Integration von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf auf dem Lehrausbildungsplatz und in die Berufsschule

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Artikel
Copyright: © Volker Rutte, Theresia Rosenkranz 1999

Integration von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf auf dem Lehrausbildungsplatz und in die Berufsschule

Frau Elisabeth Ablasser (Mutter, ISI),

Herr Dr. Peter Astner (Kammer für Arbeiter und Angestellte)

Herrn Werner Barth (Vater, ISI),

Frau Gerlinde Graf (RR, Berufsschulinspektorin, LSR Stmk.),

Frau Mag. Grainsperger (Arbeitsassistentin, BFZ Kapfenberg)

Frau Mag. Andrea Greinix (Arbeitsassistentin, Alpha Nova Compass),

Frau Mag. Karin Hacker (Arbeitsbegleiterin, Jugend am Werk),

Herrn Dr. Heinz Kallab (Wirtschaftskammer Stmk.),

Frau Reingard Klintschar (Berufsschuldirektorin),

Frau Claudia Knoll (Prozeßverantwortliche, BFZ Kapfenberg),

Herr Werner Lerch (Kammer für Arbeiter und Angestellte)

Herrn Werner Namor (Stmk. Landesregierung, RA 9),

Herrn Heinz Oberhofer (Bundessozialamt),

Frau Elisabeth Österreicher (Mutter, ISI),

Herrn Robert Reitzer (Bundessozialamt),

Frau Mag. Theresia Rosenkranz (Mutter, ISI, Leitung des Arbeitskreises),

Herrn Volker Rutte (ZIB, Beratungsstelle LSR Stmk., Schriftführung des Arbeitskreises),

Frau Christa Schalamon (Berufsschullehrerin),

Frau Birgit Schloffer (Arbeitsassistentin, Odilien Institut),

Herrn Johannes Steinbach (Stmk. Landesregierung, Lehrlingsreferat)

Frau Dr. Daniela Treiber (Mutter, ISI),

Frau Mag. Ursula Udl (Mutter, ISI),

Frau Dr. Eva Wakonigg (Mutter, ISI),

Frau Edith Weber (Mutter, ISI),

Frau Mag. Gabriele Weninger (Verein für behinderte Kinder und Jugendliche),

Frau Mag. Maria Zeyringer (Bereichsleitung Rehabilitation, BFZ Kapfenberg),

sowie mit Unterstützung von

Herrn Josef Bauer (Stmk. Landesregierung, Fachabteilung Sozialwesen),

Herrn Egon Bößner (Landesschulinspektor, LSR Stmk.).

Diese Modellbeschreibung ist eine Maßnahme für die soziale Integration behinderter Jugendlicher und gründet auf folgenden öffentlichen Willenserklärungen:

"Österreich bekennt sich zur "vollen Teilnahme" und Integration behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben. Dazu gehört auch das Recht auf volle Teilnahme am schulischen Leben. Die Steiermärkische Landesregierung wird aufgefordert, an die Bundesregierung heranzutreten, sie möge beschließen, daß entsprechend der Zielsetzung der von der UN erklärten Dekade behinderter Menschen das Recht auf volle Teilnahme am schulischen Leben verwirklicht wird." (einstimmig gefaßter Beschluß des Steiermärkischen Landtages vom 10.4.1992)

"Im Bereich der Behindertenintegration sind alle geeigneten Maßnahmen - einschließlich der Vorbereitung allfälliger Gesetzesvorschläge - zu ergreifen, um sicherzustellen, daß die vollständige soziale Integration und individuelle Entfaltung geistig oder körperlich behinderter Kinder und Jugendlicher in allen Lebensbereichen gewährleistet ist. Weiters ist darauf hinzuwirken, daß diese Maßnahmen auch im selbständigen Wirkungsbereich der Länder realisiert werden." (Entschließung des österreichischen Nationalrates vom 14.7.1994)

"Niemand darf aufgrund seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder, Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten." (Artikel 7, Abs. 1 der österreichischen Bundesverfassung, Ergänzung vom 14.8.1997)

1. Begründung

Diese Modellbeschreibung dient der Fortsetzung der sozialen Integration in der Pflichtschule, der Vorbereitung der Integration behinderter Menschen am Arbeitsplatz und entspricht einem Elternwunsch.

Schüler mit SPF sind meist entwicklungsverzögert und brauchen längere Förderung.

Es geht darum, Arbeit für den einzelnen behinderten Menschen zu finden, und dies durch Ausbildung zu unterstützen.

Im Bundesland Steiermark ist pro Jahr mit 300 bis 350 Pflichtschulabsolventen mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu rechnen.

2. Zielgruppe

Schüler(innen) mit sonderpädagogischem Förderbedarf, insbesondere jene mit körperlicher, geistiger oder Sinnesbehinderung.

