Menschen mit Lernschwierigkeiten als politische Akteure im sozialen Nahraum

Sozialethische Begründungen und Perspektiven

Autor:in - Anna Lena Roemer
Themenbereiche: Theoretische Grundlagen
Textsorte: Masterarbeit
Releaseinfo: Masterarbeit; Eingereicht bei Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl; Studiengang Soziale Arbeit (M.A.), Intercultural Community Work der katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin.
Copyright: © Anna Lena Roemer 2016

Abbildungsverzeichnis

    Abstract:

    Die Arbeit führt zunächst an in welchem dialektischen Verständnis die Begriffe der Behinderung im Allgemeinen und der Lernschwierigkeit im Speziellen zu verstehen sind. Zusätzlich wird anhand der Betrachtung der umfassenden Anerkennung der Eigenlogik im Verhalten und der Autonomie von Menschen mit Lernschwierigkeiten das der Arbeit zu Grunde liegende Verständnis eines dichotomen Verhältnisses von Gesellschaft und Individuum erarbeitet.

    Die Auseinandersetzung mit diesen Begriffen ist grundlegend, um die im weiteren Verlauf erarbeiteten Begriffe des sozialen Nahraums, der politischen Akteurin, sowie der Zivilgesellschaft immer wieder an ebendieses Grundverständnis von menschlicher Tätigkeit zu binden. Durch diese enge Rückkopplung entsteht in der Auseinandersetzung mit dem Begriff der politischen Teilhabe eine erste Kernthese der Arbeit. In der Annahme, dass Sozialraum nur als Beziehungsraum existiert und so nur in der Interaktion Bedeutung hat, steckt die Grundlage der These, dass es nicht möglich ist nicht teilzuhaben. Im Gegenteil wird herausgearbeitet, dass eine Absprache der Fähigkeit teilzuhaben im Umkehrschluss eine Absprache der menschlichen Würde bedeutet. Diese These wird gestützt durch die Ausarbeitungen zum Capability Approach nach Nussbaum und Sen. Zusätzlich wird in Anbetracht des zu Grunde liegenden Behinderungsbegriffs deutlich, dass eine Aberkennung im Sinne einer Missachtung einer menschlichen Fähigkeit, im Sinne einer Befähigung, wie Nussbaum sie hier versteht, den Moment darstellt in dem sich individuelles Verhalten, welches als anders bewertet wird, in einem gesellschaftlichen Verhältnis als Behinderung manifestiert wird.

    Hier zeichnet sich eine weitere wichtige These. Durch die Anerkennung der Befähigung und die Gewährleistung positiver Freiheiten, wird eine Behinderung im dargestellten Verständnis als Diskriminierung in der sozialen Interaktion verhindert und es entsteht die begründete Annahme, dass politische Teilhabe von Menschen mit Lernschwierigkeiten somit als Prävention zur Verhinderung einer solchen Behinderung verstanden werden kann. Unterstützend werden an dieser Stelle Elemente des Capability Approach dargestellt, die unter Berücksichtigung der von Sen erarbeiteten Entwicklungen der positiven Freiheiten und dem Katalog der menschlichen Befähigungen nach Nussbaum, herausstellen sollen, dass die subjektive Erfahrung politischer Selbstwirksamkeit strukturierend auf das Individuum und somit ebenfalls auf gesellschaftliche Prozesse wirkt.

    1. Einleitung

    „Tätig und interessiert uns einlassend auf die Prozesse der Wechselwirkungen von Ich und Nicht-Ich, werden wir zu selbstbewußten Subjekten eben dadurch, daß wir uns den Ansprüchen der Anderen aussetzen, und so unsere individuelle Vereinzelung durchbrechen.“

    Adalbert Rang

    In der vorliegenden Master Thesis wird mittels mehrerer Begriffsdiskurse die Frage bearbeitet, inwiefern Menschen mit Lernschwierigkeiten im Kontext politischer Teil-habe eine sehr spezielle und gravierende Form der Aberkennung erfahren.

    Als Grundlage für die aufgezeigten Begründungszusammenhänge dienen differenzierte Ausarbeitungen des Behinderungsbegriffs, sowie der Begriffe des Sozialen Nahraums, der Handelnden im Kontext politischer Teilhabe und der Zivilgesellschaft. Es werden Schnittmengen und Abhängigkeiten der Begriffe herausgearbeitet und somit das Spannungsfeld verdeutlicht, in dem besonders Menschen mit Lernschwierigkeiten sich bewegen.

    Der Fokus wird hierbei auf der begründeten Annahme liegen, dass sich der Soziale Raum in der Interkation gestaltet und als Beziehungsraum existiert. Davon ausgehend lässt sich schließen, dass es Menschen grundsätzlich nicht möglich ist nicht teilzuhaben, da sich der Raum in dem Tätigkeit und Miteinander stattfinden überhaupt nur durch ebendiese in einem dichotomen Verhältnis konstruiert. Dennoch erleben Menschen mit Lernschwierigkeiten heute in diesem Spannungsverhältnis massiv in ihrer Teilhabe im Sozialraum eingeschränkt zu sein. Durch die Auseinandersetzung mit der Definition von Behinderung als Einschränkung in der sozialen Interaktion, wird dieses Spannungsverhältnis noch überspitzt.

    Weiterführend findet eine Auseinandersetzung mit dem Capability Approach und den hier benannten Verwirklichungschancen als Moment der Überführung menschlicher Befähigung (capabilities) in Handlungsmöglichkeiten statt. An dieser Stelle werden zunehmend Perspektiven für Menschen mit Lernschwierigkeiten in ihrer Rolle als politische Akteurinnen aufgezeigt. Das Verständnis von Politik ist hier nicht eine ausgelagerte Bürokratie außerhalb der Lebenswelten der Individuen, sondern ein grundlegenderes im Sinne, dass jedes zielgerichtete Handeln, das in seinem Kern strukturierend und ordnend auf den sozialen Raum wirkt, als politisches Handeln zu verstehen ist.

