„Man kann trotzdem ein guter Vater sein, auch mit einer Behinderung“

Kinderwunsch und Vaterschaft in der Lebenswelt von männlichen Schülern mit einer körperlichen Beeinträchtigung

Themenbereiche: Sexualität
Textsorte: Artikel
Releaseinfo: Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um eine gekürzte und überarbeitete Fassung einer unveröffentlichten Masterarbeit an der Universität Oldenburg
Copyright: Schwarzenberg, Priano 2012

1 Forschungsstand

Erstmalig wurde sich Ende der 1990er Jahre wissenschaftlich mit der Thematik Kinderwunsch und Elternschaft bei Menschen mit Beeinträchtigungen auseinandergesetzt (Rensinghoff 2007; Ortland 2008). In einschlägigen Studien wurden sowohl im angloamerikanischen (Kelley u.a. 1997; Grue & Laerum 2002) als auch im deutschsprachigen Raum (Pixa – Kettner u.a. 1995; Hermes 1998; Pixa – Kettner 2007) insbesondere die Situation von Frauen mit geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen und der Aspekt der Mutterschaft fokussiert. Nur wenige Studien und Publikationen (Almagor 1991; Behrendt 1998; Hermes 2004; Behrisch 2005; Gobat 2008) thematisierten bisher explizit die Situation von körperlich beeinträchtigten Vätern.

Studien, die der Frage nach der Bedeutung des Kinderwunsches und der Vaterschaft in der Lebenswelt von männlichen Jugendlichen mit einer körperlichen Beeinträchtigung nachgehen, sind im deutschsprachigen Raum nicht vorhanden. Und auch die Frage, ob und wie diese Aspekte in der schulischen Sexualerziehung aufgegriffen und thematisiert werden, ist bis dato noch ungeklärt.

2 Kinderwunsch und Vaterschaft als Themen in der schulischen Sexualerziehung

Ausgangspunkt der theoretischen Auseinandersetzung ist die Annahme, dass die Aspekte Kinderwunsch und Vaterschaft in der schulischen Sexualerziehung nicht oder nur unzureichend thematisiert werden, obgleich sie in der Lebenswelt junger Männer mit körperlichen Beeinträchtigungen eine zentrale Rolle spielen. Hierfür können als mögliche Gründe angeführt werden:

Die gesellschaftliche Tabuisierung der Themen Kinderwunsch und Vaterschaft bei Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen führt dazu, dass sie oftmals als asexuelle Wesen und selten als Frau oder Mann (Rothe 1983; Ortland 2005) wahrgenommen werden und ihnen dementsprechend auch die Mutter-- oder Vaterrolle aberkannt wird. Dies ist darin zu begründen, dass den gesellschaftlichen Normvorstellungen des klassischen Rollenbildes vom körperlich starken und aktiven Mann oder der fürsorglichen und körperlich attraktiven Mutter nicht entsprochen werden kann (Hermes 2009). Es wird insbesondere in Bezug auf Frauen mit Behinderung von einer so genannten „doppelten Tabuisierung“ gesprochen. Diese gesellschaftliche Tabuisierung und Negierung der Thematik ist oftmals auch an (Förder--)Schulen anzutreffen. Aufgrund dessen werden diese Themen in der schulischen Sexualerziehung häufig tabuisiert oder gänzlich vermieden.

Jugendliche mit einer körperlichen Beeinträchtigung stehen in ihrer sexuellen Entwicklung vor verschiedenen Entwicklungsaufgaben, die oftmals mit besonderen Erschwernissen verbunden sind. Als Beispiel ist hier die Ablösung vom Elternhaus zu nennen, die aufgrund der körperlichen Einschränkungen häufig verspätet erfolgt (Weinwurm--Krause 1990; Ortland 2008). Auch die Entwicklung der sexuellen Identität wird durch die körperlichen Einschränkungen, beispielsweise bei ersten sexuellen Erfahrungen oder der Partnersuche, erschwert (vgl. Ortland 2005). Nicht alle Lehrkräfte wissen um diese Problematik und sind in der Lage sensibel und bedürfnisorientiert auf Fragen der Jugendlichen einzugehen. Aber auch das Wissen um die Erschwernisse kann dazu führen, dass so genannte Tabuthemen wie Kinderwunsch und Elternschaft in der Sexualerziehung vermieden werden. In der Studie von Ortland (2005) wurden Vorbehalte auf Seiten der Lehrkräfte an Förderschulen mit dem Förderschwerpunkt körperlich--motorische Entwicklung, gegenüber der Thematisierung von so genannten „heißen Eisen“ in der Sexualerziehung geäußert. So erachten von den 231 an 11 Förderschulen in NRW befragten Lehrkräften 44,8% das Thema „Partnerschaft trotz Behinderung“ als „sehr brisant“, 36,8% das Thema „Möglichkeit, Kinder zu bekommen“. Diese Einschätzung ist laut Ortland (2005) neben gesellschaftlichen Vorurteilen und Tabuisierungen, auf die unzureichende Vorbereitung der Lehrkräfte in der Ausbildung zurückzuführen.

