Lies mal, was er schon alles kann

Eine Autobiographie

Autor:in - Nicolas Schumann
Themenbereiche: Lebensraum
Textsorte: Buch
Releaseinfo: Nicolas Schumann: Lies mal, was er schon alles kann. Eine Autobiographie (4.Auflage). Essen: Klartext 2014.
Copyright: © Nicolas Schuhmann 2014

Abbildungsverzeichnis

    Vorwort

    Ich persönlich kenne viele Beispiele von Behinderten, die den ganzen Tag alleine zu Hause verbringen und sich wohlmöglich damit abgefunden haben, von der Gesellschaft nicht akzeptiert und deshalb ausgegrenzt zu werden, oder sich auch oft nicht vorstellen können, wie es sein könnte, ein integriertes Leben zu führen. Diesen Menschen kann ich vielleicht mit diesem Buch Mut machen, so dass sie ihre eventuellen Existenzängste überwinden und versuchen, sich in die Gesellschaft zu integrieren, sofern dies auf Grund ihrer Erziehung und ihres Umfelds für sie möglich ist. In diesem Punkt hatte ich persönlich sehr viel Glück. Ich sehe jedoch oft an der Reaktion anderer Menschen in der Öffentlichkeit, dass diese sich schwer vorstellen können, mit solch einer Behinderung zu leben. Hinzu kommt, dass mein Aussehen die Leute oft darauf schließen lässt, dass ich auch geistig behindert bin und sie sofort die typischen Vorurteile entwickeln, wie zum Beispiel, wenn es um eigenmündige Entscheidungen, wie das Rauchen oder die freie Meinungsbildung geht.

    Die Integration/Inklusion ins gesellschaftliche Leben war und ist für mich ein zentraler Punkt, ohne den ich sicherlich ein ganz anderer Mensch geworden wäre. Meine Ambitionen wären sicher ganz andere und ich denke, das Leben hätte eine viel geringere Lebensqualität. Jeder Person in meinem näheren Umfeld war die Einschränkung meiner Bewegungsfähigkeit klar und ich habe stets viel Hilfe bekommen. Ob es Erzieher, Zivis, fest angestellte Helfer, Lehrer, Freunde oder meine Eltern waren, stets konnte ich mich mit meinem Problem an diese wenden. Natürlich gibt es positive und negative Beispiele, aber im Grunde genommen wurde ich stets durch ein Auffangnetz gesichert. In der "normalen" Gesellschaft werde ich, wie oben beschrieben, oft merkwürdig beäugt. Bei kleinen Kindern habe ich auch überhaupt kein Problem damit, da diese allem Neuen gegenüber sehr neugierig aufgeschlossen sind und sich wundern, was dieses komische Gefährt (mein Rollstuhl) ist. Das eigentliche Problem liegt an der nicht integrativen bzw. inklusiven Erziehung der meisten Kinder. Würde jeder Mensch vom Beginn seines Lebens an mit behinderten und nichtbehinderten Kindern erzogen, wäre diese Tatsache auch für jeden eine völlig normale Erscheinung. Nicht nur die Behinderten würden davon profitieren, auch die Wirkung auf mein Umfeld, vor allem auf das meiner Freunde, die ebenfalls aus der Integration ihre persönlichen Erfahrungen gezogen haben, ist nicht zu übersehen. Wäre ich zum Beispiel an eine Förderschule gekommen, hätte ich sicherlich nicht mein Abitur gemacht und auch kein Studium abgeschlossen, da stets eine Art Ghettoisierung meiner Person stattgefunden hätte. In diesem Punkt und auch vielen anderen bin ich sehr froh in Deutschland, in einem solch gesunden Umfeld zu leben. Die sehr bemühte Erziehung meiner Eltern, die mir stets die nötigen Freiheiten ließ, aber auch das gute Verhältnis zu Freunden und Helfern ist in keinem Fall als selbstverständlich zu sehen und ich wünschte alle Menschen auf der Welt würden in dieser Art aufgezogen. Ohne diese Faktoren hätte mein Leben auch sehr, sehr unglücklich aussehen können, ständige Depressionen oder Vorwürfe mir selbst gegenüber wären dann mit Sicherheit Alltag und ich hätte nicht die Kraft, ständige Krankheiten oder Infekte so leicht zu besiegen. Ich weiß zwar nicht, ob dadurch mein Leben wirklich gerettet wurde, aber es hilft mit der schrecklichen Gewissheit klarzukommen, viele Erfahrungen nicht mit anderen teilen zu können und auch ein nicht zu langes Leben zu führen. Mit meinen Möglichkeiten habe ich fast alles erlebt und gesehen, was ich möchte und dies wünsche ich jedem behinderten Menschen auf dieser Welt.

    Gründe, die mich überhaupt dazu gebracht haben dieses Buch zu schreiben, gibt es viele: zum einen habe ich vor kurzem den Film "Ziemlich beste Freunde" im Kino gesehen und habe mich an einigen Stellen selbst wieder gefunden. Natürlich nicht in derselben Form, aber einige Parallelen gab es trotzdem. Mehr dazu später. Ein weiterer Grund ist sicherlich die Aufarbeitung vieler schmerzlicher Erinnerungen, wobei das Positive in meinen Augen überwiegt. Aber auch für meine Freunde, die mich teilweise seit dem Kindergarten bzw. der Grundschule begleiten, ist das Buch eine gute Möglichkeit, sich an lustige, gemeinsame Kindheits- bzw. Jugenderfahrungen zu erinnern und eigene Eindrücke mit in das Buch einfließen zu lassen.

    Krankheitsbild

    Muskeldystrophie Duchenne ist nach der Mukoviszidose die zweithäufigste Erbkrankheit bei Jungen. Etwa jeder 3500. neu-geborene Junge ist betroffen, da er auf seinem X-Chromosom ein geschädigtes Dystrophin-Gen hat, das die Krankheit auslöst. In Deutschland gibt es etwa 2500 betroffene Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene.

    Zunächst fällt die Krankheit kaum auf, erst mit dem ca. dritten Lebensjahr sieht man, wie sich die Erkrankung zunächst auf das Laufen auswirkt.

    Abbildung 1.

    Foto eines kleinen Jungen der läuft

    Zwischen fünftem und zehntem Lebensjahr ist eine weitere gravierende Verschlechterung der Muskelkraft zu beobachten, so dass die meisten Betroffenen ab ungefähr dem 9. Lebensjahr auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Dadurch steigt natürlich auch der Pflegebedarf immens. Betroffen sind nicht nur die Muskeln der Extremitäten, sondern auch Lunge und Herz. Durch den medizinischen Fortschritt erreichen die meisten Patienten das Erwachsenenalter. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt etwa 25 Jahre, jedoch gibt es mittlerweile Fälle, in denen die Erkrankten an die 40 Jahre alt werden.

    Gegenwart

    Ich beginne dieses Buch in einem Moment fast totaler Bewegungslosigkeit. So blöd es klingt, sind das Rauchen und das Kiffen die letzten Dinge, die ich komplett selbstständig tun kann, natürlich immer noch mit der Hilfe eines Betreuers oder Freundes, aber im Prinzip ohne Hilfsmittel. Kiffen an sich stellt auch einen großen Teil meines Tagesablaufs dar, sodass ich jeden Tag mehrere Joints rauche, sofern meine finanzielle Situation es zulässt. Das Rollstuhlfahren ist mit meiner neuen Kinnsteuerung zwar sehr viel besser möglich als zuletzt mit der Handsteuerung, jedoch ist relativ häufig eine Neujustierung meiner Kopfposition oder der Position der Steuerung nötig. Komplett alleine könnte ich also nicht mehr fahren. Wegen der eingeschränkten Bewegungsfähigkeit meiner Hände ist es mir auch seit circa drei Jahren nicht mehr möglich den PC mit Maus und Bildschirmtastatur zu bedienen, deshalb habe ich kürzlich begonnen, ein Sprachprogramm zu benutzen, welches mir in diesem Punkt einige Freiheiten zurückgegeben hat. Jetzt aber zu den positiven Aspekten. Ich wohne nun seit drei Jahren in einer eigenen Wohnung und dies wird unterstützt durch eine 24-Stunden Betreuung. Fast mein kompletter Freundeskreis arbeitet für mich. Dies hat natürlich für beide Seiten so seine Vorteile. Vor allem neben dem Studium ist es den Personen in meinem Umfeld sehr gut möglich, nebenbei zu mir zu kommen. Ich habe sehr viele verschiedene Freunde, die auch unabhängig von der Arbeit gerne etwas mit mir unternehmen und mit denen ich über alles sprechen kann. Auch mit meinen Eltern habe ich ein gutes Verhältnis, sie unterstützen mich bei ziemlich allen Vorhaben, die ich plane. Auch bei der Koordination von Arztterminen, Rollstuhlreparaturen etc. werde ich nicht alleine gelassen. Zwar regele ich inzwischen fast alles alleine, jedoch gibt es immer mal wieder Situationen, in denen es gut ist, sich auf seine Eltern verlassen zu können. Dies ist vor allem der Fall, wenn ich krank bin. Nun habe ich mir ein Urlaubssemester genommen, um meine Lebens-eindrücke in einem Buch zusammen fassen zu können. Trotz meiner Behinderung kann kein Mensch behaupten, ich hätte mein Leben nicht ausreichend genossen. Es war mir immer sehr wichtig, nicht sozial behindert zu wirken. Rein äußerlich ist das natürlich schwer vorstellbar, aber mein Verhalten und meine Art zu Leben sind wirklich relativ 'normal'. Das einzige was wirklich stört, ist die Sache mit den Frauen. Es wäre natürlich einfach schön, eine Frau an meiner Seite zu haben. Aber dazu später mehr. Abgesehen davon geht es mir in meiner "schwierigen" Lebenssituation ziemlich gut. Wenn ich mir vorstelle, jemand mit derselben Krankheit würde in Afrika leben, dann würde diese Person zum einen in keinster Weise vom Staat unterstützt werden. Aber das Schwierigste wäre sicherlich die Finanzierung von Rollstühlen oder anderen Hilfsmitteln. Dazu war ich auf einem ganz lustigen Konzert in Mainz, auf dem Polio-Kranke, die auch teilweise im Rollstuhl saßen, mit selbstgebauten Instrumenten ein ziemlich gutes Konzert gespielt haben. Diesen merkte man trotz ihrer ursprünglichen Armut, eine riesige Lebensfreude an, als sie auf der Bühne standen. Natürlich wünscht sich jeder Mensch Bewegungsfreiheit und völlige Autonomie und zumindest redet mir keiner in meine Entscheidungen hinein.

    Vor allem als Kind war es für mich manchmal sehr schwer mit dem ständigen Verlust meiner Kraft umzugehen, zum Glück konnte ich mit meinen Eltern immer darüber sprechen und später auch mit guten Freunden. Was aber auffällt ist, dass ich meine Kindheit in großen Teilen verdrängt habe. Natürlich vergisst jeder die Details, aber mir scheint es so, als ob das bei mir etwas stärker ausgeprägt ist. Nicht dass meine Kindheit schlecht gewesen wäre, aber vor allem der Verlust meiner Gehfähigkeit und andere mit der Krankheit verbundene Verluste waren schon sehr ein-schneidende Erlebnisse, die ich keinem Menschen in irgendeiner Weise wünschen würde. Ich würde jedoch nie so weit gehen und sagen, das Leben sei ungerecht zu mir gewesen. Viele meiner Freunde, vor allem die, die früher Zivis bei mir waren, hätte ich ohne die Behinderung niemals kennen gelernt. Viele meiner besten Freunde habe ich schon im Kindergarten kennen gelernt und wenn ich nicht behindert gewesen wäre, hätte ich gar nicht in diesen Kindergarten gehen können. Ein anderer Punkt, der mir auffällt ist meine ausgeprägte Verschlossenheit, bei mir unbekannten Personen und auch allgemein in der großen Gruppe. Außerdem lache ich sehr selten laut, das war als Kind völlig anders.

    Ansonsten habe ich die Schule mit Abitur abgeschlossen und war zum Glück niemals auf einer Förderschule. In meiner Schule wurden in der Hälfte aller Klassen Behinderte und Nichtbehinderte zusammen unterrichtet. Ich war zum Glück immer einer der besseren Schüler und deshalb fiel mir Schule, abgesehen von meinen schlechten mündlichen Noten, immer relativ leicht. Zum Glück hatte ich nie ein Problem. mich zum Lernen zu motivieren.

    Nach meinem Abitur habe ich in sechs Semestern mein erstes Studium abgeschlossen. Das Fach war Digital Media und ich habe im Schwerpunkt Sound meinen Abschluss gemacht. Leider war es für mich nur sehr schwer möglich, mich in das Studioequipment einzuarbeiten, da ich mit meinen Händen keinen einzigen Regler verstellen kann und es auch sehr kompliziert wäre, einen Betreuer in die ganze Technik einzuarbeiten, ohne dass dieser selbst in dieser Branche beschäftigt wäre. Ich habe im letzten Oktober mein zweites Studium angefangen. Zunächst im Hauptfach Geschichte, aber nun werde ich nach meinem Urlaubssemester ins Hauptfach Theater-, Film-, und Medienwissenschaften wechseln, da das Fach Geschichte wohl doch nicht in meinem Interessenbereich liegt. Dafür schaue ich sehr gerne und exzessiv Filme und Serien. Dies tue ich meistens in Englisch. Dadurch verstehe ich diese Sprache auch wirklich gut. Mit dem Sprechen ist das leider etwas anders, da es für mich nie möglich war, ein Jahr im Ausland zu verbringen. Auch sonst bin ich nicht der große Redner. Als das sich das in einer anderen Sprache ändern würde.

    Natürlich funktioniert mein Gehirn einwandfrei, es ist mir nur nicht möglich, alle Wünsche und Bedürfnisse selbst in die Tat umzusetzen. Ich werde seitdem ich 15 Jahre alt bin nachts beatmet und habe eine Ernährungssonde, durch die ich nachts künstliche Nahrung bekomme. Wie es dazu gekommen ist, werde ich zu einem späteren Zeitpunkt erwähnen, auch wenn es eine sehr unangenehme Geschichte für mich ist.

    Früheste Kindheit 1988-1999

    Diese kurze Einleitung galt nur als Einstig für den Leser, um sich besser vorstellen zu können in welcher Situation ich mich momentan befinde. In den folgenden Kapiteln möchte ich von Anfang meiner Kindheit bis zur der Zeit vor meinem Studium zurückblicken um sowohl dem Leser als auch mir die Geschichte meines bisherigen Lebens erzählen zu können. Es werden viele dramatische Episoden darin vorkommen, aber auch sehr viele lustige Erlebnisse, die ich keinem vorenthalten möchte.

    Da ich im folgenden Kapitel über meine früheste Kindheit schreibe, kann es sein, dass ich mich an einiges gar nicht mehr oder nur sehr ungenau erinnern kann. Dennoch werde ich versuchen, dem Leser einen guten Überblick zu verschaffen.

    Am 29. Juli 1988 wurde ich geboren. Meinen Eltern war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst, dass ich eine Behinderung habe. Drei Wochen nach der Geburt musste ich noch mal ins Krankenhaus, da ich nicht trinken wollte und wurde kurzfristig künstlich ernährt. Auffällig war, dass ich nie krabbeln lernte und oft nur auf dem Boden lag.

    Abbildung 2.

    Foto einer Mutter die einen kleinen Jungen auf dem Arm hat

    Mit ca. 10 Monaten bin ich in die Kinderkrippe gekommen. Mit ca. 1,5 Jahren erlernte ich das Laufen, hatte aber immer große Probleme selbst aufzustehen und fiel sehr oft ungeschickt hin. Zum Aufstehen stützte ich mich immer auf den Knien ab. Treppensteigen, rennen und hüpfen konnte ich nur sehr eingeschränkt und lernte es auch nie richtig. Mein erster Kinderarzt behauptete, ich sei entwicklungsverzögert und müsse trainieren, obwohl er eine Behinderung hätte erkennen müssen. Zu dieser Zeit wurde in der Krippe ein Klettergerüst mit Rutsche aufgestellt. Als die Erzieher bemerkten, dass ich in der Zeit, in der die anderen Kinder dreimal hoch kletterten, es nur einmal schaffte, sagten sie meinen Eltern, sie sollten am besten zu einer ihnen bekannten Orthopädin gehen. Diese überwies mich in die Neurologie der Universitätsklinik in Frankfurt. Dort wurde mit ca. 2,5 Jahren die Diagnose „Muskeldystrophie Duchenne“ gestellt. Meine Eltern haben mir erzählt, dass ich schon nach meinem zweiten Geburtstag immer nachts geschrien habe, da ich merkte, dass irgendetwas nicht stimmt.

    Für meine Eltern war die Krankheit natürlich ein enormer Schock und auch ein Einschnitt in ihr bisheriges Leben. Bei mir war die Behinderung schon immer relativ stark ausgeprägt, was meinen Eltern zu Beginn sehr große Sorgen bereitete. Trotz dieser Einschränkungen pflegte ich viel Kontakt zu Gleichaltrigen und anderen Kindern. Schon in der Kinderkrippe biss ich gelegentlich andere Kinder, was sich später aufgrund der zunehmenden Einschränkung noch verstärkte. Ich hatte einfach keine andere Form, Aggressionen auszudrücken, da ich körperlich anderen schon immer unterlegen war. Die Tatsache, dass ich relativ übergewichtig war, war natürlich nicht zuträglich für die abnehmende Muskelkraft. Meine Eltern versuchten meine und ihre Ernährung daraufhin umzustellen, was ich nicht immer gerade toll fand. Anfangs fiel meinen Eltern das Nachlassen meiner Kraft nur sehr langsam auf, da sich nicht so viel schnell veränderte. Um jedoch nichts zu vernachlässigen, besuchte ich bereits in der Krippe einen Krankengymnasten, der direkt dort arbeitete. Am Anfang war die Krankengymnastik aber immer sehr spielerisch aufgebaut, sodass es mir viel Spaß bereitete.

    Die beste Erklärung, die mir meine Eltern für meine Einschränkungen in der damaligen Zeit geben konnten, war, dass ich kranke Muskeln hätte. Am Anfang meiner Kindheit habe ich davon aber fast gar nichts bemerkt. Erst einige Jahre später habe ich wirklich bewusst wahrgenommen, dass ich meine Kraft verliere. Ich hatte als Kind viele verschiedene Freunde. Am Anfang habe ich am meisten mit Jannis unternommen. Jedes Wochenende habe ich einmal bei ihm übernachtet und er einmal bei mir. Natürlich war das vor der Schulzeit. Ich kann mich auf keinen Fall über meine Kindheit beschweren. Ich hatte immer sehr schöne Kindergeburtstage, bei denen sich meine Eltern sehr viel Mühe gegeben haben. Jedes Jahr konnte ich mir ein Thema aussuchen. "Von König der Löwen" bis "der kleine Vampir". Als ich in den Kindergarten kam, habe ich sofort Anschluss gefunden. Für meine Eltern war sehr erleichternd, dass ich einen integrativen Kindergarten besuchen konnte, in dem behinderte und nicht behinderte Kinder betreut wurden.

    Mit ca. 3 Jahren wurde bei mir zur Bestätigung der Behinderung eine Muskelbiopsie durchgeführt, bei der eine Hohlnadel in einen Muskel eingeführt wird, um eine Probe zu entnehmen. Der Arzt schickte meinen Vater einfach aus dem Zimmer und meine Eltern hörten mich schreien, da keine Vollnarkose, sondern lediglich eine Betäubung vorgenommen wurde. Meine Eltern haben mir später erzählt, dass ich gesagt hätte: "Die bösen Männer haben meinen Papa rausgeschickt." Im Anschluss wollte ich andere Männer mit Kittel aus dem Krankenhausaufzug werfen, indem ich zu ihnen sagte: "Raus hier!"

    Nun wieder zurück zu den positiveren Erinnerungen an meine Kindheit.

    Da es doch einige Ereignisse oder Tätigkeiten in meiner Kindheit gab, an die ich mich kaum bis gar nicht mehr erinnern kann, haben mir meine Eltern dabei geholfen, die Erinnerungslücken ein wenig aufzufüllen. So habe ich zum Beispiel schon in der Babywippe zur Musik der Comedian Harmonists im Takt geschaukelt. Außerdem habe ich schon sehr früh mit befreundeten Kindern zusammen musiziert und über die Matratze im Bett meiner Eltern getanzt und dabei immer sehr viel Spaß gehabt. Meine große Leidenschaft war es auch mit Lego und Playmobil zu spielen und mir gemeinsam mit Freunden stundenlange Spielszenarien zu überlegen, aber auch mit Verkleidungen usw. tauchte ich gemeinsam mit meinen Freunden in diverse Phantasiewelten ein. Wie andere Kinder bastelte ich sonst sehr gerne (z.B. Ostereier anmalen und Gipsabdrücke machen). Auch ansonsten hatte ich meist dieselben Interessen wie meine Freunde und andere Gleichaltrige.

    Was sich leider sehr gewandelt hat, ist meine Bereitschaft zum Lesen, denn bis zu meiner Jugend las ich enorm viele, auch teilweise sehr dicke Bücher (z.B. Harry Potter). Heute komme ich irgendwie nichtmehr so wirklich dazu.

    Abbildung 3.

    Foto eines kleinen Jungen der an einem Tisch sitzt

    Marko, den ich damals ziemlich als ersten im Kindergarten kennen lernte, ist auch heute immer noch ein sehr guter Freund von mir. Auch Max und Robin habe ich damals entfernt kennen gelernt. Zusammen mit Marko und Tim, auch einem ehemals sehr guten Freund habe ich meine ersten Abenteuer erlebt. Dabei ging es zum Beispiel darum Streiche zu spielen oder gegen andere ein spannendes Fußballspiel zu gewinnen. Wir probierten einfach alles, was man sich als Junge in diesem Alter so in den Kopf setzt. Später haben wir auch zusammen denselben Hort besucht. Wie gesagt war meine Kindheit eine ganz normale. Oft habe ich zuhause mit Freunden gespielt und diese haben häufig bei mir übernachtet. Ich habe aber auch selbst oft bei Ihnen übernachtet. Wir haben alles gemacht, was man als Kind so macht:

    Stundenlang Lego gespielt oder König der Löwen nachgespielt, aber auch Fußball und Karate, auch wenn es nur bei mir in der Krankengymnastik war. Mit der Zeit machte sich meine Laufschwäche immer stärker bemerkbar. Ich wurde auch von ein paar älteren Kindern nachgeäfft, das hat mir aber nie in meiner späteren Entwicklung geschadet, obwohl ich damals sauer und traurig über das Nachäffen war. Natürlich gab es immer Momente, in denen ich nicht mehr konnte und auch deshalb weinen musste, aber die meiste Zeit konnte ich psychisch sehr gut mit der fortschreitenden Behinderung umgehen. Ich denke, wenn man von Geburt an mit so einer Krankheit aufwächst, ist es viel leichter als z.B. bei den Menschen, die zum Beispiel durch einen Unfall im Rollstuhl landen. Mir war es möglich, mich langsam an das Gefühl zu gewöhnen, auf Hilfe angewiesen zu sein und später im Rollstuhl zu sitzen.

