicht mehr viel zu sagen hat. Der Mensch verlor jeglichen Respekt und jede Würde gegenüber dem Ausdruck der Sprache "Natur".

René Descartes empfand es als Nutzen, der Natur präzise Befehle zu geben, um sich vor ihrer Wildheit und Unberechenbarkeit zu schützen. Aus heutiger Sicht betrachte ich es als Anmaßung und "Ausnutzung", mit der sich der Mensch über "Naturgegebenheiten" stellt. Auch der Tod als einer der elementarsten Formen "natürlicher" Ereignisse im Leben wurde zunehmend verleugnet. Die Schwarze Pest veranlaßte den Menschen dazu, die Welt in Angriff zu nehmen und sich seiner Natur zu bezwingen. In dieser Zeit wurde der Tod als Naturereignis entdeckt, dem es galt den Kampf anzusagen. Die überraschende, wilde und unbändige Natur mußte unter Kontrolle gebracht und vor allem sicherer gemacht werden. Der Rohzustand des Wilden wurde gebrochen und die Welt schien für René Descartes sicher zu werden, indem alles gemacht, kontrolliert und verwaltet wurde.

(vgl. GRONEMEYER 1996, S. 43)

Die Sicherheit war durch die Natur, im Sinne der eigenen hinfälligen und der äußeren gewalttätigen, als unendlich gefährdet angesehen worden. Solange die Natur als ein von Gott geschriebenes Buch aufgefaßt wurde, in dem auch der Ungebildete die göttlichen Lehren zu lesen vermochte, so lange war die Idee ihrer Beherrschung unerlaubt.

"Die Natur und die Heilige Schrift waren Bücher, die auf einen einzigen Autor verwiesen und ihre Entsprechung war nicht nur eine Analogie, sie war gleichsam buchstäblich oder wörtlich zu nehmen. Die Natur hatte ihre Bestimmung darin, etwas über sich selbst Hinausweisendes, nämlich den Willen Gottes, zu repräsentieren, und damit stand unumstößlich fest, daß sie nicht verbesserungs-, sondern nur deutungsbedürftig war." (HISTORISCHES WÖRTERBUCH 1984, Natur S. 442)

Ich verweise nochmals auf M. de Montaigne, der den Tod als Schicksal betrachtete, das mit allem, was lebt, wächst und gedeiht, geteilt werden soll. Auch er bezieht sich auf den Willen Gottes und will darauf hindeuten, daß sich die Menschen im Einklang mit der Natur auf die entsprechenden Lebensereignisse ausrichten sollen.

Sowohl mit der Bildung einer kulturellen Zeitordnung, als auch mit der Beherrschung von Natur, geht es um die Herauslösung von natürlichen Vorhaben. Um sich der Naturbeherrschung zu befähigen, mußte sich der Mensch somit von der Natur als auch von seinem Schöpfer entfernen. M. Gronemeyer vergleicht hier wieder mit dem Tod. Die Eigenmächtigkeit sowohl vom Tod als auch von der Natur bezeichnet sie als Grundvoraussetzung, daß sie vom Menschen beherrscht werden konnte.

Mit der sogenannten "Inbetriebnahme" der Natur, wie René Descartes es mit "präziser Erteilung von Befehlen" benannte, begann sich der Mensch die Natur als Mittel zum Zweck zu machen. Wert bekam, was im System des reinen Nutzens eine Aufgabe zu erfüllen vermochte. Die Austreibung der Natur formuliert M. Gronemeyer als "Brechung des Eigensinns der Natur" und mit ihrer Bezwingung ergibt sich eine ertötete Natur, die versucht wird, technisch wiederhergestellt zu werden. Die vernunftsmäßige Umwandlung von der Natur, im Zeichen des immer stärker aufkommenden Sicherheitsbegehrens, macht Norbert Elias in seinem "Prozeß der Zivilisation" deutlich. Als Beispiel führt er das zunehmende Abstandnehmen vom Körper an, das ab dem späten Mittelalter erfolgte. Zu-nächst vom Körper des anderen, dann vom eigenen Körper.

N. Elias verwendet dabei den Begriff der Selbstdistanzierung und bezieht sich auf Zwänge die impliziert wurden und sich in Form von Kontrollen ausübten. Diese Kontrollen waren anhand seiner Untersuchungen auf Körperfunktionen wie Schlaf- und Essensgewohnheiten, sowie auf die Umgangsformen der damaligen Zeit ausgerichtet.

Zunehmend wirkten sich diese Entwicklungen in der Folge auf die Dämpfung des körperlichen Affektlebens der Menschen aus. Außenkontrolle "internalisierte" sich sozusagen und der zivilisierte Mensch bildete die von N. Elias bezeichnete Selbstkontrolle heraus, indem er abhängiger von Apparaturen und Institutionen wurde. Aus der Selbstkontrolle entstand der sogenannte "Selbstzwang".

Mit diesem Begriff markiert N. Elias genau die Situation, in welche wir im Laufe des letzten Jahrhunderts hineingewachsen sind. Sie versinnbildlicht die Verinnerlichung und die Transformation, der durch die gesellschaftliche Verflechtung geschaffenen Zwänge in Selbstzwänge und Selbstkontrollen, deren wir uns nicht immer bewußt sind. Mit der Schaffung von Instrumenten entwickelte sich eine immer größere Distanzierung zwischen den Integrations- und Beziehungsformen der Menschen. Tabus wurden im Umgang mit den Menschen auferlegt, die mit "Hygiene" nicht das mindeste zu tun hatten, sondern lediglich mit peinlichen Gefühlen behaftet waren. (vgl. ELIAS 1976, Band I)

Hier bin ich an einem sehr wesentlichen Berührungspunkt im Hinblick auf die Ursachen rund um das Tabu des Todes angelangt und möchte vorweg eine Begriffsdefinition des Wortes Tabu anführen:

Tabu: (das, polynesisch) ein magisch-religiös bestimmtes Verbot oder eine Meidungsvorschrift, wie sie besonders von den Polynesiern bekannt geworden ist, häufig handelt es sich um das Verbot sexueller Betätigung; z.B. Vor der Jagd. Weit verbreitet ist das Inzest-Tabu. Der Tabu-Begriff ist eng verbunden mit der Kraft - Vorstellung (Mana). Was ein stärkeres Mana enthält, ist für die anderen Menschen tabu (z.B. Häuptlinge, Priester und was sie berühren, Götterbilder,Tempel, Opfer aber auch Mädchen, bei der ersten Menstruation, Knaben bei der Beschneidung, Frauen bei der Schwangerschaft und Geburt, Kranke, Tote).Die Tabusitte war in Händen der Häuptlinge und Adelsschicht oft ein Machtmittel. Ihr entsprangen viele Rechtsnormen z.B. das Asylrecht (der vom Häuptling oder Götterbild Berührte ist unantastbar) In modernen Gesellschaften spricht man in übertragenem Sinn von Tabu, wenn bestimmte Themen durch stillschweigende Übereinkunft der öffentlichen Erörterung entzogen sind.

(BERTELSMANN UNIVERSAL-LEXIKON, 1992)

Tabus wurden sozusagen auferlegt im Laufe der Zeit, in der sich der Mensch zum Vernunftswesen gemacht hat und währenddessen natürliche Gegebenheiten bzw. Verhaltensformen immer mehr in den Hintergrund gerückt sind. Es handelt sich dabei um eine mittelalterlich sehr stark körperbetonte und sinnliche Haltung bis hin zu einer heute distanzierten, rationalistischen Zivilisationsform. Der neuzeitliche Mensch befreit sich von der göttlichen Vorsehung und gab sich selbst in seinem Dasein Sinn und Richtung.

Nicht mehr der Mensch, sondern die Welt als System, dem alles unterlegen ist, in dem alles funktionieren muß, ist zum Mittelpunkt in der Entwicklung der Neuzeit geworden. Es wurde eine Ordnung über Rituale hergestellt, die vom Menschen aus einer sich vom Körper befreiten Vernunft hervorging.

Hier verweise ich noch einmal auf die Philosophie von René Descartes, der nur über das Denken, die Erlangung zur Gewißheit über die Welt gesehen hat. Die technisierte Sicht auf materielle Dinge hat die Wahrnehmung der "Sinne" in Zweifel gezogen. Die Natur in ihrer hervorstehendsten und schönsten Eigenschaft - in der Bewegung - in der ununterbrochenen Folge von Werden und Vergehen wurde lahmgelegt. Die Erfahrung der Welt, als geistiger Akt, findet nicht mehr über die körperliche Wahrnehmung, sondern über eine geistige statt.

Anstelle von Willkür, Unkontrollierbarkeit, Unregelmäßigkeit und Unzuverlässigkeit tritt Berechenbarkeit, Kontrollierbarkeit, Regelhaftigkeit und Gleichförmigkeit der Bewegungen. Wohin verschwindet nun die körperliche Wahrnehmung, wenn sie durch eine geistige ersetzt wird? Eine große Frage, die sich mir an der nächsten Station meiner Reise stellen wird....

Die Distanzierung vom Körper - Vom Verschwinden des Organischen

"... denn es ist nicht mehr das Organische, die Materie - selbst die unorganische nicht -, die die Welt am >Leben< hält, sondern es ist die Illusion, es sind die kalten Zeichen, die der Welt, das Leben bedeuten. Das Projekt der Mensch-Werdung ist die Zerstörung der Bewegung des Organischen und deren Ersetzung durch die Bewegung des kalten Zeichens, durch das Unorganische als Immaterielles. (vgl. BERR 90, S. 211)

Woher kommt nun diese Befangenheit im "Berühren" und im "Begreifen" von Dingen, die uns im Grunde genommen so nahe stehen. Dies in einem Zeitalter, das uns Tag für Tag die Endlichkeit unseres Daseins in Form von Gewalt, Kriegen und Umweltkatastrophen präsentiert. Der Tod, welcher im mittelalterlichen Geschehen mit "bloßem Auge" sichtlich und unmittelbar erfahrbar war, wird uns im heutigen Zeitalter anhand von Bildern übermittelt. Wir kommen nicht mehr in unmittelbare Berührung, sondern wir sind berührt "von der Sache", in Form von "sachlicher Berichterstattung".

Marie-Anne Berr setzt sich in ihrem Buch "Technik und Körper" mit dem sogenannten "Verschwinden des Organischen" auseinander. Sie geht dabei von der immer stärker zunehmenden Vertechnisierung in unserer Gesellschaft aus. Als Ursache sieht sie die Distanzierung des Menschen von seinem Körper und verweist als Beispiel auf die Entwicklung von optischen Wahrnehmungsgegenständen. Diese sind als sogenannte unorganische Werkzeuge an die Stelle, wie in diesem Falle, des "Sinneswerkzeuges Auge" getreten. Die Augen, die bereits Platon als das vorzüglichste Geschenk des göttlichen Vaters bezeichnete, die uns die Betrachtung des Weltganzen ermöglichen.

"Der Anblick von Tag und Nacht, der der Monate und der Jahre Kreislauf (hat) die Zahl erzeugt und den Begriff der Zeit sowie die Untersuchungen über die Natur des Alls uns übermittelt. Und hieraus haben wir uns verschafft die Philosophie, als welches ein größeres Gut weder kam noch jemals kommen wird dem sterblichen Geschlecht." (BERR 1990, S. 160) Platon begreift deshalb den Zweck des Sehens in der Möglichkeit des Erschauens "der Vernunft der Kreisläufe am Himmel", um sie für "die Umschwünge unserer eigenen Denkkraft zu benutzen."

Mit der Erfindung von Teleskop und Mikroskop spricht M. Berr nun von der Erweiterung, das heißt Veränderung, der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit. Das "bloße Auge" sieht nicht mehr, sondern nimmt auf und gibt das weiter, was das technische Auge sichtbar macht.

Norbert Elias führt diese Erkenntnisse auf ein Produkt der Zivilisationsbestrebungen zurück, die durch die Zivilisierung und Formalisierung des Denkens entstanden sind. Eine Entwicklung, die mit einer zunehmenden körperlichen Distanzierung und somit einem berührungsfeindlicheren Verhalten in unseren Umgangsformen zu tun hat. Der Körper schuf uns mit seinen Sinnen den Zugang zur Welt und wurde immer mehr zum Werkzeug seines Geistes. Mit dem "Verschwinden des Organischen" lehnt sich M. Berr an M. Foucault, der mit seiner Theorie "Zur Disziplinierung der Körper", das Einsperren der Lebendigkeit beschreibt.

Der Dialog mit der Natur erfolgt über kalte Zeichen und die Erfahrung im bloßen Zeichenverkehr erfolgt losgelöst von jeglichem Bezug zur Substanz. Gleichzeitig mit dieser Selbstdistanzierung, hat sich der Mensch mit der virtuellen Wirklichkeit eine Art zweite Natur geschaffen. Hier muß er mit keinen Überraschungen, oder zumindest nicht mit solchen rechnen, die er selbst steuern könnte. Die Schaffung der virtuellen Wirklichkeit, mit der Realität, daß sie eben nicht wirklich ist, entspricht meinem bereits angeführten Vergleich, daß die Welt über Bilder erfahrbar wurde. Der Mensch wollte immer schon so sein wie Gott und kam diesem Ziel seit geraumer Zeit immer näher.

Es geht nicht nur um die Rationalisierung von Handlungen, sondern um die Wegrationalisierung des Menschen. Martin Buber verweist in seinem Buch "ICH und DU" auf die Aussage "Alles wirkliche Leben ist Begegnung". Heute fast 35 Jahre später begegnen wir den Pseudobegegnungen des virtuellen Lebens, die über Bildschirme verfolgt werden können. Wir berühren und begreifen einander immer weniger als lebende Organismen mit menschlicher Wärme, sondern verflüchtigen uns hinter die unwirkliche Welt.

Wir sind zwar "ONLINE" im Sinne von telefonieren, faxen und E-mailen und voll von Information und Unterhaltung, trotzdem befinden wir uns immer mehr im sogenannten "OFFLINE", bezogen auf menschliche Wärme und gegenseitiger Berührung.

Die Erfahrung der Welt erfolgte im Zuge der Maschinisierung auf Kosten des menschlichen Körpers und seiner Lebendigkeit. Seit der Antike reduzierte sich menschliche Erfahrung zunehmend auf das Lesen von Schriftzeichen. Dies entwickelte sich bis zu einem Ausmaße, indem der Mensch durch die technisierte Sicht auf materielle Dinge, die Wahrnehmungen seiner Sinne in Zweifel gezogen hat. Mit der Verdrängung des Körpers und seiner Wahrnehmungen ist es als logische Folgerung zu einer zunehmenden Tabuisierung des Todes gekommen.

Zusammenfassend gesehen wollte ich mit dem "Verschwinden des Organischen" auf das Abhandenkommen vom Körperlichen und seiner Lebendigkeit hinweisen. Der Mensch wurde dabei zunehmend zum Werkzeug der Maschine und diese Beziehung hat sich zu einer "kalten" Leidenschaft entwickelt.

Eine Entwicklung, die ich als "Warnhinweis" auf meiner Reise ansehe. Mit dieser Warnung, werde ich versuchen Werte herauszufinden, die mir eine Gegenposition aufzeigen, um meine Reise fortsetzen zu können.

Bescheidenheit und Demut heute - SIS HUMILIS!

Noch einmal komme ich auf das sogenannte Sterbe-Büchlein Ars-moriendi zurück. Hier wird auf einer der Holzschnittzeichnungen ein Engel dargestellt, der mit einem Spruchband zur Aufschrift "SIS HUMILIS" hinweist, das bedeutet: "Bleibe auch du bescheiden und demütig". Dieses Spruchband ist eine nähere Betrachtung wert.

Es wird darauf die Versuchung des Teufels dargestellt, der sich bemüht, einen Todkranken von seinen geistlichen Sterbevorbereitungen abzubringen. Er verweist ihn auf seine sterblichen Güter und rät ihm, sich an seinen Schätzen, wie dem schönen Haus, den Stall mit den Reitpferden etc. zu erfreuen. Diese zu genießen sei vernünftiger, als immerfort an das Sterben zu denken. (vgl. IMHOF 1991, S. 40).

Abb. 4:"Ars Moriendi, 8. Bild: Trost durch Demut"

A. Imhof bezeichnet dies als ähnliche Versuchung, die uns auch heute bedrängt und

zunehmend von wesentlichen Werten entfernt. Werte wie Demut und Bescheidenheit nehmen einen immer geringeren Stellenwert in unserem Denken und Handeln ein. Ich frage mich nun wie sich diese Werte in unserer Zeit gegenüber Mensch und Natur ausdrücken? Was sind Werte in unserem Leben, wenn uns auch die "irdischen Güter" im Rahmen der Wegwerfgesellschaft nichts mehr bedeuten?

Demütig zu sein könnte für die heutige Zeit heißen Kontrolle aufzugeben und sich fügen bzw. einfügen in unseren irdischen Kosmos. Demut, die mit der Endlichkeit des Lebens verbunden ist. Auch das Wort "Mut" ist darin enthalten. Mut, den wir benötigen würden, um unseren Ängsten zu begegnen. Mut als Lebenskraft, die stark machen und Halt geben kann, um auf diese Welt zuzugehen, die so oft als Bedrohung erlebt wird.

Unter "Mut" verstehe ich auch, bescheidener zu werden und uns nicht zunehmend in die Abhängigkeit von Konsum und der Anhäufung materieller Güter zu begeben. Den Absichten des Teufels zu widerstehen könnte für heute bedeuten, sich wieder auf die mittelalterliche Haltung des Heiles, in Form von Zuversicht und Hoffnung, Geduld und Fügung, sowie Entsagung und Verzicht zu besinnen.

Der neuzeitliche Mensch befreite sich von der göttlichen Vorsehung und gab seinem Leben selbst Sinn und Richtung. Wenn ich an die "Mutlosigkeit" vieler Menschen in unserer Wohlstandsgesellschaft denke, so muß ich feststellen, daß mit fortschrittlichem Denken nicht nur dazugewonnen, sondern vieles auch verlorengegangen ist.

Bescheidenheit und Demut als Werte, die besonders mit dem Älterwerden eine große Bedeutung erhalten. An den nächsten Stationen meiner Reise beschäftige ich mich mit dem "Wert" des älteren Menschen sowohl im historischen Rückblick wie auch aus aktueller Sicht gesehen.

Werte - Der ewige Jungbrunnen

Der Begriff "Wert" wird mich nun als Markstein oder Richtungsweiser bei der Fortführung meiner Reise begleiten. Die Auswirkung von zeitgenössischen Phänomenen wie Zeitknappheit, Zukunftsängste, Naturzerstörung und Vertechnisierung prägt die Einstellung gegenüber Werten.

"Wert" bringe ich mit"Alter" und dem Begriff "Grenze" in Verbindung. Der Mensch will seine Lebensbegrenztheit nicht wahrhaben. Er weiß von den Gesetzen des Alterns, der Vergänglichkeit und der Sterblichkeit. Diese Grenzen werden jedoch einerseits verdrängt und andererseits wird versucht, sie so lange wie möglich hinauszuschieben.

