Beratungsangebot und Beratungsbedarf österreichischer Unternehmen im Bereich "Barrierefreiheit"

Kurzzusammenfassung

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Artikel
Releaseinfo: Interdisziplinäres Institut für Nonprofit Sektor Forschung an der Wirtschaftsuniversität Wien (NPO-Institut); Studie im Auftrag von ÖZIV - Österreichischer Zivilinvalidenverband; Die Langversion der Studie gibt es auf der Website für Mitglieder zum kostenlosen Download oder kann gegen einen Unkostenbeitrag unter folgendem Link bestellt werden: http://www.npo.or.at/forschung/abgeschlossene.htm
Copyright: © NPO-Institut 2008

Ausgangssituation

Der Zugang zu Gütern und Dienstleistungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und ohne fremde Hilfe wird oftmals durch (bauliche) Hindernisse erschwert und schränkt bestimmte Personengruppen in ihrer Selbstbestimmtheit ein. Im Gegensatz zu "Barrieren im Kopf", in der Kommunikation und in sozialen Beziehungen stellen bauliche Barrieren manifeste Benachteiligungen dar, die teilweise bereits durch einfachste Maßnahmen beseitigt werden könnten.

Seit 1. Jänner 2006 gibt es in Österreich auch auf Bundesebene eine gesetzliche Grundlage, Maßnahmen zur Barrierefreiheit umzusetzen: Im "Bundesgesetz über die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen" (BGStG) verpflichtet sich der Bund, geeignete und konkret erforderliche Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen mit Behinderung den Zugang zu Leistungen und Angeboten zu ermöglichen. Die Gesetzesgrundlage bietet viel Interpretationsspielraum bei der Umsetzung von Maßnahmen zur Barrierefreiheit: Das Behindertengleichstellungsgesetz präzisiert den Begriff Barrierefreiheit nicht exakt und beinhaltet auch keinen Unterlassungs- bzw. Beseitigungsanspruch bei Diskriminierung. In Kombination mit den langen Übergangsfristen erschwert das Fehlen durchsetzbarer Gleichstellungsrechte die Erhebung eines Anspruchs auf Gleichstellung. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage wie mit dem Thema Barrierefreiheit in österreichischen Unternehmen mit hoher Filialdichte umgegangen wird.

Ziel der Studie

Ziel der vom Österreichischen Zivilinvalidenverband beauftragten und dem NPO-Institut an der Wirtschaftsuniversität durchgeführten Studie ist die Durchführung einer Marktanalyse, die einen Überblick über das bestehende Angebot von Beratung, im Hinblick auf bauliche Barrierefreiheit, unter Berücksichtigung von Qualitätskriterien gibt. Weiters wird die Verankerung des Themas "Barrierefreiheit" in großen österreichischen Unternehmen mit hoher Filialdichte und Endkonsumentenkontakt untersucht. Anhand der beiden Ziele soll der Bedarf an Beratungen in den nächsten Jahren eingeschätzt werden. Vor dem erläuterten Hintergrund wurden folgende Forschungsfragen formuliert:

  • Welche Institutionen bieten derzeit in Österreich Beratungen im Bereich Barrierefreiheit an und an welche Zielgruppen richten sich die Inhalte?

  • Welcher Stellenwert wird den Themen Gleichstellung und Barrierefreiheit in österreichischen Unternehmen eingeräumt und worin liegt er begründet?

  • Welche konkreten Maßnahmen wurden zur Gewährleistung von barrierefreiem Zugang bereits umgesetzt?

  • Von welchem Verständnis von Barrierefreiheit wurde bisher ausgegangen?

  • Von welchem Beratungsbedarf und welcher Bereitschaft Beratungen in Anspruch zu nehmen kann ausgegangen werden?

Methodisches Vorgehen

Kernelement der Datenerhebung war, abgesehen von Desk Research, die Durchführung von persönlichen Leitfadeninterviews, mit der/den im jeweiligen Unternehmen für die Umsetzung von (baulicher) Barrierefreiheit zuständigen Ansprechperson(en) und deren Auswertung mittels computergestützter Datenanalyse. Insgesamt konnten solcherart in der Studie 23 Unternehmen mit etwa 3.800 Filialen berücksichtigt werden. Im Rahmen einer webbasierten Recherche wurde das Angebot von Einrichtungen, die Beratungen rund um den Themenkomplex Barrierefreiheit und Gleichstellung anbieten, gesichtet, und nach vorab definierten Kriterien analysiert.

