Leistungsprinzip und soziale Positionierung behinderter Menschen

Autor:in - Juliane Siegert
Textsorte: Diplomarbeit
Releaseinfo: Magisterarbeit an der MARTIN - LUTHER - UNIVERSITÄT HALLE - WITTENBERG, Philosophische Fakultät Fachbereich Erziehungswissenschaften, Institut für Rehabilitationspädagogik, eingereicht bei Erstgutachter: Prof. Dr. Andreas Hinz, Zweitgutachter: Karsten Exner, am 01.06.2006
Copyright: © Juliane Siegert 2006

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

Beck verkündet 1986 in seinem Werk "Risikogesellschaft", dass "die Leistungsgesellschaft mit ihren Möglichkeiten der (Schein-) Legitimierung sozialer Ungleichheiten sich in Zukunft erst in ihrer ganzen Problematik entfalten wird" (Beck 1986, 159). In öffentlichen Debatten zu Beginn des 21. Jahrhunderts lässt sich eine Wiederbelebung des Themas Leistung in Diskussionen über verstärkte Leistungsorientierung z.B. im öffentlichen Dienst (vgl. Meyer-Timpe 2005), über Elitebildung (vgl. Einhäupl 2004) oder zum Thema Lohn nach Leistung (vgl. Spiewak 2005) beobachten. Der Wunsch nach einem Selbstverständnis als "soziale Leistungsgesellschaft" (Spiegel Online 2006) gibt sowohl der Frage nach der Bedeutung von Leistung innerhalb einer Gesellschaft als auch der Frage, inwiefern soziale Ungerechtigkeiten sich über Unterschiede in den erbrachten Leistungen legitimieren lassen, neue Brisanz. Der Ruf danach, dass Leistung sich wieder lohnen müsse, bzw. die Forderung nach der "Abwendung von der hierzulande angeblich üblichen ‚Gleichmacherei' zugunsten des Prinzips der ‚Leistungsgerechtigkeit'" (Hartmann 2002, 179) verdeutlicht die Bedeutung dieser Fragen. Dass die Leistung des Einzelnen in direkter Verbindung zu seiner Position innerhalb der Gesellschaft steht und dass diese Verbindung eine gerechte ist, scheint eine, in der öffentlichen Wahrnehmung, weit verbreitete Ansicht zu sein (vgl. Kapitel 2).

Es ist vor diesem Hintergrund durchaus interessant und angebracht, zu untersuchen, welche Auswirkungen eine solche Sichtweise auf die soziale Positionierung von Menschen mit Behinderungen hat. Zu diesem Zweck stellt Kapitel 2 zuerst dar, was unter Leistungsgesellschaft, Leistungsprinzip und Leistung verstanden werden kann und in welchem Zusammenhang diese mit der Position von Menschen in einer Gesellschaft stehen. Der Begriff der sozialen Position bezeichnet nach dem Wörterbuch der Soziologie "die relative Stellung [eines Individuums] innerhalb einer Gesellschafts- oder Gruppenstruktur" (Lamnek 2002, 409) bzw. den "Platz in einem sozialen System, der durch den Schnittpunkt der verschiedenen sozialen Beziehungen des P[ositions]inhabers bestimmt ist" (Lamnek 2002, 408). Dieser Platz wird durch den Grad der Entsprechung bestimmter Normen, also des gesellschaftlich Erwünschten, bestimmt (vgl. Neumann 1997, 32). Je stärker ein Individuum - oder eine als solche wahrgenommene Gruppe von Individuen - demnach gesellschaftlichen Werten entspricht, desto vorteilhafter wird ihre Position innerhalb des gesellschaftlichen Beziehungsfeldes sein. Soziale Positionierung bezeichnet demnach den Prozess der Wahrnehmung und Anerkennung des Entsprechens wichtiger gesellschaftlicher Werte (in diesem Fall dem der Leistung) und die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen, Bewertungen und Erwartungen bezüglich des Individuums. Die aus einer Position abgeleiteten Erwartungen an ein Individuum werden in der für dieses Thema zentralen Rollentheorie als soziale Rolle beschrieben. Die Frage nach der sozialen Positionierung behinderter Menschen kulminiert demnach in der Frage nach ihrer sozialen Rolle. Um ein besseres Verständnis für diese theoretischen Zusammenhänge zu erlangen, verdeutlicht Kapitel4 zentrale Aussagen rollentheoretischer Vertreter, nachdem Kapitel 3 das Thema Behinderung näher zu beleuchten versucht hat. Fazit dieser Auseinandersetzung wird die Feststellung sein, dass soziale Rollen als konstruierte Handlungsorientierungen zu verstehen sind.

Hieraus ergibt sich die logische Verbindung zwischen Rollentheorie und Konstruktivismus, der als theoretischer Hintergrund die gesamte Arbeit durchzieht. Diese Verbindung mag auf den ersten Blick als ungewöhnlich erscheinen, da konstruktivistische Überlegungen rollentheoretische im wissenschaftlichen Diskurs quasi abgelöst haben und erstere als veraltet erscheinen können. Die Darstellung sozialer Rollen als verhandelbare Handlungsorientierungen ergibt sich jedoch nur aus ihrer Konstruiertheit, weshalb diese theoretische Verknüpfung auch bei führenden Vertretern der jeweiligen Theorierichtung (vgl. Mead 1973; Berger/Luckmann 2003, 78f.) zu finden ist und von daher durchaus keine Ungewöhnlichkeit darstellt. Ausführungen zur Theorie des Konstruktivismus wird kein eigenes Kapitel gewidmet. Vielmehr sollen die relevanten Aspekte jeweils im Zusammenhang mit den bearbeiteten Themen (Leistung, Behinderung, soziale Rolle) angesprochen und diskutiert werden.

Die Anwendung der Rollentheorie auf die hier zu bearbeitende Fragestellung lässt sich noch mit einem weiteren Aspekt erklären: Wie Kapitel 5 darstellen wird, lassen sich, auch historisch gesehen, gewisse Gemeinsamkeiten in der Wahrnehmung von und in den Erwartungen gegenüber behinderten Menschen feststellen. Dieser Sachverhalt ließe sich ohne Rückgriff auf das theoretische Modell der sozialen Rolle nur unzureichend erklären.

Nachdem Kapitel 4 Behinderung als zugeschriebene soziale Rolle dargestellt und Kapitel 5 diese Rolle unter Rückgriff auf traditionelle Wahrnehmungen behinderter Menschen inhaltlich näher beschrieben hat, gehen Kapitel 6 und Kapitel 7 der Frage nach, wie diese konkrete Rolle behinderter Menschen unter dem Zuschreibungskriterium der Leistung konstruiert werden könnte. Kapitel 6 bezieht sich in diesem Zusammenhang auf den gesellschaftlichen Bereich der Erwerbsarbeit, da dieser in einer sich als Leistungsgesellschaft verstehenden Gesellschaft eine entscheidende Rolle für die Erbringung von Leistung spielt, welche für die soziale Positionierung von Individuen augenscheinlich von hoher Bedeutung ist. Da, wie dargestellt, soziale Rollen eng im Zusammenhang mit sozialen Beziehungen zu verstehen sind; "[d]a alle sozialen Beziehungen eines Individuums (auch) Rollenbeziehungen sind und rollentheoretisch verstanden werden können" (Meyer 2000, 26), beschäftigt sich Kapitel 7 mit der Konstruktion der Rolle behinderter Menschen in Bezug auf den gesellschaftlichen Bereich sozialer Beziehungen. Von besonderem Interesse ist hier die Beziehung zu Vertretern von auf Behinderung spezialisierten Professionen. Es stellt sich hier die Frage, wie diese Vertreter in der Konstruktion ihres Selbstverständnisses und damit ihrer eigenen Rolle zur Konstruktion der Rolle behinderter Menschen beitragen (vgl. Kapitel 7). In Kapitel 8 sollen abschließend Schlussfolgerungen der hier dargelegten Diskussion sowie ein Ausblick auf weitere Forschungsfragen vorgeschlagen werden.

Ausgangspunkt der Arbeit stellt, wie bereits erwähnt, die Annahme dar, dass Leistung im aktuellen öffentlichen Diskurs wieder an Bedeutung gewinnt und sich die Gesellschaft Deutschlands im 21. Jahrhundert hauptsächlich als Leistungsgesellschaft versteht. Interessanterweise scheint dieses Selbstverständnis jedoch von aktuellen Studien zur Bedeutung von Leistung für das Erreichen bedeutsamer gesellschaftlicher Positionen konterkariert zu werden. Dass die Proklamation einer Leistungsgesellschaft - also einer Gesellschaft, in der berufliche und soziale Positionen nach der individuellen Leistung des Einzelnen verteilt werden (vgl. Kapitel 2.1) - eher als Legitimationsideologie bürgerlicher Interessen denn als Beschreibung tatsächlicher Zusammenhänge verstanden werden kann, wird von mehreren Autoren nahegelegt (vgl. Dreitzel 1976, 33/38; Jürgens 2000, 16; Hartmann 2002, 16/179f.). So belegt Hartmann in seiner Studie über deutsche Leistungseliten eindrucksvoll, dass - im Gegensatz zu den für eine Leistungsgesellschaft angenommenen Verteilungsprinzipien - die soziale Herkunft für das Erlangen einer Spitzenposition in der deutschen Wirtschaft, Justiz, Politik oder im Hochschulwesen eine sowohl direkt als auch indirekt vermittelte starke Rolle spielt (vgl. Hartmann 2002). Zwar wird auf den Fiktions- und Ideologiecharakter der Leistungsgesellschaft im Laufe der Arbeit immer wieder Bezug genommen. Trotzdem will die hier vorliegende Arbeit versuchen, von dem Selbstverständnis einer Leistungsgesellschaft ausgehend der sich daraus ergebenden sozialen Positionierung und Rollenzuweisung behinderter Menschen nachzugehen. Denn letztlich geht es, wie dargestellt (und wie im Laufe der Arbeit weiter auszuführen sein wird), bei der Zuschreibung einer sozialen Position bzw. Rolle wesentlich um, in Interaktionen zum Ausdruck kommenden, Wahrnehmungen und damit die impliziten Wertvorstellungen von Menschen und weniger um ökonomisch oder bildungspolitisch tatsächlich bestehende Zusammenhänge. Mit diesem Ansatz nimmt die hier vorliegende Arbeit demnach eine genuin soziologische Perspektive ein (vgl. Bauman 2000, 17f.). Mit der Frage nach der gesellschaftlichen Position und Rolle behinderter Menschen in einer sogenannten Leistungs- oder "leistungsorientierten Gesellschaft" (Sacher 1994, zit. n. Jürgens 2000, 16) versucht diese Arbeit, der durch das Eingangszitat von Beck aufgeworfenen Frage nachzugehen, inwiefern eine sich so verstehende Leistungsgesellschaft zur Legitimierung sozialer Ungleichheiten beizutragen vermag.

2. Leistungsgesellschaft

Zentrales Moment der Leistungsgesellschaft ist nach Bolte das ihr zugrunde liegende Leistungsprinzip und die Tatsache, dass Leistung (und die semantisch verwandten Begriffe Schaffen und Aktivität) als Werte an sich höher geschätzt werden als Werte des Müßiggangs oder des "Nichtstun[s]" (Bolte 1979, 11). Eine sehr plastische Beschreibung dieses Sachverhalts findet sich bei Heckhausen, der das öffentliche Selbstverständnis der Leistungsgesellschaft beschreibt als das positive Bewerten von "[...] Plackerei und Betriebsamkeit, von unermüdlichem Fleiß und von Arbeit als letztem Lebenssinn, von unentwegtem Schaffen, von Leuten, die ständig hinter dem noch Unerledigten, hinter vordergründigen und ständig weitergesteckten Zielen herjagen" (Heckhausen 1974, 58). Trotz der Übertreibung, die in dieser Beschreibung liegt, lässt sich erkennen, dass der Begriff der Leistungsgesellschaft immer auch auf gesellschaftliche Werte verweist. Inwiefern die Bundesrepublik Deutschland aus dieser Sichtweise heraus als Leistungsgesellschaft verstanden werden kann, welche Bedeutung also mit dem Leistungsprinzip verwandte Werte haben, wird beispielsweise in Bevölkerungsumfragen beziehungsweise im öffentlichen Diskurs ersichtlich. Nach Aussagen der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) gaben beispielsweise im Jahr 2000 95% (bzw. 94% Ost) der befragten Deutschen an, Leistung und Fleiß seien ihrer Meinung nach wichtige bzw. sehr wichtige legitime Mittel[1], um in dieser Gesellschaft "nach oben zu kommen" (Noll/Christoph 2004, 119). Leistung erscheint demnach als zentraler Wert im Verständnis deutscher Bürger, sowohl aufgrund der hohen Zustimmung bezüglich ihrer gesellschaftlichen Bedeutung, als auch wegen ihrer Einstufung als legitimes, Ungleichheiten rechtfertigendes Mittel. Einen weiteren Hinweis darauf, dass Leistung an sich als Wert betrachtet wird, stellen die immer wieder neu aufflammenden öffentlichen Leistungsmissbrauchsdebatten dar, welche Pensionäre (vgl. Herz 2003), Arbeitslosengeldempfänger (vgl. Rudzio 2005) oder andere Bevölkerungsgruppen mit dem Vorwurf des Ausnutzens und Missbrauchs sozialer Gelder ohne Eigenleistung belegen.

2.1. Leistungsprinzip

2.1.1. Das Leistungsprinzip als Allokationsprinzip

Auf den zweiten Aspekt der hier begonnenen Definition einer Leistungsgesellschaft, das Leistungsprinzip, soll im Folgenden näher eingegangen werden. Das Leistungsprinzip als zentraler Kern der Leistungsgesellschaft bezieht sich vor allem auf ein bestimmtes Verteilungsprinzip, nach dem knappe aber wichtige beziehungsweise begehrte gesellschaftliche Güter, materielle und soziale Chancen nach individueller Leistung zugeteilt werden (vgl. Klafki 1996, 221). Unter Gütern und Chancen werden zumeist Bildungs- und damit verbunden Berufschancen verstanden; also die Möglichkeit, bestimmte berufliche und damit soziale Positionen und ein bestimmtes Einkommen zu erwerben (vgl. Jürgens 2000, 16). Nach Heckhausen wird diese Art der Verteilung gesellschaftlicher Güter mit der Annahme legitimiert, dass Personen mit einer "bestimmten Leistungsqualifikation die entsprechende Zuteilungschance ‚verdient' [hätten] (z.B. Gratifikation oder Güter) oder in der Lage [seien], ihr gerecht zu werden (Positionen und Laufbahnen)" (Heckhausen 1976, 182). Zum Ausdruck kommen hier zwei wesentliche Aspekte des Leistungsprinzips, die einerseits unter das Thema der Vorableistung, andererseits unter das der "Verschwendungsverhütung" (Heckhausen 1976, 61) gefasst werden können. Zuteilung nach Leistungsqualifikationen bedeutet letztendlich, dass diese nicht anhand situativ erbrachter Leistung vorgenommen wird, sondern anhand von Leistungen, die vor der konkreten Zuteilungssituation erbracht wurden und denen eine bestimmte Aussagekraft über die zukünftige Leistungsfähigkeit einer Person und auch über die Art der Leistung, die sie erbringen kann, zugesprochen werden. Auf dieser Grundlage ist die hohe Bedeutung, welche Bildungsabschlüsse in unserer Gesellschaft seit dem 19. Jahrhundert erworben haben, zu erklären (vgl. Klafki 1996, 211). Vorableistungen, so die Annahme, machen u.a. in Form von Qualifikationen Aussagen darüber, welche Möglichkeiten ein Individuum hat, die ihm zuteil werdenden Chancen und Güter auch maximal zu nutzen, so dass knappe Güter nicht durch falsche Zuteilung verschwendet werden (vgl. Heckhausen 1974, 60f.). Die Zuteilung folgt hier also nicht mehr zwangsläufig dem Prinzip der Gerechtigkeit (wer mehr leistet, verdient mehr), sondern dem der sinnvollen Funktionalität (wer die besseren Chancen zur Realisierung der ihm zugeteilten Chancen hat, verdient mehr). Diese Aspekte haben beide ihren gesellschaftlichen Sinn, sind jedoch nicht immer problemlos miteinander zu vereinbaren (vgl. Heckhausen 1974, 62f.).

Gesellschaftliche Güter müssen nach diesem Prinzip der Verteilung also verdient werden. Sie werden nicht mehr nach, vom Individuum nicht beeinflussbaren, Vorgegebenheiten wie Geschlecht, Klasse, Stand, Alter, göttlicher Wille oder Zufall zugeteilt, sondern können im Prinzip von jedem, also auch von Angehörigen bestimmter Bevölkerungsgruppen, die sich nicht durch hohe Privilegien aufgrund ihres gesellschaftlichen Standes auszeichnen, im wahrsten Sinne des Wortes erarbeitet werden. "Die Faszination des Leistungsprinzips liegt darin, dass ihm zufolge jeder sein Schicksal selbst in der Hand hat" (Bolte 1979, 19).

2.1.2. Weitere Verteilungsprinzipien

Zwar will das Leistungsprinzip als ungerecht empfundene Zuteilungsprinzipien, wie das Geburts- oder das Senioritätsprinzip als hauptsächliche Allokationsmechanismen ablösen (vgl. Huber 2000, 730), allerdings lässt sich keine Gesellschaft finden, in welcher es als einziges Verteilungsprinzip auftritt. Einerseits sind als überwunden geltende Verteilungsmechanismen wie die oben genannten längst nicht vollständig ersetzt, wie Studien zur schichtspezifischen Ungleichheit beim Zugang zu höheren Bildungsinstitutionen (vgl. Klafki 1996, 214f.; Hartmann 2002) und zu sozialer Mobilität (vgl. Pollak/Müller 2004) deutlich zeigen. Andererseits stellt das Sozialstaatsprinzip eine bewusste Gegenkonstruktion zum Leistungsprinzip dar, um der Gefahr des Auswucherns einer "uneingeschränkten Leistungsethik" (Schoeck 1974, 68), wie sie von einigen Befürwortern gefordert wird, entgegenzuwirken, da "[d]ie perfekte Leistungsgesellschaft [...] eine unmenschliche Gesellschaft [wäre]" (Bolte 1979, 37). In ihr müssten sich alle, ungeachtet ihrer individuellen Konstitution und Bedingungen gleichermaßen beständig im Wettbewerb mit anderen um die zu verteilenden Güter bewähren. Somit ist der moderne Sozialstaat "der Versuch, die unerwünschten sozialen Folgen eines rein wirtschaftlich orientierten Leistungsgedankens aus humanitären Gründen zu mildern" (Sontheimer 1978, 88).

Wenn in der vorliegenden Arbeit von Leistungsgesellschaft die Rede ist, so wird diese nicht als eine Gesellschaftsform verstanden, in welcher sämtliche Verteilung von Gütern und Chancen ausschließlich nach dem Leistungsprinzip geschieht. Vielmehr kann Leistungsgesellschaft als eine Gesellschaftsform verstanden werden, in der das Leistungsprinzip als hauptsächlicher Legitimationshintergrund sozialer Ungleichheiten dient. Somit bezieht sich auch ein Großteil der sozialen Sicherungsleistungen implizit oder explizit auf die ökonomische Leistungsfähigkeit (auf welche Leistung allzu oft verkürzt wird) einer Person (vgl. Castel 2005, 41)[2]. Eine Gesellschaftsform, in welcher Leistung einen hohen Stellenwert hat, gesellschaftliche Positionen und Güter vorgeblich hauptsächlich nach dem Leistungsprinzip verteilt werden und in welcher das Sozialstaatsprinzip vor allem als Korrekturinstrument gegenüber dem Leistungsprinzip eingeführt wurde (vgl. Kersting 2003, 111f.), kann somit als Leistungsgesellschaft verstanden werden.

2.1.3. Verwirklichungsebenen

Dass im Allgemeinen ein starker Zusammenhang zwischen Leistungsprinzip und Erwerbsarbeit angenommen wird, legen die bisherigen Ausführungen ebenso nahe, wie die Aussage, dass in modernen, demokratisch verfassten Gesellschaften "ungleiche Positionen nicht qua Geburt zugewiesen, sondern über Leistung und Erwerbsbeteiligung, die allen offen steht, erworben werden." (Beck 1986, 197). Diese Formulierung fasst die vorangegangenen Ausführungen lediglich zusammen, bringt jedoch erstmals den Aspekt der Erwerbsarbeit explizit in die Diskussion ein und verdeutlicht die Bedeutung der Erwerbsarbeit für das Wirken des Leistungsprinzips (vgl. Florek 1999, 16). Auf diesen Zusammenhang wird in den folgenden Kapiteln weiter einzugehen sein (vgl. Kapitel 6.1 dieser Arbeit). Es soll jedoch angemerkt werden, dass Leistung und das Leistungsprinzip auch in anderen Bereichen eine entscheidende Rolle spielen. Die "Geste der Arbeit", der das Leistungsprinzip zugrunde liegt, weitet sich auf immer mehr Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aus (vgl. Wulf 2000, 42ff.). Noch eng mit dem Arbeitsmarkt verknüpft ist der Bereich der Bildung. Auch in der Schule und in höheren Bildungsinstitutionen stellt das Leistungsprinzip denjenigen Mechanismus dar, nachdem Begehrtes, hier in der Regel Noten und Beurteilungen, verteilt wird (vgl. u.a. Klafki 1996; Jürgens 2000).

Neben den Bereichen von Bildung und Arbeit, ist besonders der Bereich Sport (vgl. Huber 2000, 730), aber auch der Bereich der Musik vom Leistungsprinzip durchdrungen. Es müssen hier in aller Regel ziemlich hohe Leistungen (verschiedenster Art) erbracht werden, um begehrte Güter (seien es Medaillen, Auszeichnungen, Stipendien oder die Teilnahme an besonders angesehenen Wettbewerben) zu erlangen.

Letztendlich lässt sich auch für Bereiche, die auf den ersten Blick nicht nach dem Leistungsprinzip funktionieren, aufzeigen, dass Leistung unterschwellig auch hier eine Rolle spielt. Die Vielzahl an Erziehungsratgebern legt beispielsweise die Vermutung nahe, dass Kindererziehung letztlich nur eine Frage des richtigen Verhaltens der Eltern ist. "Missrät" ein Kind, so lässt sich dies nach besagter Logik auf mangelnde elterliche Erziehungsleistung zurückführen, was in der Folge nicht selten dazu führt, dass den Eltern dies zum (stillen) Vorwurf gemacht wird[3]. Ganz ähnlich sieht es in einem ebenso privaten und dazu noch sehr intimen Bereich aus: Fitness- und Kosmetikbranche versuchen eindringlich darzustellen, dass auch äußerliche, also körperliche Schönheit keine Frage mehr von Glück oder Unglück ist. "Schönheit gilt in unserer Gesellschaft als Leistung [...]" (Antoni-Komar 2001, zit. n. Posch, 2002, 21). Die unterschwellige Botschaft liegt vor allem in der Betonung der vielfältigen Möglichkeiten und der Eigenverantwortung des Individuums. Werden nur die Anweisungen der jeweils beworbenen Produkte befolgt, dann steht dem schönen Körper nichts mehr im Weg. Auch hier ist also die Vorstellung präsent, durch eigenes Tun, durch eigene Leistung etwas erreichen zu können, was dann belohnt wird (beispielsweise mit Komplimenten und Ansehen oder einem verbesserten Selbstgefühl: "Ich fühl' mich schön mit Jade").

Auch wenn die hier angesprochenen Bereiche höchst unterschiedlich sind, liegt ihnen doch dasselbe Leistungsprinzip zugrunde: Nach Sontheimer bedeutet das "wohlverstandene Leistungsprinzip" nichts anderes als "das Bessere dem Schlechteren vorzuziehen" (Sontheimer 1978, 90). In Bezug auf die Allokationsfunktion des Leistungsprinzips lässt es sich jedoch passender in der simplen Aussage eines "Wer mehr leistet, bekommt auch mehr" zusammenfassen. Diese sehr allgemeine, aber dadurch auf viele Lebensbereiche anwendbare Definition des Leistungsprinzip soll dieser Arbeit zugrunde liegen und in den folgenden Kapiteln bezüglich seiner Implikationen und Konsequenzen näher beleuchtet und mit Leben erfüllt werden. Was sich letztendlich in Bildung, Beruf, Familie und Intimsphäre unterscheidet, ist die Art der zu erbringenden Leistung und die jeweiligen Belohnungen. Darüber hinaus unterscheidet sich sicherlich ebenfalls die Intensität, indem das Leistungsprinzip, oder die Erwartung, Leistung erbringen zu müssen, in den unterschiedlichen Bereichen wahrgenommen werden.

2.1.4. Ursprung des Leistungsprinzips

Grundlegend für die Entstehung und Durchsetzung des Leistungsprinzips war die Vorstellung, Gerechtigkeit in der Verteilung sozialer Chancen erreichen zu können. Seine Befürworter, wie beispielsweise Schmölders aber auch Schoeck sehen Gerechtigkeit und Chancengleichheit am ehesten durch ein Prinzip verwirklicht, in dem individuelle Leistung honoriert und dadurch ein direkter Bezug zwischen der Zuteilung gesellschaftlicher Güter und individueller Aktivität hergestellt wird (vgl. Schoeck 1974, 71; Schmölders 1976, 20). Tatsächlich lassen sich Aspekte des Leistungsprinzips selbst in historisch älteren Gesellschaften, in denen andere Verteilungsprinzipien dominierten, nachweisen (vgl. Bolte 1979, 15ff.). Allerdings gewann es im Zuge des Aufkommen des Bürgertums, welches sich gegen die "Standesprivilegien des Adels" (Dreitzel 1976, 34) durchsetzte, verstärkt an Bedeutung. Zwei Aspekte der europäischen Geschichte können als Motoren der allgemeinen Durchsetzung des Leistungsprinzips vor anderen Verteilungsprinzipien verstanden werden: Zum Einen sind dies die Emanzipationsbestrebungen des Bürgertums in der französischen Revolution, welche sich in der Forderung nach Gleichheit zwischen den Ständen und damit nach Möglichkeiten für das Bürgertums, in höhere berufliche Positionen zu gelangen (vgl. Klafki 1996, 212) ausdrückten. Zum Anderen machte erst die im Zuge der Industrialisierung entstandene Arbeitsteilung (vgl. Heckhausen 1974, 70) eine Beurteilung der Leistung des Einzelnen notwendig.

Die zentralste Vorstellung des Leistungsprinzips betrifft also die der gerechten Verteilung: Jedem nach seiner Leistung bedeutet mit anderen Worten, dass derjenige mehr bekommt, der mehr leistet, so dass letztendlich jeder das bekommt, was ihm zusteht, was er sich verdient hat. Jedoch deuten das Eingangszitat von Beck und auch die Ausführungen zur Verteilung nach Leistungsqualifikationen in Abschnitt 1.1.1 bereits darauf hin, dass das Leistungsprinzip als Allokationsprinzip nicht immer so gerecht ist, wie es sich den Anschein gibt. Um dieser Fragestellung nachzugehen, soll im Folgenden geklärt werden, was sich hinter dem Grundbegriff des Leistungsprinzips, der Leistung, verbirgt und was als Leistung gelten kann.

2.2. Leistung

2.2.1. Definitionsversuche

Etymologisch betrachtet, bedeutet leisten soviel wie "einer Spur nachgehen, nachfolgen" (Pfeifer 1993, 789). Diese ursprüngliche Bedeutung des Wortes lässt sich genaugenommen auch noch in heutigen Definitionen von leisten und Leistung finden. So definiert Klafki "Leistung als Ergebnis und Vollzug einer Tätigkeit, die mit Anstrengung und gegebenenfalls Selbstüberwindung verbunden ist und für die Gütemaßstäbe anerkannt werden, die also beurteilt wird" (Klafki 1996, 228). In dieser Definition wird zum Einen der Doppelcharakter von Leistung als Prozess und gleichzeitig als Ergebnis dieses Prozesses deutlich, zum Anderen aber auch der Aspekt des Verfolgens einer bestimmten Tätigkeit, eines bestimmten Ziels, welches anhand bestimmter Maßstäbe beurteilt wird. Auch Bolte will menschliches Verhalten erst in dem Moment als Leistung verstanden wissen, "wenn und wo man es mit Zielvorstellungen sowie mit Vorstellungen über Grade der Zielannäherung oder dabei erbrachte ‚Anstrengung' in Verbindung bringt" (Bolte 1979, 21). Verhalten wird also in dem Moment als Leistung verstanden, wo es sich auf bestimmte Ziele bezieht, zu deren Erreichen eine gewisse Anstrengung erbracht werden muss. Im psychologischen Verständnis von Ziel als "mental repräsentierter, wertgeladener zukünftiger Zustand, der Verhalten reguliert und organisiert" (Puca/Langens 2002, 262) wird deutlich, dass Ziele die Zukunft betreffen und menschliches Verhalten auf sie ausgerichtet ist. Ziele müssen also aktiv verfolgt werden (vgl. Florek 1999, 14), um erreicht werden zu können, was das durch sie geleitete Verhalten nach der Definition Boltes zur Leistung macht.

Welcher Art diese leistungsbedingenden Ziele sind, muss natürlich noch näher untersucht werden: Offensichtlich haben sie ursprünglich etwas mit der Beherrschung der Natur durch den Menschen zu tun. Dreitzel stellt in diesem Zusammenhang fest, dass "der Leistungsbegriff [...] ein Zeuge dieses modernen Bewusstseins [ist]: In der Leistung manifestiert sich je ein Stück hinzugewonnener Naturkontrolle, in ihr scheint sich die Souveränität des Menschen über die eigene und die ihm äußere Natur immer aufs neue zu erweisen" (Dreitzel 1976, 33). Diese Vorstellung der Eroberung der Natur als zu erreichendes Ziel lässt sich auch in der Leistungsdefinition Fürstenbergs finden, der "eine tatsächliche Leistung [als die] Überwindung eines Widerstandes, dem eine Umweltherausforderung entspricht" (Fürstenberg 1974, 84) beschreibt.

Bis hierher lässt sich also zusammenfassen, dass Leistung als zielgerichtetes Verhalten zu verstehen ist, wobei dieses Ziel, ganz allgemein gesprochen, in dem Bewältigen einer Herausforderung besteht. Überwundene Herausforderungen, also erbrachte Leistung, dienen im weitesten Sinne zur Aneignung der Natur durch den Menschen und insofern, um mit Dreitzel zu sprechen, zur Festigung seiner Souveränität über diese (vgl. Dreitzel 1976, 33). In diesem Sinne ist Leistung als ein spezifisch menschliches Phänomen zu verstehen.

Doch selbst diese Formulierungen wirken weiterhin uneindeutig, Leistung ganz eindeutig zu definieren fällt schwer[4]. Warum dies so ist, wird deutlich, wenn man einen weiteren Definitionsversuch, diesmal von Schoeck, heranzieht. Leistung im Sinne Schoecks impliziert immer ein Verhalten, welches einer anderen Person Nutzen bringt und damit eine Anpassung der handelnden an diese andere Person bewirkt (vgl. Schoeck 1974, 68). Im Gegensatz zu Fürstenberg also, der Leistungsanforderungen als entweder "objektiv zweckmäßig" oder als "subjektiv sinnvoll" (Fürstenberg 1974, 85) verstanden wissen will, um den Anspruch, eine Leistung erbracht zu haben zu legitimieren, steht bei Schoeck die objektive Zweckmäßigkeit im Sinne der Nützlichkeit für eine weitere Person im Vordergrund. Dies wirft ganz offensichtlich einerseits die Frage nach der Bewertung von Eigenleistungen auf, die eine Person nur für sich erbringt. Nach Schoecks Vorstellung dürfte diese Art der Leistung nicht als solche gelten. Darüber hinaus schwingt in dieser Darstellung hintergründig die Definition von Leistung als für andere nützliches Verhalten mit. Rückwirkend stellt dies selbstverständlich die Nützlichkeit derer, die keine objektive Leistung zu erbringen scheinen, in Frage. Inwiefern sich dieser Gedankengang auf die soziale Rolle und Position von behinderten Menschen übertragen lässt, soll in Kapitel 6.4 ausführlicher diskutiert werden.

Das Grundproblem einer klaren, objektiven Definition des Leistungsbegriffs sollte durch diese Darstellung essentiell unterschiedlicher Vorstellungen über den Charakter von Leistung deutlich geworden sein: Leistung ist hochgradig nicht-objektiv! Subjektive Sinnhaftigkeit und interpersonelle Nützlichkeit als vorgeschlagene Definitionskriterien sind Subjekt- und Situationsvariablen, die keine Allgemeingültigkeit implizieren, sondern sich von Situation zu Situation und von Subjekt zu Subjekt unterscheiden. Was sinnvoll und nützlich ist, muss immer wieder aufs Neue festgelegt werden. Diese Feststellung trifft auch auf die Ziele zu, welche in einer Handlung verfolgt werden müssen, damit diese als Leistung anerkannt wird. Auch diese sind nicht objektiv feststehend und allgemeingültig, so dass deutlich

wird, dass kein Verhalten oder Handeln per se Leistung darstellen kann, sondern diese Feststellung nur in spezifischen Kontexten möglich wird. Andererseits könnte demnach auch jegliches Handeln als Leistung verstanden werden, insofern die ihm zugrunde liegenden Ziele für mindestens eine Person von individuellem Nutzen oder Sinn sind.