"Alter" zeichnet sich in entscheidender Hinsicht durch eine besondere Nähe zum Tod aus. Wenn ich unsere "Menschlichkeit" im Umgang mit der älteren Generation betrachte, so muß ich feststellen, daß wir in einer sehr traurigen Gesellschaft leben. Der Wert des alten Menschen ist nicht sehr präsent. Sehr präsent ist dagegen der Stellenwert von jungen Menschen, verbunden mit entsprechenden Gesundheits- Schönheits- und Jugendlichkeitskulten. Unsere westliche Welt schuf sich in den letzten Jahrzehnten ein Schönheitsideal, welches um jeden Preis auf Jugendlichkeit, Schönheit, Intelligenz und Erfolg ausgerichtet ist. Der Verlauf des Alterungsprozesses wird mit allen Mitteln aufgehalten und entsprechend "korrigierend" wird dabei eingegriffen. Diese Einstellung brachte es dazu, daß wir in einem Zeitalter leben, indem uns Schönheitschirurgen, Fitneßstudios etc. zu dem Glauben gebracht haben, "korrekturbedürftig" zu sein.

Biologen argumentieren unwiderlegbar, daß die Attraktivität für das andere Geschlecht der Arterhaltung dient. Ethnologen liefern Parallelen zwischen tierischem und menschlichem Verhalten und so ist der heutige Schönheitsanspruch nur mehr zu einem geringen Teil biologistisch begründbar. "Die Medizin sollte dafür sorgen, daß die Menschen so alt wie möglich jung sterben" (Evenlyn Waugh). Immer neue Wunderjungbrunnen werden angeboten und sollen gewährleisten, daß der Mensch mit chemischen, zellularen, mechanischen und sonstigen Eingriffen, so lange wie möglich jung, frisch und dynamisch bleibt. Der Mensch hängt am irdischen Leben. Sein Wunsch dieses zu verlängern und immer wieder zu erneuern, manifestiert sich in Vorstellungen wie auf dem folgend abgebildeten "Jungbrunnen".

Abb.5:"Der Jungbrunnen, L. Cranach 1546"

Auf der einen Seite drängen alte Körper hinein und auf der anderen steigen junge heraus. Wir leben in einer Zeit, in der viele Menschen den Wunsch und die Allmachtsphantasie hegen immer jung zu bleiben. Entsprechend werden Selbstwertgefühle und Identität sehr stark über Äußerlichkeiten, ich nenne es "die Fassade", definiert.

"Der Traum vom Lebenselixir und vom Jungbrunnen ist gewiß recht alt. Aber erst in unseren Tagen nimmt er wissenschaftlich oder, je nachdem, auch pseudo-wissenschaftliche Gestalt an. Das Wissen, daß der Tod unabwendbar ist, wird durch das Bemühen, ihn mit ärztlicher und mit Versicherungshilfe mehr und mehr hinauzuschieben und die Hoffnung, daß es gelingen könnte überlagert" (ELIAS 1982, S. 74)

Im Hinblick auf den Ewigen Jungbrunnen gilt es festzustellen, daß es zu allen Zeiten den Wunsch nach Jugend, Schönheit und ewigem Leben gab. Auch die Frage der Sicherheit hat sich bereits zu den Zeiten Descartes herausgebildet. Trotzdem glaube ich, daß bestimmte Entwicklungen bis zur Moderne in eine Art Einseitigkeit geraten sind, die den Wunsch, um jeden Preis schön und jung zu bleiben, an die Spitze getrieben haben.

Ein historischer Vergleich - unsere Tage zählen

Wie sieht nun dieser "Wert" eines alten, schwachen Menschen in einer Gesellschaft aus, die sich von Leistung und Produktion abhängig gemacht hat? In Anbetracht des Mythos unserer Identifikation, der sich mit Jugendlichkeit, Fortschritt etc. ausdrückt, fällt es mir schwer den "Wert des älteren Menschen" zu erkennen.

In meinem historischen Rückblick gehe ich vom mittelalterlichen Bild des älteren Menschen aus. In diesem gehörten die natürlichen Abschnitte der Lebenszeit zur göttlichen Ordnung und "alles hatte seine Zeit", sowie auch alles Vornehmen unter dem Himmel "seine Stunde" hatte.Bis in das 19. Jhd. beruhte ein Großteil medizinisch, philosophisch und religiöser Lehren der westlichen Welt, auf der Vorstellung der "Jahreszeitlichkeit" oder des Naturgemäßen des menschlichen Lebenskreises. Auch soziale Definitionen, die auf der Abfolge von sogenannten "Lebensstufen" basierten, wurden als natur- und ordnungsgemäß gehalten. Sie gingen von der Vorstellung aus, daß naturgemäße Abschnitte mit gleichzeitiger Einheit einer Lebenszeit verbunden waren. "Die Natur kennt nur einen einzigen Weg, und dieser Weg wird nur einmal durchlaufen, und jeder Lebensstufe ist die ihr angemessene Eigenheit verliehen" (COLE/WINKLER zit. in GÖCKENJAN 1988, S. 35)

Gelehrte des Mittelalters haben aus der Antike verschiedene Versionen von der bekannten Lehre des Lebens zu den "Altersstufen des Menschen" übernommen. Dabei entsprach die mittelalterliche Weltsicht mit ihrer vierfältigen Stufeneinteilung, als die am besten übertragbare. Vorausgesetzt wurde dabei eine von Gott geschaffene Übereinstimmung zwischen Mensch, Natur und Kosmos. Die Lebenseinteilung wurde aus der griechischen Medizin und Physiologie in: Kindheit, Jugendalter, Mannesalter und Greisenalter eingeteilt.

Bis ungefähr ins 18. Jahrhundert wurde in fast jeder Kultur der Lebenslauf nach abendländischen Glauben an eine feststehende, natürliche Abfolge des menschlichen Lebens in Stufen eingeteilt. Der moderne Wunsch nach Selbstentfaltung als Folge der gesellschaftlichen Priorität wirtschaftlicher Entwicklung, hat dieses Stufenmodell zerstört.

"Das bürgerliche Ideal menschlicher Entwicklung, demgemäß sich die Persönlichkeit der unbeständigen und offenen Form der Marktwirtschaft angleicht, hat wenig Geduld mit den rigiden Kategorien der Biologie, des Charakters und der Lebensführung, die den antiken Lehren von den Lebensaltern eigentümlich sind."

(ebd. 1988, S.36)

Die postmoderne Perspektive kennt mit ihrer Vision des Lebenskreises im Leben keine Alter. Das Selbst ist ohne Grenzen und ohne Autorität, außer seinem eigenen Wachstum inmitten endloser Möglichkeiten. Dies geht Hand in Hand mit dem Ideal einer "altersunabhängigen" Gesellschaft, in der individuelle Fähigkeiten und Anforderungen und nicht das Alter, über die Art der Teilnahme am sozialen Leben entscheiden. (vgl. ebd. 1988, S.37)

Sofern "Alter" seinen angemessenen Platz in der Daseinsordnung einnahm, behielt es eine Art Belohnung von eigenem Wert. Daß hohes Alter vielleicht eine "Jahreszeit" ohne Sinn und Zweck sein könnte, wurde erst im späten 20. Jahrhundert in Zweifel gestellt. Trotz der Ansicht einer natürlichen Ordnung, war deswegen nie garantiert, daß dem hohen Alter mit kultureller Hochachtung oder verständnisvollem Mitgefühl begegnet wurde. Alte Menschen galten oft vielmehr als armselig, geizig, töricht oder gesellschaftlich tot.

Es gab allerdings auch bildhafte Vorstellungen von Weisheit, Heiligkeit, Ehrbarkeit und Erfahrung. Die wichtigste Beobachtung war, daß positive und negative Gegebenheiten des hohen Alters, im vorkapitalistischen, europäischen und amerikanischen Bereich, in einem dialektischen Verhältnis zueinander standen. Es wurde davon ausgegangen, daß der körperliche Verfall durch geistigen und intellektuellen Aufstieg ausgeglichen wird, denn beide Entwicklungen galten als notwendige Elemente in einem göttlichen Universum.

Aus ihren besonderen Eigenschaften, wie körperlicher, geistiger und verhaltensmäßiger Art, ließ sich jede Altersstufe aus ihrem Verhältnis zu den vier Temperamenten erklären. Den Sanguinikern, Cholerikern, Melancholikern und Phlegmatikern, sowie den 4 Qualitäten warm, feucht, trocken, kalt, den 4 Elementen Luft, Feuer, Erde, Wasser und den 4 Jahreszeiten. Dieses Schema sprach dem Aspekt der körperlichen Stärke weniger zu, beinhaltete jedoch, daß jede Altersgruppe in gleicher Entfernung zu Gott stand. Verbreitet wurde diese mittelalterliche Version der menschlichen Lebensalter in Form von Predigten, Bibelkommentaren, moralischen und politischen Traktaten, Enzyklopädien, medizinischen und astrologischen Handbüchern.

Die bäuerliche Bevölkerung in deutschsprachigen Ländern des 15. und 16. Jhd. orientierte sich in ihrem Verständnis der Lebensalter im populären Vers:

10. Jahr - ein Kind

20. Jahr - ein Jüngling

30. Jahr - ein Mann

40. Jahr - Stillstan

50. Jahr - Wolgetan

60. Jahr - Abgan

70. Jahr - dein Seel bewar

80. Jahr - der Welt Narr

90. Jahr - der Kinder Spott

100. Jahr - nun gnad dir Gott

(vgl. ebd. 1988, S. 40)

Beschreibungen und Deutungen mit Vorschriften verbanden volkstümliche und gelehrte Versionen der Lebensalter. Von den Alten wurde zum Beispiel verlangt, Geschlechtsverkehr zu meiden und sich aus weltlichen Angelegenheiten zurückzuziehen. Sie waren jedoch dazu angehalten, Weisheit zu suchen, sich auf den Tod vorzubereiten und auf Gott zu vertrauen. Im Vergleich zur heutigen Zeit findet durch die Pensionierung ein abrupter Abbruch im Lebenskreis der Menschen statt. In den agrarischen Gesellschaften galt vor dem Aufkommen der industriellen Produktionsweise, der Familienhaushalt zugleich als Produktionseinheit des Bauernhofes, des Handwerkerladens oder des Kaufmannsgeschäftes. Die Familienrhythmen waren unmittelbar mit dem Arbeitsleben verbunden.

Mit zunehmender Lebenserwartung und wachsender Bevölkerungszahl, mit den mittelalterlichen Heirats- und Haushaltsordnungen in Mittel- und Nordwesteuropa, bildete sich bereits lange vor dem späten 18. Jahrhundert, eine flexible und individuellere Form des Ruhestandes heraus. Die relatitiv späte Heirat für beide Geschlechter und die Übernahme eines Haushaltes bedeutete gleichzeitig die Übergabe von Besitz und Hilfsmitteln an die junge Generation. Somit wurde das Zusammenleben von Eltern und verheirateten Kindern unterbunden. Dies war für die wirtschaftliche Entwicklung sehr bedeutsam. Nach Übergabe an die junge Generation gab es ab dem 13. Jhd. sogenannte "Ruhestandsverträge", die den alten Menschen garantierten, eine lebenslängliche Gewährleistung des Unterhaltes zu erhalten.

Im Vergleich mit der heutigen Situation unterschied sich die Altersversorgung im Mittelalter und in der frühen Neuzeit ebenfalls je nach Klassenzugehörigkeit.

In der Zeit zwischen dem 12. und 16. Jhd. erfolgte ein Wandel in den religiösen Vorstellungen über das hohe Alter. Man begann sich Gedanken über die Pflichten der Gesellschaft gegenüber dem Alter zu machen. Klösterliche Wertvorstellungen sind in den Hintergrund gerückt und die Übertragung von Besitztümern auf die Kinder, sowie das Einhalten von Verpflichtungen im Hause, wurden hervorgehoben.

Nach dem Muster der Klöster entwickelte sich im 13. Jhd. das sogenannte Hospital. Für die lebenslängliche Bereitstellung von Lebensmitteln, Gebrauchsgütern oder Geld nahm es Schenkungen als Gegenleistung an. Obere Klassen machten von dieser Möglichkeit Gebrauch, um sich so ihre Leibrente im Alter zu sichern.

Wie ich anführte, hatte das Altern seinen festen Platz im mittelalterlichen Denken und in den Gewohnheiten, mit denen man sich auf das Ausscheiden aus dem Arbeitsleben einstellte. In der mittelalterlichen Kosmologie, die das Weltall als eine Reihe konzentrischer Kreise abbildete, entsprach die individuelle Lebenszeit den Zyklen der Jahreszeiten, dem Kreislauf von Tag und Nacht sowie auf dem Lande den familienbedingten Rhythmen. Zeit gehörte Gott und sie galt als vorübergehender Besitz, der zu nutzen war.

Das Lebensgefühl war gekennzeichnet, indem sich Furcht mit einer Suche nach dem Göttlichen vereinigte. Der Sinn für Zeit verband sich mit der Angst vor dem Fegefeuer und mit der Angst in "Sünde" zu sterben.

Die Furcht vor der Unwiederbringlichkeit der Zeit verfolgte den Menschen je länger desto stärker. Die verschiedenen Lebensalter wurden in den ikonographischen Darstellungen im Sinne von auf- und absteigenden Treppen dargestellt. Es wurde damit die Botschaft übermittelt, daß sich der Mensch auf den Tod und das Jüngste Gericht vorbereiten müsse. Die entsprechende Symbolik drückte sich mit der "Grünheit der Jugend" und der "Trockenheit des Alters" aus.

Abb. 6: "Alter und Tod"

Erst mit Luthers revolutionären Ideen von Rechtfertigung durch Glauben anstelle von guten Werken entwickelte sich ein neues Verhalten zwischen Zeit und Arbeit. Erlösung sollte sich nicht nur durch fromme Taten verdient werden, sondern aus innerer Überzeugung für eine gesamte Lebenseinstellung. Nicht mehr der besondere Tag des Todes, sondern der gesamte Verlauf des Lebens wurde in Betracht gezogen.

Weltliche Tätigkeiten anstelle von klösterlicher Zurückgezogenheit galten als wichtigste Ergebnisse der Reformation. Ein neuer Blickpunkt findet sich mit Gesundheit und Kontrolle über den physischen Körper im Gegensatz zur alten Furcht vor Zeit und Tod.

Mit der Herausbildung der Marktwirtschaft im 16. und 17. Jhd. löste sich die mittelalterliche Struktur des Landbesitzes auf. Soziale und individuelle Identität verloren immer mehr an Bedeutung, anstelle dessen trat die abstrakte, formlose Art des Geldumlaufes. In dieser Zeit kam in England das Theater in Erscheinung und Beziehungen wurden auf der Bühne, mit ihrem weltlichen Kommentar über die neue Welt der Waren, experimentierend gegen-übergestellt.

"Es war nur ein kleiner Schritt von den >Altern< zu den >Stufen< des Lebens. Damit war eine Metapher gefunden für die neue ikonographische Anordnung des Lebenskreises, in dem jede Stufe einen Schritt auf einer Lebensbühne darstellte, auf der bestimmte Rollen zu spielen waren. Keine der beiden älteren Metaphern vom Totentanz und vom Glücksrad, konnten die komplexe Botschaft der Lebenstreppe ausdrücken, die das geschwinde Vergehen der Zeit und die Macht des Todes dem Wunsche nach einem geordneten, langen und ergiebigen Leben gegenüberstellte. Die auf- und absteigende Treppe versuchte die Unsicherheit, Doppeldeutigkeit und Hilflosigkeit des Lebens zu überbrücken, indem sie zugleich der Kampf der Mittelschichten um Erfolg und ihre Furcht vor sozialem Abstieg und ewiger Bestrafung darstellte" (COLE/WINKLER zit. in GÖCKENJAN 1988, S. 49)

Die Kunst des 16. Jhd. stellte ein Gleichgewicht zwischen dem Leben und dem Tod dar. Der ewigen Erlösung konnte man mit einem frommen Leben trotz ständiger Ungewißheit im Hinblick auf die Todesstunde entgegenblicken. Auch das Altern galt als Form einer Reise ins Ewige Leben.

Mit dem 17. Jhd. bekam die bürgerliche Häuslichkeit und Tugend zunehmende Bedeutung. Trotz wandelnder Vorstellungen über Frauen, Kinder und Familie blieb der Platz der Alten trotz Laster, Krankheit und Anfechtung eine Zeit zur Unterweisung der Jugend. Traditionelle Blickweisen wurden im 18. Jhd. zum ersten Mal in Frage gestellt und in religiösen und philosophischen Texten aus Frankreich war den Alten nahegelegt worden, sich von der Welt abzukehren, als Vorbereitung auf den Tod.

Höhere Lebenserwartung, Verstädterung und Säkularisierung gegen Ende des 18. Jhd. trugen dazu bei, daß Altern als soziales Problem angesehen wurde. Die Zeit der französischen Revolution fand keine staatliche Lösung, dafür machten revolutionäre Moralisten zu dieser Zeit die Alternden zu Musterbeispielen von Weisheit und Autorität.

Bürgerlicher Individualismus war sozusagen über die Theorien von Lebensalter gut legitimierbar. Die Entwicklung individueller Tugenden wie Selbstkontrolle, langfristige Planung etc. führte ich bereits im "Prozess der Zivilisation" bei Norbert Elias an. Die Vorstellung der eigenen Lebenszeit und den damit altersverbundenen Rollen, galt als ein wichtiger Rahmen zur Entwicklung. Mit der Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung bekam der Lebenslauf eine immer größere Bedeutung. Individuen, befreit von ihren älteren Bindungen an Status, Familie und Örtlichkeit, konnten ihr Leben auf Karriere ausrichten. Der Kreis der Vollkommenheit mit seinem irdischen Mittelpunkt war am Himmel verschwunden.

Abb.6: "Stufen des Alters, anonym 1810"

Die Medizin entwickelte entsprechende wissenschaftliche Normen des optimalen Funktionierens und der Abweichungen. Die Anwendung von Macht konzentrierte sich zunehmend auf die Organisation, Kontrolle, Verwaltung und auf die bestmögliche Leistungssteigerung des menschlichen Körpers. Alter wurde zunehmend als pathologischer Vorgang der Zell- und Gewebedegeneration betrachtet.

"Deutsche medizinische Handbücher und Nachschlagewerke zeigen für das späte 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert eine ähnliche Medikalisierung und Entwertung des hohen Alters. In diesen Schriften ist Wachstum und Entwicklung auf die erste Lebenshälfte begrenzt; viele traditionell bedeutsame Typen der Alterswahrnehmung wurden lediglich wissenschaftlich neu definiert und haben damit einer zunehmenden Ausgrenzung der Gealterten aus dem öffentlichen Leben zugearbeitet." (COLE/WINKLER zit. in GÖCKENJAN 1988, S. 54)

Hohes Alter wurde klinisch als besondere Lebensphase betrachtet. Ihr sollte besondere, professionelle Aufmerksamkeit und Fürsorge zukommen und diese Auffassung legitimiert im späten 19. Jhd. die ersten Pläne zur altersabhängigen Zwangspensionierung. Auch wenn die Theorien von den Lebensaltern in Wissenschaft und Medizin aufgegeben wurden, so verwarf man die bürgerliche Vorstellung des Lebenskreises noch nicht. Mit Beschleunigung des Lebenstempos in den Jahrzehnten der Industrialisierung, spielen sich auch die Abschnitte eines individuellen Lebens, nicht mehr vor dem Hintergrund einer relativ unveränderten Umwelt ab. Zeit und Geschichte wurden im Interesse des Fortschrittes und der Produktivität verkürzt.