Es lässt sich festhalten: „Alle Menschen sind sexuelle Wesen und bedürfen der Sexualerziehung“ (Ehlers 2008, 17). (Förder--)Schulen sollten daher eine alters-- und bedürfnisorientierte Sexualerziehung ermöglichen. Sie sind häufig der einzige Ort für körperliche beeinträchtigte Jugendliche, an dem sie soziale und sexuelle Kontakte knüpfen können. Obgleich Sexualerziehung in Deutschland ein verpflichtender Unterrichtsgegenstand für alle Schulformen (ebd.) ist, ist der Auftrag zur Sexualerziehung in den jeweiligen Landesgesetzen verankert (Hilgers 2004). Dies führt häufig dazu, dass es große Unterschiede im Umfang der vermittelten Inhalte der Sexualerziehung gibt.

Die Sexualerziehung an Förderschulen verfolgt die Zielsetzung der Wissensvermittlung und der Förderung der Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler (Ehlers 2008). Sie sollte auf der Basis einer ganzheitlichen Definition von Sexualität erfolgen, wie sie bei Ortland (2005, 38) zu finden ist: „Sexualität kann begriffen werden als allgemeine, jeden Menschen und die gesamte menschliche Biografie einschließende Lebensenergie, die den gesamten Menschen umfasst und aus vielfältigen Quellen – soziogenen und biogenen Ursprungs– gespeist wird. Sie beinhaltet eine geschlechtsspezifische Ausprägung, kennt ganz unterschiedliche – positiv oder negativ erfahrbare – Ausdrucksformen und ist in verschiedenster Weise sinnvoll“.

Die Themen Kinderwunsch und Vaterschaft wurden bisher sowohl in den Curricula als auch in einschlägigen Unterrichtsmaterialien für die Förderschule vernachlässigt. So finden sich hier lediglich die Unterrichtsmaterialien von Ortland (2009) für die Förderschule körperlich--motorische Entwicklung, in denen auch die Themen „Kinderwunsch und Elternschaft“ behandelt werden.

3 Forschungsdesign

Ausgehend von den erkenntnisleitenden Fragestellungen: Welche Bedeutung haben die Themen Kinderwunsch und Vaterschaft in der Lebenswelt männlicher Schüler einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt körperlich--motorische Entwicklung? und welche Schlussfolgerungen und Erkenntnisse lassen sich daraus für die schulische Sexualerziehung ableiten?, wurden zehn männliche Schüler, die die Klassenstufen acht bis zehn einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung in Niedersachsen besuchen, befragt. Die befragten Schüler waren im Durchschnittsalter 16,5 Jahre alt. Die Schüler werden aufgrund der unterschiedlichen Ausprägung der körperlichen Beeinträchtigungen (Muskeldystrophie, Morbus Pertes, Cerebralparese etc.) sowohl nach den Rahmenrichtlinien der Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen als auch nach den Rahmenrichtlinien der Hauptschule beschult.

Da die subjektive Sichtweise der Schüler im Fokus des Erkenntnisinteresses stand, wurde für die Erhebung ein qualitatives und deduktives Vorgehen ausgewählt. Die Befragung erfolgte mittels teilstrukturierter Interviews mit Unterstützung eines Interviewleitfadens (Gläser und Laudel 2009). Die Interviews wurden digital aufgezeichnet, anschließend transkribiert und mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2010) (Zusammenfassung) systematisch ausgewertet.

Zielsetzung der Studie war es, die Einstellungen und Ansichten der männlichen Schüler der Förderschule mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung zum Thema Kinderwunsch und Vaterschaft zu erheben und daraus Schlussfolgerungen für die schulische Sexualerziehung abzuleiten. Aufgrund der geringen Anzahl der befragten Schüler können keinerlei Verallgemeinerungen aus den Ergebnissen abgeleitet werden und die Ergebnisse haben nur eine begrenzte Aussagekraft.