2.2.2. Konstruktion von Leistung

Leistung ist also keine objektive, allgemeingültige Größe, sondern eine konstruierte; eine, die demnach den Interessen und Wertvorstellungen, derer, deren Konstruktion sie ist, unterliegt. Der dieser Aussage zugrunde liegende theoretische Ansatz des Konstruktivismus entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus einer Grundlagenkrise der Mathematik und später der Naturwissenschaften im Allgemeinen (vgl. Blättel-Mink 2002, 288), in deren Verlauf die Objektivität mathematischer Objekte und naturwissenschaftlicher Fakten zusehends in Frage gestellt und stattdessen davon ausgegangen wurde, "dass die vom Forscher ermittelten Daten nicht unabhängig von ihm sind, sondern durch seine Theorie und Messinstrumente konstruiert bzw. hergestellt sind" (Blättel-Mink 2002, 287). Vorausgegangene Überlegungen, Fragestellung und Herangehensweise beeinflussen beziehungsweise bestimmen sogar das Ergebnis angeblich objektiver Forschung. Auf soziologische Fragestellungen, wie die hier zu bearbeitende, bezogen, bedeutet diese Sichtweise, dass auch soziale Realität und vermeintlich feststehende Aspekte der Gesellschaft beziehungsweise diese selbst konstruiert sind (vgl. Berger/Luckmann 2003). Die Tatsache, dass sich im Gegensatz zu früheren Phasen der Menschheitsgeschichte keine von einander trennbaren und unterscheidbaren Gesellschaften mehr auffinden lassen, sondern eher unterschiedlichste Gruppierungen von Individuen, kann den Soziologen dazu veranlassen, "den ‚Gesellschaften' genannten oder ähnlich bezeichneten sozialen Phänomenen jede selbständige, von den sie konstituierenden Individuen unabhängige Existenz abzusprechen" (Büschges 2002, 196).

Diese Herstellung von Realität erfolgt über Diskurs und Interaktion, über Handlungen und Sprache, welche "[d]ie objektivierte soziale Welt [...] auf logische Fundamente [stellt]" (Berger/Luckmann 2003, 69). Realität entsteht demnach im sozialen Austausch, in der Kommunikation; sie wird gleichsam erschaffen (vgl. Mead 1973, 118). Die Erkenntnis der Konstruiertheit von Realität und in diesem Fall der Konstruiertheit eines Leistungsbegriffs und einer Leistungsgesellschaft sind für die hier verfolgte Diskussion insofern relevant, als dass sie einerseits eine Relativierung der Objektivität sozialer Sachverhalte ermöglicht und andererseits auf die Verantwortung sozialer Akteure verweist, sich ihrer "Selbstvergessenheit" (Ritsert 1996, 303) bei der Betrachtung von Tatsachen, d. h. der Missachtung ihrer Eingebundenheit in und damit ihres Einflusses auf eine bestimmte Situation, bewusst zu werden und kritisch damit umzugehen. Gesellschaftliche Tatbestände sind nicht als gegeben und unveränderlich anzusehen, sondern können auf die Bedingungen ihrer Herstellung hin untersucht werden. Sie sind somit immer auch Produkte des öffentlichen Diskurses, welche aktuelle Problem- und Interessenlagen der diskursbestimmenden Bevölkerungsteile widerspiegeln, und sind insofern wert- und interessengeleitet. So kann es, nach Dreitzel "keinen Begriff von Leistung geben [...], der nicht auf einem Werturteil beruht." (Dreitzel 1976, 39).

Hierbei soll jedoch nicht der fälschliche Eindruck entstehen, dass es sich bei Prozessen der Konstruktion sozialer Realität um eine "Einbahnstraße" (Hacking 2002, 182) handele, in der die Gesellschaft eine unerwünschte Realität konstruiere, der sich das Individuum dann nicht entziehen kann. Zum Einen ist eine solche Gegenüberstellung von Individuum und Gesellschaft hinfällig, da Gesellschaft ohne Individuen nicht denkbar wäre (vgl. auch Kapitel 4.1.2 und 4.2.4 dieser Arbeit). Zum Anderen bemerkt Hacking, der dem Begriff der sozialen Konstruktion im Allgemeinen kritisch gegenüber steht, dass Individuen keine passiven und handlungsunfähigen Empfänger gesellschaftlicher Konstruktionen sind, sondern diese bewusst erleben, auf sie reagieren, sie beeinflussen und verändern (vgl. Hacking 2002, 56ff.). Der Begriff der interaktiven Art, den Hacking daher für Individuen prägt, soll verdeutlichen, dass wir es bei Konstruktionsprozessen "mit einem in beide Richtungen offenen Weg zu tun haben bzw. mit einem Labyrinth ineinander übergehender Gässchen" (Hacking 2002, 182). Auch wert- und interessengeleitete Konstruktionen (von Leistung oder, wie im folgenden Kapitel ausgeführt, Behinderung) sind somit auch immer Teil des kulturellen Wissens und Selbstverständnisses des Einzelnen. Dies lässt einerseits die Dichotomie von Individuum und Gesellschaft hinfällig werden und macht andererseits den objektiven Charakter der Wirklichkeit aus, wie sie vom Individuum erlebt wird (vgl. Berger/Luckmann 2003, 141)[5].

2.3. Zusammenfassung

Wie gezeigt werden konnte, handelt es sich bei Leistung keineswegs um einen unpersönlichen, interessenunabhängigen, objektiven und daher gerechten Maßstab, wie z. B. von Schmölders nahe gelegt (vgl. Schmölders 1976, 20). Im Gegenteil: Der Maßstab der Leistung ist wesentlich kontext- und interessenabhängig. Es gelten nur bestimmte Aktivitäten als Leistung und es werden nicht alle Leistungen auch gleich bewertet. Daraus folgt, dass auch die Bezeichnung leistungsschwacher oder leistungsunfähiger Menschen keine objektive Feststellung, sondern eine soziale Konstruktion darstellt. Folgt man dieser Argumentation so stellt sich zum Einen unmittelbar die Frage danach, welches die Werte sind, die eine Leistung als solche kennzeichnen bzw. die Ziele festlegen, an denen ein Verhalten gemessen wird, um als Leistung beurteilt zu werden. Des Weiteren muss der pauschale Gerechtigkeitsanspruch des Leistungsprinzip generell in Frage gestellt werden[6].

"(Schein-)Legitimierung sozialer Ungleichheiten" (Beck 1986, 159) findet in der Leistungsgesellschaft automatisch dort statt, wo das fortbestehende Wirken überkommengeglaubter Verteilungsprinzipien, wie Geburts- oder dem Anciennitätsprinzip geleugnet und daraus entstehende Ungerechtigkeiten mit der Gerechtigkeit des Leistungsprinzips gerechtfertigt werden, unabhängig davon, dass diese Gerechtigkeit selbst infrage zu stellen ist. Auch die Scheinobjektivität von Leistungskriterien, z. B. von Bildungsqualifikationen, bei deren Darstellung der Konstruktcharakter dieser Kriterien nicht beachtet wird, legitimiert, angeblich aus der Logik des Leistungsprinzips entstandene, Ungleichheiten. Bevor untersucht werden soll, wie sich diese Zusammenhänge auf die spezielle gesellschaftliche Position und Rolle behinderter Menschen auswirken, soll im Folgenden zunächst das Phänomen der Behinderung selbst betrachtet werden.



[1] Zum Vergleich: Als illegitime Mittel galten beispielweise Beziehungen/Protektion, Geld/Vermögen, Herkunft/Familie, Opportunismus/Rücksichtslosigkeit, politische Betätigung oder Korruption (vgl. Noll/Christoph 2004, 119).

[2] Dieser Aspekt und seine Konsequenzen für die soziale Positionierung behinderter

Menschen werden in Kapitel 6.4 dieser Arbeit ausführlicher besprochen.

[3] Nach derselben Logik müssen sich Eltern, die ein behindertes Kind bekommen, im Zeitalter fortgeschrittener Reproduktionstechnologien den Vorwurf gefallen lassen, dass sie dies doch hätten vermeiden können.

[4] Eine solche Definition ist in einzelnen Gebieten möglich, wie der Physik, wo Leistung als Arbeit geteilt durch Zeit (P = W/t) definiert ist, oder in bestimmten Sportarten, wo sich Bestleistungen in Rekordweiten, -höhen, -zeiten ausdrücken lassen.

[5] Auf die Wechselwirkung von Individuum und Gesellschaft bei der Herstellung sozialer Konstrukte wird in Kapitel 4 näher eingegangen.

[6] Zur Frage der Gerechtigkeit des Leistungsprinzips vgl. auch Heckhausens Differenzierung zwischen fähigkeits- und anstrengungsbezogener Leistung (vgl. Heckhausen 1974, 14f.). Die dem Leistungsprinzip als Allokationsprinzip zugeschriebene Gerechtigkeit wäre, genau genommen, nur nachvollziehbar, wenn es sich bei dem zugrunde gelegten Leistungsbegriff um rein anstrengungsbezogene Leistung handeln würde. Da der Gerechtigkeitsanspruch des Leistungsprinzips, wie bereits ausgeführt, daher rührt, dass Zuteilungen nach individuellem Verdienst vorgenommen werden, dürften in dieser Logik einzig Leistungen zählen, hinter denen eine gezielte Willensanstrengung und Intention des Handelnden steht. Dies jedoch ist einzig für anstrengungszentrierte Leistung möglich, da es nach Heckhausen "[...] im Willen des Handelnden [liegt], Anstrengung dosiert einzusetzen und Ausdauer zu variieren. Über Fähigkeiten dagegen verfügt er oder verfügt er nicht" (Heckhausen 1974, 18). Verschiedene Autoren weisen jedoch auf die Bedeutung von Vorableistungen als Verteilungsmaßstab im Sinne des Leistungsprinzips hin (vgl. Heckhausen 1976, 182; Dreitzel 1976, 36; Bolte 1979, 36; Papathanassiou 2002, 322). Mit Vorableistungen sind hierbei bereits erworbene Qualifikationen wie Schul-, Berufs- oder Hochschulabschlüsse gemeint, von denen man annimmt, dass sie über bestimmte (erworbene) Fähigkeiten ihrer Inhaber Aussagen machen. Das Bildungswesen wird somit zur "untersten Stufe des gesellschaftlichen Berechtigungswesens" (Klafki 1996, 212). Es ist jedoch einerseits fragwürdig, inwiefern Abschlüsse tatsächlich Aussagen über Leistung(sfähigkeiten) machen, andererseits kann bereits die Chancengleichheit beim Erwerb solcher Abschlüsse angezweifelt werden.

3. Behinderung

Mit der Rezeption sozialkonstruktivistischer Ansätze in der Rehabilitationspädagogik fand eine zunehmende Abkehr von medizinischen Modellen statt, welche eine eindeutige Definition und Klassifikation von Behinderung ermöglichen würden (vgl. Schönwiese 2005a, 53). Trotzdem Behinderung zunehmend als sozial konstruiert verstanden wird, ergibt sich aus dem Versuch einer möglichst konkreten und handhabbaren Definition von Behinderung notwendigerweise ein Paradoxon. Dieses besteht darin, dass sich eine solche Definition letztlich gezwungen sieht, auf individuell-biologische Merkmale zu rekurrieren, wenn sie sich nicht dem Vorwurf der Uneindeutigkeit und Beliebigkeit aussetzen will (vgl. Felkendorff 2003, 25f.). Wie Felkendorff anhand des Behinderungsbegriffs des SGB IX verdeutlicht, welcher sich wiederum auf den neuesten Definitions- und Klassifikationsversuch der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die ICF[7] beruft, kommt ein solcher Definitionsversuch per se nicht umhin, eine Defizitorientierung zu implementieren, welche er eigentlich ausdrücklich vermeiden möchte (vgl. Felkendorff 2004).

3.1. Definitionsversuche

Im Rahmen des, auch in der ICF und damit im SGB IX Anwendung findenden, sozialen Modells wird Behinderung als gesellschaftlich verursacht und damit "im wesentlichen als eine Frage der vollen Integration Betroffener in die Gesellschaft" (DIMDI 2004, 25) gesehen (vgl. Cloerkes interaktionistisches Paradigma; Cloerkes 2001, 50). Felkendorff macht darauf aufmerksam, dass, trotz dieses im Grunde konstruktivistischen Ansatzes, nach welchem Behinderung in sozialer Interaktion erzeugt und keinesfalls als ontologische individuelle Problematik verstanden wird, für Definitionen von Behinderung dennoch auf Normen verwiesen wird, an welchen sich individuelle Abweichung messen lässt. Die Grundlage für das Anerkennen einer Behinderung ist immer noch eine medizinisch zu diagnostizierende Schädigung, welche sich nicht nur durch soziale Barrieren und Zuschreibungen erklären lässt (vgl. Felkendorff 2003, 33). Im 2001 erlassenen SGB IX, werden Menschen als behindert definiert, wenn "[...] ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist" (SGB IX, § 2). Es sei mit Felkendorff darauf hingewiesen, dass hier negative Abweichungen des als typisch definierten Zustandes gemeint sein dürften, auch wenn dies nicht explizit formuliert wird (vgl. Felkendorff 2004, 8). Es muss also für eine Definition weiterhin eine Schädigung die Grundlage für eine Behinderung bilden. Diese (medizinisch festgestellte) Schädigung muss darüber hinaus zu einer Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben führen, um als Behinderung bezeichnet zu werden. Insofern stellt das Gesetz den sozialen Aspekt von Behinderung unmissverständlich neben den medizinischen ins Zentrum seiner Definition. Felkendorffs Kritik an der Verabsolutierung des sozialen Modells von Behinderung ist allerdings insofern nachvollziehbar, als dass er schlüssig aufzeigt, welche Bedeutung die medizinische Diagnose (des Defizits) auch in der neuen Definition von Behinderung im SGB IX hat: Um die zur Feststellung einer Behinderung notwendige Einschränkung der Teilhabe am Leben zu beschreiben, wird angesichts der Unmöglichkeit allgemeingültiger Kriterien der sogenannte Grad der Behinderung herangezogen (vgl. SGB IX, § 69, Abs. 1). Dieser wird allerdings maßgeblich über ärztliche Begutachtungen festgestellt (vgl. auch die bei Felkendorff 2004 abgebildete Tabelle 1, 11ff.). Die Feststellung von Behinderung kommt also auch im SBG IX um den medizinisch-psychologischen Aspekt nicht herum (vgl. auch Weber 2002, 169; Hensele/Vernooij 2002, 21).

Eine möglichst konkrete Definition von Behinderung würde es zwar ermöglichen, Phänomene klar in die Dichotomie behindert - nichtbehindert einzuordnen, birgt jedoch grundsätzliche Unzulänglichkeiten. Um diesen zu entgehen, soll das folgende Kapitel keinen eindeutigen Definitionsversuch unternehmen. Stattdessen werden Überlegungen zum Wesen von Behinderung aus konstruktivistischer Sicht dargestellt.

3.2. Konstruktion von Behinderung

Mit der Rezeption sozialkonstruktivistischer Ansätze in der Rehabilitationspädagogik wurde auch Behinderung zunehmend als soziale Konstruktion, als soziale Kategorie verstanden. Mit diesem Wechsel der Perspektive ist die Vorstellung von Behinderung als einem medizinischen Problem, welches das individuelle Defizit einer Person kennzeichnet und dadurch bestimmte Formen des Ausschlusses legitimiert, aufzugeben (vgl. Bendel 1999, 303). Auch die Vorstellung, Behinderung sei die soziale Reaktion auf eine objektiv vorhandene Schädigung, ist letztlich eine an medizinischen Realitäten und nicht am sozialen Konstruktivismus orientierte.

Behinderung als soziale Konstruktion zu verstehen, bedeutet demgegenüber, dass auch bestimmte (nicht-wertende) Wahrnehmungen körperlicher oder geistiger Eigenarten als "[...] immanenter Bestandteil symbolischer Ordnungen [...]" (Bendel 1999, 303) und nicht als mehr oder weniger natürliche Personenmerkmale begriffen werden. Nicht in der Person liegt die Behinderung begründet, sondern in der Wahrnehmung (und Reaktion) der Umwelt. Behinderung ist somit ein relationales Phänomen, welches sich nur in sozialen Beziehungen manifestiert und somit gesellschaftlicher Natur ist (vgl. Neumann 1997, 31). Dieses Phänomen kann also in einem durch den Konstruktivismus geprägten sozialen Modell von Behinderung vornehmlich als Barrieren der Umwelt gekennzeichnet werden. Eingeschränkte Partizipationsmöglichkeiten am gesellschaftlichen Leben ergeben sich nicht aus einer behinderten Konstitution des Individuums, sondern aus einer, das Individuum behindernden Umwelt. Diese Behinderung erzeugenden Hindernisse stellen sich teils ganz konkret in zu hohen Bordsteinen, nicht behindertengerecht erbauten Gebäuden oder mangelnder Akzeptanz unerwarteten Verhaltens dar. Sie liegen allerdings, wie dargestellt, bereits in der Wahrnehmung einer körperlichen oder geistigen Eigenart, da diese bereits Aussagen über das Hineinpassen in oder Herausfallen aus der symbolischen Ordnung macht.

Abgesehen von der Problematik einer Gegenüberstellung von Individuum und Gesellschaft, welche sich aus der Sichtweise des sozialen Modells ergibt, weist Felkendorff auf Schwierigkeiten bezüglich der Abgrenzung behinderter gegenüber nichtbehinderten Menschen hin, welche sich aus einer solchen Definition von Behinderung ergeben (vgl. Felkendorff 2004, 3). Stellt eingeschränkte Teilhabe am Leben oder mangelnde Partizipation das letztlich einzig ausschlaggebende Merkmal von Behinderung dar, so stellt sich natürlich die Frage, warum auch in solchen Modellen ein körperlich und geistig nicht geschädigter, arbeitstätiger Mensch mit nur marginalen Sozialkontakten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht als behindert bezeichnet wird. Die Alternative wäre die von Cloerkes formulierte Frage, ob "[...] wir in diesem Sinn nicht alle zeitweise oder in bestimmten Situationen daran gehindert sind, am Leben der Gesellschaft teilzunehmen" (Cloerkes 2001, 4) und demzufolge nicht alle - wenigstens zeitweilig - ein bisschen behindert seien.

Konsequenz dieser Überlegungen scheint zu sein, dass es offensichtlich etwas gibt, welches nach Cloerkes, "Stimulusqualität" (Cloerkes 2001, 4), nach Bendel einen besonderen Aufmerksamkeitswert besitzt (vgl. Bendel 1999, 303), um die Bezeichnung Behinderung zu evozieren. Während Cloerkes Behinderung im Folgenden als ein negativ bewertetes Merkmal mit Stimulusqualität definiert, bemüht sich Bendel darum, der Frage nachzugehen, warum etwas einen besonderen Aufmerksamkeitswert überhaupt zugesprochen bekommt. Bei der Beantwortung dieser Frage kommt er zu der Schlussfolgerung, dass das Verhältnis, in welchem das wahrgenommene Phänomen zu den üblicherweise wahrgenommenen Phänomenen steht, und die Bedeutung, die diesem Verhältnis zugemessen wird, bestimmen, inwiefern darauf reagiert wird; welcher Aufmerksamkeits- oder Stimuluswert ihm also zugeschrieben wird. So wird beiden Autoren zufolge dann von Behinderung gesprochen, wenn eine Abweichung vom Üblichen und damit vom Erwarteten wahrgenommen wird, welche negativ bewertet wird. Während diese Abweichung jedoch bei Cloerkes noch stärker den Zug eines individuellen Merkmals hat, stellt Bendel die Bedeutung des latenten Sinnkontextes der Aussage, eine Person sei behindert, in den Vordergrund (vgl. Bendel 1999, 303). Diese Sinnkontexte rekurrieren auf Elemente gesellschaftlicher Kommunikation, welche sich auf Normalität als ordnungsstiftendes Moment beziehen.

Damit wird die eingangs dargestellte Sichtweise auf Behinderung als soziales Konstrukt wieder aufgenommen: Bereits das Wahrnehmen einer Differenz erzeugt Behinderung, da Umwelt für den Menschen nur in ihrer Bedeutung für ihn existiert. Sie wird somit durch sein Wahrnehmen oder Erkennen erzeugt, welches immer bereits eine Interpretation ist und der Umgebung ihre Bedeutung zuschreibt. Die Frage nach dem besonderen Aufmerksamkeitswert des Wahrgenommenen wird hier in die Wahrnehmung selbst verlagert. In Anlehnung an Dederich kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Wahrnehmung und Erkennen nicht in einem gesellschaftlichen Vakuum vonstatten gehen. "Wie die neuzeitliche Philosophie gezeigt hat, können wir als Menschen nur unter den Bedingungen erkennen, die wir als Menschen a priori mitbringen" (Dederich 2001, 59)[8]. Zu diesen Bedingungen gehört allerdings auch ein bestimmtes kulturell geprägtes Vorwissen bzw. bestimmte Tendenzen, Dinge wahrzunehmen und einzuordnen. Die Wirklichkeit konstituierende Wahrnehmung nimmt demnach immer auch schon Bezug zu vorhandenen Ordnungsschemata.

3.3. Zusammenfassung

Trotz ausführlicher und nachvollziehbarer Kritik am konstruktivistischen Ansatz (vgl. bezogen auf die Rezeption in der Sonderpädagogik Dederich 2001, 68ff.) erscheint

diese Sichtweise in der Diskussion des Phänomens Behinderung am fruchtbarsten. Behinderung wird somit als soziales Konstrukt verstanden. Danach konstruieren Menschen eine Behinderung bereits dadurch, dass sie eine entsprechende Differenz oder Abweichung wahrnehmen (vgl. Neumann 1997, 33). Diese Abweichung muss jedoch mit der Annahme eines "Nicht-" verbunden sein. Es werden Personen wahrgenommen, die sich von anderen dadurch unterscheiden, dass sie nicht laufen, nicht sehen, nicht sprechen und Ähnliches. Damit ist noch keine Aussage darüber getroffen, wie diese Personen selbst wahrgenommen werden, sondern nur über die ordnende (kategorisierende) Wahrnehmung selbst. Dass mit bestimmten Wahrnehmungen in der Regel auch bestimmte Annahmen über die Person verbunden sind, ist ein zweiter Schritt, der im folgenden Kapitel dieser Arbeit, welches sich mit unterschiedlichen Ansätzen der Rollentheorie befasst, näher beleuchtet werden soll.

Behinderung soll in dieser Arbeit nach Bendel als die Beschreibung einer sozialen Beziehung verstanden werden (vgl. Bendel 1999, 303). Dies trifft insofern zu, als dass sie sich nur auf die Wahrnehmung relativer, weil zwischen Menschen vergleichender, Unterschiede beziehen kann. Diese Wahrnehmung findet zugleich immer auch vor der Folie kulturellen und persönlichen Wissens statt und ist somit, wie alle sozialen Konstrukte, wertgeleitet. Als soziale Kategorie hat Behinderung die Funktion der Abdunklung von "Sinnkontingenzen", also der Vereinfachung sozialer Wirklichkeit und ermöglicht damit Orientierung (vgl. Bendel 1999, 304). Eine wesentliche Konsequenz einer solchen konstruktivistischen Sichtweise auf das Phänomen Behinderung besteht darin, dass phänomenologische Definitions- und Klassifikationsversuche, wie sie in vielen Einführungen der Sonderpädagogik zu finden sind (vgl. Hensele/Vernooij 2002; Biermann/Goetze 2005), nicht länger tragbar sind. Aus eben diesem Grund soll in der vorliegenden Arbeit von Menschen mit Behinderungen oder behinderten Menschen gesprochen werden, wobei keine Unterscheidung nach Behinderungsarten oder -graden vorgenommen wird, da eine solche Unterscheidung immer die Annahme einer Restontologisierung von Behinderung impliziert. Darüber hinaus sollen in der vorliegenden Arbeit Aspekte beleuchtet werden, die sich größtenteils unabhängig von konkreten Behinderungsphänomenen auf behinderte Menschen beziehen.



[7] Die Abkürzung ICF steht für International Classification of Functioning, Disability and Health.

[8] Bei Dederich lässt sich eine ausführliche Kritik am radikalen Konstruktivismus und seiner Anwendung auf die Rehabilitationspädagogik und den Behinderungsbegriff finden, deren Kernargument es ist, dass der radikale Konstruktivismus Erkennen "[...] einseitig als aktive und reflexive Selbst- und Weltaneignung charakterisiert [...]" (Dederich 2001, 77, Fn. 10), während das Element der Stimulusqualität des Erkannten vernachlässigt wird. Vernachlässigt werden auch Elemente kulturellen und anderen Einflusses, da sich radikaler Konstruktivismus in Dederichs Augen als solipsistischer Konstruktivismus versteht.

4. Rollentheorie

Um der Analyse der gesellschaftlichen Position behinderter Menschen näher zu kommen, sollen im Folgenden verschiedene Sichtweisen und Aspekte derjenigen Theorie dargestellt werden, die sich ausführlich mit der Frage nach sozialer Position und Rolle beschäftigt hat. Zwar fand die wissenschaftliche Diskussion der Rollentheorie in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt und verstummte danach, bis auf Ausnahme einiger weniger Wiederaufnahmen zumindest im deutschsprachigen Raum, weitgehend (vgl. Geller 1994, 8; Meyer 2000, 21; Griese 2002, 459). Dennoch scheint die Rollentheorie wertvolle Erkenntnismöglichkeiten angesichts der allgemein zugestandenen Unmöglichkeit, Individuen in ihrer Ganzheitlichkeit zu erfassen (vgl. Kapitel 4.1.1), zu liefern. So ist es u.a. Verdienst dieser Theorie zu erklären, wie Handeln trotz unzureichenden Wissens über das jeweilige Gegenüber vonstatten gehen kann. Aufgrund dieser Nützlichkeit der Theorie wird sie unter Berufung auf ihre Begründer wie Dahrendorf, Mead oder Goffmann auch heute noch in Bezug auf spezifische Forschungsgebiete wie das der Geschlechterforschung[9], Führungstheorien[10] oder bezüglich Kommunikationsprozessen[11] diskutiert.

Da es nicht Aufgabe dieser Arbeit ist, einen vollständigen Überblick sämtlicher mit der Rollentheorie verbundenen Positionen und Stellungnahmen zu liefern, sollen hier vor allem die Ansichten ihrer wichtigsten und am meisten kritisierten Vertreter dargestellt und für die Zwecke dieser Arbeit herausgearbeitet werden. Entsprechend der Unterscheidung Grieses zweier wesentlicher theoretischer Ansätze der Rollentheorie, soll auch hier der Übersichtlichkeit halber versucht werden, die Sichtweisen der jeweiligen Vertreter dem handlungstheoretisch-interaktionistischen und bzw. struktur-funktionalistischen Ansatz zuzuordnen (vgl. Griese 2002, 459).

4.1. Rollentheorie im struktur-funktionalistischen Ansatz

Als Begründer dieser Theorierichtung im anglo-amerikanischen Raum werden vor allem Linton (1936) und Parsons (1951) genannt (vgl. Griese 2002, 459f.). Im Zentrum dieser Theoriebildung steht der Versuch einer systemtheoretischen Erklärung von Gesellschaft und Handeln. Bei Linton heißt es: "[D]ie Teilnahme eines jeden Individuums an der Kultur einer Gesellschaft ist keine Sache des Zufalls. Sie wird primär, und was die manifeste Kultur anbelangt: fast vollständig, durch seine Stellung in der Gesellschaft und die Erziehung bestimmt, die ihm im Vorgriff auf seine Übernahme dieser Position zuteil wurde" (Linton 1945, 251). Menschliches Handeln hängt also unmittelbar mit der Stellung des Menschen in der Gesellschaft, mit seiner Position zusammen. Bei allen Autoren wird der Begriff der Position[12] auf die ein oder andere Weise unmittelbar mit dem der Rolle verbunden. Bei Linton stellt diese den dynamischen Aspekt einer Position dar, insofern sie sich auf das Verhalten eines Positionsinhabers bezieht (vgl. Linton 1945, 252). Bei anderen Autoren bezieht sich der Begriff der Rolle auf tatsächliches (vgl. Popitz 1967, zit. n. Haug 1994, 40) oder erwartetes (vgl. Dahrendorf 1977, 33) Verhalten, auf durch ein bestimmtes Verhaltensrepertoire aufrechterhaltene Beziehungen (vgl. Laub Coser 1991, 87) bzw. auf etwas noch weiter gefasstes als äußere Handlungen, nämlich auf einen "Komplex von Emotion, Engagement, Identifikation" (Tenbruck, 1961, 13). Der Begriff der Rolle dient demnach als Grundelement sozialer Systeme und es soll mit seiner Einführung der Versuch unternommen werden, "die Vermittlung von Individuum und Gesellschaft bzw. von Person und System adäquat zu beschreiben, zu erklären und zu prognostizieren" (Griese 2002, 458).

4.1.1. Zur Abgrenzung von Position und Rolle

Auch Dahrendorf[13] formuliert sein Anliegen explizit als den Versuch, soziales Handeln und damit die Schnittstelle von Individuum und Gesellschaft über die Elementarkategorie der sozialen Rolle zu erklären (vgl. Dahrendorf 1977, 5).

Soziale Positionen werden verstanden als Orte "in einem Feld sozialer Beziehungen, wobei der Begriff so weit gefasst werden soll, dass er nicht nur die Position ‚Studienrat' und ‚3. Vorsitzender der Y-Partei', sondern auch die ‚Vater', ‚Deutscher' und ‚Skatspieler' umgreift. Positionen sind etwas prinzipiell unabhängig vom Einzelnen Denkbares" (Dahrendorf 1977, 30). In dieser Definition kommt dem Begriff der Position ein reiner Strukturaspekt zu, der von der Besetzung dieser Position mit bestimmten Personen unabhängig ist. Darüber hinaus sind hierin einige Beispiele für solche Positionen, beispielsweise für Berufs-, Familien- und Nationalpositionen aber auch für andere, weniger griffig klassifizierbare, enthalten.

Die konkreten Verhaltens- und Seinsweisen, die mit einer sozialen Position verbunden sind, werden, in Anlehnung an den Fachjargon des Theaters, als Rollen bezeichnet. "Zu jeder Stellung, die ein Mensch einnimmt, gehören gewisse Verhaltensweisen, die man von dem Träger dieser Position erwartet; zu allem, was er ist, gehören Dinge, die er tut und hat, zu jeder sozialen Position gehört eine soziale Rolle" (Dahrendorf 1977, 32). Diese Rollen bezeichnen nach Dahrendorf die Beziehungen der Positionsinhaber zueinander und kennzeichnen Erwartungen, die sich einerseits auf das konkrete Verhalten der Positionsinhaber, andererseits auf deren Aussehen und Sein, auf ihre Rollenattribute, beziehen (vgl. Wiswede 1977, 41). Rollen bezeichnen hier also erwartetes, gedachtes Verhalten und Sein.

Der struktur-funktionalistischen Rollentheorie zufolge haben Menschen mehrere Positionen inne und dementsprechend viele Rollen. Sie sind, so Dahrendorf, niemals (und vor allem nicht für eine einzelne Wissenschaft) in ihrer ganzen Individualität erfassbar, sondern immer nur ausschnitthaft, in ihrer jeweiligen Rolle (vgl. auch Wiswede 1977, 47; Siegenthaler 1993, 80)[14]. Dieser sehr richtige Aspekt eröffnet vielerlei Möglichkeiten für die Analyse gesellschaftlicher Positionen und Rollen. Zum Einen verdeutlicht er die Tatsache, dass die jeweils sichtbare Rolle nur eine Rolle unter vielen für das jeweilige Individuum ist und dass dieses nicht identisch mit ihr ist. Dies impliziert die Erkenntnis, dass ein Individuum von verschiedenen Interaktionspartnern in sehr unterschiedlichen Rollen und damit sehr unterschiedlich wahrgenommen werden kann. Dass diese Aspekte auch auf die Rolle des Behinderten zutreffen, liegt auf der Hand (vgl. Kapitel 5 dieser Arbeit). So ist auch sie nur eine von mehreren Rollen und ein Individuum, welches diese Rolle innehat, muss nicht unter jeden Umständen nur als Träger dieser einen speziellen Rolle wahrgenommen werden.