"Während des 17. Jahrhunderts hatte der Bogen der Lebenstreppe einen Ausblick auf die Ewigkeit gewährt. Dies ermöglichte eine Sehweise >durch< die chronologische Zeit hindurch, eine Perspektive, die von einer religiösen Vorstellung über das rechte Verhältnis von Lebenszeit und Zeitlosigkeit geleitet wurde" (zit. ebd. S. 56)

Nationale Ruhestandgesetzgebungen wurden mit einem Pensionssystem nach deutschem Vorbild, in den westlichen Demokratien in Kraft gesetzt. Mit der Rentenzahlung in einem bestimmten Alter bildete man gleichzeitig die wirtschaftliche Grundlage für einen neuen, zeitlich bestimmten, Lebensabschnitt nach der Erwerbstätigkeit. Zunehmende Lebenserwartung, das große Anwachsen der alternden Bevölkerung und die Ausdehnung des Ruhestandes haben das Alter zur letzte Stufe des institutionalisierten Lebenskreises gemacht. Dieser sogenannte Fortschritt kann nun von zwei Seiten betrachtet werden.

Einerseits entstand dem Ideenkreis aus der Zeit der französischen Revolution mit ihrer "moralischen Ökonomie" zwar die staatliche Altersunterstützung, andererseits hat sich der moralische Platz der Alten in der Gesellschaft dadurch verschlechtert. Mit dem Ethos des Individualismus ist der generelle Sinn für das Gemeinwohl, für den Platz des Alterns und des Todes im Kreislauf der Generationen verlorengegangen.

Ausgehend von dieser Entwicklung des sogenannten "Wohlfahrtsstaates", konnte seit dem 18. Jhd. der alte Mensch in diesem Sinne nichts "Wichtiges" zum Arbeitsmarkt beitragen. Dies hat bis heute dazu geführt, daß er im öffentlichen Leben wenig Einfluß hat und dadurch wenig Sinn und Zweck in seinem Altsein verspürt.

Meine anfängliche Vermutung bestätigt sich, daß mit finanzieller Absicherung nicht gleichzeitig eine Art "Wertsicherung" des alten Menschen erfolgen kann. Dies wird auch von den entsprechenden Autoren dieses Beitrages bestätigt. Ihre Erkenntnisse im historischen Überblick, über die Konzepte des Alterns in der westlichen Kultur, sind mit der Zunahme des Fortschritts verbunden. Hinsichtlich materieller und physischer Lebensbedingungen war dafür ein hoher geistiger und ethischer Preis zu bezahlen. Dies bedeutet, daß trotz sozialer Absicherung die ontologische Sicherheit und oft leider nicht einmal die Würde des Alters gesichert ist. Die alten Menschen werden in unserem Zeitalter des grenzenlosen Wachstums an den Rand gedrängt. Der Altersdiskurs erfolgt über soziale Bewertungen von Leistungsfähigkeit und es ist somit auch eine Frage des Wertes, daß "Untätigkeit" als Grund angegeben wird, nicht altwerden zu wollen. In Anbetracht unserer momentanen Lebensformen empfinde ich es auch für junge Menschen eine große Herausforderung, dem jetzigen Zeitgeist zu folgen. Nicht nur ältere Menschen, auch körperlich oder geistig beeinträchtigte Menschen bleiben mit unserem jetzigen Zeitgeistdenken "auf der Strecke". Der Zugang zum Leben ist fast ausschließlich auf gesundem, leistungsfähigem und vor allem schnellen Wege möglich.

"Bei all seiner Hoffnungsfreude beruht das postmoderne Ideal des Lebenskreises zu oft auf der Verleugnung von Verlust, Begrenzung und Tod. Seine Vorstellung von menschlicher Entwicklung läuft auf ein nicht endendes mittleres Alter hinaus, auf eine weitere Form bürgerlicher Erfolgssuche, auf die rationalisierte Kontrolle der Zeit" (ebd. 1988, S. 62)

Der alte Mensch kann nicht mehr mithalten in unserer schnellebigen Zeit. Wie wirkt sich nun diese Entwicklung auf das gegenwärtige Altersbild aus? Mit einem aktuellen Beitrag versuche ich im nächsten Kapitel einen Vergleich darzustellen.

Abb. 7: "Alter und Tod 1878"

Zum heutigen Altersbild - Neuer Markt und neue Macht?

Im Oktober 1998 hat das "Internationale Jahr der Senioren" begonnen. Ich möchte dazu Aufzeichnungen eines Symposiums, mit dem Titel "Zum Wert des älteren Menschen", aus aktueller Sicht betrachten:

Aus soziologischer Sicht hob man hervor, daß es heute kein "historisches Altersbild" mehr gibt, da die Menschen früher nicht so alt geworden sind. Ökonomische Konsequenzen der spätindustriellen Gesellschaft beziehen sich dabei auf einen starken Geburtenrückgang und einer steilen Zunahme alter Menschen. Das bedeutet eine Lebenserwartung von durchschnittlich 80 - 90 Jahren. Der Rentenanteil verdoppelte sich in den letzten dreißig Jahren und wird sich in den kommenden 30 Jahren noch einmal verdoppeln.

Die Bilder, welche sich unsere Gesellschaft von alten Menschen macht, sind mit Zeichen der Verunsicherung verbunden, im Sinne von:

später Freiheit

Befreiung von Arbeit und Verpflichtung

Rollen- und Identitätsverlust

Entberuflichung, verbunden mit dem Gefühl, nicht gebraucht zu werden (funktionslos zu sein)

Abstieg

körperliche, geistige und persönliche Bedrohung Einsamkeit, soziale Isolierung, Abbau im Sinne des Veränderungsprozesses zum Ende des Lebens

Das Bild des "Defizits" überwiegt mit "nicht mehr jung, nicht mehr gesund und nicht mehr berufstätig zu sein". Eine negative Vorstellung die mit "jeder will lange leben, aber niemand will alt werden" verbunden ist. Alter wird vom Standpunkt der Kranken- und Pensionsversicherung als Kostenfaktor angesehen. Der alte Mensch ist "außerhalb" der produktiven Erwerbsgesellschaft und wird somit zur Belastung. Gleichzeitig sieht man in der "älteren Generation" einen neuen Markt, indem diese mit ihren Bedürfnissen neue Dienstleistungen erfordern und somit als neue Arbeitgeber auftreten können. Durch ihre anwachsende Zahl können sie zum politischen "Machtfaktor" werden. Alter könnte als normale Erscheinung angesehen werden und die Möglichkeit zur Entstehung eines positiven Altersbildes wäre gegeben.

Aus finanzwissenschaftlicher Sicht ging es um Fragen wie:

  • Wird unsere Gesellschaft, die rüstigen und langlebigen Senioren als Ressource richtig nutzen?

  • Wie geht es mit den Pensionen weiter?

  • Wie steht es mit den Älteren als "Konsumpotential"?

Ohne diesbezügliche Lösungsansätze zu verfolgen, möchte ich an dieser Stelle hervorheben, daß sich mit dieser Bewertung eine soziale Kälte unserer hochorganisierten, kapitalistischen Gesellschaft zeigt. Es geht darum, im alten Menschen eine Art Konsum-potential zu entdecken. Hochgeschätzt scheint er als Konsument, als Stimmbürger in Wahlzeiten und als solcher, der etwas vererben könnte. Daß Alter mit Schwäche und Leistungsabfall verbunden ist, wird in unserer Gesellschaft schwer ertragen. Ich würde

es mit meinen Worten des "Nicht-hinsehen-könnens" betrachten, um so mit der eigenen Vergänglichkeit nicht in Berührung zu kommen.

Die medizinisch biologische Revolution der letzten 100 Jahre führte in den industrialisierten Ländern zu einer völlig neuen Situation, die althergebrachte, ethische Vorstellungen in Frage stellt. Vor 100 Jahren starben die Menschen früh und billig mit einem unermeßlichen Verlust an Lebenspotential. Heute sterben alte Menschen spät und teuer, nach weitgehender Erfüllung ihrer Lebenserwartung. Die bestehende Un- bzw. Unterfinanzierung des Gesundheitswesens trifft vor allem die einsamen, alten und armen Menschen. Es wäre an der Zeit, Konsequenzen gegenüber einer mangelnden Altersfürsorge zu treffen, welche nicht mit unethischer Ausbeutung in Verbindung steht. Dies in der Hoffnung und Verbesserung der Lebensqualität und Lebenszeit. Die Antwort könnte in einer ethischen wie wissenschaftlichen Standardisierung der Vorgangsweise liegen. Sie sollte darauf achten, daß man nur wirksame Methoden, einschließlich der Palliation aus öffentlichen und privaten Versicherungsmitteln zuläßt sowie gleichzeitig Betroffene auf die Nutzlosigkeit verschiedener Methoden hinweist.

Von der sehr einseitigen Form der Wertschätzung gegenüber den alten Menschen bleiben diese nicht unberührt. Die Selbsteinschätzung und der "Selbstwert" im Alter liegt nach österreichischen und anderen europäischen Studien wesentlich unterhalb dem Niveau gegenüber der Selbsteinschätzung von jüngeren Menschen.

Wenn wir der Realität ins Auge sehen, so leben bereits sehr viele alte Menschen mit dem Bewußtsein, als Last für die junge Generation zu gelten und finden sich entsprechend mit Alleinsein und Einsamkeit ab. Der Grund dafür sind hohe Individualisierungsschübe und das Verschwinden von gemeinschaftsbezogenen Werten. Diese Werte zu finden wird immer schwieriger werden, nachdem neueste Untersuchungen zum Ergebnis kamen, daß sich jung und alt in der modernen Gesellschaft offenbar immer mehr voneinander abschotten.

Nicht nur mit Versprechungen jung und aktiv alt zu werden, sondern auch mit "Nummer sicher" in die Pension zu gehen wird geworben, um alten Menschen ihre sogenannte Altersvorsorge zu garantieren. Im Rahmen der finanziellen Absicherung scheint mitunter das "Problembewußtsein" sowohl des jungen wie auch des alten Menschen in dieser Form gelöst zu sein. Ich verweise nochmals auf die Tradition von René Descartes, in der es ebenfalls einen Zusammenhang zwischen seinem vernunftsmäßigen Denken und der Sicherstellung von Leben gab. In Form von finanzieller Vorsorge wird auf materieller Ebene die persönliche Auseinandersetzung mit dem "Alter" umgangen. Dem natürlichen Prozeß des Älterwerdens wird mit äußerlichen "Korrekturen" begegnet.

Meine Erkenntnis in der Betrachtung zum heutigen Altersbild ist, daß der alte Mensch auf die Schiene der Absicherung verlegt wird. Alter wird nicht anerkannt im Hinblick auf vergängliches Leben. Die Verdrängung des Alterungsprozesses, würde ich im Rahmen meiner Auseinandersetzung mit der Tabuisierung des Todes gleichsetzen. Konsequenzen sollten nicht nur mit "Absicherung" sondern mit der "Aufwertung" älterer Menschen erfolgen, um ihnen ein würdevolles Altwerden zu garantieren. Es ist an der Zeit Altenpflege aus ihrem Schattendasein zu holen und Pflegepersonal, Ärzten und Institutionen, entsprechende Ausbildungen in ihrer anspruchsvollen Aufgabe zu gewährleisten. Eine traurige Bilanz im Jahr der Senioren ist es, daß gerade im Sinne der Aufwertung geriatrischer Pflege, die sogenannten "Altenfachbetreuer" in Tirol nicht anerkannt werden.

Es ist auch an der Zeit, ältere Menschen ernst zu nehmen als Vollmitglieder der "moralischen Gesellschaft", sowie ihre Pflichten und Tugenden zu begreifen, die ihr Alter verlangt. Alter soll daher als Qualität und nicht als Zeitangabe betrachtet werden.

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend

Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,

Blüht jede Weisheit und auch jede Tugend

Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe

Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,

Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

In andre, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

Der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,

An keinem wie an seiner Heimat hängen,

Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,

Er will uns Stufe um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise

Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;

Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,

Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde

Uns neuen Räumen jung entgegen senden,

Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden....

Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

(HESSE "Das Glasperlenspiel" 1967, S. 352)

Zeit des Abschieds und der Einsamkeit

"Die menschliche Realität ist nichts als die unaufhörliche Bewegung des Sich-Losreißens von der Welt und von sich selbst" (THEUNISSEN zit. in WINAU, 1984, S.121)

Mit meiner Idee, diese Arbeit in Form einer Reise zu gestalten, darf auch der Gedanke des Abschiednehmens nicht fehlen. Der Umgang mit alten Menschen und ihrer entsprechenden "Wertschätzung" in unserer Zeit, beeinflußt auch die Einstellung gegenüber dem Tod. Im Mittelalter wurden die Menschen aufgrund von Hunger, Kälte und Seuchen sehr früh vom Tod überrascht. Heute bliebe wesentlich mehr Zeit, um sich von dieser Welt zu ver-abschieden. Alter kann als Begriff eines abschiedlichen Daseins gesehen werden, im Sinne eines fortwährenden Abschiednehmens ohne Wiederkehr. Es ist eine Fähigkeit die im Leben entwickelt wird, sich von anderen wie von seinen eigenen Dingen trennen zu lernen. Auch das Leben kann als abschiedliches Dasein gesehen werden, das mit dem Abschied von der Mutter am Tag der Geburt beginnt und sich fortführt mit Abschiednehmen vom Elternhaus, Abschied nach Trennungen, Abschieden auf Bahnhöfen etc. Wiederholende und endgültige Abschiedserfahrungen, die uns immer in unserem Leben begleiten.

Abschiedserfahrungen sind in Erfahrung mit anderen verbunden. Der Abschiednehmende und der, von dem Abschied genommen wird. Das Alter bedeutet auch, Abschied von sich selbst zu nehmen. Abschied von seiner eigenen Jugend, von Überzeugungen und Hoffnungen. Dabei ist wesentlich, wie der Mensch sein Leben gelebt hat, ob er es gerne und bewußt gelebt hat. So kann er seinem Alter eine Deutung geben und es gegenüber der Jugend und dem Jungsein aufwerten.

Das Älterwerden bringt auch eine Veränderung des Zeitbewußtseins mit sich. Der Umfang der Vergangenheit nimmt zu und gleichzeitig nimmt der Umfang der Zukunft ab. Es bedeutet die Trennung von gelebtem oder ungelebtem Leben. Daher unterscheidet sich auch das Zeitbewußtsein eines jungen Menschen, der in eine unendliche Weite von Möglichkeiten blickt, von dem eines gealterten Menschen, welcher sich zum Teil oft nur mehr mit der Last seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen hat. Das Alter in der Jugend und die Jugend im Alter ist qualitativer Art, welches sich praktisch im Verhältnis der Lebensalter realisiert. Dabei hängt die besondere lebensbefähigende Qualität entscheidend davon ab, wie Menschen verschiedenen und gleichen Alters einander begegnen und wie sie ihr Leben miteinander teilen. (vgl. MARTEN 1987, S.106)

"Mit den Dingen haben wir gemein, daß wir vergehen, und das Vergehen ist ein Zugehen auf den Tod. Im Lichte unseres Vergehens sehen wir die Vergänglichkeit der Dinge, und in der Vergänglichkeit der Dinge erleben wir unsere eigene mit. Das ist die elementarste Form der Gegenwart des Todes im Leben". (THEUNISSEN zit. in WINAU 1984, S.111) Vergänglichkeit und Vergehen sind die elementarsten Formen in unserem Leben, die unausweichlich und von Geburt an bestimmt sind.

"Menschlich leben wir dann und nur dann, wenn wir abschiedlich leben, und das heißt: wenn wir uns ständig, von der Welt und von uns selbst abscheiden. So zu leben ist nicht willkürlicher Entscheidung anheimgegeben. Denn unser Leben ist abschiedlich" (ebd. S. 120) Im Bewußtsein der eigenen Vergänglichkeit und dem Gedanken Abschied nehmen zu müssen, wird der Mensch auf sich selbst zurückgeworfen. Dies im Anbetracht darauf, daß wenig kulturelle und soziale Möglichkeiten vorhanden sind, die bei Tod, Sterben und Abschiednehmen Unterstützung anbieten können.

Mit dem Abschiednehmen von der Welt, komme ich wieder auf die mittelalterliche Holzschnittzeichnung "Sis Humilis" zurück. Diese ruft mahnend auf, sich von materiellen, irdischen Gütern loszureißen und wesentliche Dinge, wie Bescheidenheit und Demut in den Vordergrund zu rücken.Gerade in den letzten Lebensjahren werden Werte wesentlicher, die in jungen Jahren nicht so viel gezählt haben. Diese Entwicklung ergibt sich aus der Verabschiedung von Werten wie Reichtum, Ehre und Ansehen, die in der äußeren Welt wichtig gewesen sind. Aufgrund der Verabschiedung von äußerlichen Werten und der entsprechenden Auseinandersetzung mit sich selbst, wird bei vielen Menschen eine große Angst vor dem Alleinsein und der Einsamkeit ausgelöst.

"Todesangst wird oftmals als Trennungsangst erkannt, als Angst vor dem radikalen Alleinsein. Nicht erst das Vordenken an Tod und Totsein, sondern schon die Erfahrung des Sterbens, führen zur Einsamkeitsangst. Doch Sorge und Gewissen, das Eigene und Nötige im Leben noch nicht vollends getan zu haben, sind weit mehr eine Kraft, die den Menschen todesunfähig macht, als jene Angst von allen und allem verlassen zu sein." (MARTEN 1987, S. 12)

Rainer Marten schreibt von der Sorge und dem Gewissen als Kraft, die den Menschen todesunfähig macht, wenn er das Gefühl hat, das Nötige im Leben nicht vollends getan zu haben. Diese Todesunfähigkeit gibt dem Menschen jedoch auch die Zeit, um sich sozusagen rechtzeitig von materiellen Dingen zu lösen und somit seinen eigenen noch unerfüllten, ungelebten Wünschen zu widmen.

Alleine- und einsam zu sein, wird mit einer negativen Erfahrung in unserer Gesellschaft verbunden. R. Marten formuliert es als Angst beim Sterben, indem man sich von Menschen, zu denen ein nahes Verhältnis bestand, verlassen fühlen kann.

Für Norbert Elias tritt das Erlebnismotiv des Alleine-Sterbens in der Neuzeit häufiger zutage als je zuvor. "Der besondere Akzent, den in der neueren Zeit die Vorstellung erhält, daß man im Sterben allein ist, entspricht dem stärkeren Akzent, den in dieser Periode das Empfinden gewinnt, daß man im Leben allein ist". (ELIAS 1982, S. 90)

Dabei haben Sterbende, die das Leben loslassen und wenig Angst vor dem Tod empfinden die Kraft und Fähigkeit, bewußter Abschied nehmen zu können. Mit dem Gefühl eines erfüllten Lebens sowie einem zufriedenen Blick auf das vergangene Leben, fällt dieser Abschied wesentlich leichter.

