Zusammenhänge zwischen Behinderung, Geschlecht und sozialer Lage: Wie bestreiten behinderte und nicht behinderte Frauen und Männer ihren Lebensunterhalt?

Eine vergleichende Analyse auf Basis von Mikrozensus-Daten der Jahre 2005, 2009, 2013

Textsorte: Artikel
Releaseinfo: Erschienen in: Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW, Nr. 37/2015, S. 40-54.
Copyright: © Ulrike Schildmann, Astrid Libuda-Köster / © gender.open

Abbildungsverzeichnis

    1 Einleitung

    1.1 Die UN-Behindertenrechtskonvention als Bezugsrahmen für die Fragestellungen der Analyse

    Ausgangspunkte dieses Beitrages sind frühere wissenschaftliche Beschäftigungen mit der Statistik zur sozialen Lage behinderter Frauen in Deutschland, vor allem im Rahmen einer Sonderauswertung des Mikrozensus 2005 über „Lebenslagen behinderter Frauen in Deutschland“ (Libuda-Köster/Sellach 2009)[1] bzw. mit allgemeinen Fragestellungen zu Verhältnissen von Geschlecht und Behinderung in der gesamten Lebensspanne (zuletzt im Rahmen des gleichnamigen DFG-Projektes[2], vgl. Schildmann 2013). Eine wesentliche Motivation für die aktuelle Auseinandersetzung mit der Statistik zur sozialen Lage behinderter Frauen resultiert darüber hinaus aus den politischen Anforderungen im Kontext der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen (UN-BRK), die von den Vereinten Nationen 2006 verabschiedet wurde und in Deutschland 2009 in Kraft getreten ist. Diese Konvention weist, vor allem in Artikel 6, auf geschlechterspezifische Problemlagen und Perspektiven hin. Dort wird festgehalten, dass „Frauen und Mädchen mit Behinderungen mehrfacher Diskriminierung ausgesetzt sind“ und dass ihre Autonomie gefördert und gestärkt werden solle (vgl. Beauftragte 2009; vgl. dazu ausführlicher Arnade/Häfner 2009; Bretländer/ Schildmann 2011).

    Unter Bezugnahme auf den ersten Staatenbericht Deutschlands zur Umsetzung der UN-BRK (2011) stellen die Vereinten Nationen (2013) zur Situation behinderter Frauen in Deutschland fest:

    As to the de facto situation of women with disabilities, there have so far been relatively little data and information all in all[3]. In order to create an awareness of the multiple discrimination faced by women with disabilities and to take measures tailored to this target group, their special situation is to be better catered for” (United Nations/Committee on the Rights of Persons with Disabilities 2011/13: 14, Punkt 46).

    Die deutsche BRK-Allianz (Alliance of German Non-governmental Organisations on the UN Convention on the Rights of Persons with Disabilities) führt in diesem Zusammenhang aus:

    More often than women without disabilities or than their male peers, women with disabilities live close to the poverty threshold, face financial hardship and are socially excluded“ (BRK-Allianz – German CRPD Alliance 2014: 11)[4] .

    Vor diesem Hintergrund ist uns daran gelegen, die Entwicklung der gesellschaftlichen Teilhabechancen behinderter Frauen auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene, hier: widergespiegelt in der Bevölkerungsstatistik seit 2005, systematisch zu analysieren:

    • 2005 als Zeitraum vor der UN-BRK,

    • 2009 zum Zeitpunkt der Ratifzierung der UN-BRK durch Deutschland,

    • 2013 als erster Zeitraum unter dem politischen Einfluss der UN-BRK, mit der Frage, ob bereits Verbesserungen der Lage sichtbar werden.

    In Ergänzung der bereits erwähnten Mikrozensus-Sonderauswertung 2005 (Libuda-Köster/ Sellach 2008) ist an dieser Stelle auf folgende gemeinsame Vorarbeiten für diesen Beitrag hinzuweisen:

    • Ausgewählte Daten des Mikrozensus 2009 wurden von uns analysiert für einen gemeinsamen Vortrag über „Ungleiche Teilhabechancen am Arbeitsmarkt?“ im Rahmen der Fachtagung „Forschen mit dem Mikrozensus“ (GESIS/Statistisches Bundesamt, Mannheim, 11. Nov. 2014).

    • Ausgewählte Daten des Mikrozensus 2013 wurden von uns analysiert für einen gemeinsamen Fachartikel über „Institutionelle Übergänge im Erwachsenenalter (18 – 64 Jahre). Eine statistische Analyse über Verhältnisse zwischen Behinderung und Geschlecht“ in der Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete (VHN) 85, Heft 1/2016.

    Diese Vorarbeiten dienen uns nun dazu, die Ergebnisse der letzten drei Mikrozensus-Erhebungen zum Thema Behinderung in Beziehung miteinander zu setzen: Dabei ist auf folgende Differenzierungen hinzuweisen, die unsere vorgenommenen Datenauswertungen kennzeichnen. Sie betreffen die sozialen Strukturkategorien Alter, Geschlecht und Behinderung[5] : Die große Personengruppe der 18- bis 64-jährigen Frauen und Männer, die sich im sogenannten Erwerbsfähigkeitsalter befindet, wird von uns zwar einerseits als Gesamtgruppe betrachtet, andererseits aber in drei Untergruppen eingeteilt, deren Lebenssituationen sich erheblich voneinander unterscheiden. Die Auswertung des Mikrozensus 2005 (vgl. Libuda-Köster/Sellach 2009) hatte ergeben, dass sich das sogenannte Erwerbsfähigkeitsalter[6] von 18 bis 65 Jahren für behinderte Frauen in folgende drei Phasen unterteilen lässt. Daran orientiert charakterisieren wir diese für die weitere Bearbeitung wie folgt:

    • 18 bis 27 Jahre: Ausbildung und Einmündung in den Beruf bei Frauen und Männern;

    • 28 bis 45 Jahre: aktive[7] Familienarbeit und Erwerbstätigkeit mit großen geschlechterspezifischen Unterschieden zwischen Frauen und Männern; wobei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weitgehend als frauenspezifisches Problem behandelt wird;

    • 46 bis 64 Jahre: passive[8] Familienphase und aktive Erwerbsarbeitsphase (vgl. Libuda-Köster/ Sellach 2009: 6).

    Der vorliegende Beitrag behandelt die Frage, wie erwachsene Menschen in Deutschland ihren persönlichen Lebensunterhalt bestreiten. Entlang der politischen Handlungsstrategien des Gender Mainstreaming und des Disability Mainstreaming wird differenziert zwischen nicht behinderten und behinderten Männern und Frauen, das heißt, im Folgenden werden die Lebensgrundlagen von vier Vergleichsgruppen analysiert:

    1. nicht behinderte Männer,

    2. nicht behinderte Frauen,

    3. behinderte Männer und

    4. behinderte Frauen.

    Im Einzelnen untersucht wird, wie behinderte Frauen und Männer im Vergleich zu nicht behinderten Männern und Frauen ihren überwiegenden Lebensunterhalt bestreiten, welche Rolle dabei die eigene (Vollzeit- oder Teilzeit-) Erwerbstätigkeit spielt und über welches persönliche Netto-Einkommen die vier Gruppen im Vergleich miteinander verfügen.

    1.2 Lebenslagen behinderter Menschen in Deutschland – Perspektiven des Mikrozensus auf eine strukturell definierte Bevölkerungsgruppe

    „Der Mikrozensus – die größte jährliche Haushaltsbefragung in Deutschland und Europa – ist eine Mehrzweckstichprobe, die ausführliche Informationen über die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung Deutschlands liefert. Die Beantwortung der Fragen zur [sic!] Behinderung und Gesundheit ist dabei freiwillig. 2009 haben 81 % [2005 im Vergleich dazu 86 % – d. Verf.] der Befragten Angaben zur Behinderung gemacht. Dies bietet eine solide Basis für die Auswertungen und zusätzlichen Hochrechnungen. Als Hochrechnungsrahmen wurden zusätzlich [...] die Eckwerte der Schwerbehindertenstatistik 2009 verwendet“ (Pfaff u. Mitarb. 2007: 193, ebenso 2012: 232).

    Eine ergänzende Beschreibung des Mikrozensus findet sich beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln e. V.:

    „Der Mikrozensus ist eine statistische Erhebung, bei der 1 Prozent der Privathaushalte jährlich nach ihren Lebensbedingungen befragt werden. Der Mikrozensus wird vom Statistischen Bundesamt durchgeführt. Auf Grundlage der Antworten ist eine Schätzung der Gesamtzahl aller amtlich anerkannten behinderten Menschen möglich – also aller Personen mit einem Grad der Behinderung von 20 bis 100. Fragen zur Behinderung werden jedoch nicht in jeder Erhebungswelle gestellt, sondern nur alle vier Jahre“ (Institut der deutschen Wirtschaft Köln e. V. 2015, o. S.).