4.1.2. Individuum und Gesellschaft

Wie bereits erwähnt, wird der Mensch in struktur-funktionalistischen Ansätzen der Rollentheorie als Träger sozial vorgeformter Rollen verstanden, wobei das Zustandekommen dieser Rollen nicht weiter erläutert wird (vgl. Wiswede 1977, 67). Vielmehr wird durch die Formulierung der durch "die Gesellschaft" vorgeprägten Rollen die mit diesen Rollen verbundenen Erwartungen an Handeln und Sein der Rolleninhaber als gegeben und damit vom Einzelnen schwerlich bis gar nicht veränderbar dargestellt. Zur bildhaften Verdeutlichung dieses Sachverhaltes wird die Schauspielermetapher herangezogen, welche soziale Rollen als von außen vorgegebenes Verhaltensrepertoire versteht. Dieses muss der Schauspieler erlernen, wobei es ihn aber aufgrund seiner Aufgestülptheit nie ausfüllen kann, so dass er mehrere Rollen übernehmen und erlernen muss[15]. Der Einzelne wird in dieser Sichtweise seiner Eigenständigkeit und Aktivität bezüglich der Ausformung seiner Rollen beraubt und als reiner Empfänger fremdbestimmter Rollen porträtiert. Dieser Umstand wird von Dahrendorf als die "ärgerliche Tatsache der Gesellschaft" (Dahrendorf 1977, 17) beschrieben, da der Einzelne sich den von der Gesellschaft vorgegebenen und von ihm nicht beeinflussbaren Rollen nicht entziehen kann, sondern in ihrer Übernahme seine Individualität aufgeben muss, um sich nicht durch eine Verweigerung dieser Übernahme den Zorn der Gesellschaft zuzuziehen.

Es stellt sich hier auch die von Wiswede oder Tenbruck aufgeworfene Frage, inwieweit Individualität ohne Gesellschaft denkbar sei (vgl. Wiswede 1977, 145f.; Tenbruck 1961, 18). Der zentrale Konflikt der struktur-funktionalistischen Rollentheorie zwischen diesen beiden Instanzen wird zudem durch das umgekehrte Problem, inwiefern Gesellschaft ohne Individuen denkbar wäre, verdeutlicht. Zwar wird mitunter zugestanden, dass Gesellschaft ohne Individuen nicht denkbar ist. Diese Darstellung findet jedoch in den weiteren Ausführungen, in denen Gesellschaft wieder als eigenständig handelnde, den Menschen in seiner Individualität zerstörende Macht dargestellt wird, wenig Beachtung, so dass weiterhin unschlüssig bleibt, welches Gesellschaftsbild in der Theorie präferiert wird (vgl. Haug 1994, 30).

4.1.3. Kritik der funktionalistischen Rollentheorie

Haug stellt diesbezüglich in ihrer Kritik der Rollentheorie die Behauptung auf, dass die funktionalistische Rollentheorie in ihrer Logik, will sie stringent bleiben, eine strikte Trennung von Individuum und Gesellschaft unterstellen muss, um den Rollenbegriff als vermittelnde Instanz zwischen so getrennten Individuum und Gesellschaft einführen zu können (vgl. Haug 1994, 37f.). Indem sie jedoch davon ausgeht, dass die Rollentheorie die "wirklichen Verhältnisse" (Haug 1994, 27) in der Gesellschaft verschleiere, lässt sie ebenso wie Dahrendorf die Eigenverantwortlichkeit des Individuums in der Rollendefinition und -ausgestaltung und die Annahme, dass gesellschaftliche Zustände weniger Tatsachen denn soziale Konstruktionen sind, weitgehend außer Acht.

Auf ein weiteres Problem sei kurz hingewiesen: Trotz ihrer Nützlichkeit in der Analyse gesellschaftlichen Handelns stellt die Kategorie der Rolle den Theoretiker vor das Problem der Definition des Menschen. Zwar definiert Dahrendorf den Menschen als reinen Rollenträger, als reine Akkumulation von Rollen: "Der Einzelne ist seine sozialen Rollen [...]" (Dahrendorf 1977, 18). Daher sei die Schauspielermetapher nur bedingt anwendbar, da der Schauspieler hinter seiner Maske immer noch er selbst sei, seine Rollen also zugunsten seiner wahren Identität abstreifen könne. Allerdings entspricht der so konstruierte homo sociologicus nicht dem natürlichen Menschen, wie er uns auf der Straße begegnet. Daher möchte Dahrendorf eine zusätzliche Rolle festschreiben, welche sich von den anderen insofern unterscheidet, als dass sie gerade die Individualität ausmacht und eine Klammer um die anderen Rollen bildet (vgl. Dahrendorf 1977, 81f.). Es bleibt jedoch offen, wie diese zusätzliche Rolle benannt und inhaltlich ausgestaltet werden soll. Der Begriff der Rolle als gesellschaftliche Erwartung an Handeln und Sein von Menschen in bestimmten Positionen wird mit Schaffung dieser zusätzlichen Rolle, die eben ausschließlich die Einzigartigkeit des Individuums betrifft, unscharf. Denn nur in Form von gesellschaftlichen Erwartungen können Rollen als Schnittstelle zwischen Individuum und Gesellschaft dienen.

4.2. Rollentheorie im handlungstheoretisch-interaktionistischen Ansatz

Die Hauptdifferenz zwischen interaktionistischen und struktur-funktionalistischen Ansätzen ist die Darstellung von Individuen als handelnde Akteure vs. Passivität und Abhängigkeit des Individuums von Strukturen. Dem Individuum werden im Interaktionismus ein gewisses Maß an Entscheidungs-, Interpretations- und Gestaltungsfreiheit zugesprochen (vgl. u.a. Meyer 2000, 23). Dieser Aspekt kommt besonders deutlich bei Goffman zum Ausdruck. Er beschreibt in seinem Werk Wir alle spielen Theater[16] soziales Handeln nicht nur als Rollenhandeln, sondern explizit als mehr oder weniger bewusste Selbstdarstellung der Akteure; als Versuch der Repräsentation dessen, als was der Einzelne erscheinen möchte (vgl. Goffman 2003). Da sich Goffman jedoch weniger direkt mit der Theorie sozialer Rollen selbst auseinandersetzt, sondern dieses Wissen eher als Ausgangspunkt für seine Ausführungen zur bewussten und unbewussten Selbstdarstellung von Akteuren im täglichen Handeln voraussetzt, soll auf diesen Mitbegründer der Rollentheorie im Folgenden nicht so ausführlich eingegangen werden, wie auf andere Vertreter.

4.2.1. Rollen als sinnhafte Handlungskategorien

Während der bis jetzt dargestellte struktur-funktionalistische Ansatz Rolle vor allem als von außen vorgegebene Strukturkategorie versteht, mittels derer das Individuum in der Gesellschaft erklärt werden soll, stellt der in diesem Kapitel vorgestellte Interaktionismus Rolle in erster Linie als Handlungskategorie dar. Diese ermöglicht es dem Individuum zum Einen, sein Handeln in einer bestimmten Situation unter Bezugnahme auf die von ihm eingenommene Rolle zu erklären bzw. zu rechtfertigen. Zum Anderen ist es in der Lage, seine Interaktionspartner vor und während einer Interaktion einzuordnen und ihre Äußerungen im Lichte ihrer jeweiligen Rolle zu interpretieren.

In diesem Sinne sind nach Berger und Luckmann Rollen "Vermittler besonderer Ausschnitte des allgemeinen Wissensvorrates" (Berger/Luckmann 2003, 81). Da nicht jedes Individuum alle Aspekte seines kulturellen Hintergrundes detailliert aufnehmen und repräsentieren kann, übernimmt es in der wissensteiligen Gesellschaft bestimmte Rollen. Diese sind insofern als handlungsleitende Kategorien aufzufassen, als dass die repräsentierten Wissensausschnitte mit anderen Rollenträgern ausgetauscht werden und so soziales Handeln entsteht. Rollen werden als primär konstruierte Größen aufgefasst, da erst vor dem Hintergrund eines solchen gemeinsamen Wissensvorrates bestimmte, aus wiederholten Handlungen derselben Akteure entstandene, Typisierungen eine Sinnzuschreibung erfahren und somit Rollencharakter erhalten (vgl. Berger/Luckmann 2003, 78).

Diesen Prozess der Sinnzuschreibung erläutert George Herbert Mead in seinem 1934 posthum veröffentlichten Werk Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus[17]. Hierin bearbeitet er ausführlich die Entstehung der Identität des Individuums, welche nach Mead ebenso Produkt des primären gesellschaftlichen Prozesses ist wie Wirklichkeit bzw. Realität (vgl. Mead 1973, 185). Dieser allem primäre gesellschaftliche Prozess ist der der symbolischen Interaktion, in welchem Sinn dadurch entsteht, dass die Gesten eines Individuums in einem Anderen eine Reaktion auslösen, die der Agierende gleichzeitig auch in sich auslöst. Die Reaktion des Anderen gibt der Geste des Individuums ihren Sinn und wird dadurch zum sinnvollen Symbol. Da Objekte (sowohl sozialer als auch materieller Art) nur in ihrem Sinn für den Menschen existieren, können sie auch erst in einer sinnstiftenden Interaktion geschaffen werden. Da zum Einen der für die Existenz von Objekten notwendige Sinn jedoch erst durch die Reaktion des einen Individuums auf die Gesten eines anderen entsteht und zum Anderen der von Mead beschriebene gesellschaftliche Prozess genau dieses In-Beziehung-Setzen der Reaktionen auf Gesten anderer meint, muss in der Konsequenz dieser Prozess die Voraussetzung für die Existenz jeglicher Objekte[18] sein (vgl. auch Berger/Luckmann 2003, z. B. 70f.). Den Hauptmechanismus dieses sozialen Prozesses der gegenseitigen Sinnzuschreibung und damit der Konstruktion von Realität sehen sowohl Mead als auch Berger/Luckmann in Gesten, Sprache und Kommunikation (vgl. Mead 1973, 74; Berger/Luckmann 2003, 38).

4.2.2. Entstehungsprozess der Interaktion

Während der struktur-funktionalistische Ansatz sich stärker auf die gesellschaftsstrukturierende Funktion sozialer Rollen konzentriert, versucht der handlungstheoretisch-interaktionistische Ansatz auch die Entstehung dieser Rollen zu beleuchten. Daher könnten sich die beiden Ansätze ergänzen. Interaktion bzw. gesellschaftlicher Prozess spielen, wie eben dargestellt, in der Entstehung von Identität bzw. Rolle eine Schlüsselrolle (vgl. Laub Coser 1991, 87f.; Goffman 2003, 231).

Dementsprechend beschreibt auch Tenbruck das Entstehen von sozialen Rollen und den sie konstituierenden Erwartungen interaktionistisch (vgl. Tenbruck 1961, 21). Es handelt sich um einen Entstehungskreislauf, bei dem es keine Ursache-Wirkungs-Beziehung gibt. In der Annahme, dass Rollen als komplementär verstanden werden können, beschreibt Tenbruck Rollen als sich gegenseitig konstituierend. Sie bedingen sich also gegenseitig, indem sie sich inhaltlich ergänzen und ihre Träger sich aneinander in dem Sinne orientieren, als dass sie eine ähnliche Situationsinterpretation vornehmen und auf der Basis geteilter Werte agieren (vgl. Tenbruck 1961, 21f.). Soziale Rollen werden somit durch Beziehungskonstellationen zu anderen Rollen gekennzeichnet, welche unterschiedliche (und mitunter widersprüchliche) Erwartungen an den Rollenträger richten (vgl. Laub Coser 1991, 96).

Aus dieser Darstellung der Entstehung sozialer Rollen in situationsbedingter Interaktion wird deutlich, dass diese als lebendiges Wechselverhältnis verstanden werden sollten, welches sich "in der Aktualität des gesellschaftlichen Handelns erweist und erneuert" (Tenbruck 1961, 3). Individuen handeln hier nicht nur aufgrund möglicher Sanktionen (positiver oder negativer Art), sondern in rollenrelevanten Situationen, in welche die Antizipation von Erwartungen und potentiellen Sanktionen anderer hineinspielt, sie aber nicht ausschließlich konstituiert. Der Interaktion wird also eine Schlüsselfunktion im Entstehungsprozess von Rollen zugeschrieben, wobei aber versucht wird, die bestehende Zwanghaftigkeit bestimmten Rollenhandelns mit der Spontaneität des Einzelnen zu verbinden (vgl. Scholz 1982, 6ff.). Diese Verbindung gelingt dadurch, dass der Einzelne, um in seiner Rolle handeln zu können, immer in konkreten Situationen handeln muss. Da Situationen in ihrer Gestaltung und ihrem Ablauf jedoch nie genau vorausbestimmbar und somit planbar sind, ist (Rollen-)Handeln notwendigerweise spontanes Handeln. Hier wird deutlich, dass der Einzelne zwar als Rollenträger handelt, diesem Handeln (und damit seiner Rolle) jedoch jedes Mal seine individuelle Ausgestaltung gibt. Rollen werden also durchaus als aus konkreten Handlungssituationen entstehend und damit als flexibel und anpassungsfähig verstanden.

4.2.3. Identität und Rolle

Personen treten Anderen nie in ihrer vollen Individualität, sondern notwendigerweise immer nur ausschnitthaft, nämlich als Träger einer situativ relevanten Rolle gegenüber. Von daher werden Personen als Rollenträger wahrgenommen, weshalb soziale Rollen in engem Zusammenhang mit der Identität von Personen stehen. Wie bereits zitiert, fasst Dahrendorf diesen Zusammenhang so auf, dass er den Einzelnen mit seinen sozialen Rollen gleichsetzt (vgl. Dahrendorf 1977, 18), diese werden somit zu seiner Identität. Der Einzelne nimmt durch die Übernahme sozialer Rollen Anteil an einer Welt, die für ihn erst durch die Internalisierung dieser Rollen subjektiv wirklich wird (vgl. Berger/Luckmann 2003, 78). Daher können Rollen, die zur Konstitution von Welt und Wirklichkeit beitragen, als Teil der Identität einer Person aufgefasst werden[19]. Aufgrund dieses engen Zusammenhangs zwischen Rolle und Identität wird an dieser Stelle kurz die Vorstellung Meads zur Identitätsentwicklung präsentiert, um daraus Konsequenzen für die Fragestellung dieser Arbeit abzuleiten.

Meads Grundüberlegung besteht darin, dass die menschliche Identität sich erst dadurch entwickelt, dass der Einzelne lernt, sich selbst als Objekt zu betrachten. Diese Möglichkeit eröffnet sich durch den bereits erläuterten Mechanismus der symbolischen Interaktion. In diesem Prozess übernimmt der Einzelne die Einstellungen und Ansichten signifikanter Anderer, indem er sich selbst objektiviert (vgl. Mead 1973, 245). Seine Einstellung zu sich selbst ist also "ein typischer ‚Spiegelreflex' auf Einstellungen des Anderen" (Berger/Luckmann 2003, 32). Diese Objekt-Komponente der menschlichen Identität nennt Mead "Me"[20] und bezeichnet damit die dem Einzelnen inhärenten Vorstellungen, Verhaltensweisen und Erwartungen der Gesellschaft in Form des verallgemeinerten Anderen.

Die zweite Komponente der Identität entspricht der spontanen Individualität des Individuums. Das im Gegensatz zum objektivierten Selbst des "Me" als "I" bezeichnete subjektive Selbst ist verantwortlich für die Reaktionen auf die durch das "Me" herangetragenen vergesellschafteten Anteile des Individuums. Somit verbleibt immer ein Rest Spontaneität und Individualität im Menschen, denn die Reaktionen des "I" sind auch für das Individuum selbst nicht vorhersehbar. Erst im Nachhinein, in der Reflexion, in der es sich dann jedoch wieder um ein "Me" handelt, über welches reflektiert wird, kann der Einzelne seine Reaktionen kennen und einordnen. "Die Handlung des ["I"] ist etwas, dessen Natur wir im vorhinein nicht bestimmen können" (Mead 1973, 220).

4.2.4. Individuum und Gesellschaft

Aus der Kombination von "I" und "Me" in der menschlichen Identität lassen sich zwei, für die hier angestrebte Diskussion der sozialen Rolle des Menschen, wichtige Aspekte herausarbeiten. Zum Einen wird durch die Betonung einer subjektiven und spontanen Komponente im Selbst die Eigenleistung des Individuums in seinem Handeln im sozialen Prozess und damit bei der Konstruktion von Wirklichkeit im Allgemeinen und sozialer Rolle im Besonderen deutlich hervorgehoben. Dies steht im Gegensatz zu einer der Hauptthesen struktur-funktionalistischer Ansätze, wobei Rollen als dem Individuum vorgegeben und von ihm nicht beeinflussbar dargestellt werden.

Zum Anderen steht die Konzeption des "Me" der funktionalistischen Opposition von Individuum und Gesellschaft entgegen. Wie ausgeführt, stellt das "Me" den verallgemeinerten Anderen dar, dessen Sichtweisen somit ein Teil des Individuums sind. Die Organisation der Identität ist demnach eine Organisation nicht nur der eigenen Haltungen der Umwelt, sondern auch der Haltungen der Umwelt sich selbst gegenüber. Da gesellschaftliche Meinungen, Erwartungen und Haltungen somit immer auch ein Teil des Einzelnen sind und nicht außerhalb seiner stehen, wird die Gegenüberstellung von Individuum und Gesellschaft weiter hinfällig. Nicht nur ist die gesellschaftliche Umwelt für ihre Entwicklung auf die einzigartigen Beiträge des Individuums angewiesen, sie ist im wahrsten Sinne des Wortes Teil des Individuums.

Im Gegensatz zur funktionalistischen Darstellung wird das Individuum im Interaktionismus demnach als mit seiner gesellschaftlichen Umwelt insofern verwoben dargestellt, als dass es gesellschaftlichen Haltungen in ihrer Ausdrucksweise seine individuelle Form gibt (vgl. Junge 2002, 30). Diese Verwobenheit drückt sich in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis aus, in dem sich beide Seiten in ihrer Entwicklung gegenseitig beeinflussen.

Daraus folgt für die Rollendiskussion, dass die beinahe anklagende Haltung gegenüber einer Gesellschaft, welche das Individuum in vorgefertigte Rollen presst, aufgegeben werden muss. Auch kann die Darstellung von Rolle als die Erwartungen Anderer an das Individuum, welches diese dann als "Rollenzumutung" (Dahrendorf 1977, 6) erfährt, unter dem Aspekt, dass die Erwartungen der gesellschaftlichen Umwelt immer auch Teil der Erwartungen des Einzelnen sind, so nicht bestehen bleiben. Vielmehr ist es plausibel, dass auch die Erwartungen und Anforderungen an bestimmte Rollen nicht nur von außen an den Rolleninhaber herangetragen, sondern "[...] vom Rollenträger geteilt werden" (Tenbruck 1961, 16). Damit entspricht jedoch der Handelnde nicht nur den Erwartungen der Gesellschaft und schützt sich somit in seinem Handeln vor möglichen Sanktionen, sondern erfüllt auch immer (zumindest teilweise) seine eigenen Erwartungen, wobei der durch drohende Sanktionen auch bestehende Zwangscharakter sozialer Rollen trotzdem bestehen bleiben kann.

4.3. Soziale Rollen und Macht

In den vorherigen Kapiteln wurde vor allem der Konstruktcharakter sozialer Rollen herausgearbeitet. Diese werden im Prozess der Interaktion erschaffen und zugeschrieben; das Individuum ist demnach an der Konstruktion der Rollen, die es einnimmt, wesentlich selbst beteiligt (vgl. Scholz 1982, 133). Trotz dieser Eigenbeteiligung des Einzelnen, sind die rollenkonstituierenden Interaktionsprozesse (meistens) nicht symmetrisch, sondern durch ein als legitim erachtetes Machtgefälle gekennzeichnet, sodass das freie Aushandeln von sozialen Rollen in der Interaktion bestimmten Einschränkungen und Begrenzungen unterliegt. Scholz wirft den Vertretern des Symbolischen Interaktionismus vor, dies, und damit den Aspekt der Macht bei der Entstehung sozialer Rollen, verkannt beziehungsweise nicht angemessen beachtet zu haben (vgl. Scholz 1982, 32).

Derartige Unterschiede in der Möglichkeit, Macht auszuüben, also die eigenen Interessen leichter gegen die Anderer durchsetzen zu können (vgl. Geller 1994, 107), gehören zum unterschiedlichen Prestige- und Sanktionspotenzial unterschiedlicher Rollen. Das angesprochene Machtgefälle in der interaktionistischen Aushandlung von Rollen liegt darin begründet, dass einigen Rollen ein größerer Interpretations- und Handlungsspielraum zugeschrieben wird als anderen. Von Trägern dieser Rollen wird ein dementsprechend dominanteres Handeln erwartet, welches als zur Rolle zugehörig akzeptiert wird (vgl. Scholz 1982, 176f.).

Im Rückgriff auf die Darstellung der Identitätsentwicklung im interaktionistischen Prozess, wird deutlich, dass die Hereinnahme der, auch als unangebracht und negativ erlebten, Haltungen, Einstellungen und Erwartungen der Gesellschaft essentiell für diese Entwicklung sind und somit zu einem gewissen Maße immer auch die des Einzelnen sind. In der Akzeptanz von Machtverhältnissen als rollenimmanent, werden diese sowie die von ihnen maßgeblich konstituierten Haltungen und Erwartungen nicht infrage gestellt.

Soziale Rollen sind somit immer auf einer Folie bestimmter internalisierter Machtverhältnisse zu sehen. Die Definitionsmacht sozialer Situationen und Rollen, die Möglichkeiten, die eigene Rolle darzustellen oder zu verändern sind also nicht jeder Rolle gleichermaßen inhärent. Dennoch kann Definitionsmacht von Rollen nicht als absolut verstanden werden, da die Spontaneität beziehungsweise Individualität des Einzelnen die Übernahme einer Rolle letztlich von seiner Akzeptanz dieser Rolle abhängig macht.

Für die hier bearbeitete Fragestellung ist vor allem von Interesse, wie die Rolle behinderter Menschen in einer Gesellschaft beschrieben werden kann und welche Erwartungen an Sein und Verhalten mit dieser zugeschriebenen Rolle verbunden werden. Im späteren Teil der Arbeit wird untersucht, wie Menschen diese Rolle des Behinderten zugewiesen bekommen, wer also an der Definition dieser Rolle beteiligt ist, welche Positionen mit dieser Rolle verbunden sind und welche Mechanismen in einer Leistungsgesellschaft bei der Zuschreibung der Behinderten-Rolle wirken.

4.4. Zusammenfassendes Verständnis sozialer Rollen

In der Diskussion um das Verständnis der sozialen Rolle und ihrer Anwendbarkeit auf Menschen mit Behinderungen möchte ich als ersten Punkt festhalten, dass die von struktur-funktionalistischen Ansätzen vorgeschlagene Trennung von Individuum und Gesellschaft nicht aufrecht erhalten werden kann. Dieser Punkt ist insofern wichtig, als dass er zum Einen die Entstehung von Rollen aus dem gesellschaftlichen Prozess heraus impliziert, als auch die Beteiligung des Individuums an der Konstruktion und Aufrechterhaltung seiner eigenen und anderer Rollen. Rollen stellen handlungsleitende oder "interpretative" (Scholz 1982, 31) Muster dar, sowohl für den Rollenträger als auch für seine Umwelt, die im Sinne einer Komplexitätsreduktion den gesellschaftlichen Prozess (vgl. Junge 2002, 35), in dem sie immer wieder erneut entstehen und sich verändern, ermöglichen. In diesem Sinne wird auch deutlich, dass Rollen zweckgebunden sind, nämlich an die jeweilige Interaktion[21] und Situation, die durch die Reduktion von Individuen auf Rollenträger bewältigt werden kann. Einen Menschen in seiner Individualität vollständig zu erfassen und diese in seinem Handeln angemessen zu berücksichtigen, kann niemandem gelingen (vgl. Dahrendorf 1977, 17; Goffman 2003, 228). Um Handeln dennoch zu ermöglichen, wird er auf eine für die jeweilige Interaktion relevante Rolle reduziert, welche auch die Rolle des Interaktionspartners mitdefiniert, in dem Wissen, dass der Einzelne nicht identisch ist mit dieser, einer anderen oder allen für ihn möglichen Rollen.

Mit dem Verweis auf Rollen als leitende Muster, die einen bestimmten Handlungshorizont sowohl für den Rollenträger als auch seine Interaktionspartner vorgeben, findet der strukturierende und damit durchaus auch zwanghafte Charakter von Rollen Berücksichtigung (vgl. Scholz 1982, 6f.). Zwar ist der Einzelne durch sein individuelles Handeln, durch das Einbringen seiner Einzigartigkeit durchaus an der Entstehung, Aufrechterhaltung oder Veränderung von Rollen (und damit auch derjenigen, die er innehat) beteiligt. Ebenso benötigen Rollen in ihrer Realisierung die Handlung des individuellen Subjekts. Dennoch kann der Einzelne nicht völlig frei zwischen allen möglichen gesellschaftlichen Rollen wählen und wechseln. Dies hängt damit zusammen, dass Rollen nicht nur äußerlichem Handeln entsprechen, sondern einem ganzen "Komplex von Emotion, Engagement,

Identifikation, der nicht erzwingbar und insofern spontan sein muß" (Tenbruck 1961, 13). Erst durch diesen Komplex erhalten äußere Handlungen ihren Sinn. Diese binden den Einzelnen in einem gewissen Sinn an seine Rolle, da er nicht nur den Erwartungen anderer, sondern auch seinen eigenen entsprechend handelt. Doch auch die mit einer bestimmten Rolle verbundenen Emotionen und Identifikationen können nicht beliebig gewählt werden, sondern "werden durchaus erwartet, und gerade diese Erwartungen sind für die Rolle zentral" (Tenbruck 1961, 13). Als zentraler Aspekt sozialer Rollen sollen demnach Erwartungen, welche in engem Zusammenhang mit gesellschaftlichen Normen und Werten (wie z. B. Leistung) stehen, nicht nur bezüglich des Verhaltens, sondern auch bezüglich des Seins, der Emotionen und Kognitionen des Rollenträgers verstanden werden.

Darüber hinaus soll festgehalten werden, dass die Zuschreibung sozialer Rollen zwar nur insofern gelingen kann, wie der Einzelne die Rolle annimmt, aber dennoch Asymmetrien in der Freiheit der Handlungs- und Zuschreibungsmöglichkeiten unterschiedlicher Rollen bestehen. Es handelt sich um einen zweiseitigen Prozess der Leitung individuellen Handelns durch Rollen und der Veränderung letzter durch eben dieses individuelle Handeln. Sowohl der Einfluss des Einzelnen auf die Ausgestaltung und das gesellschaftliche Verständnis von Rollen als auch seine Angewiesenheit auf eben diese Rollen wird so zum Ausdruck gebracht.



[9] So bezieht sich bspw. Lindemann in der Diskussion zur Herstellung der eigenen Geschlechtsidentität auf die Goffmansche Rollentheorie (vgl. Lindemann 1994). Auch Alfermann rekurriert etwas allgemeiner auf die Rollentheorie, wenn sie Geschlechterrollen(einstellungen) zur Erklärung geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung in Beruf und Familie heranzieht (vgl. Alfermann 1996).

[10] So bezieht sich bspw. Staehle in der Einleitung zu seinem Werk Handbuch Management. Die 24 Rollen der exzellenten Führungskraft explizit auf struktur-funktionalistische Rollentheorien (vgl. Staehle 1991, 16ff.). Auch in aktuelleren Lehrbüchern wird das Verhalten von Managern oder Führungspersonen als Rollenverhalten beschrieben (vgl. Steinmann/Schreyögg 2005, 19ff.).

[11] Die Bedeutung der Rollentheorie in Bezug auf Kommunikationsprozesse in Gruppen wird u.a. in den Artikeln von Herrmann/Jahnke/Loser oder von Langlotz diskutiert (vgl. Herrmann/Jahnke/Loser 2003; Langlotz 2005).

[12] Bekanntermaßen verwendet Linton anstelle des Begriffes der Position den des Status und setzt sich auch in dem hier angesprochenen Artikel mit dieser Unterscheidung auseinander. Da sich jedoch der Begriff der Position durchgesetzt hat, soll er hier ohne weitere Bezugnahme auf die noch von Linton getroffene Unterscheidung verwendet werden (vgl. auch Geller 1994, 20).

[13] Die folgende Auseinandersetzung bezieht sich hauptsächlich auf Dahrendorf, da er in der deutschen Rezeption der Rollentheorie als einer der bedeutendsten und kontroversesten Vertreter erscheint (vgl. Tenbruck, 1961, 3; Haug 1994, 20).

[14] Den illusorischen Charakter der besonders in der Sonderpädagogik beliebten Vorstellung, Individuen in ihrer "Ganzheitlichkeit" erfassen zu wollen, verdeutlicht Stahlmann in seinem 2001 erschienen Artikel "Ganzheitlichkeit" als Illusion. Zur Aktualität eines problematischen Modebegriffs in der Sonderpädagogik. Obwohl Stahlmann hier nicht auf den Rollenbegriff

Bezug nimmt, stellt auch er deutlich heraus, dass kein Individuum ein anderes ganzheitlich, vollständig, sondern immer nur in bestimmten, durch die Beziehung zu ihm geprägten Situationen erfassen kann (vgl. Stahlmann 2001, 241). Ein Therapeut wird ein Kind somit immer nur als Patienten, niemals als Spielgefährten oder Sohn/Tochter wahrnehmen können.

[15] Diese Analogie zum Theater wurde am ausdrücklichsten von Goffman gezogen, obwohl dieser der interaktionistischen Theorierichtung zuzuordnen ist (vgl. Goffman 2003).

[16] Goffmans Werk ist erstmalig 1969 in deutscher Sprache erschienen.

[17] Meads Werk ist erstmalig 1973 in deutscher Sprache erschienen.

[18] Zu den so hergestellten Objekten bzw. Phänomenen zählen auch Identität bzw. Rolle.

[19] Auch Goffman stellt diesen Zusammenhang im Fazit seiner Untersuchung heraus, wonach die "Struktur unseres Selbst unter dem Gesichtspunkt der Darstellung [also des Rollenspielens, J.S.] verstanden werden kann" (Goffman 2003, 230).

[20] Im Gegensatz zu Ulf Pacher, der das Werk 1973 in Deutsche übersetzt hat und Me durch "ICH" bzw. I durch "Ich" ersetzt, möchte ich bei der ursprünglichen englischen Variante bleiben, da diese meines Erachtens den jeweiligen Subjekt- bzw. Objektcharakter der Identität besser trifft und obendrein weniger verwirrend ist, als zwei gleiche Worte in unterschiedlicher Schreibweise.

[21] Goffman verdeutlicht diesen Zusammenhang mit dem Begriff der "Interaktionsrolle" (Goffman 2003, 25).

5. Rolle behinderter Menschen

Im Folgenden wird versucht, dem näher zu kommen, was bislang als die "Rolle des Behinderten" bezeichnet wurde. Dazu scheint es zunächst wichtig, zu klären, inwiefern behindert zu sein als soziale Rolle verstanden werden kann. Um Behindertsein als soziale Rolle definieren zu können, müssten spezifische Erwartungen an ein Individuum, welches als Träger dieser Rolle angesehen wird, ausfindig gemacht werden. Diese Erwartungen müssten unabhängig von den anderen Rollen, welche ein Individuum innehaben mag, formuliert werden. Da Rollen als sozial konstruierte Zuschreibungen definiert worden sind, die immer in Beziehung zu anderen Rollen stehen und somit als komplementär aufzufassen sind (vgl. Kapitel 4.2.2), müssten sich darüber hinaus bestimmte Komplementärrollen finden lassen, welche sich über die Behindertenrolle definieren.

5.1. Behindertsein als soziale Rolle

Behindertsein kann durchaus als eigenständige soziale Rolle verstanden werden und nicht nur als eine Störung in der Übernahme anderer sozialer Rollen (vgl. Neumann 1997, 30; Goebel 2002, 24). Eine ähnliche Diskussion lässt sich bezüglich der Krankenrolle nachvollziehen. Die mit der Krankenrolle verbundenen rollenspezifischen Erwartungen beinhalten u.a. die Befreiung von bestimmten anderen Rollenverpflichtungen, weshalb Krankheit, ebenso wie Behinderung als Beeinträchtigung der sozialen Rollenbeziehungen des Individuums angesehen werden kann (vgl. Neumann 1997, 23). Darüber hinaus sind allerdings Kranksein oder, wie im Folgenden, Behindertsein mit Erwartungen verknüpft, welche unabhängig von anderen Rollen sind. Diese Tatsache soll im Folgenden näher ausgeführt werden und rechtfertigt die Darstellung von Behinderung als eigenständiger sozialer Rolle.