Abschiedsstunden sind sehr bedeutsam, da sie bewußt machen, daß der Tod mit Trennung verbunden ist. Der großen Angst, in Frieden diese Welt zu verlassen, kann begegnet werden, wenn rechtzeitig Abschied genommen wird. Dies nicht erst am Ende des Lebens, sondern in Form einer entsprechenden Einstellung während des ganzen Lebens.

Wenn ich an Abschied denke, komme ich wieder zum dem Vergleich mit meiner Reise. Abschiednehmen, wo und wie auch immer, gilt als Antizipation des Todes und so plausibel es sich auch gibt - das Bild des Abschieds ist das Zeichen einer Todesidylle. Es bedeutet sich noch einmal in die Augen zu sehen und die Hand zu reichen, im Sinne der letzten Berührung, sowie den letzten Blick und Gruß an Hinterbliebene zu richten. Das Loslassen von sich und der Welt ist verbunden mit einer Zeit der Erinnerung und geht einher mit der Besinnung an schöne und schmerzhafte Bilder im vergangenen Leben.

Meine Frage ist nun, ob und wie eine "innere Ressource", die in jedem Menschen vorhanden ist, genutzt werden kann, um dieser Auseinandersetzung mit dem Abschiednehmen und Loslassen vom Leben begegnen zu können?

Reise in ein Unbekanntes Land

Innere und äußere Wirklichkeit

"Die Menschen haben Angst vor dem Tod, wie Kinder Angst davor haben, ins Finstere hinauszugehen" (FRANCIS BACON zit. in M. KEARNEY 1997, S. 14)

Viele Menschen in unserer westlichen Kultur fühlen sich trotz scheinbar ausgefüllter "äußerer Wirklichkeit" allein und einsam. Wo kann nun dieser Halt gefunden werden für Menschen, die ihr Leben als sinnlos uns leer empfinden, obwohl sie von materiellem Wohlstand und einer Vielzahl von Möglichkeiten umgeben sind. Dies in einer Kultur, in welcher sich nicht nur der Tod, sondern entsprechend auch das Leben als ängstlich und bedrohend auswirken.

M. Kearney, irischer Arzt und Psychotherapeut, begleitet kranke Menschen und bezeichnet diese Angst vor dem Tod nicht als ein Zeichen von Schwäche, sondern zugehörig zum Empfinden von Freude und Schmerz im Leben bzw. im Menschsein. Seine Beschreibung der instinktiven "Urangst" des Menschen vor dem Unbekannten, setzt das damit verbundene Leid in Verbindung mit der sogenannten "Seelenpein". Diesen Urantrieb im Aspekt des menschlichen Geistes, bezieht er auf das Ego, welches zwar in der Sicherheit einer vertrauten und vorhersehbaren Welt gut zurechtkommt, in Anbetracht des Nahen Todes jedoch in eine tiefe Bedrohung gerät. "Beim verzweifelten Versuch zu überleben kann das Ego seine Todesangst bis in die tiefen und unbewußten Schichten des Geistes, nämlich in die >Seele< hineinprojzieren und mutmaßen, deren unbekannte und unvorhersehbare Tiefen seien ihrerseits ein Mikrokosmos des Todes." (KEARNEY 1997, S. 15)

Das in Panik versetzte Ego flieht in einer Überlebensreaktion von der Seele, wodurch es sich von all dem entfremdet, was das Tiefste im Menschen ist. "...so fühlt es sich schließlich völlig einsam und allein und voller Angst und Schrecken in eine Öde der Sinn- und Hoffnungslosigkeit versetzt- in eine peinigende Qual, die die ganze Seele besetzt" (ebd.S.15)

Diese Äußerung der Angst gegenüber dem Tod ist auch ein Teil unserer kulturellen Haltung. Der große Schrecken und die entsprechende Tabuisierung spiegeln sich wieder in einem tiefen Riß zwischen den Bereichen des Rationalen und des Intuitiven, der sich im Geist der westlichen Menschen entwickelt hat.

Ausgehend von diesem Riß, den ich in Zusammenhang mit der Tabuisierung des Todes sehe, möchte ich nun meine Reise ins "Innere" unserer Seele fortführen, um vielleicht eine neue bzw. erweiterte Sicht meiner bisher angeführten Eindrücke zu erhalten.

In Anbetracht meiner Frage "Gibt es ein Leben vor dem Tod?" kann davon ausgegangen werden, daß in unserer Kultur die Wissenschaft überwiegt, in welcher vorwiegend harte Fakten zählen und Werte nicht besonders viel bedeuten. Gründe dafür sind ein Effizienz- und Leistungsdenken, das die Denkweise über den Menschen wissenschaftlich gemacht hat. Auch die Verhaftung zur materiellen Welt bringt eine Wirklichkeit hervor, die lediglich das Sichtbare und Meßbare anerkennt. Daraus resultiert ein Defizit in unserer Kultur, welches sich hauptsächlich auf Wertigkeiten auswirkt, die mit äußeren, materiellen Dingen verbunden sind. Entsprechendes Denken und Wahrnehmen erfolgt dadurch auf extrovertierter Weise.

In welchem Bezug steht nun der Mensch zu seiner introvertierten Seite? Der Seite, die nach innen geht und die mit intuitivem Wissen und mit Gefühlen des Loslassens zu tun hat.

"Die Angst vor dem Tode scheint in der heutigen Zeit in besonders hohem Maße konstelliert zu sein. In ihr offenbart sich die Verlorenheit des Menschen, der die Verbindung mit den numinosen Mächten eingebüßt hat. Zurückgeworfen auf sich selber, fühlt er sich von außen und von innen her gefährdet".

(LILIANE FREY-ROHN 1984, S. 30)

C. G. Jung hat mich in der Annäherung zu dieser Frage sehr angesprochen. Er beschäftigte sich viel mit dem späteren Lebensabschnitt und mit dem psychologischen Aspekt von Sterbevorgängen. Eine eigene Sterbeerfahrung, die er nach einem Herzinfarkt im Jahre 1944 gemacht hat, beeinflußten entsprechend seine Erfahrungen und Gedankenwelt. Seine analytische Psychologie ist von der Auseinandersetzung mit den Inhalten der unbewußten Psyche und vom Sinn der zweiten Lebenshälfte geprägt. Sie wird indirekt als Form einer "Alterspsychologie" angesehen.

Vom Gesichtspunkt des Lebens können das Alter und das Lebensende eine besondere Bedeutung erhalten. Dies setzt voraus, daß das Abnehmen der Kräfte mit nicht allzu großen Einengungen verbunden ist.

Das Leben als ein Ausschnitt des Seins, welches die gelebten Jahre unendlich überragt. Nicht umsonst bezeichnet er das Ende des Lebens als sogenannte "zweite Geburt".

"Der Blick des Alten umfaßt Fernen, die ins Unendliche entfliegen. Die letzten Stufen des Lebens sind die schönsten und kostbarsten, denn sie führen zu jener Fülle, zu der hin innerstes Wesen des Menschen geboren ist". (JAFFE 1984, S. 17).

Gerade im Umgang mit den alten Menschen ist in unserer Kultur gut ersichtlich, daß entsprechende Haltungen sehr auf äußere Werte bezogen sind. Dementsprechend abgespalten erleben wir unser Dasein im Hinblick auf innere Werte.

Auch C.G. Jung unterscheidet in seinem Weltbild zwei Wirklichkeiten. Eine innere und eine äußere, wobei er die Seele als dynamische Einheit zwischen diesen beiden Wirklichkeiten sieht. Sein Therapieprozeß bzw. Individuationsprozeß teilt sich einerseits als Initiation in die äußere Wirklichkeit, welche zum Ziel eine Art Anpassung und Einordnung des Menschen in seine Umwelt hat. Andererseits als Initiation in die innere Wirklichkeit, welche zu einer vertiefenden Selbsteinsicht und Menschenkenntnis führen soll.

Die erste Lebenshälfte wird als Zeit des Wachstums angesehen, in der die Identität ausgeprägt wird, um die Gewinnung von Kompetenzen zu erreichen. Eine Zeit, die von der Identität über soziale, gesellschaftliche und berufliche Positionen geprägt ist, im Sinne von, "was gelte ich in dieser Welt?".

In der zweiten Lebenshälfte kann eine sogenannte Umkehrung und Reifung erfolgen, die mit der Abkoppelung von äußeren Rollen, sowie mit dem Herausbewegen aus der Verhaftung des Materiellen verbunden ist. Erst wenn der Kontakt zum Inneren hergestellt ist, kann der Mensch im Sinne seiner inneren Überprüfung, zur eigenen Wahrheit gelangen.

Die eigene Wahrheit zu erkennen würde bedeuten, daß auch jene Seiten angenommen werden, die im Leben nicht realisiert bzw. zufrieden erlebt wurden. Es hieße auch das anzunehmen, was man nicht als gut und vollständig empfand. Dieses Wachstum besteht unter anderem auch die Trennung und Differenzierung von gelebten und ungelebtem Leben.

Weg der Reifung bis zum Tod

"Die Jungsche Psychologie ist von einem Menschenbild geprägt, das den Menschen in einem umfassenden Sinnzusammenhang sieht, in schöpferischer Wandlung stehend, der fehlende Wandlung als bedrückend erlebt; zudem einem Selbstverständnis verpflichtet, für das alles Geschehen noch eine Dimension über das Offensichtliche hinaus hat und deshalb auch geheimnisvoll bleibt". (KAST 1990, S. 9)

C.G. Jung bezeichnet jene Seiten, die vom Menschen nicht akzeptiert werden können und nicht mit dem entsprechenden Ich-Ideal übereinstimmen, als sogenannte "Schattenseiten". Das Bewußtsein über den eigenen Schatten, scheint für das Sterben von außerordentlicher Bedeutung zu sein. "Der Schatten zeigt uns, daß wir nicht nur so sind, wie wir uns gerne sehen, sondern er konfrontiert uns damit, daß wir gerade das, wogegen wir uns bewußt immer wieder entscheiden, dennoch in unserer Seele auch vorfinden." (KAST 1990, S. 242) Schattenakzeptanz würde bedeuten, daß der Schatten zu uns gehört, indem wir auch das annehmen können, was wir der Welt nicht zeigen wollen und nicht gut und vollständig empfinden. Verena Kast bezeichnete es als "mittleres Erwachsenenalter", das einen deutlichen Aufbruch mit sich bringt und gleichzeitig eine Umwertung der Werte. "Hat man das Erlebnis, in den besten Jahren zu sein, dann weiß man auch, daß keine besseren mehr nachfolgen" (ebd., S. 80). Auch sie spricht von einer Zeit der Wahrheit, in welcher die Größenideen der Jugend entweder erfüllt, teilweise erfüllt oder gar nicht erfüllt wurden. Die Utopien vom Leben werden zu Realutopien. Der Selbstwert bessert sich nicht mehr damit auf, daß vorgenommene Dinge, die noch nicht geschafft wurden in der Hoffnung liegen, diese irgendwann doch bzw. besser zu schaffen. Mit dieser "Zeit der Wahrheit" spricht mich C.G.Jung´s Auffassung besonders an, wenn er davon schreibt, wie wenig Aufhebens die unbewußte Seele vom Tod macht. Seinen Erfahrungen zufolge scheint der Tod für die Seele etwas relativ belangloses zu sein. Vielmehr interessiert das Unbewußte, das "Wie" des Sterbens und ob das Bewußtsein zum Sterben paßt oder nicht.

Zurück zur dieser "Wahrheit", wage ich einen großen Schritt zu Sokrates und seiner philosophischen Einstellung zum Tod. Seinem zentralen Denken oblag es, daß die Philosophie den Leib gering achtet und ganz aus der Liebe zur Wahrheit lebt. "Der Körper ist ein Übel für die Seele auf ihrem Weg zur Wahrheit. Das höchste Ziel des Philosophen ist es die Seele sozusagen >rein< zu haben, ohne ihr Verhaftetsein an den Leib - und das ist im Tod der Fall. Der Tod wird definiert als Trennung von Leib uns Seele" (Looser 1997, S. 111) Die reine vernünftige Einsicht ist das Ziel des Philosophen, im Sinne des ersehnten Moments der Befreiung der Seele von der Behinderung durch den Körper. Der Philosoph geht nicht nur gelassen, sondern freudig in den Tod und findet darin endlich sein Ziel und die Erfüllung seines Wunsches nach der wahren Erkenntnis. (vgl ebd. S. 111)

Das Ziel von C.G. Jung mit dem Individuationsprozeß ist die dialogische Auseinandersetzung zwischen dem Bewußtsein und dem Unbewußten. Dieser Prozeß ist in seiner Gesamtheit ein spontaner, natürlicher, autonomer und in jedem Menschen potentiell mitgegebener Ablauf, innerhalb der Psyche. Der Mensch ist sich dessen zumeist nicht bewußt. Er bildet, wenn er nicht durch besondere Störungen gehindert, gehemmt oder verborgen wird, als "Reifungs- bzw. Entfaltungsprozeß" die psychische Parallele zum Wachstums- und Alterungsprozeß des Körpers. (vgl. JACOBI 1978, S. 109)

Die Selbstannahme ist dabei ein wesentlicher Teil im Denken C.G. Jungs. Die Entwicklung zum eigenen Selbst versteht er als Prozeß der Selbstannahme im Sinne des Annehmens seiner innersten, letzten und unvergleichbaren Einzigartigkeit. Die eigene Persönlichkeit wird mit ihren Ecken und Kanten, als Annäherungsprozeß an sich selbst wahrgenommen. Über den Weg der Seele kann diese sogenannte Selbstannahme erfolgen. Reifen und Denken würde bedeuten, auch Gegensätze zu überwinden. Das Ziel vom Leben sollte nicht im "entweder-oder", sondern bereits rechtzeitig im "sowohl - als auch" liegen. Dies wird auch im Individuationsprozeß als "Einswerden mit sich selbst" bezeichnet.

"Dieses Diagramm versucht eine Anschauung der Totalpsyche zu geben, indem es das Selbst in die Mitte zwischen Bewußtsein und Unbewußtes stellt, sodaß es an beiden teilhat, beide jedoch in seinen Strahlenkranz einfängt" (JACOBI, 1978 S. 130)

Abb. 8: "Die Totalpsyche"

Die Aufhebung von Raum und Zeit

"Vom Tode her fällt das Licht auf das Leben - und nur wer in seiner Seele bereit ist durch das Tor des Todes zu schreiten, erst der wird lebendiger Mensch" (HERZOG zit. in M.L.v.FRANZ 1984, S.95)

Daß Grenzen spürbar werden und nicht mehr grenzenlos viel Lebenszeit vorhanden ist, zeigt sich im Alter, in der Wiederholung von Situationen, als Strukturelement der Zeit. Ich möchte an dieser Stelle auf den ersten Teil meiner Arbeit verweisen, indem es mir um die Deutlichmachung der schnellen Durchquerung von Raum und Zeit in unserer westlichen Kultur ging. Ich schließe daraus, daß alles Weltliche kausal an Raum und Zeit gebunden ist, dies jedoch sehr oft als Begrenzung und Einengung erlebt wird. Auch unser Weltbild, welches von der Technik und ihren Errungenschaften beherrscht ist, kann sich schwer mit einer absoluten Grenze abfinden.

Der Tod wird als Grenze zum Leben gesehen. Einer Lebensgrenze, die gleichzeitig verbunden ist mit der Angst, daß es kein Zurückkehren mehr gibt. Trotzdem, wenn ich an eigene Grenzerfahrungen denke - anhalten - in ein neues Land überschreiten - kommt mir die Erinnerung, daß es gerade in solchen Situationen sehr oft spannend und vor allem wesentlich geworden ist. A. Maslow sieht einen wichtigen Aspekt in Grenzerfahrungen, die er mit einem vollständigen, wenn auch nur augenblicklichen Verlust von Angst und Furchtsamkeit verbindet. "Die Angst vor Desintegration und Auflösung, die Angst vor der Überwältigung durch die >Instinkte<, die Angst vor dem Tod und dem Wahnsinn, die Angst vor der Hingabe an ungezügelte Lust und Emotion - alles das beginnt zu verschwinden oder gerät für die Dauer der Grenzerfahrung in Schwebe". (MASLOW 1985, S. 105).

Eine Grenze kann im Sinne von Begrenzung auch als Schutz betrachtete werden und bringt gleichzeitig mit sich, daß Abstand entsteht und zwar dort, wo die Welt mit ihren Grenzen von Raum und Zeit Abstand erzeugt. Abstand, der sich auch auf den Kontakt zu unserem Inneren auswirkt.

Im folgenden werde ich nun mit einem Exkurs versuchen, die reale Bewußtseinsebene mit ihrem Raum-Zeit Schema zu durchbrechen. Ausgehend vom Phänomen des Schlafes, welchen bereits Homer als den kleinen Bruder des Todes bezeichnete. Er ermöglicht es, die Welt zu verlassen und in eine geheimnisvolle Atmosphäre einzutreten. Den Geist aufgeben und entschlafen gehören dabei zusammen.

Schlaf in Verbindung mit Weggehen, jedoch im Unterschied zum Tod, mit einer täglichen Rückkehr ins Leben. Mit dem Schlaf treten wir aus der Welt, in der wir verhaftet sind durch Raum und Zeit und gehen über in die Welt des Traumes, in dem der Mensch auf das engste mit seinem Leben und seiner Wahrheit verbunden ist. Hier verschwinden Zeit und Raum und über die symbolische Äußerung in Form von Bildern, treten wir in Kontakt mit unserem Innersten. Erinnerungen und Ängste aus dem realen Leben spiegeln sich wieder im Traum und werden in einem "geschützten Raum" erfahren. Auch C.G.Jung folgte in seinen Vorstellungen von der Seele dem Strom seelischer Bilder, die er anhand von Träumen psychologisch gesehen zu erhellen versuchte. Seine Deutung der konstellierten Bilder ging in Richtung auf vereinigende Symbole, die infolge ihrer Überhöhung von Gegensätzen eine erlösende Bedeutung erhielten. Gegensätze von Leiblichkeit und einem Lichtstrahl, von Diesseits und Jenseits, werden durch diese Symbole überbrückt und stehen in Verbindung zu gewissen Ur-Erfahrungen der Menschheit und deren zeitlosem Wahrheitsgehalt. Bestimmte Todesankündigungen waren verbunden mit den Motiven einer Reise, sowie in Form eines unheimlichen Durchganges, der auf die Vollendung des Lebens und auf die Neugeburt des Menschen hindeuten soll. "Wie das Erlebnis der Geburt nicht nur einen Anfang meint, so bedeutet auch das Erlebnis des Todes nicht eine Ende, sondern beides ist jeweils Ende und Anfang. Geburt und Tod durchdringen das menschliche Sein und sind in jedem Wandlungserlebnis gegenwärtig. Jeder Fortschritt zu größerer Bewusstheit ist mit dem Opfer früherer Einstellung verbunden, und immer wird dieses Opfer als todesähnliches Geschehen erfahren. An diesen Durchgang ist die Verheißung echteren und wahreren Lebens geknüpft. " (M.L.v. FRANZ 1984, S. 94)

In Verbindung mit der mittelalterlichen Gesellschaft schrieb ich von der "Vertrautheit mit dem Tode", indem sich die Menschen mit natürlichen Todesvorzeichen in Anbetracht des bevorstehenden Todes auseinandersetzten. Unter der Voraussetzung, daß sich die Menschen in unserem Kulturkreis wieder mehr auf ihr Inneres zuwenden, kann der Traum als moderner Vorbote angesehen werden, der auf bevorstehende Ereignisse, wie unter anderem auf den Tod, hinweist. Er kann mitunter als Regulierung des seelischen Gleichgewichtes gesehen werden, der mitunter auf bewußte Reaktionen das ganze Leben beeinflußt. Leben und Tod könnten ein Stück näher rücken, indem auf eigene Gefühle, Träume sowie auch Empfindungen gegenüber dem Körper wieder mehr "hineingespürt" wird.