    Die in dem Publikationsorgan „Wirtschaft und Statistik“ des Statistischen Bundesamtes publizierten Auswertungen der Mikrozensus-Erhebungen 2005 (Pfaff u. a. 2007) und 2009 (Pfaff u. a. 2012) verfolgen tendenziell unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte, sodass keine strenge direkte Vergleichsbasis entwickelt wird. Bezugnahmen der Erhebung 2009 auf die vorangegangene Erhebung 2005 erfolgen also nicht systematisch, sondern eher gelegentlich. Eine vergleichbare Auswertung der Daten 2013 von Seiten des Statistischen Bundesamtes liegt unseres Wissens bei Erarbeitung des vorliegenden Beitrages (noch) nicht vor.

    Waren laut Mikrozensus 2005 in Deutschland 8,6 Mio. Menschen als behindert amtlich anerkannt (6,7 Mio. Schwerbehinderte, 1,9 Mio. leichter Behinderte; Männeranteil 54 %; vgl. Pfaff u. Mitarb. 2007: 194), so waren dies 2009 etwa 9,6 Mio., davon 7,1 Mio. Schwerbehinderte, 2,5 Mio. leichter Behinderte (vgl. Pfaff u. Mitarb. 2012: 232). Einer Presseerklärung des Statistischen Bundesamtes zufolge betrug im Jahr 2013 die Anzahl der schwerbehinderten behinderten Personen 7,5 Mio.; leichter Behinderte werden darin nicht erwähnt (vgl. Statistisches Bundesamt 2014). Diese werden in der REHADATStatistik des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln e. V. mit 2,7 Mio. beziffert.

    Für die vorliegende Analyse, die sich auf die Frage konzentriert, wie 18 bis 64 Jahre alte behinderte Frauen und Männer im Vergleich zu nicht behinderten Frauen und Männern ihren Lebensunterhalt bestreiten, sind vor allem die im Ergebnisbericht zum Mikrozensus 2009 genannten durchschnittlichen Erwerbsquoten aller vier Vergleichsgruppen aufschlussreich (vgl. Pfaff u. a. 2012: 235f.):

    • nicht behinderte Männer 71 %

    • nicht behinderte Frauen 55 %

    • behinderte Männer 31 %

    • behinderte Frauen 23 %

    Je nach einzelnen Altersgruppen (s. o.) variieren diese Anteile jedoch erheblich (vgl. Pfaff u. a. 2012: 236). Die Erwerbsquoten setzen sich zusammen aus dem Anteil einer jeweiligen Personengruppe, der bereits erwerbstätig ist oder (offiziell) als (auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt) arbeitsuchend gilt. Die genannten Prozentanteile beziehen sich im Mikrozensus 2009 auf 15 bis unter 65 Jahre alte Personen, während sich die uns vom Statistischen Bundesamt zur Verfügung gestellten und im Folgenden verwendeten Daten nur auf 18- bis unter 65-jährige Personen konzentrieren.



    [1] Im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).

    [2] „Umgang mit Heterogenität: Verhältnisse zwischen Behinderung und Geschlecht in der gesamten Lebensspanne“; Leitung: Prof. Dr. Ulrike Schildmann; Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 2010 – 2013.

    [3] Erwähnt wird hier explizit: „A seperate evaluation of the 2005 Microcensus took place in 2009 with regard to the circumstances faced by women with disabilities which revealed initial information on disability-related and female-typical disadvantage structures” (United Nations/ Committee on the Rights of Persons with Disabilities 2011/2013: 14, Punkt 46). Gemeint sein dürfte damit die oben erwähnte Sonderauswertung des Mikrozensus 2005 von Libuda-Köster/ Sellach 2009.

    [4] Besonders herausgestellt werden in diesem Rahmen „Persons with disabilities with migrant background“ – dazu der Hinweis „the concept of ‚multiple discrimination‘ or ‚intersectional discrimination‘ is not recognized in German law“ (BRK-Allianz – German CRPD Alliance 2014: 11und Fußnote 19).

    [5] Zu diesen Strukturkategorien vgl. in der Fachliteratur auch: Schildmann, Ulrike: Strukturkategorien Geschlecht, Alter, Behinderung, in: Hinz, Renate/ Walthes, Renate (Hrsg.): Verschiedenheit als Diskurs, Tübingen (Narr Francke Attempto Verlag) 2011: 109 –118.

    [6] Der Begriff ist mit Vorsicht zu benutzen, denn mit ihm geht eine analytische Verengung einher, die eine wesentliche Konstruktion der modernen Gesellschaft ausblendet, nämlich die Strukturen der geschlechterspezifischen Arbeitsteilung von Produktion und Reproduktion bzw. von bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter Haus-/familialer Reproduktionsarbeit. Außerdem suggeriert der Begriff eine einheitliche und durchgängige, auf Erwerbsarbeit konzentrierte Lebensphase, was jedoch den individuellen, männlichen wie weiblichen, Lebensverläufen (mit oder ohne Behinderungen) nur bedingt entspricht.

    [7] Gegebenenfalls kann es sich hierbei auch um die erste Phase handeln.

    [8] Gegebenenfalls kann es sich hierbei auch um die zweite Phase handeln.

    2 Wie bestreiten behinderte Männer und Frauen im Vergleich zu nicht behinderten Männern und Frauen ihren überwiegenden Lebensunterhalt?

    Vergleich der Mikrozensus-Daten 2005, 2009 und 2013

    Die vier genannten Untergruppen bestreiten ihren überwiegenden Lebensunterhalt aus unterschiedlichen Quellen, die in allen drei hier verglichenen Mikrozensus-Erhebungen (2005, 2009, 2013) unter sechs Kategorien zusammengefasst werden: (1.) Sozialleistungen, (2.) eigenes Vermögen, (3.) nicht eigene Einnahmequellen/ Unterhalt, (4.) Rente/Pension, (5.) Arbeitslosengeld I + II bzw. Alo1 + Hartz IV und (6.) Erwerbstätigkeit.

    Tabelle 1.0: Überwiegender Lebensunterhalt im Erwerbsfähigkeitsalter (18- bis 64-Jährige):

    Nicht behinderter Mann

    Nicht behinderte Frau

    Behinderter Mann

    Behinderte Frau

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    Sozialleistungen, später einschließlich Elterngeld

    2%

    1%

    2%

    3%

    3%

    3%

    4%

    5%

    8%

    4%

    5%

    6%

    Eigenes Vermögen

    1%

    1%

    1%

    0%

    0%

    1%

    1%

    1%

    1%

    0%

    0%

    1%

    Nicht eigene Einnahmenquellen; Unterhalt

    8%

    8%

    7%

    28%

    25%

    22%

    3%

    3%

    3%

    17%

    15%

    14%

    Rente, Pension

    6%

    4%

    5%

    7%

    5%

    6%

    44%

    39%

    37%

    41%

    38%

    36%

    Arbeitslosengeld. Später Hartz IV

    10%

    9%

    7%

    7%

    8%

    6%

    10%

    11%

    10%

    7%

    8%

    7%

    Erwerbstätigkeit

    73%

    78%

    78%

    55%

    60%

    62%

    38%

    42%

    41%

    31%

    33%

    36%

    Abbildung 1. Überwiegender Lebensunterhalt im Erwerbsfähigkeitsalter (18- bis 64-Jährige):

    Verbildlichung von Tabelle 1.0 mittels Säulendiagramm

    Über das gesamte Erwerbsfähigkeitsalter hinweg gesehen bestritten zu allen drei Zeitpunkten (2005, 2009, 2013) nicht behinderte Männer und Frauen ihren überwiegenden Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit, wobei diese Einnahmequelle im Zeitraum zwischen 2005 und 2013 sichtbar an Gewicht zunahm, bei Männern um 5 % (von 73 auf 78 %), bei Frauen sogar um 7 % (von 55 auf 62 %).

    Auch bei behinderten Männern nahm die Erwerbstätigkeit als wichtigste Einkommensquelle von 2005 über 2009 bis 2013 zu, und zwar von 38 auf 42 bzw. 41 %, bei behinderten Frauen von 31 auf 36 %. Jedoch bestritten behinderte Männer und Frauen – über das gesamte Erwerbsfähigkeitsalter hinweg gesehen – ihren überwiegenden Lebensunterhalt nicht aus eigener Erwerbstätigkeit, sondern aus Renten und Pensionen, deren Relevanz jedoch im Zeitraum 2005 bis 2013 sukzessive abnahm, bei behinderten Männern um 7 % (von 44 auf 37 %), bei behinderten Frauen um 5 % (von 41 auf 36 %). Als überwiegende Einnahmequelle sind auch 2013 über die gesamte Altersspanne von 18 bis 64 Jahren für behinderte Frauen (mit 36 %) Renten/Pensionen genauso relevant wie eigene Erwerbstätigkeit (ebenfalls 36 %), während für behinderte Männer im Laufe des Vergleichszeitraums eigene Erwerbstätigkeit etwas wichtiger geworden ist als Renten/Pensionen (41 gegenüber 37 %).