Behindertsein als soziale Rolle zu definieren scheint aus verschiedenen Gründen angebracht: Die Darstellung behinderter Menschen erschöpft sich offenbar nicht in der Beschreibung als Positionsinhaber innerhalb von Berufs-, Nations-, Klassen-, Alters-, oder Geschlechtspositionssystemen. Als behinderter Mensch angesehen zu werden, führt offenbar dazu, einer den oben genannten Positionsgruppen zusätzlichen Gruppe zugeschrieben zu werden, wobei mit dieser Zuschreibung bestimmte Annahmen über die jeweilige Person einhergehen. Menschen und ihr Handeln werden vorrangig, wenn nicht gar einzig, unter dem Aspekt der Behinderung betrachtet, was dazu führt, dass ihnen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben und Erwartungen entgegengebracht werden. Behinderung ist nicht nur unterschwellig allgegenwärtig, sondern nimmt in vielen Fällen eine so dominante Rolle ein, dass sie zur vornehmlichen wenn nicht gar einzigen Beschreibungskategorie des Menschen wird (vgl. Radtke 1994, 110; Bendel 1999, 304; Goebel 2002, 61). Dies wird auch in Buchtiteln wie "Geschlecht: behindert, besonderes Merkmal: Frau" (Ewinkel/Hermes u.a. 1992) deutlich, der klar zum Ausdruck bringt, dass die Wahrnehmung als Behinderte(r) sogar die Wahrnehmung des Geschlechts überlagert (vgl. Sierck 1993, 128). Behinderung kann demnach nicht nur als soziale Rolle, sondern als zentrale soziale Rolle aufgefasst werden, da sie für die Lebenssituation und Rollenidentität der jeweiligen Rollenträger prägend ist und ihre Wahrnehmung durch andere maßgeblich bestimmt (vgl. Meyer 2000, 28).

5.2. Komplementärrollen

Darüber hinaus ist es bei der Frage, ob Behinderung als soziale Rolle verstanden werden kann, in Anlehnung an die dargestellten Ausführungen zur Rollentheorie unabdingbar, nach bestimmten Bezugsgruppen, beziehungsweise (Komplementär-) Rollen zu suchen, die sich nur über das Behindertsein Anderer definieren können. Solche Rollen gibt es in der Tat: Hierzu gehört zuerst die Gruppe der Nichtbehinderten. Es liegt auf der Hand, dass diese nur existiert, solange es behinderte Menschen gibt. Konstruktion von Normalität kann immer nur über das Bezeichnen des Abweichenden vonstatten gehen (vgl. Goebel 2002, 88). Darüber hinaus gibt es eine relativ große Gruppe von Experten, die sich mit Behinderung beschäftigen. Nur, wenn es die Rolle des Behinderten gibt, kann es beispielsweise auch Sonderpädagogen geben. Aber auch Mediziner, Physio- und andere Therapeuten sind (wenigstens teilweise) auf Behinderung angewiesen, um ihre eigene Berufsrolle konstituieren zu können[22].

Behindertsein lässt sich demnach, wie oben ausführlich dargelegt, als zugeschriebene soziale Rolle auffassen, da sich auf der einen Seite Komplementärrollen finden lassen, die Behinderung konstituieren und diese für ihre eigene Konstitution benötigen. Auf der anderen Seite führt die Wahrnehmung des Merkmals Behinderung zur Annahme über und Zuschreibung von bestimmten Eigenschaften, Sichtweisen und Handlungen der betroffenen Person (vgl. Weber 2002, 107). Es sind diese mit der Feststellung einer (offensichtlichen) Schädigung angenommenen Charaktereigenschaften und Gefühlswelten, die dann in Annahmen und Erwartungen über das Verhalten der entsprechenden Personen münden und so den Rollencharakter von Behinderung manifestieren. Es wird also die Erwartung generiert, dass Personen sich in einer bestimmten, ihrer Behindertenrolle gerechten Art und Weise verhalten. Es werden jedoch Personen, denen die Behindertenrolle zugeschrieben wird, nicht nur Eigenschaften zu-, sondern maßgeblich auch abgesprochen (vgl. ausführlich Kapitel 6 und 7 dieser Arbeit). Im Folgenden wird zuerst dargestellt, welches diese Annahmen über das Sein behinderter Menschen und die Erwartungen an ihr Verhalten sind und wie sich die Rolle des Behinderten beschreiben lässt[23].

5.3. Sichtweisen auf Behinderung

Durch alle Kulturen und über alle Zeiten hinweg sind behinderte Menschen immer aufgefallen. Selten positiv, meistens negativ, hatten sie jedoch immer eine besondere Stellung in der jeweiligen Gesellschaft inne, selten wurden sie einfach "hingenommen", noch seltener wurde man sich ihrer nicht einmal bewusst. Behindert zu sein, bedeutet somit immer auch, sich beständig den Blicken der nichtbehinderten Umwelt ausgesetzt zu sehen. "Was immer behinderte Menschen alltäglich tun und wagen, sie tun es beispielhaft. Man beobachtet sie dabei, ob es ihnen passt oder nicht" (Kebelmann 2003, 48). Der Blick, mit dem behinderte Menschen bedacht wurden und werden, kann ein durchaus differenzierter sein. Bestimmte Themen jedoch tauchen in den verschiedenen Epochen (und vor den unterschiedlichsten Hintergründen) immer wieder auf (vgl. Schönwiese 2005a).

5.3.1. Behinderung als Defizit

Verallgemeinernd kann festgestellt werden, dass behinderte Menschen in der europäischen, aber vermutlich auch in der außereuropäischen Geschichte als defizitäre Wesen angesehen wurden und werden, was ihren Ausschluss legitimiert(e) (vgl. Dederich 2001, 105). Von der Vernichtung sichtbar behindert geborener Kinder im antiken Griechenland über den Ausschluss behinderter Menschen mittels Sondereinrichtungen im Mittelalter bis hin zu neuzeitlichen Überlegungen, Behinderungen mittels Präimplantations- und Pränataldiagnostik vermeiden zu können, zeigt sich dieser Wunsch nach Vermeidung und Vernichtung von Behinderung, aufgefasst als Fehler im Menschsein (vgl. Seidler 1988, 4f.; Bonfranchi 1993, 93; Hensele/Vernooij 2002, 333; Strachota 2003, 239). Aspekte des Nicht-Könnens, des Abweichens von Erwartungen, des Absprechens bestimmter Fähigkeiten standen und stehen bei der Wahrnehmung behinderter Menschen im Vordergrund. Sie bestimmen die "Typologie des Behinderten, wie er sich in den Augen der anderen darstellt[...]: als arm, als vom Niveau seiner Mitmenschen herabgestiegen, als würdelos und ein anderes, minderes Leben führend" (Seidler 1988, 4).

Mit Dederich sei darauf hingewiesen, dass Ausdrücke des Behindertseins in der Alltagssprache noch heute als Beschimpfungen gebraucht werden, um andere herabzusetzen (Dederich 2001, 103). Ungeachtet der Frage, inwiefern solche Formulierungen eine absichtliche Abwertung behinderter Menschen implizieren, verdeutlicht diese Begriffsverwendung die dahinterliegende Tendenz, behinderte Menschen negativ und defizitär, als "anthropologische Minusvariante" (Dederich 2001, 105) bzw. als "inkompetentes Mängelexemplar" (Barsch/Bendokat 2002, 452) wahrzunehmen. Besonders die angenommene Nicht-Vollwertigkeit behinderter Menschen spielt bei dieser Sichtweise eine entscheidende Rolle.

Auch in den auf Behinderung bezogenen Fachdisziplinen wurde diese Sichtweise von Behinderung als individuenimmanenten Mangel lange Zeit durch den medizinisch-psychiatrischen Blickwinkel, unter dem behinderte Menschen betrachtet wurden, forciert. Zwar wurde das medizinische Erklärungsmodell von Behinderung (offiziell) weitgehend durch das soziale Modell abgelöst, in dem Behinderung vor allem als Konstruktion aufgrund von umweltbezogenen Barrieren und nicht mehr als individuelles Defizit erscheint (vgl. Hensele/Vernooij 2002, 21ff.)[24]. Es lassen sich jedoch auch in aktuellen Lehrbüchern noch defektologische Definitionen von Behinderung finden[25]. Wie bereits dargestellt, kommen darüber hinaus Behinderungsdefinitionen im Allgemeinen, also auch solche, welche durch das soziale Modell geprägt sind, nicht um einen letztlich am individuellen Defizit orientierten medizinisch-psychologischen Aspekt herum (vgl. Kapitel 3.1 dieser Arbeit).

Der medizinische Blickwinkel, der immer den gesunden Menschen als Referenzpunkt im Blick hat, und zu dessen "Selbstverständnis [...] die Wertunterscheidungen gesund (gut) und krank (schlecht) [gehören]" (Stengel-Rutkowski 2002, 48) hatte (und hat) einen dementsprechenden Einfluss auch auf die sonderpädagogische Theoriebildung und damit auf die Sichtweise auf behinderte Menschen (vgl. Strachota 2003, 228)[26]. Die auch in aktuellen Einführungen zur Sonderpädagogik auffindbaren Definitionen und Klassifikationen von Behinderungen nach medizinischen Kriterien implizieren eine immer noch vorherrschende Nähe der sonderpädagogischen Disziplin zur Medizin (vgl. Biermann/Goetze 2005; Hensle/Vernooij 2002). Der Ausgangspunkt medizinischen Denkens und Forschens, "das Pathologische - als sinnentleert Defizitäres" (Strachota 2003, 239), findet somit seinen Niederschlag in jeder, durch die Medizin beeinflussten, wissenschaftlichen Disziplin; so auch im sonderpädagogischen und z. B. im humangenetischen Diskurs (vgl. Stengel-Rutkowski 2002, 46).

Behinderung wurde demnach historisch gesehen als Defizit, als Mangel, als Nicht-Können wahrgenommen. Die Vorherrschaft der Medizin in den Anfängen der Sonderpädagogik (vgl. Seidler 1988, 11; Schönwiese 2005a, 63) und eine, wie aufgezeigt, noch immer bestehende Nähe zu medizinischen Theorien im sonderpädagogischen Diskurs führ(t)en dazu, dass eine Defizitorientierung in Versuchen der Beschreibung von Behinderung auch in diesem Fachdiskurs mehr oder weniger explizit anklingt.

5.3.2. Behinderung als Leid

Besonders schnell und oft wird Behinderung mit Leid assoziiert oder mit diesem gleichgesetzt (vgl. Schönwiese 2005a, 59). "Das Leben mit einer Behinderung zeigt sich in der öffentlichen Meinung als ein sehr leidvolles Leben" (Bendokat/Schlüter 2002, 277). Zwar wird Leid aus verschiedenen Perspektiven heraus als

unvermeidbar, sinnstiftend und zum menschlichen Sein zugehörig beschrieben, allerdings dennoch hauptsächlich als zu vermeidendes Übel empfunden (vgl. Bendokat/Schlüter 2002). Die mit der Wahrnehmung von fremdem Leid am häufigsten verbundene Reaktion ist die des Mitleids, welche jedoch schnell zum Selbstmitleid wird, wenn die Begrenztheit der Hilfsmöglichkeiten erkannt wird (vgl. Bendokat/Schlüter 2002, 283). Behinderte Menschen sind demnach aufgrund ihrer leidauslösenden Behinderung zu bemitleiden.

Moser beschreibt diesen Status behinderter Menschen als Bemitleidenswerte als christlich tradiert (vgl. Moser 1995, 162)[27]. Die darauf angemessene Reaktion des Mitleids, war einerseits "[..] Ausdruck des gemeinsamen Schuldbewußtseins der Erbsündenlast - als Kennzeichen der Schicksalsgemeinschaft [...]", diente jedoch auch dazu, die Ideale der Nächstenliebe zu erfüllen oder "[...] Nachlaß im eigenen Sündenregister (Ablaßwesen) [...]" (Moser 1995, 186) zu erlangen. Unabhängig von den konkreten Motiven, setzt Mitleid jedoch immer die Annahme voraus, der behinderte Mensch würde unter seiner Behinderung leiden und rechtfertige durch sein Leid eine solche Reaktion des Mitleids. "Der mitleidige Blick ist [somit] immer ein distanzierter und distanzierender" (Schönwiese 2005a, 65). Auch in der (kirchlichen) Gegenwart ist die Beziehung zu behinderten Menschen durch diesen "Samariterblick" geprägt, der Behinderung als zu heilende Krankheit ansieht und damit zwischen dem "barmherzigen Samariter", welcher wenn nicht gar zur Heilung, so doch zumindest zur Linderung des Leids herbeieilt, und dem "bedauernswerten Objekt der Barmherzigkeit" unterscheidet (Danielowski 1997, 5).

Diese Unterstellung von Leid hat somit eine besonders lange Tradition und wird durch die Menschenbilder der verschiedenen Epochen beständig variiert, verschwindet jedoch nie. So führt das "Dogma der Aufklärung", die Perfektibilität des Menschen, im 18. Jahrhundert zu einer erneuten Sichtweise auf behinderte Menschen als Unglückliche und Elende (vgl. Moser 1995, 162). Auch in Diskussionen des 21. Jahrhunderts wird vielfach auf das Leid behinderter Menschen verwiesen. So scheint die Erfahrung, bloßes Objekt der Diakonie und ihrer Mitleidsethik zu sein, in mehreren Biographien oder Erfahrungsberichten behinderter Menschen durch (vgl. Schuchardt 1993). Bereits der Untertitel Leiden und Glaube aber auch die Einleitung des 1993 erschienenen Buches Warum gerade ich? von Erika Schuchardt verweisen trotz des Anliegens des Werkes, genau diese Objekt-Erfahrung aufzuzeigen, in bezeichnender Weise auf die Selbstverständlichkeit, mit der in religiösen, aber auch wissenschaftlichen Zusammenhängen behinderte Menschen als Leidende wahrgenommen werden.

Auch Befürworter neuer Technologien im Bereich der Schwangerschafts-Vorsorgeuntersuchungen, von Spätabtreibungen oder der Bioethik begründen ihre Ansichten oftmals mit dem Hinweis auf das Leid, welches ungeborenen (oder genetisch veränderten) Kindern erspart bleiben würde. Behinderung und auch Krankheit werden in diesem Argumentationsmuster automatisch mit (unerträglichem) Leid gleichgesetzt (vgl. Bendokat/Schlüter 2002, 277), welches es (früher) zu lindern oder (heute, dank fortgeschrittener Techniken) zu verhindern gilt (vgl. Fröhlich 1993, 118; Eggli 1993, 132; Dederich 2001, 105f.; Walter 2003, 19)[28].

Die Vorstellung, dass behinderte Menschen automatisch auch leidende (und damit unglückliche und keineswegs beneidenswerte) Menschen sind, hängt unmittelbar mit ihrer Wahrnehmung als mängelbehaftete, defizitäre, funktionsgestörte und damit minderwertige Wesen zusammen. Hinzukommt, dass Behinderung oft mit Schmerz assoziiert wird und alle drei Aspekte (Defizit, Behinderung und Schmerz) stark an die eigene Vergänglichkeit, an die Fragilität des eigenen Körpers, der eigenen Person erinnern (vgl. Goebel 2002, 75). Es liegt nahe, die Vermutung anzustellen, dass der Automatismus, Behinderung mit Leid gleichzusetzen, daher rührt, dass nichtbehinderte Menschen bei der Wahrnehmung behinderter die Behinderung auf sich projizieren und die dadurch ausgelösten Gefühle (von denen sie glauben, dass sie sie hätten, wären sie behindert) auch tatsächlich betroffenen Personen unterstellen (vgl. Radtke 1994, 113; Bendokat/Schlüter 2002, 286).

5.4. Position behinderter Menschen

Die Wahrnehmung behinderter Menschen als minderwertige Leidtragende stellt natürlich nur einen Ausschnitt dar und soll nicht den Anspruch erheben, die Vielfältigkeit, mit der Menschen mit Behinderungen in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, zu erfassen. Auch positive Veränderungen in der Bereitschaft, Menschen mit Behinderungen als Freunde, Nachbarn, Mitbürger zu akzeptieren, wie beispielsweise van den Daele glaubt ausmachen zu können, sollen nicht in Abrede gestellt werden (vgl. van den Daele 2002). Die hier behandelten Aspekte wurden vor allem deshalb herausgehoben, weil sie trotz einer höheren Bereitschaft zur Akzeptanz immer wieder in der Diskussion auftauchen und damit besonders gut verdeutlichen, in welcher Tradition das Bild von Menschen mit Behinderung steht. Sie beeinflussen somit direkt die Position von behinderten Menschen, die ihnen innerhalb der Gesellschaft zugewiesen wird. Auch die im folgenden dargestellte Position bzw. Rolle des behinderten Menschen könnten als einseitig und übertrieben kritisiert werden. Es ist jedoch meines Erachtens sinnvoll, Extreme zu formulieren, um ein Problembewusstsein zu generieren.

Menschen, von denen angenommen wird, dass sie weniger können, als andere und deshalb (und aufgrund ihrer körperlichen und geistigen Verfassung im Allgemeinen) leiden, muss geholfen - konkret gegeben - werden. So sehen auch Vertreter des Leistungsprinzips dessen wahre Humanität durch die Möglichkeit gegeben, "[...] jedem Menschen, auch dem wirtschaftlich nicht so leistungsfähigen, die Voraussetzung für eine menschenwürdige Existenz [...]" (Sontheimer 1978, 84) zu schaffen. Es liegt in der humanistischen Tradition unserer Gesellschaft begründet, dass "wirtschaftlich nicht so leistungsfähige", um nicht zu sagen "leistungsunfähige" Menschen mitversorgt werden. Behinderten Menschen wird somit aus langer Tradition heraus die Position des Empfängers zugewiesen.

Natürlich ist diese Position des behinderten Menschen als Nehmendem unter Berücksichtigung der langen Geschichte der Internierung und auch Ausbeutung behinderter (und armer) Menschen in Armen- und Weisenhäusern, Heimen und Werkstätten als billige Arbeitskräfte durchaus in Frage zu stellen (vgl. Moser 1995, 129f.). Denn hier wurde ihnen nicht so sehr gegeben als vielmehr reichlich von ihnen genommen. Aus Sicht der überwiegenden Mehrheit der nichtbehinderten Bevölkerung wurden aber auch diese Formen der Behandlung als wohltätig empfunden, da man den entsprechenden Personen eine pädagogische Intention zukommen ließ, für ihr leibliches Wohl sorgte, sich - trotz der hohen Kosten - bemühte, ihnen die Werte der Gesellschaft nahe zubringen, um sie als nützliche Bürger in die herrschende Ordnung mit einzubeziehen (vgl. Moser 1995, 128/134f.). Menschen mit Behinderungen bekommen bzw. nehmen also: Zeit, Aufmerksamkeit, pädagogische Anstrengung, Pflege, finanzielle Unterstützung und wahrscheinlich vieles mehr. Besonders öffentlichkeitswirksame Beispiele hierfür sind Vorstellungen von Müttern, die ihre Berufstätigkeit aufgeben, um sich um ihr schwerstmehrfach behindertes Kind zu kümmern; sich also aufopfern und dabei sich, ihre Familie und ihre Freunde vernachlässigen.

Mit dieser Empfängerposition ist auch eine bestimmte Rolle verbunden, das heißt, es werden Personen, die in diesem Fall als Positionsinhaber wahrgenommen werden, auch bestimmte Verhaltens-, Denk- und Seinsweisen zugeschrieben und diese von ihnen erwartet. Personen, die nur empfangen, ohne selbst geben zu können, ohne selbst für ihren Unterhalt, für ihre Versorgung aufkommen zu können, werden vor allem als leistungsunfähig und nutzlos gesehen. Auch Nutzlosigkeit ist kein neues Motiv, es drückte sich nach Kebelmann schon früh in dem Bild des "unnütze[n] Esser[s]" (Kebelmann 2003, 46) aus. Durch die Tatsache, dass sie (augenscheinlich) selbst nichts zu ihrer eigenen Versorgung leisten können, werden Menschen mit Behinderungen abhängig von ihren Helfern und Unterstützern[29]. Abgesehen von diesen mit der Position des Empfängers verbundenen Annahmen, sind auch gewisse Erwartungen an die Positionsinhaber zu nennen, welche sich ergeben: Von einer nur empfangenden Person, die nichts zurückgibt, wird erwartet, dass sie sich entsprechend geduldig und dankbar verhält. Es wird ihr des Weiteren nicht zugestanden, Ansprüche oder Kritik an der empfangenen Hilfe oder am Helfer zu formulieren. Behinderte Menschen in der Position des ewigen Empfängers nehmen also die Rolle des selbst leistungsunfähigen, ob seiner Abhängigkeit dankbaren, geduldigen und anspruchslosen "ressourcenmobilisierenden Akteurs"[30] (Walter 2003, 24) ein.

5.5. Zusammenfassung

In den vorangegangenen Kapiteln wurde dargestellt, dass Behindertsein als eine soziale Rolle aufgefasst werden kann. Diese soziale Rolle wurde hauptsächlich als die Rolle des Empfängers, des Nehmenden gekennzeichnet. Da soziale Rollen als Konstrukte und als Zuschreibungen zu verstehen sind, die dementsprechend gewisse gesellschaftliche Werte spiegeln, stellt sich die Frage nach den Kriterien, nach denen eine solche Zuschreibung vorgenommen wird. Es wurde bereits ausgeführt, dass sich die Gesellschaft Deutschlands im 21. Jahrhundert als Leistungsgesellschaft versteht und was sich hinter diesem Begriff verbirgt (vgl. Kapitel 2 dieser Arbeit). Ausgehend von diesen Ausführungen muss das einer solchen Leistungsgesellschaft zugrunde liegende Leistungsprinzip als hauptsächlicher Zuschreibungs- und Platzierungsmechanismus (vgl. Diewald 1991, 30) verstanden werden. Ebenso stellen die mit diesem Prinzip verbundenen Werte der Leistung, Anstrengung, Eigenverantwortung und Unabhängigkeit Kriterien für die Zuschreibung einer sozialen Position bzw. Rolle dar. Welche konkreten Mechanismen bei der sozialen Positionierung von Menschen mit Behinderungen nach dem, in Kapitel 2.1 diskutierten, Leistungsprinzip wirksam werden können, wird im Folgenden exemplarisch bezüglich der Bereiche Erwerbsarbeit und soziale Beziehungen erörtert.



[22] Dieser Aspekt wird in Kapitel 7.2 dieser Arbeit ausführlich diskutiert.

[23] Wie bereits in Kapitel 3.3 begründet, soll hier keine Unterscheidung nach Behinderungsarten getroffen werden, auch wenn bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten sicherlich, im Sinne einer Behindertenhierarchie, nach Behinderungsart unterschiedlich zugesprochen werden (vgl. Sierck 1987, 155f.).

[24] Der Slogan "Behindert ist man nicht, behindert wird man" im Rahmen der Aktion Grundgesetz zur besseren Umsetzung des Art.3 Abs.3 GG im Alltag verdeutlicht diese Veränderung des Blickwinkels von Behinderung als personenimmanentem Defizit hin zu Behinderung als von Umweltbarrieren hervorgebrachtem Phänomen.

[25] So grenzen Hensele/Vernooij Behinderung von Krankheit wie folgt ab: "Behinderung fängt dort an, wo Krankheit aufhört. Ein Defektzustand liegt vor, ein Endzustand nach vorausgegangenem Krankheitsgeschehen, der weiterer Behandlung trotzt, irreversibel ist" (Hensele/Vernooij 2002, 14).

[26] Strachota weist in ihrem Artikel den Zusammenhang zwischen Medizin und Heil- bzw. Sonderpädagogik von den Anfängen der sonderpädagogischen Disziplin bis zur heutigen Theoriebildung nach (vgl. Strachota 2003).

[27] Es sei darauf hingewiesen, dass sich aus der christlichen Tradition zwei durchaus gegensätzliche Sichtweisen auf Menschen mit Behinderungen ergeben. Einerseits findet sich in der Bibel die noch immer beziehungsstiftende Mitleidsethik (vornehmlich NT), auf welche das Kapitel Bezug nimmt. Andererseits legt die Bibel auch die Interpretation von Behinderung und Krankheit als Strafe Gottes für Sünden nahe (vornehmlich AT). Diese Sichtweise führt dazu, dass behinderte Menschen per definitionem als moralisch schlecht, sündig und somit auch schuldig angesehen wurden, da die Behinderung ein eindeutiges Zeichen für diese Schuld darstellt. Die Ambivalenz dieses Erbes ist auch in heutigen Sichtweisen noch deutlich zu spüren.

[28] Es soll an dieser Stelle nicht auf die Diskussion über Chancen und Risiken von Pränatal-, Präimplantationsdiagnostik oder Genforschung eingegangen werden, auch sollen die jeweiligen Positionen an dieser Stelle keiner Wertung unterzogen werden. Es geht allein darum, darzustellen, mit welchen Bildern Behinderung in der Öffentlichkeit (nach wie vor) in Verbindung gebracht wird.

[29] Zur Beziehung zwischen Helfer und Beholfenem siehe Kapitel 7.3 dieser Arbeit.

[30] Walter prägt diesen Begriff für körperbehinderte Menschen in Anlehnung an die von ihr untersuchten austauschtheoretischen Zusammenhänge. Er stellt meines Erachtens nicht nur ein prägnantes Beispiel für Euphemismen im Zusammenhang mit der Bezeichnung von behinderten Menschen dar, sondern verdeutlicht auch die ungünstige Austauschposition behinderter Menschen als Akteure, welche selbst keine Ressourcen aufwenden, sondern die anderer mobilisieren. Walters Arbeit ist zu entnehmen, dass sie den Begriff absichtlich mit Hinblick auf genau diese Position einführt.

6. Leistungsprinzip und Erwerbsarbeit

In diesem Abschnitt soll die Rolle der Erwerbsarbeit bei der sozialen Positionierung behinderter Menschen in einer Leistungsgesellschaft näher untersucht werden. Dazu werden zunächst der Zusammenhang des Leistungsprinzips als hintergründigem Zuschreibungsmechanismus und dem Arbeitsmarkt als ein Feld, auf dem dieses wirksam wird, sowie die Bedeutung der Erwerbsarbeit diskutiert. Im Anschluss daran findet eine Darstellung der Position behinderter Menschen als Gruppe auf dem Arbeitsmarkt statt. Abschließend soll dargestellt werden, welche Rolle sich aus dieser Position ergibt, inwiefern sich die bereits beschriebene Behindertenrolle als Empfängerrolle wiederfinden lässt und mittels welcher Mechanismen behinderten Menschen diese Rolle zugeschrieben wird.

6.1. Der Zusammenhang von Leistung und Arbeit[31]

6.1.1. Gemeinsame Entwicklung und gemeinsame Werte

In Kapitel 2.1.3 wurde bereits erwähnt, dass das als Allokationsmechanismus verstandene Leistungsprinzip, welches auf den einfachen Nenner "Jedem nach seiner Leistung" gebracht wurde, in engem Zusammenhang mit dem Arbeitsmarkt gedacht wird (vgl. Kapitel 2.1.3, 12). Im Zuge der Herausbildung des Bürgertums und der zunehmenden Ablehnung der Zuordnung sozialer Positionen durch Standesprivilegien setzte sich eine individualistischere Vorstellung des Menschen als selbstverantwortlich und sich selbst erschaffend durch. Das Individuum wird nun "unabhängig von seiner Zugehörigkeit zu Gruppen oder Gemeinschaften, um seiner selbst willen anerkannt" (Castel 2005, 15f.). Der Arbeitsprozess als solcher gewinnt dann in dem Maße an Bedeutung, in dem sich der Mensch zunehmend als handelndes eigenverantwortliches, sich selbst erschaffendes Subjekt empfindet, welches seinen Sinn über seinen Platz in einer Gesellschaft definiert, die sich hauptsächlich als arbeitsteilige versteht (vgl. Ahrens 2000a, 10f.). "In der Arbeit schafft der Mensch nicht nur etwas anderes, ein Objekt, ein Produkt, eine Dienstleistung, sondern er erfährt sich selbst als Schaffenden und Leistenden" (Zwierlein 1997, 20f.). Arbeit wird in diesem Zusammenhang zuerst als Beschäftigung, als Schaffens- und Vergegenständlichungsprozess aufgefasst. Im Rahmen der zunehmenden Anerkennung individueller Leistung als Maßstab der Verteilung von Gütern und Chancen wird "Arbeit als Prozeß der Selbstverwirklichung [somit zur] elementaren anthropologischen Leistung" (Zwierlein 1997, 20) erklärt. In diesem Sinne wird Arbeit, verstanden als Schaffen, Vergegenständlichen und Tätigsein, zum wesentlichen Identifikationsaspekt des bürgerlichen Individuums.

In Kapitel 2.1.4 wurde beschrieben, dass sich das Leistungsprinzip als hauptsächliches Verteilungsprinzip im Zuge dieser Entwicklung der Herausbildung des Bürgertums durchsetzte (vgl. Kapitel 2.1.4, 14). Die Durchsetzung des Leistungsprinzips ist somit gleichzusetzen mit der Durchsetzung des soeben beschriebenen Arbeitsprinzips, dem "Arbeitsprimat" (Ahrens 2000a, 12). Der enge Zusammenhang, der zwischen Leistung als Zuteilungskriterium und Erwerbsarbeit als anerkanntestem Feld der Leistungserbringung hergestellt wird, wird somit bekräftigt. "Die Entfaltung des Leistungsprinzips in enger Verbindung mit dem wirtschaftsliberalen Gedankengut hat die folgenschwere Konsequenz gehabt, daß als Leistung, nach der sich die Zuteilung materieller und sozialer Chancen richten solle, in erster Linie immer Berufsleistung und Erwerbsarbeit, also jene Tätigkeit verstanden wurde, die der Mensch im Rahmen einer arbeitsteiligen Gesellschaft erbringt, um seinen Lebensunterhalt zu sichern" (Bolte 1979, S. 18f). Der Begriff von Arbeit als Schaffensprozess wird also auf den Bereich der Erwerbsarbeit reduziert.

Ein weiterer Hinweis auf die hohe Bedeutung, welche Leistung im Erwerbsleben zugesprochen wird, lässt sich auch Umfragen zur öffentlichen Meinung ableiten. Daten der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) ist zu entnehmen, dass die gesellschaftlich wichtigen Werte Leistung und Arbeit in der öffentlichen Meinung in einem starken Zusammenhang gesehen werden: "Je stärker leistungsbezogene Kriterien als maßgeblich für die individuelle Position in der Gesellschaft betrachtet werden, desto stärker werden alle Berufswerte gewichtet" (Braun & Borg 2004, 194)[32]. Zur Erklärung der Varianz im Antwortverhalten bezüglich der Gewichtung von Berufswerten fanden Braun & Borg als einzig guten Prädiktor die psychologische Variable der Einschätzung der Bedeutung von Leistung für den gesellschaftlichen Aufstieg (vgl. Braun & Borg 2004, 195). Die Einschätzung der Bedeutung von Leistung für die individuelle Position in der Gesellschaft erklärt demnach in der oben zitierten Richtung die Bedeutung, welche den erfassten Berufswerten zukommt. Dass alle Berufswerte relativ hoch gewichtet wurden, legt somit den Rückschluss nahe, dass Leistung für den gesellschaftlichen Aufstieg eine hohe Bedeutung zugeschrieben wird, welches inhaltlich dem Leistungsprinzip entspricht. Diese Annahme lässt sich durch weitere Ergebnisse der ALLBUS-Daten stützen: Im Jahr 2000 waren 95% der Westdeutschen und 94% der Ostdeutschen der Ansicht, dass Leistung und Fleiß ein wichtiges bzw. sehr wichtiges Mittel zum gesellschaftlichen Erfolg sei (vgl. Noll & Christoph 2004, 118). Durch den von Braun und Borg beobachteten Zusammenhang zwischen dieser Ansicht und der Gewichtung von Berufswerten, kann geschlussfolgert werden, dass als Maß für den durch Leistung erzielten gesellschaftlichen Erfolg die Position des Einzelnen (beziehungsweise ganzer Bevölkerungsgruppen) im Erwerbsarbeitsprozess herangezogen wird.