3. Voraussetzungen

Voraussetzung für die Aufnahme in die Berufsschule ist der Abschluß der Pflichtschule, ein Gutachten über den Sonderpädagogischen Förderbedarf und ein Teilqualifizierungslehrvertrag für individuell erreichbare Berufsbildinhalte.

Die Berufsfindungsphase erfolgte im 9. Schuljahr der Pflichtschule. Nach Möglichkeit sollte ein 10. Schuljahr zur erweiterten Berufsfindung besucht werden können.

Vorinformationen über Wünsche, Fähigkeiten und Möglichkeiten des Schülers werden vom Lehrer (der Lehrerin) durch den Kontakt zu der zuletzt besuchten Schule / Institution und zu den Eltern / de(m/r) Jugendlichen eingeholt.

Es ist zwischen Pflichtschüler und außerordentlichem Schüler (Externist, ohne Lehrverhältnis) zu unterscheiden. Der Antrag auf Aufnahme eines außerordentlichen Schülers ist von den Eltern oder Erziehungsberechtigten beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Abteilung für gewerbliche Berufsschulen, für die jeweilige Berufsschule zu stellen. Es besteht die Möglichkeit, als außerordentlicher Schüler verschiedene Ausbildungsgänge versuchsweise zu besuchen.

4. Ausbildungsplatzsuche

4.1. Die Ausbildungsplatzsuche beginnt in der Berufsfindungsphase der Pflichtschule. Im Rahmen von "Schnuppertagen", die im Bedarfsfall zusätzlich betreut werden, z.B. durch bereits hier beginnende Arbeitsbegleitung als Unterstützungsmaßnahme im Betrieb, werden dabei sowohl die Interessen des Schülers, als auch die Arbeitsvoraussetzungen in den Betrieben kennengelernt.

4.2. Eine Unterstützung des Jugendlichen bzw. seiner Eltern, beispielsweise als Arbeitsbegleitung oder Arbeitsassistenz, ist notwendig. Diese erfolgt in der Schule, in Betrieben und in der Übergangsphase zwischen Schule und Beruf bei der Suche eines Lehrausbildungsplatzes und kann verschieden lang dauern.

4.3. Vorinformationen über Wünsche, Fähigkeiten und Möglichkeiten des Schülers werden von der Arbeitsbegleitung oder Arbeitsassistenz durch den Kontakt zu der zuletzt besuchten Schule / Institution und zu den Eltern / de(m/r) Jugendlichen eingeholt. Dabei werden auch individuelle Vereinbarungen über den Inhalt des Teilqualifizierungslehrvertrages getroffen. Besondere medizinische branchenspezifische Berufshindernisse sollen nachgewiesen werden.

4.4. Ziel der Ausbildungsplatzsuche ist ein Teilqualifizierungslehrvertrag. Es kommen Betriebe der Wirtschaft, der öffentlichen Hand und eigene Betriebsgründungen in Frage, aber auch z.B. freie Berufe.

4.5. Es sind verschiedene Förderungen, sowie finanzielle Unterstützung für Betriebe, die einen Lehrling mit erhöhtem Förderbedarf anstellen, vorgesehen.

5. Rahmenbedingungen

5.1. Die Integration von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die Berufsschule soll als Schulversuch beginnen.

5.2. Die Klassenschülerzahl wird im Fall der Einzelintegration eines Schülers mit sonderpädagogischem Förderbedarf nach Möglichkeit verringert. Die Verringerung ist individuell und berufsspezifisch verschieden, ihre Begründung liegt in möglichen Gefahren, sowie im Zeitdruck der geblockten Ausbildung.

5.3. Auf die individuell, für die Bedürfnisse des(r) Jugendlichen mit Behinderung abgestimmte Ausstattung ist zu achten.

5.4. Eine Befreiung von einzelnen Gegenständen kann durch den Landesschulrat erfolgen.

5.5. Die Sensibilisierung der Klasse hinsichtlich Behinderung und Integration soll erfolgen.

5.6. Ein Stützlehrer für das Erstellen eines individuellen Ausbildungsplanes in Kooperation mit dem Betrieb und dem Fachlehrer, für zusätzlichen Förderunterricht und zur lebenspraktischen Förderung soll möglich sein. Sein Einsatz hängt von Art und Grad der Behinderung des Schülers ab. Die Zuteilung erfolgt durch den Landesschulrat.