    Den Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit zu bestreiten, gelingt insgesamt weiterhin (mit positiver Tendenz) am ehesten nicht behinderten Männern, und mit deutlichem (und zwischen 2005 und 2013 kaum verkleinertem) Abstand zu nicht behinderten Männern nicht behinderten Frauen. Deren zweitwichtigste Einnahmequelle besteht allerdings weiterhin, wenn auch zwischen 2005 und 2013 leicht rückgängig, aus nicht eigenen Einnahmen/Unterhalt, was auf die finanzielle Abhängigkeit von einem Partner im Rahmen von unbezahlter Familienarbeit hinweist (nach dem Muster: Vater erwerbstätig, Mutter erzieht Kinder und leistet unbezahlte Hausarbeit). Zwischen nicht behinderten und behinderten Männern hat sich in dieser Frage der Abstand im besagten Zeitraum leicht erhöht und zwar zu Ungunsten behinderter Männer, auch wenn für sie, wie gesagt, die eigene Erwerbstätigkeit inzwischen als überwiegender Lebensunterhalt eine etwas größere Rolle spielt als Renten/Pensionen. Am schwierigsten erscheint die Lage behinderter Frauen. Auch wenn sie ihren Lebensunterhalt seit 2005 etwas häufiger durch eigene Erwerbstätigkeit bestreiten können, spielen Renten/Pensionen eine ebenso große Rolle, und darüber hinaus ebenfalls, wie bei nicht behinderten Frauen, ggf. aber in davon unterschiedenen Konstellationen, die nicht eigenen Einnahmequellen/Unterhalt. Dies kann, auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene, als erster allgemeiner Hinweis auf intersektionale Diskriminierung (Potenzierung von Benachteiligung auf Basis von weiblichem Geschlecht und Behinderung) behinderter Frauen angenommen werden.

    Schließlich sei an dieser Stelle erwähnt, dass laut Mikrozensus-Erhebungen unter den 18- bis 64-jährigen Menschen in Deutschland kaum jemand seinen überwiegenden Lebensunterhalt aus eigenem Vermögen bestreitet. Ob dieses Ergebnis dem Instrument der individuellen Selbstaussagen im Rahmen des Mikrozensus geschuldet ist, sei dahin gestellt.

    Vor diesem Hintergrund wird die Frage nach dem überwiegenden Lebensunterhalt im Folgenden für die drei Zeitpunkte 2005, 2009 und 2013 differenziert nach den drei beschriebenen Altersabschnitten 18–27 Jahre, 28–45 Jahre und 46–64 Jahre untersucht.

    Tabelle 1.1: Überwiegender Lebensunterhalt der 18- bis 27-Jährigen

    Nicht behinderter Mann

    Nicht behinderte Frau

    Behinderter Mann

    Behinderte Frau

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    Sozialleistungen, später einschließlich Elterngeld

    5%

    4%

    5%

    7%

    7%

    7%

    12%

    18%

    24%

    14%

    18%

    21%

    Eigenes Vermögen

    0%

    0%

    1%

    0%

    0%

    1%

    0%

    0%

    0%

    1%

    0%

    0%

    Nicht eigene Einnahmenquellen; Unterhalt

    30%

    29%

    30%

    36%

    33%

    33%

    27%

    23%

    22%

    27%

    23%

    24%

    Rente, Pension

    0%

    0%

    0%

    0%

    0%

    0%

    5%

    5%

    4%

    4%

    4%

    4%

    Arbeitslosengeld. Später Hartz IV

    10%

    9%

    6%

    8%

    9%

    6%

    9%

    15%

    10%

    12%

    15%

    10%

    Erwerbstätigkeit

    55%

    57%

    58%

    49%

    51%

    53%

    47%

    40%

    40%

    42%

    39%

    41%

    Abbildung 2. Überwiegender Lebensunterhalt der 18- bis 27-Jährigen

    Verbildlichung von Tabelle 1.1 mittels Säulendiagramm

    In der ersten Phase des so genannten Erwerbsfähigkeitsalters (18 – 27 Jahre) bestreiten alle vier Untergruppen zu allen drei Erhebungszeitpunkten ihren überwiegenden Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit. Jedoch sind die Unterschiede zwischen den vier Gruppen erheblich und weisen leichte zeitliche Variationen auf: Bei nicht behinderten Männern stieg die Relevanz der Erwerbstätigkeit für den eigenen Lebensunterhalt in diesem Zeitraum sukzessive von 55 auf 58% an, bei nicht behinderten Frauen von 49 auf 53 %. Behinderte Männer dieser Altersgruppe erlebten dagegen eine entgegengesetzte Tendenz: Von ihnen bestritten den überwiegenden Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit 2005 noch 47%, 2009 und 2013 jedoch nur noch 40 %. Bei behinderten Frauen schwankten diese Anteile zwischen 42, 39 und 41 %. Es stellt sich also heraus, dass der Faktor Behinderung hier noch vergleichsweise stärker zur Wirkung kommt als der Faktor Geschlecht. Zwar spielen Renten/Pensionen für behinderte Männer und Frauen schon in diesem Alter (anders als für nicht behinderte Personen) eine sichtbare Rolle, aber vor allem wird von behinderten Menschen, anders als von nicht behinderten, immer häufiger der überwiegende Lebensunterhalt aus Sozialleistungen bestritten: bei behinderten Frauen war dies 2005 in 14%, 2009 in 18% und 2013 in 21 % der Fälle so, bei behinderten Männern in 12, 18 und 24%. Diese Einkommensquelle fällt bei nicht behinderten Männern und Frauen dieser Altersgruppe mit ungefähr 6 % kaum ins Gewicht. Auch fallen Arbeitslosenbezüge bei behinderten Frauen und Männern (mit erheblichen Schwankungen zwischen den drei Erhebungszeiträumen) mehr ins Gewicht als bei ihren nicht behinderten Vergleichsgruppen.

    Dagegen bestreiten ihren überwiegenden Lebensunterhalt aus nicht eigenen Einnahmequellen/Unterhalt in dieser Altersgruppe mehr nicht behinderte als behinderte Personen, was bei ersteren ggf. auf längere Ausbildungszeiten (v. a. Studium u. ä.) zurückzuführen ist. Insgesamt scheinen in dieser Altersgruppe die Einnahmequellen zur Bestreitung des überwiegenden Lebensunterhalts vor allem negativ durch den Faktor Behinderung beeinflusst zu werden, was nicht nur mit aktuellen Problemlagen der betreffenden Personen zu tun haben könnte, sondern auch mit bereits unter erschwerten Bedingungen durchlaufenen Bildungsprozessen, insbesondere in Sondereinrichtungen (Kindertagesstätten und Schulen) für behinderte Menschen, mit vergleichsweise niedrigen Schulabschlüssen (vgl. Pfaff u. a. 2012: 237f.).

    Tabelle 1.2: Überwiegender Lebensunterhalt der 28- bis 45-Jährigen

    Nicht behinderter Mann

    Nicht behinderte Frau

    Behinderter Mann

    Behinderte Frau

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    Sozialleistungen, später einschließlich Elterngeld

    1%

    1%

    1%

    2%

    3%

    4%

    7%

    9%

    15%

    8%

    9%

    13%

    Eigenes Vermögen

    0%

    0%

    1%

    0%

    0%

    1%

    0%

    0%

    1%

    0%

    0%

    1%

    Nicht eigene Einnahmenquellen; Unterhalt

    2%

    2%

    2%

    26%

    22%

    19%

    4%

    3%

    3%

    15%

    12%

    12%

    Rente, Pension

    0%

    0%

    1%

    0%

    0%

    1%

    17%

    17%

    17%

    20%

    22%

    18%

    Arbeitslosengeld. Später Hartz IV

    10%

    8%

    7%

    7%

    8%

    6%

    14%

    14%

    12%

    9%

    11%

    10%

    Erwerbstätigkeit

    86%

    88%

    88%

    64%

    67%

    69%

    58%

    57%

    52%

    48%

    46%

    46%

    Abbildung 3. Überwiegender Lebensunterhalt der 28- bis 45-Jährigen

    Verbildlichung von Tabelle 1.2 mittels Säulendiagramm

    In dieser Altersgruppe wird der überwiegende Lebensunterhalt von allen vier Untergruppen weiterhin durch eigene Erwerbstätigkeit bestritten, jedoch werden die Abstände zwischen den Gruppen größer: Nicht behinderte Männer nehmen die Spitzenposition ein (2005: 86 %, 2009: 88 %; 2013: 88 %). Nicht behinderte Frauen fallen dagegen deutlich ab (2005: 64 %, 2009: 67 %, 2013: 69 %). Letztere bestreiten ihren überwiegenden Lebensunterhalt in dieser Lebensphase, die durch die Vereinbarkeit(-sproblematik) von Beruf und Familienarbeit charakterisiert wird, wenn auch mit einem sichtbaren Abwärtstrend (26 – 22 – 19 %), weiterhin – an zweiter Stelle – durch nicht eigene Einkommensquellen/Unterhalt, worin sich vor allem die Kombination aus Teilzeit-(Berufs-)Arbeit und unbezahlter Hausarbeit ausdrückt. Diese Einnahmequelle spielt für nicht behinderte Männer dieser Altersgruppe, in der Familien gegründet werden, eine statistisch zu vernachlässigende Rolle. Das Modell des Vaters als Familienernährer und der Mutter als (teilzeitberufstätige) Hausfrau dominiert immer noch.