6.1.2. Politisch-rechtliche Zusammenhänge

Die Bedeutungszuschreibung von Leistung und des Leistungsprinzips insbesondere auf dem Arbeitsmarkt lässt sich anhand unterschiedlicher Aspekte gut nachvollziehen. Als erstes ist hier der u.a. von Heckhausen und Dreitzel formulierte Zusammenhang von Belohnungen und Vorableistungen zu nennen, welche sich vor allem in Bildungsabschlüssen ausdrücken (vgl. Heckhausen 1976, 182; Dreitzel 1976, 36). Das Erlangen bestimmter Berufspositionen, besonders solcher mit hohem Einkommen und hohem gesellschaftlichen Prestige, ist nicht so sehr von direkt unter Beweis gestellter Leistung (im Sinne von Eignung zur Ausübung des Berufs) als vielmehr von vorab erworbenen Bildungsabschlüssen abhängig. Höhere Vorableistung (ausgedrückt in Abstufungen von Abschlüssen) kann mit einer höheren beruflichen Position und einem damit verbundenen höheren Einkommen belohnt werden. Berufspositionen werden also augenscheinlich im Sinne des Leistungsprinzips verteilt[33]. Augenscheinlich deshalb, weil eben dieser Zusammenhang zwischen individueller Leistung und erworbenen Positionen die in Kapitel 1.2.2 herausgearbeitete Konstruiertheit von Leistung, welche in der impliziten Bewertung bestimmter Tätigkeiten als höherwertige zum Ausdruck kommt, und den Einfluss anderer Zuteilungsmechanismen wie sozialer Herkunft oder Glück, außer Acht lässt. Die Bedeutung des Prinzips Leistung für den Erwerb bestimmter Berufspositionen demonstriert in der Negierung anderer wesentlicher Zusammenhänge den Ideologiecharakter des Leistungsprinzips, vor allem in Bezug auf Erwerbsarbeit als gesellschaftlich anerkanntes wichtigstes Feld der Erbringung individueller Leistung (vgl. Hartmann 2002, 151).

Darüber hinaus lässt sich der enge Zusammenhang, der zwischen Leistungsprinzip und Arbeitsmarktgeschehen postuliert wird, durch einen Blick auf die Organisation sozialer Sicherungssysteme unterstreichen. Nicht nur Einkommen und berufliche Positionen, die, wie später noch zu zeigen sein wird, in einem besonders engen Verhältnis mit gesellschaftlichen Positionen gesehen werden, werden nach Erwerbsarbeitsleistung zugeteilt. Darüber hinaus bemessen sich auch fast alle Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherungssysteme (wie zum Beispiel Renten- und Arbeitslosenversicherung, sowie das zukünftige Erziehungsgeld) an den vorher erbrachten Leistungen auf dem Arbeitsmarkt (vgl. Castel 2005, 41). "Die Arbeit wird zu einer Beschäftigung, versehen mit einem Status, der über den Markt hinaus Garantien bereithält, wie einen Mindestlohn, arbeitsrechtliche Bestimmungen, Unfall-, Kranken- und Rentenversicherung und so fort" (Castel 2005, 40f.). Das bedeutet im Umkehrschluss, dass selbst die Art und der Umfang staatlicher Leistungen an (momentan oder dauerhaft) nicht Erwerbstätige Aussagen über deren vorherige Arbeitsleistung zu machen vorgeben und sich auf diese beziehen.

Die zu erbringende Leistung, nach der soziale Positionen, Status und Chancen (des sozialen Aufstiegs) in der Gesellschaft vergeben werden, definiert sich also hauptsächlich (wenn auch nicht ausschließlich) als Erwerbsarbeitsleistung. Das Leistungsprinzip, welches in einer sich so verstehenden Leistungsgesellschaft für die soziale Positionierung von Menschen als ausschlaggebend herausgearbeitet wurde, findet demnach vor allem auf dem Arbeitsmarkt Anwendung, welcher dadurch für die Konstitution von Gesellschaft eine wesentliche Funktion einnimmt. Um der Frage nachzugehen, welche Position und Rolle Menschen mit Behinderungen in einer Leistungsgesellschaft einnehmen und wie ihnen diese zugeschrieben werden, ist es demnach unumgänglich, die Chancen und Positionen behinderter Menschen auf dem Arbeitsmarkt näher zu betrachten. Zuvor soll jedoch die Bedeutung von Erwerbsarbeit noch einmal näher betrachtet werden, nachdem die vorherigen Kapitel ihre hohe Bedeutung für die Verwirklichung des Leistungsprinzips dargestellt haben.

6.2. Die Bedeutung von Erwerbsarbeit für die soziale Positionierung

Nach Wulf begreifen sich "[a]lle Industrienationen [...] weitgehend als Arbeitsgesellschaften" (Wulf 2000, 32). Das bedeutet, dass Arbeit (verstanden als Tätigsein, als Beschäftigung, nicht als spezifischer Beruf) das hauptsächliche Merkmal der Selbstdefinition und Sinngebung von Mensch und Gesellschaft darstellt. Durch soziale Sicherungssysteme von dem Zwang des Arbeitens für den eigenen Lebensunterhalt weitgehend befreit, nimmt Erwerbsarbeit zunehmend einen ideellen Wert ein, was sie jedoch an Bedeutung nicht verlieren, eher noch gewinnen lässt. Organisiert sich Gesellschaft hauptsächlich über Arbeitsteilung, wird der Platz des Einzelnen in der Gesellschaft hauptsächlich über seinen Platz in der Arbeitswelt, über seinen beruflichen Stand und Status definiert (vgl. u.a. Ahrens 2000b; Wulf 2000; Lutz 2001; Pollak & Müller 2004). Arbeit kann dadurch von einer Notwendigkeit zum "Fetisch subjektiver Sinngebung" (Ahrens 2000a, 12) und zur Obsession werden (vgl. Wulf 2000, 41). Sie hat dann letztlich vor allem die Aufgabe, "den Wert ihres Trägers innerhalb einer Gesellschaft zu demonstrieren, in der der Besitz von Arbeit zur Statusfrage avanciert ist" (Ahrens 2000b, 52).

Erwerbsarbeit kann demnach in westlichen Gesellschaften vor allem ein statuszuweisender und sinngebender Wert zugeschrieben werden, da sie nicht mehr eine notwendige Bedingung des eigenen Lebensunterhalts darstellt. Der Fokus auf die Individualität und Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen (vgl. Beck 1986; Sennett 2000; 2005) gibt Erwerbsarbeit die Bedeutung eines entscheidenden Feldes der Selbsterschaffung und Vergegenständlichung. Arbeit wird somit zum sinngebenden Ethos und bestimmt den Wert des Menschen für die Gesellschaft. Es scheint von besonderer Bedeutung zu sein, noch einmal verstärkt auf den ganz explizit von Lutz, Pollak/Müller aber auch von anderen Autoren aufgezeigten engen Zusammenhang von beruflicher und gesellschaftlicher Position hinzuweisen, welcher bis zur Gleichsetzung dieser beiden Positionsarten geht (vgl. Lutz 2001, 2; Pollak/Müller 2004, 70). Die gesellschaftliche Position und der Wert von Menschen in einer und für eine Gesellschaft scheinen sich an beruflichen Positionen zu messen, die wiederum die vom Individuum erbrachte Leistung zu reflektieren vorgeben.

6.3. Position behinderter Menschen auf dem Arbeitsmarkt

6.3.1. Einkommens- und Erwerbssituation behinderter Menschen

Um Aussagen darüber zu machen, welche Position und Rolle behinderten Menschen über den Positionierungsmechanismus des Arbeitsmarktes zugeschrieben wird, der, wie aufgezeigt, in sehr engem Zusammenhang mit dem Leistungsprinzip steht, werden im Folgenden einige Daten zur Partizipation behinderter Menschen am Erwerbsarbeitsgeschehen dargestellt, obwohl die Datengrundlagen durchaus kritisch zu betrachten sind (vgl. Maschke 2003, 167). Die statistischen Daten sind dem Mikrozensus 2003 entnommen[34], der als Umfrage zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Bevölkerung auch Daten zu Behinderung und Krankheit erhebt[35].

6.3.1.1. Relativität statistischer Aussagen - Grad der Behinderung (GdB)

Nach Aussagen des Mikrozensus lebten im Mai 2003 8,4 Millionen amtlich anerkannte behinderte Menschen in der Bundesrepublik Deutschland. Von diesen zählten 6,7 Millionen als amtlich anerkannte Schwerbehinderte, waren also im Besitz eines Schwerbehindertenausweises. Menschen gelten im Sinne des SGB IX als schwerbehindert, wenn ihnen ein Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 zugesprochen wird (vgl. SGB IX, § 2, Abs.2). Dieser Grad der Behinderung wird von den zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen festgestellt (vgl. SGB IX, § 69, Abs.1). Wie sich den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit entnehmen lässt, wird diese Feststellung des GdBs, welcher laut SGB IX Aussage über das Ausmaß der Einschränkung der Teilhabe am Leben machen soll, auf der Basis von medizinisch-psychologischen Kriterien getätigt, die von medizinischen Experten einzuschätzen sind (vgl. auch Kapitel 3.1 dieser Arbeit). In dieser Veröffentlichung findet sich u.a. eine Tabelle, welche Funktionsstörungen unterschiedlichster Bereiche (von den äußeren über die inneren Organe, ebenso wie Geist und Psyche) einem Grad der Behinderung zuordnet (vgl. BMGS 2005).

Dieser Tabelle, von Felkendorff in übersichtlicher Form zusammengefasst (vgl. Felkendorff 2004, 11ff.), ist zu entnehmen, dass beispielsweise der Verlust einer Hand oder eines Armes am Unterarm (vgl. BMGS 2005, 119) ebenso mit einem GdB von 50 bewertet werden kann, wie der schwer einstellbare Typ I der Diabetes (vgl. BMAS 2005, 99), der Verlust des Penis beim Mann (vgl. BMGS 2005, 92) oder Hirnschäden mit mittelschwerer Leistungsbeeinträchtigung (vgl. BMGS 2005, 41). Diese Beispiele sollten verdeutlichen, dass der GdB als Grundlage für die Anerkennung einer Behinderung beziehungsweise Schwerbehinderung an sich nicht sehr aussagekräftig ist, da sich hinter einem bestimmten GdB sehr unterschiedliche Phänomene verstecken können. Werden statistische Aussagen über behinderte Menschen gemacht (beispielsweise bezüglich ihrer Partizipation am Arbeitsmarkt), so basieren diese auf der numerischen Angabe des GdB, ohne dass die Möglichkeit besteht, die dahinter liegenden Phänomene zu differenzieren. Die daraus folgende eingeschränkte Aussagefähigkeit solcher, sich auf den Grad der Behinderung als Klassifikationskriterium beziehender Aussagen, sollte berücksichtigt werden.

6.3.1.2. Partizipation behinderter Menschen am Erwerbsleben

Von den erwähnten 8,4 Millionen amtlich anerkannt behinderten Menschen in der Bundesrepublik Deutschland zählen nur knapp 2,2 Millionen (26,2%) zur Gruppe der Erwerbspersonen (vgl. Pfaff u.a. 2004, 1184). Erwerbstätige sind nach Aussagen des Statistischen Bundesamtes alle Personen im Alter von 15 und mehr Jahren, die zumindest eine Stunde pro Woche gegen Entgelt (Lohn, Gehalt) oder als Selbstständige/r bzw. als mithelfende/r Familienangehörige/r arbeiten oder in einem Ausbildungsverhältnis stehen. Hierzu zählen auch Personen mit einer geringfügigen Beschäftigung, Zivil- oder Wehrdienstleistende, Soldaten oder Angestellte in geschützten oder unterstützten Beschäftigungsverhältnissen, wie zum Beispiel der WfbM[36] (vgl. Statistisches Bundesamt 2005). Bei Mühling lässt sich eine entsprechende Unterscheidung in Erwerbsquote und Beschäftigungsquote finden (vgl. Mühling 2000, 76). Die Erwerbsquote bezeichnet die Anzahl der Personen, die ihre Kraft auf dem Arbeitsmarkt anbieten(also die Erwerbspersonen), während die Beschäftigungsquote die Anzahl der Erwerbspersonen, die auch tatsächlich einen Arbeitsplatz haben, bezeichnet. Die geringe Erwerbsquote behinderter Menschen von 26,2% lässt sich u.a. darauf zurückführen, dass die Altersstruktur eine andere ist als bei der Gruppe der nichtbehinderten Menschen, d.h. dass der Anteil älterer und damit dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehender Personen sehr viel höher ist als in der nichtbehinderten Bevölkerung (vgl. Pfaff u.a. 2004, 1184). Für die arbeitsmarktrelevanten Alterskategorien ergibt sich ein weniger drastisches Bild: In der Altersgruppe der 25-45jährigen beträgt die Erwerbsquote behinderter Menschen 72,2% im Vergleich zu 88,4% bei den nichtbehinderten Menschen. Eine größere Differenz in der Anzahl der Personen, die ihre Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt anbieten, lässt sich in der nächsthöheren Altersgruppe finden: Bei den 45-55jährigen beträgt die Erwerbsquote behinderter Menschen nur noch 63,3%, während die der nichtbehinderten Personen sogar leicht auf 89,3% steigt (vgl. Pfaff u.a. 2004, 1185).

Ebenso wie die Erwerbsquote, liegt auch die Beschäftigungsquote behinderter Menschen im Jahre 2003 unter der nichtbehinderter bzw. lässt sich eine höhere Arbeitslosigkeit verzeichnen: In der Altersgruppe 25-45 Jahre waren insgesamt 14,4% der behinderten Erwerbspersonen erwerbslos im Vergleich zu 10,2% der nichtbehinderten Erwerbspersonen[37]. In der ebenfalls noch arbeitsmarktrelevanten Altersgruppe der 45-55jährigen waren insgesamt 16,4% der behinderten im Vergleich zu 10,4% der nichtbehinderten Erwerbspersonen ohne Arbeit[38] (vgl. Pfaff u.a. 2004, 1186)[39]. Diesen Daten ist demnach zu entnehmen, dass unter den behinderten Erwerbspersonen in den arbeitsmarktrelevantesten Alterskategorien Erwerbslosigkeit in höherem Maße auftritt als bei nichtbehinderten Erwerbspersonen in derselben Alterskategorie. Darüber hinaus steigt die Arbeitslosigkeit bei behinderten Erwerbspersonen mit dem Alter offensichtlich schneller an als die nichtbehinderter. Auch die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit liegt bei behinderten Erwerbspersonen höher als bei nichtbehinderten: Im Jahre 2002 betrug sie mit 12,8 Monaten fast das Doppelte der durchschnittlichen Arbeitslosigkeit aller Arbeitsuchenden (7,9 Monate) (vgl. BIH 2005, 13).

Die Angaben zu Erwerbs-, Arbeitslosen- und Beschäftigungsquote sind jedoch kritisch zu beurteilen. Zum Einen gibt es eine nicht quantifizierbare Anzahl an Personen, die sich in der sogenannten "Stillen Reserve" befinden. Diese Menschen suchen zwar nach einer Arbeit, beziehungsweise möchten ihre Arbeitskraft anbieten, lassen sich jedoch nicht arbeitslos melden, weil sie von diesem Status z. B. keine finanzielle Unterstützung erwarten oder nicht davon ausgehen, dass sie über das Arbeitsamt eine Stelle vermittelt bekommen (vgl. Mühling 2000, 71). Aus diesen Gründen könnten auch behinderte Menschen zu dieser Gruppe gehören. Die Erwerbsquote könnte also höher sein, als dargestellt. Des Weiteren könnten die dargestellten Beschäftigungsquoten das eigentliche Bild verzerren, da es sich bei behinderten Beschäftigten vielfach um Personen handelt, die ihre Behinderung erst im Laufe ihres Arbeitslebens erworben haben und den Arbeitsplatz daher bereits vor der Anerkennung als Schwerbehinderte innehatten (vgl. Maschke 2003, 168). Laut Montada trifft dies für ca. 80% aller behinderten Beschäftigten zu (vgl. Montada 1997, 6; Niehaus 1997, 35), was bedeutet dass der Anteil tatsächlich neueingestellter behinderter Menschen weit unter der Beschäftigungsquote von 85,6%[40] liegt. Es kann demnach die Vermutung angestellt werden, dass behinderten Menschen der Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert wird (vgl. Montada 1997, 15; Niehaus 1997, 34).

Auch ein Blick auf die Branchen, in denen Menschen mit Behinderungen tätig sind, lässt einen solchen Zusammenhang vermuten: Zwar sind der Großteil der behinderten Beschäftigten 2003 im Dienstleistungsgewerbe beschäftigt (28,1%), an zweiter Stelle lag jedoch der Sektor Bergbau und Verarbeitendes Gewerbe mit 23,5%, in dem behinderte Menschen ebenso häufig vertreten sind, wie nichtbehinderte Erwerbstätige (23,2%). Die Vermutung liegt nahe, dass der hohe Anteil behinderter Erwerbstätiger im Bergbau und verarbeitenden Gewerbe dadurch zustande kommt, dass diese Gewerbe gesundheitsschädlicher sind als andere und Erwerbspersonen im Laufe ihrer Arbeit öfter Behinderungen erwerben als in anderen Sektoren (vgl. Stöpel 2005, 26).

Darüber hinaus spiegelt die Partizipation behinderter Menschen am Erwerbsleben die Geschlechterunterschiede der nichtbehinderten Bevölkerung: Die Erwerbsquoten behinderter Frauen lagen mit 68,2% (25-45jährige) bzw. 56,7% (45-55jährige) deutlich unter denen behinderter Männer mit 75,2% (25-45jährige) bzw. 68,7% (45-55jährige). Zum Vergleich: Bei den nichtbehinderten 25-45jährigen galten 81,0% der Frauen gegenüber 95,6% der Männer als Erwerbspersonen; bei den 45-55jährigen 82,2% der Frauen im Vergleich zu 96,8% der Männer (vgl. Pfaff u.a. 2004, 1185). Es gelten also behinderte ebenso wie nichtbehinderte Frauen seltener als Erwerbspersonen als behinderte bzw. nichtbehinderte Männer.

6.3.1.3. Einkommenssituation behinderter Menschen

Nachdem das vorangegangene Kapitel einen Überblick über die Arbeitsmarktsituation behinderter Menschen gegeben hat und festgestellt werden konnte, dass ihre Beteiligung in Form einer geringeren Erwerbsquote und höheren Arbeitslosenquote geringer als die nichtbehinderter Personen ist, soll im Folgenden ein kurzer Überblick über die Einkommenssituation behinderter Menschen gegeben werden. Hollenweger weist darauf hin, dass der internationale Fachdiskurs behinderte Menschen oftmals unzulässig verallgemeinernd als arm und ausgeschlossen darstellt (vgl. Hollenweger 2003, 141).

Tatsächlich liegen in den Alterskategorien der 25-45- und 45-55jährigen in allen Haushaltsformen diejenigen Haushalte, in denen Menschen mit Behinderungen leben öfter im untersten Einkommensbereich und seltener im höchsten. Allerdings werden die Unterschiede mit zunehmender Haushaltsgröße immer kleiner (vgl. Pfaff u.a. 2005, 130ff.).

So lagen beispielsweise in der Alterskategorie der 25-45jährigen in den 1-Personenhaushalten[41] behinderter Menschen 30,2% in der untersten Einkommensklasse mit 700€ oder weniger. Dagegen lagen nur 17,1% der 1-Personenhaushalte nichtbehinderter Menschen in dieser Einkommensklasse. In der höchsten Einkommensklasse von 1500€ und mehr monatlich befanden sich nur 16,3% der Haushalte behinderter Menschen, während 33,6% der Haushalte nichtbehinderter Menschen in dieser Einkommensgruppe lagen (vgl. Pfaff u.a. 2005, 130).

Allerdings gilt für die gleiche Altersgruppe, dass es weniger behinderte Menschen gibt (4,0%), die angeben, gar kein eigenes Einkommen zu haben als nichtbehinderte Personen (7,5%)[42]. Doch auch bei den hier angesprochenen persönlich erzielten Einkommen liegen behinderte Menschen häufiger in der untersten Einkommenskategorie von monatlich 700€ und weniger (30,2% vs. 20,4% nichtbehinderte Personen). In der obersten Einkommensgruppe von monatlich 2300€ und mehr sind nichtbehinderte Menschen mit 10,9% sogar fast doppelt so oft vertreten wie behinderte Personen (5,8%) (vgl. Pfaff u.a. 2005, 134).

Es bleibt also festzuhalten, dass behinderte Menschen zwar häufiger in den niedrigeren Einkommensklassen anzutreffen sind als nichtbehinderte, diese erzielen jedoch häufiger gar kein persönliches Einkommen. Verständlicherweise hängt dieser Befund mit der Art der Einkommensquelle ab. Auch unter den noch nicht altersberenteten behinderten Menschen im Alter von 25-45 sind Renten und Pensionen eine wesentliche Einnahmequelle und stehen mit 18,4% in ihrer Bedeutung für das Gesamteinkommen gleich hinter dem Einkommen aus Erwerbstätigkeit mit 53,3%. Zum Vergleich: Bei nichtbehinderten Personen dieser Alterskategorie machen Einkommen aus Erwerbstätigkeit 73,8% des Gesamteinkommens aus, während Renten und Pensionen mit 0,4% nur eine marginale Rolle spielen (vgl. Pfaff u.a. 2004, 1189). Da die Studie leider keine näheren Aussagen zur Art der Rente macht, kann hier nur vermutet werden, dass es sich in dieser Alterskategorie nicht hauptsächlich um Alters-, sondern um Erwerbsunfähigkeitsrenten handelt[43]. Darüber hinaus empfangen behinderte Menschen dieser Altersgruppe mit 7,6% mehr als dreimal so häufig Sozialhilfe wie nichtbehinderte Menschen mit 2,1%. Im Gegensatz dazu beziehen nichtbehinderte Menschen fast doppelt so häufig Unterhalt von Eltern oder Partner (14,8%) wie behinderte Menschen (8,3%) (vgl. Pfaff u.a. 2004, 1189). Zu betonen bleibt jedoch die hohe Bedeutung der Renten und Pensionen, also wohlfahrtsstaatlicher Mittel, für den Lebensunterhalt selbst nicht im Rentenalter befindlicher behinderter Menschen im Vergleich zu nichtbehinderten Menschen.

6.3.2. Soziale Rolle behinderter Menschen

Die Bedeutung der Arbeitsleistung eines Individuums für seine Beurteilung als Person und seinen gesellschaftlichen Wert dürfte in Kapitel 6.2 deutlich zum Ausdruck gekommen sein (vgl. u.a. Ewinkel/Hermes 1985, 7). Zur Partizipation behinderter Menschen am Erwerbsleben lässt sich zusammenfassend sagen, dass behinderte Menschen stärker vom Erwerbsleben ausgeschlossen sind, als nichtbehinderte. Besonders Personen, die den Schwerbehindertenstatus nicht erst während ihrer Berufstätigkeit erwerben, sondern sich bereits mit einem Schwerbehindertenausweis auf eine Stelle bewerben, haben mitunter nur sehr geringe Chancen auf eine Einstellung. Dies führt zu einer Darstellung behinderter Menschen als Problemgruppe auf dem Arbeitsmarkt (vgl. Weber 2002).

Die Bedeutung des Arbeitsmarktes als primär anerkanntes Feld der Leistungserbringung, welche wiederum für die soziale Positionierung ausschlaggebend ist, wurde ausführlich dargestellt. Es folgt in diesem Zusammenhang, dass behinderte Menschen als unterrepräsentierte Gruppe auf diesem Feld auch die, das Leistungsprinzip hauptsächlich umsetzende, Erwerbsarbeitsleistung offensichtlich nicht erbringen, da diese sich auf Funktionskriterien der Flexibilität, Mobilität und Individualität (vgl. Sennett 2000) bezieht, welche behinderte Menschen oftmals nicht erfüllen können (vgl. Weber 2002, 3). Dennoch sind sie, vor allem durch Renten und Pensionen, finanziell abgesichert. Gemäß dem Leistungsprinzip läge hier also eine Diskrepanz zwischen erbrachter Leistung und darauf basierender Zuteilung vor. Von den öffentlichen Diskussionen um Sozialschmarotzertum und Missbrauch des sozialen Sicherungssystems, wie sie bezüglich Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfeempfängern (bei denen ebenso eine solche Diskrepanz vorliegt) bekannt sind (vgl. Lange 1994, 74; Kebelmann 2003, 46), werden behinderte Menschen jedoch weitgehend verschont. Während nichtbehinderte Arbeitslose sich oft mit dem Vorwurf der Arbeitsunwilligkeit oder dem "Verdacht des Schlendrians" (Ahrens 2000b, 52) konfrontiert sehen, scheinen behinderte Arbeitslose nicht primär im Visier solcher Vorwürfe zu stehen.

Der Empfang einer Rente aufgrund von Erwerbsunfähigkeit scheint im Gegenteil ein Empfangen von staatlichen Leistungen ohne eigene Erwerbsarbeitsleistung zu legitimieren, da sie direkt die Erwerbs- und damit die Leistungsunfähigkeit der betroffenen Person zu dokumentieren scheint. Die, durch die Praxis der Zuteilung des Grads der Behinderung, immer noch vorherrschende Definition einer Behinderung über das Ausmaß einer körperlichen Funktionsstörung (vgl. Kapitel 6.3.1.1) hat in Verbindung mit der Orientierung der Erwerbsfähigkeit an Funktionsleistungen (vgl. Weber 2002, 3) zur Folge, dass behinderte Menschen vor allem mit Blick auf den Arbeitsmarkt als weniger leistungsfähig, als leistungsunfähig oder als "Arbeitskraft minderer Güte" (Jantzen 1987, 30) angesehen werden. Behinderung bedeutet somit ein Abweichen von der Arbeitsnorm; dem "Arbeitsprimat" (Ahrens 2000a, 12), Wettbewerbsnachteil und damit Leistungsunfähigkeit.

Die, behinderten Menschen in diesem Prozess zugeschriebene, Leistungsunfähigkeit, welche sich objektiv aus dem Ausmaß ihrer Funktionsstörungen, dokumentiert im Grad der Behinderung, und ihrer daraus folgenden Konkurrenzunfähigkeit zu ergeben scheint, legitimiert demnach das Empfangen staatlicher Gelder ohne eigene Erwerbsleistung. Die soziale Rolle, die behinderte Menschen in dieser Logik einnehmen, ist demnach die des Nutznießers, des Empfängers, der aufgrund seiner Leistungsunfähigkeit selbst nichts geben kann, um sich die empfangenen Gaben, wie von allen anderen erwartet, selbst zu verdienen.

6.4. Soziale Positionierung und Rollenzuschreibung über Erwerbsarbeit

6.4.1. Dominanz des Leistungsprinzips

Wie bereits erwähnt, besteht die totale Leistungsgesellschaft nur als Fiktion (vgl. Kapitel 2.1.2 dieser Arbeit). Auch in Gesellschaften, in denen individuelle Leistung als hauptsächliches oder gar einziges Kriterium des Erwerbs von Positionen proklamiert wird, spielt der zugeschriebene Status einer Person (Herkunft, Geschlecht, sozioökonomischer Status etc.) eine nicht zu vernachlässigende Rolle beim Erwerb sozialer Positionen (vgl. Hartmann 2002, 77). Zwar wird der (durch Leistung) erworbene Status höher bewertet, jedoch beginnt dieser erst bei einem Minimum an zugeschriebenem Status eine Rolle zu spielen (vgl. Dreitzel 1976, 38). Die in den zitierten Bevölkerungsumfragen stark zum Ausdruck gekommene Annahme, dass für Erfolg auf dem Arbeitsmarkt, ausgedrückt in einer hohen, sicheren Position mit beträchtlichem Einkommen, maßgeblich die eigene Leistung entscheidend ist, erweist sich somit als fälschlich. Zum Einen besteht ökonomisch gesehen kein Zusammenhang zwischen Einkommen und individueller Leistung. Da Arbeit als Ware auf dem Arbeitsmarkt verstanden werden kann (vgl. Dreitzel 1976, 35) und dieser sich an Angebot und Nachfrage orientiert (vgl. Wöhe 2005, 480f.), repräsentiert das Einkommen das Verhältnis von Angebot und Nachfrage einer bestimmten Arbeitskraft am Markt. Zum Anderen werden, wie gesehen, weitere wichtige Einflussfaktoren für beruflichen (und damit gesellschaftlichen) Erfolg, wie Glück, sozialer Status, Angehörigkeit einer gesellschaftlichen Minderheit u.a. als Einflussfaktoren negiert oder als illegitim angesehen (vgl. Noll/Christoph 2004, 118).

Die Dominanz, die das Leistungsprinzip besonders bei dem Erwerb von Positionen auf dem Arbeitsmarkt nach entsprechenden Bildungsqualifikationen einzunehmen scheint, verliert angesichts der Tatsache, dass die Zugangsmöglichkeiten zu bestimmten Bildungsabschlüssen ebenfalls nicht-leistungsbezogenen Selektionsmechanismen unterliegen, seine Legitimation (vgl. Schümer 2004, 80). Das Negieren dieser selektierenden Einflüsse, wie z. B. sozialer Herkunft, führt zu den zitierten Ansichten, welche zum Einen Erwerbsarbeit als hohen Wert und zum Anderen Leistung als wesentlichstes legitimes Kriterium für beruflichen und damit gesellschaftlichen Erfolg ansehen. Der so hergestellte Zusammenhang zwischen Leistung und gesellschaftlicher Position scheint einen Rückschluss von der beruflichen bzw. gesellschaftlichen Situation auf die individuelle Leistung des Einzelnen zu legitimieren. Die Proklamation des Leistungsprinzips verschleiert insofern den Fortbestand und die Legitimation bestehender Ungleichheiten, welche das Leistungsprinzip zu umgehen vorgibt (vgl. Dreitzel 1976, 38).

6.4.2. Interaktionistische Sinnzuschreibung

Wie dargestellt, erscheint die Zuschreibung von Leistungsunfähigkeit als konstitutives Moment der Rolle des passiven Empfängers im Gegensatz zur Rolle des Missbrauch sozialer Gelder betreibenden "Schmarotzers" (Kebelmann 2003, 46). Im Folgenden soll mit Rückgriff auf die Ausführungen zur Theorie des symbolischen Interaktionismus (vgl. Kapitel 4.2 dieser Arbeit) beschrieben werden, wie diese Sinnzuschreibung im Kontext der Arbeitsmarktsituation behinderter Menschen zustande kommen kann.

Die zur Erhöhung der Partizipation behinderter Menschen am Erwerbsleben entworfenen Eingliederungsstrategien der Beschäftigungspflicht mit Ausgleichsabgabe (vgl. SGB IX, § 77)[44], des besonderen Kündigungsschutzes (vgl. SGB IX, Kap. 4), der Arbeitsassistenz[45] oder von Zuzahlungen an den Arbeitgeber (vgl. SBG IX, § 34) können sich in diesem Sinnzuschreibungsprozess in ihr Gegenteil verkehren und zu Ausgliederungsstrategien werden (vgl. Montada 1997, 8; Weber 2002, 11). Somit können diese Maßnahmen, welche als Anreiz, schwerbehinderte Menschen einzustellen, konzipiert wurden, als Bezeugung der Leistungsminderung behinderter Menschen gedeutet werden (vgl. Niehaus 1997, 44). Zwar kann, wie Niehaus feststellt und wie auch die Ausführungen in Kapitel 6.3.1.1 dieser Arbeit nahe legen, kein direkter Zusammenhang zwischen dem Grad der Behinderung und dem am Arbeitsplatz benötigten Hilfebedarf nachgewiesen werden (vgl. Niehaus 1997, 31), dennoch gelten nach SGB IX bestimmte Verpflichtungen wie die Ausgleichsabgabe und der besondere Kündigungsschutz für alle Personen mit einem Schwerbehindertenausweis, unabhängig von der konkreten Situation am Arbeitsplatz. In der Reaktion auf die Geste[46] dieser Maßnahmen wird ihnen Sinn als Kompensationsmittel zugeschrieben, da sie offenbar einzelfallunabhängig behinderungsbedingte Leistungsminderungen ausgleichen sollen. Im Umkehrschluss bewirkt dies die Zuschreibung eines generellen "Kompetenzdefizits" (Bendel 1999, 301) auf Seiten behinderter Beschäftigter, da ihre Einstellung der nichtbehinderter Beschäftigter offensichtlich nicht ebenbürtig ist und ausgeglichen werden muss (vgl. Diery/Schubert/Zink 1997, 447)[47].

6.4.3. Symbolische Sinnwelten

Der hier beschriebene Prozess der Wahrnehmung von Vergünstigungen als Kompensationsmittel entspricht beispielhaft dem von Mead herausgearbeiteten Prozess der Sinnzuschreibung zu den Gesten des Anderen in der gegenseitigen Konstitution von Welt und Identität (vgl. Mead 1973, 117f.). Sind mit dem Status der Schwerbehinderung automatisch bestimmte Vergünstigungen verbunden, so fungieren diese als Gesten, welche im Prozess der Interaktion mit Sinn versehen werden. Diese Sinnzuschreibung konstituiert, in dargestellter Art und Weise, die Identität desjenigen, der diese Gesten "sendet": in diesem Fall eine Identität als kompensationsbedürftiges Defizitwesen. Es sei noch einmal wiederholt: Erst durch diese Sinnzuschreibung wird Welt geschaffen, da nichts für den Menschen existiert, welches nicht von Sinn für ihn ist. Auch Behinderung existiert somit nur infolge einer solchen Sinnzuschreibung zu bestimmten gesellschaftlichen Gesten.