3.1 Ausgewählte Ergebnisse

Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse, die aus den zehn Interviews mit den Schülern gewonnen wurden, in deskriptiver Form dargestellt und interpretiert. Zunächst wird der Frage nachgegangen, inwieweit die Themen Kinderwunsch und Vaterschaft in der Lebenswelt männlicher Schüler mit körperlichen Beeinträchtigungen eine Rolle spielen. Anschließend soll eruiert werden, welche Bedeutung diese Themen in der schulischen Sexualerziehung haben.

3.1.1 Kinderwunsch

Die Frage, warum sich Menschen Kinder wünschen, ist sehr komplex und man erhält je nach Betrachtungsweise unterschiedliche Antworten (Pixa-Kettner /Bargfrede 2008), denn der Kinderwunsch ist ein komplexes Gebilde, welches sich aus persönlichen und gesellschaftlichen Faktoren zusammensetzt (ebd.).

Ein Kinderwunsch ist bei der Mehrzahl der befragten Schüler, unabhängig von der Schwere der körperlichen Beeinträchtigung, vorhanden. Neun der zehn befragten Schüler wünschen sich eigene Kinder. „Ja, das kann ich mir schon vorstellen“ (IP 8). Bekräftigt wird die Bedeutung des Kinderwunsches durch konkrete Angaben zur Anzahl der gewünschten Kinder. Diese reicht von einem Kind bis zu mindestens zwei Kindern. Drei der Befragten konnten die Bedeutung des Kinderwunsches noch nicht formulieren (IP 3,5,8). Ein möglicher Grund ist, dass es sich bei den Befragten um die jüngsten Befragten handelte und daher der Kinderwunsch noch kein aktuelles Thema in ihrer Lebenswelt ist.

Die Äußerungen zu der Frage nach der Relevanz des Kinderwunsches beziehungsweise der Motivation für einen Kinderwunsch zeigen, dass sich die Schüler reflektiert mit diesem Thema auseinandergesetzt haben „Wenn man Familie hat, dann ist das Leben, denke ich, ist das Leben etwas schöner, als Leute, die keine Kinder haben. (…) Ja und es ist ja auch was völlig Normales, weil ich kenne keinen, naja fast keinen, der kein Kind haben möchte“ (IP 2). Der Kinderwunsch wird in dieser Äußerung des jungen Mannes mit Normalität beziehungsweise Konformität verbunden. Diese Antwort wurde auch in einer Studie von Pixa-Kettner & Bargfrede (2008) von jungen Frauen mit Lernbeeinträchtigungen gegeben. Gründe hierfür sind, dass viele Biografien von Menschen mit Behinderungen von einer „Verhinderung“ des Erwachsenwerdens durch die späte Ablösung vom Elternhaus geprägt sind. Deshalb erachten Einige den Kinderwunsch als Erfüllung und Beweis für die eigene Ablösung und Normalität (Walter 1996).

3.1.2 Vaterschaft

„Unter einem subjektiven Vaterschaftskonzept versteht man die Vorstellungen eines Vaters über seine Vaterschaft. […] Subjektive Vaterschaftskonzepte haben einen dynamischen Charakter, sie können sich im Laufe der Vaterschaft aufgrund wandelnder Determinanten sowie unter dem Einfluss von Erfahrungen, Gefühlen und Erkenntnissen als Vater verändern“ (Matzner 2004, S. 436). Das subjektive Vaterschaftskonzept der befragten Schüler mit körperlichen Beeinträchtigungen ist vielfältig. So wird Vaterschaft als Teil eines erfüllten Lebens erachtet, als wichtiger Beitrag des Einzelnen für die Gesellschaft angesehen und als Weitergabe des Familiennamens und des Familienerbes an die nächste Generation. Diese Auffassungen entsprechen auch denen von nichtbeeinträchtigten männlichen Jugendlichen, wie die Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt (Zerle & Krock 2008). Der äußerst reflektierte Umgang der befragten Schüler, zeigt sich auch bei der Frage nach den notwendigen Voraussetzungen für eine Vaterschaft. „Ja, auf jeden Fall muss ich schon mal fest im Leben stehen, wie gesagt Karriere und sich ein Haus oder eine Wohnung leisten können. Und ja, ich muss in einer guten Partnerschaft sein“ (IP 6).