    Schon mit vier Jahren bekam ich meinen ersten Schieberollstuhl, da ich zwar noch laufen konnte, es aber auf Dauer schon sehr anstrengend für mich war. Meine Eltern banden mich immer in solche Entscheidungen mit ein. Da ich Rollstühle schon aus dem Kindergarten kannte, war ich dafür.

    Ein wichtiger anderer Schritt war 1993 der Beginn einer Cortison-Therapie, die zwar den Muskelabbau verlangsamen sollte, aber mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden war, die im Voraus nicht zu überblicken waren. Aber schließlich entschieden meine Eltern sich dafür. Ich musste mehrmals im Jahr zum Augenarzt, zur Blutuntersuchung zum Kinderarzt und anderen Ärzten, um eventuelle Nebenwirkungen zu überwachen. Aber das Schlimmste war eigentlich die Gewichtszunahme, da Cortison schon von sich aus dick macht und auch zusätzlich den Appetit sehr verstärkt. Als Kind war ich dadurch ziemlich dick. Anfänglich führte die Einnahme des Cortisons zu einer Leistungssteigerung, das heißt ich konnte wieder längere Strecken alleine laufen. Seit dem Sommer '93 war es mir nicht mehr möglich alleine ohne Hilfsmittel aufzustehen.

    Abbildung 4.

    Foto eines Jungen der am Tisch sitzt

    Im Laufe des Sommers '94 veränderte sich mein Gang in der Weise, dass ich auf der Außenkante des linken Fußes lief. Somit wurde die erste Operation, eine sogenannte Rideau-Operation, bei der die Sehnen der Füße und Beine verlängert werden, bei mir im Herbst '94 in Aachen durchgeführt. Es bestand bei dieser Operation das starke Risiko des kompletten Verlusts der Gehfähigkeit. Aber bereits am zweiten Tag nach der OP begann ich zu stehen und einige Tage später konnte ich auch wieder mit Hilfe laufen. In der zweiten Woche war es mir möglich, selbstständig zu laufen. Als jedoch der Tapeverband zuhause abgenommen wurde, schlich sich die alte Art zu Laufen ein. Die Ärzte versicherten jedoch bei der Nachkontrolle, dass alles gut verheilt sei. Nach dem Krankenhaus ging ich auch direkt wieder in den Kindergarten, zu Beginn begleitete mich meine Mutter noch. Schon damals halfen mir bei der Genesung die vielen Geschenke und Anrufe meiner Verwandten, Freunde und Bekannten sehr stark. Im Laufe des Jahres '95 verschlechterte sich mein Gang zunehmend und ich bekam spezielle Einlagen. Ende Mai wurde ich noch einmal an den Füßen operiert. Seit Herbst '95 verschlechterte sich meine Gehfähigkeit immens und ich wünschte mir laut meiner Eltern, dass ich an meinem achten Geburtstag noch laufen könne. Selbst aufstehen konnte ich zu diesem Zeitpunkt nur noch mit Hilfe von anderen Personen, die mich hochheben mussten. Zu dieser Zeit begann ich auch sehr stark mit der Krankheit zu hadern und bekam abends im Bett häufig Trauer- und Wutausbrüche über mein Schicksal.

    Im Frühjahr 97 verlor ich nun endgültig meine Gehfähigkeit, eine ziemlich erschütternde Tatsache für meine Eltern und mich. Nun war ich eindeutig behindert, ein Zustand, der mir in der Übergangsphase sehr viel Kummer bereitete. Wut und Trauer waren, wie bereits zuvor erwähnt, die häufigsten Reaktionen. Auch auf die Einladungen zu einigen Freunden nach Hause hatte diese Entwicklung seine Auswirkungen, da die Mütter sich nur mit der Anwesenheit meiner Eltern oder des Vaters des anderen Kindes auf einen Besuch einließen. Da meine Gewichtszunahme im Laufe des Fest-im-Rollstuhl-Sitzens sehr viel stärker wurde - ich nahm innerhalb eines halben Jahres vier Kilo zu - setzten wir das Cortison ab. Ab diesem Zeitpunkt hat es sowieso kaum noch Wirkung gezeigt. Auch meine Feinmotorik verschlechterte sich immer mehr, so dass ich nach und nach auch nicht mehr das Tempo zum Beispiel bei Diktaten mithalten konnte. In der Folge verlor ich die Lust am Schulbesuch, der mir in den Jahren zuvor immer total viel Spaß gemacht hatte.

    Zum Glück habe ich mich trotz dieser Tatsache in den folgenden Jahren nicht einschüchtern lassen. Als es mit der Ausbildung eines individuellen Geschmacks losging, habe ich mich für den Punker entschieden. Ich hatte schon in der dritten oder vierten Klasse einen Irokesenschnitt und ein Nasenpiercing. Außerdem hatte ich so ziemlich jede Haarfarbe, die man sich vorstellen kann. Vor allem vor dem Hintergrund, dass ich der einzige Rollstuhlfahrer in der Klasse war, kann man schon sagen, dass ich trotz der Behinderung immer allen meinen Vorlieben nachgehen konnte. Vielleicht hatten aber auch meine Eltern recht und ich wollte damit auch meinen Gehfähigkeitsverlust und die sich immer mehr zeigenden Folgen meiner Behinderung ein wenig überdecken. Zum anderen passte das exzentrische Aussehen zu meiner frühpubertären Einstellung, die ich bereits sehr im Grundschulalter verinnerlicht hatte.

    Abbildung 5.

    Foto eines Jungen der einen Irokeschnitt in Rot trägt

    Aber das Allerschlimmste für mich war immer, die Fähigkeit zu verlieren, etwas zu können, was meine Freunde auch sehr gerne machten. Das Spielen auf dem Spielplatz, rum turnen, kämpfen unter Freunden, aber auch das Fußballspielen usw. war für mich plötzlich nicht mehr möglich. Damit angemessen klarzukommen ist bis heute immer wieder ein schwerer Kampf für mich. In der Zeit dieser immer stärker werdenden Einschränkung war ich auch sehr, sehr launisch und ich bin froh, dass meine Eltern mich immer wieder zurück auf den Boden bringen konnten. Auch wenn ich oft nicht damit einverstanden war, finde ich den Erziehungsstil meiner Eltern im Nachhinein sehr gut. Sie waren bei den wichtigen Dingen des Lebens nie zu locker, aber konnten mir mit steigendem Vertrauen auch sehr viel Eigenverantwortung und Freiheit lassen.

    Einige Probleme gab es mit meinen Freunden aber ab und zu schon. Heute würde ich es einfach auf kindliche "Grausamkeit" schieben, aber damals waren einige Übergriffe mir gegenüber schon etwas zu viel für mich. Meine Freunde haben mir zwar natürlich nie wissentlich ernsthafte Schmerzen zugefügt, aber sie haben halt ein wenig ausgetestet, wo meine Grenzen liegen. Zum Beispiel musste ich Dasitzen und meine Freunde versuchten stundenlang Süßigkeiten in meinen Mund zu werfen, obwohl ich dies ausdrücklich nicht wollte. Da ich mich natürlich körperlich nicht wehren konnte, hatte das einen noch größeren Reiz. Da ich nicht petzen wollte, nahm ich diese "Demütigungen" oft wortlos hin. Verbal versuchte ich mich natürlich schon zu wehren, aber das hatte im Affekt oft keinen Erfolg. Ich würde ihnen aber bis heute keine ernsthaften Vorwürfe machen, da sie mich tausendmal für diese frühkindlichen Aktionen entschädigt haben. Heute kann ich mit Ihnen gemeinsam sogar Witze darüber machen und es gibt auch kein böses Blut zwischen uns.

    Spätere Kindheit und frühe Jugend 1999-2005

    Wie bereits zu Beginn meines Lebens, hatte ich auch später sehr häufig Probleme damit, genug zu trinken und zu essen, so dass sich zum Beispiel im Jahr 2002 unter anderem aufgrund eines Darminfekts sehr stark dehydriert und unterernährt war. Deshalb musste ich direkt aus dem Urlaub kommend ins Krankenhaus eingeliefert werden. In der folgenden Zeit hatte ich immer Schwierigkeiten damit, mein Gewicht zu halten, so dass mir schon vor der unbedingt notwendigen Verlegung einer Magensonde damit "gedroht" wurde. Außerdem musste ich zusätzlich Kalorienpulver einnehmen. Das lag wahrscheinlich daran, dass ich mein Umfeld nicht immer mit der Bitte zum Toilettengang oder zur Nahrungsaufnahme "nerven" wollte. Deshalb versuchte ich immer möglichst wenig zu essen und zu trinken.

    Persönliche Beziehungen

    Eltern

    Ich hatte von Anfang an vor, in diesem Buch ein Kapitel meinen Eltern zu widmen, da ich ohne die beiden sicherlich nicht so gut mit der fortschreitenden Entwicklung meiner Behinderung klargekommen wäre. Ob es um die Anschaffung von Hilfsmitteln, Hilfe bei den Hausaufgaben oder auch um moralische Unterstützung in schwierigen Zeiten ging, ich konnte mich trotz vieler Konflikte immer auf meine Eltern verlassen. Beide Seiten haben ihre Stärken. Mein Vater ist sehr gebildet und konnte mir so in allen Wissens- oder Lebensfragen stets eine Antwort geben. Mit ihm habe ich seit der Pubertät sehr viel weniger Konflikte als mit meiner Mutter, da er sich aus organisatorischen Dingen eher versucht rauszuhalten und mir mehr Freiheit gibt. Das soll aber nicht heißen, dass er mich und meine Mutter dabei nicht unterstützt. Er ist wie ich eher ein wenig entspannter und lässt sich nicht so leicht aus der Fassung bringen. Er war auch stets sehr an meinem Musikgeschmack interessiert und hat sich von mir neue Musik zeigen lassen. In den früheren Urlauben, als ich noch nicht so schwer war, hat er mich überall hingetragen, auch zu ungünstig gelegenen Wasserfällen in Thailand. Mit 48 bekam er dann einen Bandscheibenvorfall und musste sehr viel mehr auf seinen Rücken achten musste. Mein Vater ist auch sehr sportlich, so dass er mit mir, solange es ging, zum Beispiel Fußball oder Basketball spielte, ohne mich aufgrund meiner Schwächen nieder zumachen. Wir waren auch mit den Männern einer befreundeten Familie viele Jahre lang gemeinsam auf Fahrradtour. Am Anfang wurden ich und mein Freund noch mit einem Fahrradanhänger für Kinder gefahren. Später kauften wir dann eine Stange, mit der man einen Schieberollstuhl an das Fahrrad meines Vaters hängen konnte. Das hat mir damals immer sehr viel Spaß gemacht, auch wenn ich natürlich viel lieber alleine Fahrrad gefahren werde. Das konnte ich nur ganz am Anfang meiner Kindheit mit der Hilfe von Stützrädern. Wegen mir hat er nach der Diagnose meiner Behinderung seinen Beruf gewechselt, da er sonst zu viele Dienstreisen hätte machen müssen, bei der meine Mutter auf sich alleine gestellt gewesen wäre.

    Abbildung 6.

    Foto eines Mannes der mit einem Kind auf dem Arm auf der Schaukel
                     sitzt

    Meine Mutter ist zum einen eine sehr tüchtige Mitarbeiterin in ihrem Job, weiß aber auch bei allen Dingen meine Behinderung betreffend stets über alles Bescheid. Sie hat stets alle Termine, die mich betreffen, im Kopf: Egal ob es um Antragsfristen, Arzt- und Krankenhaustermine oder Geburtstage geht. Ohne sie wären nur sehr wenige Hilfsmittel von der Kasse bewilligt worden und ich könnte auch nicht in den Urlaub fliegen. Auch wenn ich sehr häufig genervt wirke, weil mir der ganze Organisationskram zu viel wird, bin ich doch dankbar für die fast tägliche Unterstützung und das Hinterher-Sein bei vielen fälligen, aber unliebsamen Tätigkeiten, die immer wieder anstehen. Auch das ständige Vertrauen meiner meinen Eltern in meine Selbstständigkeit, soweit es natürlich möglich ist, gibt mir die Kraft, das Leben so zu genießen, wie ich es tue. Eine Sache, die mich jedoch stört ist, dass meine Eltern sich fast immer kleinlich an Vorschriften halten, die ich oft als übertrieben ansehe. Zum Beispiel wurde ich einmal von meiner Mutter ertappt, als ich 20 für Gras ausgegeben hatte. Das größte Problem war für sie dabei jedoch nicht der Konsum, von dem sie im Voraus bereits gewusst hatte, sondern dass ich mich mit einem Dealer getroffen hatte. Als ich meine Mutter im Anschluss fragte, wie sie sich das denn sonst vorgestellt hatte, antwortete sie, sie hätte gedacht, ich würde bei meinen Freunden mitrauchen und ein bisschen Geld dazu geben. Diese Logik habe ich bis heute nicht verstanden. Ich bin froh, dass meine Eltern ziemlich liberal sind und mir somit selten Vorträge hielten oder halten darüber, was moralisch richtig oder falsch ist. Als meine Freundin das erste Mal mit 15 Jahren bei mir übernachtete, ließen sie das zu. Mein Vater führte mit mir im Voraus ein Gespräch "unter Männern", um über Verhütung und andere Dinge zu sprechen. Selten hatten meine Eltern Geheimnisse vor mir und auch Streit wurde offen ausgetragen.

    Jannis

    Wie ich bereits zuvor im Buch sagte, war Jannis bis zum Übergang in die Grundschule und vielleicht auch ein bisschen darüber hinaus mein bester Freund, mit dem ich fast meine ganze Kindheit hindurch jedes Wochenende zusammen verbracht habe. Seine Mutter und meine Eltern lernten sich kurz vor der Geburt kennen und sind auch bis heute noch gut befreundet. An einige Dinge kann ich mich natürlich mehr erinnern als an andere, aber ich weiß noch genau, dass wir uns immer zusammen morgens um sieben zum Fernseher geschlichen haben, um Cartoons zu schauen, da das bei mir zu Hause aufgrund der Regeln meine Eltern nicht erlaubt war. Unsere Familien waren auch öfter zusammen im Urlaub, zum Beispiel in Thailand. Da war ich ungefähr neun Jahre alt und als Jannis mit seiner Mutter früher wieder nachhause flog, war ich furchtbar traurig und in Tränen aufgelöst. Der Hauptgrund dafür, dass wir uns voneinander entfernten war zum einen, dass er sowohl einen anderen Kindergarten als auch in eine andere Schule in einem ganz anderen Stadtteil besuchte. Nur in der Kinderkrippe waren wir gemeinsam gewesen. Außerdem lernten wir beide aufgrund unseres verschiedenen Umfeldes neue Freunde kennen, mit denen wir auch andere Interessen entwickelten. Ein anderer Grund war sicher meine fortschreitende Behinderung, mit der er nur schwer umgehen konnte. Ich wurde zum Beispiel von ihm ab und zu mit anderen Freunden verspottet; ein Verhalten, das mich damals verletzte und von dem ich meinen Eltern nicht erzählte, um ihn nicht anzuschwärzen. Ich glaube dennoch, dass die Freundschaft eine wichtige Erfahrung für uns beide war und dass wir uns auch unabhängig vom meiner Behinderung auseinander gelebt hätten.

    Abbildung 7.

    Foto von zwei Jungen im Garten

    Andere Freunde

    In meiner sehr glücklichen Kindheit gab es aber nicht nur Jannis und die Freunde aus meiner näheren Kindergarten- und Schulumgebung sondern auch vereinzelte andere in ganz anderen Stadtteilen. So zum Beispiel Nadine, die Tochter einer guten Freundin meiner Mutter, die Nibergalls, eine befreundete Familie mit drei Söhnen aus Bad Vilbel, mit deren zwei jüngeren Kindern ich jahrelang sehr gut befreundet war. Dann gab es zum Beispiel noch Jan, der leider irgendwann sehr ausnutzte, dass er mehr Kraft hatte als ich und sich teilweise auch mit seinen Freunden über mich lustig machte. Er musste zum Beispiel immer wieder betonen, dass er länger tauchen und auch schwimmen konnte. Aber auch mit vielen anderen Kindern aus dem Kindergarten, ob es Jungen oder Mädchen waren, verstand ich mich sehr gut und wurde von ihnen besucht oder ich besuchte sie gemeinsam mit einem meiner Eltern. Bedingt durch meine Behinderung war ich langsamer als die anderen Kinder, die lieber toben wollten als auf mich zu warten. Das machte mich oft traurig und ärgerlich. Im Nachhinein sind diese Aktionen für mich sehr nachvollziehbar. Sie führten oft zu einer gewissen Entfremdung zwischen uns. Diese Kontakte ließ ich irgendwann einschlafen. Mit einigen Freunden habe ich auch erst vor ein paar Jahren wieder den Kontakt gefunden und durch die Schule und über andere Freunde sind noch einige neue Mitglieder zu meinem Freundeskreis dazugekommen, was ich sehr gut finde. Nach und nach werden aber jetzt die Ersten studien- oder berufsbedingt wegziehen und das ist ein wenig schade.

    Abbildung 8.

    Foto von einer Gruppe junger Männer in Badehose

    Beziehung und Verhältnis zu Frauen

    2003 fuhr ich das erste Mal mit Robin alleine auf eine Jugendfreizeit in der Nähe von Berlin. Dort lernte ich auch meine erste Freundin kennen. Auf der Freizeit selbst redete ich jedoch kein Wort mit ihr, da ich schon immer sehr schüchtern war und bin. Aber eigentlich erst nach der Freizeit lernten wir uns über Chatten und E-Mails näher kennen und machten ein Date aus. Mit der Zeit verstanden wir uns immer besser und trafen uns auch öfter. Anfangs hatte sie immer eine Freundin dabei, als es ernster wurde, kam sie dann allein. Sie war das erste Mädchen bzw. die erste Frau, die mich körperlich und auch emotional wirklich an sich ranlassen konnte. Zuvor und leider auch danach kam es nie wieder zu einer intensiven Beziehung oder Freundschaft mit einer Frau. Als Kind war das ein bisschen anders. In der Grundschule war eine meiner besten Freunde ein Mädchen, mit der ich mich sehr gut verstanden habe. Wir haben uns gegenseitig besucht, haben Hockey zusammengespielt und sind zusammen in Urlaub gefahren. Leider kann ich mir ihr heute nichts mehr anfangen. Die Möglichkeit dazu, meine einzige Freundin so unkompliziert kennen zu lernen, bestand aber auch nur deshalb, weil sie mit einer bestimmten Einstellung auf diese Jugendfreizeit für Behinderte und Nichtbehinderte mitgefahren ist. Eine Frau, die nicht bereit ist, sich auf Behinderte einzulassen, würden auch nie mit einem Behinderten eine Beziehung anfangen.

    Natürlich kann ich nachvollziehen, dass eine Beziehung oder ähnliches mit mir nicht gerade unkompliziert wäre. Zum Glück habe ich aber zumindest eine Beziehung geführt und bin auch keine Jungfrau mehr. Auf jeden Fall habe ich Verständnis dafür, denn die Gesellschaft hat halt ein bestimmtes Schönheitsideal, dem ich bei weitem nicht entspreche. Aber auch ich habe selbstverständlich ein Schönheitsideal, was dazu führt, dass ich mich nicht mit jeder Frau einlassen würde. Auch kann ich nicht sagen in wie fern ich anders wäre, wenn ich keine solche Behinderung hätte.

    Die Orte, an denen man am ehesten Frauen kennen lernen kann, nämlich Clubs und Bars, sind für mich äußerst ungeeignet. Das kommt daher, dass immer ein relativ hoher Lautstärkepegel vorhanden und meine Stimme nur sehr leise zu hören ist. Auch fände ich es albern, wenn mich ein Betreuer oder Freund einfach zu einer Frau hinschieben würde. Dafür bin ich nicht selbstbewusst genug.

    Jetzt habe ich mich aber mal wieder genug beschwert und komme zurück zur Beziehung. Ich war wirklich sehr stark verliebt und hätte bis zu einem bestimmten Punkt alles für diese Frau getan. Man kann diese Beziehung auch als stark symbiotisch bezeichnen, da ich in dieser Zeit den Kontakt zu meinen Freunden fast vollständig abgebrochen habe. Jedoch ist das mit 15 Jahren glaub ich auch nicht so ungewöhnlich. Fast alles hat sich in dieser Zeit um meine Freundin gedreht, sodass ich mein komplettes Taschengeld zum Telefonieren ausgegeben habe. Das lag daran, dass sie nicht in derselben Stadt wohnte wie ich. Fast mein ganzer Tagesablauf bestand darin, mit meiner Freundin zu chatten oder zu telefonieren. Auch mit ihren Eltern gab es zeitweise starke Probleme, da ihre Mutter der Meinung war, dass ich ihrer Tochter nichts bieten könne. Dies war, denke ich, vor allem auf die Behinderung bezogen. Wir hatten zwar einen kleinen Streit darüber, aber auch das konnten wir klären. Nichtsdestotrotz möchte ich von einem besonders tollen Tag in unserer Beziehung berichten. Am 31. Dezember 2003 übernachtete sie das erste Mal bei mir, nachdem unsere Eltern sich kennengelernt hatten. In dieser Nacht hatte ich das erste Mal Sex, was für Jungen mit meiner Behinderung meines Wissens nicht der Normalfall ist. Noch dazu war ich einer der ersten Jungen in der Klasse, die Sex hatten. Ich will damit nicht angeben sondern nur zeigen, wie sehr ich fast alle Facetten des Lebens genießen konnte und das trotz meiner leider immer wieder zu erwähnenden Behinderung. Wir waren circa ein Jahr zusammen, nur gab es irgendwann zu oft Streit und sie meinte, mir das Rauchen, das Kiffen und das Trinken verbieten zu müssen. Auch war sie krankhaft eifersüchtig, obwohl von meiner Seite auch nie nur die Möglichkeit bestanden hätte, sie zu betrügen. Aber selbst auf meine Zivis und Betreuer war sie eifersüchtig, da diese mich auf Grund der Fernbeziehung öfter sahen als sie. Das wurde mir irgendwann zu eng und ich machte Schluss. Im Nachhinein war es eine sehr schöne Beziehung und auch vielleicht die einzige, die ich jemals mit einer Frau führen werde. Aber auch in einer verzweifelten Lage werde ich mich selbst nie wieder von einer Frau zu einer solchen Einengung zwingen lassen. Ich werde ihr aber auf ewig dankbar für diese schöne Zeit sein.