Der hier beschriebene Prozess interaktionistischer Sinnzuschreibung kann allerdings nur vor einem kulturellen Hintergrund stattfinden, welcher eine Sinnzuschreibung durch Einordnung bestimmter Phänomene in "symbolische Sinnwelten" (Berger/Luckmann 2003) ermöglicht. Es wurde dargestellt, dass vor allem das Christentum und die Aufklärung des 18. Jahrhunderts einen kulturellen Hintergrund geprägt haben, welcher Menschen mit Behinderungen hauptsächlich im Licht von Defizit, Unvollkommenheit und daraus folgendem Leid sieht (vgl. Kapitel 5 dieser Arbeit).

Die, ebenfalls aus der kultur-geschichtlichen Entwicklung hervorgegangenen, Werte von Individualität, Leistung, Arbeit, Flexibilität, Mobilität, Selbständigkeit und Unabhängigkeit konstituieren eine weitere Facette der Sinnwelten, vor deren Hintergrund Phänomene eingeordnet werden und Gesten Sinn zugeschrieben wird. Demzufolge werden Immobilität, Abhängigkeit, Hilflosigkeit und Unselbständigkeit, wie sie behinderten Menschen oft zugeschrieben werden (vgl. u.a. Blaschke/Plath 1997, 243; Walter 2003, 2), zu Problemen, und zwar zu individuellen (vgl. Beck 1986, 217).

So konstituieren sowohl die gesellschaftliche Bedeutung von Arbeit als auch ein mehr oder weniger auf dieses Feld begrenzter Leistungsbegriff einen "objektiven Wissensbestand" (Berger/Luckmann 2003, 78), der all jenen Leistungsdefizite zuschreibt, die diese eng definierten Leistungskriterien nicht nur nicht erfüllen (wollen), sondern es ganz offensichtlich nicht können. Bezugnehmend auf den in Kapitel 2.2.2 dargestellten Konstruktionscharakter von Leistung und Leistungskriterien wird deutlich, dass all jene, deren Leistung nicht nachgefragt wird, in dieser Logik als leistungsunfähig erscheinen müssen (vgl. Offe/Hinrichs, 1984, zit. n. Weber 2002, 10). Erst diese Sinnzuschreibung wiederum macht aus bestimmten reziproken Typisierungen[48] Rollen im Sinne von komplexitätsreduzierenden Orientierungskategorien des gesellschaftlichen Handelns (vgl. Berger/Luckmann 2003, 79). Auch die Sinnzuschreibung in Prozessen der sozialen Interaktion auf dem Arbeitsmarkt und die daraus folgende Rollenkonstruktion finden vor dieser kulturellen Folie statt. Dies geschieht dadurch, dass die in ihr enthaltenen Werte und Ansichten im interaktionistischen Prozess in Form der Hereinnahme der Ansichten des verallgemeinerten Anderen berücksichtigt werden (vgl. Kapitel 3.2 dieser Arbeit).

6.4.4. Alternativrolle

6.4.4.1. Entstehung im interaktionistischen Zuschreibungsprozess

Symbolische Sinnwelten, die über den Menschen und das Gesellschaftliche hinaus Ordnungsstrukturen zur Einordnung von Phänomenen bieten, bilden also den Hintergrund, auf welchem soziale Zuschreibungsprozesse stattfinden. Im vorherigen Kapitel wurde dargelegt, über welche Mechanismen und Prozesse behinderten Menschen auf dem gesellschaftlich wichtigen Feld des Arbeitsmarktes eine Identität als leistungsschwach oder leistungsunfähig zugeschrieben wird.

Den speziellen Hintergrund, vor welchem diese Zuschreibung geschieht, stellt im Rahmen dieser Arbeit die Leistungsgesellschaft und mit ihr das Leistungsprinzip dar. Dieses besagte, dass gesellschaftliche Güter und Chancen, wie (Berufs-) Positionen, Einkommen, Ansehen oder Reputation nach individueller Leistung verteilt werden sollten und jeder demnach bekommt, was er sich innerhalb dieser Logik verdient hat. Daraus folgt, dass die Logik des Leistungsprinzips "auch die Eliminierung von leistungslosem Einkommen, von unverdienten Belohnungen [fordert], welcher Art diese auch sein mögen" (Reimann 1974, 98f.). Es wurde herausgearbeitet, dass für dieses Zuteilungsprinzip vornehmlich Erwerbsarbeit die ausschlaggebende Form der Leistungserbringung darstellt. Menschen mit Behinderungen nehmen eine marginale Position auf dem Arbeitsmarkt ein (vgl. Stöpel 2005, 27) und können daher Erwerbsarbeitsleistung nicht in dem Maße erfüllen, dass ihnen im Sinne des Leistungsprinzips eine hohe Zuteilung von Gütern und Chancen zukommen würde. Kapitel 6.3.1.3 zeigte auf, dass behinderte Menschen zwar öfter als nichtbehinderte in niedrigeren Einkommensschichten zu finden waren, dass sie aber dennoch aufgrund sozialer Sicherheitssysteme nicht "Nichts" zugeteilt bekommen, also "leistungsloses Einkommen" beziehen.

Behinderten Menschen wird somit aus wohlfahrtsstaatlichen Mitteln eine Alternativrolle zur Rolle des eigenverantwortlich sich selbst versorgenden Erwerbstätigen zugewiesen (vgl. Weber 2002). Den in Kapitel 6.4.3 begonnenen Gedankengang einer kulturell-geschichtlich entstandenen Sinnwelt fortsetzend, muss auf einen weiteren wichtigen Aspekt der durch das Christentum und die Aufklärung geprägten symbolischen Sinnwelt hingewiesen werden: Aus diesen Strömungen entstanden zum Einen die christliche Pflicht des Mitgefühls, des Mitleids und damit der Fürsorge, zum Anderen der Versuch des Ausgleichs, der Korrektur normabweichenden Lebens hin zu ökonomischer Nützlichkeit (vgl. Seidler 1988, 8; Moser 1995, 188f.). In der Frage nach dem Umgang mit leistungsunfähigen und somit "unnützen" (Klönne 1994, 28) Gesellschaftsmitgliedern erscheint vor diesem Hintergrund Ausschluss keine legitime Antwort zu sein. Stattdessen besteht die Pflicht zur Versorgung.

Durch das Bereitstellen sozialer Sicherungssysteme (in diesem Fall von Renten bzw. Leistungen bei Erwerbsunfähigkeit) und arbeitsmarktfernen Sondereinrichtungen, die keine Möglichkeit der Existenzsicherung eröffnen[49], führt diese Defizitannahme im sozialen Interaktionsprozess zu einer Rollenkonstruktion, die behinderte Menschen auf die Alternativrolle des selbst nichts leistenden Empfängers festlegt. Da Leistung jedoch angeblich den Grundstein der gesellschaftlichen Ordnung darstellt, geht mit der Empfänger-Rolle die Position einher, zu dieser Ordnung nichts beitragen zu können. Die Notwendigkeit der eigenen Leistungserbringung wird somit negiert und ausgelöscht, die Versorgung von der leistungsstarken Gesellschaft übernommen. "Wenn die Leistung des einzelnen an ihrem Wert für die Gesellschaft gemessen wird, dann erwächst hieraus auch die Verpflichtung der Gesellschaft zur Hilfe für alle Leistungsschwachen und Leistungsunfähigen" (Friedrich 1974, 18).

6.4.4.2. Rollenspezifische Erwartungen

Die Dominanz des Leistungsprinzips auf dem Arbeitsmarkt bedeutet im Umkehrschluss, dass Personen, welche Geldzahlungen empfangen, die sich nicht als Anspruch aus ihrer vorhergegangenen Erwerbstätigkeit ergeben, sondern im Gegenteil, ihre Leistungsunfähigkeit auf dem Erwerbsmarkt dokumentieren, eine entsprechende Position als leistungsunfähige Empfänger zugeschrieben bekommen. Diese Alternativrolle befreit sie einerseits von der Pflicht, sich auf dem Arbeitsmarkt durchzusetzen, legitimiert leistungsloses Einkommen aufgrund von Leistungsunfähigkeit und verfestigt sich damit selbst. Andererseits führen gesellschaftliche Werte von Leistung, Eigenverantwortlichkeit und Unabhängigkeit zur Zuweisung von Schuld an der eigenen Situation und Rolle (vgl. Ahrens 2000b, 52). Dementsprechend wird auch ein gewisses Schuldbewusstsein von den Rollenträgern erwartet, zumindest doch ein Bewusstsein über den inferioren Rang in der "Hierarchie des Daseins", welche die symbolische Sinnwelt den Phänomenen und Menschentypen verleiht (vgl. Berger/Luckmann 2003, 110).

Die Alternativrolle des Leistungsempfängers im Vergleich zum Leistenden wird also einerseits aufgrund gesellschaftlich vorherrschender Werte geächtet, beziehungsweise gering geschätzt, weil mit ihr ein geringer gesellschaftlicher Nutzen verbunden wird. Andererseits liegt das Festlegen bestimmter Personengruppen auf eine dem Arbeitsmarkt externe Alternativrolle gerade im Interesse der Leistenden, der Erwerbstätigen, da auf diese Art und Weise ihr Normalarbeitsverhältnis geschützt und sie vor höherer Konkurrenz bewahrt werden (vgl. Weber 2002, 15). Die im Laufe dieser Arbeit immer wieder hervorgehobene Interessenabhängigkeit der Konstruktion sozialer Rollen kommt hier deutlich zum Vorschein.

Ein weiterer immer wieder angesprochener Punkt betraf die Komplementarität von Rollen. "Jede durchgeführte Rolle nimmt Bezug auf andere durchgeführte beziehungsweise durchzuführende Rollen" (Berger/Luckmann 2003, 80f.). In diesem Zusammenhang wurden vielfach Erwartungen von Trägern von Komplementärrollen als grundlegend für die Konstruktion sozialer Rollen beschrieben (vgl. Scholz 1982, 87/154; Tenbruck 1961, 21f.). Grundlegend für die hier beschriebene Alternativrolle des Empfängers ist die bereits ausführlich beschriebene Erwartung beziehungsweise Annahme der Leistungsunfähigkeit des Rollenträgers. Eine andere Erwartung ist die der Anspruchslosigkeit, welche in Kürzungen von Sozialleistungen immer wieder zum Ausdruck gebracht wird: Wird die Versorgung durch andere, durch die Gesellschaft übernommen, anstatt selbst erwirtschaftet, verdient zu werden, so ergibt sich daraus zwangsläufig, dass der Leistungsempfänger selbst keine Basis hat, auf welcher er Ansprüche stellen könnte, sondern die empfangenen Leistungen als Gaben anzusehen hat. Zwar stellen Sozialleistungen einen Rechtsanspruch (vgl. Castel 2005, 46f.) dar, dieser ergibt sich jedoch nicht aus dem Leistungsprinzip als solchem, sondern ist eine bewusste Gegenkonstruktion zur Relativierung dessen. Die zentrale Rolle des Sozialstaates als Schutz- und nicht als Redistributionsinstanz (vgl. Castel 2005, 47) deutet dagegen darauf hin, dass Ansprüche, die sich nicht auf die eigene Leistung, sondern auf die Wohlfahrt des Staates gründen, ihre Grenzen in der Absicherung der Existenz haben. Unmittelbar verbunden mit dem Absprechen von Ansprüchen ist auch die Erwartung von Dankbarkeit des Empfängers gegenüber der ihn versorgenden Gesellschaft. Diese Dankbarkeit wird von behinderten Menschen mit arbeitsmarktexterner Alternativrolle in größerem Umfang erwartet als von nichtbehinderten Arbeitslosen, "da selbst in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit der Status ‚arbeitslos gemeldet' nicht mit der Dauerhaftigkeit der Alternativrollen[50] von Problemgruppen zu vergleichen ist" (Weber 2002, 12).

6.5. Zusammenfassung

Im vorangegangenen Kapitel wurde aufgezeigt, wie auf dem leistungsgesellschaftlich relevanten Bereich des Arbeitsmarktes interaktionistische Rollenkonstruktion stattfinden kann. Es wurde deutlich, dass Menschen mit Behinderungen über die sinnhafte Einordnung von Gesten bestimmter, mit dem Status der Schwerbehinderung verbundener, Vergünstigungen in Verbindung mit ihrer allgemeinen Erwerbs- und Einkommenssituation eine Rolle als passive, leistungsunfähige Empfänger zugeschrieben wird.

Es soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass der soziale Prozess der Interaktion, in welchem sich diese Zuschreibung vollzieht, als Kommunikation und somit als dialektischer Prozess (vgl. Berger/Luckmann 2003, 139) verstanden werden muss (vgl. Mead 1973). Dieser Prozess ist situationsgebunden und beinhaltet sowohl die vergesellschafteten Erwartungen an den Rolleninhaber, die individuellen Reaktionen der Interaktionsteilnehmer als auch die Bereitschaft des Individuums, die ihm zugeschriebene Rolle zu übernehmen (vgl. Kapitel 4.4 dieser Arbeit). Eine soziale Rolle kann somit nur entstehen, wenn das Individuum selbst diese Rolle annimmt, sich also mit ihr identifiziert. In diesem Zusammenhang ist die von Weber gezogene Erkenntnis, dass "die staatlichen Interventionen offensichtlich die Identität der Betroffenen in extremem Maße beeinflussen und so Wirklichkeit konstituieren" (Weber 2002, 159) von besonderer Wichtigkeit. Hieraus geht hervor, dass die beschriebenen Mechanismen der Positions- und Rollenzuschreibung bezogen auf den Arbeitsmarkt offenbar nicht nur die Rollenzuschreibung durch Andere, sondern auch die Rollenannahme durch das Individuum selbst beeinflussen.

Mit der beschriebenen Empfänger-Rolle stehen bestimmte Erwartungen der Leistungsunfähigkeit, Dankbarkeit, Anspruchslosigkeit und Unfähigkeit (zur Erarbeitung des eigenen Lebensunterhalts, zur Übernahme von Verantwortung gegenüber anderen) in Verbindung. Darüber hinaus führt der Dialogcharakter des sozialen Prozesses der Sinnzuschreibung im Geiste des Leistungsprinzips dazu, dass nicht nur Positionen nach entsprechender Leistung vergeben werden, sondern dass rückwirkend auch eine Schlussfolgerung der Position einer Person auf ihre Leistung vollzogen wird. Die zugeschriebene Leistungsunfähigkeit der Empfänger bestätigt sich somit kreislaufartig selbst.



[31] Unter Arbeit soll hier ausschließlich Erwerbsarbeit verstanden werden. Dennoch ist bekannt, dass der Begriff der Arbeit über die Vorstellung bezahlter Erwerbsarbeit hinausgeht und dass besonders vor dem Hintergrund abnehmender Normalität des "Normalarbeitsverhältnisses" neue Wege gegangen werden, Arbeit sinnvoll zu definieren (vgl. Stöpel 2005, 19).

[32] Die hier angesprochenen Berufswerte bezogen sich auf (A) hohes Einkommen, (B) gute Aufstiegsmöglichkeiten, (C) interessante Tätigkeiten, (D) eine Tätigkeit, bei der man selbständig arbeiten kann, (E) ein Beruf, bei dem man anderen helfen kann, (F) ein Beruf, der für die Gesellschaft nützlich ist. Sie wurden mit der Frage "Für wie wichtig halten Sie persönlich diese Merkmale für die berufliche Arbeit und den Beruf? Benutzen Sie bitte die Skala von 1 bis 7 für Ihre Antworten" abgefragt. 1 bedeutete hierbei "unwichtig" und 7 "sehr wichtig". Die Mittelwerte lagen im Jahr 2000 alle zwischen 5,0 und 6,2 (nach Werten und

Ost/West unterschieden) und damit relativ hoch. Arbeit/ Beruf scheint somit als Kumulation aller Berufwerte einen an sich hohen Wert zu haben. Dies legen auch Ergebnisse der Europäischen Wertestudie nahe, nach denen 90,6% der Europäer (81,4% der Deutschen) Arbeit als "sehr" beziehungsweise "ziemlich wichtig" einstufen (vgl. Kern 2002, 44).

[33] Es ist hierbei zu beachten, dass es sich natürlich nicht nur um Vorab-, also Bildungsleistungen handeln muss. Beförderungen können ein Beispiel für die Verteilung von Berufspositionen nach tatsächlich erbrachter Leistung sein.

[34] Die hier verwendeten Angaben sind den Artikeln von Pfaff u.a. entnommen, welche Auswertungen des Mikrozensus vorgenommen haben (vgl. Pfaff u.a. 2004; Pfaff u.a. 2005).

[35] Der Mikrozensus ist eine gesetzlich vorgeschriebene jährlich durchgeführte Befragung zur Lebenslage der Bevölkerung, bei der ca. 1% der bundesdeutschen Haushalte befragt werden. Daten zu Behinderung und Krankheit werden nicht jährlich erfasst (vgl. Mühling 2000, 177f.). Auch im Jahr 2005 fand eine Datenerhebung statt, welche jedoch erst Ende 2006 veröffentlicht wird und somit für diese Arbeit nicht zugänglich ist.

[36] Werkstatt für behinderte Menschen.

[37] Auf die Geschlechter aufgeteilt lautet das Verhältnis folgendermaßen: 16,2% der behinderten Männer waren im Vergleich zu 10,2% der nichtbehinderten Männer arbeitslos, während 12,0% der behinderten Frauen gegenüber 10,0% der nichtbehinderten Frauen erwerbslos waren.

[38] Das Verhältnis betrug 17,2% zu 10,2% für die behinderten vs. nichtbehinderten Männer und 15,2% zu 10,6% für die behinderten vs. nichtbehinderten Frauen.

[39] Es ließen sich leider keine Daten finden bezüglich der Beschäftigungsquote behinderter Menschen in WfbMs. Bei den Angaben zu Beschäftigungs- und Arbeitslosenquote ist zu

berücksichtigen, dass ein Teil der behinderten Beschäftigten in WfbMs und somit nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeitet (vgl. SGB XI § 136).

[40] Bei einer Arbeitslosenquote von 14.4% für die Gruppe behinderter Menschen (vgl. Seite 57) liegt die Beschäftigungsquote demnach bei 85,6%.

[41] In dieser Alterskategorie leben mit 25,3% fast ein Viertel der behinderten Menschen in 1-Personenhaushalten im Vergleich zu 17,4% der nichtbehinderten Personen (vgl. Pfaff u.a. 2004, 1184).

[42] Das persönlich erzielte Einkommen wurde über alle Haushaltsformen hinweg berechnet. Da nichtbehinderte Menschen in diesem Alter seltener allein leben als behinderte, profitieren sie eher von den Einkommen anderer Haushaltsmitglieder, wie beispielsweise ihres Partners.

[43] Es kann natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass behinderte Menschen öfter Hinterbliebenenrenten beziehen als nichtbehinderte Menschen und der große prozentuale Unterschied damit zu begründen ist. Allerdings scheint dies unwahrscheinlich.

[44] Laut SGB IX § 71 sind Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen verpflichtet, 5% von diesen Arbeitsplätzen mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. Kommen sie dieser Beschäftigungspflicht nicht nach, ist nach § 77 eine Ausgleichsabgabe von 105€ bis 260€ monatlich pro unbesetzten Arbeitsplatz zu entrichten. Die Höhe der Ausgleichsabgabe richtet sich danach wie weit die Ist-Quote unter der Pflichtquote schwerbehinderter Beschäftigter liegt (vgl. SGB IX, § 77, Abs. 2).

[45] Unter Arbeitsassistenz sollen hier sowohl das Modell der Arbeitsassistenz nach SGB IX § 102 als auch das der Hamburger Arbeitsassistenz verstanden werden (vgl. Hinz/Boban 2001, 49ff.).

[46] "Der Begriff ‚Geste' kann mit jenen Anfängen gesellschaftlicher Handlungen gleichgesetzt werden, die als Reize für die Reaktionen anderer Wesen dienen" (Mead 1973, 82f.).

[47] Bei der hier zitierten Studie ist folgendes anzumerken: Die befragten Unternehmen (welche die Pflichtquote sämtlich nicht erfüllten und von daher eher als potenzielle Arbeitgeber angesehen werden können) waren überwiegend "teilweise" der Ansicht, dass die Aufgaben in ihrem Betrieb für behinderte Menschen zu schwer waren, beziehungsweise stimmten dieser Aussage "ziemlich" zu. Sie waren also der Ansicht, behinderte Menschen könnten die Aufgaben weniger gut erfüllen als nichtbehinderte, woraus zu schließen ist, dass sie diese als weniger leistungsfähig einstuften. Da tatsächlich kaum behinderte Menschen beschäftigt waren, nahmen die befragten Unternehmen jedoch auch kaum die gesetzlich möglichen Ausgleichszahlungen für die Beschäftigung behinderter Arbeitnehmer in Anspruch (vgl. Diery/Schubert/Zink 1997, 453).

[48] Reziproke Typisierung bedeutet, dass bestimmte Handlungen wiederholt von bestimmten Handelnden ausgeführt werden und sich somit Typen von Handlungen auf Typen von Handelnden beziehen. Es findet also eine Festlegung statt, welche Typen von Handelnden welche Typen von Handlungen ausführen.

[49] Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) beträgt der bundesdurchschnittliche Lohn für Beschäftigte in einer WfbM 160€/monatl. (vgl. BAG WfbM 2005).

[50] Während in der vorliegenden Arbeit das Augenmerk auf die, Arbeitslosigkeit legitimierende, Rolle des leistungsunfähigen Empfängers gerichtet wurde, beschreibt Weber die arbeitsmarktexterne Alternativrolle von behinderten Menschen als Dauerklientel von Therapieeinrichtungen oder ewig auf Familie oder Heim Reduzierten.

7. Leistungsprinzip und soziale Beziehungen

In diesem Abschnitt soll der bereits mehrfach angesprochenen Annahme nachgegangen werden, dass sich das Leistungs- (oder Arbeits-)Prinzip nicht mehr nur auf den Bereich der Erwerbstätigkeit und damit auf den Bereich des Arbeitsmarktes beschränkt, sondern sich auch auf Lebensbereiche ausdehnt, die nicht arbeitsmarktbezogenen sind, wie den der sozialen Beziehungen (vgl. Wulf 2000, 43).

Im Folgenden wird gezeigt, inwiefern soziale Beziehungen selbst als individuelle Leistung aufgefasst werden können (vgl. Diewald 1991, 252) und welche herausragende Rolle die Reziprozitätsnorm als beziehungsstiftendes Moment spielt (vgl. Stegbauer 2002, 157). Es sei jedoch an dieser Stelle bereits auf den logischen Zusammenhang zwischen einer als Leistung und Gegenleistung definierten Reziprozitätsnorm (vgl. Stegbauer 2002, 13) als Grundpfeiler sozialer Beziehungen und einem auf diesen Bereich übertragenen Leistungsprinzip hingewiesen: Die noch aufzuzeigende Bedeutung der Reziprozitätsnorm in sozialen Beziehungen ist nichts anderes als die konsequente Umsetzung eines Leistungsprinzips, nachdem jeder soviel bekommt, wie er gibt (oder gegeben hat). Die Bedeutung der Rezipriozitätsnorm in sozialen Beziehungen unterstreicht demnach die Bedeutung, die dem Leistungsprinzip in diesem Bereich zugeschrieben wird.

7.1. Soziale Beziehungen

Die Bedeutung der Leistung des Einzelnen für seine soziale Positionierung geht einher mit einer verstärkten Bedeutung des Individuums als "zentraler Bezugspunkt für sich selbst und die Gesellschaft" (vgl. Junge 2002, 7). Anders ausgedrückt kann erst durch eine verstärkte Konzentration auf das Individuum auch dessen Leistung berücksichtigt werden. Wie bereits dargestellt, geht die Befreiung des Individuums aus gesellschaftlichen Zwängen mit einer erhöhten Verantwortung des Einzelnen bezüglich seiner Lebensgestaltung einher. Die Leistung im Arbeitsprozess gewinnt in diesem Zusammenhang stark an Bedeutung, da sie es dem Individuum ermöglicht, sich seinen gesellschaftlichen Platz selbst zu erkämpfen (vgl. Kapitel 6.1.1 dieser Arbeit).

In einer arbeitsteilig organisierten, funktional differenzierten Gesellschaft ist das Individuum jedoch nicht nur für seine soziale Positionierung über die Eigenleistung im Arbeitsprozess verantwortlich. Da funktionale Differenzierung "nicht nur eine arbeitsteilige Spezialisierung verschiedener Institutionen [bedeutet], sondern zunächst die Auflösung eines umfassenden Sinnzusammenhangs" (Diewald 1991, 27), ist der Einzelne auch für seine Eingliederung in verschiedene Teilbereiche dieser ausdifferenzierten Gesellschaft und damit für den Aufbau einer Sinnwelt als Interpretationshintergrund verantwortlich. Der Einzelne ist demnach nicht mehr selbstverständlich ganzheitlich in soziale Beziehungen eingebunden, sondern diese sind selbst funktional in Bezug auf verschiedene Aufgaben im Prozess der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung spezialisiert (vgl. Diewald 1991, 29).

Die Auflösung selbstverständlicher ganzheitlicher Beziehungen beschreibt Sennett als die konsequente Übertragung leistungsgesellschaftlicher Werte auf die persönliche Ebene sozialer Beziehungen (vgl. Sennett 2000). In einer auf individuelle Leistung, Mobilität, Flexibilität und damit Kurzfristigkeit orientierten Gesellschaft, wird die Zeit zusammenhanglos, menschliche Erfahrung und Lebensläufe fragmentarisch und enge Bindungen aus Angst vor Stagnation möglichst nicht eingegangen. "Auf die Familie übertragen bedeuten diese Werte einer flexiblen Gesellschaft: bleib in Bewegung, geh keine Bindungen ein und bring keine Opfer" (Sennett 2000, 29). Da sich soziale Beziehungen über gegenseitige Abhängigkeiten konstituieren, diese jedoch in einer auf Individualität ausgerichteten Gesellschaft als "Sünde" gelten (Sennett 2000, 190), besteht zum Einen die vielbeschriebene Gefahr der Vereinzelung und Entsolidarisierung (vgl. Diewald 1991, 15; Junge 2002, 26; Walter 2003, 6). Zum Anderen werden gerade Personen, welche als erhöht abhängig wahrgenommen werden, zu unattraktiven Interaktionspartnern (vgl. Gouldner 1960, 178; Diewald 1991, 57).

7.1.1. Entscheidungsfreiheit vs. Entscheidungszwang

Festzuhalten bleibt, dass die Eigenverantwortlichkeit des Individuums bezüglich seines sozialen Umfeldes zur Folge hat, dass soziale Beziehungen reflektierter eingegangen werden und leichter wieder kündbar sind. Es findet somit eine Ökonomisierung sozialer Beziehungen dahingehend statt, dass sie durch ihre Wähl- und Kündbarkeit auf ihren Nutzen für den Einzelnen reduziert werden (vgl. Walter 2003, 8). Die durch die Ausdifferenzierung der Gesellschaft entstandenen unterschiedlichen und gleichwertigen Sinnwelten im Sinne von Deutungsmustern und Handlungsorientierungen zwingen den Einzelnen zur Auswahl und Kombination von Sinnhintergründen, vor denen er seine Identität und sein soziales Umfeld konstruiert (vgl. Diewald 1991, 31). Diese Entscheidungsmöglichkeit kann sich einerseits als Vergrößerung des Handlungsspielraumes und Möglichkeit zur Selbstbestimmung darstellen, andererseits jedoch auch als Zwang zur Entscheidung, als permanente Verantwortungsübertragung auf den Einzelnen. Diewald fragt in diesem Zusammenhang nach den Verlierergruppen dieser Entwicklung und kommt zu dem Schluss, dass es sich hierbei vor allem um Gruppen mit schwachen Verwandtschaftsnetzen handelt. Diese sind dementsprechend stärker auf selbst gewählte, von ihrer eigenen sozialen Attraktivität abhängige, Beziehungen angewiesen (vgl. Diewald 1991, 253f.). Gerade in Bezug auf behinderte Menschen zeigt sich der Doppelcharakter von größeren Entscheidungsmöglichkeiten bzgl. sozialer Beziehungen als Segen oder Fluch. Einerseits dürften sich behinderte Menschen aufgrund der ihnen zugeschriebenen Behinderten-Rolle, die, wie aufgezeigt mit erhöhtem Unterstützungsbedarf, Abhängigkeit und eigener Leistungsunfähigkeit assoziiert wird, in unattraktiveren Austauschpositionen befinden (vgl. Walter 2003, 6). Andererseits zeigt die von behinderten Menschen angestoßene Selbstbestimmt-Leben-Bewegung[51] deutlich, dass behinderte Menschen selbst eine Chance in diesen Freisetzungs- und Öffnungsprozessen sehen.

Unabhängig davon, ob die Freisetzung aus vorgegebenen gesellschaftlichen Zusammenhängen und die sich daraus ergebende Möglichkeit, Beziehungen selbstbestimmt zu wählen, als Bereicherung oder Zwang angesehen werden, steht es außer Frage, dass dem selbstverantwortlichen Individuum gewisse Kompetenzen abgefordert werden, die entscheiden, ob es zu den Gewinnern oder Verlierern der individualisierenden Modernisierungsprozesse wird. Die Verlagerung der Verantwortung für soziale Eingebundenheit in das Individuum selbst bedeutet letztlich, dass der Aufbau und das Aufrechterhalten sozialer Beziehungen ebenfalls zu einer individuellen Leistung werden, die von den spezifischen Kompetenzen des Einzelnen abhängt und seinen Platz in der Gesellschaft bestimmt (vgl. Diewald 1991, 252; Walter 2003, 2).

7.1.2. Reziprozität als beziehungsstiftendes Kriterium

Wird der Einbezug in eine bestimmte soziale Umwelt weniger selbstverständlich und erfolgt nicht mehr automatisch, sondern in Eigenregie des Individuums anhand von Nützlichkeitskriterien, so fragt sich, durch welche Mechanismen soziale Beziehungen unter diesen Bedingungen entstehen und aufrechterhalten werden. Ein solcher beziehungsinitiierender und -stabilisierender Mechanismus wird bereits 1960 von Gouldner in Form der Reziprozitätsnorm formuliert (vgl. Gouldner 1960). Auch spätere Autoren sind der Ansicht, dass "die Gegenseitigkeit eines der letzten universal gültigen beziehungsstiftenden Regularien [ist]" (Stegbauer 2002, 157).

7.1.2.1. Funktion in sozialen Systemen

Reziprozität geht auf die Vorstellung sozialer Beziehungen als soziale Austauschprozesse zurück, welche durch die Gegenseitigkeit von Geben und Nehmen initiiert und aufrechterhalten werden (vgl. Walter 2003, 8). Durch die von Gouldner postulierte allgemeingültige, in Sozialisationsprozessen erworbene Reziprozitätsnorm gehen Individuen in sozialen Interaktionsprozessen Verpflichtungen zueinander ein. Geber und Empfänger sind sich darüber im Klaren, dass beide sowohl die Pflicht zu geben als auch das Recht zu empfangen haben und der Empfänger einer Hilfe oder Unterstützung dementsprechend so lange in der Schuld des Gebers steht, bis er einen entsprechenden Ausgleich vornehmen kann (vgl. Gouldner 1960, 174). Die Geber-Seite initiiert somit durch ihre Handlung eine längerfristige soziale Beziehung, da eine Erwiderung noch aussteht. Wie Stegbauer feststellt, ist die Erwartung einer Erwiderung auf Seiten des Gebers für die Aufrechterhaltung der so gestifteten sozialen Beziehung jedoch nicht notwendig. Durch die "Erwartungs-Erwartung des Empfängers" oder Dritter wird die Fortsetzung der Beziehung "überindividuell abgesichert" (Stegbauer 2002, 16). Die Erwartung einer Erwiderung auf der einen oder der anderen Seite und die Unmöglichkeit, die Beziehung zu einer Person, in deren Schuld man steht bzw. die einem noch etwas schuldig ist, abzubrechen, führt dazu, dass Reziprozitätserwartungen langfristige soziale Interaktionsprozesse stiften und aufrechterhalten können (vgl. Gouldner 1960, 175).

Das Eingehen sozialer Beziehungen ist in dieser Sichtweise durchaus egoistisch motiviert, da in irgendeiner Form ein Ausgleich für erbrachte Leistungen, Hilfen oder Handlungen im Allgemeinen erwartet wird. Reziprozität wird somit zum Verbindungsglied zwischen dem aus Individualisierung und Leistungsorientierung entstehenden Egoismus und der zur Stabilität sozialer Systeme notwendigen Solidarität. Geben ist in diesem Konzept kein altruistischer Akt, sondern selbstdienlich motiviert (vgl. Jungbauer-Gans 2002, 52).