Vaterschaft und körperliche Beeinträchtigungen stellt für die befragten Schüler kein Widerspruch dar, da neun der befragten Schüler davon überzeugt sind, dass körperlich beeinträchtigte Männer die Rolle des Vaters gleichermaßen wahrnehmen können, wie Männer ohne Beeinträchtigung. „[…] Warum sollte er es nicht können? Man kann es zwar von der Behinderung abhängig machen, aber es spielt keine Rolle. Man kann trotzdem ein guter Vater sein, auch mit einer Behinderung. Weil, das sagt ja nichts über den Menschen aus“(IP 2).

Einschränkungen die aufgrund der körperlichen Beeinträchtigung entstehen, werden weniger als Problem angesehen, sondern vielmehr als Gegebenheit, die es verlangt, Alternativen zu finden. „Ja, das denke ich schon. Er kann ja zuhören und sich um das Kind kümmern und etwas mit ihm machen und für das Kind da sein. Also er kann ja nicht so gut mit dem Kind spielen oder auf dem Spielplatz, wenn er z.B. im Rollstuhl sitzt, aber er kann ja andere Sachen mit dem Kind machen“ (IP 4). Die große Bedeutung von Kompensationsstrategien im Leben von körperlich beeinträchtigen Vätern findet sich ebenfalls in der Studie von Behrisch (2005) wieder, der sechs Väter mit körperlichen Beeinträchtigungen zu ihrem Erleben als Vater befragte. Zur Kompensation der körperlichen Beeinträchtigung wird oftmals auf andere Aktivitäten im Zusammensein mit den Kindern zurückgegriffen (Hermes 2004). Diese Kompensation und die damit einhergehende Fokussierung auf andere Aktivitäten und Schwerpunkte werden auch in der Befragung der Schüler deutlich. So sehen alle befragten Schüler die Vaterrolle nicht auf körperliche Aktivitäten beschränkt. „Er sollte das Kind auch mit großziehen und sich um das Kind kümmern […]“ (IP8).

3.1.3 Unterstützungsbedarfe

Auch die Frage nach den notwendigen Unterstützungsbedarfen eines Vaters mit einer körperlichen Beeinträchtigung wird von den Schülern umfassend beantwortet. Neun Schüler benennen spezifische Einschränkungen die aus der eingeschränkten Bewegungsfähigkeit resultieren. „Kommt immer auf die Körperbehinderung an. Also wenn er jetzt z.B. was mit den Händen hat, dann kann er das Kind ja nicht wickeln. Also da braucht er dann z.B. Hilfe. Oder ein Vater im Rollstuhl kann das Kind nicht so gut in sein Zimmer bringen, wenn das im ersten Stock ist oder auch beim Spielen, da kann er ja auch nicht alles machen“ (IP 10). Als weitere Einschränkungen erachten sieben Schüler die Alltagsbewältigung, wie zum Beispiel das Einkaufen, aber auch die Bewältigung von Aufgaben innerhalb des Haushaltes. Des Weiteren wird die Interaktion mit dem Kind von zwei der Befragten (IP 3,4), insbesondere aufgrund der eigenen Lernbeeinträchtigung, mit Schwierigkeiten verbunden. Aufgrund der Beeinträchtigung befürchten sie, ihrem Kind nicht in vollem Umfang bei den Hausaufgaben helfen zu können. „Oder beim Lesen, wenn er eine Leseschwäche hat und den Kindern etwas vorlesen möchte“(IP 3).

Die umfassende und reflektierte Auseinandersetzung der körperlich beeinträchtigten Schüler mit den individuellen Voraussetzungen und Unterstützungsbedarfen für eine Vaterschaft lassen die Schlussfolgerung zu, dass die Themen Kinderwunsch und Vaterschaft bereits ein fester Bestandteil in ihrer Lebenswelt sind. Des Weiteren wird deutlich, dass sie sich des größeren körperlichen und seelischen Kraftaufwands bei der Bewältigung täglicher Aufgaben bewusst sind und damit verbundene Schwierigkeiten benennen können. Es stellt sich im Zuge dessen die Frage, ob diese Themen in der schulischen Sexualerziehung aufgegriffen und thematisiert werden.