    Abgeleitet aus den Diskursen der Schlüsselbegriffe dieser Thesis und der Betrachtung der Elemente des Capability Approach, wird ein Konzept politischer Selbstwirksamkeit erarbeitet, das abbilden soll inwiefern politisches Handeln von Menschen mit Lernschwierigkeiten, welches als erfolgreich und logisch empfunden wird, relevant ist für eine aktive Zivilgesellschaft.

    Das Interesse an der Fragestellung ergibt sich u.a. aus der Wahrnehmung der politischen Aktivitäten in Deutschland. Besonders im Raum der zivilgesellschaftlichen Selbstorganisation, also in Aktionsbündnissen, Vereinen, Verbänden, aber auch strukturell komplexer Selbstorganisation wie Nachbarschaftshäusern, treten Menschen mit Lernschwierigkeiten selten als aktive Multiplikatorinnen, bzw. Vertreterinnen ihrer eigenen Interessen, oder solidarisch als Unterstützerinnen, auf. Geht es um die politische Forderung nach Barrierefreiheit ist die Expertise von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen immer gefragter, während Menschen mit Lernschwierigkeiten einem nach wie vor selten begegnen. Dies, obwohl bspw. die Forderung nach leichter Sprache zunehmend ebenfalls als Forderung nach Barrierefreiheit verstanden wird. Auch bei der Lektüre verschiedener Artikel zum Thema politische Teilhabe von Menschen mit Lernschwierigkeiten wurde deutlich, dass dieses Feld kaum erschlossen ist. Im Rahmen ihrer Diplomarbeit zum Thema fasst Postek dieses Problem sehr passend zusammen und stellt fest, das Literatur zum Thema „dürftig bis gar nicht vorhanden zu sein [scheint], und [dies] lässt die Frage aufwerfen, wieso dies der Fall ist, da doch Teilhabe am politischen Geschehen als ein Menschrecht zu sehen ist“.[1]

    Diese Thesis entsteht in dem Anspruch in sozialethischen Konzepten nach Legitimationen zu suchen und eine Argumentation zu zeichnen, in der deutlich wird, dass aktive politische Teilhabe von Menschen mit Lernschwierigkeiten unumgänglich und wichtig für zivilgesellschaftliche Prozesse und die eigene Wahrnehmung der Menschen selbst ist. Also als ein Menschenrecht zu verstehen ist.

    Die Betrachtung der sozialethischen Fragestellung findet von einer heilpädagogischen Perspektive aus statt. Dies wird besonders aufgrund der ausführlichen Auseinandersetzung mit dem Begriff der Lernschwierigkeiten deutlich und in der Annahme, dass eine genaue Betrachtung der Ebene der individuellen Wahrnehmung der Welt und der Logik der Handlungen von Menschen mit Lernschwierigkeiten, eine wichtige Rolle in Bezug auf Teilhabeprozesse zukommen. Steht die Sozialethik als Philosophie in der Tradition, vor dem Hintergrund der Anerkennung der Unantastbarkeit der Würde des Menschen, zu analysieren inwiefern gesellschaftliches Handeln gerecht und sittsam ist, bietet sie an dieser Stelle die richtige Färbung um zu analysieren inwiefern Teilhabe von Menschen mit Lernschwierigkeit an zivilgesellschaftlichen politischen Prozessen ethisch notwendig und begründbar ist.[2] Der Begriff der Menschenwürde erschließt sich im Rahmen der Thesis in der Auseinandersetzung mit Martha Nussbaum und ihrer Betrachtung der menschlichen Befähigungen.

    Im Verlauf der Arbeit wird zur Darstellung von Personen, deren Geschlecht unbekannt oder nicht relevant ist die Schreibweise des generischen Femininums genutzt. Dies bedeutet, dass generell weibliche Pronomen und Substantive genutzt werden, außer es handelt sich um bestimmte Personen, deren Geschlecht im Kontext relevant erscheint. Aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit wird die männliche Form mitgedacht, nicht aber ausdrücklich geschrieben. Grundlegend gilt, dass sobald in der Thesis Personen als Gruppe abgebildet werden, eine Vielfalt gemeint ist, die im Rahmen eines inklusiven Verständnisses Menschen mit jeglicher Form von Behinderung, Beeinträchtigung und Psychatrieerfahrung, Menschen mit unterschiedlichen Herkünften und Migrations- sowie Fluchterfahrungen, Bildungsgraden und Geschlechteridentitäten beschreibt. Angesprochen sind jederzeit Menschen im Verständnis des Personenbegriffs, der im Laufe der Thesis herausgearbeitet wird, unabhängig vom Status in bürokratischen und staatlichen Institutionen.



    [1] Postek, 2009, elektronisches Manuskript beinhaltet keine Seitenangabe.

    [2] Vgl. Kerber, 1998, 9ff.

    2. Personenkreis Menschen mit Lernschwierigkeiten

    Im Verlauf der Auseinandersetzungen wird die Bezeichnung „Menschen mit Lern-schwierigkeiten“ der gängigeren Bezeichnung „Menschen mit geistiger Behinderung“ vorgezogen. Für diese Entscheidung gibt es mehrere Gründe, auf die zunächst eingegangen werden soll. Weiterführend wird ein Verständnis von Behinderung dargestellt, welches ebenjene als Moment nicht gelingender Interaktion definiert und verdeutlicht, welche Zusammenhänge thematisiert werden, wenn im Verlauf der Arbeit der Begriff der Behinderung verwendet wird. Überleitend zur Auseinandersetzung mit den Begriff des sozialen Nahraums wird in diesem Kapitel abschließend die Anerkennung der Eigenlogik und die Anerkennung des subjektiven Sinns der Handlungen von Menschen mit Lernschwierigkeiten thematisiert.