Auch dem Aspekt des "Ausgeliefertseins" an Heime, Krankenanstalten etc., kann mit besserem "Bewußtsein" der inneren, sowohl auch äußeren Bedürfnisse besser begegnet werden.

Der amerikanische Psychiater Raymond Moody veröffentlichte seine Erfahrungen mit Menschen, die dem Tode sehr nahe gewesen sind. Er ging dabei seiner Hauptfrage nach, was im Zustand tiefer Bewußtlosigkeit geschieht. Seine entscheidende Betrachtung war die mit dem Bewußtseinsverlust eintretende, gleichzeitige Dissoziation der Psyche, bei der sich das Ich des Sterbenden vom Körper löst. Im nachhinein berichteten diese Personen fast übereinstimmend, daß sie sich in einem anderen, schwer zu beschreibenden Körper vorgefunden haben, der sich wesentlich vom physischen Körper unterschieden hat. Der Körper wurde als schwerelos erlebt, außerhalb der Zeit stehend und nicht von der stofflichen Welt behindert.

Nah-Todeserfahrungen brachten bei vielen Menschen, im Gegensatz zu Träumen, Persönlichkeitsveränderungen mit sich. In mehreren kontrollierten Studien wurde im Anschluß an solche Erfahrungen, bei fast allen Menschen eine statistisch bedeutsame Abnahme der Angst vor dem Tod festgestellt. Der Kern der Veränderung besteht dabei in der Zunahme einer inneren Religiosität.

"Viele Menschen sind nach einem Sterbeerlebnis von der Existenz Gottes überzeugt und geben religiösen und ethischen Werten in ihrem Leben Vorrang vor allem anderen. Sie empfinden eine größere Liebe und Verbundenheit mit allen und allem, mehr Toleranz und Mitgefühl mit den Mensch, aber auch eine höhere Wertschätzung der eigenen Person. Sie wenden sich häufig von materialistischen, äußerlichen Werten ab und nehmen sozialkaritative Aufgaben an. Sie haben Lebensfreude und Selbstvertrauen, fühlen sich aber auch verantwortlicher. Sie suchen Selbsterkenntnis, Lebenssinn und Weisheit, fühlen sich insgesamt "lebendiger" und wissen um die Kostbarkeit der noch zur Verfügung stehendenZeit"

(PSYCHOLOGIE HEUTE 1993, S. 67)

Sterbeerfahrungen werden aus den verschiedensten Kulturen aller Zeiten berichtet. Die ersten positiven Nah-Todeserfahrungen mit Tunnel, Licht und Paradieslandschaft, aber auch die ersten Höllenvisionen wurden bereits im 5000 Jahre alten sumerischen Gilgamesch-Epos gefunden. Raymond Moodys Berichte bestätigen die Annahme der Relativierung des Raum-Zeitgefühls und stellten fest, daß mit dem Ausfall des Bewußtseins zugleich ein Teil der Psyche in eine andere Wirklichkeit hineinzureichen pflegt.

Außerdem scheint die Wahrnehmungsfähigkeit außerordentlich differenziert zu sein und übertrifft die normale Sinneswahrnehmung an Schärfe und Klarheit um ein Vielfaches. Die Erscheinung eines intensiven Lichts, einem Lichtwesen wurde dabei von vielen Patienten als besonders eindrücklich beschrieben.

Abb. 9: "Der Aufstieg in das himmlische Paradies. Die Seelen verlassen den dunklen Weltraum und durchschweben einen kreisförmigen Schacht, den bereits das Ewige Licht durchflutet."

Abb.9: "Der Aufstieg in das himmlische Paradies. Die Seelen verlassen den dunklen Weltraum

und durchschweben einen kreisförmigen Schacht, den bereits das Ewige Licht durchflutet"

C.G. Jung griff noch im 83. Lebensjahr den Gedanken von der relativen Unabhängigkeit der Psyche in Bezug auf Zeit und Raum auf: "Das bedeutet, so schreibt er, daß die beiden Ele-mente Zeit und Raum - Grundvoraussetzungen der Wandlung - für die Psyche relativ belanglos sind. Mit anderen Worten: Bis zu einem gewissen Grad ist die Seele der Wandlung und Vergänglichkeit nicht unterworfen ...." (FREY-ROHN, 1984, S. 82).

Eigene Sterbeerfahrungen und die von ihm abgeleiteten psychologischen Tatsachen, Träume und Vorahnungen empfand er als Beweis, daß die Seele zumindest zu einem Teil, in eine Sphäre relativer oder absoluter Raum-Zeitlosigkeit reicht. In seinem Aufsatz "Seele und Tod" 1954 heißt es "daß die Psyche zutiefst einer raumzeitlosen Seinsform teilhaftig sei und mithin dem angehöre, was unzulänglich und symbolisch als >Ewigkeit< bezeichnet wird. (JAFFE 1984, S. 22). Wobei C.G. Jung in seinen Aufsätzen die Tragik des Todes nicht überging. Seine Trauer galt nicht den Toten, sondern den Überlebenden, die mit der Flüchtigkeit des Daseins, Abschied, Leid und Vereinsamung ertragen müssen.

"Diese Erfahrung einer Grenze, die durch das Leben selbst gesetzt ist, nicht durch das Unvermögen, kann dazu führen, daß man genießen lernt, was ist, daß man sich damit einverstanden erklärt, gewöhnlich zu sein, sterblich zu sein, daß Gewöhnlichsein schon besonders genug ist, daß man sich einverstanden erklärt mit dem, was man dann geworden ist, auch mit dem alternden Körper" (KAST 1990, S. 82)

Das Leben setzt eine Grenze und bildet zugleich eine Chance zur Entwicklung der "Ganzwerdung". Nicht selten entsprechen Erfahrungen, daß der Tod erst dann eintritt, wenn das Ziel dieses Prozesses erreicht ist. Auch bei C.G. Jung vollzog sich in den letzten Jahren eine Art Rückzug in das innere Reich. Das auffallendste war eine schon früh eingetretene Wandlung seines Zeitgefühls. Trotz wacher Präsenz im Hier und Jetzt wurde ihm die Welt mehr und mehr zu einer sich entfernenden und nur noch quasi existierenden Wirklichkeit. "Die Imminenz des Todes und Weltanschauung in conspectu mortis sind in der Tat eigenartige Erfahrungen: Das Gegenwartsgefühl erweitert sich über den Tag hinaus rückschauend in Jahrhunderte der Vergangenheit und vorausschauend in noch ungeborene Zukünfte" (JUNG zit.in JAFFE 1984, S. 26)

Mit meiner Darstellung eines unabhängigen Raum-Zeitgefühles im Schlaf, in Träumen und in Sterbeerfahrungen nähere ich mich einer neuen Form von Zeitempfinden.

Ein Zeitempfinden, das bedeutet, in der Zeit zu sein und keine äußere Uhr kennt, sondern in Verbindung mit einer Art inneren Uhr zur Seele steht.

"Der Kairos des Lebens als Grenze, die jeden Menschen vor Zeitentaumel und Zeitverlorenheit bewahrt. Er schützt den Menschen vor dem "Lebensverschlingenden Chronos" und macht gerade den - lebenszeitlichen - Chronos lebbar." (MARTEN 1987, S. 79)

R. Marten verdankt es dem sogenannten Kairos, daß es im Leben und Handeln nie "die Zeit" sondern "alle Zeiten" gibt, im Sinne von wechselnden, guten und schlechten. Kairos als unbesorgtes "Sichtreibenlassen" wie ein Kind, das versunken ist im Spiel, ohne das Vorübergehen von Zeit und Raum zu bemerken.

Chronos (griech) = Die Zeit, die über das Leben verfügt. Im Gegensatz zu aion, der Lebenszeit. Gemäß Hunger wird in antiker und moderner Spekulation Chronos mit dem Gott Kronos, dem jüngsten Sohn des Uranos und der Gaia, der alle seine Kinder verspies, gleichgesetzt ("Die Zeit frißt ihre Kinder") Vgl. auch Cacciari (1986) sowie das Gemälde von Goya "Chronos verschlingt eines seiner Kinder" aus dem Zyklus "Quinta des Sordo".

(BAERISWYL zit. In EGENER 1967, S. 267)

Kairos (griech) = das rechte Maß, der günstige Augenblick, der entscheidende Zeitpunkt. In der Antike bedeute der Kairos zunächst >am rechten Platz< (HOMER), bei HESIOD dann die zu beachtende Norm der treffsicheren Wahl; später trat das zeitl. Moment stärker hervor. Als subjektiver Zeitbegriff stand er im Gegensatz zum Chronos, der gleichförmig fließenden Zeit. So wurde Kairos zum günstigen Augenblick, der dem einzelnen Menschen schicksalhaft entgegentritt, aber von ihm auch als der rechte Moment sinnvollen Handelns erkannt und genutzt werden muß.

(ENZYKLOPÄDIE BROCKHAUS 1990, S. 329)

Zeitmaße jenseits von Chronos

Vom zyklischen und rhythmischen Zeitempfinden

Zurück von meiner Seelenreise, kehre ich nun wieder ein, in die sogenannte "äußere

Wirklichkeit". Um diesem "Nachhinken der Seele" entgegenzutreten, ist es sozusagen notwendig, sich von äußeren Aufgaben zu lösen, damit die tiefer liegenden Teile der Seele "eingeholt" werden können. R. Wendorf, den ich anfangs bereits in Zusammenhang mit der Nutzung von Zeit zitierte, spricht von der sogenannten linearen Zeitauffassung und vergleicht dabei das vorherrschende Zeitempfinden mit einer Einbahnstraße. Das heißt, daß der Blick in die Zukunft gerichtet ist und die Vergangenheit im Rücken liegt. Vor dieser radikalen Einseitigkeit des Lebens haben sehr viele Menschen Angst und erschrecken sich sehr oft vor schicksalshaften Augenblicken wie dem Tod. Jeder Augenblick zeigt so seine unwiderrufliche, flüchtige Existenz auf. Den Begriff der linearen Zeit bringt Wendorf in Verbindung mit der bruchlosen Kontinuität und Stetigkeit, der gewissermaßen gleich-bleibenden Geschwindigkeit der Zeit. Die Zeitlinie sieht er dazu im Vergleich als endlos, ohne Anfang und ohne Ende. Eine Unbegrenztheit die in zwei Richtungen verläuft und oft als schwierig empfunden wird. Es kann zwar im positiven Sinne mit dieser Offenheit und Unbegrenztheit sehr viel Zukunft und der Möglichkeit von immer Neuem verbunden sein, trotzdem gibt eine solche Zeitauffassung nirgends Festpunkte und bietet vor allem nirgends Ruhe.

Als Gegensatz findet die zyklische Zeitvorstellung, im Unterschied zur linearen Zeit, in der Begrenztheit des zeitlichen Horizonts und im Gedanken der Wiederkehr einen sehr an-schaulichen Ausdruck. In dieser Zeitauffassung ist es nicht nötig, in jedem Augenblick auf alle Möglichkeiten gefaßt zu sein, sondern es gibt bestimmte Erwartungen, die in einer gewissen Frist ihre Erfüllung finden. Jede Tendenz hat ihren vorläufigen, vorübergehenden Charakter, indem sich Linien krümmen und wieder neigen, indem positive und negative Phasen jeweils zu ihrem Abschluß kommen. Es ist die Idee, daß sich im Laufe der Zeit, eine Bewegung nach deren "Umlauf" wieder ihrem Ausgangspunkt nähert und es liegt etwas Beruhigendes in dieser Aufeinanderfolge von Kreisläufen. "Das Ende eines Lebens oder einer Kultur wird von dem Schrecken des Todes, der endgültigen Vernichtung befreit, denn das Verlöschen erscheint als lange vorher bekannt und völlig natürlich oder schicksalsbestimmt." (WENDORF 1988, S. 35)

Wendorf bezeichnet es als Auslaufen einer von vornherein kreisartig angelegten Bewegung. Hier kommt eine Entwicklung zu ihrem sinnvollen Abschluß und in diesem Sinne zu ihrer "Erfüllung". Zur zyklischen Zeitvorstellung gehört inhaltlich auch die Freude an der Wiederholung von Bekannten. Die Wiederkehr von Erscheinungen in zyklischen Zeitabläufen ist ein wesentliches Stück unserer Welterfahrung. Auch das Neue muß nicht mit einem besonders großen Kraftaufwand in Gang gesetzt werden, vielmehr fühlt sich der Mensch von einem vorwärts oder aufwärts erstreckenden Zeitimpuls getragen.

Die Erde, die uns als rhythmische Geschöpfe erschaffen hat, erzeugt ständig ein Mandala miteinander verbundener Zyklen. Die jährliche Reise um die Sonne, die Neigung ihrer Achse, die die Jahreszeiten verursacht und ihre täglichen Umdrehungen, haben einen bedeutenden Einfluß auf unsere Umwelt. Auch der Mensch hat eine innere Uhr, die durch den Rhythmus der Jahreszeiten beeinflußt wird. Jahrtausendelang haben unsere Vorfahren in direktem Kontakt mit den Rhythmen der Natur gelebt. Sie sind bei Sonnenaufgang aufgewacht, haben sich bei Sonnenuntergang zum Schlafen hingelegt und ruhten sich tagsüber immer dann aus, wenn sie das Bedürfnis danach verspürten.

Bei Rhythmus wie Zyklus handelt es sich um verwandte Phänomene. Es geht um ein wiederholendes auf- und ab im Fließen der Zeit, um ein Entschwinden und um ein Wiederkommen. Der Rhythmus als ein zeitliches Urerlebnis, dessen Quelle aus dem Erlebnis der Natur und religiösen Ideen entstammt. In der Naturzeit gibt der Rhythmus das Kommando zur Arbeit und später die Entwarnung. Dieses Wechselspiel ist unumgänglich und auch wohltuend. Man fügt sich in den Lauf der rhythmischen Zeit und verinnerlicht ihn.

Auch religiöse Vorstellungen zählen zu den alten Quellen für das Denken im Sinne von Rhythmus und Zyklus. Mit der religiösen Weihe der Naturvorgänge verstärkt sich die innere Bereitschaft, diese zu respektieren. Man unterwirft sich nicht nur der höheren Gewalt, sondern vertraut gläubig der göttlichen Weisheit und Güte, die den Wechsel zum Heil geschaffen hat.

Aus rhythmischen Denken hat sich das damit stark verbundene selbständige Phänomen der Pause als Kultureigenschaft ergeben. Trotzdem fehlt dieser Entwicklung die damit verbundene positive Wertung der Passivität, des vertrauensvollen "Sichfallenlassens", in eine scheinbar leere Pausenphase.

Dabei ist die Pause ausgehend von der religiösen Tradition mehr als eine physische Erholung durch Nichtarbeiten. Sie gilt als wesentliche Möglichkeit für die seelische Erneuerung, des immer wieder neuen Mutfassens, im Wechselspiel eines wohltuenden Rhythmus. Mit einem besonderen, fast rhythmischen Charakter haben unter anderem das Judentum, das Christentum und der Islam das Erlebnis der Woche mit ihren Höhepunkten und gleichzeitiger Pause am Sabbat bzw. Sonntag geschaffen. Die 7 Tage Woche wurde zwar von den Babyloniern übernommen, ihr wurde jedoch vom Judentum und Christentum ein über den praktischen Nutzen hinaus höherer Sinngehalt verliehen. Die Respektierung dieses Rhythmus ist zu finden in einem der Zehn Gebote, in der entsprechenden Heiligung des Feiertages. (vgl. WENDORF 1988, S. 146)

Im Vergleich dazu entwickelten andere Religionen Vorstellungen vom Entstehen und Vergehen in einem wiederholtem Kommen und Gehen von Weltaltern, sowie von großen historischen Kreisläufen, die sie aufeinander folgen sahen. Sie versuchten vor allem das Leben des einzelnen Menschen als einen Kreislauf des Werdens in einen größeren zeitlichen Zusammenhang einzubetten. "Die Welt legt keine Pause mehr ein. Das Verschwinden eines einzelnen unterbricht nicht mehr ihren kontinuierlichen Gang. Das Leben der Großstadt wirkt so, als ob niemand mehr stürbe" (ARIÈS 1987, S. 716).

Inzwischen hat uns die Zivilisation so geformt, daß wir nicht mehr auf die natürlichen Rhythmen, sondern auf die Rhythmen der Gesellschaft gehorchen, in denen es gilt, Zeiten des Leerlaufes möglichst zu vermeiden.

"Die Bedeutung biologischer Rhythmen liegt in der optimalen Anpassung an die periodisch wechselnden Umweltbedingungen. Sie versetzen den Organismus in die Lage, die wechselnden Bedingungen in einer zeitlich programmierten Welt zu bewältigen - das heißt, das Richtige zur richtigen Zeit zu tun und sich im voraus darauf einzustellen. Indem Rhythmen die Zeit gliedern, können sie als Botschaften der Natur und auch als Orientierungspunkte für soziale Zeitstrukturen dienen. Rhythmizität ist somit nicht nur der Schlüssel zur Zeitlichkeit der Natur, sie ist auch jenes Konzept, das die soziale Welt des Menschen mit der Natur verbindet" ( BAERISWYL zit. In EGENER 1967, S. 263)

An der nächsten Station meiner Reise gehe ich auf die Folgen ein, die aus diesem linearem Zeitbewußtsein entstehen, das auf die Rhythmen und Zyklen der Organismen keine Rücksicht nimmt.

Die schlaflose Gesellschaft

"Die großen Katastrophen der letzten Jahrzehnte sind somit nicht einfach auf menschliches Versagen zurückzuführen, sondern auf die Vernachlässigung der grundlegenden Rhythmen von Tag und Nacht, Ruhe und Aktivität." (BAERISWYL zit. in EGENER 1967, S 249).

Vom äußeren Rhythmus möchte ich nun auf die Wahrnehmung des inneren Rhythmus beim Menschen übergehen. Obwohl alles Leben einem Zyklus von Ruhe und Aktivität unterliegt, warnen Chronobiologen, die Erforscher der vitalen Zeitrhythmen, daß auch der Einklang mit der inneren Uhr mehr und mehr mißachtet wird.