    Kurz danach fing ich dann auch richtig mit dem Rauchen an. Auch das Kiffen nahm in dieser Zeit enorm zu, sodass ich in der Schule fast jeden Tag stoned war.

    Nach der Beziehung zu meiner einzigen Freundin versuchte ich jahrelang zwanghaft, möglichst schnell eine neue Beziehungspartnerin zu finden. Dazu war ich, solange es mir noch selbst möglich war, mit der Bildschirmtastatur zu schreiben, Stunden und Tage lang in diversen Internetflirtforen unterwegs. Mit ein paar Frauen habe ich dann auch ein bisschen persönlicher geschrieben, aber nur einmal erklärte sich eines der Mädchen bereit dazu, mich zu besuchen. Mit ihr ergab sich aber auch nicht mehr. Zweimal habe ich seit meiner Beziehung mit Frauen rumgeknutscht. Einmal davon mit einer guten Bekannten und einmal auf dem Geburtstag eines Freundes. Das ist zwar schön, macht aber leider auch Lust auf mehr. Natürlich könnte ich einfach offener sein und dann wäre es eventuell auch möglich, eine Freundin zu finden, aber so bin ich halt leider einfach nicht. Sobald ich mit einer Frau alleine bin, weiß ich meistens nicht, was ich sagen soll und das lässt nur sehr schwierig eine Konversation entstehen. Dazu kommt noch, dass ich entweder sie selbst fragen muss, ob sie mir Hilfestellung leistet oder ein Betreuer muss direkt daneben sitzen, um mir zu assistieren. Mir selbst ist das auch sehr unangenehm, aber das kann ich eben nicht ändern.

    Ich hätte mal wieder dringend gerne Sex, aber auch das sieht außer mit der Hilfe einer Professionellen eher mau aus. Zwar liebäugele ich sehr mit diesem Gedanken, jedoch fehlt mir dabei eine gewisse Selbstbestätigung, die meiner Auffassung nach in diesem Fall nicht gegeben ist, da von vorne herein klar ist, dass man Sex haben wird und das komplette Kennenlernen praktisch wegfällt. Vielleicht klingt das auch ein wenig eingebildet oder arrogant, aber wenn man schon mal einvernehmlichen Sex hatte, dann möchte man dies auch wieder erleben. Wie gesagt ich möchte nicht jammern über mein jetziges und bisheriges Leben, aber es gibt da doch einige Punkte, die ich mir ein wenig anders wünschen würde.

    Vor ein paar Tagen zu meinem 24. Geburtstag haben mir meine Freunde dann den Besuch einer "Professionellen" geschenkt und ich hatte sehr gemischte Gefühle. Einerseits war es natürlich mal wieder extrem schön einer Frau so nahe zu kommen und von ihr sexuell stimuliert zu werden, aber trotzdem war mir im Hinterkopf immer bewusst, dass ich diese Frau nicht selbstständig dazu gebracht habe, mit mir ins Bett zu gehen. Diese Tatsache nagt an meinem Selbstbewusstsein. Diese Selbstzweifel sind vielleicht ebenfalls irrational, aber ich kann sie leider nicht abstellen. Nochmal würde ich es nur versuchen, wenn ich die Frau im Voraus kennengelernt habe, um mir ein Bild von ihr machen zu können. Denn zusätzlich zu meiner Einstellung in dieser Sache fand ich meinen Besuch nicht sonderlich attraktiv, was nicht heißen soll, dass sie hässlich war.

    Egal wie ausweglos die Lage aussieht, ich kann mich immer auf meine Freunde und meine Familie verlassen und das ist das allerwichtigste. Aber auch wenn ich die Hoffnung so ziemlich aufgegeben habe, nochmal eine Beziehung mit einer Frau zu führen, stelle ich es mir natürlich noch vor und halte auch immer gerne Ausschau nach attraktiven Frauen, am liebsten bei mir auf dem Campus.

    Zum Glück ist keiner aus meinem Freundeskreis bereits Vater und es sieht auch bei keinem danach aus, obwohl alle natürlich Beziehungen führen, denn dann würde mir die Einschränkung meines Lebens noch sehr viel stärker bewusst werden. Trotzdem hoffe ich natürlich in erster Linie, dass alle in ihren Leben glücklich werden. Aber innerlich habe ich eigentlich, so gut wie es geht, damit abgeschlossen und führe mein Leben so glücklich, wie es mir im Rahmen der Krankheit möglich ist.

    Tim

    In der Zeit der Oberstufe war ich immer mit Tim zusammen unterwegs, egal ob bei Geburtstagen, bei gutem Wetter, bei schlechtem Wetter und sonst eigentlich auch bei jeder Gelegenheit. Aber trotzdem redeten wir nur sehr wenig über ernsthafte Themen, da jeder von uns seine ganz eigenen Probleme hatte. Ich musste oder muss noch mit den ständigen Einschränkungen der Behinderung leben und er hatte einfach ganz furchtbare Eltern, zu denen er immer ein schlechtes Verhältnis hatte. Aber einfach nur das Zusammenunterwegssein, was immer mit ziemlich extremen Kiff-Ekstasen verbunden war, reichte in der Zeit für eine ziemlich enge und lange Freundschaft. Kennen gelernt haben wir uns mit vier Jahren im Kindergarten, da wir zusammen in dieselbe Gruppe gingen.

    Der Umgang miteinander war in beide Richtungen schwierig, für ihn, weil es aufgrund meines enormen Hilfebedarfs oft körperlich zu anstrengend wurde, für ihn, weil ich damals nur einen engen Freund hatte und dann oft enttäuscht war, wenn er mal nicht konnte oder es ihm zu viel war. Unsere Freundschaft hatte zwar auch zu Grundschulzeiten und in der Mittelstufe ständig Hochs und Tiefs, aber leider entwickelten sich die Dinge nach der Oberstufe nicht so gut. Ab der Mitte der Oberstufenzeit bekam Tim ein wirkliches Suchtproblem mit Gras, denn sein Konsum überstieg meinen bei weitem. Er wollte die ganze Zeit etwas von einer seiner Klassenkameradinnen , aber diese lehnte ihn ab, er kam damit leider überhaupt nicht klar und stürzte sich weiter in die Drogen. Zum Glück nahm er nie etwas anderes als Cannabis. Aber er macht auch enorm hohe Schulden bei Freunden, die er mit Geld zurück bezahlte, welches eigentlich für seine Ausbildung gedacht war. Schon am Ende der Oberstufe begann Tim eine extrem symbiotische Beziehung mit einer Frau, die ein bisschen älter war als wir, und zog bei ihr ein. Dafür hatte ich auch vollstes Verständnis, denn die Verhältnisse bei ihm zu Hause waren für ihn wirklich nicht länger zu ertragen. Dass er sich so in die Beziehung stürzte, lag sicher auch daran, dass er seine andere Flamme vergessen wollte. So kam es, dass wir den Kontakt erst ein wenig vernachlässigten und er dann komplett von der Beziehung vereinnahmt wurde und wir uns jetzt noch ca. einmal im Jahr sehen, obwohl er nicht weit weg von mir wohnt. Diese Tatsache ist für mich sehr traurig, da wir mindestens 16 Jahre die besten Freunde waren und wenn ich ihn sehe, ist die Freundschaft einfach nicht mehr dieselbe. Ich weiß nichts mehr mit ihm anzufangen, obwohl ich darüber sehr traurig bin. Ich werde all meinen Freunden und vor allem ihm immer dankbar für alle Erlebnisse und die ständige Hilfe sein. Vielleicht nähern wir uns ja nochmal an, auch wenn ich leider nicht wirklich daran glaube.

    Abbildung 9.

    Foto von zwei jungen Männern die einen Joint im Mund haben

    Angewiesen sein auf Freunde

    Das Anschließen an die medizinischen Geräte übernahmen in der Zeit, als ich noch zu Hause wohnte und keine 24 h Betreuung hatte, oft meine Freunde und einer musste sich auch jedes Mal vorher dazu bereit erklären, mich nach Hause zu bringen. Dies zu regeln, war manchmal ein wenig unangenehm für mich. Bei neu kennengelernten Freunden fiel mir es immer schwer, sofort Vertrauen zu fassen, um diese um Hilfe zu bitten. Dafür braucht es ein wenig Zeit. In der Schulzeit beschränkte sich dieser extreme Lebensrhythmus aufs Wochenende. Zur besseren Gestaltung meiner Freizeit wurden mir nun aber auch vom Sozialamt 8std. pro Woche Freizeitbegleitung zugebilligt. Das lag daran, dass ich nun 18 war und kein eigenes Einkommen vorweisen konnte.

    Hobbies

    Kindliche Beschäftigung

    Bis ich ca. 11-12 Jahre alt war, habe ich am liebsten "Die Toten Hosen" und "Die Ärzte" gehört. 1996, als ich acht Jahre alt war, war ich zusammen mit meinem damals 16 Jahre alten Nachbarn Paul auf meinem ersten Konzert. Und zwar bei den Toten Hosen in der Festhalle in Frankfurt. Ich erinnere mich noch daran, dass dies der erste Abend war, an dem ich später ins Bett gegangen bin als meine Eltern. Das soll aber nicht heißen, dass mir meine Eltern keine Grenzen gesetzt haben. Ich durfte zum Beispiel als Kind anfangs nur "Die Sendung mit der Maus" gucken und später dann höchstens 1 h am Tag Fernsehen. Ich war aber auch viel zu viel mit meiner Fantasie und dem Spielen beschäftigt, als dass mich das wirklich gestört hätte. Dass ich meine Hausaufgaben mache und für die Schule lerne, war für meine Eltern auch immer sehr wichtig. Bis zur Pubertät war das für mich, außer in Mathe, auch gar kein Problem. Aber dazu viel später.

    Trends

    Trotz meiner Behinderung nahm ich in der Grundschule und Mittelstufe so ziemlich alle Trends mit, die die Jungs meiner Generation verfolgten. Zu Beginn waren es Dinosaurierfiguren, dann wechselte ich zu Caps, kleinen, runden Scheiben aus Pappe, die man in einem Spiel gewinnen oder verlieren konnte. Danach kamen Gogos, kleine Plastikfigürchen, mit denen man ähnlich wie mit Murmeln auch ein Spiel spielte. Unter anderem sammelte ich auch noch Schlümpfe, Jo-Jos, Pokémon Karten und alle anderen möglichen Dinge. Wie gesagt in meiner Generation nichts besonderes, aber ich wollte damit nur zeigen, wie ich immer versucht habe, mich nicht Mitschülern abzugrenzen. Natürlich setzt dies alles voraus, dass man mit den Kindern in seiner Schule gut klar kommt und die Familie einen, so gut es geht, versucht zu unterstützen.

    Was für mich und meine Eltern auch eine immense Umstellung bedeutete, war die Veränderung unseres Zeitmanagements, da in allen Lebensbereichen mehr Aufwand erforderlich war. Ob der Toilettengang, das Einsteigen ins Auto oder das Waschen am Morgen, alles kostete mehr Zeit. Kurz darauf schafften meine Eltern auch das erste behindertengerecht umgebaute Auto an, was einiges wieder einfacher machte. Aber auch mein Zimmer wurde nach und nach komplett behindertengerecht umgebaut, so dass sich zum Beispiel auch mit dem Rollstuhl unter meinen Schreibtisch fahren konnte.

    Sport

    Obwohl ich natürlich nie wirklich aktiv Leistungssport betrieben habe, war ich zu Beginn meines Lebens immer sehr sportbegeistert. Zuvor habe ich schon den Karateunterricht während der Krankengymnastik im Kindergarten erwähnt. Wie alle Jungs in meiner Generation war ich ziemlich fußballbegeistert. Anfangs konnte ich natürlich noch laufen und ein wenig besser mitspielen. Aber schon im Kindergarten überlegte ich mir eine Form, die angenehmer war. Ich saß auf den Schultern eines Zivis und dieser lief nach meinen Kommandos über den Fußballplatz. Als ich dann komplett auf einen Rollstuhl angewiesen war, spielten mir meine Freunde Pässe auf die Laufräder des Rollstuhls, aus denen ab und zu sogar ein Torschuss entstand. Auch spielte ich in der Wohnung oder im Garten stundenlang mit Freunden Fußball oder auch Hockey. Der Verlust dieser Fähigkeiten war für mich eine sehr traumatische Erfahrung, die eventuell auch erklären, warum ich heute nichts mehr mit Fußball anfangen kann.

    Als es mit der Kraft und Motorik meiner Hände noch funktionierte, stieg ich dann auf die PlayStation um, auf der ich eigentlich nur Sportspiele wie Fußball oder Skaten spielte.

    Abbildung 10.

    Foto von drei Jungen die mit der Playstation spielen

    Dies war sicherlich ein Trost für die verlorenen Fähigkeiten im Bereich Sport. Sehr viel genauer kann ich über diese Erfahrungen leider nicht schreiben, da vieles Unangenehme von meiner Psyche verdrängt wurde. Aber auf jeden Fall war Sport mindestens bis zur ersten Hälfte meines Lebens sehr, sehr wichtig für mich.

    Rollstuhlhockey

    Als ich ca. acht Jahre alt war fing ich an, Rollstuhlhockey in einem Verein in Dreieich zu spielen. Das Problem war, dass es keine unterschiedlichen Altersklassen gab, so dass ich am Anfang immer der jüngste war. Auch wenn man annehmen könnte, dass Rollstuhlfahrer mehr auf die Schwächen der anderen Rücksicht nehmen, entspricht dies leider nicht meiner Erfahrung. Deshalb war es für mich vor allem als Kind oft nicht so schön E-Hockey zu spielen. Vor allem mit einem Mitspieler hatte ich immer sehr große Probleme. Acht Jahre lang bin ich diesem Hobby nachgegangen, aber da das Training immer Samstag gegen 12 Uhr in Dreieich war, hatte ich zu Beginn der Pubertät irgendwann keine Lust mehr. Auch das Klima in der Mannschaft war mir immer viel zu leistungsorientiert, so dass ich auch irgendwann den Spaß am Spiel verloren habe. Deshalb habe ich mich dann entschieden, aus der Mannschaft auszutreten um meinen anderen Hobbys, wie Musik machen, nachgehen zu können.

    Abbildung 11.

    Gruppenfoto eines Hockeyteams

    Schwimmen

    Meine ganze Kindheit über hinweg war ich entweder mit meinem Vater oder später einem Betreuer und noch einem weiteren Freund jede Woche schwimmen. Zum einen hatte das therapeutische Gründe, aber vor allem war ich schon immer ein Wasserliebhaber. Meine Eltern nahmen mich bereits als Säugling mit in eine Babyschwimmgruppe. Zu Beginn hätte ich auch fast das Schwimmen erlernt, aber dann reichte leider die Kraft nicht mehr aus. Im Wasser konnte ich mich viel leichter und selbstständiger bewegen, zumindest am Anfang. Ich tobte stundenlang im Wasser herum und war damit meist sehr, sehr glücklich. Dort konnte ich meine Behinderung weitestgehend vergessen, da mir die Bewegung viel leichter fiel. In einem Urlaub mit der befreundeten Mutter meines damals besten Freundes Jannis an einem See in Frankreich - ich war ungefähr vier Jahre alt - plantschte und spielte ich stundenlang im flachen Wasser und mein Freund Jannis traute sich nicht weiter als bis zum Bauchnabel herein, ohne dass er anfing zu schreien. Später tauchte ich dann auf dem Arm eines Betreuers und mit einer Gummiente in der Hand, die ich losließ, sobald ich nicht mehr genug Luft hatte und nach oben geholt werden wollte. Am allerliebsten war ich jedoch immer im Whirlpool, da es dort schön warm war.

    Leider habe ich inzwischen ziemlich die Lust daran verloren, da ich das Gefühl habe, alle würden mich anglotzen. Zum einen wegen der Behinderung, zum anderen wegen meiner Magensonde, obwohl sie sehr klein ist. Im Urlaub bin ich da sehr viel lockerer. Da irgendwann meine Freunde keine Lust mehr hatten, jede Woche mit mir schwimmen zu gehen, ging ich am Ende nur mit einem Betreuer alleine. Oft hatte ich dann auch keine Lust und streunte im nahe gelegenen Einkaufszentrum herum. Meist gingen wir dann nur kurz im Schwimmbad duschen und fuhren wieder nach Hause. Zu zweit macht es einfach sehr viel weniger Spaß und in der Pubertät wollte ich meine Freiheiten ein bisschen anders genießen. Aber den größten Teil meines Lebens war das Schwimmen für mich eine leichtere, schönere Welt, in der der Kraftverlust viel weniger zu spüren war.

    Fußball und Eintracht

    Bis zu meinem ungefähr zwölften Lebensjahr war ich total fußballbegeistert. Meine Lieblingsmannschaft war natürlich die Eintracht. Ich hatte unzählige Trikots und besaß sogar zwei oder drei Jahre lang eine Dauerkarte. Mein Vater ist immer mit mir zusammen ins Stadion gegangen. Auch im Fernsehen habe ich so viele Spiele geguckt, wie ich konnte. Nach dem zweiten Abstieg der Eintracht war das Fandasein zu viel für mich und ich kehrte dem Fußball den Rücken. Dies lag wahrscheinlich auch daran, dass ich selbst nie spielen konnte. Irgendwann habe ich am Spielen komplett den Spaß verloren. Fußball war ab diesem Zeitpunkt nicht mehr Teil meines Lebens.

    Neue Entwicklungen

    Irgendwann habe ich mich dann überhaupt nicht mehr für Fußball und die Eintracht interessiert, sondern meinen Fokus auf Hip Hop verschoben. Auch meine Punkerzeit war zu diesem Zeitpunkt vorbei. In der sechsten Klasse haben drei Freunde und ich dann angefangen, gemeinsam Musik zu machen bzw. zu rappen. Zu diesem Zeitpunkt war das noch nichts Professionelles. Später sind wir da etwas tiefer eingestiegen.

    Auch in der Mittelstufe hatte ich so meine Probleme mit den mündlichen Noten, was sich aber im Verlauf etwas verbessert hat. Zwar wären meine Noten ansonsten sehr viel besser gewesen, ich konnte das aber immer mit meinen relativ guten schriftlichen Leistungen ausgleichen. Auch meine Matheschwäche konnte ich im Laufe der Mittelstufe weitgehend überwinden.

    Mit 13 haben ich und meine Freunde im Sommer bei uns alleine im Garten gezeltet, dann haben diese mich auch alleine gehoben, sind mit mir pinkeln gegangen und haben mir bei allem geholfen, was sonst so anfällt. Das hat mir immer sehr viel Spaß gemacht und ein wenig Abstand zu meinen Eltern verschafft.

    Musik

    Selbst Musik zu machen, war schon sehr früh ein Teil meines Lebens. Wie bereits zuvor erwähnt spielte ich, solange es meine Kraft in der Hand zuließ. Zuerst Keyboard, was ich mithilfe eines Musiklehrers lernte, den ich einmal die Woche besuchte. Ab der sechsten Klasse im Alter von ungefähr zwölf oder 13 Jahren begann ich dann im Bläserorchester der Schule Mundharmonika zu spielen. Mithilfe von Klarinettennoten konnte ich im Orchester mitspielen, obwohl eine Mundharmonika natürlich nicht vorgesehen war. Eine Zeit lang machte mir dies auch sehr viel Spaß.

    Als die Pubertät losging änderten sich die Interessen und feste Termine waren eher unerwünscht. Kurz danach gründeten ich und meine Freunde eine Rapgruppe mit dem Namen "Da King Z". Unser erstes Lied nahmen wir zum Abschied meines Integrationshelfers auf, der bei mir aufhörte. Ihren Höhepunkt hatte unsere "Rapkarriere" dann in der achten Klasse ca. 2003 als wir auf einem Schulfest in der Aula auftreten durften. Leider war der Auftritt katastrophal abgemischt und wir waren danach erstmal ein wenig frustriert. Später haben wir uns dann ein Studiomikrofon, ein Mischpult, eine Drummachine und alles Mögliche andere Studioequipment zusammen gespart, um besser klingende Aufnahmen machen zu können. Für die Drummachine habe ich fast ausschließlich meine Konfirmation gemacht, Religion war noch nie wirklich etwas für mich. Jedoch war mir klar, dass wenn ich die Konfirmation machen würde, ich auch ein wenig Geld von meiner Familie geschenkt bekäme, welches ich für die Drummachine ausgeben konnte. Ich würde zwar keine unserer Produktionen als wirklich professionell bezeichnen, aber für unser Alter und für den damaligen technischen Stand waren wir gar nicht so schlecht. Die Texte für die meisten Lieder habe ich selbst geschrieben, bei den Beats bedienten wir uns am Anfang bei fertigen Instrumentals.

    Später haben wir dann komplett alles selbst in die Hand genommen. Das Engagement in unserer Gruppe war immer vorhanden, aber leider ließ die Disziplin beim Üben abwechselnd bei allen Beteiligten zu wünschen übrig. Auch mit der Technik gab es ziemlich häufig Schwierigkeiten, da keiner von uns sich wirklich auskannte. Alles in allem war die Zeit in der Mittelstufe sehr schön und auch in der Freizeit habe ich sehr viele Dinge erlebt, die ich heute nicht mehr missen möchte. Aber auch meinen Freunden bin ich sehr dankbar für Ihre ständige Unterstützung bei unseren vielen gemeinsamen Vorhaben. Auch meine Eltern waren immer sehr bemüht mir meine Freiheiten im Rahmen meiner Möglichkeiten zu lassen und mir das Vertrauen zu geben, alles schaffen zu können.