    2.1. Vorrang der Selbstbezeichnung

    Die Diskussion um die zutreffende Bezeichnung für diesen Personenkreis ist immer in Bewegung, da immer neue Kritik an Bezeichnungen geäußert wird. Im Interesse dieser Ausarbeitung ist daher, nur einen augenblicklichen Arbeitsbegriff zu finden, der verdeutlicht, dass die Situation eines Personenkreises thematisiert wird, dem gemein ist, dass seine Zugänge zur und seine Wahrnehmung der sozialen und materiellen Welt sich anders gestalten, als unsere Gesellschaft in ihrer derzeitigen Struktur und den entsprechenden Wertevorstellungen es als Norm empfindet.

    In seiner Definition schreibt Otto Speck, dass der Begriff der geistigen Behinderung Menschen kennzeichnen solle, „die auf Grund komplexer Dysfunktionen der hirnneuralen Systeme erhebliche Schwierigkeiten haben, ihr Leben selbstständig zu führen, und die deshalb lebenslanger besonderer Hilfe, Förderung und Begleitung bedürfen“.[3] Er räumt ein, dass der Begriff problematisch geworden ist, da die Implikationen, die er mittlerweile mit sich bringt, abwertend und stigmatisierend sind. Er macht weiterhin darauf aufmerksam, dass bisher kein adäquater Begriff gefunden werden konnte, der die kognitiven Besonderheiten der Menschen beschreibt und gleichzeitig als Rechtsbegriff fungieren kann.[4] Auch Dederich räumt in seiner Reflexion des Begriffs Behinderung ein, dass besonders professionelle Helfer Begriffe brauchen, um arbeitsfähig zu sein, „[u]m sich verständlich zu machen und zu kennzeichnen [sic!] wovon sie reden, müssen sie mit Benennungen operieren“.[5] Er betont, ähnlich wie Speck, dass diese Benennungen „die Tendenz [haben], negative Konnotationen anzunehmen bzw. selbst zu Negativbegriffen zu werden“.[6] Er beschreibt, dass die Nutzung der Begriffe für professionelle Helfer in Sonder- und Heilpädagogik so lange sinnvoll und adäquat war, bis Menschen mit Behinderungen selbst im Rahmen ihrer politischen Emanzipation ebendiesen Begriff bemängelten.[7]

    Dederich setzt sich in seiner Erhebung des Begriffs auch mit der Frage auseinander, inwiefern Benennungen im Kontext der Behindertenhilfe überhaupt gebraucht werden. Ein wichtiges Argument ist bereits angeführt, professionelle Helfer, aber auch rechtliche Regelungen brauchen derzeit Benennungen, um Ansprüche zu determinieren bzw. die Zielgruppe von Hilfen zu bestimmen.[8] Ein weiteres Argument für eine Debatte um den Begriff ist allerdings auch, dass dieser strategisch verwendet werden kann. Dederich schreibt hierzu, dass eine solche Verwendung des Begriffs genutzt werden kann, „um Menschen mit Behinderung als gesellschaftlich benachteiligte, ausgegrenzte und unterdrückte Gruppe kenntlich und im politischen Diskurs sichtbar zu machen“.[9] In diesem Sinne wird in dieser Arbeit der Begriff „Menschen mit Lernschwierigkeiten“ genutzt, welchen der hier besprochene Personenkreis selbst gewählt hat. Nicht um Benachteiligung und Unterdrückung herauszuarbeiten, sondern um strategisch im Sinne des Paradigmas der Selbstbestimmung die Anerkennung der Autonomie des Personenkreises zu verdeutlichen.

    Die Interessensvertretung von Menschen mit Lernschwierigkeiten „Mensch zuerst Netzwerk People first e.V.“ fordert bereits seit einigen Jahren die Umsetzung der offiziellen Begrifflichkeit auf „Menschen mit Lernschwierigkeiten“. Die Bezeichnung als geistig behinderte Menschen stellt sie in ihrem Grundsatzprogramm in Frage: „Wir werden leider oft noch geistig behindert genannt. Wir finden, das macht uns schlecht. Wer hat das Recht zu sagen, ob wir gut oder nicht gut denken können?“[10] Ihren Ursprung hat diese Forderung in der amerikanischen Empowerment Bewegung.[11] Die amerikanische Mutterorganisation der „People First“ Bewegung nutzt im Rahmen ihrer Vollversammlung im Jahre 1991 erstmals den Begriff der „Self Advocacy“.[12] Der Kern dieser Strömung wird, laut Theunissen, von der Organisation beschrieben als Unterstützung und Befähigung zur adäquaten Meinungsäußerung sowie dem Verstehen von Pflichten, die entstehen, sobald Menschen sich Rechte ein-fordern.[13]

    Mit der Wahl des Begriffes „Menschen mit Lernschwierigkeiten“ wird die Deutungshoheit der Selbstvertretungsorganisation anerkannt. Dies geschieht maßgeblich vor dem Hintergrund der Haltung, dass die Lebenssituation der Betroffenen sie zu Experten macht. Mit dieser Anerkennung wird u.a. versucht, einem Verhalten entgegenzuwirken, das Speck und Dederich bereits ansprechen und Biewer konkreter wie folgt beschreibt:

    „Im direkten Umgang ist es uns klar, dass der Begriff [der geistigen Behinderung,] eine Abwertung darstellt und dass niemand, der den Sinn des Wortes versteht, so genannt werden möchte. In der Öffentlichkeit, in fachlichen Kontexten wird der Begriff jedoch verwendet, wenn Menschen sich über Dritte unterhalten, der Bezeichnete aber nicht direkt angesprochen wird.“[14]

    Über die mit diesem Phänomen einhergehenden Implikationen sagt er weiterhin: „Dieser Umstand verdeutlicht, dass geistige Behinderung etwas Peinliches für den Betroffenen ist, eine Eigenschaft, deren Anwendung auf sich selbst er nicht akzeptieren kann.“[15]

    Ergänzend sei auch Vanolis Diskurs zum Begriff beschrieben, in dem sie sehr deutlich ausarbeitet, dass eine begriffliche Festlegung besonders im Hinblick auf Leistungsansprüche und Fördermittel beispielsweise im Bereich Schule eine Relevanz hat.[16] Demgegenüber stellt sie die wissenschaftliche Auseinandersetzung in der sie, in Anlehnung an Speck und Theunissen, die ausgrenzende Sphäre des Begriffs der geistigen Behinderung betont.[17]

    Allen vorgestellten Positionen ist gemein, dass sie auf die diskriminierenden Tendenzen in der Bezeichnung „geistige Behinderung“ aufmerksam machen und in dem Begriff eine Stigmatisierung, also eine „Eigenschaft, die zutiefst diskreditierend ist“, erkennen.[18]

    Im Verlauf der Auseinandersetzungen wird deutlich werden, dass Anerkennung, als Konterpunkt zur diskreditierenden Stigmatisierung, ein grundlegendes Element ist, damit Menschen sich erfolgreich handelnd erleben können. In dieser Denktradition ist es nur konsequent, das Engagement und die Kritik der Expertinnen in eigener Sache wertzuschätzen und die gewünschten Vokabeln zu übernehmen.

    2.2. Behinderung als Diskriminierung in der sozialen Interaktion

    Ein weiterer Kritikpunkt, der in der Debatte um die korrekte Bezeichnung des Personenkreises angebracht wird, ist das

    „Argument der Individualisierung: Der Begriff transformiert ein gesellschaftlich und sozial bedingtes Phänomen in ein individuelles Problem und verdeckt damit die Tatsache, dass Behinderung eine Folge von gesellschaftlich definierten Erwartungen, sozialen Reaktionen auf Andersartigkeit, nicht gelingendem Umgang mit Verschiedenheit, dysfunktionalen Passungsverhältnissen zwischen Individuum und Umwelt […] ist.“.[19]

    In seiner Ausarbeitung spricht bspw. Speck an, dass die abwertenden Implikationen im sozialen Kontext das eigentliche Problem des Begriffs markieren, er lässt allerdings einen wichtigen Einfluss der sozialen Welt außen vor. Denkt man Specks angesprochenen Punkt, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten in diesem Sinne lebenslange Förderung und Unterstützung zur Lebensgestaltung brauchen, weiter, stellt sich die Frage, inwiefern diese Unterstützung und Förderung sich auf das einzelne Subjekt konzentrieren muss.

    Der Kritikpunkt, der sich hier an dem Begriff der geistigen Behinderung ergibt, ist nicht nur die negative soziale Implikation, sondern maßgeblich ebendiese Individualisierung einer Problematik, die sich erst in der Auseinandersetzung mit der Umwelt konstituiert. Eine Definition, die Behinderung individualisiert, klammert aus, dass die Probleme in der Bewältigung alltäglicher Aufgaben und dem Umgang mit hochkomplexen Strukturen und Abläufen überhaupt nur den Moment darstellen, in dem Behinderung entsteht. Es wird suggeriert, Lernschwierigkeiten wären etwas Vorgeordnetes, das bereits die Wahrnehmung der Umwelt einschränkt. Das Verständnis von Behinderung, das dieser Arbeit zu Grunde liegt, widerspricht dieser Haltung. Jantzen fasst diesen Ansatz wie folgt zusammen:

    „Behinderung kann nicht als naturwüchsig entstandenes Phänomen betrachtet werden. Sie wird sichtbar und damit als Behinderung erst existent, wenn Merkmale und Merkmalskomplexe eines Individuums aufgrund sozialer Interaktion und Kommunikation in Bezug gesetzt werden zu gesellschaftlichen Minimalvorstellungen über individuelle und soziale Fähigkeiten. Indem festgestellt wird, daß [sic!] ein Individuum aufgrund seiner Merkmalsausprägung diesen Vorstellungen nicht entspricht, wird Behinderung offensichtlich, sie existiert als sozialer Gegenstand erst von diesem Augenblick an.“[20]

    Behinderung im Allgemeinen und Lernschwierigkeiten im Besonderen konstituieren sich erst in der Auseinandersetzung mit komplexer Umwelt.

    Eine ethische Rückkopplung dieser Haltung findet sich maßgeblich in den Legitimationen der materialistischen Behindertenpädagogik, die sich auf Marx' Gesellschaftsanalyse bezieht. Jantzen arbeitet vor diesem Hintergrund in seiner methodologischen Studie zur materialistischen Anthropologie und postmodernen Ethik von 2004 heraus, dass „geistige Behinderung keine andere Art menschlichen Seins, sondern Resultat der Verbesonderung spezifisch menschlicher Entwicklung in Vielfalt und Differenz unter der Bedingung der Isolation“ sei.[21]

    Besonders im Kontext der Frage, inwiefern Menschen mit Lernschwierigkeiten als Akteurinnen im sozialen Nahraum aktiv und erfolgreich handelnd sein können, gilt es genauer zu betrachten, was die Bedingung der Isolation an dieser Stelle bedeutet. Zunächst konzentriert sich die Arbeit aber auf die grundsätzlichere Frage, inwiefern soziale Interaktion und Behinderung in Zusammenhang stehen.