    Behinderte Männer und Frauen zwischen 28 und 45 Jahren können ihren überwiegenden Lebensunterhalt weitaus seltener aus eigener Erwerbstätigkeit bestreiten, und zwar zwischen 2005 und 2013 mit fallender Tendenz und sichtbar geschlechterspezifischen Unterschieden (Männer 2005: 58 %, 2009: 57 %, 2013: 52 %, Frauen 2005: 48 %, 2009: 46 %, 2013: 46 %). Für diese beiden Gruppen stehen an zweiter Stelle Renten/ Pensionen, gefolgt von Sozialleistungen (mit steigender Tendenz zwischen 2005 und 2013) bzw. bei behinderten Frauen (mit fallender Tendenz) gefolgt von nicht eigenen Einnahmequellen/ Unterhalt. Diese letztgenannte Einnahmequelle bleibt eine relevante geschlechterspezifisch geprägte Einkommensquelle, wenn auch für nicht behinderte Frauen (s. o.) stärker als für behinderte. Ob die Bedeutung dieser Einnahmequelle nach der sogenannten Vereinbarkeitsphase von Beruf und Familienarbeit sinkt, wird weiter unten untersucht.

    Festzuhalten bleibt an dieser Stelle: Für behinderte Frauen dieser Altersgruppe spielen tendenziell fünf unterschiedliche Einnahmequellen relevante Rollen, für behinderte Männer im Vergleich dazu vier, für nicht behinderte Frauen drei, für nicht behinderte Männer zwei. Bestreiten am einen Ende der Skala nicht behinderte Männer zwischen 28 und 45 Jahren ihren überwiegenden Lebensunterhalt weitestgehend aus eigener Erwerbstätigkeit oder Arbeitslosengeld (Alo1 bzw. Hartz IV), so bestreiten am anderen Ende der Skala behinderte Frauen ihren überwiegenden Lebensunterhalt entweder aus eigener Erwerbstätigkeit (zwischen 2005 und 2013 mit leicht fallender Tendenz von 48 auf 46 %), Renten (20 – 22 – 18 %), nichteigenen Einkommensquellen (15 – 12 – 12 %), Sozialleistungen (8 – 9 – 13 %) und Alo1/Hartz IV (9–11–10%).

    Abbildung 1.3: Überwiegender Lebensunterhalt der 46- bis 64-Jährigen

    Nicht behinderter Mann

    Nicht behinderte Frau

    Behinderter Mann

    Behinderte Frau

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    Sozialleistungen, später einschließlich Elterngeld

    1%

    0%

    1%

    1%

    0%

    1%

    3%

    3%

    5%

    3%

    3%

    4%

    Eigenes Vermögen

    1%

    0%

    1%

    1%

    1%

    1%

    1%

    1%

    1%

    0%

    0%

    1%

    Nicht eigene Einnahmenquellen; Unterhalt

    2%

    2%

    2%

    26%

    24%

    20%

    2%

    2%

    2%

    17%

    15%

    14%

    Rente, Pension

    17%

    10%

    11%

    18%

    12%

    13%

    54%

    47%

    44%

    49%

    45%

    41%

    Arbeitslosengeld. Später Hartz IV

    10%

    9%

    7%

    6%

    7%

    5%

    9%

    9%

    9%

    6%

    7%

    6%

    Erwerbstätigkeit

    69%

    78%

    78%

    47%

    57%

    60%

    32%

    38%

    39%

    25%

    29%

    34%

    Abbildung 4. Überwiegender Lebensunterhalt der 46- bis 64-Jährigen

    Verbildlichung von Tabelle 1.3 mittels Säulendiagramm

    Den überwiegenden Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit zu bestreiten, wird in der Lebensphase von 46 bis 64 Jahren für keine der untersuchten Vergleichsgruppen, auch nicht für nicht behinderte Frauen nach der Familienphase, leichter, sondern für alle vier hier verglichenen Gruppen schwieriger als in der vorangegangenen Phase, und dies mit zum Teil beachtlichen Dynamiken:

    Bei nicht behinderten Männern sank das Niveau zwischen der zweiten und dritten Altersgruppe laut Mikrozensus 2005 von 86 auf 69 %, 2009 von 88 auf 79%, 2013 von 88 auf 78%. Dagegen erhielten Renten/Pensionen auch für diese Altersgruppe im Vergleich zur vorangegangenen vermehrt Bedeutung für die Bestreitung des eigenen Lebensunterhaltes (2005: 17 %, 2009: 10 %, 2013: 11 %). Welche (arbeitsmarkt- und sozialpolitischen) Gründe für die genannten Schwankungen ausschlaggebend waren, lässt sich anhand der vorliegenden Daten nicht klären, müsste jedoch ggf. im Zusammenhang mit der Entwicklung von Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenunterstützung, für die die drei verglichenen Mikrozensus-Erhebungen keine erheblichen Schwankungen ausweisen, analysiert werden. Bei nicht behinderten Frauen sank das Niveau zwischen der zweiten und dritten Altersgruppe laut Mikrozensus 2005 von 64 auf 47 % (wie bei nicht behinderten Männern um 17 %), 2009 von 67 auf 57 %, 2013 von 69 auf 60 %. Renten/ Pensionen werden mit 2005: 18 %, 2009: 12 %, 2013: 13 % sichtbar relevant. Aber vor allem bleibt in dieser Altersgruppe bei nicht behinderten Frauen die Relevanz der nicht eigenen Einnahmequellen, die eher konzentriert auf die sogenannte Familienphase vermutet werden könnten, mit 26 – 24 – 20% voll erhalten. Das heißt, die Vereinbarkeitsproblematik von Beruf und Familie wird nicht überwunden, sondern setzt sich vermutlich auf zwei Arten fort: Einerseits bestehen Familienpflichten, ggf. in veränderter Form, fort, andererseits sind in der vorangegangenen Lebensphase verpasste berufliche Entwicklungen im Alterszeitraum von 46 bis 64 Jahren von den betreffenden Frauen im Allgemeinen nicht mehr aufzuholen[9].

    Behinderte Männer bestreiten ihren überwiegenden Lebensunterhalt in diesem Altersabschnitt nur noch 2005 zu 32%, 2009 zu 38% und 2013 zu 39% aus eigener Erwerbstätigkeit (in der Phase von 28 – 45 Jahren waren dies zum Vergleich: 58 – 57 – 52%). Nun werden für sie Renten und Pensionen absolut dominant (2005: 54 %, 2009: 47 %, 2013: 44 %).

    Bei behinderten Frauen nimmt die schon frühere vergleichsweise geringste Relevanz der eigenen Erwerbstätigkeit für den persönlichen Lebensunterhalt noch weiter ab, und zwar 2005 zwischen 48 und 25 %, 2009 zwischen 46 und 29 %, 2013 zwischen 46 und 34 %. Behinderte Frauen kompensieren, wie behinderte Männer, vor allem über Renten/Pensionen: Von 2005 bis 2013 bestritten 49 – 45 – 41 % von ihnen ihren überwiegenden Lebensunterhalt aus Renten/Pensionen, aber auch die nicht eigenen Einnahmequellen spielten für sie (2005: 17 %, 2009: 15 %, 2013: 14%), ganz anders als für behinderte Männer und in geringerem Maße als für nicht behinderte Frauen, die wichtigste Rolle für den eigenen Lebensunterhalt. Damit gehen persönliche Abhängigkeiten einher, die weder für behinderte noch für nicht behinderte Frauen zu unterschätzen sind.

    Deutlich geworden ist, dass der überwiegende Lebensunterhalt der Altersgruppe der 46- bis 64-Jährigen nicht mehr nur und ggf. auch nicht hauptsächlich aus eigener Erwerbsarbeit bestritten werden kann, sondern dass er sich ggf. aus mehreren unterschiedlichen Quellen speisen muss, die, wie Arbeitslosengeld I und Renten/ Pensionen, in Abhängigkeit von vorangegangener beruflicher Arbeit stehen und finanziell an dieser bemessen werden. Dabei spielt vor allem auch der Umfang der geleisteten Arbeit eine erwähnenswerte Rolle. Zwischen Männern und Frauen bestehen gerade auf dieser Ebene erhebliche Unterschiede. Gefragt wird deshalb im Folgenden nach geleisteter Vollzeit- bzw. Teilzeitarbeit, durch die der überwiegende Lebensunterhalt maßgeblich beeinflusst werden kann.