    Musik hören

    Zwar hatte ich schon immer einen relativ ausgefallenen Musikgeschmack, aber mit der Zeit hat sich mein Interesse für die Musik an sich sehr verstärkt. Meine erste CD war von den Prinzen, aber ziemlich schnell hat sich herauskristallisiert, dass Punk und Rock in meiner ersten Lebensphase meine Lieblingsmusikrichtungen waren. Dies war bis zum Alter von ungefähr 13-14 Jahren der Fall. Dann brachte mich mein erster Betreuer dazu, mich mit deutschem Hiphop zu beschäftigen. Anfangs war ich von dieser Idee überhaupt nicht angetan, merkte jedoch schnell, dass dies meinen damaligen und derzeitigen Musikgeschmack eher traf. Zu Beginn hörte ich nur Mainstream-Rap, was sich aber mit zunehmendem Interesse stark änderte. Ich glaube, keiner in meinem Freundeskreis weiß so viel über Hiphop und dessen Rapper wie ich. Langsam entdeckte ich auch den amerikanischen Hiphop, was mit meinen zunehmenden Englischkenntnissen zusammenhing. Gerade Eminem, den meine Eltern wahrscheinlich nicht gerade mit Begeisterung aus meinem Kinderzimmer vernahmen, war zu dieser Zeit mein Idol.

    Seit der Oberstufe baute ich mir systematisch eine riesige Musiksammlung auf meinem Rechner auf . Natürlich habe ich alles käuflich erworben. Nicht nur mit der Musik an sich und den Texten beschäftigte ich mich, sondern auch mit Hintergrundgeschichten zu Alben, einzelnen Künstlern, aber auch zu Gruppen. Leider ist meiner Meinung nach in den letzten Jahren nicht viel guter Rap rausgekommen und deshalb bin ich ein wenig auf dem "Oldschool"-Film hängen geblieben. Mittlerweile war ich bestimmt auf 10-15 Rapkonzerten, habe unglaublich viele gute Rapper entdeckt und bin schon ziemlich spezialisiert. Leider kann man Rap nirgendwo studieren. Natürlich höre ich trotzdem nicht ausschließlich Hiphop, sondern auch vereinzelt andere Musikrichtungen. Meine liebsten Genres sind Drum and Bass, sehr selten elektronische Musik, Soul, R"n"B, Reggae, Dancehall und teilweise Rock. Ich war auch sogar schon auf einem Musikfestival in der Nähe von Köln, und zwar dem Summerjam, einem der größten Reggaefestivals Europas. Mit den Menschenmassen war das manchmal schon ein wenig kritisch, aber zusammen mit meinen Freunden schaffe ich alles. Außerdem wurde ich bei einem Konzert auf die Bühne geholt, da die Masse ein wenig zu wild unterwegs war. Früher war ich auch immer mit einem MP3-Player und Kopfhörern überall unterwegs, aber seitdem ich ausgezogen bin und immer ein Betreuer bei mir ist, habe ich mir das abgewöhnt. Am liebsten höre ich Musik zusammen mit meinen Freunden, aber manchmal auch, wenn ich mit einem Betreuer alleine chille.

    PC

    Schon seit der zweiten Klasse habe ich einen eigenen PC bzw. Laptop und ich bin sehr dankbar für die technische Entwicklung, die seit dem Einzug gehalten hat. Viele Möglichkeiten, die ich sonst nicht gehabt hätte, konnten mir damit eröffnet werden und fast den Großteil meines Alltags bestreite ich schon lange mit diesem Gerät. Gerade in der Pubertät, als das Interesse an Mädchen zu steigen begann, waren Chatrooms eine willkommene Möglichkeit, diese kennen zu lernen. Angefangen hat das zusammen mit Robin im Bravo.de Chat als Zeitvertreib neben dem damals noch legalen Herunterladen von Liedern im Internet mit Napster. Später vor allem während und nach der Beziehung mit meiner Freundin stieg ich auf den MSN Messenger um und ab der Trennung war ich auf diversen Flirtforen unterwegs, um eine Frau kennen zu lernen, da ich in natura nicht fähig bin, selbstbewusst auf Frauen zuzugehen oder gar diese anzusprechen.

    Tage und Abende lang verbrachte ich mit einem Headset oder Kopfhörer alleine am PC und rief meine Eltern nur, wenn ich auf Toilette musste oder etwas trinken wollte. Dies war die einzige Möglichkeit mich komplett von der Welt da draußen abzuschotten und auch mal alleine zu sein. Nicht dass ich ein Mensch wäre, der wirklich gerne alleine ist, aber gerade aufgrund der Behinderung hätte ich auch gar nicht die Möglichkeit dazu, mich zu isolieren. Obwohl ich ein Einzelkind bin, hätte ich mir immer vorstellen können Geschwister zu haben, aber dafür hatte ich eben immer viele Freunde. Mit oben beschriebenem Trackball und Bildschirmtastatur - einer Tastatur, bei der man die Buchstaben mit der Maus einzeln anklickt - bewaffnet, hörte ich mir Musik an, stöberte auf sehr vielen Internetseiten herum, nutzte die diversen Möglichkeiten des Internets und war sehr damit beschäftigt, möglichst viele Fakten über den Hiphop, seine Entstehung und die verschiedenen Untergenres herauszufinden. Mit diesem Wissen kann ich mich heute als ziemlichen Rap-und auch schon fast Hiphop-Experten bezeichnen. Heute lasse ich den Computer auf Grund des fast kompletten Kraftausfalls meiner Hand nur noch von meinen Helfern bedienen, was heißt, dass ich sehr viel weniger chatte. Auch die Flirtforen sind seit meinem Auszug nicht mehr an der Tagesordnung. Inzwischen sind meine große Leidenschaft am Computer amerikanische Serien in Originalsprache und Filme aus allen möglichen Ländern, die ich, wenn sie aus englischsprachigen Ländern kommen, ebenfalls im Originalton schaue. Ansonsten benutze ich wie wohl die meisten in meinem Alter häufig die Internetplattform Facebook und verwalte meinen Unikram zumindest zum größten Teil mithilfe des Computers. Auch die Organisation von medizinischen Dingen und bürokratischen Erledigungen läuft bei mir fast komplett mit dem PC ab.

    Zunehmende Selbstständigkeit

    Sobald es warm wurde, war ich mit meinen Freunden draußen unterwegs. Bei einer wärmeren Außentemperatur war es nämlich viel einfacher mit der Hand zu fahren. Ab und zu war sogar der Akku leer, und so mussten meine Eltern mich mit dem Auto abholen, worüber sie sich natürlich nicht gerade gefreut haben. So haben wir ganze Tage auf dem Rollstuhl verbracht und haben Touren durch ganz Frankfurt veranstaltet. Da ich auch eine Freisprechanlage am Rollstuhl habe, konnte ich meine Eltern bei Problemen informieren. Bei etwas kälterem Herbstwetter konnte ich dann schon nicht mehr raus gehen, da meine Hand immer sehr kalt war. Stattdessen habe ich meine Zeit dann in meinem Zimmer am Computer verbracht. Für meine Mutter war das immer sehr schwer zu ertragen, da sie das Gefühl hatte, ich würde von meinen Freunden ausgegrenzt und würde mich isoliert fühlen. Ungefähr im gleichen Zeitraum fing bei mir so langsam die Pubertät an, sodass ich meine Eltern teilweise sehr schwer attackierte, was sicherlich auch mit der enormen Abhängigkeit von uns allen in der Familie untereinander zusammenhing. Dabei hatte ich mit beiden Elternteilen jeweils eigene Konfliktthemen. Da mein Vater in derselben Schule Lehrer war, eskalierte der Streit immer, wenn ich über Kollegen von ihm schimpfte. Das führte auf beiden Seiten fast täglich zu lautstarken Auseinandersetzungen, bei denen ich auch oft in mein Zimmer verschwand. Bei Auseinandersetzungen mit meiner Mutter ging es eher um ihre Unsicherheit, mir gewisse Freiheiten einzuräumen, die ein Risiko bergen, und um Dinge, die ich selbst organisieren sollte, was anfangs bei mir ziemliche Ablehnung auslöste. Nach und nach lernte ich aber mit der anders als bei Gleichaltrigen viel stärker geforderten und in vielen Lebensbereichen auch stärker benötigten Organisation und Planung des Alltags zu leben. Mit zunehmendem Alter versuchte ich immer mehr Eigenverantwortung übernehmen, so dass ich meine Freizeitgestaltung komplett mit Freunden und Helfern organisierte. Meistens war das so, dass mich meine Freunde abends abholten und dann mitten in der Nacht auch nachhause brachten. In den Wochen in denen ich Sturmfrei hatte, haben diese ja sowieso alle Aufgaben übernommen. Zum Glück waren meine Eltern immer relativ sorgenfrei, wenn es um meine Selbstständigkeit ging - abgesehen von den normalen elterlichen Ängsten. Nach und nach haben sich die Ängste dann auch langsam aufgelöst. Im Sommer 2002 erlaubt mir meine Eltern das erste Mal, mit meinen Freunden alleine ins Schwimmbad zu gehen. Das haben wir in diesem Sommer auch ziemlich häufig gemacht. Zuvor war ich immer nur mit meinem Vater oder einem Betreuer gemeinsam mit meinen Freunden schwimmen. Natürlich konnten meine Freunde dann nicht ins Schwimmerbecken, aber sie haben das trotzdem immer gerne mitgemacht.

    Feiern gehen

    Wie ich schon zuvor erwähnt habe, gehe ich auch ab und zu feiern, was aufgrund der Tatsache dass ich nicht tanzen kann, vielleicht etwas sinnlos erscheint. Das wichtigste, was für mich zählt, ist aber immer noch das Dabeisein. Natürlich kann ich nicht mit Sicherheit wissen, wie fremden Leuten das Ganze vorkommt, aber ich kann schon häufig seltsame Blicke beobachten. Ich selber fühle mich manchmal auch überhaupt nicht wohl dabei, was aber von Situation zu Situation unterschiedlich ist. Mir kommt es dann albern vor, einfach nur rum zu stehen, während meine Freunde rumspringen, tanzen und körperlich ihren Spaß haben. In diesen Situationen fühle ich mich dann sehr einsam, auch wenn ich es einfach nicht ändern kann. Auch das sind Momente, in denen das Ganze einfacher zu ertragen ist, wenn man stoned ist. Aber nicht nur beim "Tanzen", sondern auch, wenn andere in Vergnügungsparks gehen und Achterbahn fahren oder meine Freunde Go-Kart fahren gehen und ich überhaupt nicht die Möglichkeit habe, für mich festzustellen, ob mir solche Sachen überhaupt Spaß machen würden. In diesen Situationen bin ich zwar nicht direkt betroffen, aber auch Erzählungen davon lösen bei mir ab und zu ein unschönes Gefühl aus, was nicht bedeuten soll, dass mir meine Freunde einfach nicht davon erzählen sollen, sondern einfach nur, dass es bei mir auf die Stimmung und den Tag ankommt, an dem davon gesprochen wird.

    Kiffen

    Eine Sache, die ich zum Leidwesen meiner Mutter auch in diesem Buch erwähnen muss, ist das Kiffen. Das erste Mal probierte ich das Kiffen 2003 an meinem 15. Geburtstag im Badezimmer meiner Eltern, da diese gerade im Urlaub waren. Darauf gebracht hatte mich ein Helfer, der im folgenden Schuljahr auch mein Zivi wurde. An diesem Abend stürzte ich aufgrund der Mischung mit Alkohol ziemlich ab. Ich musste zwar nicht kotzen, aber alles flimmerte vor mir. Trotzdem fand ich Gefallen daran und seitdem ich ungefähr 16 Jahre alt bin, kiffe ich so ziemlich jeden Tag, was sicherlich auch zur Verdrängung der Behinderung beiträgt. Auch hier war es unter anderem der Einfluss eines Zivis, der zur Verstärkung des Konsums führte. Ich würde trotzdem niemandem die Schuld dafür geben, da ich es irgendwann sowieso probiert hätte. Anfangs musste jeder Euro mühsam zusammen gespart werden. Ich erzählte unter anderem meinen Eltern, dass ich mir CDs gekauft hatte, die ich mir dann nur von einem Freund ausgeliehen hatte. Alle Tricks sollen hier nicht erwähnt werden. Stundenlang verbrachten wir draußen auch im Winter und das nur, um nicht von den Eltern erwischt zu werden.

    Aus der Zeit, in der ich und meine Freunde die ersten paar Male kifften, gibt es einige ziemlich lustige Geschichten, von denen ich ein zwei in diesem Buch erwähnen will. Irgendwann als wir draußen auf einer Parkbank saßen, raschelte irgendetwas in einem Busch und wir hatten ziemliche Paranoia, dass eine Person sich dort versteckte. Also schrien wir in die Richtung des Buschs und gingen möglichst schnell weg. Letztendlich kam das Rascheln aber wahrscheinlich von einem Eichhörnchen oder Igel. Als wir uns dann auf dem Weg zu einem Freund machten, stand Max bei mir hinten auf dem Rollstuhl und wir redeten nach unserem Gefühl stundenlang- in Wirklichkeit war es wohl nur eine halbe Stunde - totalen Schwachsinn. Auch hatte ich zu Beginn, inzwischen kommt es nur noch sehr, sehr selten vor, unglaubliche, grundlose Lachanfälle.

    Ab und zu merkten meine Eltern es aber natürlich doch. Ich erinnere mich noch an eine Situation, in der mein damals engster Freund Tim, meinem Vater Gras in die Hand drücken musste, das er für mich aufgehoben hatte. In der Folge sollte ich von meinen Eltern aus einen Urintest machen, den sie aber zum Glück erstmal wieder vergaßen. Irgendwann fragten sie aber dann doch und ich hatte natürlich inzwischen wieder gekifft. Also wollten sie mit mir sprechen und sagten, solange meine Noten nicht schlechter würden und ich mein Leben noch regeln könne, wäre das für Sie eigentlich in Ordnung.

    Natürlich bin ich süchtig, aber es war mir sowohl in der Schule als auch im Studium immer möglich, die Priorität zum richtigen Zeitpunkt zu setzen. Ich hatte immer relativ gute Noten und habe stets alle Aufgaben erledigt. Inwiefern das mit der Qualität immer so gut war, bin ich mir nicht ganz so sicher.

    Später verbrachten wir die meisten warmen Tage damit, an der Nidda zu "chillen", im Winter gingen wir häufig auf die Behindertentoilette am Weißen Stein, einer nahe gelegenen U-Bahn-Station. Diese war immer sauber und mit einem Schlüssel, den ich beantragt hatte, kann ich fast alle öffentlichen Behindertentoiletten benutzen. Meinen Eltern sagte ich immer, ich würde in einer Kneipe etwas trinken gehen. In der Schulzeit konnte ich immer nur rauchen, bis meine Eltern von der Arbeit nach Hause kamen. Die Wochen, in denen ich sturmfrei hatte, arteten zu regelrechten Exzessen aus, für die ich monatelang sparte. Die Dimensionen sind meinen Eltern zum Glück bis heute nicht bewusst.

    Auf keinen Fall würde ich jemandem raten, so früh anzufangen, aber solange man sein Leben auf die Reihe kriegt und nicht in schwere psychische oder finanzielle Schwierigkeiten kommt , spricht nicht weniger fürs Kiffen als für das Trinken von Alkohol. Sehr viele Kiffer haben auch das Problem, sich nicht mehr motivieren zu können. Dies war bei mir zum Glück nie der Fall, da mein gesamtes Umfeld immer die Schule besucht hat und keiner durch den anderen runter gezogen wurde. „Feiern gehen“ wollte ich zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht, obwohl einige andere meiner Freunde dies in dem Alter schon taten. In diesem Punkt war meine Motivation ein wenig durch den Konsum gehemmt. Dies hat sich aber mittlerweile schon lange gelegt. Alkohol trinke ich vielleicht ein bis zweimal im Monat, die Droge, die mir am meisten zusagt ist einfach Cannabis. Medizinisch bekomme ich es in Deutschland leider nicht, aber es gibt ja auch andere Wege.

    In meiner Jugend war ich sehr häufig unterwegs, um etwas zu kaufen, auch wenn das hieß an bitter kalten Wintertagen mehrere Stunden draußen zu warten oder in Frankfurt rumzufahren. Mittlerweile habe ich eher feste Quellen und alles spielt sich weniger auf der Straße ab. Dass mein Vater früher als Lehrer und meine Mutter gerade als Drogenberaterin arbeiten, passt nicht unbedingt zu diesem Kapitel, sollte aber doch aus humoristischer Sicht nicht fehlen. Ich will nichts beschönigen, denn auf jeden Fall wird der Konsum früher oder später seine Folgen zeigen, aber aufgrund meiner eingeschränkten Lebenserwartung habe ich da weniger Bedenken. Sehr wahrscheinlich werde ich niemals Kinder bekommen und mit dieser beschissenen Krankheit umzugehen, braucht sehr viel Vergessen, denn sonst würde ich verrückt. Fast mein gesamter Freundeskreis besteht aus Kiffern oder ehemaligen Kiffern, so dass der Kontakt mit der Droge fast unumgänglich ist. Und da ich aufgrund meines erfolgreichen Lebenslaufes keinen wirklichen Grund habe, etwas zu ändern, werde ich das auch erstmal nicht tun. Man verändert sich aber natürlich auch in anderer Hinsicht und das nicht immer zum Positiven. Ich werde sehr ruhig, bin ab einem bestimmten Level auch sehr abwesend. Finanziell gibt es natürlich auch gewisse Probleme, aber eigentlich komme ich mit meinem Budget ziemlich gut zurecht. Wie gesagt, sind das Kiffen und das Rauchen einige der wenigen Dinge, die ich in meiner Freizeit selbstständig tun kann. Im Moment, d.h. in einer Zeit ohne Uni, die ich für das Schreiben meines Buches nutze, ist mein Konsum schon ziemlich hoch. Zum Glück können meine Eltern das nicht immer sehen, aber dafür trinke ich kaum Alkohol. Bevor ich jedoch den ersten Joint rauche, werden alle organisatorischen Dinge erledigt. Das Schreiben selbst ist auch in einem "angeheiterten" Stadium ohne Probleme möglich. Aufzuhören steht für mich unter gar keinen Umständen zur Debatte. Erst wenn ich komplett 24 h am Tag beatmet werde, müssen andere Ideen entwickelt werden. Überlegt habe ich mir natürlich schon etwas. Am besten geeignet wäre ein so genannter Vaporizer, der nur das THC verdampft, ohne dass Tabak benötigt wird oder Schadstoffe in die Lunge gelangen. Bis diese Überlegung jedoch in die Tat umgesetzt wird, vergeht hoffentlich noch eine lange, lange Zeit.

    Abbildung 12.

    Foto von einem Mann der Rauch ausatmet

    Sturmfrei

    Im Alter von 13 Jahren hatte ich das erste Mal ein Wochenende sturmfrei. Wir haben das so geregelt, dass abends immer Betreuer kamen und tagsüber ich und meine Freunde alles regelten. Das war zu diesem Zeitpunkt aber auch noch sehr viel einfacher, da ich weder eine Beatmungsmaschine noch eine Ernährungssonde hatte. Dabei haben wir auch eine Party "veranstaltet". Der Betreuer erwischte uns dabei, wie wir Bier aus der Papiermülltonne im Garten fischten, um es heimlich zu trinken. Ich glaube, meinen Eltern hat er aber netterweise nie etwas gesagt, auch wenn er uns damit gedroht hat. Anfangs haben meine Eltern noch Unterschriften der Eltern meiner Freunde erwartet, dass diese einverstanden sind, wenn ihr Sohn oder ihre Tochter zu mir kommen, ohne dass meine Eltern da sind. Später waren sie da sehr viel lockerer.

    Im folgenden Jahr gaben meine Eltern mir dann die Chance, es mit einer ganzen Woche zu versuchen. Die Betreuung wurde zwischen meiner Oma, meinen Freunden und den angestellten Betreuern aufgeteilt. Aber da waren wir noch relativ zivilisiert. 2003 war ich dann wieder eine Woche alleine zuhause, da ich keine Lust hatte, mit meinen Eltern zwei Wochen in den Urlaub zu fahren. Mein Vater fuhr mich dann nach einer Woche wieder nach Hause. Da meine Eltern aber schon für zwei Wochen eine behindertengerechte Unterkunft bezahlt hatten, musste ich die Betreuung irgendwie ohne Bezahlung regeln. Das ist mir das auch mit Hilfe meiner Freunde und eines Helfers gelungen. In dieser Woche feierte ich meinen 15. Geburtstag, an dem ich das erste Mal in meinem Leben Gras rauchte. Mir ging es danach aber zunächst gar nicht gut. Auch haben wir natürlich unerlaubter Weise Alkohol getrunken und eine kleine Party gefeiert. Sonst ist alles ziemlich gut gegangen. Es gab nämlich im Herbst desselben Jahres eine Party bzw. Woche, bei der die Dinge etwas drunter und drüber verliefen, so dass sich unsere Nachbarin, die eigentlich sehr liberal ist, sogar bei meinen Eltern beschwerte. Das lag mit Sicherheit auch daran, dass einer der Gäste auf ihre Fußmatte kotzte, da er es nicht mehr schnell genug bis nach draußen schaffte. Zu unserer Party kamen um die 40 Leute, wovon meine Eltern natürlich im Voraus nichts wussten. Das ging so weit, dass ich mithilfe von zwei Betreuern einige Leute, die ich auch selbst nicht eingeladen hatte, rausschmeißen mussten. Nach dieser Party waren meine Eltern natürlich unsicher, ob sie mich nochmal allein zu Hause lassen konnten, aber im Nachhinein hat sich dies auch nicht als Fehler herausgestellt.

    Im Jahr 2004 musste die sturmfreie Woche etwas anders geregelt werden, da ich zu dieser Zeit eine Freundin hatte und mit meinen Freunden fast den Kontakt abgebrochen hatte. Somit fragten meine Eltern ihre besten Freunde, und diese übernahmen tagsüber die Betreuung. Nachts kamen weiterhin bezahlte Helfer.

    Ein paar Jahre später ca. 2007 gab es nochmals eine Party, die fast schwere Konsequenzen nach sich gezogen hätte. Ich feierte meinen 19. Geburtstag und einige meiner Freunde haben zu viel getrunken und zu Beginn rumgegrölt. Außerdem hatte ich selbst nicht mehr viel Kontrolle über die Situation und die Musik war etwas zu laut. Das größte Problem war nun, dass die Nachbarn über uns gleichzeitig die Hausbesitzer waren und nach mehrmaliger Aufforderung an meine Partygäste, die Musik leiser zu drehen, mit Auflösung des Mietverhältnisses drohten.

    Die Folge: Einem für mich nötigen Umbau der Eingangstür der Wohnung meiner Eltern stimmten die Nachbarn aus Trotz erst sehr viel später zu, als sie es sonst getan hätten. Später wurde es ein wenig schwieriger, die Betreuung tagsüber mit Freunden zu regeln, da diese jetzt arbeiten gingen und selbst in Urlaub fuhren. Einige Freunde fühlten sich überfordert. Jedoch bekamen wir die Organisation der sturmfreien Wochen zunehmend ohne Betreuer hin. Diese kamen abschließend nur noch an drei Abenden die Woche. Mit der zunehmenden Selbstständigkeit von mir und meinen Freunden fassten meine Eltern auch immer mehr Vertrauen in uns.