    Ausgehend vom Konzept des denkenden Körpers[22], ein Körper mit dem „Bedürfnis[,] in seiner Existenz zu bleiben“[23], setzt Jantzen die Verhaltensweisen des denkenden Körpers zur ihn umgebenden Umwelt in Beziehung. Er beschreibt, angelehnt an Spinoza, dass der Körper in der Auseinandersetzung mit seinen Bedürfnissen[24] in seiner Umwelt eine Entsprechung suche, die das Bedürfnis im Idealfall befriedigt und somit in eine freudvolle Handlung überführt.[25] Diese Wirkung könne der denkende Körper nur erfahren, sofern ihm in seiner Umwelt ein Gegenüber begegnet, das ebendiese Entsprechung bieten kann.

    Diese Grundannahme begegnet nicht nur im Rahmen der Ausarbeitung Jantzens, sondern auch in weiteren sozialethischen Konzeptionen. In Bubers Konzept vom Du und Ich beschreibt er wechselseitige Interaktion als „elementarste[n] subjektive[n] Sinnbildungsprozess […] im Sinne einer emotionalen Stabilität“ und damit als „Grundlage und Voraussetzung des Werdens eines Menschen“.[26] Auch Leontjevs und Wygotskis Ausarbeitungen im Rahmen ihrer kulturhistorischen Psychologie betonen, dass „sich die Konstruktion der Welt im Psychischen jedoch durch die Tätigkeit“[27] konstruiere. Jantzen führt dazu weiter aus, dass Tätigkeit sich „als bedürfnisrelevante Beziehung des Subjekts zum Objekt, […] bezogen auf die objektive Seite der Welt nur in Form von Handlungen“[28] ereigne.

    Bezogen auf einen Behinderungsbegriff, verdeutlicht Wygotski:

    „1. Der Defekt als körperliche Beeinträchtigung ist nur ein Moment der Persönlichkeitsentwicklung der betroffenen Person. Er ist eine reale Entwicklungsvoraussetzung, bestimmt aber weder den Entwicklungsverlauf noch das Entwicklungsergebnis. 2. Innerhalb der tatsächlichen Entwicklung sind die Prozesse der Kompensation entscheidend dafür, dass die Beeinträchtigung an Einfluss auf und Bedeutung für die Person verliert.“[29]

    Da individuelle Entwicklung immer als soziale Entwicklung verstanden wird[30], betont Wygotski außerdem, dass weitere Isolation als Reaktion auf eine aus fehlenden Entwicklungsmöglichkeiten entstandene Behinderung nicht logisch sei.[31]

    Auch in Luhmanns soziologischer Systemtheorie finden wir ähnliche Annahmen, die er in einer etwas anderen Logik aufschließt.

    In der Grundannahme, dass Personen als Schnittstellen (von) organischen und psychischen Systemen existieren, legt er für diese Systeme fest, dass sie sich selbst erhalten wollen. Diese sog. Autopoiese führt dazu, dass Menschen Strategien entwickeln müssen, um in Anbetracht der sie umgebenden Umwelt handlungsfähig zu sein. Handlungsfähig zu sein, bedeutet in diesem Kontext nicht nur die Lösung sozialer Konflikte, sondern auch biologische Prozesse wie beispielsweise der des Befriedigens von körperlichen Grundbedürfnissen.

    Diese Systeme existieren nun in dem Paradox, dass sie sowohl offen als auch geschlossen ihrer Umwelt gegenüber sind.[32] Sie sind somit einerseits abhängig von ihrer Umwelt, aber unterscheiden sich in den systeminternen Prozessen voneinander, können also „auch als gegenüber ihrer Umwelt geschlossen verstanden werden“.[33] Personen bedienen sich, wie alle Systeme, hierfür des Mittels der Kommunikation. Vermittelt über die Kommunikation bauen sie Erwartungen, Rollen und Programme auf, die das Kategorisieren der wahrgenommenen Umwelt vereinfachen und die Komplexität reduzieren.

    Das System entwickelt Erwartungen gegenüber anderen Systemen, denn „ohne diese Verdichtung läge die Selektionslast für Anschlußoperationen zu hoch. Erwartungen bilden sich mithin durch Zwischenselektion eines engeren Repertoires von Möglichkeiten, im Hinblick auf die man sich besser und vor allem rascher orientieren kann“.[34] Diese Erwartungen konstituieren sich also vor dem Hintergrund der Komplexitätsreduktion.

    Luhmann differenziert hier verschiedene Ebenen. Zunächst führt er den bereits kurz beschriebenen Begriff der Person ein. Diese stellt eine Art Schnittstelle verschiedener Systeme dar (psychisches System, biologisches System (Körper), etc.). Dieser Begriff soll ermöglichen, dass „in der Kommunikation eine Referenz auf psychische Systeme“[35] hergestellt werden kann.

    Der nächste Begriff, den Luhmann in diesem Zusammenhang systemisch prägt, ist der Begriff „Erwartung“.

    Erwartungen an eine Person bedeutet hier, dass Erwartungen an einen Einzelmenschen gestellt werden. Je mehr Erwartungen an eine Person gestellt werden, desto komplexer ist diese[36].