Gouldner sieht die Stabilisierung von sozialen Beziehungen und Systemen durch Reziprozität hauptsächlich über diese gegenseitigen Verpflichtungen und vornehmlich durch offene Schuldforderungen gewährleistet. Vor allem die Tatsache, dass Austausch oftmals zwischen nicht direkt äquivalenten Gütern stattfindet, sondern heteromorphen Charakter hat (vgl. Stegbauer 2002, 59), führt dazu, dass ein gewisses Maß an Unklarheit darüber bestehen bleibt, ob die Schuld bereits abgeglichen ist bzw. wer momentan in wessen Schuld steht. Der Zeitraum, in dem die Reziprozitätsnorm zu Gegenseitigkeit und Kooperation mit dem Anderen verpflichtet, wird somit verlängert oder gar in einen Kreislauf der Gegenseitigkeiten transformiert (vgl. Gouldner 1960, 175).

7.1.2.2. Reziprozität und Behinderung

Soziale Beziehungen spiegeln unter diesen Gesichtspunkten den hohen Wert, welcher einem wie auch immer definierten Konzept von Leistung zugeschrieben wird[52], in doppelter Hinsicht wieder: Zum Einen wird deutlich, dass der Aufbau und Erhalt sozialer Beziehungen verstärkt in die Eigenverantwortung des Individuums verschoben wird. Anstatt automatische Selbstverständlichkeiten darzustellen, werden soziale Beziehungen immer mehr zur Leistung des Einzelnen. Zum Anderen stellt Reziprozität als "das Prinzip, durch welches Beziehungen hergestellt und erhalten werden" (Stegbauer 2002, 157, Hervorhebungen J.S.) die Kompetenzen und Ressourcen von Interaktionspartnern in den Vordergrund. Beziehungen werden nach diesem Prinzip in erster Linie mit Personen eingegangen, von denen man erwartet, dass ihre Ressourcen und Kompetenzen einen Ausgleich ermöglichen (vgl. Gouldner 1960, 178). Das Individuum wird also unter dem Blickwinkel seiner Möglichkeit, etwas für den Interaktionspartner Nützliches oder Interessantes zum Tausch zu bieten, bewertet und in soziale Beziehungen eingebunden.

Walter stellt in diesem Zusammenhang folgende These auf: Sollte Reziprozität tatsächlich im Zuge des u.a. von Beck postulierten Individualisierungsschubes eine derartig tragende Rolle für den Aufbau und Erhalt sozialer Beziehungen spielen, so müsste auch Menschen mit Behinderungen bestimmte Ressourcen und Tauschpotential zugesprochen werden, da auch sie sich in sozialen Beziehungen befinden (vgl. Walter 2003, 3).

Andere Autoren kommen angesichts der Implikationen einer Reziprozitätsnorm zu dem Schluss, dass diese nicht in Beziehungen zu Kindern, alten oder behinderten Menschen gelten kann, da diese Personengruppen keine Ressourcen oder Kompetenzen haben, einen Ausgleich zu erbringen (vgl. Gouldner 1960, 178; Jungbauer-Gans 2002, 53). Die Frage nach den Ressourcen bzw. der Leistungsfähigkeit behinderter Menschen wird in diesen Überlegungen nicht gestellt. Es wird einzig versucht zu erklären, warum Personengruppen, die augenscheinlich nichts zurückgeben können, dennoch geholfen wird bzw. warum sie dennoch in soziale Beziehungen eingebunden sind. Besonders schwierig erscheint dies bezüglich behinderter Menschen, da deren soziale Beziehungen nicht über das Konzept der aufgeschobenen Reziprozität erklärt werden können, bei dem eine Seite gibt und erst viel später eine Erwiderung erfährt, wie es sich auf Alte und Kinder anwenden lässt (vgl. Diewald 1991, 120ff.).

Diewald schlägt das Konzept der generalisierten Reziprozität vor, um soziale Beziehungen zu behinderten Menschen zu erklären, von denen angenommen wird, dass sie nicht nur temporal sondern grundsätzlich keine Gegenleistung erbringen können. Bei dieser Form der Reziprozität findet der Austausch "auf der Ebene eines ganzen Systems von Beziehungen" (Diewald 1991, 122) statt. Die Notwendigkeit zu Geben ist als moralische Norm verankert.

Gemeinsam ist diesen Annahmen, dass sie die Fähigkeit behinderter Menschen negieren, Gegenleistungen in, auf Reziprozität beruhenden, sozialen Beziehungen zu erbringen. So muss auch Walter ihre oben erwähnte Eingangsthese bereits in ihren theoretischen Vorüberlegungen falsifizieren, wenn sie feststellt, dass soziale Beziehungen zu behinderten Menschen unter der Austauschannahme wenig lohnend erscheinen und in solchen Beziehungen auf die Reziprozitätsnorm verzichtet wird (vgl. Walter 2003, 29).

Durch den hier postulierten Verzicht auf die Reziprozitätsnorm in sozialen Beziehungen zu behinderten Menschen werden diese in eine einseitige Abhängigkeitsposition gedrängt, da ihre Gegenleistungen nicht als solche anerkannt werden. Wieder wird die Behinderten-Rolle als reine Empfänger-/Nehmerrolle konstruiert. Als Empfänger ohne Möglichkeit der Erbringung einer Gegenleistung stehen sie jedoch beständig in der Schuld ihrer Interaktionspartner. Unter dem Gesichtspunkt reziproker Beziehungen stehen einseitig Empfangende solange in der Schuld ihrer Geber, bis sie einen adäquaten Ausgleich zu leisten imstande sind (vgl. Kapitel 7.1.2.1.). Es ergibt sich aus der asymmetrischen Natur einer solchen Beziehung, dass derjenige, welcher einen Ausgleich, eine Gegenleistung schuldig bleibt, keinen Anspruch auf eigene Forderungen erheben kann (vgl. Stegbauer 2002, 97). Das Eingehen von Beziehungen zu nicht gegenleistungsfähigen Personen stellt sich damit als Akt reiner Wohltätigkeit dar. Welche Auswirkungen dies auf die Rollenkonstruktion der Beziehungsteilnehmer hat, wird ab Kapitel 7.2 anhand einer bestimmten Beziehungsart, welche behinderte Menschen eingehen (können oder müssen), dargestellt werden.

7.1.3. Reziprozität und soziale Rollentheorie

Sowohl Gouldner als auch Stegbauer stellen einen engen Bezug zwischen Rollentheorie und Reziprozität als beziehungsstiftendem Moment her (vgl. Gouldner 1960, 176; Stegbauer 2002, 32/115ff.). Die bereits in Kapitel 4.2.2 besprochene Komplementarität von sozialen Rollen wird von Stegbauer als Rollenreziprozität verstanden, als die wechselseitige Konstitution von Rollen, als ihre gegenseitige Angewiesenheit (vgl. Stegbauer 2002, 117). Reziprozität bezieht sich hier nicht so sehr auf erwartete individuelle Gegenleistungen in sozialen Beziehungen sondern mehr auf die Tatsache, dass soziales Handeln in seiner Rollenhaftigkeit stets durch Reziprozität geprägt ist, da auch in asymmetrischen Rollenbeziehungen, wie beispielsweise im Arzt-Patient- oder im Eltern-Kind-Verhältnis, der augenscheinlich vornehmlich gebende Part sein Gegenüber benötigt.

Gouldner sieht in den Gesetzmäßigkeiten der Reziprozität eine Art Auffangnetz für soziales Handeln, falls Rollenhandeln versagen sollte. So wird das Einhalten von erwartbarem Rollenhandeln durch eine gemeinsame Reziprozitätsnorm zusätzlich gestärkt, auch wenn große Machtunterschiede innerhalb einer sozialen Beziehung zu einer Verletzung des reziproken Rollenhandelns verführen sollten (vgl. Gouldner 1960, 176). Die Reziprozitätsnorm verstärkt in diesem Falle die aus einer sozialen Rolle erwachsenen Handlungsverpflichtungen und hebt diese von einer zwanghaften funktionalen zusätzlich auf eine weniger zwanghafte, internalisierte Ebene.

Die verschiedenen, in diesen Kapiteln aufgeworfenen, Aspekte von Reziprozität in, durch soziale Rollen geprägten, sozialen Beziehungen sollen nunmehr zu einer These verdichtet werden, welcher im Folgenden nachzugehen ist: In Anlehnung an Walter soll hier die These aufgestellt werden, dass auch in Beziehungen behinderter Menschen zu Professionellen von Seiten der Professionellen auf die Reziprozitätsnorm verzichtet wird (vgl. Walter 2003, 29) und die Beziehung als einseitig helfende/ unterstützende angesehen wird. Es liegt nahe, diese besondere Form sozialer Beziehungen zwischen behinderten Menschen und auf Behinderung spezialisierten Professionellen näher zu betrachten, da die meisten behinderten Menschen im Laufe ihres Lebens zwangsläufig langfristige und prägende Kontakte zu diesen Professionellen haben (vgl. u.a. Sierck 1993, 126ff.). Darüber hinaus können die Behinderten- und die Professionellenrolle (von auf Behinderung spezialisierten Professionellen) als sich gegenseitig bedingend und damit als Komplementärrollen angesehen werden. Sollte sich die Annahme einer Negierung der Reziprozitätsnorm in solchen Beziehungen in der zu sichtenden Literatur tatsächlich bestätigen lassen, so stellt sich die Frage, welche Auswirkung dies auf die in einer solchen sozialen Interaktion stattfindende Konstruktion der Behinderten- (und auch der Professionellen-)Rolle hat. Es liegt nahe zu vermuten, dass auf Behinderung spezialisierte Professionelle durch einen solchen Verzicht auf dieses letzte universal gültige beziehungsstiftende Regularium der Reziprozität (vgl. Stegbauer 2002, 157) dazu beitragen, Menschen mit Behinderungen auf eine einseitige Nehmerrolle festzulegen und ihnen eine eigenständige Leistungs- oder Gegenleistungsfähigkeit abzusprechen.

7.2. Helfen und Fördern als Beruf

Berufe oder Fachdisziplinen, die sich auf Behinderung beziehen, verstehen sich klassischerweise als helfende Berufe (vgl. Cloerkes 2001, 296f.). Implizit oder explizit scheint diese Selbstbeschreibung auch in den meisten Schriften der Sonder- oder Rehabilitationspädagogik (als der auf Behinderung bezogenen Disziplin) durch[53]. Auch Kritiken von Seiten behinderter Menschen an der "Helferrolle als Herrschaftsinteresse" (Frehe 1987, 157) greifen dieses Selbstverständnis auf.

Im Folgenden soll in mehreren Schritten das Selbstverständnis der hier angesprochenen Disziplinen, vor allem das der Heil-, Sonder- oder Rehabilitationspädagogik beleuchtet werden, um später danach zu fragen, was eine solche Selbstbeschreibung Professioneller für die hier als komplementär angesehene Rolle behinderter Menschen bedeutet.

7.2.1. Selbstverständnis der Fachdisziplin: Experten

Im Rahmen einer zunehmender Rezeption konstruktivistischen Gedankengutes auch in den auf Behinderung bezogenen Fachdisziplinen und Berufsständen ist die Beobachtung, dass sich diese Fachdisziplinen ihr Klientel selbst konstruieren inzwischen fast zu einem Allgemeinplatz geworden (vgl. Dederich 2001, 58; Moser 2003, 18; Schönwiese 2005a, 63). Unter der systemtheoretischen Annahme, dass Disziplinen wie Sonderpädagogik ebenfalls als autopoietische Systeme angesehen werden müssen, erfindet ein solches System sein jeweils konstituierendes Merkmal - in diesem Falle Behinderung - in seinem Bestreben nach Selbsterhaltung beständig selbst (vgl. Hansen 2001, 28).

Auf die Frage danach, wie und als was Behinderung in diesem Zusammenhang konstruiert wird, muss sicherlich zuerst mit der Konstruktion Anderer als behinderungsbezogene Experten geantwortet werden. Expertentum drückt sich in diesem Fall darin aus, dass Behinderung(en) konkret definiert und klassifiziert werden und ein (entgegen allen Behauptungen, ein soziales Modell von Behinderung zu vertreten, medizinisch ausgerichtetes) Spezialwissen über das Wesen, die Ursachen, Folgen und Behandlungsnotwendigkeiten von Behinderung zusammengestellt wird (vgl. Schönwiese 2005a, 63). Sonderpädagogik versteht sich als Expertentum, da sich ihre so hergestellten Spezialisierungen im Vergleich zur allgemeinen Pädagogik wie "eine Diät zu normaler Ernährung, wie spezielle Kenntnisse zu Grundkenntnissen verhalten" (Bach 1999, 93).

7.2.1.1. Spezialwissen

Aus den folgenden Beispielen sollte einerseits hervorgehen, wie individuenzentriert und defizitorientiert auch aktuelle Lehrbücher der Sonderpädagogik argumentieren können, andererseits fällt besonders die durch die folgende Darstellung implizite Konstruktion der eigenen Rolle als der des Experten auf:

So wird z.B. in einer sonderpädagogischen Einführung von Biermann/Goetze, welche einzelne Behinderungsarten (und Hochbegabung) kapitelweise darstellt, folgende Grobeinteilung von Körperbehinderung vorgenommen: Körperbehinderungen, so die Autoren, können als Schädigungen des Zentralnervensystems, der Muskulatur/ des Skelettsystems oder als chronische Krankheiten bzw. Fehlfunktionen von Organen auftreten (vgl. Biermann/Goetze 2005, 77). An anderer Stelle wird geistige Behinderung mit den Worten der AAMR[54] als "substanzielle Einschränkungen einer Person charakterisiert, Einschränkungen, die sowohl ihre intellektuellen Fähigkeiten betreffen als auch ihre soziale Anpassung, wie sie sich bei der Konzeptbildung sowie beim sozialen und praktischen Anpassungsverhalten zeigt [...]" (Biermann/Goetze 2005, 102)[55]. Als Interventionen bei einer solchen Einschränkung werden Psychoanalyse, Klientenzentrierte Therapie, Verhaltenstherapie, Gestalttherapie, Systemische Therapie, Spieltherapie und als besonders innovativ positive Verhaltensunterstützung vorgestellt (vgl. Biermann/Goetze 2005, 116).

Die Beschreibung von Ursachen, Merkmalen, Auswirkungen und vor allen Dingen Interventionsmöglichkeiten bzgl. einer vorher definierten Behinderung lässt durchscheinen, dass Behinderung vor allem als medizinisches Defizit des Individuums verstanden wird, welches nach einer bestimmten (nur von der Behinderung, nicht vom Individuum) abhängigen Intervention, gemildert werden kann. Diese implizite Defizitannahme und die Annahme, dass jede Behinderungsart ihre jeweils spezifischen Förderbedürfnisse mit sich bringt (vgl. Hansen 2001, 31), erzeugt ein Selbstverständnis der auf Behinderung bezogenen Fachrichtungen, in welchem der Vertreter einer solchen Fachrichtung als Inhaber eines speziellen Wissens und damit als Inhaber der Macht zur Veränderung erscheint. Diese Veränderung, welche als gewünscht und fast unumgänglich unterstellt wird, und sich mit den Begriffen der Therapie, Förderung und Hilfe zusammenfassen lässt, kann nur der Experte mit seinem Spezialwissen vornehmen, was ihn unabkömmlich macht.

Das so konstruierte Spezialwissen wird in aller Regel nicht nur mittels theoretischer, sondern auch moralischer Argumente gegen Angriffe eines, dieses Wissen nivellierenden Universalismus (vgl. Hansen 2001, 25) verteidigt. Der unterstellte Wunsch der Milderung oder Abschaffung der als Defekt beschriebenen Behinderung - kurz: der Wunsch nach Intervention - legitimiert im Rückschluss den Experten als die Instanz, welche eben diese Intervention leisten kann.

7.2.1.2. Menschenbild

Sonderpädagogik versteht sich vor allem als intervenierende Kraft nach bereits misslungener Bildung oder Erziehung (vgl. Lindmeier 2000, 170f.). Der Kernbegriff der Behinderung wird also in diesem pädagogischen Zusammenhang als das Misslingen von Erziehung/ Bildung verstanden, woraus sich die Notwendigkeit einer aus der Normalpädagogik ausgelagerten Einzelintervention ergibt (vgl. Lindmeier 2000, 167). "Innerhalb dieser Konstruktion scheint Behinderung als semantischer Kernbestand der Disziplin unabdingbar in ein anthropologisches und ethisches Feld gerückt" (Moser 2003, 20). Behinderung muss diese anthropologische Komponente aufweisen, da sich einerseits erst aus Postulaten der Veränderbar- und Bildbarkeit des Menschen (vgl. Tetens 1777, zit. n. Lindenberger 2002, 359f.) Möglichkeiten der, für das sonderpädagogische Selbstverständnis wichtigen, Interventionen ergeben. Andererseits ergeben sich erst durch den Rückgriff auf ein Menschenbild, welches ideelle und normative Vorstellungen über das Sein des Menschen ausdrückt, die Ziele, an denen sich pädagogische Interventionen ausrichten können (vgl. Haeberlin 1994, 20; Hensele/Vernooij 2002, 322). Sonderpädagogik als Disziplin legitimiert sich daher traditionell anthropologisch, über die Formulierung eines Menschenbildes.

Im Folgenden soll im Sinne Siegenthalers in rekonstruktiver Art versucht werden, die impliziten Annahmen über behinderte Menschen in heilpädagogischen Formulierungen eines allgemeinen Menschenbildes zu erkunden (vgl. Siegenthaler 1993, 19).

Die Notwendigkeit, ein neues, behinderte Menschen einschließendes, Menschenbild zu entwickeln, ergibt sich für Siegenthaler dadurch, dass jede heilpädagogische Tätigkeit dadurch gekennzeichnet sei, "dass sie den Heilpädagogen in Widerspruch versetzt zum heute gängigen Menschenbild" (Siegenthaler 1993, 71), und ihn ständig mit der "Grenzzone menschlicher Existenz [den] Schwerst-Geistigbehinderten" (Siegenthaler 1993, 74) konfrontiert. Diese Konfrontation zwingt zum Umwerten, zum Umdenken zu einem Menschenbild, welches nicht vom "gesunden, intakten, nicht-behinderten Menschen" (Siegenthaler 1993, 74) ausgeht. In der Konsequenz muss ein allgemeingültiges Menschenbild formuliert werden, ohne bestimmte "bisher als selbstverständlich erachtete Begriffe [...], weil sie Behinderte ausschliessen" (Siegenthaler 1993, 74). Zu diesen Begriffen, welche, sollten sie Teil eines allgemeinen Menschenbildes ausmachen, behinderte Menschen ausschließen würden, gehören "die Vernunftbegabung, die Sprache, das logisch-abstrakte Denken, die Welt- und Selbstgestaltung des Menschen etc." (Siegenthaler 1993, 74; vgl. u.a. Hensele/Vernooij 2002, 325).

Auch Haeberlin muss sich um ein Menschenbild bemühen, das in einer Gesellschaft, in der "kein Gleichgewicht zwischen egoistischem und altruistischem Handlungsmotiv besteht [und wo] der menschliche Egoismusdie überwiegende Triebfeder menschlichen Handelns geworden ist" (Haeberlin 1994, 61) eine Alternative zur Erklärungen von Handlungen darstellt. Beziehungen unter dem Blickwinkel einer rein utilitaristischen Ethik sind einseitig auf den Nutzenaspekt orientiert und blenden damit "das Wesen einer Handlungsorientierung aus Pflicht und aus Verantwortung gegenüber dem Mitmenschen" (Forster 2004, 232) aus. In dieser Konstruktion der Motivation gesellschaftlichen Handelns kann Haeberlin die Motivation des Heilpädagogen nur als pathologisches Bedürfnis, sich mit Schwächeren zu umgeben und sich dadurch der eigenen Stärke zu versichern oder als Ausleben eines unterschwelligen Machtbedürfnisses erklären (vgl. Haeberlin 1994, 63f.). Denn dass die Beziehung des Heilpädagogen zu behinderten Menschen ausschließlich durch Altruismus geprägt ist, der sich unter der Annahme egoistischer Prämissen nicht anders erklären ließe, steht für die zitierten Autoren außer Frage (vgl. u.a. Cloerkes 2001, 301ff.). Daher ist es "kaum möglich, dass der Heilpädagoge im Rahmen des bisher entwickelten Identitätsmodells [in welchem Handlungen durch Egoismus motiviert werden und Altruismus ebenfalls zu egoistischen Zwecken funktionalisiert wird, J.S.] zu einem positiven Selbstverständnis kommen kann" (Haeberlin 1994, 64). Ähnlich argumentiert auch Schmidbauer, wenn er feststellt, dass die Identität eines Helfers in einer Leistungsgesellschaft, in der Nähe, Wärme und Liebe als gesellschaftliche Werte, auf die sich ein Helfer maßgeblich beruft, nicht existieren können, nur problematisch sein kann (vgl. Schmidbauer 1999, 40f.).

Um dennoch ein positives Selbstverständnis des Heilpädagogen zu ermöglichen, trifft Haeberlin eine Werteentscheidung bezüglich eines, für alle gültigen, Menschenbildes. Er legt fest, dass menschliches Handeln geleitet sein soll von dem "Wert der Gleichheit der Menschen und [dem] Wert der Nächstenliebe zwischen den Menschen" (Haeberlin 1994, 67). Ähnlich definiert Forster die "Verantwortung als Grundlage einer ethisch bestimmten Relation zu anderen Menschen" (Forster 2004, 234) als Basis für ein, über utilitaristische Konzeptionen hinausgehendes Menschenbild. Verantwortung als ethische Grundlage eröffnet die Möglichkeit, behinderte Menschen in dieses Menschenbild einzuschließen und positiv besetzte Beziehung zu ihnen einzugehen. Durch die Ideale der gegenseitigen Verantwortung, der Nächstenliebe und der Gleichheit aller Menschen, erscheint die Hinwendung des Heilpädagogen zu Schwachen und Hilflosen nicht mehr unverständlich oder negativ, sondern positiv besetzt und erklärbar.

7.2.1.3. Impliziertes Bild behinderter Menschen

Diesen Versuchen, ein allgemeines, für alle Menschen gültiges Menschenbild zu formulieren, liegt die Annahme des Nicht-Könnens behinderter Menschen zugrunde. Die Prämisse aller Überlegungen ist, dass behinderte Menschen schwach und hilflos sind und ihnen daher nur altruistisch begegnet werden kann. Der Versuch, ein Menschenbild, welches nicht auf Leistungsfähigkeit, Schönheit und egoistischer Austauschmotivation beruht, zu konstruieren, muss nur deshalb unternommen werden, weil sich Sonderpädagogen in ihren Ausgangsüberlegungen, in denen Behinderung als "körperlich verzerrte[s], psychisch zerbrechliche[s] und geistig verarmte[s] Menschsein" (Siegenthaler 1993, 71) gesetzt wird, mit Vertretern des Präferenz-Utilitarismus einig sind (vgl. u.a. Cloerkes 2001, 310), gegen die sie in den Euthanasie-Debatten zu recht erbittert argumentieren (für Übersichtsartikel bzgl. dieser Debatten vgl. Bonfranchi 1993; Hoyningen-Süess/Widmer 2003). In der Folge werden behinderten Menschen Fähigkeiten der Vernunft, Sprache, des Denkens und der Gestaltung von vornherein abgesprochen. Das Bemühen, durch den Rückgriff auf eine ethisch-religiöse Gesinnung (vgl. Haeberlin 1994, 74) Beziehungen zu behinderten Menschen außerhalb egoistischer Austauschüberlegungen zu erklären, verdeutlicht die Unmöglichkeit der Vorstellung, dass behinderte Menschen in der Lage wären, in diesen Austauschbeziehungen zu bestehen, also etwas zu geben. Der Heilpädagoge muss sich in dieser Sichtweise von Nächstenliebe leiten lassen, weil die Interpretation einer reziproken und damit egoistischen Beziehung unter dem Aspekt der Schwäche, Hilflosigkeit und menschlichen Grenzstellung behinderter Menschen keine positive sein kann.

Aus eben diesen Gründen erfolgt auch die Selbstdarstellung der Vertreter der Fachdisziplinen als Experten. Professionelle Interaktionen mit behinderten Menschen stehen immer unter dem Blickwinkel der Intervention, der Veränderung auf etwas hin. Dieses Etwas sind in aller Regel von den Experten festgelegte wünschenswerte Zielzustände, die sich auf die scheinbar objektive Klassifizierung und Kategorisierung von Behinderungen und ihren Ursachen berufen und mit dem heilpädagogischen Menschenbild begründet werden. Auch Konzepte, welche sich explizit von diesem traditionellen Selbstverständnis der Sonderpädagogik abgrenzen möchten, wie z. B. das Empowerment-Konzept oder die Integrationspädagogik, sind unter diesem Aspekt der, von nichtbehinderten Fachleuten für behinderte Menschen vorgenommenen, Zielsetzung für und der Beurteilung von Interventionen kritisiert worden (vgl. Schildmann 1993, 23; Eggli 1993, 134).

7.2.2. Selbstverständnis der Fachdisziplin: Helfer

Aus dem Selbstverständnis, anthropologisch legitimierte Experten für schwache und hilflose Menschen zu sein, denen man nicht zumuten kann, unter gesellschaftlicher Leistungsorientierung betrachtet zu werden, da sie diesem Blick nicht standhalten würden, ergibt sich ein weiterer Aspekt des professionellen Selbstverständnisses der Vertreter von auf Behinderung bezogenen Fachrichtungen: Dieser nächste, und m.E. folgenreichste Schritt ist der zu einem Selbstverständnis als Helfer (vgl. Cloerkes 2001, 296ff.). Bereits die angesprochene Definition von Sonderpädagogik als intervenierende Kraft nach misslungener Bildung (vgl. Lindmeier 2000, 170f.) legt ein solches Selbstverständnis nahe. Im Zuge der Professionalisierung im Rahmen gesamtgesellschaftlicher Arbeitsteilung bildeten sich u.a. die Professionen der Heil-, Sonder-, und Rehabilitationspädagogik als diejenigen aus, welche sich auf die Erbringung von Hilfeleistungen spezialisierten, die früher im Familienkreis geleistet wurden (vgl. Fröhlich 1993, 113; Schmidbauer 1999, 23).

7.2.2.1. Orientierung an Nichtbehinderung

Das Rekurrieren auf ein spezifisches Menschenbild, so minimalistisch dieses auch versucht wird anzulegen (vgl. Kapitel 7.2.1.2), zieht letztlich immer als Konsequenz nach sich, dass versucht wird, Personen zu helfen, auf den Weg zu diesem Menschenbild und damit auf den Weg zu "individueller Perfektibilität und Glückseligkeit" (Moser 2003, 22) zu gelangen. Erziehung ist, nach Haeberlin, im Allgemeinen "Hilfe zur Vermenschlichung" (Haeberlin 1994, 17); Sonderpädagogik, als Intervention nach misslungener Erziehung, demnach erst recht, quasi die letzte Hilfsinstanz auf dem Weg zum Menschsein.

Der Tätigkeitsbereich des Experten erstreckt sich in dem Ausformulieren eines solchen zielsetzenden und damit normativen Menschenbildes auf die Definition dessen, was als Glückseligkeit und Erstrebenswertes anzusehen ist. Das Nichterreichen dieser Zielsetzungen legitimiert wiederum die Arbeit des Heilpädagogen (vgl. Haeberlin 1994, 78). Allerdings scheint dieses Menschenbild doch nicht so minimalistisch zu sein, als dass alle Menschen ohne Schwierigkeiten in ihm wiedergefunden werden könnten. Dies spiegelt sich in der Tatsache wieder, dass Interventionen in Form von Therapie und Förderung, welche auf die Verringerung der Behinderung oder eine weitestgehende Anpassung an Nichtbehinderung zielen, Kernbestand auch heutiger sonderpädagogischer Tätigkeiten sind (vgl. z. B. Bach 1999, 94ff./115ff.; Seemann 2003, 13; Klein 2004, 380). Hintergrund dieser Tätigkeiten des Förderns, Therapierens, Heilens und sonderpädagogischen Erziehens bleibt somit die Annäherung an ein Menschenbild der Nichtbehinderung, welches, wenn nicht explizites Ziel, so doch implizit handlungsleitend ist.

7.2.2.2. Stellvertreter

Wesentlicher Ausdruck eines Selbstverständnisses als Helfende auf dem Weg zur Normalität ist die Selbstbeschreibung als Stellvertreter. Diese Selbstbeschreibung ergibt sich logisch aus der angenommenen Schwäche und Hilflosigkeit behinderter Menschen. Unter Rückgriff auf ein, den Werten der Gleichheit und Nächstenliebe verpflichtetes, Menschenbild werden somit diejenigen mit "relativ besser entwickelbaren Fähigkeiten [...] zu den Anwälten von ‚Benachteiligten' und ‚Behinderten', ohne dass sie mit dieser Rolle das Gefühl des ‚Überlegenen', des ‚Höherwertigen' verbinden dürfen" (Haeberlin 1994, 94, Hervorhebung J.S.). Nichtbehinderung als allgegenwärtige Vergleichsfolie tritt in der Stellvertreterproblematik besonders deutlich hervor. Zwar dürfen sich die Stellvertreter nicht als Überlegene verstehen, müssen es allerdings indirekt doch tun, da sich sonst die Frage nach der Legitimation einer Stellvertretung unter Gleichberechtigten stellt. Dass nichtbehinderte Menschen als Anwälte und Fürsprecher ihrer behinderten Mitmenschen gelten sollen, ist konsequente Folge einer impliziten Orientierung an eben dieser Nichtbehinderung.

Stellvertretung behinderter Menschen durch nichtbehinderte schließt jedoch nicht nur eine implizite Höherwertung von Nichtbehinderung ein, sondern auch eine explizite Entmachtung behinderter Menschen. Stellvertretung und Fürsprache bedeutet wörtlich an Stelle einer Person für sie zu sprechen: Die so vertretene Person wird demnach nicht zu Wort gebeten, es wird für und über sie gesprochen (vgl. Schildmann 1993, 22). Diese Form der Hilfe auf dem Weg zu einer möglichst nichtbehinderten Normalität ist jedoch immer gekennzeichnet durch eine strukturell asymmetrische Interaktion zwischen professionellen Helfern und Geholfenen, was die so erteilte Hilfe problematisch werden lässt (vgl. Kobi 1993, 105) und eine der "strukturelle[n] Paradoxien" (Stahlmann 2001, 241) von Sonderpädagogik als Disziplin darstellt.

7.2.2.3. Helfer-Selbstverständnis

Verstehen sich Vertreter der auf Behinderung bezogenen Fachrichtungen als Helfende, so ergeben sich daraus gewisse Aussagen über die Sichtweise auf behinderte Menschen und auf das eigene Selbstverständnis. Die sich aus dieser Selbstbeschreibung ergebende Sichtweise auf behinderte Menschen wurde bereits kurz angesprochen und soll im folgenden Kapitel noch weiter ausgeführt werden. Die Annahme einer Notwendigkeit zu helfen, basiert auf der Annahme der Hilfsbedürftigkeit, Hilflosigkeit und Schwäche des Anderen. In dieser Annahme sind sich Helfer einig mit Vertretern einer präferenz-utilitaristischen Position, argumentieren jedoch auf einer moralischen Ebene, um Beziehungen zu als schwach und hilflos Definierten positiv besetzen zu können.

Zum Selbstbild des Helfers gehört dagegen das Ideal des Aufopferns, der Selbstlosigkeit sowie Tugenden der Geduld, des Vertrauens, der Einsatzbereitschaft und eines besonderen Einfühlungsvermögens (vgl. Schmidbauer 1999, 22; Cloerkes 2001, 302). Der Helfer hat den Anspruch, den Empfänger seiner Hilfsleistung zu verstehen, sich in ihn einzufühlen, um angemessene Hilfe zu geben. Dafür muss er sich selbst zurücknehmen, für den Moment der Interaktion mit dem Hilfsbedürftigen seine eigenen Bedürfnisse hintanstellen. So sieht Seidler die positive Entwicklung des Behinderungswesens nach dem Zweiten Weltkrieg im Gegensatz zur Ausgrenzung behinderter Menschen davor u.a. darin bestätigt, dass "[e]ine Vielzahl engagierter Helfer [...] mit Sachkenntnis, Gewissenhaftigkeit, Geduld und auch Barmherzigkeit die Belastungen [erträgt], die vielfach im Umgang mit Behinderten beschlossen liegen" (Seidler 1988, 18). Der Helfer erscheint in dieser asymmetrischen Interaktionsform als der einseitig Gebende; derjenige, der für sich weniger aus der Interaktion mitnehmen kann, als er gegeben hat.

Der, in der Asymmetrie der Interaktion zwischen Helfer und Geholfenem hergestellte, Machtunterschied lässt wie selbstverständlich den gebenden, helfenden Teil der Interaktion als den Mächtigeren erscheinen. Hier schließt sich der Kreis zur bereits angesprochenen Stellvertreter- (oder Verantwortungs-)Ethik als zentralem Element sonderpädagogischer Diskussionen (vgl. Mürner/Schriber 1993; Moser 2003, 75). Der seine größere Stärke, Macht und Leistung durch beständiges Geben im Helfen bezeugende Interaktionsteil handelt für den hilfsbedürftigen, spricht für diesen und vertritt ihn. Die Bedürftigkeit des Anderen und das Gewissen, im Helfen in dessen Namen zu handeln, legitimiert die so entstehende Stellvertreterposition.