    Sonstige Freizeitgestaltung

    Meine Freizeitgestaltung begann ich, wie bereits erwähnt, sehr früh selbst in die Hand zu nehmen. Ob es stundenlange Ausflüge mit dem Rollstuhl rund um Frankfurt waren oder wir unsere eigene Musik aufgenommen haben. Immer gab es etwas Interessantes zu tun: die ersten Konzerte, das erste „Feiern gehen“ oder auch das Trinken und Kiffen, ohne dass die Eltern es mitbekommen mussten.

    Bevor wir begannen, Drogen zu nehmen, waren wir natürlich an mehr Orten und haben auch noch mehr Erkundungen angestellt. Schon das selbstständige Zelten mit zwölf oder 13 bei meinen Eltern im Garten hat uns völlig begeistert und gezeigt, wie viele Möglichkeiten mir das Leben als Jugendlichem noch bieten kann. Auch bei einigen Schulfesten trafen wir uns vorher, um uns, unvernünftig wie wir damals waren, zu besaufen. Eine beliebte Tätigkeit war es auch bis zu fünf Freunde auf dem Rollstuhl mitfahren zu lassen, was meinen Eltern natürlich überhaupt nicht gefiel. Ein andermal mit ungefähr 13 oder 14 fuhren wir mit meinem schweren Elektrorollstuhl in einem ziemlich weit entfernten Stadtteil Frankfurts zur Freundin eines guten Freundes. Natürlich war dann beim Rückweg der Akku leer und zwei meiner Freunde, ein anderer war zum Glück noch mitgekommen, mussten den Rollstuhl in einen nichtabsenkbaren Bus hieven. Wie gesagt, reizten wir die Möglichkeiten meines Elektrorollstuhls bis zu den Grenzen aus und manchmal ging der Rollstuhl auch komplett kaputt, so dass zwei meiner Freunde mich einmal im manuellen Modus ein ziemlich steilen Berg hoch schieben mussten, da die Motoren überhitzt gewesen waren. So könnte ich hunderte von kleinen Episoden aufzählen und es würde wahrscheinlich nie ein Ende finden. Ich kann nur immer wieder mit Freude erwähnen, dass ich bis jetzt wirklich ein erfülltes und größtenteils glückliches Leben führen durfte und dass dies ohne die Unterstützung meiner Mitmenschen auch nicht so gewesen wäre.

    Seit der Oberstufe gestaltete ich meine Freizeit zunehmend selbstständig, d.h. in den Ferien stand ich jeden Tag zwischen 12 und 14 Uhr auf, ging um 16 Uhr nach draußen und kam gegen 3-5Uhr wieder nach Hause. Ich war auf verschiedenen Konzerten, in Discos, im Kino, auf Partys, was will man mehr.

    Zwei Geschichten muss ich in diesem Zusammenhang jedoch herausstellen. Die erste Aktion erlebte ich zusammen mit Sebi und Tim. Irgendwann, als uns langweilig war, überlegten wir, mich auf den Rücksitz eines nicht behindertengerecht umgebauten Autos zu setzen. Während der Fahrt musste mich jemand mit seinem Arm festhalten. Mit dieser "Konstruktion" fuhren wir nun bis auf den Feldberg in der Nähe von Frankfurt. Wir waren völlig stoned und als wir auf den Feldberg ankamen, war alles total vernebelt. Das sah schon ziemlich cool aus. Man darf sich dabei halt nicht ausmalen, was bei einer Polizeikontrolle oder noch schlimmer einem Unfall hätte passieren können. Aber solche Ideen hat man nun mal als junge Erwachsene und man kann auch nicht vor allem Angst haben.

    Inzwischen kann ich natürlich eines der Autos meiner Eltern für solche Ausflüge nutzen. Diese sind beide mit einer Rampe und einer Anschnallmöglichkeit für den Rollstuhl ausgestattet. Die zweite Geschichte, von der ich berichten muss, war noch etwas risikoreicher als die erste. Wieder war ich mit Tim und Sebi unterwegs. Auf jeden Fall waren Tim, ein anderer Freund von Sebi und ich auf dem Weg zum letzten Nachtbus, und die beiden waren total besoffen. Ich war an diesem Abend zum Glück so gut wie nüchtern. Die beiden sprangen auf den leeren Bahnschienen herum, als plötzlich die Stadtpolizei kam. Beide wurden nach den Ausweisen gefragt und überprüft. Bei mir trauten sie sich wohl nicht. Da Tim von früher noch einen Eintrag bei der Polizei wegen Sprayens hatte, wurden seine Hosentasche und sein Rucksack durchsucht. Die beiden Polizisten fanden einen Edding und nahmen das zum Anlass, Tim anzudrohen mit der Wache zu drohen. Er erklärte ihnen, dass er mich nach Hause bringen müsse. Wegen dieser sinnlosen Aktion verpassten wir natürlich den letzten Nachtbus und die Polizisten meinten einfach, dass wir ein Taxi nehmen sollen.

    Wir erklärten ihnen, dass der Rollstuhl nicht ins Taxi passe, aber sie ließen uns mit der Situation alleine. Meine Mutter schrieb später einen Beschwerdebrief an die Polizei, die sich nach einigem Hin und Her entschuldigte. Doch jetzt ging das Abenteuer erst richtig los, da Tim wirklich sturzbesoffen war und ich ihn ständig wegen des angeblich bevorstehenden Stresses mit seinen Eltern trösten musste. Er wollte mit dem Rollstuhl auf die Fahrbahn einer voll befahrenen Hauptstraße fahren, änderte ständig die Fahrtrichtung des Rollstuhls und ließ mich schließlich mit dem Rollstuhl auf die Seite fallen. Der Weg nach Hause war zwar an sich schon weit, aber wir brauchten ganze 4 h dafür. Als wir schließlich angekommen waren, setzte sich Tim in meinem Zimmer auf die Couch und wachte bis zum Morgen nicht mehr auf. Da er mich leider nicht wie sonst üblich ins Bett gelegt und an die Geräte angeschlossen hatte musste ich am Wochenende um 7:00 Uhr morgens meinen Vater bitten, dies zu übernehmen. Als ich ihm erzählte, was passiert war, war er sehr verständnisvoll.

    Duschen

    Obwohl ich aufgrund des zeitlichen Aufwandes nur zweimal die Woche duschen gehe, habe ich daran schon immer sehr viel Spaß. Da ich nicht die Möglichkeit habe, baden zu gehen, stellt das ausgiebige, heiße Duschen eine gute Entspannungsmöglichkeit dar. Selbst meine immer kalten Füße werden unter der Dusche warm. Mein Bad verwandelt sich dadurch zwangsläufig in ein Dampfbad, was die ganze Sache noch entspannter macht.

    Medizinische Entwicklungen

    Rückenoperation

    Ein weiterer großer Schritt, der in meiner Kindheit auf mich zukam, war die Rückenoperation im Oktober 1998, bei der mir zwei Titanstäbe parallel zur Wirbelsäule eingesetzt wurden. Diese Operation dient dazu, das Zusammensacken des Oberkörpers und somit ein Eindrücken der Organe, vor allem der Lunge zu verhindern. Da bei mir die Operation schon mit zehn Jahren durchgeführt wurde, war ich einer der jüngsten, die jemals mit dieser Technik operiert wurden. Im Nachhinein bin ich sehr froh darüber, denn ich habe einige Männer mit meiner Krankheit getroffen, die völlig schief in ihrem Rollstuhl hingen oder teilweise gar nicht mehr sitzen konnten. Das Problem war damals, dass ich zwei Jahre lang furchtbare Schmerzen beim Hinsetzen und Hinlegen hatte, so dass ich jedes Mal weinen musste. Um diese Schmerzen ein wenig erträglicher zu gestalten, nahm ich zuvor jedes Mal homöopathische Tropfen ein und sang zusammen mit meinen Eltern jedes Mal ein selbst ausgedachtes Lied zur Entspannung und Ablenkung. Den Titel und den Text kann ich aber leider nicht mehr erinnern. Ich weiß nur noch, dass das Lied "Monster mit Hut" hieß und der Text ungefähr so ging: „Wie geht’s mir so gut, wie geht’s mir so gut wie dem Monster mit Hut!“ Die Ärzte konnten keinen anatomischen Grund feststellen, so dass ich als eine der letzten Maßnahmen vier Wochen in Reha gehen musste. Außerdem hatte ich einmal die Woche eine Feldenkraisbehandlung. Auch nach der Reha trat nur sehr langsam eine Besserung ein. Durch die Operation bin ich aber um 8 cm gewachsen.

    Um mich möglichst wenig zu bewegen, trank und aß ich nur sehr wenig. Dann musste ich sehr viel seltener auf Toilette. In einem Urlaub am Bodensee hatte ich dann eine Art epileptischen Anfall, wahrscheinlich weil sich viel zu wenig Flüssigkeit im Körper befand. Ab diesem Zeitpunkt habe ich sehr auf meine Trinkgewohnheiten geachtet und zum Glück ist auch nie wieder so etwas wie ein Anfall vorgekommen. Bei einem weiteren Urlaub nach Amsterdam bekam ich jedoch sehr starken Durchfall. Wir mussten den Urlaub abbrechen, ich kam ins Kinderkrankenhaus in Frankfurt, die Ärztin stellte Dehydrierung fest und schlug eine Sondenernährung vor.

    Irgendwann, keiner weiß bis heute warum, hörten die Schmerzen auf und traten auch fast nie wieder auf. Aber das war schon ein Kapitel meines jungen Lebens, das sehr unangenehm war. Nach der Operation bekam ich auch meinen ersten großen Elektrorollstuhl, mit dem ich sehr viele Abenteuer erlebt habe.

    Weitere Einschränkungen

    Als im folgenden Jahr die Muskelkraft meiner Hand extrem abnahm, wurde eine Nullwegsteuerung nötig. Diese spezielle Steuerung kann sehr empfindlich eingestellt werden, sodass die fehlende Kraft ausgeglichen werden konnte. Hierbei musste das Hilfsmittel bei der Kasse „durchgeboxt“ werden. Ich selbst war bei der Anschaffung vieler Hilfsmittel sehr skeptisch eingestellt, aber meine Mutter war da anders, denn für sie war es immer sehr schwer zu ertragen, wenn ich eine Fähigkeit oder Möglichkeit mich zu bewegen einbüßte. Deshalb gab es auch sehr oft Streit zwischen uns beiden. Auch wenn ich mittlerweile die meiste Zeit im Bett verbringe, da ich darin am gemütlichsten Sitzen kann, gehe ich auch noch immer feiern, auf Geburtstage oder im Sommer nach draußen. Das liegt aber auch natürlich daran, dass ich in meiner eigenen Wohnung lebe und nicht mehr vor den Eltern "fliehen" muss. Bis ich ausgezogen bin, war ich, sofern es meine Zeit und die Unternehmung an sich zuließen, immer und ständig bei Freunden zu Hause oder draußen unterwegs. Inzwischen bin ich ein wenig bequemer geworden.

    Abschlussfahrt 10. Italien 2005

    Nun folgt ein Ereignis, über das ich nur sehr ungern schreibe. Im Frühsommer 2005 fuhr ich mit meiner Klasse und einer anderen Klasse meiner Mittelstufe auf Abschlussfahrt an den Lago Maggiore. Dort waren wir verschiedenen Bungalows zugeteilt. Bis zum fünften oder sechsten Tag ging auch alles gut. Wir tranken viel, kifften auch ein bisschen und aßen unsere mitgebrachten Haschkekse. An einem Abend, alle waren nicht mehr sehr nüchtern, waren einige meiner Freunde und ich vor unserem Bungalow. Plötzlich fing ich zu husten an und ein Betreuer fragte mich, ob ich inhalieren wolle, um einer Erkältung vorzubeugen. Ich verneinte und wolle gerade in den Bungalow fahren, als ich plötzlich keine Luft mehr bekam. Jemand holte die Lehrer und es wurde sofort ein Krankenwagen gerufen. Ich bekam dann Sauerstoff und es wurde langsam ein wenig besser.

    Meine Eltern sind – von den Klassenlehrern gerufen - sofort nach Italien gekommen und am nächsten Tag wollte ich schon wieder zur Klasse zurück. Als ich etwas aß, ging wieder ein Erstickungsanfall los. Damals wusste lange keiner, woran es lag. Da das Krankenhaus relativ klein war, wurde ich einen Tag später nach Mailand verlegt, in eines der besten Kinderkrankenhäuser Italiens. Zu diesem Zeitpunkt war mein Zustand schon ziemlich bedrohlich. Ich wurde sogar beim Absaugen des Schleims ohnmächtig und sah, wie die Schwestern und Ärzte mit einem Defibrilator angefahren kamen.

    Am Wochenende darauf sollte ich vom ADAC zunächst mit dem Auto nach Deutschland gebracht werden. Die Ärzte des Transporters lehnten aufgrund meiner Lungenprobleme ab, mit mir über die Alpen zu fahren. Deshalb sollte ich nun mit einem Flugzeug abgeholt werden. Dazu musste noch mit dem ADAC verhandelt werden. Als ich dann am Montag später ausgeflogen wurde, mussten wir sogar in Stuttgart notlanden, weil ich zu viel Sauerstoff verbrauchte und die Sauerstoffflasche leer war. Die erste Nacht in der Intensivstation des Nordwestkrankenhauses war schrecklich und ich konnte kaum schlafen. Als ich am nächsten Tag aufwachte, wartete fast meine ganze Klasse darauf mich besuchen zu können, bis irgendwann die Ärzte darum baten, mir Ruhe zu geben. Die ganze Zeit über kamen immer wieder einige meiner Mitschüler, um mich zu besuchen. Ich glaube, ohne diese Unterstützung hätte ich diese Zeit auf keinen Fall lebend überstanden. Dort lag ich, glaube ich, nochmal 4 Wochen.

    Zwischendurch gab es immer wieder enorme Rückschläge, sodass nicht klar war, ob ich jemals wieder ohne Beatmung leben könnte. Irgendwann fanden die Ärzte mit Hilfe einer Logopädin heraus, dass ich eine Schluckstörung habe und wohl immer wieder Nahrung in die Luftröhre gefallen war. Diese Schluckstörung war wohl an dem ganzen Anfall schuld. Anfangs wurde mir daraufhin mitgeteilt, dass ich nie wieder feste Nahrung zu mir nehmen könne. Als ich dies erfuhr, fing ich sofort bitterlich an zu weinen, da ich mir nicht vorstellen konnte, niemals wieder essen zu können. Im selben Zug wurde mir auch eine Magensonde verlegt, durch die ich seitdem künstliche Nahrung zugeführt bekomme. In diesem Augenblick brach zunächst eine Welt für mich zusammen. Aber mit Hilfe der Logopädin lernte ich, richtig zu schlucken und mit der Zeit konnte ich langsam wieder anfangen, normale Nahrung zu mir zu nehmen.

    Am Tag der Abschlussfeier der 10. Klasse verließ ich das erste Mal nach vier Wochen im Bett das Krankenhaus, um mein Zeugnis entgegen zu nehmen. Das war aber zu diesem Zeitpunkt sehr anstrengend für mich. Als ich auf die Bühne kam, hat der ganze Saal geklatscht und ziemlich viele Leute sind zu mir gekommen, da die ganze Schule von dem Vorfall erfahren hatte. Das hat mich sehr gefreut. Kurz nach der Zeugnisübergabe bin ich dann aber auch ziemlich schnell wieder zurück ins Krankenhaus gefahren.

    Nachdem ich endlich wieder zu Hause war, ging es mir überhaupt nicht gut. Sowohl mein Körper, der durch die Antibiotika völlig geschwächt war und mir ständig Magenprobleme bescherte, als auch meine Psyche waren sehr geschwächt. Ich war völlig lustlos und depressiv. In dieser Zeit hörte ich auch gar keine Musik und war nicht am Computer. Diesen Sommer habe ich fast komplett alleine bzw. zu Hause mit meinen Eltern verbracht.

    Trotzdem schaffte ich den Übergang in die Oberstufe. Vielleicht auch mit ein wenig "Augenzudrücken" der Lehrer, aber bis zur Klassenfahrt waren meine Noten gut gewesen. Der erste Schultag kam und ich war auf einmal gesund, auch mein Magen war geheilt. Wie ich aus dieser tiefen Depression herausgekommen bin, kann ich mir eigentlich nur mit der Unterstützung meiner Freunde und Klassenkameraden bzw. meinen Eltern erklären. Vor allem drei Klassenkameraden, nämlich Max, Pady und Moroj halfen mir sehr bei der Bewältigung, da sie jeden Tag im Krankenhaus bei mir am Bett saßen und für mich da waren. Auch die schrittweise Aufstockung meiner Essensmöglichkeiten und Dinge, die in der Schule zu tun waren, brachten mich nach und nach wieder auf die Bahn. Als das Erlebnis noch frisch war, rauchte ich ein halbes Jahr erstmal überhaupt nicht, auch keinen Joint. Als ich das erste Mal wieder probierte zu kiffen, bauten meine Freunde extra einen Joint bei dem vorne nur Gras drinnen war und ich nahm nur zwei oder drei Züge. Nach und nach stockte ich das ganze wieder auf und fing ich auch wieder an, Zigaretten zu rauchen. Damit meine Eltern sich jedoch keine Sorgen mehr machen mussten, erzählte ich ihnen nicht davon, was glaube ich auch besser so war. Um meine psychischen Probleme, die durch die Krankheit eventuell ausgelöst werden, zu besprechen, besuche ich seit ca. 2006 auch eine psychologische Beratung, 2009 habe ich zu einem anderen, meiner Meinung nach besseren Psychotherapeuten gewechselt und gehe spärlich dorthin. Aber im Prinzip regelte sich das ganze Trauma der Klassenfahrt mit der Einkehr des normalen Lebenslaufs, mit Schule usw. eigentlich langsam von selbst und ich kann auch nicht genau nachvollziehen, wann wieder die Lust zurückkehrte, mich mit Freunden zu treffen und auch Musik zu hören.

    Seit dieser Klassenfahrt werde ich also künstlich ernährt und nachts mit einer Atemmaschine künstlich beatmet. Auch die Nahrung lasse ich meist über Nacht einlaufen, sodass ich am Tag kleine Portionen essen kann. Diese sind aber wirklich sehr klein, so dass sie mehr als Genuss gesehen werden können. Mit der Zeit ist das Kauen auch ein wenig anstrengender geworden, deshalb esse ich auch sehr wenig und es fällt mir schwer mein Gewicht zu halten.

    24-Stunden Betreuung

    Seit ich am 15.04.2009 in eine eigene Wohnung gezogen bin, werde ich 24 Stunden am Tag betreut. Am Anfang waren die Tage in zwei Schichten eigeteilt, mittlerweile gibt es drei Schichten.

    Dass die meisten meiner Betreuer meine Freunde sind, ist zum einen eine sehr positive Sache. Negativ ist daran, dass es auf beiden Seiten Abgrenzungsschwierigkeiten gibt. Bei mir drückt sich das in der Anpassung an die Interessen meiner Freunde aus, ich mache dann das, was sie vorschlagen, auch wenn ich manchmal viel lieber etwas anderes tun würde oder sogar lernen muss. Das größte Problem ist meiner Meinung nach die immerwährende Präsenz eines Helfers in meiner Gegenwart, die aber natürlich auch benötigt wird. Im Fall meiner Freunde ist dies aber ein positiver Effekt, da ich sie häufiger sehen kann, als es im normalen Alltag möglich wäre.

    Zu Beginn meiner kompletten Selbstständigkeit wurden auch viele externe Helfer bei mir eingestellt. Die meisten waren aber immer Freunde, gute Bekannte oder ehemalige Zivis. Mit den externen Betreuern gab es jedoch häufig Probleme, da diese zum Beispiel älter waren und nicht mit meinem Tagesrhythmus klarkamen oder einfach nicht meiner Vorstellung entsprachen. Inzwischen habe ich aber einen festen, gut eingearbeiteten Helferkreis, mit dem fast alles sehr gut klappt.

    Einige Probleme gibt es neben dem oben Angesprochenem dennoch. Der Haushalt weist teilweise starke Mängel auf. Das drückt sich z.B. darin aus, dass einige nicht richtig spülen, die Toilette oft nicht sauber gemacht wird und auch selten jemand auf die Idee kommt, etwas Abgelaufenes aus dem Kühlschrank einfach von sich aus wegzuschmeißen. Die Arbeit bleibt somit leider meist an denselben Personen hängen, was auch zu Unmut bei den betroffenen Betreuern führt. Mit einigen ist es auch weniger gut möglich zu lernen oder sich um organisatorische Dinge zu kümmern. Die verschiedenen Konzentrationsfähigkeiten der Helfer und deren Bereitschaft, sich mit mir in Ruhe hinzusetzen, macht es manchmal ziemlich anstrengend und kompliziert. Inzwischen habe ich gelernt, die Fähigkeiten der Betreuer einzuschätzen und meine Aufgaben und Interessen möglichst mit dem jeweils dafür Kompetenten durchzuführen.

    Nun soll dieses Kapitel nicht als Beschwerde dienen. Für solch eine Grunderkrankung geht es mir wirklich sehr gut. Durch den Staat wird meine Betreuung finanziert, die meisten Hilfsmittel übernimmt meine gesetzliche Krankenkasse. Das Zimmer für meine Betreuer bezahlt eine Stiftung. Auch wenn meine Eltern beide nicht so schlecht verdienen, wäre die Finanzierung dieses selbstständigen Lebens für sie unmöglich. In Deutschland zu leben, ist hier ein klarer Vorteil. Man muss halt lernen, manche Dinge mit den Leuten zu klären, was mir teilweise sehr schwer fällt. Aber lieber ist mir so ein Leben mit ein wenig Unordnung als eines, in dem ich den ganzen Tag nur zu Hause sitzen würde, wahrscheinlich auch noch in der Wohnung meiner Eltern.