    [9] Insbesondere zeichnet sich ab, dass Wiedereinsteigerinnen in ihrer Berufskarriere nicht dort anknüpfen können, wo sie den Beruf zugunsten von Mutterschaft und Familienarbeit verlassen haben. Strukturell verbunden sind damit vergleichsweise schlechtere Arbeitsvertragsstruktur (Befristung und/oder unfreiwillige Teilzeit), niedrigerer Verdienst und Ausschluss von Beförderung und beruflichem Aufstieg.

    3 Welche Rolle spielt die eigene (Vollzeit- oder Teilzeit-)Erwerbstätigkeit für den überwiegenden Lebensunterhalt nicht behinderter und behinderter Männer und Frauen?

    Unter den nicht behinderten und behinderten Männern und Frauen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sind oder diesem als arbeitsuchend zur Verfügung stehen (s. zu den sehr unterschiedlichen Erwerbsquoten Punkt 1.2), gibt es strukturell gesehen vor allem große geschlechterspezifische Unterschiede. Dabei gibt es zwischen den einzelnen Erhebungszeiträumen – 2005, 2009, 2013 – eine gewisse, jedoch nur geringe Dynamik.

    Tabelle 2.0: Beschäftigungsumfang im Erwerbsfähigkeitsalter (18- bis 64-Jährige)

    Nicht behinderter Mann

    Nicht behinderte Frau

    Behinderter Mann

    Behinderte Frau

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    Teilzeittätigkeit

    7%

    8%

    9%

    44%

    45%

    47%

    14%

    16%

    18%

    44%

    48%

    51%

    Vollzeittätigkeit

    93%

    92%

    91%

    56%

    54%

    53%

    86%

    84%

    82%

    56%

    52%

    49%

    Abbildung 5. Beschäftigungsumfang im Erwerbsfähigkeitsalter (18- bis 64-Jährige)

    Verbildlichung von Tabelle 2.0 mittels Säulendiagramm

    Vor dem Hintergrund der Frage, wie nicht behinderte und behinderte Männer und Frauen ihren überwiegenden Lebensunterhalt bestreiten, und der Antwort, dass vor allem nicht behinderte Männer dies am ehesten aus eigener Erwerbstätigkeit schaffen, ist es nicht verwunderlich zu erfahren, dass in der Gesamtbevölkerungsgruppe der 18- bis 64-Jährigen gerade sie die Gruppe der am meisten Vollzeitbeschäftigten darstellen: 2005 waren 93 % von ihnen vollzeitbeschäftigt, 2009 noch 92 % und 2013 ca. 91 %. Behinderte Männer waren 2005 zu 86 %, 2009 zu 84 % und 2013 zu 82 % vollzeitbeschäftigt. Zwischen nicht behinderten und behinderten Männern wird also ein Unterschied in der Vollbeschäftigung deutlich, der darauf hinweist, dass der Faktor Behinderung in der männlichen Erwerbstätigkeit Auswirkungen auf den Umfang der Beschäftigung hat.

    Viel stärker als die Kategorie Behinderung wirkt die Kategorie Geschlecht auf den Umfang der Erwerbstätigkeit ein: In der Gesamtaltersgruppe waren unter den nicht behinderten Frauen 2005 etwa 56 % vollzeitbeschäftigt, 2009 ca. 54 % und 2013 nur 53 %, also etwas mehr als die Hälfte der erwerbstätigen nicht behinderten Frauen. Dass dies der strukturellen Anlage der geschlechterspezifischen Arbeitsteilung, und zwar auf Seiten der Frauen der Vereinbarkeitsproblematik von Erwerbs- und familialer Reproduktionsarbeit/ Hausarbeit, geschuldet ist, wird vor allem deutlich, wenn im Folgenden die einzelnen Altersgruppen betrachtet werden. Zuvor jedoch sei der Blick auf die Vergleichsgruppe der behinderten Frauen gelenkt: In dieser Gruppe ist der Anteil der Vollzeitbeschäftigten unter den 18- bis 64-Jährigen viel geringer als bei den behinderten Männern, aber–mit 56% im Jahr 2005, 52% im Jahr 2009 und 49 % im Jahr 2013 – nur etwas geringer als bei nicht behinderten Frauen. Auch dies kann als Hinweis darauf angesehen werden, dass in dieser Frage weniger die Kategorie Behinderung als vielmehr die Kategorie Geschlecht wirksam wird. Jedoch stehen beide Kategorien in Wechselwirkung miteinander; denn die behinderten Frauen, die dem Erwerbsarbeitsmarkt zur Verfügung stehen, sind statistisch gesehen noch seltener vollzeiterwerbstätig als nicht behinderte Frauen. Abgesehen davon, dass aus Vollzeit- bzw. Teilzeitbeschäftigung[10] im Allgemeinen wesentliche finanzielle Unterschiede resultieren, wie im nächsten Kapitel (vgl. Kap. 4) nachgewiesen wird, ist an dieser Stelle zu fragen, ob sich die geschlechterspezifischen Unterschiede durchgängig oder nur in einzelnen Altersgruppen – so vor allem in der mittleren Phase (28 – 45 Jahre), die vor allem für Frauen als Vereinbarkeitsphase von Beruf und Familie gilt – zeigen.

    Tabelle 2.1: Beschäftigungsumfang der 18- bis 27-Jährigen

    Nicht behinderter Mann

    Nicht behinderte Frau

    Behinderter Mann

    Behinderte Frau

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    Teilzeittätigkeit

    12%

    14%

    16%

    25%

    27%

    28%

    11%

    15%

    15%

    18%

    21%

    28%

    Vollzeittätigkeit

    88%

    85%

    84%

    75%

    73%

    72%

    89%

    85%

    85%

    82%

    79%

    72%

    Abbildung 6. Beschäftigungsumfang der 18- bis 27-Jährigen

    Verbildlichung von Tabelle 2.1 mittels Säulendiagramm

    In der Phase der Ausbildung und Einmündung in den Beruf stellt unter denjenigen, die zur Erwerbsbevölkerung gerechnet werden, was für behinderte Jugendliche nicht unbedingt der Fall ist, die Vollzeitbeschäftigung den überwiegenden Beschäftigungsanteil gegenüber der Teilzeitbeschäftigung dar: bei nicht behinderten Männern 2005 zu 88%, 2009 zu 86% und 2013 zu 84%; bei behinderten Männern 2005 sogar zu 89%, 2009 und 2013 jeweils zu 85 %. Die Vollbeschäftigung nicht behinderter Frauen liegt bereits in dieser Altersgruppe um mehr als 10 % unter der der männlichen Peers (2005 bei 76 %, 2009 bei 73 %, 2013 bei 72 %) und in den Jahren 2005 und 2009 sogar unterhalb derer der behinderten Frauen. Deren Vollbeschäftigung im Alter von 18 bis 27 Jahren lag 2005 bei 82 %, 2009 bei 79% und 2013 bei 72%. Sie weist mit 10% vergleichsweise die größte Absenkung innerhalb des Zeitraumes 2005 bis 2013 auf, was jedoch auf Basis des vorliegenden Datenmaterials nicht eindeutig erklärt werden kann.

    Tabelle 2.2: Beschäftigungsumfang der 28- bis 45-Jährigen

    Nicht behinderter Mann

    Nicht behinderte Frau

    Behinderter Mann

    Behinderte Frau

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    Teilzeittätigkeit

    8%

    6%

    6%

    47%

    49%

    49%

    11%

    15%

    15%

    40%

    44%

    47%

    Vollzeittätigkeit

    95%

    94%

    94%

    53%

    51%

    51%

    89%

    85%

    85%

    60%

    56%

    53%

    Abbildung 7. Beschäftigungsumfang der 28- bis 45-Jährigen

    Verbildlichung von Tabelle 2.2 mittels Säulendiagramm

    In der Altersgruppe der 28- bis 45-Jährigen driftet die Vollbeschäftigung zwischen Männern und Frauen extrem auseinander: In der Gruppe der nicht behinderten Männer nimmt sie gegenüber den 18- bis 27-jährigen Männern sichtbar zu und stellt sich zwischen 2005 und 2013 bei 94 – 95 % als gleichbleibend hoch dar. Bei behinderten Männern liegt sie in dieser Altersgruppe deutlich niedriger (2005 noch bei 89,2 %, 2009 und 2013 jeweils bei 85 %), das heißt die Kategorie Behinderung zeigt eine gewisse negative Wirkung.