7.2.3. Die Beziehungsebene

Bedeutsam werden diese Feststellungen vor allem im Zusammenhang mit der Bedeutung, welcher der zwischenmenschlichen Beziehung in der Helfer-Geholfenen-Interaktion zugemessen wird. Nach Schmidbauer besteht der Unterschied zwischen alten Helfern und neuen Helfern, zu denen er auch die Heil- und Sonderpädagogen rechnet (vgl. Schmidbauer 1999, 33) darin, dass letztere im Vergleich zu ersteren beziehungsorientiert sind; sich über die soziale Beziehung zu den Beholfenen definieren (vgl. Schmidbauer 1999, 77). Gerade diese neuen Helferberufe stellen also den Beziehungsaspekt in den Vordergrund wodurch die gesamte Person des Helfers stärker in den Hilfsprozess involviert wird (vgl. Schmidbauer 1999, 156).

Ist jedoch die persönliche Beziehung, das emotionale Engagement zentral für die helfende Beziehung, so stellt sich, den eingangs aufgestellten Überlegungen zur Reziprozität als beziehungsstiftendes Moment folgend, die Frage, inwiefern Reziprozität in einer professionellen Hilfsbeziehung vorhanden ist. Wie bereits in Kapitel 7.1.2.1 deutlich hervorgetreten sein sollte, ist es vor allem die Norm der Reziprozität, welche es Interaktionspartnern erlaubt, zeitweilig in der Schuld eines Anderen zu stehen, ohne sich selbst als passiv, wert- und ressourcenlos zu erleben. Hilfsleistungen, welche der Reziprozitätsnorm unterstehen, bezeichnet Kobi in Anlehnung an Bierhoff als wechselseitige Kontingenzen (vgl. Bierhoff 1988, zit. n. Kobi 1993, 101). Geben und Nehmen ist ausgewogen, Abhängigkeiten wechseln einander ab und die Möglichkeit des Zurückzahlens der erhaltenen Hilfe festigt die Beziehung der Interaktionspartner.

Professionelle Hilfsbeziehungen gegenüber behinderten Menschen sind jedoch bereits durch die, auf einem Menschenbild der Schwäche und Hilflosigkeit basierende, Mitleidsethik durch nicht nur situative asymmetrische Kontingenzen gekennzeichnet (vgl. Kobi 1993, 105). Die Selbstdarstellung als professioneller, sich anthropologisch, ethisch-moralisch oder religiös, auf jeden Fall aber nicht über die Reziprozitätsnorm legitimierender Helfer verneint diese, jede andere Beziehung strukturierende, Norm (vgl. Schmidbauer 1999, 242).

7.3. Die Rolle des Empfängers

Die Bedeutung des Beziehungsaspekts macht auch Schmidbauer in seiner psychoanalytischen Untersuchung des Helfersyndroms deutlich. Dieses zeichnet sich nach Schmidbauer dadurch aus, dass die Beziehung zum Schwachen um des Versicherns der eigenen Stärke willen zur Sucht wird und zur Abwehr anderer Beziehungsformen genutzt wird (vgl. Schmidbauer 1999, 22). Ohne detailliert auf die Problematik eines Helfersyndroms eingehen zu wollen, sind doch einige, m.E. bereits in der professionellen Helferrolle angelegte Aspekte für die sich daraus ableitende Konstruktion der Gegenseite von Bedeutung.

7.3.1. Der Nutzen der Geberseite

Als hauptsächliche, allerdings unbewusste Motivation, einen Helferberuf zu ergreifen, nennt Schmidbauer das Motiv des Nehmens im Geben (vgl. Schmidbauer 1999, 121). Dieses Motiv leitet er psychoanalytisch aus der Ansicht ab, dass vor allem selbst bedürftige Menschen Helfer werden und sich somit im angeblich selbstlosen Geben an den Anderen ein stückweit Befriedigung ihrer eigenen Geborgenheits- und Abhängigkeitsbedürfnisse verschaffen (vgl. Schmidbauer 1999, 43/46). In einer weniger auf konkrete psychische Bedürfnisse fokussierten Sichtweise lässt sich somit sagen, dass Helfer in ihrem Geben generell immer auch etwas bekommen; in der Bedürfnisbefriedigung anderer immer auch eigene Bedürfnisse befriedigen und somit immer auch einen gewissen Nutzen aus der augenscheinlich selbstlosen Interaktion ziehen. "Hilfe ist ein homöostatischer Akt, der primär dem Helfer und - wenn's stimmig war - im weitern dann auch dem Beholfenen Entspannung bringt" (Kobi 1993, 106).

Die Helferrolle definiert sich jedoch maßgeblich über das Ideal des selbstlosen Gebens. Indem sie sich jedoch auf Nächstenliebe und Verantwortung als beziehungsstiftende Momente in der Beziehung zu behinderten Menschen beruft, verneint sie den Aspekt des Nutzens für den Gebenden. Eben dieser Nutzen, das Nehmen im Geben kann nicht thematisiert werden. Um die eigene Rolle nicht zu gefährden, muss die Leistung in der Beziehung zum behinderten Menschen einseitig auf Seiten des Helfers liegen. Nur in dieser Konstruktion der Helferrolle ergibt sich ein weiterer, nicht zu unterschätzender Nutzen, nämlich der der Statuserhöhung des Helfers durch Anerkennung für die Leistung des selbstlosen Gebens (vgl. Walter 2003, 29). Diese Vermeidung von Gegenseitigkeit um des Erhaltes der eigenen Rolle willen lässt den Helfer stark und gebend erscheinen und konstruiert somit unter der Annahme der Komplementarität von Rollen eine schwache Nehmer-Rolle. "In Helfer-Beziehungen muß ein Partner immer stark sein, er braucht ein pflegebedürftiges Gegenüber" (Schmidbauer 1999, 242).

7.3.2. Konstruktion der Nehmer-Rolle

Rollen werden maßgeblich über ihren Gegenpart, über eine Komplementärrolle konstruiert (vgl. Kapitel 4.2 dieser Arbeit). In der Beziehung zum Experten, welcher sich als allein gebender Sachverständiger gibt und somit, wie bereits zitiert, die sonst beziehungsstiftende Reziprozitätsnorm in der Interaktion mit behinderten Menschen negiert (vgl. Walter 2003, 29), wird dieser Gegenpart dementsprechend als allein nehmend konstruiert. Die Geste, die von einer solchen Selbstkonstruktion als Helfer ausgeht, ist die der Bedürftigkeit und Hilflosigkeit des Gegenübers. Aus diesem Grund ist von diesem Gegenüber auch nichts zu erwarten; es ist keine Reziprozität der Beziehung möglich, welche diese erst in eine stabile und gegenseitig verpflichtende verwandeln würde.

Das Negieren der Reziprozitätsnorm in der professionellen Beziehung zum beholfenen Menschen drückt sich in Schmidbauers Analyse darin aus, dass die Erwartung der Reziprozität auf andere Beziehungen (kollegiale oder private) verlagert wird (vgl. Schmidbauer 1999, 71). Aus der Bedeutung eben dieser Norm ergibt sich eine Abgrenzung dieser Beziehungen zu "normalen zwischenmenschlichen Beziehungen [in denen] Stärke und Schwäche der Partner [ab]wechseln" (Schmidbauer 1999, 242). Behinderte Menschen werden in diesem Zusammenhang demnach nicht als potentiell gleichwertige Partner in einer Austauschbeziehung angesehen und stattdessen auf eine Rolle des, komplementär zum einseitig Gebenden, einseitig Nehmenden festgelegt.

Dieser Zusammenhang wird von Kobi als das "auxiliare Paradoxon, das auch die Heilpädagogik stachelt" (Kobi 1993, 98) beschrieben. Hilfe, als gebender Akt, bezeichnet eine Asymmetrie im Status der Interaktionsteilnehmer. Als gesellschaftlich hoch bewertete Handlung, welche den Helfer unabhängig von den Konsequenzen seines Helfens veredelt (vgl. Kobi 1993, 98), erhöht Hilfe den gesellschaftlichen Status des Helfenden und verringert komplementär dazu den des "'Objekte[s]' dieser Aktivität[...]" (Fröhlich 1993, 113), indem sie die Bedürftigkeit, Schwäche und Abhängigkeit des Beholfenen dokumentiert. Das Negieren der Reziprozitätsnorm in Beziehungen zu behinderten Menschen hat zur Folge, dass deren Handlungen nicht als Leistung wahrgenommen und anerkannt werden, sie somit nicht die Gelegenheit erhalten, eigene Stärke und Fähigkeiten zu demonstrieren, sondern auf die Rolle des Hilfeempfängers nicht nur situativ sondern dauerhaft festgelegt werden.

Die Konstruktion einer, Behinderung als ihr konstitutives Moment ansehenden, Disziplin als helfende läuft somit Gefahr "Menschen zu gelernten Hilfeempfängern zu machen, indem sie ein System unterstützt, in welchem exzessiv donatorische Bedürfnisse von Helfern sich zirkulär verbinden mit ebensolchen captativen Bedürfnissen der Beholfenen" (Kobi 1993, 108). Die mit der Empfängerrolle verbundenen Erwartungen der Dankbarkeit, Anspruchslosigkeit und Geduldigkeit, welche, wie in Kapitel 5.4 beschrieben, häufig gegenüber behinderten Menschen vorgetragen werden, gewinnen durch die in der Sonderpädagogik repräsentierte Allgegenwärtigkeit einer die Empfängerrolle komplementierenden Geberrolle an Selbstverständlichkeit.

7.4. Zusammenfassung

Das vorangegangene Kapitel sollte verdeutlichen, wie die passive, durch Unfähigkeit, Hilflosigkeit und Bedürftigkeit gekennzeichnete Empfängerrolle behinderter Menschen auch in der Interaktion mit auf Behinderung bezogenen Professionellen konstruiert und verstärkt wird. Am Beispiel der Sonder- und Rehabilitationspädagogik wurde dargestellt, wie die sich so als selbstlose Helfer mit Expertenstatus selbst definierende Disziplin die in jeder anderen Beziehung sinnstiftende Reziprozitätsnorm verneint. Besonders deutlich wurde dies in den dargestellten Versuchen, ein Menschenbild zu konstruieren, das sich nicht an Leistung oder Nutzen orientiert, um auch auf behinderte Menschen anwendbar zu sein (vgl. Kapitel 7.2.1.2).

Der Versuch, behinderte Menschen auf jeden Fall anders als unter leistungsrelevanten Kriterien zu betrachten und in zu ihnen existierenden Beziehungen keine Gegenleistung zu fordern, setzt eine für die Konstruktion der Rolle behinderter Menschen ausschlaggebende Geste. Im Prozess der Interaktion, in welchem diese Rolle durch das Zuschreiben von Sinn zu eben einer solchen Geste hergestellt wird, erscheinen behinderte Menschen konsequenterweise als unfähig zu leisten und zu geben. Die Rolle, die ihnen somit zugeschrieben wird, ist wiederum die des passiven, leistungsunfähigen Nehmers, welcher sich ob der Gaben, die ihm zuteil werden, dankbar schätzen darf. Durch das Selbstverständnis der eigenen Rolle als der des einseitig Helfenden trägt die Disziplin der Sonder- und Rehabilitationspädagogik direkt zur Konstruktion der einseitigen Nehmerrolle behinderter Menschen bei.



[51] Die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung betont die Bedeutung von Kontrolle über das eigene Leben (und einzugehende soziale Beziehungen), Emanzipation aus unfreiwilligen asymmetrischen Beziehungen, Selbstbestimmung und Assistenz als einzig annehmbare Form der Beziehung zu Professionellen (vgl. Sierck 1987, 152f.; Frehe 1987, 157f./161; Schönwiese 2005b, 141f.).

[52] Zur Konstruiertheit eines Begriffs bzw. Konzepts von Leistung siehe Kapitel 2.2.2 dieser Arbeit.

[53] Es soll in dieser Arbeit nicht zwischen Heil-, Sonder-, Behinderten- oder Rehabilitationspädagogik unterschieden werden, da diese Begriff zum Einen auch heute noch parallel genutzt werden (vgl. Mürner/Schriber 1993, 7). Dies legen auch die Bezeichnung der jeweiligen Studiengänge an den unterschiedlichen Universitäten oder Fachschulen nahe. Zum Anderen sind sie historisch auseinander hervorgegangen. Zwar unterscheiden sie sich bereits durch ihre Bezeichnung teilweise in ihrem Selbstverständnis, allerdings bedingt die historische Abfolge der Bezeichnungen, dass auch Teile des Selbstverständnisses auseinander hervorgegangen sind (z.B. ist das vorrangige Selbstverständnis des Heilens (Heilpädagogik) auch im Selbstverständnis von Rehabilitations- oder Sonderpädagogen noch präsent, dargestellt durch den Therapiebezug vieler Konzepte) (vgl. Eggli 1993, 132; Bach 1999, 115ff.).

[54] American Association of Mental Retardation.

[55] Das Zitat stammt aus einer Veröffentlichung der American Association of Mental Retardation. Da die deutsche Übersetzung jedoch von den Autoren selbst vorgenommen wurde, wurde das Zitat als ihres gekennzeichnet.

8. Abschließende Gedanken

Die vorliegende Arbeit hat dargestellt, wie unter der Annahme einer nach dem Leistungsprinzip funktionierenden Gesellschaft, Menschen mit Behinderungen ihre Position und Rolle in einer solchen Gesellschaft zugeschrieben bekommen können. Zu diesem Zweck wurden vor dem Hintergrund einer konstruktivistischen Sichtweise die für die vorliegende Arbeit leitenden Begriffe von Leistung und Leistungsprinzip, Behinderung und sozialer Rolle diskutiert. Die soziale Rolle behinderter Menschen wurde als einseitige Nehmer-Rolle beschrieben, mit welcher sich Erwartungen der Unfähigkeit, Dankbarkeit und Geduld an den Rollenträger verbinden. Als für die Konstruktion dieser Rolle besonders relevant wurden die Bereiche der Erwerbsarbeit und sozialer Beziehungen herausgehoben.

Die hier geführte Diskussion, nach welcher Menschen mit Behinderungen unter leistungsgesellschaftlichen Gesichtspunkten für gewöhnlich als Leistungsunfähige, die von den Leistenden aus humanitären Gründen mitzuversorgen sind (vgl. Sontheimer 1978, 88), dargestellt werden, ist eine im sonderpädagogischen Fachdiskurs seit langem geführte (vgl. Mürner/Schriber 1993). Die Kritik an der Sichtweise der Nutzlosigkeit behinderter Menschen, welche sich aus ihrer Leistungsunfähigkeit direkt zu ergeben scheint, mündet in eben diesem Fachdiskurs nicht selten in der Forderung, "in der Sonderpädagogik mutig genug [zu] sein, [sich] den menschenzerstörenden Leistungsanforderungen zu verweigern" (Fröhlich 1993, 121). Stattdessen sollen Biotope für Menschen geschaffen werden, die nicht nach leistungsgesellschaftlichen Kriterien sondern nach Kriterien der Nächstenliebe und Verantwortung beurteilt werden (vgl. Fröhlich 1993, 121).

8.1. Abschaffung des Leistungsprinzips

Eben diese Schlussfolgerung, welche sich auch implizit bei Bach finden lässt, wenn er als Ziel der Sonderpädagogik den "Abbau von Umfelderwartungen" (Bach 1999, 79) deklariert, welche er im Vorfeld mit den Begriffen der "Leistungsfaszination", "Normalitätsfaszination" und "Konkurrenzfaszination" umschreibt (Bach 1999, 25f.), kann jedoch aus mehreren Gründen für problematisch erachtet werden:

Wie diese Arbeit aufzeigen sollte, kann das Leistungsprinzip, überspitzt gesagt, als Verschleierungsideologie verstanden werden (vgl. u.a. Jürgens 2000, 16). Die Zuordnung von Positionen funktioniert nicht nach der individuellen Leistung des Einzelnen. Niemand wird entsprechend seiner Leistung bezahlt, sondern nach den branchenüblichen Tarifverträgen. Notengebung in der Schule (und später an höheren Bildungseinrichtungen) hat wenig mit der Leistung des Einzelnen zu tun, wie die unterschiedlichen Bewertungen ein und derselben Leistung zeigen (vgl. Vierlinger 2000, 89f.). Die für das Erreichen beruflicher und damit gesellschaftlicher Positionen (vgl. Kapitel 6.1.2 dieser Arbeit) so wichtigen Bildungsabschlüsse sagen demnach nicht annähernd so viel über die Leistung(sfähigkeit) des Einzelnen aus, wie allgemein angenommen wird. Darüber hinaus belegen gerade neuere Untersuchungen, dass die Zugangsmöglichkeiten zu höheren Bildungsabschlüssen weniger von der Leistung des Einzelnen als von seiner sozialen Herkunft abhängen (vgl. Schümer 2004, 80) beziehungsweise, dass diese durchaus einen Einfluss auf den Schulerfolg (vgl. Schümer 2004, 103) und damit auf die, später nach diesem zugeteilten, beruflichen und gesellschaftlichen Positionen hat. Dennoch wird der Zusammenhang zwischen Leistung und gesellschaftlicher Position als realer angenommen und spielt in den allgemeinen Überzeugungen eine entscheidende Rolle (vgl. Ausführungen zu Bevölkerungsumfragen in Kapitel 6.1.1 dieser Arbeit). Das Leistungsprinzip fungiert demnach im Sinne von Berger/Luckmann als symbolische Sinnwelt, die keiner weiteren Legitimierung bedarf und selbst als Legitimationshintergrund bzw. Interpretationsfolie für gesellschaftliche Zusammenhänge und Strukturen dient. Wie in dieser Arbeit ausführlich dargestellt, legitimiert die Ideologie des Leistungsprinzips nicht zuletzt die Konstruktion der Rolle bestimmter Gruppen als Leistungsunfähige und demnach unverdient Empfangende.

Der Versuch, diese Ideologie in Bezug auf behinderte Menschen zu negieren oder abzuschaffen, hat, wie dargestellt, zur Folge, dass die so negierte Sichtweise implizit Bestätigung erfährt. Dies geschieht dadurch, dass mit einer Negation nicht so sehr der Ideologiecharakter des Leistungsprinzips bewiesen wird und dieses somit in seiner Bedeutung Relativierung erfährt als vielmehr das Leistungskriterium in dem Maße Anwendung findet, indem die Möglichkeit seiner Erfüllung behinderten Menschen abgesprochen wird. Nur unter der Anwendung des Leistungsprinzips können behinderte Menschen als schwach und leistungsunfähig beschrieben werden, um aus dieser Beschreibung die Schlussfolgerung zu ziehen, dass, um ein positives Bild zu gewinnen, ein anderes Kriterium angelegt werden muss.

Der Verweis auf den Ideologiecharakter des Leistungsprinzips soll jedoch noch eine weitere Sichtweise eröffnen: Auch jede andere Legitimationsfolie muss in dieser Hinsicht als Ideologie betrachtet werden, da soziale Realität in konstruktivistischer Sicht per se nicht existiert, sondern nur das, was als Realität konstruiert und angesehen wird. Das Ersetzen des Leistungsprinzips durch ein anderes Prinzip wäre demnach nur das Ersetzen einer Ideologie (im Sinne einer symbolischen Sinnwelt) durch eine andere. Die vorgeschlagenen Alternativprinzipien der Verantwortung oder Nächstenliebe bestätigen dies in ihrer nicht nur impliziten Nähe zum Christentum (vgl. Siegenthaler 1993; Fröhlich 1993; Haeberlin 1994; Forster 2004).

8.2. Sichtbarmachen von Leistung

Ohne das Leistungsprinzip als ideologischen Hintergrund im Vergleich zu anderen Deutungsmustern bewerten zu wollen und ohne einen Lösungsvorschlag für die hier angesprochene Problematik darbieten zu wollen, soll dennoch ein, m.E. fruchtbarerer Weg als der der Abschaffung eines allgemein akzeptierten Legitimationshintergrundes angedacht werden.

Anstatt mutig genug zu sein, sich Leistungsanforderungen zu verweigern (vgl. Fröhlich 1993, 121), ist es notwendiger, gerade in der Sonderpädagogik mutig genug zu sein, allgemein akzeptierte Leistungserwartungen auch an behinderte Menschen zu richten. Mit dem Versuch, das Leistungskriterium in Bezug auf behinderte Menschen zu umgehen, werden diese von vornherein als diesem Kriterium nicht Gerechtwerdende definiert. Diese Definition bestätigt somit jedoch ungewollt die Macht des Leistungsprinzip im Denken der Definierer. Auch von diesem Standpunkt aus scheint das Ersetzen des Leistungsprinzip durch ein Prinzip der Nächstenliebe und Verantwortung nicht konsequent zu sein. Konsequenter wäre es, im Sinne der Reziprozitätsnorm, auch von behinderten Menschen

(Gegen-)Leistung zu fordern, anstatt nichtbehinderte und behinderte Menschen mit zweierlei Maß zu messen; zu den Einen Beziehungen unter der Voraussetzung der Reziprozität einzugehen, den Anderen die Fähigkeit der Gegenleistung abzusprechen und Beziehungen zu ihnen unter der Voraussetzung der Nächstenliebe und Verantwortung für sie einzugehen. Denn es ist keineswegs so, dass mit dem Negieren des Leistungs- (und damit Reziprozitäts-)Prinzips in sozialen Beziehungen auch Erwartungen an die Beziehungspartner entfallen. Zwar werden von ihnen keine direkt vergleichbaren Gegenleistungen (im Sinne gesellschaftlich anerkannter Leistungen) erwartet, dafür jedoch Dankbarkeit ob der Großzügigkeit derjenigen, die Beziehungen zu ihnen trotz des Wissens um ihre Leistungsunfähigkeit eingehen. Wie in Kapitel 7.1.2 dargestellt, beruht das Eingehen sozialer Beziehungen unter diesen Umständen auf reiner Wohltätigkeit des leistenden, gebenden Beziehungspartners. Das führt dazu, dass der nehmende Partner keine Ansprüche aus seiner Rolle ableiten kann.

Damit ist jedoch noch nichts darüber ausgesagt, was als Leistung verstanden werden soll. Kapitel 2.2.2 diskutierte die Konstruiertheit von Leistung. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass geistige Tätigkeit höher bewertet wird, als körperliche bzw. dass Erwerbsarbeit an sich einen so hohen Stellenwert hat. Da, wie Dreitzel bereits 1976 formuliert hat, "Leistungen [...], um sozial anerkannt und positiv sanktioniert zu sein, sichtbar gemacht werden [müssen]" (Dreitzel 1976, 40), sollte - wenn schon ein spezieller Auftrag an die Sonderpädagogik formuliert werden soll - es ihre Aufgabe sein, Leistungen behinderter Menschen sichtbar zu machen, um so eventuell dazu beizutragen, einen weniger exklusiven Leistungsbegriff formulieren zu können. Explizite Versuche, die Leistungen bzw. den spezifischen gesellschaftlichen Nutzen behinderter Menschen sichtbar zu machen, lassen sich mittlerweile bei mehreren Autoren finden (vgl. Radtke 1994; Goebel 2002; Kebelmann 2003; Walter 2003). So ist Radtke der Ansicht, dass Gesellschaft den behinderten Menschen braucht, "weil er ein Spiegelbild ihrer verschütteten Werte ist" (Radtke 1994, 118), Kebelmann sieht behinderte Menschen als "Seismographen sozialer Befindlichkeiten" (Kebelmann 2003, 54) und Goebel weist darauf hin, dass Behinderung als Ausdruck von Abweichung, von Anormalität notwendig ist, damit sich Normalität über die Abgrenzung zu dieser definieren kann (vgl. Goebel 2002, 88; Schönwiese 2005a, 67). Ein ähnlicher Ansatz wurde in der hier vorliegenden Arbeit vorgestellt. Die Selbstdefinierung einer Gesellschaft als Leistungsgesellschaft ist nur über die Konstruktion bestimmter Gruppen als Leistungsunfähige möglich. Darüber hinaus definiert sich eine ganze Profession nur über das Phänomen der Behinderung. Des Weiteren wurde darauf hingewiesen, dass die Konstruktion der Rolle behinderter Menschen als leistungsunfähige und hilflose Empfänger u.a. zur Statuserhöhung der Leistenden und Gebenden beiträgt (vgl. Kapitel 7.3.1 dieser Arbeit). Auch dies stellt eine gesellschaftlich bedeutende Leistung dar und sollte als solche anerkannt werden.

8.3. Ausblick

Im Folgenden sollen zwei weiterführende Fragestellungen formuliert werden, die als Fortsetzung der hier vorliegenden Arbeit verstanden werden können und in weiteren theoretischen Auseinandersetzung Berücksichtigung verdienen.

8.3.1. Selbstpositionierung behinderter Menschen?

In Kapitel 4.2.4 wurde vermehrt darauf hingewiesen, dass die von struktur-funktionalistischen Ansätzen der Rollentheorie vorgeschlagene Trennung von Individuum und Gesellschaft und der sich daraus für das Individuum ergebende Zwang, sich in vorgefertigte soziale Rollen einfügen zu müssen, hinfällig ist. Die Darstellung interaktionistischer Ansätze der Rollentheorie offenbarte, dass die Aktivität des Individuums und seine Akzeptanz der ihm im Interaktionsprozess zugeschriebenen Rollen wesentlich zur Konstruktion und Übernahme sozialer Rollen beitragen. Darüber hinaus wurde mit Mead aufgezeigt, dass das Individuum im Prozess der Identitätsentwicklung notwendigerweise Einstellungen und Ansichten des Verallgemeinerten Anderen, also seiner sozialen Umwelt, übernimmt und verinnerlicht (vgl. Kapitel 4.2.3 dieser Arbeit). Das Individuum ist demnach an der Konstruktion seiner eigenen sozialen Rollen beteiligt und teilt zu einem großen Teil die in seinem sozialen Umfeld vorherrschenden Erwartungen und Einstellungen bzgl. der Träger sozialer Rollen.

Es lässt sich demnach vermuten, dass auch behinderte Menschen grundsätzlich die Annahme, dass Leistung ein wesentlicher gesellschaftlicher Wert und ein entscheidender Faktor für den persönlichen und gesellschaftlichen Aufstieg sei, teilen (vgl. auch Sierck 1987, 155). Bestätigt wird diese Annahme durch eine Untersuchung Schultebraucks, in der er mittels biographischer Interviews die Selbstkonzepte körperbehinderter Menschen erforschte. Fazit dieser Untersuchung war eine eindeutige Orientierung an Selbstbestimmung, Gleichstellung und Normalität (vgl. Schultebraucks 2005, 230). Um diese Ziele zu erreichen, nutzen alle Befragten die Strategie der Herstellung von Leistung; besonders ihre überdurchschnittliche berufliche Leistung(sfähigkeit) wurde von den Befragten in den Interviews immer wieder hervorgehoben (vgl. Schultebraucks 2005, 228).

Diese Untersuchung und die vorangestellten Annahmen legen nahe, dass Menschen mit Behinderungen Leistung ähnlich bewerten wie nichtbehinderte Menschen und auch Ähnliches überhaupt als Leistung wahrnehmen. In diesem Zusammenhang ergibt sich die Fragestellung nach der Selbstpositionierung behinderter Menschen. Bewerten behinderte Menschen Leistung ähnlich wie nichtbehinderte, so müssten sie in ihrer Selbstpositionierung zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommen wie die vorliegende Arbeit, und sich eine soziale Rolle als leistungsunfähige Empfänger zuschreiben. Dies scheint jedoch angesichts der durchaus positiven Berichte über Selbstkonzepte behinderter Menschen keineswegs der Fall zu sein (vgl. Schultebraucks 2005). Es stellt sich also die Frage, wie sich behinderte Menschen unter der Annahme der Gültigkeit des Leistungsprinzips (und vor allem unter Berücksichtigung der auch hier angenommenen hohen Bedeutung von Erwerbsarbeit) selbst positionieren.

8.3.2. Behinderung als gesellschaftliche Funktion?

Eine weitere Fragestellung ergibt sich aus der angesprochenen Bedeutung der Nehmer-Rolle behinderter Menschen für die Konstruktion der zu dieser komplementären Helfer-Rolle. In Kapitel 7 konnte aufgezeigt werden, dass die Konstruktion der Helfer-Rolle mit den ihr zugehörigen Erwartungen an die jeweiligen Rollenträger nur über eine als hilfsbedürftig beschriebene Behinderten-Rolle möglich ist. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass allein die Definition Nichtbehinderung immer nur vor dem Hintergrund einer Definition von Behinderung stattfinden kann. Goebel weist darauf hin, dass Normalität sich nur über Anormalität konstruieren kann (vgl. Goebel 2002, 88). In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die hier beschriebene Rolle behinderter Menschen, da sie ganz offensichtlich eine gesellschaftliche Funktion hat, überhaupt verändert werden kann bzw. darf.

Bereits Freud hat in seiner Schrift Das Unbehagen in der Kultur darauf hingewiesen, dass die Projektion von Aggression auf bestimmte Gruppen, die dadurch als Außenseitergruppen konstruiert werden, stabilisierend auf die eigene Gruppe wirkt (Freud 1930, 85). Auch heute noch spielt dieser Aspekt in Form des Ingroup-Homogenisierungseffektes in modernen psychologischen Gruppentheorien eine wesentliche Rolle (vgl. Mummendey/Otten 2002, 105). Die Ausführungen dieser Arbeit haben aufgezeigt, wie unter der Annahme einer bestimmten symbolischen Sinnwelt, eines bestimmten Interpretationshintergrundes, behinderten Menschen eine bestimmte Position und Rolle zugeschrieben wird. Unter der Annahme, dass jeglicher Interpretationshintergrund, jegliche andere Zuschreibungskriterien, ebenfalls als symbolische Sinnwelt (oder Ideologie) angesehen werden können, stellt sich die Frage, ob im Zusammenlebensprozess von Menschen immer Gruppen gebildet und in Hierarchien gebracht werden; ob dieser Prozess einer ist, der Gesellschaftsbildung als solche erst ermöglicht. Sollte sich eine solche Fragestellung positiv beantworten lassen, hätte dies direkte Konsequenzen für aktuelle Fragen des sonderpädagogischen Fachdiskurses, wie der nach Inklusion. Wäre die Rolle behinderter Menschen als einseitig Empfangende eine gesellschaftlich benötigte, so würden behinderte Menschen in eben dieser Rolle eine gesellschaftlich bedeutende Leistung erbringen, die allerdings als solche nicht anerkannt werden kann, soll sie ihre Funktion erhalten.

8.4. Zusammenfassende Betrachtung

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Konzeption von Behinderung als sozialer Rolle einen wertvollen Beitrag für die Analyse und das Verständnis von mit Behinderung verbundenen Annahmen und Einstellungen zu leisten vermag. Darüber hinaus wurde durch die konstruktivistische Sichtweise, die der Arbeit zugrunde lag, deutlich, dass der Inhalt sowohl sozialer Rollen als auch gesellschaftlich wichtiger Werte, z.B. Leistung, kontingent und interessengeleitet ist.

Die Überlegungen zur Abschaffung des Leistungsprinzips und die weiterführenden Fragestellungen nach der Selbstpositionierung behinderter Menschen und nach der Funktion von, derart konstruierten, Rollen legen jedoch folgendes nahe: Auch wenn sich bestimmte soziale Konstrukte als unvereinbar mit gewissen geltenden Normen und Werten (z.B. Gleichheit) erweisen, ist es nicht ohne Weiteres möglich aus ihrer prinzipiellen Veränderbarkeit auch ihre Auflösung zu fordern (und umzusetzen). Das Wissen um den Zuschreibungscharakter sozialer Rollen, um den Ideologiecharakter gewisser Zuschreibungskriterien und um die Mechanismen, nach denen Zuschreibungen erfolgen, ist jedoch für einen reflektierten Umgang mit solchen Rollenzuweisungen unerlässlich. In diesem Sinne wurde in der vorliegenden Arbeit versucht, etwas zu diesem Wissen beizutragen.

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Autorin:

Juliane Siegert

Schillerstr. 37

06114 Halle (Saale)

Tel.: 0345/6858619

Mail: jule@rs-siegert.de

Quelle:

Juliane Siegert: Leistungsprinzip und soziale Positionierung behinderter Menschen

Magisterarbeit an der MARTIN - LUTHER - UNIVERSITÄT HALLE - WITTENBERG, Philosophische Fakultät Fachbereich Erziehungswissenschaften, Institut für Rehabilitationspädagogik, eingereicht bei Erstgutachter:Prof. Dr. Andreas Hinz, Zweitgutachter:Karsten Exner, am 01.06.2006

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 08.11.2006

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