Die Geschichte der Bildung einer kulturellen Zeitordnung hat die Herauslösung von natürlichen Vorgaben mit sich gebracht. Der Mensch schuf Zeitordnungen, die sich weder mit einer inneren, noch mit einer äußeren Natur vertragen. In unserer hektischen Non-Stop-Gesellschaft werden Pausen, Ruhe und Schlaf als ineffiziente "tote" Zeiten angesehen und es gilt, diese so kurz wie möglich zu halten. Dabei entsprach "Ruhe" als das zugleich älteste, volkstümlichste und dauerhafteste Bild des Jenseits. Bis heute noch werden Gebete für die Toten und für die Ruhe ihrer Seele gesprochen. "Wenn die Toten schliefen, so in einem schönen Blumengarten- und zwischen heiligen Blumen lasse er sie ruhen .." (ARIÈS 1987, S. 37)

Zunehmend fremder, im Zuge der Entwicklung zur Produktions- und Leistungsgesellschaft, sind Einstellungen zur Ruhe und zu Pausen geworden. Vergessen ist, daß Müdigkeit, abgesehen von ihrer physiologischen Notwendigkeit, auch eine Form der Welterfahrung und der Erkenntnis ist. Weit bekannter ist die Tatsache, daß gegen Müdigkeit angekämpft werden muß.

Der Mensch kann im Maschinentakt der High-Tech-Welt nicht mithalten. Umso mehr die innere Uhr mißachtet wird, umso häufiger entstehen Krankheiten, soziale Konflikte und umso häufiger wird es auch zu Katastrophen kommen. Viele von technischen Gebrechen, die aus menschlichem Versagen entstehen, sind aufgrund von Übermüdung zurückzuführen. Sie könnten vermieden werden, wenn auf bestimmte Rhythmen, wie z.B. dem Schlaf-Wachrhythmus mehr geachtet wird.

Der Rhythmus scheint menschliches Verhalten auch dann zu bestimmen, wenn keine äußere Uhr vorhanden ist. Untersuchungen bei Schichtarbeitern haben ergeben, daß ihre innere Uhr und das reale Ziffernblatt nicht mehr in Einklang zu bringen sind. Verstärkt drohen diesen Menschen, Depressionen, Herz-Kreislauf-Beschwerden und Magengeschwüre. (vgl. GEO 1999, S. 34)

Jede Körperfunktion sowie das gesamte Immunsystem pulsiert in einem eigenen Rhythmus, der wiederum einem deutlichen Tagesrhythmus unterliegt. Auch der Tod hält sich laut Untersuchungen an einen bestimmten Takt. Er tritt beim Menschen häufig im ersten Morgengrauen und kurz nach Mittag ein. "Schlafes Bruder" sucht den Menschen zu den gleichen Zeiten heim, wie die entspannende Ruhepause und zwar dann, wenn sich der Stoffwechsel verlangsamt und die Körpertemperatur am niedrigsten ist.

Ein Zusammenhang besteht auch zwischen Alter und Zeitgefühl. Je älter der Mensch ist, desto tiefer wird seine Durchschnittstemperatur und umso kurzweiliger empfindet er sein Zeitgefühl. Für ein Lebewesen gibt es keine objektive Zeit, das Zeitgefühl stellt sich über die Funktionen des Stoffwechsels offensichtlich selbst her. Konkret bedeutet dies, daß mit zunehmenden Alter der Botenstoff Dopamin immer spärlicher gebildet wird und je mehr von diesem Stoff aufgeschüttet wird, desto langsamer vergehen die Sekunden.

(vgl. GEO 1999, S. 28)

Mit meinem Exkurs in die sogenannte "schlaflose Gesellschaft", ist es mir wichtig auszudrücken, daß Signale in Form von körperlichen sowie seelischen Symptomen sehr oft ignoriert werden und dies führt zur Unterbrechung von natürlichen Rhythmen und folglich zur fehlenden Regeneration von Körper und Seele. Zu den großen Beobachtern dieser seelisch-körperlichen Signale zählt Milton H. Erickson. Er entdeckte beim Menschen Entspannungs- und Heilperioden, die er als Alltagstrance bezeichnete. Diese werden als natürliche Wahrnehmungen im Alltagsleben erfahren. Ein Bewußtseinszustand, den alle Menschen kennen, der sich im Laufe des Tages, zwischen Schlaf- und Wachsein befindet.

"In solchen stillen Momenten wenden wir uns nach innen. Unsere Träume und Phantasien - das Rohmaterial unserer Weiterentwicklung im Alltagsleben werden ungewöhnlich lebendig, wenn das Fenster zwischen unserem Bewußtsein und unserem Unbewußten sich einen Spaltbreit öffnet. In solchen Augenblicken sind wir unserer Seele am nächsten und können besser als sonst mit unserem inneren Selbst kommunizieren" (ROSSI 1993, S. 20)

Erickson geht es um das Erkennen dieser natürlichen Variationen des menschlichen Bewußtseins im Alltag, in denen der Mensch zur heilsamen Ruhe und Aufnahmebereitschaft gelangen kann.

Auch C.G.Jung schrieb von rhythmischen und wellenartigen Bewußtseinsveränderungen und nahm dabei an, daß sie sowohl bei psychischen Störungen wie auch bei der schöpferischen Arbeit eines gesunden Menschen vorkommen. Für ihn waren jene Grenzzustände der Keim einer bleibenden Bewußtseinserweiterung sowie einer spirituellen Veränderung, die zum Durchbruch schöpferischer Ideen führen. Freud wiederum stellte die Hypothese auf, daß solche Grenzzustände zwischen Bewußtsein und Schlaf in Wirklichkeit Tore zur Kreativität als auch zur Psychopathologie seien, je nachdem wie man diese Bewußtseinsveränderungen betrachtet. (vgl. ebd. S. 25)

Zusammenfassend gesehen erweisen sich elementare Zyklen notwendig um mit Ruhe und Aktivität, sowohl körperliche wie auch psychische Systeme zu beeinflussen. Um Auswirkungen wie Streß, Erschöpfung und psychosomatische Störungen zu verhindern, ist das Erkennen der natürlichen Rhythmen von Körper und Seele von großer Bedeutung. Es klingt so einfach und ist doch so schwierig umzusetzen. Stillehalten, das Gönnen einer Pause und vor allem Ruhe zu gewähren innerhalb eines Zeitempfindens, das als rast- und ruhelos bezeichnet wird. Unter Berücksichtigung dieser inneren Uhr kann die Möglichkeit geschaffen werden, den inneren Einklang zwischen Körper und Seele herzustellen, um auf Streßboten und entsprechend innerliche Bedürfnisse frühzeitig zu reagieren.

Das Frühjahr kommt, wach auf du Christ!

Der Schnee schmilzt weg. Die Toten ruhn.

Und was noch nicht gestorben ist

Das macht sich auf die Socken nun.

(BRECHT zit. in ONKEN 1998, S. 8)

In der Unterwelt des Hades

Die Einbeziehung von Rhythmen und Zyklen ermöglicht es, die Zeit und ihre Signale auf natürliche Weise zu erfahren und somit die inneren Zeichen von Körper und Seele wahrzunehmen. Wie drücken sich nun innere und äußere Signale im Hinblick auf Tod, Verlust und Trauer aus? Mit einem Beispiel aus der Geschichte, möchte ich den "leidenschaftlichen" Ausdruck von Gefühlen darstellen.

In der griechische Antike gibt es viele Spuren von Menschen, die ihren Verlust in sehr aus-drucksvoller Weise Schmerz beklagten. Die Totenklagen in den Werken "Odysee" und "Illias" von Homer gelten dabei als ein unerläßlicher Bestandteil von Todes- und Trauerritualen der griechischen Tragödie. Durch bloßes "Zuschauen" konnten sich die Zuschauer von unerledigter Trauer reinigen. Totenklagen sind Teile uralter Bräuche, die als Urform menschlichen Ausdrucks gelten und denen man heute noch bei vielen Naturvölkern begegnet.

Trotz Unsterblichkeit, von der in der griechischen Antike viel die Rede war, nahmen die Griechen die Zeit der Auseinandersetzung mit dem Tod sehr ernst. Wie im Mittelalter wurde hier viel getötet und gemordet. Das gewaltsame Sterben galt als etwas Selbst-verständliches für die menschliche Gesellschaft. Die entsprechende Begrenztheit und der Gedanke der Unwiederholbarkeit verdüstert daher einen großen Teil der griechischen Literatur.

Gleich bei der Geburt wurde dem Menschen die Lebensdauer und das Schicksal von einer der drei Schicksalsgöttinnen zugeteilt. Sie trugen den Namen "Moira = Schicksal" und waren an sich eine einzige Einheit in drei verschiedenen Erscheinungsformen. Die Anwesenheit der "Geburtsmoira" schloß die gleichzeitige Anwesenheit der "Todesmoira" mit ein und dies bedeutete, daß es eigentlich nichts mehr zu verhandeln gab. Dem Sterblichen ermöglichte dieses Wissen über das eigene Schicksal und den Tod die Erlangung einer Art Schicksalsbewußtsein, um mit diesem in Einklang zu leben.

Mit einer Beschreibung der griechischen Unterwelt möchte ich das Recht des antiken Menschen auf Weinen, Klagen und Anklagen sowie das letztliche Hinnehmen der Unentrinnbarkeit des Schicksals hervorheben, um dieses besser verständlich zu machen.

Diese Unterwelt mit dem Herrscher Pluton wurde als das Reich des Hades bezeichnet.

Ein Reich voller Schattenrisse, ein Nichts, in dem das Chaos gilt. Die Seelen nehmen Abschied und gehen in dieses dunkle Reich der Schemen und Schatten. Nachdem die Seele diesem "Schattendasein" nicht entrinnen kann, besteht ihre einzige Möglichkeit hindurchzugehen. Auch C.G.Jungs Vorstellungen zu Todesankündigungen zeigen in Träumen einen "unheimlichen Durchgang". Im Unterschied zur grausamen Unterwelt des Hades soll dieser Durchgang jedoch auf die Vollendung des Lebens und die Neugeburt des Menschen hindeuten.

In diesem Reich der Schemen und Schatten begegnet man dem Skotos (=Dunkelheit)

und den greisen Göttinen Erinyes, die auch Furien und Maniai (= die Rasenden) genannt werden. Ihre Namen sind: Alekto (= die Unauhörliche), Tisiphone (= die Vergeltung) und Megaira (= neidischer Zorn). Die drei greisen Göttinnen sind Töchter der Nyx (= Nacht) und ihr Vater ist Skotos. Überlieferte Darstellungen zeigen sie als verhaßte Zorn- und Rachegeister mit Flügeln, um so jeden Menschen verfolgen zu können.

Diese grausamen Wesen in der griechischen Unterwelt sorgen für die seelische Zerstörung jener, die sie befallen. Sie gelten als die personifizierten Gewissensbisse von Menschen, die eine Norm oder ein Tabu verletzt haben und sind trotz dem Erleiden großer Schmerzen mit einer reinigenden Kraft verbunden. Diese Begegnungen mit der Schattenwelt können zum Heilswerden des eigenen Selbst zurückführen. Auch hier besteht ein Zusammenhang mit der Vorstellung C.G. Jungs, indem er die Erlangung des eigenen Selbst, ausgehend von der Annahme der sogenannten Schattenseiten, betrachtete.

Ich möchte an dieser Stelle auf die Definition des Wortes "Tabu" hinweisen, welches eng verbunden ist mit Kraft bzw. einer Kraftvorstellung, die sich als MANA bezeichnet. Überall dort wo ein starkes Mana enthalten ist, soll dies als Tabu für andere Menschen gelten.

"Der Tod, der in >Thanatos< personifiziert ist, ist ein Sohn des Nyx (=Nacht). Er lebt mit seinem Bruder Hypnos (=Schlaf) im Schattenreich Tartaros, das wiederum vom Hadesreich durch den Fluß Styx abgegrenzt ist. Thanatos, Hypnos und Styx waren von den Menschen gefürchtet und sogar bei den Göttern verhaßt. Alles, was hinter Styx lag, bedeutete völlige Verlorenheit, Zwecklosigkeit, Leid ohne Ende, unseliges Leben, ja sogar Vernichtung und ewiges Aufhören des Ich. Der grausame Fluß Styx war die endgültige Grenze zu allem Leben. Deshalb umringte dieser Fluß das Tartaros-Gebiet des Hades neunmal." (CANACAKIS 1987, S. 74)

Damit den Seelen die Fahrt über den Fluß Styx gelang, mußten sie auf den Schultern des Fährmannes Charon den Fluß überqueren. Den Toten wurde eine Münze zwischen ihre Zähne gesteckt, um diese Überfahrt bezahlen zu können. Mit feuerspeienden Augen bahnte sich Charon durch den Fluß, wobei dieses Überqueren immer eine Fahrt ohne Rückkehr und Hoffnung bedeutete. Diese Ankunft im Reich der Toten in der griechischen Hölle war furchterregend und mit einer unendlichen dunklen Tiefe verbunden.

Bei der Betrachtung dieser düsteren Farben der griechischen Trauerwelt sind die Trauerszenen in Homers Dichtungen, in denen Frauen und Männer sehr ausdrucksvoll ihren Schmerz hervorbringen, auch besser verständlich.

Ein Großteil griechischen Brauchtums wurde auch vom Christentum übernommen. Die Gestalt Christus trat an die Stelle von Charon. Bei dessen Kreuzigung stimmten seine Mutter Maria, Martha, Maria Magdalena und die Mutter des Lazarus sowie andere Frauen den Klagegesang an. Auch im Alten Testament waren es wehklagende Frauen, welche zur Bereicherung der Trauerrituale beitrugen. (vgl. ebd., S. 77).

Trauerrituale in der griechischen Unterwelt zeigen auf, daß der Umgang mit offener und intensiver Trauer den Menschen half, ihre Angst vor dem Tod und der Unterwelt zu verringern, den Verlust als real zu erleben und den Abschied zu wagen.

Solche Trauerreaktionen, die von Historikern für den gesamten Mittelmeerraum überliefert worden sind, fanden nicht überall Gefallen. Gegen "heidnisches" Brauchtum wurde von den christlichen Kirchen sehr früh Einwände erhoben und die kritische Einstellung zum leidenschaftlichen Ausdruck von Trauer hatte ihre Folgen, die bis heute zu spüren sind.

Meine Reise führt mich nun von der Unterwelt des Hades zum heutigen Ausdruck von Trauer im west- und mitteleuropäischen Raum.

Die Unschicklichkeit der Trauer

"...heute werden Tod und Trauer mit derselben Prüderie behandelt wie ein Jahrhundert zuvor die Sexualtriebe (Gorer zit in. ARIÈS 1987, S. 742).

Im Vergleich zu früher bringt heute der Ausdruck starker Gefühle eher Unsicherheit für das soziale Umfeld. Es herrscht eine große Angst vor, daß die Heftigkeit von Trauergefühlen äußerlich sichtbar wird. Die Unterdrückung von Trauer geht parallel einher mit der Verdrängung des Todes. In unserer Gesellschaft, in welcher Starksein, Leistung und Konkurrenz zu erstrebenswerten Zielen zählen, ist kein Raum für lange Trauerrituale. Der Sprachschatz und der Ausdruck des Mitgefühles bei Tod und Trauer erweisen sich verhältnismäßig armselig. Peinlichkeitsgefühle, Scheu und Unvermögen im Zeigen von starken Gefühlen und Emotionen herrschen sowohl in der Öffentlichkeit wie auch im Privatleben vor. Ein Großteil ritueller Floskeln in Krisensituationen des menschlichen Lebens sind peinlich geworden. Weltliche Rituale erweisen sich zum Teil als gefühlsleer und traditionellen Formeln fehlt die Überzeugungskraft. Tabus verhindern das allzu starke Zeigen der Gefühle, auch wenn diese vorhanden sind.

P. Ariès sieht in Verbindung mit der Ausbürgerung des Todes die Verdrängung von tiefem und anhaltendem Schmerz, der nicht mehr öffentlich gezeigt werden durfte. In Frankreich ist seit etwa 1970 das traditionelle Defilee der Kondolierenden abgeschafft, welches das Aussprechen des Beileids nach dem Gottesdienst an die Familie bedeutete. Todesanzeigen werden mit der trockenen, fast unhöflichen Formel begleitet: Es wird gebeten von Beileidsbezeugungen Abstand zu nehmen und es gilt Haltung zu bewahren. Für einen sensiblen und vernünftigen Mensch heißt es nun, sich während der Trauerzeit durch ein gehöriges Maß von Willen und Charakterstärke, völlig in der Gewalt zu behalten. Das Bedürfnis Trauer öffentlich kundzutun ist scheinbar verlorengegangen. Die unbarmherzige Gesellschaft benennt es als Charakterschwäche, wenn Trauer öffentlich zur Schau gestellt wird und die Tränenkrise wird mit Nervenkrise bezeichnet. (vgl. ARIÈS 1987, S. 742).

Dieser entscheidende Wandel zum Tod und seinen entsprechenden Trauerritualen vollzog sich im 19. Jahrhundert. Ab diesem Zeitpunkt sieht P. Ariès den "Beginn der Lüge" aufkommen. Den Ursprung dieser neuen Hemmungen verbindet er mit der Liebe zum Anderen, die Angst ihm wehzutun und ihn in Verzweiflung zu stürzen. Es bedeutet den Sterbenden zu schützen, indem man ihn über sein nahes Ende im Unklaren läßt .

Tolstoi bringt diesen Wandel sehr gut in seinem Werk "Der Tod des Iwan Iljitsch" zum Ausdruck, indem er von der Lüge am Sterbebett schreibt. Angehörige und Ärzte bezeichnet er dabei als Komplizen in einem Lügengewebe und der Tod rückte immer entschiedener in den Hintergrund. Es begann die Zeit der Verheimlichung, in der sich der Sterbende in die Abhängigkeit seiner Angehörigen und der Medizin begab.

.... "Die Hauptqual für Iwan Iljitsch lag in der Lüge, in der von allen anerkannten Lüge, daß er nur krank und nicht ein Sterbender sei, daß er sich nur ruhig verhalten und die Medizin nehmen sollte und dann alles wieder gut werde. Was immer sie ihm eingaben - er wußte, daß für ihn nichts anderes daraus folgen würde als noch quälendere Leiden und der Tod. Und ihn peinigte diese Lüge, ihn peinigte es, daß sie nicht offen bekennen wollten was sie wußten und was er wußte, sondern ihn belogen und in selber zwangen, an dieser Lüge teilzuhaben. Die Lüge, die sich an seinem Sterbebett breitmachte, mit der sie immer wieder den furchtbaren, feierlichen Akt seines Todes ihren Gesellschaften, Fenstervorhängen und Diners mit Fischspeisen gleichstellten - diese Lüge war furchtbar quälend für Iwan Iljitsch. Und merkwürdig: wenn sie ihm wieder eine dieser Komödien vorspielten, war er oft nahe daran aufzuschreien:>Hört doch auf zu lügen! Ihr wißt und ich weiß, daß ich sterbe. Hört wenigstens auf zu lügen!< Aber er hatte niemals den Mut, das zu sagen". (TOLSTOI 1992, S. 65)

P. Ariès bezeichnet diese Verheimlichung als praktischen Vorteil, indem alle Zeichen beseitigt oder zurückgehalten werden, die den Kranken alarmieren könnten. Insbesondere auch mit der Inszenierung eines öffentlichen Aktes, das mit dem Auftritt des Priesters begann. (vgl. ARIÈS 1987, S. 719) Mit der Beseitigung aller Zeichen sieht Ariès auch die Verdrängung und Verleugnung des Todes, die ab diesem Zeitpunkt zur entsprechenden Tabuisierung führte. Diese "Schonung" bedeutet nicht nur die Rücksichtnahme gegenüber den Sterbenden, sondern brachte auch die Unterdrückung von Leid und Kummer angesichts der Angehörigen mit sich. Mit der Ausbürgerung des Todes macht P. Ariès für mich sehr gut deutlich, daß Tod und Trauer immer mehr in den Hintergrund gerückt sind. Das Ergebnis dieser Entwicklung resultiert in einer zunehmenden Isolation und Verlassenheit sowohl der Betroffenen, wie auch von den Menschen in deren Umfeld.