    Als nächsten Abstraktionsschritt beschreibt Luhmann die Rolle. Hier geht es nicht mehr um die Betrachtung der Person an sich, sondern spezieller um die Betrachtung der einzelnen Rollen der Person (Mutter, Vater, Lehrer, Bauarbeiter, etc.). „Es geht immer nur um einen Ausschnitt des Verhaltens eines Menschen, der als Rolle erwartet wird, andererseits um eine Einheit, die von vielen und auswechselbaren Menschen wahrgenommen werden kann“[37].

    Abstrahiert man diese Ebenen nach Luhmann noch weiter, folgen sogenannte Programme. Im Rahmen eines Programms entstehen Erwartungen, die sich nicht mehr nur an Einzelpersonen richten. Luhmann beschreibt diese als „Komplex[e] von Bedingungen der Richtigkeit (und das heißt: der sozialen Abnehmbarkeit) des Verhaltens. Die Programmebene verselbstständigt sich gegenüber der Rollenebene, wenn […] das Verhalten von mehr als einer Person […] erwartbar gemacht werden muß [sic!]“.[38]

    Entdeckt das System im Rahmen einer Kommunikation, dass diese zur gewünschten Befriedigung geführt hat, verfestigt sich die Kommunikation Strategie in Form besagter Erwartungen und Programme. Das System tendiert nun dazu, diese Strategien immer wieder anzuwenden.

    Dieser Ansatz zeigt im Kontext der Annahme, dass Behinderung eine Diskriminierung in der sozialen Interaktion darstellt, mehrere Bezugspunkte. Zunächst verdeutlicht Luhmanns Beschreibung, dass die Handlungsfähigkeit einzelner Systeme abhängig ist von anderen Systemen, er beschreibt dies in der paradoxen Aussage, dass alle Systeme offene geschlossene Systeme sind. Weiterhin wird deutlich, dass es sich bei einem beschriebenen Gegenüber nicht um einen anderen Menschen handeln muss, sondern sich Handlungsfähigkeit auch in der Befriedigung eines Bedürfnisses ausdrückt, wie beispielsweise der Verzehr eines Stück Laugengebäcks als Befriedigung des biologischen Grundbedürfnisses.

    Auch Buber arbeitet klar und deutlich heraus, dass es sich bei dem Gegenüber in der einen umgebenden Welt nicht um eine weitere Person handeln muss, sondern die Dinge an sich bereits ein Gegenüber sind. So kann bspw. der erfolgreiche Einkauf, bei dem sich der Mensch mit Lernschwierigkeit die Produkte selbst auswählen kann, als eine Handlung verstanden werden. Die vermeintliche Banalität des Beispiels verdeutlicht die großen Schwierigkeiten, die zeigen, inwiefern Behinderung als Diskriminierung in der sozialen Interaktion verstanden kann.

    Auf einer individuellen Ebene kann für manche Menschen bereits das Herausnehmen einer Dose aus dem Regal eine erfolgreiche Handlung sein. Betrachtet man diese Handlung genauer, wird deutlich, dass hier weitere Aspekte von großer Bedeutung sind. Zunächst steht die Frage im Raum, ob es tatsächlich dem subjektiven Sinn der Person entsprach, genau diese Dose zu nehmen, oder ob durch die Auseinandersetzung mit einer weiteren Person der Fokus auf diese spezielle Dose gelenkt wurde, so beispielshalber durch eine den Einkauf koordinierende Betreuerin. Im Gegensatz dazu könnte der Handlung ebenfalls ein Prozess voraus gegangen sein, in dem der Mensch sich mit seinen Bedürfnissen auseinandergesetzt und vor diesem Hintergrund selbst eine für ihn sinnvolle Entscheidung getroffen hat.

    An dieser Stelle gilt es zu betrachten, dass bereits diese Handlung, die sich zwischen einer Person und einem dinglichen Gegenstand in der Umwelt ereignet, mehrere soziale Momente beinhaltet.

    Der soziale Charakter der Handlung lässt, unter Bezug auf die Kulturhistorische Theorie, erneut die Schlussfolgerung zu, die Anne Stein wie folgt thematisiert: „Menschliche Entwicklung ist demnach an gesellschaftliche Existenzbedingungen gebunden und durch die gemeinsame Tätigkeit der Gesellschaftsmitglieder gekennzeichnet.“[39]

    Diese Implikation sowie Luhmanns Verständnis, dass Komplexitätsreduktion und somit Handlungsfähigkeit nur durch Kommunikation mit anderen Systemen und die Kategorisierung komplexer Vorgänge in Programme möglich ist, Jantzens Darstellung des denkenden Körpers und insbesondere Leontjevs Entwicklung eines Tätigkeitsbegriffs, der beinhaltet, dass intrapsychische Abbildung der objektiven Umwelt über Tätigkeit vermittelt wird, deuten zusammengenommen darauf hin, dass menschliche Aktion immer soziale Interaktion ist.[40]

    Anhand einer weiteren problematischen Ebene von Luhmanns Erkenntnis, dass menschliche Systeme in Form von Erwartungen, Rollen und Programmen kategorisieren, um handlungsfähig zu bleiben, lässt sich weiterführend erklären, dass ein solcher Mechanismus besonders in der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Menschen mit Lernschwierigkeiten zu großen Problemen führt.

    Vor dem Hintergrund des bisherigen gesamtgesellschaftlichen Umgangs mit Menschen mit Lernschwierigkeiten[41] haben sich Programme verfestigt, die dazu führen, dass diese bereits mit bestimmten Erwartungen, meist defizitärer Ausrichtung, behandelt werden. Dies zeigt sich bspw. in der Geschichte der Institutionalisierung von Menschen mit Lernschwierigkeiten.