Marktübersicht

Abbildung 1:Skizze des Marktes für Beratungsleistungen zum Thema Barrierefreiheit

Zentrale Ergebnisse - Nachfrageseite

Das Thema "Barrierefreiheit" hat in den letzten Jahren vermehrt Eingang in unternehmensinterne Reflexionsprozesse gefunden und ist auf Grund von gesetzlichen Maßnahmen, gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozessen in Bezug auf demographische Strukturen und die verstärkte öffentliche Thematisierung von Gleichstellungs- und Gesundheitsfragen zumindest einigermaßen in Strukturen verankert. Vorherrschende Verankerung erfolgte hierbei im Bereich der Abteilungen die mit Bau- und/oder Sicherheitsfragen beschäftigt sind. Im Markting werden Maßnahmen zur Barrierefreiheit sowie die KundInnengruppe behinderte Menschen noch wenig wahrgenommen bzw. bearbeitet.

Bislang wurde in den umgesetzten Maßnahmen vorwiegend von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen als Zielgruppe für Barrierefreiheit ausgegangen. Die befragten Unternehmen sind jedoch offen für ein erweitertes Verständnis und größtenteils bestrebt, bisher erfolgte Umsetzungen zu optimieren oder auszuweiten.

Schwierigkeiten für eine flächendeckende Umsetzung stellen einerseits die zeitlich flexiblen gesetzlichen Regelungen dar, die Maßnahmen dem Ermessen der UnternehmerInnen, und damit oft wirtschaftlichen Argumentationen, überlassen, andererseits bauliche Bedingungen, sich widersprechende bauliche Vorschriften und Informationsdefizite. Letztere können durch externe Beratungseinrichtungen behoben werden. Es gibt jedenfalls konkret artikulierten Bedarf für Beratungen zur "Barrierefreiheit" und eine hohe Bereitschaft, für derartige Leistungen zu bezahlen.

Barrierefreiheit wird durchwegs als Zukunftsthema gesehen. Der Beratungsbedarf wird als sehr hoch geschätzt. Zwei Drittel der befragten Personen würden eine Beratung in Anspruch nehmen und hätten konkrete Fragen. Lediglich eine befragte Person sieht keinen Beratungsbedarf. Der gewünschte Inhalt variiert hierbei von allgemeinen Sensiblisierungstrainings bis zu konkreten Beratungsleistungen, beispielsweise in Fragen der öffentlichen Förderung. Teilweise besteht Bereitschaft für Beratungen zu zahlen, es wird aber auch als Leistung der öffentlichen Hand gesehen (konkret wurde das Bundessozialamt genannt). Zusätzlich eröffnet sich durch die Berücksichtigung des Themas bei Neu- und Umbauten für Beratungsinstitutionen ein weitläufiges Betätigungsfeld. Hierbei kann von jährlichen Bauaktivitäten in 5-6% der Filialen im untersuchten Sample ausgegangen werden.

Das Begriffsverständnis von "Barrierefreiheit" sowie auch das Verständnis bezüglich der Intention des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes (BGStG) sind in der Praxis sehr heterogen ausgeprägt. Insbesondere Verweise auf Bauverhandlungen, Begehungen des Arbeitsinspektorats, Gewerbeinspektorats sowie ähnliche, für sachlich andere Bereiche zuständige Kontrollorgane, und deren Thematisierung von Barrierefreiheit, zeigen, den Versuch der befragten Unternehmen das Thema in bestehenden Prozessen und Strukturen zu verorten und solcherart dem Thema gerecht zu werden. Es mag sein, dass bei diesen Gelegenheiten Barrierefreiheit thematisiert wird und Lösungen gefunden werden. Die Intention des BGStG ist allerdings breiter und nicht unbedingt im vorübergehen, nebenbei, bei inhaltlich anders fokussierten Begehungen, vollständig zu thematisieren. Ähnliches gilt für wiederholte Hinweise, dass MitarbeiterInnen im Einzelfall weiterhelfen würden. Mangels Alternativen erfolgt weiters eine Orientierung an unterschiedlichen ÖNORMEN, wobei das BGStG nicht auf die Einhaltung von ÖNORMEN abzielt und eine reine Fokussierung auf solche problematisch bzw. der Intention des Gesetzes widersprechend sein kann.

Die Verortung des Themas Barrierefreiheit wird auch an der Schnittstelle zu Sicherheitsthemen vorgenommen, die für die befragten Unternehmen wesentlicher sind. Hierfür gibt es meist eigene Stellen oder Abteilungen, die mit Sicherheitsfragen befasst sind und sich im Rahmen dessen auch um das Thema Barrierefreiheit kümmern (sollen).