Abschiednehmen bedeutet nicht nur Verlust zu erleiden, sondern verhilft auch zur inneren Weiterentwicklung. Das Erleben von Trauer kann als Möglichkeit gesehen werden, die Beziehung zu seinem Inneren herzustellen bzw. Nähe zu schaffen. Über das "Zulassen" von Verlust und das "Einlassen" auf den Schmerz verhilft Trauer dazu, wesentliches über sich selbst zu erfahren. Dies mit der Unterstützung von außen, durch ein offenes Zugehen und der Schaffung entsprechender Räume.

Zur Wiederbelebung von Ritualen

"Rituelles Handeln dagegen bringt in dieses gefährliche Chaos Ordnung und leuchtet den Weg aus durch die dunklen Pfade der trauernden Seele" (CANACAKIS 1987, S. 136)

Ich beziehe mich noch einmal auf die methodische Form des Sich-Einübens in das eigene Sterben anhand des ARS-MORIENDI-Büchleins. Dabei ist festzustellen, daß mit zunehmenden Vormarsch der Aufklärung, die offene Form der Auseinandersetzung mit Tod und Sterben verschwunden ist. Sie hat sich im Laufe dieses Jahrhunderts zu einer Distanz zwischen Sprache und dem Ausdruck von Gefühlen entwickelt.

Nachdem alles Symbolische in den Hintergrund gerückt ist, könnte die Wiedereinführung des Rituals als symbolischen Akt, ein Zeichen gegenüber dieser neuen Art von Armseligkeit bedeuten. Es gibt heute noch einige Stammeskulturen, die vieles über die Kunst des guten Sterbens lehren, die sich anhand von Riten den Übergang vom Bekannten ins Unbekannte erleichtern, um äußerliche Angst abzubauen.

"Wenn sich das, was die Seele quält, daraus ergibt, daß wir von den tiefsten Schichten unserer selbst abgeschnitten sind, liefert uns die Weisheit dieser anderen Kulturen einen Hinweis darauf, wie wertvoll es ist, einen rituellen Weg dafür zu finden, von der Oberfläche aus in die Tiefenschichten unserer Erfahrung vorzudringen und mit der eigenen Tiefe vertraut zu werden." (KEARNEY 1997, S. 145)

Diese Rituale sind darauf ausgerichtet, aus eigener Erfahrung eine Vertrautheit zu gewinnen, wenn es darum geht, die letzte Schwelle zu überschreiten. Mir ist bewußt, daß bei dem Wort "Ritual" auch unangenehme Gefühle und Gedanken ausgelöst werden. Viele Rituale, die es heute gibt, machen Ablehnung auch verständlich. Sie erweisen sich oft als trocken, sinnentleert, verpflichtend und starr. Auch verschiedene Formen von Trauerritualen finde ich ungeeignet, angsteinflößend und nicht zeitgemäß, ohne in eine entsprechende Tradition eingebunden zu sein.

Gute alte Rituale haben früher durch Unterstützung, Solidarität, Anteilnahme und Verständnis für Entlastung gesorgt, sodaß die Menschen weniger Angst vor Tod und Trauer empfanden.

J. Canacakis nahm im südgriechischen Raum an Trauerritualen teil und erlebte dort, wie Menschen in die Lage versetzt wurden, Trauer solidarisch in sicherer Begleitung zu erleben und zu begleiten. In diesen Trauerritualen erfuhr er eine Befreiung der Menschen, indem sich diese ungehindert in einem geschützten Raum mit ihren Gefühlsausdrücken auseinandersetzen konnten. Das Trauerritual gilt dabei als lebensrettender Ort, wo auch die Befreiung von Selbstmordgedanken und Todeswünschen möglich ist. Im Erleben der verschiedenen Stadien kann verhindert werden, daß etwas übersehen, übersprungen, vergessen oder unerledigt bleibt. In den nächsten Monaten nach der Bestattung wird sich um die Hinterbliebenen gekümmert, indem deren Tiere und Felder versorgt werden.

J. Canacakis sieht in der Form von Ritualen, die durch Tradition und Brauchtum festgelegt werden eine Möglichkeit, das Handeln zu strukturieren. Sie regeln und ordnen die Begegnung mit sich selbst, mit den anderen sowie mit dem Tod. Auch die daraus entstehende Trauer, in seinen vielseitigen und komplexen, oft unsichtbaren, nicht jederzeit fühlbaren Zusammenhängen, wird geregelt. Mit seiner eigenen Dynamik kann das Ritual in den unterschiedlichsten Begegnungen vermitteln. Trauerrituale werden auch als strukturierte Heilmethoden gesehen, die kreative Prozesse und schöpferisches Handeln auslösen können.

"In der Wiederholung streift die Gegenwart nicht die Schatten des Gewesenen oder Kommenden, sondern sie bekommt ihren Eigenwert " (PETER GROSS, zit. in EGENER 1967, S. 238)

Die Wiederbelebung von Ritualen oder Zeremonien kann als Form einer psychischen Notwendigkeit oder als eine Art Oase in der Wüste des Alltags gesehen werden. Das Ritual, in dem Religion und Alltag zu einer eigenständigen Ausdrucksform gelangen als symbolischer Raum, der zwischen dem harten Äußeren und dem weichen Inneren liegt. Gerade an der Seite von Kindern ist gut ersichtlich, wie kleine eingespielte Rituale, in einer stets wiederkehrenden Abfolge von Tätigkeiten, höchstes Glück und Zufriedenheit bedeuten. Kinder haben ein untrügliches Gespür für jene Augenblicke, die das gesicherte Jetzt gefährden könnten. Diese Gefährdung kann in Übergangssituationen liegen, wie im Übertritt in eine andere Zeit und in angsteinflößenden Momenten, in denen das Bekannte unbekannt zu werden droht. Ihre kleinen Gewohnheiten haben im klassischen Sinn rituellen Charakter, es sind Strategien der Selbstvergewisserung und nehmen Angst. Die Selbstverständlichkeit, die daraus mit der Zeit entsteht, vermittelt ihnen das Gefühl des Eingebundenseins und der Zugehörigkeit. (vgl. PSYCHOLOGIE HEUTE 1994, S. 35)

Auch für alte Menschen wird das Ritual zum wichtigen Bestandteil in der Auseinandersetzung mit dem Tod angesehen. Feste und Feiern zählen zum wichtigen Bestandteil und Ort, lebensgeschichtliche Gespräche zu führen. Das Ritual bietet hier die Möglichkeit Lebensbilanz zu ziehen, denn es kennt keinen Tod und macht die Bilanz des bisherigen Lebens zur Garantie seiner Fortsetzung.

"Für die gefeierten Alten läßt sich erwarten, daß das Fest selbst zur Metapher wird und durch seine Inszenierung die Verwandlung archaischer Ängste vor Krankheit und Tod in späte Freiheit und Gelassenheit ermöglicht.". (SPRINKART zit. in GÖCKENJAN 1988, S. 252)

Feste im Kreise der Familie als Prozeß der Lebensbilanzierung können die Chance bieten Integrität zu erreichen, um sich so mit der Begrenzheit des eigenen Daseins zu versöhnen und dieses zu akzeptieren.

"Für Gruppen wie für Individuen bedeutet Leben unaufhörlich sich trennen und wieder vereinigen, Zustand und Form verändern, sterben und wiedergeboren werden. Es bedeutet handeln und innehalten, warten und sich ausruhen, um dann erneut, aber anders zu handeln. Und immer sind neue Schwellen zu überschreiten: die Schwelle des Sommers oder die des Winter, der Jahreszeit oder des Jahres, des Monats oder der Nacht. Die Schwelle der Geburt, des Erwachsenwerdens, die Schwelle des Todes und - für die, die daran glauben, - die Schwelle zum Jenseits." (GENNEP zit. in PSYCHOLOGIE HEUTE 1994, S. 35)

Rituale bieten die Möglichkeit das Leben zu ordnen. Weite Savannen des Lebens, die als schutzlos vorgefunden werden, können wieder bewohnt und zu Vertrauens- bzw. Ordnungsinseln gemacht werden. Die Symbole dieser Ordnung sind bedeutungsvoll. Es geht darum sie zu inszenieren, indem ihnen Bedeutung verliehen wird. Dinge, die im Alltäglichen aus Routinehaftigkeit untergegangen sind, können in der Wiederbelebung von Ritualen ein Versuch sein, das Allzuvertraute so zu beleuchten, daß es wieder Ausstrahlung erhält.

An der letzten Station meiner Reise versuche ich nun eine Gemeinsamkeit zwischen dem ersten und dem zweiten Teil meiner Arbeit zu finden. Im Anbetracht von Kronos, mit seiner Schnellebigkeit und Zeitknappheit, sowie dem Kairos, das bedeutet "in der Zeit" zu sein und den rechten Moment sinnvollen Handelns zu erkennen und zu nutzen.

Ein Ausblick

Die Überwindung der Gegensätze

"SolcheMenschen erkennen die Tatsache an, daß jeder Mensch gleichzeitig gut und schlecht, männlich und weiblich, erwachsen und kindlich ist. (MASLOW 1985, S. 54)

Auf meiner Suche nach einer Gemeinsamkeit in den von mir dargestellten Gegensätzen, näherte ich mich mit der Theorie von A.Maslow an. Er geht davon aus, daß in der inneren Natur des Menschen Gegensätze enthalten sind, die es zu überwinden gilt. Für ihn ist der menschliche Wachstums- und Reifungsprozeß das Erkennen von Gegensätzen. Ähnliches gilt für C.G.Jungs "Annahme der Schattenseiten". Maslow bezieht sich auf die innere Natur im Menschen, die Gegensätzliches beinhaltet, trotz Grenzen die scheinbar einander ausschließen und unvereinbar sind. Er geht dabei vom Verständnis zur Welt aus und wie diese wahrgenommen wird.

Maslow unterscheidet zwei Arten der Wahrnehmung. Eine vom Bedürfnis beeinflußte Wahrnehmung (vgl. Bedürfnispyramide Maslow) und eine vom Bedürfnis unbeeinflußte (wachstumsmotivierte) Wahrnehmung. Menschen die vom Bedürfnis nicht beeinflußt sind erkennen das Wahrgenommene leichter. Sie können gleichzeitig Gegensätze, Dichotomien, Polarität, Widersprüche und das Unvereinbare unterscheiden. Er spricht vom "reifen Menschen", der diese Gegensätze erkennt, sie überwindet und lernt, den rechtzeitigen Weg von "entweder - oder" zum "sowohl - als auch" zu gehen. Unter rechtzeitig versteht Maslow wohl, daß die Akzeptanz der Gegensätze nicht erst beim Sterben erfolgt, sondern bereits zu Lebzeiten.

Weiters sieht er auch zwei Kräfte, die im Menschen vorhanden sind: Einerseits negative Kräfte, die sich durch Furcht vor Bedrohungen gegenüber der äußeren Welt auswirken und denen mit Sicherheitsdenken begegnet wird. Diese Kräfte sind auch mit Angst vor dem Risiko und Ängsten vor dem Getrenntsein verbunden. (vgl. mein Kapitel zur "Angst vor dem Ungewissen). Andererseits die positiven Kräfte, die zur "Ganzheit" drängen und Vertrauen haben in die äußere Welt, die ohne Bedrohung erlebt wird. Wachstum als dynamischer Prozeß, der Angst und Furcht zu überwinden hilft und wesentlich zur Eigenverantwortlichkeit im Leben beiträgt. " Es ist deshalb nützlich, das Wachstum oder den Mangel an Wachstum als ein Resultat der Dialektik zwischen wachstumsfördernden und wachstums-hemmenden Kräften zu betrachten" (MASLOW 1985, S. 204)

J. Jacobi sieht beide Anteile der Gesamtpsyche, Bewußtsein und Unbewußtes miteinander verknüpft und in einem lebendigem Bezug zueinander stehen. Diese Ganzheit bezeichnet sie als relativen Begriff, dessen Bewältigung eine Aufgabe für den ganzen Lebensweg bedeutet und gleichzeitig als Vorbereitung für den Tod gilt. Der Tod und die Geburt gehören dabei unzertrennlich zum Leben. Mit dem Älterwerden schließt sich der Zyklus des menschlichen Lebens und Anfang und Ende fallen wieder zusammen.

"Ist diese Aufgabe richtig vollendet, so muß der Tod seine Schrecken verlieren und sinnvoll in das Gesamtleben einbezogen werden können." (JACOBI 1978, S. 148)

Es ist mir bewußt, daß Menschen in ihrem Wesen unvollkommen und unvollständig sind. Daher sind Begriffe wie Vollkommenheit, Ganzheit und Selbstverwirklichung menschliche Idealziele, die nicht zu erreichen sind, denen wir uns nur in unseren Grenzen annähern können.

In der Entwicklung von Gefühlen wie der Lebensfreude, der Glückseligkeit, der Gelassenheit, Freude und Ruhe kann Vertrauen in die eigene Fähigkeit hergestellt werden, Angst vor Schmerz, Furcht, Verlust oder Bedrohung zu bewältigen. (vgl. MASLOW 1985, S. 60) Der gesunde Mensch ist imstande, die innere und die äußere Welt in sein Leben zu integrieren, er muß keine davon aufgeben und kann auch beliebig hin und her wandern. (vgl. ebd. S. 211)

Ängste vor dem Unvertrauten, vor der Wandlung und Vergänglichkeit des Lebens sowie vor der Ungewißheit des Todes, gehören unvermeidlich zu unserem Dasein. Sie sollen nicht verdrängt werden, sondern ihr Erkennen kann Aufforderungscharakter haben und den Impuls des Überwindens mit sich bringen.

Ausweichen und Verdrängen bedeutet stagnieren bzw. tabuisieren. Ängste können mit Gegenkräften wie Mut, Vertrauen, Demut und Hoffnung angenommen werden. Sie bieten uns die Möglichkeit zur Weiterentwicklung im Leben und im Umgang mit dem Tod.

Reife, Gesundheit und Selbsterfüllung sind wesentliche Werte in Bezug auf die Wahrnehmung der inneren und der äußeren Wirklichkeit. Mit diesen Werten kann die Fülle des Lebens erreicht werden. Die Überwindung von Gegensätzen ermöglicht die Versöhnung mit sich selbst. Dies bedeutet, Versagen oder Angst stehen gegenüber von Vertrauen und Zuversicht nicht im Vordergrund, sondern sind beim reifen Menschen integriert.

Mit dem Erkennen, daß Tod und Leben ineinander verwoben sind und zusammengehören, kann auch das Ende des Lebens nicht als Beendigung sondern als Vollendung angesehen werden. Dazu ist das Bewußtsein notwendig, daß unser Leben nicht nur von Kronos, sondern auch von Kairos, das bedeutet "in der Zeit zu sein" bestimmt wird.

Der Weg meiner Arbeit war darauf ausgerichtet, "zeitgenössische Phänomene" linearen und zyklischen Zeitbewußtseins, Zeitknappheit und Ruhe, den Wert von alten und jungen Menschen, etc. sowie das Leben und den Tod gegenüberzustellen. Es stellt sich nun für mich heraus, daß diese scheinbaren Gegensätzen einander nicht ausschließen, sondern daß beide Seiten im jeweils anderen enthalten sind. Dadurch kann die Fülle von Erlebnissen als Reichtum erkannt werden, und es ist dem Menschen möglich, das was ihm widerfährt in Einklang mit sich selbst zu bringen.

Die letzte Abbildung, das "Rad des Lebens" stellt einen Kreis dar, welcher als Symbol für Ganzheit gilt. Der Kreis, den schon Platon als die vollkommenste Form aller Formen begriff, als eine Abbildung der Gestalt des Weltganzen, das ebenfalls als Kreis angenommen wird. Auch bei C.G.Jung spielen sogenannte "Mandalas", eine große Rolle, die im Sinne auf die Einigung von Gegensätzen, in der inneren und der äußeren Realität zu finden sind ("mittlerer Weg). Die Deutung seiner Träume mündet durch die Überhöhung von Gegensätzen in einer Art Symbolvereinigung und soll dadurch eine erlösende Bedeutung erhalten. Die Kreisbewegung ist psychologisch gesehen die Parallele zu dem bewußt erfahrenen Individuationsprozeß.

"Die Kreisbewegung hat demnach auch die moralische Bedeutung der Belebung aller hellen und dunklen Kräfte menschlicher Natur, und damit aller psychologischen Gegensätze, welcher Art sie auch sein mögen. Das bedeutet Selbsterkenntnis durch Selbstbebrütung." (MASLOW 1985, S. 139)

Die Erkenntnis der hellen und dunklen Kräfte in unserer Natur geht mit dem immer-währenden Wandel einher, unser Leben und unseren Tod zu bejahen mit der Fülle des Lebens und dem Tode, mit dem wir unseren Lebenskreis schließen.

"Der Kreis unseres Daseins schließt sich mit dem letzten Schritt ins große Unbekannte, aus dem wir mit unserem ersten Schritt heraustraten." (RIEMANN 1986, S. 209)

Abb. 10: "Rad des Lebens. Es gilt als Abbild des tibetischen Glaubens und zeigt im äußeren Rand die Lebensstadien und gleichzeitig die Bewußtwerdungsprozesse des Menschen"

Schlußfolgerungen

Aus der Zeitknappheit und dem Erlebnisdrang in unserer Kultur geht hervor, daß dies zu einer zunehmenden Ausblendung von Tod und Sterben in fast allen gesellschaftlichen Bereichen geführt hat. Der Druck, mit dem wir im Hinblick auf Leistung und Produktion ausgerichtet sind und gleichzeitig die Hoffnung ewig jung zu bleiben, läßt uns immer weniger Raum und Zeit für Alter, Krankheit und Tod. Diese Entwicklung führte dazu, daß wir die Verbindung zu unserer inneren Uhr verloren haben.

Konsequenzen sind verbunden mit Lebensangst, Entfremdung vom Leben und von der Natur, Unsicherheit, Zukunftsangst und Gefühllosigkeit. Diese drücken sich mit "ent-sprechenden" leib-seelischen Krankheiten aus.

Der Vergleich mit dem Mittelalter zeigt, daß in Zeiten "des öffentlichen Todes" infolge von Seuchen, Hunger und Krieg, der Tod "greifbar" war. Die Zeit der Schwarzen Pest galt als Wendepunkt, seitdem wurde der Tod nicht mehr "hingenommen". Das Leben bestimmte sich nicht mehr vom Tod her. Nach der Forderung von R. Descartes wirkte sich das Leben nun umgekehrt auf den Tod aus.

Die zunehmende Tabuisierung des Todes erfolgte durch die Säkularisierung und in der Aufklärung. Der vernunftsmäßige Mensch distanzierte sich ab diesem Zeitpunkt von seinem Körper und von seinen eigenen Gefühlen. Mit Beginn der Medikalisierung begann das Schweigen im Umfeld des Todes. Aufgrund der zunehmenden Angst und dem "Wissen" vom Tod ist das Sterben immer unheimlicher geworden. Trauerzeit ist nicht mehr die Zeit der Leidtragenden in einer gehetzten Gesellschaft, sondern sie wurde Ausdruck des Schweigens der Gesellschaft selbst.