    Goffman beschreibt in seiner Konzeption der totalen Institution einen Zustand, den Jantzen als die Bedingung der Isolation beschreibt: „If the inmate’s stay is long, what has been called „disculturation“ may occur – that is an „untraining“ which renders him temporarily incapable of managing certain features of daily life on the outside“.[42] Die Isolation innerhalb einer Einrichtung führt zu einem Verlust kulturell adäquater Verhaltensmuster. Bei einem Menschen mit Lernschwierigkeiten entsteht hier also ein Verhalten, das in weiterer sozialer Interaktion als störend oder hinsichtlich des normativen Wertesystems der Gesellschaft als unpassend angesehen wird. Dies wiederum kann zu einer Stigmatisierung führen, die Goffman ebenfalls beschreibt. Er differenziert den Begriff des Stigma als gesellschaftliche Abwertung in drei Typen: „physische Deformationen, wie z.B. körperliche Behinderungen, individuelle Charakterfehler, wie z.B. Alkoholsucht, und phylogenetische Stigmata, die mit bestimmten Rassen, Religionen und Nationen verbunden werden“.[43]

    Die Tragweite einer solchen Stigmatisierung, sowohl in der menschlichen Interaktion, als auch in der strukturell verankerten Diskriminierung, wird auch bei Gramsci deutlich. Bernhard arbeitet hierzu heraus, dass Gramsci die „idealistisch-autonomistische Konstruktion des Subjekts im Kontext des bürgerlichen Bildungsverständnisses“[44] aufhebe, und bettet die Bildung des Subjekts „in die gesellschaftlichen Re-produktionsbedingungen ein, denen die Subjektwerdung des Menschen tatsächlich unterworfen ist“.[45]

    Dederich fasst den Begriff der Behinderung als „eine von Kriterien abhängige Differenz und somit eine an verschiedene Kontexte gebundene Kategorie, die eine Relation anzeigt[,]“ zusammen.[46]

    Zusammenfassend lässt sich also demnach festhalten, dass Behinderung einen Moment sozialer Interaktion darstellt, in dem das individuelle Verhalten eines Subjekts kein Gegenüber findet und mit seinen Handlungsstrategien keine erfolgreiche Handlung erzeugen kann. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass dieser Umstand strukturierend auf das Subjekt und seine intrapsychischen Prozesse wirkt. „Das Verhältnis von Isolation und Partizipation beeinflusst wesentlich die Entwicklungs- und Lebensbedingungen des Menschen“[47], so entstehen Interdependenzen, die nichtadäquates Verhalten, das von außen betrachtet als behindertes Verhalten kategorisiert wird, verfestigen. Die im Umkehrschluss stattfindende Aberkennung, die sich durch die Annahme ausdrückt, ein adäquates Verhalten sei bei Menschen mit Lernschwierigkeiten gar nicht möglich, führt zu einer Diskriminierung in der sozialen Interaktion, die sich im Begriff der Behinderung einerseits und in behindernden Verhaltensmustern andererseits verfestigt.

    2.3. Anerkennung von subjektivem Sinn und Eigenlogik

    An dieser Stelle soll ein Problem aufgegriffen werden, das bereits aufgetaucht ist und im Rahmen der Ausarbeitung auch weiterhin aufkommen wird. Neben einer Anerkennung der Deutungshoheit ist darüber hinaus auch die Anerkennung des subjektiven Sinns der Handlungen von Menschen mit Lernschwierigkeiten eine Grundlage der Arbeit. Es wird ein Verständnis des Begriffs dargestellt, welches über das bloße strategische Einsetzen hinausgeht. Es geht auch darum anzuerkennen, dass entgegen einer augenscheinlich objektiven Vorstellung von adäquaten sinnhaften Verhalten die Logik und Autonomie von Handlungen von Menschen mit Lernschwierigkeiten anerkannt werden muss. Mehr noch ist in diesem Kontext ebenfalls zu betonen, dass eine Anerkennung der Eigenlogik, des subjektiven Sinns auch eine Anerkennung als vernünftig handelnde Person beinhaltet. Der Vernunftbegriff bezieht sich hier auf die von Nussbaum im Kontext ihrer Arbeit zum Thema Die Grenzen der Gerechtigkeit weiterentwickelten Vernunftbegriff, der im Laufe des Kapitels genauer dargestellt wird. Kern des Vernunftbegriffs ist, wie Jantzen formuliert:

    „Vernunft ist ein soziales Verhältnis, und der Inhalt unserer psychischen Prozesse entstammt den sozialen Erfahrungen in unserem Lebensprozeß [sic!], die in uns hineingenommen wurden.“[48]

    Dies ist zu betonen, da Menschen mit Lernschwierigkeiten sich in aktuellen Diskursen immer häufiger in der Position befinden in ihrer menschlichen Würde in Frage gestellt zu werden. Die im Grundgesetz verankerte Unantastbarkeit der Würde, scheint im Hinblick auf Menschen mit Behinderungen im Allgemeinen und Menschen mit Lernschwierigkeiten im Besonderen immer häufig hinfällig.[49] Im Folgenden wird es also auch darum gehen zu verdeutlichen warum ein solcher Zweifel, der sich in Form von einschränkenden Gesetzen, aber auch technologischen, medizinischen Entwicklungen immer weiter auch strukturell verfestigt, keine Grundlage besitzt.