    Ganz anders als für ihre männlichen Peers stellt sich die Vollbeschäftigung für Frauen dar. Während in dieser Lebensphase behinderte Frauen noch zu 60 % (2005), 56 % (2009) bzw. 53 % (2013) voll erwerbstätig waren, stellt die Gruppe der 28- bis 45-jährigen nicht behinderten Frauen die am geringsten vollbeschäftigte, also die am meisten teilzeitbeschäftigte Gruppe dar: 2005 betrug deren Vollbeschäftigung im Vergleich zur Teilzeitarbeit 53 %, 2009 und 2013 jeweils 51 %. Von den Strukturen der geschlechterspezifischen Arbeitsteilung, v. a. der Vereinbarkeitsproblematik von Beruf und Familie, sind in diesem Lebensabschnitt nicht behinderte Frauen offenbar noch stärker betroffen als behinderte Frauen; denn häufiger als behinderte Frauen dieser Altersgruppe leben sie zusammen mit Partnern und haben Kinder (vgl. Pfaff u. a. 2012: 233f.). Zwischen Männern und Frauen öffnet sich also in der mittleren Lebensphase des sogenannten Erwerbsfähigkeitsalters im Zusammenhang von Familiengründung und familialer Reproduktionsarbeit die Schere enorm. Deshalb ist an dieser Stelle zu fragen: Gelingt den betreffenden Frauen nach der sogenannten Familienphase der Wiedereinstieg in den Beruf, können sie in der nachfolgenden Lebensphase zwischen 46 bis 64 Jahren auf- und nachholen, was ihnen durch die Vereinbarung von Beruf und Familie entgangen ist, oder verfestigen sich die Strukturen der geschlechterspezifischen Arbeitsteilung in die nächste Lebens- und Arbeitsphase hinein?

    Tabelle 2.3: Beschäftigungsumfang der 46- bis 64-Jährigen

    Nicht behinderter Mann

    Nicht behinderte Frau

    Behinderter Mann

    Behinderte Frau

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    Teilzeittätigkeit

    6%

    7%

    7%

    49%

    51%

    52%

    15%

    17%

    20%

    48%

    52%

    54%

    Vollzeittätigkeit

    94%

    93%

    93%

    51%

    49%

    48%

    85%

    83%

    80%

    52%

    48%

    46%

    Abbildung 8. Beschäftigungsumfang der 46- bis 64-Jährigen

    Verbildlichung von Tabelle 2.3 mittels Säulendiagramm

    Festzustellen ist, dass auch in der Lebensphase von 46 bis 64 Jahren nicht behinderte erwerbstätige Männer zum überwiegenden Teil vollzeitbeschäftigt sind und bleiben: 2005 waren dies 94 %, 2009 und 2013 jeweils 93 %. Behinderte Männer dieser Altersgruppe bleiben ebenfalls, mit kleinen Abstrichen, überwiegend vollzeitbeschäftigt (2005 zu 85 %, 2009 zu 83 %, 2013 zu 80 %), wobei der Abstand zu ihren nicht behinderten Peers leicht zunimmt.

    Auch die Vollzeitbeschäftigung nicht behinderter sowie behinderter Frauen nimmt in dieser Lebensphase (noch) weiter ab: bei nicht behinderten Frauen zwischen 2005 und 2013 um 3% (von 51 % auf 48 %), bei behinderten Frauen um 6 % (von 52 % auf 46 %). Sowohl nicht behinderte als auch behinderte Frauen sind in dieser Phase, wenn sie auf dem allgemeinen (Erwerbs-) Arbeitsmarkt anzutreffen sind, also überwiegend teilzeitbeschäftigt, und zwar obwohl die sogenannte Vereinbarkeitsphase von Beruf und eigener Familie überwiegend abgeschlossen sein dürfte. Das heißt, die Strukturen der vorangegangenen Vereinbarkeitsphase werden nicht wieder aufgelöst, sondern setzen sich fort,

    • ggf. mit veränderten und weiterführenden Familienaufgaben (als Großmütter gegenüber den Enkeln oder als Pflegerinnen der eigenen alternden Eltern),

    • aufgrund nachlassender eigener Gesundheit sowie eintretender Krankheit und/oder Behinderung

    • oder aber der Arbeitsmarkt eröffnet den Berufswiedereinsteigerinnen keine Vollzeitarbeitsplätze. Dann würde ggf. eine dreifache Diskriminierung greifen: Geschlecht, Behinderung und Alter.

    Die hier angestellte genauere Betrachtung von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung mit ihren geschlechterspezifischen Strukturen sowie behinderungsbedingten Zusammenhängen ist für die Einschätzung der Frage, wie nicht behinderte und behinderte Männer und Frauen ihren überwiegenden Lebensunterhalt bestreiten, besonders wichtig; denn vom Umfang der eigenen Erwerbstätigkeit sind nicht unwesentlich zum einen Löhne und Gehälter, zum anderen aber auch eventuell in Anspruch genommene Renten/ Pensionen, Arbeitslosenunterstützungen u. ä. abhängig. Auch beruflicher Aufstieg ist in Teilzeitstellen – mit entsprechenden Auswirkungen auf Sozialleistungen und (gesetzliche) Versicherungen – eher unwahrscheinlich. Es ist also davon auszugehen, dass sich sowohl die geschlechterspezifische Arbeitsteilung als auch behinderungsbedingte Arbeitseinschränkungen auf die Höhe des individuellen Einkommens der vier hier untersuchten und verglichenen Personengruppen auswirken. Dieser Frage wird im vierten Kapitel differenziert nachgegangen.



    [10] In dem Sammelbegriff Teilzeitbeschäftigung verbergen sich unterschiedlichste Teilzeitmodelle mit unterschiedlichen wöchentlichen Arbeitsstunden.

    4 Über welches persönliche Netto-Einkommen verfügen nicht behinderte und behinderte Männer und Frauen im Vergleich miteinander?

    Bei der Einteilung der persönlichen Netto-Einkommen in vier Gruppen haben wir uns orientiert an der oben erwähnten Untersuchung „Lebenslagen von behinderten Frauen in Deutschland“ (Libuda-Köster/Sellach 2009, in Anlehnung an den „2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung“ (2005)): 6000+ Euro; 2000–5999 Euro; 900–1999 Euro, bis 899 Euro.

    Tabelle 3.0: Persönliches Nettoeinkommen im Erwerbsfähigkeitsalter (18- bis 64-Jährige)

    Nicht behinderter Mann

    Nicht behinderte Frau

    Behinderter Mann

    Behinderte Frau

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    6000+

    1%

    2%

    2%

    0%

    0%

    1%

    0%

    0%

    1%

    0%

    0%

    0%

    2000-5999€

    27%

    32%

    38%

    7%

    10%

    14%

    17%

    20%

    23%

    5%

    7%

    10%

    900-1999€

    48%

    45%

    42%

    40%

    44%

    46%

    51%

    47%

    43%

    38%

    41%

    43%

    Bis 899€

    24%

    22%

    18%

    52%

    46%

    39%

    31%

    33%

    33%

    56%

    53%

    47%

    Abbildung 9. Persönliches Nettoeinkommen im Erwerbsfähigkeitsalter (18- bis 64-Jährige)

    Verbildlichung von Tabelle 3.0 mittels Säulendiagramm

    Über die gesamte Altersspanne zwischen 18 und 64 Jahren gestaltet sich das durchschnittliche persönliche Netto-Einkommen der vier Untergruppen sehr unterschiedlich, wobei vor allem die Kategorie Geschlecht eine dominante Rolle spielt. Vor dem Hintergrund der geschlechterspezifischen Verteilung von Vollzeit- und Teilzeitarbeit und ihrer Folgen für alle sozialversicherungsrelevanten Zahlungen ist dies nicht erstaunlich.

    Während die Kategorie 1 des persönlichen Netto-Einkommens (6000+) laut Mikrozensus für keine der vier Untergruppen als besonders erwähnenswert erscheint, ist dies bei Kategorie 2, dem Einkommen zwischen 2000 und 5999 Euro (selbst ohne weitere, wünschenswerte Ausdifferenzierung, s. o.) sichtlich anders: In der Gruppe der nicht behinderten Männer waren zwischen 2005 und 2013 ca. 27 – 32 – 38 % dieser Einkommensgruppe zuzuordnen, in der Gruppe der behinderten Männer vergleichsweise 17 – 20 – 23 %. Dagegen konnten sich Frauen nur in geringem Umfang dieser Einkommensgruppe zuordnen, nicht behinderte Frauen zu 7 % (2005), 10 % (2009) bzw. 14 % (2013), behinderte Frauen zu 5 – 7 – 10% zu den genannten Erhebungszeitpunkten. Alle vier Gruppen konnten ihren Anteil an dieser (sehr großen) Einkommensgruppe (mit welchen internen Differenzierungen auch immer) steigern, wobei an dieser Stelle der Abgleich zwischen allgemeinen Einkommenserhöhungen und Inflationsraten nicht geklärt werden kann.

    Die höchsten Anteile aller vier Untergruppen der 18- bis 64-jährigen Bevölkerung befanden sich in Einkommensgruppe 3 (900 bis 1999 Euro) und zwar zu den Erhebungszeitpunkten 2005, 2009 und 2013

    • unter den nicht behinderten Männern 48–45–42%

    • unter den behinderten Männern 51–47–43%

    • unter den nicht behinderten Frauen 40–44–46%

    • unter den behinderten Frauen 38–41–43%.