Mit der "Kunst des Sterbens" ist auch die "Kunst des Lebens" verlorengegangen. Dieses wieder zu gewinnen ist möglich, wenn die Zeit als "eigene Zeit" anerkannt wird und das Leben im "Hier und Jetzt" besser erfahrbar wird. Unqualifizierte Abläufe kann der Mensch qualitativ zu "erfüllter Zeit" umgestalten. Dies bedeutet mit Ehrfurcht an sich selbst heranzutreten und Freude an der eigenen Existenz zu erfahren. Dabei gilt es auch Ängste zuzulassen und diese entsprechend auszudrücken.

Mit der Veranschaulichung der sogenannten "Kunst des Sterbens" im Mittelalter wurde mir zunehmend die "Kunst des Lebens" bewußt. Durch die Einbeziehung von inneren Werten, ist der Mensch nicht mehr ausgeliefert an sein Schicksal, sondern kann sich für sein Leben wie auch für seinen Tod selbst zuständig fühlen und Verantwortung übernehmen.

Die "Kunst des Lebens" liegt im Erkennen der wesentlichen Werte im Leben und darin nach Prioritäten zu leben. Das qualitative Erleben und nicht das quantitative Erleben von Lebenszeit schafft die Möglichkeit, den Respekt vor den natürlichen Vorhaben wieder herzustellen. Mit diesem Respekt vor der Natur, dem Körper, dem Geist und der Seele ist es uns wieder möglich, "würdevoller" an die Grenzen unseres Lebens und seiner Vergänglichkeit heranzutreten.

Die Uhr mit ihrer Zeitansage erinnert den Menschen nur daran, daß die Zeit nicht endlos ist. Die Kunst liegt folglich darin, das Leben innerhalb dieser Grenze sinnvoll und bewußt bis zur letzten Stunde zu leben.

Die Tiefe unserer Seele kann dabei als Potential gesehen werden, gesellschaftlich auferlegten Zwängen zu begegnen. Montaignes Gedankengut der Selbstgenügsamkeit und des Ruhegebens müssen wieder einen höheren Stellenwert erhalten.

Auch Rituale, die wir als symbolische Akte in die Schnellebigkeit unserer Zeit einbeziehen, helfen uns wieder mehr Vertrautheit zu gewinnen, wenn die Zeit gekommen ist "die letzte Schwelle" zu überschreiten. Die leidenschaftlichen Klagen in der griechischen Unterwelt sind ein Aufruf an unsere "sprach- und körperlose" Kultur, Emotionen und Gefühle im Umgang mit Leid, Schmerz und Tod wieder "leidenschaftlicher" auszudrücken.

Mein Weg, mich der Enttabuisierung des Todes anzunähern, hat sich erfüllt. Diese symbolische Reise zu mir selbst, hat an der vorläufigen Endstation, ein großes Stück Bewußtseinserweiterung gebracht.

Mit dieser Reise in ein "Land ohne Rückkehr" bleibt nach wie vor ein Gefühl des Verborgenen, Unerklärbaren und vor allem Unerlebbaren zurück. Der Zugang zur Enttabuisierung des Todes ist mit rationalem Erkennen nicht möglich.

Trotzdem erhielt ich an den verschiedenen Stationen meiner Reise Eindrücke, die mir den Einblick sowohl auf das innere wie auch auf das äußere Erleben von Lebenseinstellungen und den entsprechenden Haltungen zum Tod vermittelten.

Mir ist bewußt, daß meine Herangehensweise und meine Lösungsversuche auf individueller Ebene liegen. Konsequenzen auf wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Ebene sind jedoch unbedingt notwendig, um Veränderungen zu Werthaltungen und Lebenseinstellungen herbeizuführen, die auch die Einstellung zum Tod verändern.

Gegensätzliche Haltungen sind im Menschen vorhanden. Es heißt nicht umsonst "Gegen-sätze ziehen sich an". Somit lautet die Antwort auf meine Eingangsfrage:

"Muß das Sterben todernst sein?": - "Das Leben muß nicht todernst sein".

Meine Herangehensweise

In der vorliegenden Arbeit ging es mir darum, Einstellungen zum Leben wie auch zum Tod in unserer Zeit aufzuzeigen. Dabei versuchte ich Ursachen zu finden, die das Thema Tod in der westlichen Industriegesellschaft zum Tabu machten. Wie ich in meiner Einleitung bereits anführte, erfolgte der Zugang zum Thema aus einer praxisbezogenen Erfahrung im Umgang mit einer todkranken Frau. Seit dieser Zeit begann ich aktuelle Zeitdokumente in Form von Zeitungsartikeln, Zeitschriften und entsprechender Literatur zu sammeln. So verfolge ich nun seit ca. 2 Jahren Filme und Diskussionen, die mit dieser Thematik in Verbindung stehen. Auch regelmäßige Veranstaltungen im Rahmen der Hospizbewegung Innsbruck, sowie Symposien zu den von mir inhaltlich gewählten Schwerpunkten, gehörten zu meiner Forschungsarbeit.

Meine persönliche Veranschaulichung erfolgte im Besuch von Friedhöfen und Todesanzeigen, die ich im Hinblick auf deren Gestaltung und Ausdruck durchforstete. Auch die Beobachtung von Menschen in meinem Umfeld, die Art wie sie den Tod von Angehörigen erlebten, sowie ihr Umgang mit den entsprechenden Trauersituationen, gehörte zu meinen Annäherungen.

Einen Großteil meines Gedankengutes beziehe ich auf Dr. Paul Kennedy. Seine Vorlesungen, Seminare sowie seine Leitideen zum Thema Tod und Sterben hinterließen einen großen Einfluß auf meine Arbeit. Auch die psychotherapeutischen Erfahrungen im Umgang mit todkranken Menschen und seine entsprechenden Literaturempfehlungen prägen den Inhalt meiner Arbeit.

Ausgangssituation

Ein sogenanntes Cluster bildete den Ausgang meiner Überlegungen und diente mir als Grundlage, alle Begriffe, die mir mit dem Thema Tod und Sterben wichtig erschienen, zu sammeln. Meine ursprüngliche Herangehensweise war vorerst darauf ausgerichtet, alle Informationen, Literatur etc. zusammenzuführen, die ausschließlich mit dem Wort "Tod" in Verbindung standen. Anhand von meinem Cluster rückte jedoch sehr bald der Begriff "Leben" in Form von Lebenseinstellungen- und haltungen als scheinbarer Gegensatz in den Mittelpunkt. Somit erhielt mein ursprüngliches Vorhaben eine zusätzliche Dimension.

Meine erste Erkenntnis im Umgang mit dem Thema Tod und seiner Verdrängung bestand darin, daß ich den Zugang nur in Verbindung mit der Erforschung aktueller, gesellschaftlicher Lebensauffassungen, als Ursache für diese Tabuisierung, erhielt.

In meinen Vorstellungen zur Aufbereitung der Themenstellung, wollte ich verschiedene Kulturen und ihre Haltungen gegenüber dem Tod einbeziehen. Dies erwies sich jedoch sehr bald als zu umfassend im Rahmen dieser Diplomarbeit. Die Gegenüberstellung mit dem Mittelalter nahm ich deswegen vor, da ich aus den Beschreibungen den Eindruck gewann, daß der Umgang mit dem Tod in dieser Zeit sehr anschaulich und vor allem öffentlich stattgefunden hat. Diesen Einblick erhielt ich über Abbildungen und der Darstellung eines geschichtlichen Überblickes in der Literatur. Auch der Wandel vor dem Hintergrund wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Katastrophen, die sich auf die Einstellungen gegenüber dem Leben und dem Tod auswirkten, dienten mir als guter Vergleich, um auf die heutige Tabuisierung des Todes zu hinzuweisen.

Mein Ziel, das ich im Anschluß meines Clusters zu erreichen versuchte, erwies sich als notwendig, um nicht allzuoft vom Wege abzukommen. Trotz eines von mir angefertigten "vorläufigem Inhaltsverzeichnisses" ließ ich mir den Freiraum für das Hinzuziehen von Einfällen (Exkursen), die ursprünglich nicht unmittelbar mit meinem Thema verbunden waren. Dieses Vorgehen hat sich für meine Arbeit als sehr konstruktiv herausgestellt.

Persönlicher Zugang

"Der Gang der Selbstreflexion verläßt die Ebene der Unmittelbarkeit der Erfahrung, verallgemeinert Erfahrung in Begriffe und kehrt zur Ebene der Erfahrung zurück (ZIEHE zit. in SCHIEK 1982, S. 55).

Mit diesem Zitat möchte ich meine subjektive Herangehensweise deutlich machen, in der auch "Objektives" enthalten ist. Dies betrachte ich aus der Sichtweise, wie Theorie mit Praxis und umgekehrt Praxis mit Theorie verbunden ist. Die Untersuchung von Subjektivem im Enthaltensein oder Miteinbezogensein von Objektivem führte dazu, daß ich anhand meiner Erfahrungen zu Ergebnissen kam, die unter anderem auch auf dem Wissen von anderen beruhen. Selbsterfahrung und Fremderfahrung, die sozusagen in einem dialektischen Verhältnis in meiner Arbeit vorhanden sind.

In meinem Zugang zur Wissenschaft, möchte ich einen wesentlichen Aspekt zu diesem Prozeß anführen. Es handelt sich dabei um Ängste, die ich besonders am Anfang dieser Arbeit, gegenüber meinem eigenen Anspruch und der großen Autorität von "Wissenschaft" empfand.

Diesen Ängsten maß ich ursprünglich sehr destruktiven Charakter bei, indem ich sie als Hindernis betrachtete, die Hemmschwelle eines wissenschaftlichen Prozesses zu übertreten. Ängste die sich auf wissenschaftliche Literatur bezogen, ausgerichtet auf die Frage, ob diese Literatur wissenschaftlich "zulässig" ist oder nicht.

Ängste vor allem, ob meine subjektiven Erkenntnisse, die vorrangig in meiner Arbeit enthalten sind, einem wissenschaftlichen Anspruch genügen. Die größte Angst vor allem, mich durch die Veröffentlichung meiner Gedanken in einer gewissen Weise angreifbar zu machen und der Kritik im Zuge meiner Vorgangsweise konstruktiv begegnen zu können.

Trotz "Verinnerlichung" meiner destruktiven Ängste, kam ich nun am Ende dieses Prozesses zu einer wichtigen Erkenntnis. Im Rückblick auf meine Arbeit stufe ich diese Ängste nicht mehr ausschließlich destruktiv ein, sondern sehe sie vielmehr als Motor, der mir zur Bewältigung meiner Arbeit geholfen hat. Ängste die ich sozusagen "durchstehen" mußte, um Erfahrungen mit einer für mich großen wissenschaftlichen Arbeit zu machen. Den Umgang mit Kritik und Ängsten betrachte ich nun am Ende dieses Prozesses als positives Potential und nicht mehr ausschließlich als Hindernis.

Die Identifikation mit dem von mir gewählten Thema, sehe ich in der Auswahl von ausgewählter Literatur, sowie der Schwerpunktsetzung von Themenbereichen, die ich mir nach dem Kriterium vornahm: Was möchte ich in "meiner" Arbeit enthalten haben. Es war mir auch ein Anliegen, die Wahl meiner Sprache so zu führen, daß sie nicht nur wissenschaftlich ausgerichtet, sondern allgemein verständlich und nachvollziehbar ist. Darunter verstehe ich, daß mir sozusagen mein eigener Text nicht "fremd" ist, sondern mit meinen eigenen Gedanken und Vorstellungen übereinstimmt. Der Aufbau meiner subjektiven Herangehensweise lag darin, eigene Vorstellungen zu entwickeln und Fachliteratur hinzuzuziehen, die ich als förderlich empfand, um meine Gedanken sozusagen zu untermauern. Sachverhalte wurden mir dadurch klarer und bestärkten mich in meiner Vorgehensweise.

Literatur

ARIÈS, Philippe: Geschichte des Todes. 7. Auflage. DTV: München 1995

BECK, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1986

BERR, Marie-Anne: Technik und Körper. Dietrich Reimer Verlag: Berlin 1990

BRUMANN, Uta: Projekttod. Materialien und Projektideen. Verlag an der Ruhr Mühlheim an der Ruhr 1998

BITTNER, Günther: Das Sterben denken um des Lebens willen. Fischer: Frankfurt am Main 1995

CANACAKIS, Jorgos: Ich sehe deine Tränen. Kreuz: Zürich 1987

CONDRAU, Gion: Der Mensch und sein Tod. Kreuz Verlag: Zürich 1991

EGENER, Helga: Leidenschaft und Rituale. Walter Verlag: Zürich 1967

ELIAS, Norbert: Über den Prozess der Zivilisation. 17. Auflage. Suhrkamp: Frankfurt 1992

ELIAS, Norbert: Über die Zeit. Suhrkamp: Frankfurt 1988

ELIAS, Norbert: Über die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen. Suhrkamp: Frankfurt 1982

EVANS-WENTZ, W.Y.: Das Tibetanische Totenbuch. 18. Auflage. Walter-Verlag Zürich, Düsseldorf 1997

GRONEMEYER, Marianne: Das Leben als letzte Gelegenheit. 2. Auflage. Primus: Darmstadt 1996

GÖCKENJAN, G. u. KONDRATOWITZ, H: Allter und Alltag. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1988

HESSE, H: Das Glasperlenspiel. Suhrkamp: Frankfurt a. M. 1996

JACOBI, Jolande: Die Psychologie von C.G.Jung. 2. Auflage Fischer: Frankfurt am Main 1997

JAFFÉ, Aniela, FREY-ROHN Liliane, Marie-Luise von FRANZ: Im Umfeld des Todes. 2. Auflage. Daimon Verlag: Zürich 1984

JUNG, Carl Gustaf: Der Mensch und seine Symbole. Walter-Verlag: Olten und Freiburg im Breisgau 1968

IMHOF, Arthur: Ars moriendi. Die Kunst des Sterbens. Böhlau: Wien 1991

IMHOF, Arthur: Ars vivendi. Von der Kunst, das Paradies auf Erden zu finden. Böhlau: Wien 1992

KAST, Verena: Die Dynamik der Symbole. 2. Auflage. dtv: München 1997

KEARNEY, Michael: Schritte in eine ungewisses Land. Herder: Freiburg im Breisgau 1997

LOOSER, Gabriel: Im Sterben die Fülle des Lebens erfahren. 5. Auflage Walter Verlag: Solothurn, Düsseldorf1998

MARTEN, Rainer: Der menschliche Tod. Ferdinand Schöningh: Paderborn 1987

MASLOW, A. Abraham: Psychologie des Seins. Fischer: Frankfurt am Main 1985

MITTAG, Oskar: Der letzte Weg. Trias: Stuttgart 1997

NASSEHI, Armin: Tod, Modernität und Gesellschaft. Westdeutscher Verlag: Opladen 1989

ONKEN, Julia: Feuerzeichenfrau. Beck`sche Reihe. München: 1998

RIEMANN, Fritz: Grundformen der Angst. Ernst Reinhardt Verlag: München 1986

SAINT-EXUPÉRY, Antoine de: Der kleine Prinz. Arche Verlag: Zürich 1950

SCHIEK, Gudrun: Rückeroberung der Subjektivität. Campus: Frankfurt 1982

STEPHENSON, Gunther: Leben und Tod in den Religionen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 1980

TAUSCH, Anne-Marie, Reinhard: Sanftes Sterben. Rowohlt: Reinbeck 1991

TOLSTOI, Leo N.: Der Tod des Iwan Iljitsch. Philipp Reclam jun. Gmbh: Stuttgart 1992

WANSCHURA, Werner: Sag´ beim Abschied leise "Servus". Kneipp: Leoben 1993

WENDORF, Rudolf: Der Mensch und die Zeit. Westdeutscher Verlag: Opladen 1988

WINAU, Rolf: Tod und Sterben. De Gruyter: Berlin, New York 1984

Lexika

BERTELSMANN-UNIVERSAL LEXIKON Verlag Gmbh: Gütersloh 1992

BROCKHAUS ENZYKLOPÄDIE: 18. Auflage. Brockhaus: Mannheim 1990

HISTORISCHES LEXIKON DER PHILOSOPHIE: Herausgegeben von Joachim Riter und Karlfried Gründer. Band 6: Basel/Stuttgart 1980

Zeitschriften

GEO, Nr. 4. April 1999: Die schlaflose Gesellschaft. Andreas Weber, Peter Ginter S. 14 - 34

PSYCHOLOGIE HEUTE, Heft 1, Jänner 1994. Die Renaissance der Rituale. Katrin Stender S. 32 - 37

PSYCHOLOGIE HEUTE, Heft 6, Juni 1993. Das Jenseits in uns. Michael Schröter-Kunhardt S. 64 - 69

Abbildungen

Abb. 1: ZÖLLNER, Martin: "Tischuhr" 1600/1630. Kunsthistorisches Museum Wien

Abb. 2: ARIÈS, Philippe: Bilder zur Geschichte des Todes. Hanser: München-Wien 1984, S. 158 "Ars moriendi - Der Einfluß der Dämonen" 15. Jhd. Bibliothèque nationale, Paris

Abb. 3: ARIÈS, Philippe: Bilder zur Geschichte des Todes. s.o. S. 121 "Die Pest" Ende des 16. Jhd. Musée d'Historie des la Médicine, Paris

Abb. 4: IMHOF, Arthur: Ars moriendi. Die Kunst des Sterbens. Böhlau: Wien 1991 S. 33 "Ars-moriendi: Achtes Bild, Trost durch Demut", Berliner Staatsbibliothek

Abb. 5: RUHNER, Eberhard: Lucas Cranach - der Älterere. Phaidon Verlag: Köln 1967, S. 46 "Der Jungbrunnen" 1546. Berlin-Dahlem, Staatliche Museen

Abb. 6: CONDRAU, Gion: Der Mensch und sein Tod. Kreuz Verlag: Zürich 1991 S. 362, 363 "Die Stufen des Alters" Kupferstich Frankreich - Privatbesitz

Abb. 7: CONDRAU, Gion s.o.S. 288 "Alter und Tod" 1878 Hans Thoma, Öffentliche Kunstsammlung, Kupferstichkabinett, Basel

Abb. 8: JACOBI, Jolande: Die Psychologie von C.G.Jung 2. Aufl. Fischer: Frankfurt 1978; S. 130 "Die Totalpsyche"

Abb. 9: TOLNAY, de Charles: Bosch Hieronymus. Holle Verlag: Baden Baden 1965 S. 111 "Der Aufstieg in das Paradies", Dogenpalast, Venedig

Abb.10: CONDRAU, Gion: Der Mensch und sein Tod. s.o. S.437 "Rad des Lebens" Tibet. Malerei 17. Jhd. The Newark Museum, Newark

Quelle:

Manuela Steger: Eine Reise in das Leben - Zeitgenössische Betrachtungen im Angesicht des Todes

Diplomarbeit an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Leopold - Franzens - Universität Innsbruck, Juli 1999

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 09.03.2005

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