    Mit anderen Betroffenen meiner Krankheit konnte ich leider nie viel anfangen, da ich mich selbst nicht als sozial behindert wahrnehme und meine Freizeitaktivitäten in dieser Form auch nur mit Nichtbehinderten möglich sind. Sehr schwierig stelle ich es mir vor, wenn die Betreuer in nicht allzu langer Zeit ihre Studien beenden und somit auch woanders arbeiten werden. Dann werde ich nicht mehr mit meinen Freunden oder gar Gleichaltrigen die Zeit verbringen können, sondern mit Menschen, die das Ganze nur als Beruf annehmen und teilweise auch auf einer ganz anderen Wellenlänge sind. Davor habe ich wirklich Angst, denn gerade der nahe persönliche Kontakt mit meinen Helfern bzw. Freunden macht das Leben für mich sehr lebenswert und erweitert meine eingeschränkten Möglichkeiten immens. Daran habe ich mich schon sehr stark gewöhnt und habe keinerlei Lust, dass sich das irgendwann ändert. Aber leider oder für meine Freunde natürlich wünschenswert, wird es auf kurz oder lang bei den meisten dazu kommen und ich werde auch damit irgendwie umgehen lernen.

    Pilzerkrankung

    Seit der Rückkehr vom Kroatienurlaub 2010, den ich mit 11 Freunden verbracht habe, hatte ich fast 1,5 Jahre lang alle 2-3 Monate einen furchtbaren Darminfekt, bei dem ich ständig - am Anfang oft mit Schaum vor dem Mund- erbrechen und ziemlich oft auf Toilette gehen musste. Nicht mal Flüssigkeit konnte ich zu mir nehmen und mir war mindestens eine Woche hundeelend. Ca. ein Jahr hatte ich keine Ahnung, was die Ursache für diese heftigen Infekte war, als dann eine Ärztin den Verdacht hatte, ich könne ja einen Pilz im Darm haben. Sie verschrieb mir Medikamente und riet mir die Aufnahme von Zucker möglichst zu reduzieren. Ein oder zwei leichte Magendarminfekte hatte ich zwar trotzdem noch, aber mittlerweile kann ich auch wieder alles essen und meinem Magen geht es wieder wunderbar. Auch in dieser Sache spielt die Behinderung eine Rolle, da ich selbst körperlich natürlich viel schwächer bin als andere und somit ein solcher Infekt auch ziemlich gefährlich werden kann.

    Bildungsweg

    Grundschule

    Schon als ich noch den Kindergarten besuchte, mussten sich meine Eltern um eine Grundschule kümmern, da diese ebenfalls integrativ sein sollte. Da es aber in unserem Einzugsbereich keine integrative Schule gab, schauten wir uns auch eine Förderschule für Körperbehinderte an. Schon in meinem jungen Alter entschied ich für mich, niemals in solch eine Schule gehen zu wollen, da ich mich selbst nicht als so behindert wahrnahm und auch den Umgang mit Nichtbehinderten gewöhnt war.

    Trotz all dieser Schwierigkeiten bekam ich schließlich einen Platz in einer integrativen Grundschule und einem integrativen Hort, den ich mit zwei Freunden aus dem Kindergarten besuchte. Um einen Schulplatz in dieser Schule zu bekommen, mussten sich meine Eltern bis zum Kultusministerium durcharbeiten. Ab diesem Zeitpunkt bekam ich auch in der Schule einen Zivildienstleistenden gestellt, der mir bei Tätigkeiten, die ich nicht selbst ausführen konnte, behilflich war. Bei der Ausbildung meiner Schreibfähigkeit bekam ich die ersten Zweifel, da meine Schrift viel krakeliger war als bei allen anderen. Meine Eltern erklärten mir dann, dass aufgrund meiner Krankheit meine Feinmotorik schlechter entwickelt sei. Und das konnte ich akzeptieren.

    Natürlich konnte ich nie rennen, aber solange ich noch laufen konnte, habe ich das auch gemacht. Dazu gibt es eine sehr lustige Anekdote, die mir meine Eltern später erzählt haben. Am Tag der Einschulung wurden zunächst alle Kinder in der Kirche begrüßt, die direkt neben der Grundschule war. Anschließend sind wir zur Schule gelaufen und später in die Klassen. Da ich die ganze Zeit laufen wollte, wunderten sich meine Lehrer, wo denn der Rollstuhlfahrer bleibe. Daran sieht man auch, dass ich mich nie auf meiner Behinderung ausgeruht habe.

    Abbildung 13.

    Bild eines Jungen

    Die Grundschule lief für mich zum großen Teil sehr gut. Ich lernte sehr schnell das Lesen. Nur mit Mathe und der mündlichen Beteiligung lief es nicht so gut. Sonst hatte ich eigentlich nirgendwo Probleme, nur dieses Fach wollte mir einfach nicht in den Kopf gehen. Ich habe verschiedene Lernprogramme auf dem Computer ausprobiert und irgendwann in der Mittelstufe hat es dann einigermaßen geklappt. Das Problem mit der mündlichen Beteiligung lag aber auch zum großen Teil daran, dass meine Lehrer meinten, mir keine schlechten Noten geben zu können, da ich behindert sei. Dieses Problem begleitet mich bis heute immer noch. In der Grundschule lernte ich viele neue Freunde kennen, mit denen ich bis heute etwas zu tun habe.

    Hort

    Da meine Eltern immer beide berufstätig waren, habe ich während der Schulzeit die ersten vier bis fünf Jahre jeden Tag den Hort besucht. Dieser war wie mein Kindergarten und meine Grundschule auch integrativ. Meine Freunde waren alle "normal". Dort habe ich mich immer sehr wohl gefühlt - so sehr, dass ich meinen Eltern, wenn ich sauer war damit "gedroht" habe für immer in den Hort zu ziehen. Anfangs hatte ich ein wenig Schwierigkeiten mit den älteren Kindern im Hort, was aber mit Hilfe der Erzieherinnen und Zivis schnell gelöst werden konnte. Da der Hort leider nur Stufen hatte, wurde mit Hilfe einer Stiftung eine Rampe gebaut, da der Bau des neuen Gebäudes noch länger dauerte. Die erste Unterbringung war nur ein Provisorium.

    Wir waren auch jedes Jahr für einige Tage auf einer Zeltfreizeit in der näheren Umgebung von Frankfurt.

    Einmal hatte ich auf so einer Freizeit Geburtstag, so dass meine Eltern mit dem Auto alle meine Freunde, die nicht den Hort besuchten, dorthin brachten und ich so gemeinsam mit allen meinen Freunden den Geburtstag feiern durfte. Es gibt eine Aufnahme davon, bei der wir alle gemeinsam auf kleine aufgestellte Tore Hockey spielen, ich mittendrin dabei. Meine ganze Kindheit hindurch war Fußball mein Hobby. Im Hort haben wir mindestens einmal am Tag zusammen gespielt. Dazu haben mir meine Freunde immer einen Pass auf die Rollstuhlräder gespielt, sodass ich entweder ein Tor schießen oder einen Doppelpass zurückspielen konnte. Als meine beiden besten Freunde Marko und Tim 1999 den Hort verließen, da sie jetzt auch alleine zu Hause bleiben konnten, war ich sehr traurig. Nun galt es, eine geeignete Alternative für mich zu finden. Das hat damals noch alles meine Mutter für mich geregelt. Zunächst habe ich langsam immer weniger Tage im Hort verbracht, die geeignete Betreuung mussten meine Eltern anfangs selbst bezahlen. Eine Mitarbeiterin des Sozialamts riet meiner Mutter, mit dem Arbeiten aufzuhören. Irgendwann später haben wir dann einen Paragraphen im Sozialgesetzbuch gefunden, der mir eine Hausaufgabenassistenz ermöglichte. Anfangs gab es dafür zehn Stunden pro Woche, was natürlich viel zu wenig war. Eigentlich hätten meine Betreuer weder mit mir auf die Toilette gehen, noch mir Essen zubereiten dürfen, da sie mich nur bei den Hausaufgaben unterstützen sollten. Wir haben das mit Ihnen aber immer ein wenig persönlicher geregelt. In den Ferien mussten meine Eltern die Betreuung selbst bezahlen, da mein Vater laut Sozialamt ja Lehrer sei und so jede Menge Zeit hätte. Später wurde die Hausaufgabenassistenz zunächst auf 12,5 Stunden und dann auf 16 Stunden die Woche erhöht.

    Mittelstufe 1999 - 2005

    Kurz nach der Rückenoperation kam ich in eine neue Schule. Dies war eine Integrierte Gesamtschule mit gemeinsamem Unterricht von Behinderten und Nichtbehinderten. Dort habe ich mich auch sehr wohl gefühlt vor allem auch deshalb, weil fast meine gesamte Klasse aus der Grundschule in die neue Klasse übernommen wurde. Ich denke, diese Kontinuität war sehr wichtig für meine Freundschaften, vor allem für zwei, die ich immer noch pflege. Damals habe ich schon einmal versucht mit einem Sprachprogramm, das ich auf einem eigens für die Schule angeschafften Laptop verwenden konnte, zu arbeiten. Der Laptop, den ich in der Grundschule hatte, konnte die technischen Anforderungen des Sprachprogramms nicht erfüllen. Sich darum zu kümmern, haben die Lehrer in der Grundschule leider versäumt. Eine Zeit lang habe ich das Programm auch wirklich zusammen mit einem Sozialpädagogen der Schule trainiert und benutzt, irgendwann entschied ich mich dazu, lieber meinem Betreuer die Texte zu diktieren oder mit Maus und Bildschirmtastatur zu arbeiten. Die Technik des Diktierens mithilfe eines Sprachprogramms auf dem Computer war zu diesem Zeitpunkt auch noch sehr unausgereift.

    Nachdem ich am Anfang der Mittelstufe für die ersten zwei Schuljahre einen festangestellten Integrationshelfer (Butzel) hatte, hörte dieser nach der sechsten Klasse auf, obwohl er mir versprochen hatte bis zur 13. Klasse mein Helfer zu sein. Nun musste ich mich wieder auf einen Zivi einstellen, was für mich zu Beginn sehr schwierig war, da ich mich nach 2 Jahren sehr auf Butzels Hilfe eingestellt hatte. Später in der 11. Klasse, als er Hausmeister in meiner Schule geworden war, ermöglichte er mir in der Schule meinen 18. Geburtstag zu feiern.

    Skifreizeit

    In der siebten Klasse fuhren wir dann mit der Klasse auf Skifreizeit. Dies brachte einen enormen Organisationsaufwand mit sich. Im Voraus musste ein Fahrer organisiert werden, außerdem galt es, das spezielle Skifahrzeug (Monoski) zu besorgen und eine Skilehrerin, die mich darin fahren konnte. Das Skifahren war auf jeden Fall eine wertvolle Erfahrung, dennoch hätte es noch mehr Spaß gemacht, wenn ich alleine hätte fahren können. Danach hatte ich zwar eine schwere Lungenentzündung, aber wenigstens kann ich trotz meiner Behinderung behaupten, Ski gefahren zu sein. Aber ohne das Engagement meiner Lehrer, Eltern und Helfer wäre die ganze Unternehmung natürlich gescheitert. Auch hier kann ich nur von Glück reden. Leider war es nach knapp 2-3 Tagen nicht mehr ganz so spannend, da die Skilehrerin und ich alle befahrbaren Pisten außer der Buckelpiste bereits ausprobiert hatten. Ich war mit drei Freunden und einem Helfer separat in einem Apartment untergebracht, da die Unterkunft der anderen Schüler nicht behindertengerecht war. Ein glücklicher Zufall, da sowohl das Essen als auch die Betten der andern wirklich schlecht waren. Somit kann also eine Behinderung auch zu gewissen Vorteilen führen. Das habe ich auch an anderer Stelle sehr häufig beobachtet.

    Oberstufe

    Im Sommer 2005 kam ich in die Oberstufe. Dort wurde die Integration von Behinderten aus der Mittelstufe leider nicht fortgeführt, obwohl die Schule direkt daneben lag. Diese Tatsache konnte ich häufig am Verhalten von Lehrern feststellen. Zum einen waren diese überhaupt nicht darin geschult, mit behinderten Schülern umzugehen, zum anderen gab es häufig unverhältnismäßige Beurteilungen meiner Leistung in positiver und negativer Weise. Am häufigsten kam es vor, dass ich mir vor den Klassenarbeiten jedes Mal selbst einen Raum suchen musste, da ich meinem Zivi die Inhalte diktieren musste und sonst jeder hätte mithören können. Trotzdem hatte ich viele lustige Erlebnisse in der Schule. Zum Beispiel habe ich meinen Freund Sebi kennengelernt, natürlich durch das Kiffen, aber diese Geschichte muss nicht in diesem Buch erzählt werden. In der 12.Klasse ging er leider für das erste Halbjahr in die USA. Anfang der 12. Klasse fuhr ich mit meinen restlichen Mitschülern auf Kennenlern-Fahrt nach Kassel. An dieser Stelle lernte ich Leo kennen. Mit ihm überbrückte ich die Zeit, bis Sebi wieder zurück kam. Mit meinen anderen Klassenkameraden hatte ich so gut wie gar keinen Kontakt außerhalb der Schule. Durch die Einteilung in Kurse bestand natürlich auch ein viel geringerer Klassenzusammenhalt, als dies in der Mittelstufe der Fall war. Ich machte zwar immer meine Hausaufgaben und lernte für Klausuren, aber trotzdem kifften ich und meine Freunde fast jeden Tag, auch während der Schulzeit. Um die Probleme mit meinen mündlichen Noten eventuell verbessern zu können, gehe ich seit der 12. Klasse in Beratung. Der größte Hammer, den meine Klassenlehrerin brachte, war sicherlich bei der Organisation der Abschlussfahrt für die 13. Klasse. Obwohl sie selbst entschied, dass die Klassenfahrt auf Grund der Organisation mit mir nach Amsterdam und nicht per Flugzeug nach Malta gehen sollte, passte ihr wohl meine Reaktion nicht. Das drückte sich ihrer Meinung nach darin aus, dass ich mich nicht genug gefreut hatte und sie von mir mehr Dankbarkeit erwartet hätte. Dies wurde auch in einem Gespräch mit den Klassensprechern besprochen, die meiner Lehrerin nur teilweise zustimmten, jedoch rückte sie nicht wirklich von ihrem Standpunkt ab.

    Bereits zu diesem Zeitpunkt musste ich mich um meine weitere Zukunft kümmern, da mein Lebensweg nicht wie bei anderen in eine fernere Zukunft führt, sondern eventuell schon in der näheren zeitlichen Umgebung endet. Natürlich kann das niemand von sich selbst wissen, aber bei mir ist es wahrscheinlicher. Somit konnte ich mir kein Jahr Zeit nehmen, um mir Gedanken über meine berufliche Zukunft zu machen, sondern musste immer im Voraus planen.

    Abbildung 14.

    Bild mit zwei jungen Männern in einem weißen Anzug und mit einem Hut
                     bekleidet

    Studium

    Zunächst standen die Studiengänge Digital Media: Sound und Geschichte zur Auswahl, wobei Digital Media mein klarer Favorit war. Dies liegt sicher auch an meiner musikalischen Vergangenheit.

    Schlimm war, dass ich während des Lernstresses für das Abitur eine Mappe erstellen sollte, in der vier bis sechs Arbeitsproben enthalten sein mussten. Zudem musste vorher noch eine Aufnahmeprüfung an der Fachhochschule Darmstadt/Campus Dieburg bestanden werden. Trotz vieler Aufregungen lief das Lernen für das Abitur sehr erfolgreich und ich bestand alle Abiturprüfungen mit guten Noten.

    Schließlich wurde ich auch in Dieburg angenommen und konnte mein Studium beginnen. Obwohl mir vorher zugesichert wurde, dass ich mehr Zeit für das Studium in Anspruch nehmen könne, beendete ich es in der Regelstudienzeit von 6 Semestern. Anders als in der Mittelstufe und der Oberstufe fand ich nie wirklich Anschluss an meine Kommilitonen. Dies lag zum einen an meiner sehr zurückhaltenden Art, aber andererseits auch an der geographischen Entfernung Dieburgs von den Wohnorten und der Unsicherheit ihrerseits mir gegenüber. Nur mit 1 bis 2 Mitstudierenden hatte ich in der Uni regelmäßig Kontakt. Besucht wurde ich in 3 Jahren nur 2-mal.

    Auch mit der Uni gab es teilweise große Schwierigkeiten. Dies drückte sich vor allem in einem sehr chaotischen Zeitmanagement aus, was das Studium erheblich erschwerte. Wenn zum Beispiel ein Seminar ausfiel oder um zwei Stunden verlegt wurde, hatte ich Probleme, den Fahrdienst um zu bestellen und wartete oft stundenlang, um wieder nach Hause zu kommen. Auch die Arbeit an den technischen Geräten konnte ich nur ungenügend verrichten, so dass ich mich auf andere Aufgaben wie das Schreiben von Skripten konzentrierte. Trotz dieser Schwierigkeiten bekam ich immer gute Noten und habe mir die Dinge heraus gesucht, die für mich machbar und von Nutzen waren. Die Fahrt zur FH in Dieburg war leider sehr unangenehm, da der Weg hin und zurück mit dem Fahrdienst jeden Tag ca. 1,5 Std. dauerte. Für meine Bachelor-Arbeit wählte ich ein rein theoretisches Thema und nicht wie die meisten anderen Studenten ein praktisches Projekt. Ich entschied mich, die Qualität von Songtexten in der populären Musik zu untersuchen. Diese Arbeit diktierte ich komplett meinen Helfern, die die Bachelorarbeit nach meinen Anweisungen tippten und formatierten. Natürlich hilft man sich gegenseitig, wovon ich sehr stark profitieren konnte. Ich widmete meiner Bachelor Arbeit drei Monate und musste wegen Krankheit um zwei Wochen verlängern. In dieser Zeit musste ich zum Glück nur noch eine Blockveranstaltung besuchen. Ca. alle 2-3 Wochen hatte ich eine Besprechung mit meiner Professorin, sonst schrieb ich die Arbeit allein mit einem Betreuer in meiner Wohnung. Mündlich und schriftlich bekam ich eine 1.0 für die Arbeit.

    Urlaube

    Inhaltsverzeichnis

    Ich war mit meinen Eltern als Kind sehr häufig im Urlaub. Von Europa bis Mexiko und Thailand waren ziemlich viele interessante Reiseziele dabei. In Mexiko bin ich sogar im zarten Alter von vier Jahren mit Schwimmflügeln vom 1 m Brett gesprungen. Als ich dies ein bisschen später mit meinem Vater in einem Schwimmbad in Frankfurt machen wollte, hat direkt der Bademeister rum gemeckert, in Mexiko fanden die Badegäste das großartig und klatschten Beifall. Außerdem war ich unter anderem in Italien (Toscana, Lago Maggiore, Riviera, Adria), Spanien (Küste und Granada), Frankreich (Mittelmeer, Elsass, Burgund), Dänemark, Niederlande (Amsterdam), in Deutschland (Usedom, Zingst, Berlin, Hannover, München, Hohenroda, Pfalz, Wuppertal, Höpfingen) Österreich, Schweiz, Tschechien, Kroatien, Finnland, Kanaren (Gomera, Hierro, Teneriffa) und den USA (Florida). Auch wenn ich mich an vieles natürlich nicht mehr so genau erinnern kann, ist es doch schön, etwas von der Welt gesehen zu haben. Eigentlich wollte mein Vater immer mit seinem Kind eine Weile im Ausland leben, aber da das aufgrund meiner Behinderung natürlich fast unmöglich war, entschieden sich meine Eltern, solange es noch ging, mit mir möglichst viele Reisen zu unternehmen. Aber in Thailand ging es mir, glaube ich, aufgrund der Wärme des Wassers und der Luft am besten, da ich mich viel besser bewegen konnte und somit auch glücklicher war. Dort habe ich sogar das Schnorcheln gelernt, obwohl ich ständig Angst vor den Seeigeln mit ihren farbig leuchtenden Augen und den meterlangen Stacheln hatte. Ich konnte nämlich aufgrund der Verkrümmung meiner Füße keine schützenden Flossen anziehen.

    Als Kind war es für mich sehr schön, nur mit meinen Eltern zu reisen, aber mit zunehmendem Alter wurde es mir dann aufgrund der nötigen und lästigen ständigen Nähe meiner Eltern zu langweilig. Deshalb erlaubten mir meine Eltern schon ziemlich früh, Freunde mit in den Urlaub zu nehmen, um sich auch selbst ein wenig entlasten zu können. Meistens war das Robin, aber später habe ich auch andere Freunde mitgenommen.

    Mit zwei Jahren war ich schon eine Woche allein bei meinen Großeltern, Dort war ich gemeinsam mit einem entfernt von mir verwandten Mädchen mit dem Namen Wiebke und mit meinen Cousins Ben und Paul gewesen. Später war ich mit Robin oder anderen Kindern und einer Verwandten, später einer Betreuerin im Sommer jeweils eine Woche bei meiner Oma. Dort kochten wir auf einem alten Puppenherd meiner Oma, spielten stundenlang Hockey im riesigen Garten meiner Oma oder spielten manchmal auch einfach nur Fußball auf der PlayStation. Außerdem war ich in diesen Wochen die ersten Male länger von meinen Eltern weg. Ich hatte aber nie wirklich Heimweh, was ich wohl von meinem Vater geerbt habe, der auch einige Jahre im Ausland gelebt hat. Das war für mich immer eine sehr schöne Zeit, da ich zum ersten Mal in meinem Leben im Urlaub das machen konnte, was ich wollte.

    Als wir jedoch, als ich ungefähr sechs Jahre alt war, das erste Mal die Eltern eines Freundes von mir fragten, ob er mit uns in den Urlaub fahren könne, reagierten diese ziemlich krass. Da Tim, den ich an anderer Stelle schon erwähnt habe einen geistig und körperlich behinderten Bruder hat, der auch im Rollstuhl sitzt, meinten seine Eltern, er sei auch in seiner normalen Umgebung immer mit einem Behinderten zusammen, dann müsse er nicht auch noch mit einem in Urlaub fahren. Er selbst wäre sehr gern mitgefahren.

    2004 gab es den ersten Urlaub, in dem meine Eltern sich entschieden, nicht mehr mit mir zusammen zu fahren. Das lag daran, dass ich in diesem Urlaub ständig die übrigen Tage zählte und zu bestimmten Zeiten zu Hause sein wollte, um mit meiner damaligen Freundin telefonieren zu können.

    2008 fuhr ich dann wirklich das letzte Mal gemeinsam mit meinen Eltern in den Urlaub, für die letzten zehn Tage kam noch ein Freund nach. Dieser Urlaub war wirklich schön und ich konnte aufgrund der Wärme in Kroatien wieder fast komplett selbstständig fahren. Gerade aufgrund der körperlichen Nähe, die meine Eltern und ich aufgrund der Pflegesituation hatten, war es für mich als erwachsenem Mann nicht mehr so schön, mit ihnen in den Urlaub zu fahren.

    Seitdem ich ausgezogen bin, war ich auch schon dreimal im Urlaub und für dieses Jahr plane ich den vierten Urlaub. Bisher war ich alleine in Holland, in Kroatien und in Teneriffa.