    In Einkommensgruppe 4 (bis 899 Euro) befanden sich dagegen 2005, 2009, 2013

    • unter den nicht behinderten Männern nur 24–22–18%

    • unter den behinderten Männern 31 – 33 – 33 %

    • unter den nicht behinderten Frauen dagegen 52 – 46 – 39 %

    • unter den behinderten Frauen schließlich 56 – 53 – 47 %.

    Die persönlichen Netto-Einkommensunterschiede sind also insgesamt gesehen beträchtlich, wobei beide Kategorien, Geschlecht und Behinderung, strukturelle Auswirkungen zeigen. Deshalb sind die Einkommensunterschiede zwischen nicht behinderten Männern und behinderten Frauen am größten. Hier sollte nochmals klargestellt werden, dass es sich nicht nur um Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit handelt, sondern, wie in Kapitel 2 ausgeführt, um unterschiedliche Einkommensarten, die vom Statistischen Bundesamt unter sechs Kategorien zusammengefasst wurden (Sozialleistungen, eigenes Vermögen, nicht eigene Einnahmequellen/Unterhalt, Rente/Pension, Arbeitslosengeld I + II bzw. Alo1 + Hartz IV, Erwerbstätigkeit). Je stärker der überwiegende Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit, und zudem durch Vollzeitbeschäftigung, bestritten werden kann, wie dies bei nicht behinderten Männern am ehesten der Fall ist, umso höher fällt auch das durchschnittliche persönliche Netto-Einkommen aus; oder umgekehrt: Je stärker der überwiegende Lebensunterhalt aus eigener Teilzeitarbeit oder aus Kompensationszahlungen bestritten werden muss, umso niedriger fällt auch das durchschnittliche persönliche Netto-Einkommen aus.

    Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden die vier Untergruppen in den einzelnen Altersabschnitten betrachtet, um zu ermitteln, wie sich die dargestellten Unterschiede beim persönlichen Netto-Einkommen nicht behinderter und behinderter Männer und Frauen von einem Altersabschnitt zum nächsten hin entwickeln. In den einzelnen Altersabschnitten verlaufen diese Entwicklungen nach unterschiedlichen Mustern.

    In der Altersgruppe der 18- bis 27-Jährigen sind fast alle Personen den unteren beiden Einkommensgruppen zugeordnet; Einkommen von 2000 Euro und mehr sind am ehesten bei nicht behinderten Männern zu finden, bilden jedoch insgesamt die Ausnahme. Sehr deutlich wird, dass nicht behinderte Männer und nicht behinderte Frauen dieser Altersgruppe über höhere persönliche Einkommen verfügen als behinderte Männer und Frauen, das heißt, die Kategorie Behinderung zeigt eine deutlich negative Wirkung. Behinderte Frauen und Männer haben damit einen schlechteren Start ins Erwachsenenleben und dessen eigenständige Gestaltung als ihre nicht behinderten Peers.

    Tabelle 3.1: Persönliches Netto-Einkommen der 18- bis 27-Jährigen

    Nicht behinderter Mann

    Nicht behinderte Frau

    Behinderter Mann

    Behinderte Frau

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    6000+

    0%

    0%

    0%

    0%

    0%

    0%

    0%

    0%

    0%

    0%

    0%

    0%

    2000-5999€

    3%

    4%

    8%

    1%

    2%

    4%

    3%

    4%

    5%

    2%

    1%

    3%

    900-1999€

    37%

    39%

    43%

    32%

    37%

    41%

    17%

    19%

    24%

    18%

    18%

    25%

    Bis 899€

    60%

    57%

    49%

    67%

    61%

    55%

    88%

    77%

    72%

    80%

    81%

    72%

    Abbildung 10. Persönliches Netto-Einkommen der 18- bis 27-Jährigen

    Verbildlichung von Tabelle 3.1 mittels Säulendiagramm

    Im Vergleich zur vorangegangenen Altersgruppe ziehen bei der 28- bis 45-jährigen Bevölkerung nicht behinderte Männer den anderen drei Untergruppen davon: Während etwa die Hälfte der behinderten Frauen (2005 noch 56 %, 2009 ca. 50 % und 2013 immer noch 47 %) über persönliche Netto-Einkommen von unter 900 Euro verfügen, sind nicht behinderte Männer dieser untersten Einkommensklasse am Rande der Armutsgrenze nur (von 2005 bis 2013 im Abwärtstrend) zu 15 – 13 – 11% zugeordnet. Insgesamt spiegeln sich in dieser Altersgruppe fundamentale geschlechterspezifische Benachteiligungsstrukturen wider, angelehnt an männliche Vollzeit- und weibliche Teilzeitarbeit, aber auch, etwas schwächer, an behinderungsbedingte Benachteiligungen.

    Abbildung 11. Persönliches Netto-Einkommen der 28- bis 45-Jährigen

    Säulendiagramm, welches das Persönliche Netto-Einkommen verbildlicht

    In der Altersgruppe der 46- bis 64-Jährigen schließlich schlagen die geschlechterspezifischen Einkommensstrukturen voll durch: Zu allen drei Erhebungszeitpunkten (2005, 2009, 2013) verfügten am ehesten nicht behinderte Männer über persönliche Netto-Einkommen von über 2000 Euro (34 – 40 – 44 %), gefolgt von behinderten Männern (18 – 20 – 25%). Nicht behinderte Frauen waren in dieser Gruppe mit 9 – 12 – 15 % vertreten, behinderte Frauen nur mit 6 – 7 – 9 %. Während in der Einkommensgruppe von 900 bis 1999 Euro (mit 40 – 50 %) ein großer Anteil aller vier Gruppen anzutreffen ist, befinden sich in der niedrigsten Einkommensgruppe von unter 900 Euro deutlich mehr Frauen als Männer, was als Hinweis auf geschlechterspezifische Armutsrisiken von Frauen anzusehen ist: Zu den Erhebungszeitpunkten 2005, 2009 und 2013 verfügten in der Altersgruppe der 46- bis 64-Jährigen über persönliche Netto-Einkommen von unter 900 Euro

    • unter den nicht behinderten Männern 17 – 13 – 12 %

    • unter den behinderten Männern 26 – 29 – 29 %

    • unter den nicht behinderten Frauen 51 – 45 – 39 %

    • unter den behinderten Frauen 55 – 52 – 46 %.

    Tabelle 3.3: Persönliches Netto-Einkommen der 46- bis 64-Jährigen

    Nicht behinderter Mann

    Nicht behinderte Frau

    Behinderter Mann

    Behinderte Frau

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    2005

    2009

    2013

    6000+

    2%

    2%

    3%

    0%

    0%

    1%

    1%

    0%

    1%

    0%

    0%

    1%

    2000-5999€

    34%

    40%

    44%

    9%

    12%

    15%

    18%

    20%

    25%

    6%

    7%

    9%

    900-1999€

    49%

    44%

    41%

    40%

    43%

    45%

    55%

    50%

    45%

    39%

    42%

    44%

    Bis 899€

    17%

    13%

    12%

    51%

    45%

    39%

    26%

    29%

    29%

    55%

    52%

    46%

    Abbildung 12. Persönliches Netto-Einkommen der 46- bis 64-Jährigen

    Verbildlichung von Tabelle 3.3 mittels Säulendiagramm

    Auch wenn die persönlichen Netto-Einkommen aller vier Gruppen im Zeitraum zwischen 2005 und 2013 angestiegen sind, hat sich der Abstand zwischen nicht behinderten Männern als privilegiertester Gruppe und behinderten Frauen als am stärksten benachteiligter Gruppe von 2005 über 2009 bis 2013 nicht wesentlich verändert (unter den Armutsbedrohten betrug er 38 – 39 – 34 Punkte; bei den Besserverdienern 28 – 33 – 35 Punkte).

    Abschließend ist festzuhalten: In der dritten Phase des sogenannten Erwerbsfähigkeitsalters können Frauen die Nachteile, die sie aufgrund der zuvor eingegangenen Vereinbarung von Beruf und Familie auf sich genommen haben, nicht wieder ausgleichen. Ihr persönliches Netto-Einkommen ist auch unter den 46- bis 64-Jährigen deutlich geringer als das von Männern. Nachgewiesen werden konnte, dass besonders behinderte Frauen von strukturellen Benachteiligungen betroffen sind. Die durchgeführte statistische Analyse weist auf strukturelle Wechselwirkungen zwischen den Kategorien Geschlecht – Behinderung – Alter (Lebensphasen) hin.