5.7. Eine Arbeitsbegleitung oder Arbeitsassistenz zur individuellen Qualifizierung im Betrieb kann nötig sein. Sie unterstützt die Jugendlichen beim Erlernen der Arbeitsabläufe, initiiert die soziale Integration in den Kreis der Arbeitskolleg(inn)en, kann Unsicherheiten im Umgang mit Menschen mit Behinderung begegnen und die Bereitschaft zur Akzeptanz unterschiedlicher Leistungsfähigkeit stärken, fördert die Entwicklung angemessener sozialer Kompetenz (Umgang mit Kolleg(inn)en und Vorgesetzten, Teamarbeit, Zuverlässigkeit, Übernahme von Verantwortung im Arbeitsbereich) der Jugendlichen, erkennt Problemsituationen und Krisen frühzeitig und sucht mit nach Lösungsmöglichkeiten, sucht für die Jugendlichen eine Vertrauensperson im Betrieb. Im Rahmen eines Projektes kann die Arbeitsbegleitung oder Arbeitsassistenz vom Bundessozialamt gestellt und vom Arbeitsmarktservice und von den Ländern mitfinanziert werden.

5.8. Einige Jugendliche, insbesondere solche mit Körper- und Sinnesbehinderungen, brauchen eine Pflegehilfe, bzw. eine(n) Persönliche(n) Assistente(i)n.

6. Mögliche Individualisierungsmaßnahmen im Unterricht

6.1. Grundsätzlich handelt es sich um Individualisierung für den Einzelfall, nicht für eine Kategorie von Menschen mit Behinderung.

6.2. Zu den möglichen pädagogischen Maßnahmen der Individualisierung zählt die operationalisierte Gliederung des Unterrichtsstoffes in Bereiche und Fragen.

6.3. Die Veranschaulichung des Stoffes wird durch möglichst viele Sinne, sowie durch Lehrmittel erfolgen.

6.4. Die Hilfe durch Mitschüler (Peer-education) wird unterstützt.

6.5. Die Einbeziehung von Eltern in den Unterricht kann Individualisierung und Förderung

erleichtern.

7. Leistungserhebung und Leistungsbeurteilung

7.1. Sowohl bei den Fachprüfungen und Schularbeiten, als auch bei der Lehrabschlußprüfung über Teilqualifikationen geht es darum, die individuelle Leistung genau, aber selektionsfrei zu beurteilen.

7.2. Ein Problem für Schüler mit SPF beim Erbringen einer definierten Leistung ist der zeitliche Rahmen von Prüfungen und Schularbeiten. Daher werden Überlegungen getroffen, wie die nötige Zeit zur Verfügung gestellt werden kann, ohne dadurch eine verringerte Leistung zu fordern. Eine Möglichkeit sind Nachtragsprüfungen, die bis zum nächsten Jahrgang zu absolvieren sind.

7.3. Bei geistig, körper- und sinnesbehinderten Schülern ist der erreichbare Stand des Unterrichts zu beurteilen, "soweit die Bildungs- und Lehraufgabe des betreffenden Gegenstandes grundsätzlich erreicht wird".

7.4. Schüler mit SPF erhalten ein reguläres Zeugnis der Berufsschule. Um die individuelle Leistung ausreichend und konkret zu beschreiben, ist ein verbaler Zusatz nötig. Sollten vom Regelfall abweichende Individualisierungsmaßnahmen getroffen worden sein, so werden diese im Zeugnis vermerkt. Außerordentliche Schüler erhalten eine Besuchsbestätigung, die die gleichen Zusätze wie ein Zeugnis enthalten kann.

7.5. Die Lehrabschlußprüfung über Teilqualifikationen kann in Komponenten aufgeteilt werden. Die in der Ausbildung erlernten Fähigkeiten, Fachkenntnisse, das Wissen und die Eigenständigkeit bei der Durchführung der Aufgaben werden überprüft.

7.6. Das Lehrabschlußzeugnis über die Teilqualifikationen enthält eine taxative Aufzählung der erlernten Fähigkeiten und Fertigkeiten.

8. Lehrerfortbildung und -stützmaßnahmen

8.1. Integration in die Berufsschule setzt Engagement des Lehrkörpers voraus.

8.2. Spezielle Lehrerfortbildung (auch SCHILF) für Berufsschullehrer durch das Pädagogische Institut: Hintergrundwissen über Behinderungen, Didaktik für lernschwache Schüler, Normalisierungsprinzip, Information über Hilfsmittel für körper- und sinnesbehinderte Menschen, Erwerb einer positiven Einstellung gegenüber Menschen auch mit geistiger und mehrfacher Behinderung.

8.3. Inanspruchnahme der Beratungsdienste (Integrationsberatung, Schulpsychologie, Lehrlingspsychologe des Landes, Sonderpädagogisches Zentrum)

8.4. Zusammenarbeit mit den Eltern, den unterstützenden und begleitenden Diensten.

Quelle:

Vollker Rutte, Theresia Rosenkranz: Integration von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf auf dem Lehrausbildungsplatz und in die Berufsschule

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 30.03.2005

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