    Abbildung 15.

    Bild von zwei Männern die auf einer Luftmatratze liegen

    Mein großer Traum ist es schon lange, nach Jamaika zu fliegen, was dieses Jahr in Erfüllung gehen wird. Der 11 h lange Flug wird zwar eine starke körperliche Belastung mit sich bringen, aber das Traumziel ist es mir wert. Natürlich gibt es gerade bei Flugreisen einen riesigen organisatorischen Aufwand, der im Voraus betrieben werden muss, so dass mir sogar zeitweise die Lust an der Reise verging. Es musste eine geeignete Fluggesellschaft gefunden werden, diese musste enorm viele Sondergepäck genehmigen, man braucht außerdem eine schriftliche Bescheinigung des Lungenfacharztes, ein geeignetes Krankenhaus muss sich in der Nähe befinden, vier Betreuer müssen gefunden werden, es müssen Anträge beim Sozialamt für die Betreuerkosten gestellt werden usw. und so fort. Wo andere sich einfach ein Urlaubsziel suchen können und dann ein wenig planen müssen, folgt bei mir nach der Auswahl des Urlaubsziels ein riesiger Haufen Planungsarbeit. Aber wenn ich dann an meinem Urlaubsziel angekommen bin und mich an einem wunderschönen Strand sonne, ist das alles zum Glück wieder vergessen. Außerdem hoffe ich, dass noch einige Urlaube dazukommen werden.

    Abbildung 16.

    Bild mit sechs jungen Männern die auf einer Luftmatratze sitzen

    Summerjam

    Kurz nach dem Abi fuhr ich mit Rolf, Max und Henry zuerst nach Holland und dann auf das Summerjam in der Nähe von Köln, einem der größten Reggaefestivals Europas. Es ging schief, was nur schief gehen konnte, so dass wir zunächst aufgrund einer Vollsperrung 4-5 h nach Maastricht brauchten, wohin wir vor Besuch des Festivals einen Abstecher machen wollten. Daraufhin stellten wir fest, dass die geplante Übernachtung in einem Zelt, aufgrund der extrem schlecht werdenden Wetterlage Richtung Holland, wohl keine so gute Idee gewesen war. Wir fuhren überall in der Stadt herum, um noch eine Übernachtungsmöglichkeit zu finden. Alle Jugendherbergen waren komplett ausgebucht, wir kamen aber zum Glück noch auf die schlaue Idee, beim Campingplatz nach einem Bungalow zu fragen. So bekamen wir in letzter Minute noch eine ziemlich gute Unterkunft. Am nächsten Tag wollten wir mit dem Auto in die Stadt fahren, jedoch fuhr die Absenkungsvorrichtung des Autos nicht mehr nach oben und wir mussten mit dem ADAC zur nächsten Mercedes Werkstatt gebracht werden. Zum Glück konnte alles repariert werden und der Fahrt Richtung Köln stand nichts mehr im Weg. Dort besuchten wir dann das SummerJam.

    Trotz der Massen war der Besuch mit dem Rollstuhl überhaupt kein Problem. Das einzig negative, was noch zu erwähnen wäre, war die fehlende Möglichkeit, Strom für meine medizinischen Geräte zu bekommen, deshalb mussten wir in einer Jugendherberge übernachten, die etwas vom Festivalgelände entfernt lag.

    Persönliche Gedanken

    Inhaltsverzeichnis

    Unselbstständigkeit

    Neben den ganzen Dingen, die ich meiner Meinung nach schon "erreicht" habe, bin ich in einigen Punkten relativ unselbstständig. Zum Beispiel schicke ich schon immer meinen Betreuer, wenn es darum geht, in einem Laden oder an einem Stand etwas für mich einzukaufen. Ich würde nicht sagen, dass ich mich nicht trauen würde, aber manchmal ist es angenehmer, die Möglichkeit zu haben jemand anderem die unangenehmen Dinge zu überlassen. Wie schon erwähnt, geht es mir mit Frauen ähnlich, da ich, sobald ich die Person nicht kenne, sehr verschlossen und schüchtern bin. Bei männlichen Personen ist das komischerweise sehr viel weniger ausgeprägt. Auch spreche ich nur sehr ungern und selten Probleme an, die ich mit meinen Freunden und Helfern habe. Zwar bespreche ich meinen Gedanken mit einigen Betreuern, aber diese direkt und konkret anzusprechen, ist mir schon äußerst unangenehm. Im großen Ganzen ist diese Unselbstständigkeit aber in meiner Behinderung begründet und natürlich hatte diese auch sicher Auswirkungen auf meine Psyche bzw. mein Selbstbewusstsein. Und Schwächen hat sowieso jeder Gesunde auch irgendwo, auch wenn es zum Beispiel "nur" psychisch begründet ist.

    Zukunft

    Ängste habe ich was die Zukunft betrifft, neben der Betreuung aber noch andere.

    • Wie lange werde ich tagsüber noch ohne eine Beatmungsmaschine unterwegs sein können? Mein Bild nach außen würde dadurch natürlich nochmal enorm behinderter.

    • Werde ich noch lange genug Energie haben, in die Uni zu gehen oder mit Freunden wegzugehen?

    • Ist das Leben trotz dieser immensen Einschränkung dann noch lebenswert oder werde ich mich wie im Sommer 2005 komplett von der Außenwelt abkapseln?

    All das sind Fragen, die keiner auch nur ansatzweise im Voraus beantworten kann. Schon mein ganzes Leben quält mich die Unsicherheit des Verlaufes der Krankheit. Bis zu einem bestimmten Punkt steckte darin ja keine Lebensgefahr oder Ähnliches. Mittlerweile geht es selten, aber manchmal eben doch um den Tod. Jede Krankheit, jeder Infekt kann das Ende bedeuten. Bei vielen Betroffenen meiner Krankheit konnte ich das leider schon mitverfolgen. Die Eltern eines Bekannten kamen eine Woche vor seinem Lebensende, um sich von uns eine Maschine zum Abhusten des Schleims auszuleihen, da der junge Mann einen starken Infekt auf den Atemwegen hatte. Ein paar Tage später war er schon tot und seine Eltern erhielten das Diplomzeugnis seiner Uni ein paar Wochen später, da er gerade seinen Abschluss gemacht hatte.

    Davon lasse ich mich aber nicht unterkriegen, was man an meinen Lebenslauf ganz klar erkennen kann. Das liegt einfach nicht in unserer Familie, weder mein Vater noch meine Mutter haben jemals schnell aufgegeben und für ihre Unterstützung bin ich für immer dankbar, auch wenn es mir oft schwer fällt, dies angemessen zu zeigen. Ohne meine Eltern wäre mein Leben, glaube ich, ziemlich furchtbar geworden. Das Umfeld, das ich genießen konnte, wünsche ich jedem, egal ob dieser solch eine Behinderung hat oder ganz "normal" ist.

    Dass ich irgendwann eine Frau finde, mit der ich Kinder bekommen werde, ist so gut wie ausgeschlossen. Denn auch wenn ich die Richtige finden sollte, hieße das ja dass sie sich fast ausschließlich um das Kind kümmern müsste. Auch meine verkürzte Lebenserwartung schreckt von der Planung einer Familie, die auch bei den meisten meiner Freunde noch auf sich warten lässt, ab. Mir geht es damit zwar nicht wirklich gut, aber trotzdem findet man sich mit manchen Dingen gezwungenermaßen ab.

    Auch mit dem alleine für mich sorgen, vor allem finanziell, ist das so eine Sache. Denn auch wenn ich einen Job finde, bei dem ich halbtags arbeite, da mir eine komplette Arbeitswoche körperlich zu viel ist, müsste ich einen großen Teil dem Sozialamt überlassen. Natürlich bin ich auch erst 24 und habe erst vor kurzem mein zweites Studium begonnen, das sicherlich auch noch so seine Zeit in Anspruch nehmen wird. Aber aufgrund des immer wieder kehrenden Gedankens an eine verkürzte Lebenserwartung verspüre ich einen größeren Zeitdruck. Die Frustration über die Nichtanwendbarkeit meines ersten Studiums in den meisten Bereichen für mich im Berufsleben ist noch nicht ganz verdaut, auch wenn ich das Studium mit Erfolg bestanden habe. Ich merke einfach, dass ich wie jeder in meinem Alter ab und zu Momente habe, in denen es mir so vorkommt, als hätte ich in meinem Leben noch nichts geleistet.

    Mein eigentlicher Plan nach Abschluss des Studiums war es, ein Volontariat in einer Redaktion des hessischen Rundfunks zu machen. Leider wurden kurz vor meiner Bewerbung die Bewerbungsbedingungen geändert, so dass nun ein mindestens vierwöchiges Praktikum als Voraussetzung gilt. Mein Praktikum im technischen Bereich wird hier leider nicht anerkannt, da es sich nicht um redaktionelle Arbeit handelt. Dazu hatte ich ein Jahr nach meinem letzten Praktikum keine Lust. Hinzu kam noch die Unlust, sofort voll zu arbeiten, da ich auch erst 24 bin. So habe ich die irgendwann fällige Berufswahl ein wenig nach hinten verschieben können.

    Oft stelle ich mir auch die Frage nach dem Sinn des Studierens und damit verbunden der Sinnhaftigkeit, einem Job nachzugehen. Ich komme meist zu dem Entschluss, dass dieser Weg besser ist als nichts zu tun. Ab und zu würde ich mich auch über mehr Freiheiten freuen. Zum Beispiel ein Jahr im Ausland zu verbringen oder auch nur ein paar Monate, eine Vorstellung die eben nicht zu realisieren ist. Dies ist natürlich nicht die einzige Sache, die ich aufgrund meiner Behinderung verpasse, aber es ist ein gutes Beispiel für meine eingeschränkten Möglichkeiten.

    Jetzt freue ich mich im nächsten Monat erstmal auf meine langersehnte Jamaika Reise, bei der ich bestimmt sehr viele lustige Geschichten erleben werden. Man kann nur hoffen, dass ich gesund bleibe und wir die Zeit in der Sonne genießen können.

    Im Anschluss geht es im Oktober 2012 weiter mit dem Studium an der Uni Frankfurt, das Fach soll nun Theater-, Film-und Medienwissenschaften werden und bleibt es hoffentlich auch. Mein liebster Berufswunsch wäre der eines Musikkritikers, Filmkritikers oder Musikredakteurs. Wie genau ich dort hin komme mit meinen neuen Studium , wann dies sein wird bzw. ob es überhaupt aufgrund meiner eingeschränkten Lebenserwartung möglich wird und ob es mir dann überhaupt Spaß macht, steht alles in den Sternen. Aber eben genau diese Ungewissheit bezüglich meiner Lebenserwartung und des gesundheitlichen Verfalls macht das Leben sehr unsicher. Ich würde es gerne genauer wissen und andererseits genieße ich vielleicht das Leben an sich umso mehr, weil die Möglichkeiten für mich oft nur für sehr kurze Zeit bestehen. Dieser Kampf mit der Ungewissheit begleitet nun schon mein gesamtes Leben und ohne ihn wäre ich sicherlich nicht der, der ich heute bin, aber manchmal würde ich einfach gerne das Leben als "normaler" Mensch noch einmal wieder erleben, um genau diese Fragen nach unerfüllten Träumen und Möglichkeiten genauer ergründen zu können. Dies ist leider nicht möglich und ich beschränke mich darauf, mein Leben so zu akzeptieren und zu genießen, wie es ist, egal wie viel Lebenszeit mir eventuell noch übrig bleibt.

    Damit die Leser wenigstens ein kleinen Eindruck davon bekommen können, inwiefern mein Traumreiseziel Jamaika, meine hohen Erwartungen erfüllen konnte und ob es sich lohnt trotz Rollstuhl und Behinderung solche Strapazen auf sich zu nehmen, werde ich nochmal kurz meine Reiseerfahrungen beschreiben. Landschaftlich ist Jamaika natürlich wunderschön. Aber vor allem der Strand und das ziemlich badewannenwarme Wasser waren für mich eine erneute Erfahrung, die mir doch gefehlt hat. Negativ an der Reise waren jedoch die Abzockermentalität der meisten Jamaikaner, am meisten von unserem Bungalow-Vermieter und die ab 14 Uhr fehlende Sonne, was natürlich durch die Regenzeit bedingt war. Aufgrund der hohen Flugstrapazen und der damit verbundenen Körperschwächung bin ich mir ziemlich sicher, dass ich so eine lange Reise in meinem Leben nicht mehr machen kann und werde. Alles in Allem war die Reise für mich jedoch eine wichtige Erfahrung, da ich jetzt zumindest behaupten kann, in Jamaika gewesen zu sein, was auch vielen Menschen ohne eine Behinderung vergönnt bleiben wird.

    Abbildung 17.

    Bild mit zwei Männern die im Wasser stehen und einen dritten liegenden
                     Mann über Wasser halten

    Nun, fast ein Jahr nach der Beendigung des ersten Manuskript, habe ich mich entschieden noch einmal meine Gedanken niederzuschreiben. Die nächste Entwicklung, die sich meine Behinderung ausgedacht hat betrifft nun die Fähigkeit der Mundöffnung und bringt eine Verschiebung des Kiefers mit sich, was sich aber schon seit längerem angebahnt hatte. Beim heutigen Zahnarztbesuch hat sich dies mal wieder eindeutig gezeigt, da es kaum noch möglich ist die ganzen Zahninstrumente bei der geringen Mundöffnung unterzubringen, so dass ich auch noch vernünftig durch den Mund atmen kann. Mit jedem Schritt der weiter die Fähigkeit meiner Muskeln schwächt, steigt auch die Angst vor der Zukunft und den weiteren Verschlechterungen, die noch folgen werden. Wie oben bereits beschrieben, stellen sich mir immer wieder dieselben Fragen und niemand wird mir je eine hilfreiche Antwort darauf geben können. Das einzige was mir selbst momentan dagegen hilft, ist es mich total zuzurauchen. Natürlich ist mir bewusst, dass dies keine Dauerlösung sein kann, aber da ich gerade Semesterferien habe versuche ich einfach alles ein wenig zu verdrängen.

    An diesem Wochenende fahre ich mal wieder in den Urlaub, diesmal geht es nach Marseille.

    Abbildung 18.

    Bild von drei rauchenden Männern

    Nach der letztjährigen Aufregung mit ewig langem Flug etc., fahre ich diesmal relativ entspannt mit dem Zug. Da auch in diesem Fall, jeder Urlaub der letzte sein kann, versuche ich ihn möglichst auch zu genießen. Und danach geht es mit einem weiteren Semester Theater-,Film- und Medienwissenschaften los. Endlich habe ich einen Studiengang gefunden, der mir größtenteils Spaß macht und mich auch außerhalb des Bildungsweges mit Sinn erfüllt. Diese Tatsache kann mich hoffentlich von den negativen Gedanken, die in meinem Kopf herumschwirren, ablenken.

    Zusatzinformationen für alle, die das Buch lesen

    Kampf mit Behörden, Krankenkasse etc.

    Ohne das ständige Engagement meiner Mutter hätten viele der Anschaffungen, die für mich nötig waren, nicht den Weg durch die Kranken- oder Pflegekasse gefunden. Unzählige Anrufe, schriftliche Widersprüche usw. waren von Nöten, um sich gegen die teilweise extrem unfähigen Mitarbeiter durchzusetzen und die richtigen Hilfsmittel zu bekommen. Seien es der Paragraph im Sozialgesetzbuch, der mir eine tägliche Hausaufgabenassistenz finanzierte, den vorher wahrscheinlich noch nie jemand entdeckt hatte oder die emotionalen Telefonate meiner Mutter um die Sachbearbeiter klein zu kriegen. Vor allem für Eltern mit Migrationshintergrund stelle ich es mir teilweise unmöglich vor, in dem ganzen Gesetzes- und Gesundheitssystem den Durchblick zu behalten, um dem Kind somit die nötige Förderung zu ermöglichen. Hier liegt die Verantwortung dann bei den LehrerInnen und AssistentInnen, sich mit den Eltern gemeinsam zu überlegen, wie diese Probleme am besten zu lösen sind. Auch wenn ich mit meiner Mutter oft in Auseinandersetzungen gerate, weiß ich doch immer zu schätzen, wie sie mir alle Möglichkeiten offen gehalten hat, möglichst lange die übriggebliebenen Fähigkeiten zu bewahren. Diese Unterstützung bewundere ich immer wieder. Inzwischen bin ich selbst auch sehr viel besser in solchen Verhandlungen geworden, jedoch gibt es immer wieder Punkte, bei denen ich auf die Hilfe meiner Eltern angewiesen bin. Ich bin auch stets glücklich, bei Rückfragen jemanden zu haben, der Erfahrungen in diesem Gebiet hat.

    Hilfsmittel und Kraftverlust

    Behinderten Buggy

    Bereits in den Anfangszeiten des Kindergartens bekam ich einen Buggy, einen etwas größeren Kinderwagen für behinderte Kinder, da ich lange Strecken immer nur sehr schwer laufen konnte. Diesen benutzte ich 1994 und 1995 bei meinen ersten beiden Reisen nach Thailand.

    Erster Schieberollstuhl

    Schon im Alter von 4 Jahren bekam ich meinen ersten Schieberollstuhl, da der Buggy inzwischen zu klein geworden war und nur noch für weite Auslandsreisen benutzt wurde. Meine Eltern hatten sich beraten lassen und waren zu der Überzeugung gekommen, dass es hilfreich für uns alle sei, sich schon vor der Notwendigkeit einer Rollstuhlnutzung an dieses Fahrzeug zu gewöhnen. Obwohl ich ihn zu Anfang kaum benutzen musste, war er bei längeren Strecken doch sehr hilfreich. Er war auf meinen Wunsch hin türkisfarben. Zu dieser Zeit konnte ich den Rollstuhl noch mit der Kraft meiner Armen und Hände bewegen. Nach und nach steigerte sich mein Angewiesensein auf dieses Hilfsmittel, da ich nur noch sehr angestrengt alleine laufen konnte. Das war im Alter von ungefähr 8-9 Jahren.

    Orthopädische Schuhe

    Durch den Verlust der Muskelkraft und der damit verbundenen Verkürzung der Sehnen in meinen Beinen und Füßen, veränderte sich meine Gangart, sodass ich spezielle Schuhe benötigte. In diesen hatte ich besseren Halt und der Gang wurde ein wenig besser.

    Haltestange für das Fahrrad

    Es war mir nur in einer sehr kurzen Zeitspanne bis ca. 5 Jahre möglich, selbst Fahrrad zu fahren. Hierfür benötigte ich jedoch Stützräder und lernte es nie ohne. Für längere Fahrradtouren schafften wir eine Deichsel an, mit der mein Schieberollstuhl an das Fahrrad meines Vaters angehängt werden konnte. Trotz ein paar kleinerer Unfälle, die darauf zurückzuführen waren, dass die Konstruktion noch ein Prototyp war, sind mein Vater und ich mit Freunden auf Fahrradtouren, von der holsteinischen Schweiz bis zum Bodensee unterwegs gewesen. Dabei hatte ich immer sehr viel Spaß.

    Stehständer Schule

    Kurz vor der Rückenoperation bekam ich auf Grund des Verlustes meiner Geh- und Stehfähigkeit einen Stehständer, mit dem ich mit Hilfe von Fixierungen weiterhin stehen konnte. Einmal fiel ich sogar aus dem Ständer heraus, landete aber zum Glück direkt in meinem Rollstuhl. Nach der Operation hatte ich immer sehr starke Schmerzen beim Stehen, sodass ich an den Tagen, an denen ich Krankengymnastik hatte, manchmal richtig Angst hatte, in die Schule zu gehen.

    Verstellbares Pflegebett mit Stehfunktion Nach meiner Rückenoperation im Herbst 1998 bekam ich mein erstes verstellbares Pflegebett. Für die Unterstützung der Durchblutung sollte ich sowieso mindestens zweimal die Woche stehen und so bekam ich ein Bett mit Stehfunktion. Da ich aber aufgrund der Anschaffung des neuen Bettes mein Hochbett aufgeben musste war ich damals sehr traurig.

    Laptop Schule mit Spracherkennung und Bildschirmtastatur

    Bereits in der 2. Klasse erhielt ich meinen ersten Laptop, was zu dieser Zeit schon etwas Außergewöhnliches war. Damit war es mir möglich, trotz meiner immer schwächer werdenden Schreibfähigkeit weiterhin selbstständig zu schreiben. Weil die Spracherkennung von Computern zu dieser Zeit noch nicht wirklich ausgereift war, hatte ich damit sehr zu kämpfen. Ich schrieb zwar bei meinem Krankenhausbesuch in der 4. Klasse ein Tagebuch mit Hilfe dieses Programms, jedoch gab ich es im Laufe der Zeit auf, dieses in der Schule zu nutzen. Zum einen lag das an meiner Ungeduld und zum Anderen am Lautstärkepegel, der im Klassenraum herrschte. Die Lautstärke führte dazu, dass das Spracherkennungsprogramm sehr häufig falsche Wörter erkannte und aufschrieb. Also beschränkte ich mich anfangs auf meine noch vorhandene Schreibfähigkeit und nutzte später eine Bildschirmtastatur, bei der man die Buchstaben mit Hilfe der Maus einzeln anklickt. Bei längeren Texten war ich ab der 7. oder 8. Klasse auf die Hilfe meines Zivis angewiesen, dem ich nun meine Texte diktierte.

    Stehbrett Schule und KG

    Als ich infolge meiner Rückenoperation ca. 1999 in Reha ging, bekam ich dort statt meines Stehständers ein Stehbrett mit dem ich langsam in die Standposition gebracht werden konnte. Dadurch reduzierten sich die Schmerzen bei diesem Vorgang erheblich. Zunächst war dieser nach der Reha in der Krankengymnastik in der Schule untergestellt, heute steht das Gerät in der KG-Praxis, die ich zweimal die Woche besuche.

    Erster e-Fix Rollstuhl

    Nach dem ich nun überhaupt nicht mehr ohne Hilfe laufen konnte und auch das Selbstfahren eines Schieberollstuhls zu schwer geworden war, bekam ich im Alter von ungefähr neun Jahren meinen ersten elektrischen Rollstuhl, der mir viele Freiheiten zurückgab, die ich zuvor eingebüßt hatte. Durch diese Anschaffung konnte ich mich alleine wieder draußen bewegen, bin sogar ab und zu vom Hort und der Schule selbstständig nach Hause gefahren und war allgemein viel freier in meinen Entscheidungen. Leider gingen die Motoren des ersten Modells am Anfang fast wöchentlich kaputt, dies trieb mich jedes Mal zu einem Weinkrampf, da ich mich laut meiner Eltern wie amputiert fühlte. Einige andere Nachteile brachte der Rollstuhl auch mit sich, da fast bei keinem meiner Freunde zuhause ein behindertengerechter Eingang vorhanden war und ich somit oft in die Wohnung getragen werden musste.