    5 Zusammenfassung

    Die durchgeführte statistische Analyse zu den unterschiedlichen Lebenslagen nicht behinderter und behinderter Männer und Frauen kommt zu differenzierten empirischen Ergebnissen und eröffnet damit verschiedene neue Perspektiven: Die sozialen Kategorien Geschlecht und Behinderung, im Sinne von Intersektionen, stehen in unterschiedlichen Wechselwirkungen miteinander. Diese werden besonders dann deutlich, wenn als dritte Kategorie das Alter im Sinne von Lebensphasen und/oder -abschnitten (Kindheit, Jugend, frühes, mittleres und höheres Erwachsenenalter) berücksichtigt wird. Der Fokus unserer Untersuchung lag auf der wissenschaftlichen Analyse der großen Lebensphase des frühen und mittleren Erwachsenenalters (und damit des sogenannten Erwerbsfähigkeitsalters) der 18- bis unter 65-jährigen Frauen und Männer mit und ohne Behinderungen in Deutschland. Diese Lebensphase haben wir, auf Basis einer weiter zurückliegenden wissenschaftlichen Untersuchung (s. o., Libuda-Köster/Sellach 2009), in drei Abschnitte untergliedert: 18 bis 27 Jahre, 28 bis 45 Jahre und 46 bis 64 Jahre.

    Auf dem Wege der Auswertung der Mikrozensus-Untersuchungen (2005, 2009, 2013) des (deutschen) Statistischen Bundesamtes konnte eine differenzierte vergleichende Untersuchung der unterschiedlichen Lebensbedingungen nicht behinderter und behinderter Männer und Frauen durchgeführt werden. Damit wurde die gesellschaftliche Makroebene fokussiert: Mithilfe der allgemeinen Bevölkerungsstatistik (hier Mikrozensus) wurde herausgearbeitet, wie in der allgemeinen Bevölkerung Deutschlands Hierarchien produziert werden, nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern auch zwischen nicht behinderten und behinderten Personen, und schließlich, im intersektionellen Sinne, in unterschiedlichen Konstellationen zwischen Geschlecht, ggf. Behinderung und Alter. Die politischen Handlungsstrategien des Gender Mainstreaming wie auch des Disability Mainstreaming dienen in diesem Zusammenhang dazu, alle relevanten Vergleichsgruppen im Blick zu haben; denn soziale Benachteiligungen werden an bestimmten Maßstäben gemessen, konkret: Die potenzierte soziale Benachteiligung behinderter Frauen in Deutschland ist erst dann stichhaltig nachzuweisen, wenn vergleichbare Aussagen über die soziale Lage nicht behinderter Männer, behinderter Männer und nicht behinderter Frauen zur Verfügung stehen. Auf solche vergleichenden Aussagen legt der vorliegende Beitrag seinen Schwerpunkt.

    Der überwiegende Lebensunterhalt der Menschen in Deutschland wird, je nach Bevölkerungsgruppe, in sehr unterschiedlichem Maße aus eigener Erwerbstätigkeit bestritten, und zwar am ehesten von nicht behinderten Männern. Für Frauen, nicht behinderte wie behinderte, ist die Abhängigkeit von „nicht eigenen Einnahmequellen/Unterhalt“ (s. o.) im Sinne der geschlechterspezifischen Arbeitsteilung noch keineswegs überwunden. Für behinderte Männer und Frauen ist eine deutliche Abhängigkeit von gesetzlichen Versicherungsleistungen u. ä. festzustellen. Wenn diese u. ä. strukturelle Unterschiede bekannt und bewusst sind, reicht es nicht mehr aus (wie dies etwa in der politischen Armutsberichterstattung anklingt), darzulegen, über welche unterschiedlichen durchschnittlichen Netto-Einkommen nicht behinderte und behinderte Männer und Frauen verfügen, um ihr Leben zu gestalten; vielmehr ist der Blick darauf zu richten, auf welchem Wege der überwiegende Lebensunterhalt einzelner Bevölkerungsgruppen bestritten wird (Vollzeit- oder Teilzeitarbeit, nicht eigene Einnahmequellen, staatliche Kompensationsleistungen usw.).

    Mit dem vorliegenden Beitrag wurde schließlich versucht, zu einer verbesserten Datenlage über die Lebensbedingungen behinderter Frauen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention (UN- BRK; vgl. Kap. 1) beizutragen. Der hier vorgenommene Vergleich der Mikrozensus-Daten der Jahre 2005 als Zeitraum vor der UN-BRK, 2009 zum Zeitpunkt der Ratifizierung der UN-BRK durch Deutschland, 2013 als erster Zeitraum unter dem politischen Einfluss der UN-BRK, ist jedoch im engeren Sinne noch nicht dazu geeignet, positive Auswirkungen der UN-BRK auf die soziale Lage behinderter Frauen nachzuweisen. Er sollte in den kommenden Jahren möglichst fortgesetzt werden.

    Literatur

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    Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen (2009): Alle inklusive! Die neue UN-Konvention, Berlin. www.behindertenbeauftragte.de/alle-inklusive. Abrufdatum: 07.07.2010.

    Bretländer, Bettina u. Ulrike Schildmann (2011): Geschlechtersensible Inklusionsforschung vor dem Hintergrund der neuen UN-Konvention (vor allem Artikel 6, 23, 24, 27, 28). In: Petra Flieger, Volker Schönwiese (Hrsg.): Menschenrechte – Integration – Inklusion, Bad Heilbrunn/Obb. (Klinkhardt), S. 39 – 45.

    BRK-Allianz – German CRPD Alliance (2014): Submission by the German CRPD Alliance (BRK-Allianz) for the List of Issues on Germany Committee on the Rights of Persons with Disabilities, 11th session, 31 Mar – 11 Apr 2014. www.isl-ev.de. Abrufdatum: 13.05.2014.

    Institut der deutschen Wirtschaft Köln e. V. (2015): REHADAT-Statistik. Mikrozensus – Ausgewählte Daten. www.rehadat-statistik.de/de/behinderung/Mikrozensus/REHADAT-Statistik. Abrufdatum: 13.09.2015

    Libuda-Köster, Astrid u. Brigitte Sellach (2009): Lebenslagen von behinderten Frauen in Deutschland – Auswertung des Mikrozensus 2005 – (Langform und Kurzform). In: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Homepage: www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/Publikationen/publikationsliste,did=132950.html. Abrufdatum: 10.06.2015.

    Libuda-Köster, Astrid u. Ulrike Schildmann (2016): Institutionelle Übergänge im Erwachsenenalter (18–64 Jahre). Eine statistische Analyse über Verhältnisse zwischen Behinderung und Geschlecht. In: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete (VHN) 85, H. 1/2016, S. 7 – 24.

    Pfaff, Heiko und Mitarbeiterinnen (2007): Behinderung und Einkommen. Ergebnis des Mikrozensus 2005. In: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, Hrsg.: Wirtschaft und Statistik, Heft 2/2007, S. 193–199.

    Pfaff, Heiko und Mitarbeiterinnen (2012): Lebenslagen der behinderten Menschen. Ergebnis des Mikrozensus 2009. In: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, Hrsg.: Wirtschaft und Statistik, März 2012, S. 232–243.

    Schildmann, Ulrike (2011): Strukturkategorien Geschlecht, Alter, Behinderung. In: Renate Hinz, Renate Walthes (Hrsg.): Verschiedenheit als Diskurs, Tübingen (Narr Francke Attempto Verlag), S. 109 –118.

    Schildmann, Ulrike (2013): Wechselwirkungen zwischen Geschlecht und Behinderung von der frühen Kindheit bis ins hohe Erwachsenenalter. In: Behindertenpädagogik 52, Heft 1/2013, S.68–81.

    Statistisches Bundesamt (2014): Pressemitteilung vom 29.07.2014 – 266/14. 7,5 Millionen schwerbehinderte Menschen leben in Deutschland. https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2015/05/PD15_168_122.html;jsessionid=4E45414F0836EA5F5321A9EDE906C41E.cae2. Abrufdatum: 13.09.2015.

    United Nations/Committee on the Rights of Persons with Disabilities (2013): Consideration of reports submitted by States parties under article 35 of the Convention. Intitial reports of States parties. Germany. 19. September 2011. www.isl-ev.de. Abrufdatum: 13.05.2014.

    Kontakt und Information

    Dr. Astrid Libuda-Köster

    Institut für Projektevaluation und sozialwissenschaftliche Datenerhebung Wiesenstraße 29

    32105 Bad Salzuflen

    Tel.: (05222) 403 41

    astrid.libuda-koester@ipse-nrw.de

    Prof. Dr. Ulrike Schildmann

    Wittelsbacherstraße 9

    10707 Berlin

    Tel.: (030) 886 791 26

    ulrike.schildmann@tu-dortmund.de

    Quelle

    Ulrike Schildmann, Astrid Libuda-Köster: Zusammenhänge zwischen Behinderung, Geschlecht und sozialer Lage: Wie bestreiten behinderte und nicht behinderte Frauen und Männer ihren Lebensunterhalt? Eine vergleichende Analyse auf Basis von Mikrozensus-Daten der Jahre 2005, 2009, 2013. Erschienen in: Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW, Nr. 37/2015, S. 40-54. © gender.open

    bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

    Stand: 23.04.2019

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