3.1.4 Schulische Sexualerziehung

Ein bedeutsames Ergebnis der Erhebung ist, dass alle befragten Schüler die Ansicht vertreten, dass die Themen Kinderwunsch und Vaterschaft auch in der schulischen Sexualerziehung behandelt werden sollten. „Ja schon, damit man schon mal drüber nachgedacht hat und sich vorstellen kann, was einen erwarten würde, wenn man Kinder bekommt. Also ich finde das schon wichtig. Jetzt aber auch nicht nur für die Schüler, auch für die Lehrer, glaube ich, ist das wichtig, dass sie das mal mit den Schülern besprechen“ (IP 5). Interessant ist, dass der Schüler sowohl die Thematisierung für die Schüler selbst als bedeutsam erachtet, als auch für die Lehrer. Durch die Thematisierung bestehe die Möglichkeit, auch den Lehrkräften die Einstellungen und Ansichten von jungen Männern mit körperlichen Beeinträchtigungen zu verdeutlichen und sich mit diesen darüber auszutauschen. Zu vermuten ist, dass sie der Ansicht sind, dass die Lehrkräfte dahingehend nicht ausreichend sensibilisiert sind. Hier sei auf Ergebnisse der Befragung von Lehrkräften an Förderschulen körperlich-motorische Entwicklung zur Sexualerziehung verwiesen, die eine deutliche Tabuisierung belegen (Ortland 2005).

Obgleich die Schüler die Relevanz einer Thematisierung in der Sexualerziehung herausstellen, werden die Themen Kinderwunsch und Vaterschaft nicht in allen Fällen besprochen. Lediglich die Hälfte der befragten Schüler gibt an, dass das Thema Bestandteil der Sexualerziehung war. In den anderen Fällen wurde das Thema nicht im Unterricht besprochen. „Also Kinderwunsch und Vaterschaft gar nicht. Also wir hatten nur Verhütung und was für Verhütungsmittel es gibt und so“ (IP 7). Daher fordern einige Schüler, dass die schulische Sexualerziehung sich diesen Themen zuwenden und somit einen wichtigen Beitrag für die Vorbereitung auf das spätere Leben leisten sollte: „Das gehört ja zum Leben, also Sex und Kinder und das sollte auch gründlich besprochen werden […]“ (IP 9).

Neben der Thematisierung im Unterricht äußern vier Schüler den Wunsch, sich mit ihren Mitschülern über ihre Wünsche und Ängste bezüglich des Kinderwunsches und der Vaterschaft auszutauschen. „Ja, und ich finde das auch gut, wenn man mal mit seinen Mitschülern darüber spricht und hört, was die so denken. Das finde ich auch wichtig“ (IP 9). Hierfür sollten sowohl im Rahmen der Sexualerziehung als auch im Schulalltag Möglichkeiten geschaffen werden.

4 Fazit und Ausblick

Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen, dass die Themen Kinderwunsch und Vaterschaft in der Lebenswelt männlicher Schüler einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt für körperlich--motorische Entwicklung eine große Bedeutung haben. Die Einstellungen der Schüler zu den Aspekten des Kinderwunsches und der Vaterschaft mit körperlicher Beeinträchtigung weisen auf eine reflektierte und bewusste Auseinandersetzung mit dem Thema hin. Obgleich eine generell sehr positive Einstellung gegenüber einer Vaterschaft vorherrscht, werden auch dezidiert mögliche Einschränkungen und Unterstützungsbedarfe beschrieben.

Deutlich wird ein Entwicklungsbedarf hinsichtlich der Thematisierung der Aspekte in der schulischen Sexualerziehung. Die Themen Kinderwunsch und Vaterschaft sollten ein fester Bestandteil der schulischen Sexualerziehung werden. Dies setzt auf Seiten der Lehrkräfte die Bereitschaft voraus, sich diesen Themen zuzuwenden und vorhandene Unterrichtsmaterialien, wie zum Beispiel von Ortland (2009), gezielt im Unterricht einzusetzen. Eine Verankerung dieser Themen in der Ausbildung aber auch der Besuch von Fort-- und Weiterbildungen könnten dazu beitragen, diese als brisant erachteten Inhalte bedürfnisorientiert und altersangemessen thematisieren zu können.

Literatur

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Quelle

Priano, Fabio (2012): Die Bedeutung des Kinderwunsches und des Themas Vaterschaft in der Lebenswelt männlicher Schüler einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung. Erschienen in: gekürzte und überarbeitete Fassung einer unveröffentlichten Masterarbeit an der Universität Oldenburg

bidok - Volltextbibliothek: Erstveröffentlichung im Internet

Stand: 05.03.2015

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