    Rollstuhltische

    Anders als bei manchen Rollstuhlfahrern war es mir äußerst wichtig, dass kein Tisch dauerhaft an meinem Rollstuhl befestigt ist. Also hatte ich bei meinen beiden Rollstühlen immer als Zubehör einen Tisch, der auf den Rollstuhl gesteckt werden konnte. Somit konnte ich selbständig essen, trinken und alles Mögliche abstellen. Meiner Mutter war die Benutzung der Tische zur Erhaltung meiner motorischen Selbstständigkeit immer sehr viel wichtiger als mir, sodass wir deshalb oft in Konflikte gerieten.

    ScalaMobil

    Da, wie eben erwähnt, die Wohnungen bzw. Häuser meiner zahlreichen Freunde nicht immer ebenerdig waren, benötigten wir eine Scala-Mobil mit dem man einen Rollstuhl leichter Treppen nach oben befördern kann. Heute übernehmen diese Funktion meine Helfer, die zu zweit oder zu dritt den Rollstuhl nach oben ziehen oder tragen.

    Zeh-Schienen

    Auch bedingt durch meine veränderte Gangart verkrümmten sich meine beiden großen Fußzehen sehr stark, obwohl diese zweimal operiert wurden. Deshalb wurde mir von den Ärzten empfohlen, eine speziell angepasste Zeh-Schiene zu tragen, die der Verkrümmung entgegenwirken sollte. In Wirklichkeit benutzte ich sie kaum. Inzwischen gibt es sie schon lange nicht mehr.

    Erster Invacare Rollstuhl 1998

    Auf Grund der Tatsache, dass mein e-fix Rollstuhl nur 6 km/h schnell fuhr und auch nicht so gemütlich war, erhielt ich nach meiner Rückenoperation einen größeren Elektrorollstuhl mit einem Recaro-Sitz. Dieser fuhr nun etwas schneller, also ca. 11 km/h. Eigentlich fuhr er nur 6 km/h, wurde aber wegen des Rollstuhlhockeys hochgetunt. Einige Nachteile ergaben sich zum einen aus dem höheren Gewicht, sprich er war nicht mehr so leicht zu tragen, und zum anderen aus der Größe, welche dazu führte, dass es noch schwieriger war, Freunde zu Hause zu besuchen. Für solche Fälle behielt ich aber meinen kleineren e-fix Rollstuhl.

    Freisprecheinrichtung für Handy am Rollstuhl, Kopfschalter

    Schon relativ früh, d.h. ca. mit zwölf oder 13 Jahren, hatte ich in mir einen großen Drang nach Selbstständigkeit. Somit fuhr ich ab und zu vom Hort, der Schule oder von Freunden alleine mit dem Rollstuhl nach Hause. Da es natürlich immer passieren konnte, dass ich Hilfe benötigte, ließen wir am Rollstuhl eine Freisprechanlage einbauen und ich bekam als einer der ersten in der Klasse ein Handy. Bereits erwähnt habe ich diese Freisprecheinrichtung im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten, die bis zum Sozialgericht führten. Leider konnte ich aber keine Taste bedienen und wir suchten lange nach einer Lösung für mich. Schlussendlich wurde ein Kopfschalter an der Rückenlehne meines Rollstuhls befestigt und ich aktivierte die Freisprecheinrichtung mit der Betätigung dieses Kopfschalters.

    Dieser war nötig, denn zu dieser Zeit konnte ich noch alleine von der Schule bzw. vom Hort oder meinen Freunden mit dem Rollstuhl zu mir nach Hause fahren. Falls jedoch eine Panne mit dem Rollstuhl passieren sollte, hätte ich die Möglichkeit gehabt, meine Eltern anzurufen. Zudem führte meine langsame Ausgliederung aus dem Hort dazu, dass in den Zeiten, in denen ich allein auf meine Betreuer angewiesen war, nichts schiefgehen sollte, indem ich zur Not Bescheid geben konnte. Die Krankenkasse wollte die Kosten für diese Sprachsteuerung um keinen Preis übernehmen. Die Begründung war immer, dass Telefonieren kein Grundbedürfnis sei und die Kasse dafür nicht aufkommen könne. Dabei ging es weder um die Anschaffung eines Handys noch um die Übernahme der Verbindungskosten. Dazu sind wir dann auch vor das Sozialgericht gezogen, wo der Richter uns letztendlich nach mehreren Instanzen Recht zusprach. Zu diesem Zeitpunkt überlegten wir auch eine Wohnungs- bzw. Zimmersteuerung mit Spracherkennung einzubauen. Auch in diesem Punkt lehnte die Krankenkasse ab.

    Lifter

    Als ich gar nicht mehr von alleine aufstehen konnte, mussten meine Eltern mich von nun an heben. Da sie beide deshalb zeitweise Probleme mit ihrem Rücken bekamen, schafften wir einen Lifter an. Aufgrund der Tatsache, dass meine Eltern sich angewöhnten, Rücken schonender zu heben, stand dieser aber jahrelang nur in unserem Bad herum, so dass wir ihn dem Orthopädiefachgeschäft zurückgaben.

    Erster Duschrollstuhl

    Da ich ab 1997 nicht mehr von alleine stehen konnte, musste eine Lösung zum Duschen gefunden werden. Dazu organisierten wir einen auseinandernehmbaren Duschrollstuhl, den man bequem in unserem behindertengerecht umgebauten Bad herumrollen und handlich mit in den Urlaub nehmen konnte. Außerdem wurde ich mit einem Klettband über der Brust befestigt. 2005 oder 2006 erlitt ich wegen dem Duschrollstuhl eine Gehirnerschütterung. Dies passierte, als mein Vater kurz aus dem Bad ging, um ein Handtuch in mein Bett zu legen. Plötzlich löste sich das Klettband und ich stürzte kopfüber auf den Boden. Also ließen wir zur Absicherung noch eine Schnalle an diesem Brustgurt befestigen. Trotzdem hatte ich ab diesem Zeitpunkt immer sehr viel Angst beim Transfer in den Duschrollstuhl und mit abnehmender Körperstabilität wurde dies noch viel schlimmer. Jetzt habe ich einen neuen bekommen, der nach hinten kippbar ist, damit ich nicht nach vorne herausfallen kann. Den alten nehme ich nur noch mit in den Urlaub, da er auseinandernehmbar und somit auch viel leichter zu verstauen ist.

    Coughassist

    Da ich im Laufe oder nach dem Besuch der Expo in Hannover im Jahr 2000 das erste Mal eine Erkältung nicht von selbst los werden konnte, suchten wir einen Weg, dies beim nächsten Mal einfacher zu gestalten, um einer Lungenentzündung vorzubeugen. Also sprachen wir mit unserem damaligen Lungenspezialisten in Heidelberg. Dieser lieh uns aus dem Krankenhausbestand ein neues medizinisches Gerät aus Amerika aus, welches zu diesem Zeitpunkt nicht von der Kasse übernommen wurde. Mithilfe dieses Geräts wird der Hustenreiz, der aufgrund meiner Krankheit sehr viel weniger kraftvoll ist, durch das Aufpumpen der Lunge mit einer Maske verstärkt, so dass der Schleim nach oben gebracht wird, damit sich die darin enthaltenen Erreger nicht in der Lunge festsetzen. Das beugt der Gefahr einer Lungenentzündung vor. Mithilfe der mobilen Kinderkrankenpflege, die mich in einigen Bereichen unterstützt, war es uns möglich, eine Stiftung zur Finanzierung der Hustenmaschine zu gewinnen. Eigentlich gedacht für die ganze Pflegeeinrichtung wurde das Gerät aufgrund mangelnder Nachfrage bei mir untergestellt. Seitdem hat es mir bei zahlreichen Erkältungen das Leben um einige Stufen leichter gemacht und in manchen Situationen vielleicht sogar mein Leben gerettet. Leider wurde das erste Gerät in 2011 bei meinem Teneriffa Urlaub durch den Transport schwer beschädigt. Die Fluggesellschaft lehnte jede Haftung ab. Da wir einen Coughassist aber nie bei der Kasse beantragt hatten und diese das Hilfsmittel inzwischen akzeptierten, konnte ich ein neues lebenswichtiges Gerät erhalten.

    Umfeldsteuerung 2001

    Als die Kraft in meinen Armen und Händen so stark abnahm, dass ich meinen Rollstuhl mit der eingebauten Steuerung nicht mehr fahren konnte, musste eine Alternative gefunden werden. Dazu bekam ich einen so genannten Nullweg - Joystick, den man mit ziemlich geringer Muskelkraft bewegen konnte. Damit verbunden wurde dann in den folgenden Jahren eine so genannte Umfeldsteuerung an meinem Rollstuhl bzw. in der Wohnung meiner Eltern installiert, mit der es mir möglich war, alle Geräte in meinem Zimmer, die für mich wichtigsten Türen in der Wohnung und den Aufzug von meinem Rollstuhl aus selbst zu bedienen. Später wurde am kleinen Elektrorollstuhl auch diese Steuerung installiert, mit der ich allerdings nur fahren konnte. Mit meinen Eltern gab es immer kleine Konflikte darum, wie viel ich alleine machen sollte und wie viel sie übernahmen. Für mich war dieser Ersatz der motorischen Fähigkeiten nie so wichtig wie für sie. Inzwischen habe ich auch eine neue Steuerung bekommen und mir ist es nur noch in der Wohnung meiner Eltern möglich alles zu steuern. In meiner eigenen Wohnung habe ich ja eine 24 h Betreuung und die Helfer können die Funktion der Umfeldsteuerung für mich ersetzen.

    Ca. 2001 bekam ich eine komplette Umfeldsteuerung für mein Zimmer zur Bedienung von Fenstern, Türen, Computer, Fernseher, Licht etc. Nach langem Streit stimmte die Krankenkasse zu, diese zu finanzieren. Leider kann ich seit dem auch nicht mehr selber essen, was bedeutet, dass man mir das Essen stets anreichen muss.

    Handschienen

    Da meine Hände sich aufgrund meiner Arm- und Handhaltung während dem Rollstuhlfahren nach und nach sehr stark verkrümmten, riet mir eine meiner Krankengymnastinnen dringend dazu, eine Handschiene anfertigen zu lassen. Diese sollte ich von nun an nachts tragen. Da es wegen Schmerzen nicht möglich war, dass an der linken Hand alle Finger gerade in der Schiene liegen, wurde diese nochmals verändert. Inzwischen trage ich die Handschienen circa einmal in der Woche auf jeder Seite, wobei das Anziehen und Tragen relativ unangenehm sind.

    Zweiter e-Fix 2005

    Da der erste e-fix Rollstuhl nach fast zehn Jahren zu klein für mich geworden war, erhielt ich ca. 2005 einen größeren und neu angepassten kleinen Elektrorollstuhl. Aufgrund der schnell abnehmenden Kraft in meinen Händen benutzte ich diesen aber meist ohne seine elektrischen Räder, in denen die Motoren eingebaut waren. Meine Mutter konnte es immer sehr schwer verkraften, dass ich mich von nun an des Öfteren von meinen Freunden schieben ließ und versuchte alles, damit ich möglichst lang damit selbst fahren konnte. Auch hierbei gerieten wir oft in Konflikte.

    Zweiter Invacare Rollstuhl 2006

    Weil nach ca. acht Jahren der große Elektrorollstuhl total heruntergekommen war, musste ein neuer angeschafft werden. Dafür wurde der Sitz speziell umgerüstet, damit ich bequemer sitzen kann. Außerdem ist er sehr viel schnittiger und der Akku hält länger. Im Zusammenhang mit dieser Neuanschaffung erfüllte mir der für die Umfeldsteuerung zuständige Ingenieur einen lang ersehnten Kindheitstraum. Schon lange hatte ich davon geträumt, eine Musikanlage an meinem Rollstuhl anzubringen, da ich dies bei einigen älteren Behinderten gesehen hatte. Ab diesem Zeitpunkt beschallte ich täglich in der Pause den Pausenhof und das Schulgebäude. Inzwischen gilt mein Rollstuhl an warmen Sonnentagen als Geheimtipp für eine Quelle guter Musik und alle meine Freunde schließen ab und zu Ihren MP3-Player daran an. Ansonsten musste dieser Rollstuhl sehr viel weniger Abenteuer und Gewicht aushalten und wird auch nicht mehr für so weite Strecken wie in der frühen Jugend genutzt.

    Auflage zum Essen

    Als die Kraft meiner Hände und Arme nachließ, sodass ich nicht mehr komplett mit der Hand zum Mund kam, musste dafür eine Lösung gefunden werden. Dazu benutzt ich einen Schaumstoffblock, der mit Kunstleder bezogen war. Darauf stellten wir nun immer den Teller und ich konnte noch lange Zeit selbstständig essen. In den Wochen, als ich sturmfrei hatte, benutzte ich diese Auflage auch manchmal, um selbst rauchen zu können.

    Lesegerät

    Weil es mir irgendwann nicht mehr möglich war, Bücher selbständig umzublättern, suchten wir schon lange ein geeignetes Lesegerät, das diese Aufgabe für mich übernimmt. Irgendwann fanden wir eine gut geeignetes, die allerdings extra aus Japan importiert werden musste. Aufgrund verschiedener Bücherformate war allerdings ständig eine Neujustierung der Maschine nötig, sodass ich sie nur sehr kurz und sehr selten in Benutzung hatte. Mit meiner 24-h Betreuung können diese Aufgaben meine Betreuer auch gut übernehmen.

    Beatmungsmaschine + Akku

    Kurz vor dem Sommer 2005 war ich das erste Mal im Schlaflabor und es wurde festgestellt, dass ich ab dem Herbst nachts beatmet werden sollte, was an einem bestimmten Punkt meiner Krankheit sowieso klar war. Als ich dann aber auf der Klassenfahrt am Lago Maggiore meinen Lungenkollaps hatte, war erstmal überhaupt nicht klar, ob ich jemals wieder ohne Beatmung leben kann. Wie in diesem Kapitel beschrieben, ging es mir aber nach und nach besser und inzwischen werde ich jede Nacht beatmet und benutze die Maschine ab und zu auch mal tagsüber. Wenn ich krank bin, nimmt die Benutzung allerdings enorm zu. Deshalb habe ich auch ständig eine Ersatzmaschine da. Um die Laufzeit dieser Maschinen für eine Flugreise zu verlängern, erhielt ich zusätzlich einen externen Zusatz-Akku.

    Ernährungspumpe 1 und 2

    Auch im Laufe der Geschehnisse auf der Klassenfahrt in Italien bekam ich eine Magensonde gelegt, über die ich mit einer Ernährungspumpe künstliche Nahrung in den Magen gepumpt bekomme. Zunächst erhielt ich das Zubehör von der Firma 'Fresenius' , aber da ich mit dem Service nicht zufrieden war, wechselte ich zu 'Pfrimmer' und erhielt somit eine zweite Ernährungspumpe.

    Handheizung

    Schon immer hatte ich beim Rollstuhlfahren das Problem, dass meine Hände zu kalt zum Steuern wurden. Wir probierten alles von Knickhandwärmern bis Jägerzubehör aus. Schließlich fanden wir über unser Orthopädieunternehmen eine Handheizung, die den Strom direkt vom Rollstuhl ziehen kann. Als ich noch viel selbstständig mit der Hand fahren konnte, war dieses Hilfsmittel in einigen Fällen äußerst hilfreich.

    Hülle Handheizung Damit die warme Luft der Handheizung nicht an meiner Hand vorbeigeblasen wurde, ließen wir eine Hülle konstruieren, in der die Luft sich staut und somit die Wärme an den Händen hält.

    Umgebaute rechte Maustaste für Trackball

    Die Bedienung einer normalen Maus war mir schon recht früh nicht mehr möglich, so dass meine Eltern mir einen Trackball kauften. Da aber die beiden Maustasten zu weit voneinander entfernt waren und ich außerdem die rechts gelegene Maustaste als Haupttaste benutzte, wurde die Links gelegene Taste auf die andere Seite verlegt. Dies übernahm der Ingenieur, der für meine Umfeldsteuerung zuständig war.

    Getränkehalter + Strohhalme

    Da ich, als ich no0ch zu Hause wohnte viele Stunden alleine am Computer verbrachte musste eine Lösung für das Trinken gefunden werden. wir besorgten einen mobilen Getränkehalter, dessen Größe man verstellen konnte. Somit konnten ziemlich alle Getränkebehälter darin abgestellt werden und ich musste dadurch auch viel seltener meine Eltern rufen. Inzwischen benutze ich nur noch Strohhalme, die Betreue reichen mir natürlich die Getränke an.

    Zweites Pflegebett für die eigene Wohnung

    Mein altes verstellbares Pflegebett war natürlich schon in die Jahre gekommen und da diese Betten früher noch anders finanziert wurden, mussten wir das alte Exemplar nicht an die Kasse zurückgeben. Somit konnte ich ohne Probleme ein neues erhalten und meine Eltern mussten als Gästebett kein neues kaufen. Die einzigen Unterschiede sind die, dass die Stehfunktion fehlt und dass das Bett um 10 cm schmaler ist. Ein riesiger Vorteil beim neuen Bett ist das hoch fahrbare Seitengitter. Dieses ermöglicht es mir, ohne Hilfe eines Betreuers aufrecht im Bett sitzen zu können. Zum Leidwesen meiner Mutter verbringe ich, seitdem ich alleine wohne, sehr viel mehr Zeit im Bett, da dieses wegen seiner Tempurmatratze sehr entspannend für meinen Rücken und meinen Po ist. Dies hängt hauptsächlich damit zusammen, dass ich zum Rauchen nicht wie zuhause auf dem Balkon gehen muss. Außerdem steht das Bett in perfekter Sichtweite zu Computer und Fernseher. Bei gutem Wetter gehe ich aber trotzdem noch häufig nach draußen.

    2te Umfeldsteuerung + leichter bedienbarer Joystick

    Da die Kraft in meinen Händen nach und nach immer stärker abnahm, schafften wir für mich von derselben Firma, die auch meine erste Umfeldsteuerung entwickelt hatte, die neuere zweite Version an. Der Grund dafür war, dass der Joystick bei dieser Steuerung noch einmal viel leichter zu bewegen war, diese Neuanschaffung gab mir anfangs viele Freiheiten zurück. Leider nahm die Kraft immer schneller ab und deshalb konnte ich auch nicht mehr lange mit der Hand fahren (so zwei Jahre waren das aber schon). Somit versuchte ich es aber auch immer weniger und ließ mich für ca. anderthalb Jahre (2010-2011) nur noch von meinen Betreuern fahren. Dies hing aber auch mit der zunehmenden Frustration über die Bewegungsunfähigkeit zusammen.

    Zweiter Duschrollstuhl

    Wie zuvor erwähnt war es immer sehr schwierig, mich in den alten Duschrollstuhl zu setzen, da ich sehr viel Angst hatte. Der zweite Grund für die Anschaffung eines neuen Duschrollstuhl war, dass ich mit dem alten nicht auf die Toilette gehen konnte. Da der Arbeitgeber meiner Betreuer darauf bestand, dass ich nicht mehr aufs Klo gehoben werde und von nun eine Lifter benutzt werden musste, war dies ein willkommener Grund einen neuen Duschrollstuhl anzuschaffen. Der große Vorteil beim neuen Duschrollstuhl ist, dass er sich nach hinten kippen lässt und der Transfer somit für beide Parteien sehr viel komfortabler ist. Außerdem muss ich keine Angst haben, dass der Gurt aufgeht und ich wieder auf den Boden falle.

    Zweiter Lifter

    Wie eben beschrieben besteht der Arbeitgeber meiner Betreuer auf die Benutzung eines Lifter, der somit neu angeschafft werden musste, da unser alter lange nicht mehr funktionstüchtig war. Dieser steht nun in meinem für die Betreuer angemieteten zweiten Zimmer. Wenn ich bei Freunden unterwegs bin oder wir in den Urlaub fahren, wird er nicht benutzt.

    Spezielles Liftertuch

    Damit ich den Lifter überhaupt angemessen benutzen konnte, musste ein spezielles Liftertuch gesucht werden, welches auch meinen Kopf stabilisiert. Dies war eine ziemlich langwierige Prozedur, doch letztendlich konnte das geeignete gefunden werden.

    2ter Schieberollstuhl

    Aufgrund meiner nachlassenden Fahrfähigkeit mit der Hand fuhr ich eine Zeit lang überhaupt nicht mehr mit den Elektrorollstühlen und ließ mich mit dem e-Fix auch schieben. Da dieser aber inzwischen zu sehr heruntergekommen war und sich nicht gerade schieben ließ, beantragten wir bei der Kasse einen Schieberollstuhl, der auch keine umrüstbaren Motoren mehr in den Rädern hatten. Gerade auch um den Rollstuhl Treppen hochzuziehen, um z.B. zu Freunden oder in Clubs zu kommen, ist der leichte Schieberollstuhl eine gute Alternative.

    Kinnsteuerung, Bügel, Gurthalterung

    Weil das Herumgefahrenwerden von anderen für mich auf Dauer keinen annehmbaren Zustand darstellte, überlegte ich mir eine neue Lösung. Beim Rollstuhlhockey hatte ich vor Jahren eine Steuerung gesehen, die komplett mit dem Kinn bedient werden kann. Ich dachte mir, das könne man mal ausprobieren. Anfangs wurde die Steuerung mit einem Bügel befestigt, den ich mir auf die Schulter legen musste. Da dieser aber leider ständig verrutschte und es auch sehr schwierig war die richtige Position zu finden, hatte ich die Idee, die Steuerung fest an einem Teil des Rollstuhls zu befestigen. Zusammen mit dem Orthopädietechniker entschieden wir uns für eine Lösung, bei der der Steuerknüppel an der Brustplatte meines Rollstuhlgurtes befestigt wurde. Seitdem habe ich wieder sehr viel mehr Möglichkeiten mich selbstständig zu bewegen, auch wenn ich mich nicht mehr trauen würde, alleine irgendwo hin zu fahren. Dafür habe ich aber inzwischen auch meine Betreuer, die sowieso immer an meiner Seite sein müssen.

    Quelle

    Nicolas Schumann: Lies mal, was er schon alles kann. Eine Autobiographie (4. Auflage). Essen: Klartext 2014.

    bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

    Stand: 07.09.2017

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