Hinsichtlich der Finanzierung notwendiger Maßnahmen, zur Etablierung von Barrierefreiheit, bestehen im Wesentlichen zwei, in etwa gleich große, Gruppen. Erstens jene, die klar die Verantwortung (und auch die Finanzierung) bei den Unternehmen selbst sehen. Zweitens eine Gruppe, die Verantwortung (und auch Finanzierung) eher gesamtgesellschaftlich sehen und daher die Finanzierungsverantwortung, zumindest teilweise, bei der öffentlichen Hand sehen.

Zusammengefasst zeigt sich, bei den befragten Unternehmen, dass Barrierefreiheit noch keine verankerte Selbstverständlichkeit ist. Die Mehrheit der befragten Unternehmen bearbeitet das Thema im Vollzug gesetzlicher Normen und erst wenige begannen mit einer aktiven Beschäftigung.

Zentrale Ergebnisse - Angebotsseite

Das aktuelle Beratungsangebot im Bereich Barrierefreiheit ist durch Heterogenität in Bezug auf Zielgruppen und Inhalte charakterisiert. Als Trägerinstitutionen fungieren v.a. (Lobbying-)organisationen für Menschen mit Behinderung, Betroffenenorganisationen, Consultingunternehmen, (Forschungs-)Institute und Herstellerfirmen, sowie die öffentliche Hand. In Tabelle 1 wird ein Überblick über die anbietenden TrägerInnen und deren angebotenen Inhalten der jeweiligen Beratungsleistungen dargestellt.

Tabelle 1 : Überblick über AnbieterInnen und Inhalte von Beratungsleistungen

 

AnbieterInnen

             

Inhalte

(Lobbying)-organisation en für Menschen mit Behinderung

Betroffenen-organisation en

Consulting Unternehmen

(Forschungs)-institute

Architekt-Innen

Sachver-ständige

Beratungs-stellen der öffentlichen Hand

Hersteller-firmen

Allgemeine Informationen

       

 

Evaluierung /Gutachten

 

   

Informationen zu Förderungen

         

 

Rechtliche Beratung

   

 

ArbeitnehmerInnen mit Behinderung

 

       

Coaching und Beratung bei Planung und Bau

 

 

Wohnberatung

   

     

Projektmanagement/ Kostenkalkulation

   

   

Informationen über technische Hilfen/Produkte

   

 

Unterstützung bei der Anwendung von techn. Hilfen

           

Sensibilisierung

     

 

Vorträge/Schulungen

           

Peercounselling/ Erfahrungsaustausch

 

           

Adaption von Websites/ Printmedien

 

         

Zusatzinformationen zur Alltagsbewältigung

       

Bereitstellung von Forschungs-ergebnissen/ Planungshilfen

 

 

   

 

Einer groben Einteilung folgend können vier Typen von Beratungsleistungen identifiziert werden:

  1. Beratungen zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit

  2. Bau- und Wohnberatung

  3. Beratung in Form von Weiterbildung

  4. Beratung in Form einer allgemeinen Unterstützung durch Hilfsmittel zur barrierefreien Alltagsbewältigung. Diese richten sich an Unternehmen, betroffenen Menschen, private und öffentliche BauträgerInnen sowie an Berufsgruppen, die das Thema betrifft.

Die Expertise der als BeraterInnen tätigen Personen wurde entweder in Quellberufen akquiriert (ArchitektInnnen, PychologInnen, ErgotherapeutInnen) und in einigen Fällen durch Zusatzausbildungen ergänzt, oder sie resultiert aus der eigenen Betroffenheit, die nur teilweise in Ausbildungen reflektiert wurde. Das Ausbildungsangebot für BeraterInnen ist spärlich, lediglich zwei existierende Lehrgänge konnten ausfindig gemacht werden, in drei Fällen sollen ausgearbeitete Curricula in nächster Zeit zur Anwendung kommen.

Quelle:

Christian Schober, Magdalena Skina: Beratungsangebot und Beratungsbedarf österreichischer Unternehmen im Bereich "Barrierefreiheit". Kurzzusammenfassung

Studie im Auftrag von ÖZIV - Österreichischer Zivilinvalidenverband; NPO-Institut an der Wirtschaftsuniversität Wien; Die Langversion der Studie gibt es auf der Website für Mitglieder zum kostenlosen Download oder kann gegen einen Unkostenbeitrag unter folgendem Link bestellt werden: http://www.npo.or.at/forschung/abgeschlossene.htm

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 18.01.2010

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