    Bei Bourdieu finden wir diese Rückkoppelung auf eine Bezogenheit des Subjekts auf Traditionen und eine kulturelle Identität im Begriff des Habitus. Im Konzept des Habitus, ist das Subjekt „ein auch in seinem Inneren vergesellschaftlichtes Individuum, ausgestattet (und auch begrenzt) durch präformierte Denk- und Handlungsdispositionen, die es zur sozialen Praxis befähigen“[50]. Den Habitus, versteht Bourdieu als „die Haltung des Individuums in der sozialen Welt“.[51]

    Er entwickelt den Begriff in der Abgrenzung zu Denkern wie Sartre und deren Verständnis, wonach das Handeln eines Individuums sich „fast ausschließlich aus den Qualitäten des Individuums erklärt“.[52] Neben diesem Subjektivismus grenzte er sich gleichzeitig auch von objektivistischen Sichtweisen ab, er kritisiert „der Subjektivismus könne nichts über die Bedingungen der eigenen Möglichkeiten sagen, der Objektivismus nichts über die Bedingungen der Möglichkeit subjektiver Erfahrung“.[53] Er konstatiert „der wahre Sinn von Handlungen und Gegenständen ergebe sich aus deren Position im System der Handlungen oder Gegenstände. Der Sinn der persönlichen Handlungen gehöre nicht den Subjekten, er erschließe sich aus dem System der objektiven Beziehungen, in das sich die Individuen eingelassen finden“.[54] Er wollte durch diese deutliche Abgrenzung seine Position zwischen der privilegierten Sichtweise, dass jedes Individuum über sein Handeln jederzeit frei entscheiden kann und der Annahme alles Handeln sei determiniert, bspw. aufgrund der biologischen Befindlichkeiten des Individuums, finden.[55] In diesem Spannungsfeld entstand die Grundannahme zum Habitus

    Jurt beschreibt s Bestreben als Versuch „die Erfahrungen der Akteure in ein Erklärungsmodell ihres Handelns zu überführen“.[56] Er ging dabei weit über die bloße Betrachtung eines unvermittelt auftretendem Verhaltens hinaus und befasste sich mit der generellen Haltung, vor deren Hintergrund ein Individuum sich für die eine Aktion entschied während eine andere ihm nicht sinnvoll erscheint.

    Hier leitet sich folgende Ausgangsfrage ab „Wie können Verhaltensweisen geregelt sein, ohne dass ihnen eine Befolgung von Regeln zugrunde liegt?“.[57]

    Zunächst hebt Bourdieu hier das Gegensatzpaar Individuum und Gesellschaft auf, indem er die Begriffe des Habitus und die Soziale Welt gegeneinander stellt. Diese Gegenüberstellung ist nicht abgeschlossen und konträr zu verstehen, ganz im Gegenteil geht Bourdieu davon aus, dass beides sich gegenseitig bedingt und strukturiert.

    Die zweite Einsicht, die seinem Konzept zu Grunde liegt, ist, dass die soziale Welt in Strukturen aufgeteilt ist. Diese können materieller Art, allerdings auch mentaler Natur sein. Bourdieu arbeitet hier mit dem Begriff des Kapitals.

    Die Kapitalsorten, die er vorstellt sind das ökonomische, das kulturelle, das soziale und das symbolische Kapital.[58] Beim ökonomischen Kapital handelt es sich hier um materielle Werte wie Geld, während die anderen Kapitalarten immaterielle Werte darstellen, wie formalisierte Bildung, die bspw. über Institutionen erworben werden kann (kulturelles Kapital), Vernetzungen und Verpflichtungen mit anderen Menschen (soziales Kapital) und die Anerkennung, die sich aufgrund der anderen Kapitalarten für den einzelnen Menschen oder eine Gruppe ergibt (symbolisches Kapital).[59]

    Strukturen gliedern sich für Bourdieu in zwei Ebenen. Auf der Ebene der „Objektivität erster Ordnung“[60] handelt es sich um die Aufteilung der materiellen Güter und Ressourcen, sowie des beschriebenen Kapitals. Auf der Ebene der „Objektivität zweiter Ordnung“ beschreibt er mentale und körperliche Schemata.[61]

    Den Habitus versteht Bourdieu sowohl als „strukturierte Struktur“, als auch als „strukturierende Struktur“.[62] Deutlich wird diese Dichotomie bei der Betrachtung der beiden Momente, die für die Sichtbarkeit des Habitus besonders relevant sind.

    Das Verhältnis von Habitus und sozialer Welt wird auch in seinem Verständnis der Entstehung des Sinns von Handlungen deutlich. Der Sinn ist für ihn etwas Soziales, da er im Sozialen entsteht[63], „er „gehöre“ nicht den Subjekten, er erschließe sich aus dem System der objektiven Beziehungen, in das sich die Individuen eingelassen finden“.[64]

    Dennoch sieht Bourdieu den Habitus eher als ein System von Grenzen, auch, wenn die Analogie zu einem dialektischen Kreislauf eher eine gewisse Freiheit impliziert. Der Habitus manifestiert sich in Form von Dispositionen. Diese Dispositionen sind erlernte Muster, internalisierte Schemata, derer wir uns bedienen, wenn die Strukturen der sozialen Welt Ähnlichkeiten mit der Struktur aufweisen in der wir das Muster gelernt haben.[65] Es handelt sich um eine Art Programm, welches allerdings nicht zu einhundert Prozent nachvollziehbar und nachweisbar ist.

    Der Bezug auf Bourdieu und das Konzept des Habitus ist im Hinblick auf die Anerkennung der Eigenlogik des Handelns von Menschen mit Lernschwierigkeiten besonders relevant. Wie Jantzen in der Auseinandersetzung mit der Frage nach sinnhaften Handeln herausarbeitet, unterscheidet das Habituskonzept sich in grundlegenden Annahmen von anderen Konzepten. So verdeutlicht Jantzen „anders als bei Schütz (,Nur das Erlebte ist sinnvoll, nicht das erleben‘) ist bei Bourdieu das Erleben selbst in die Konfiguration von Sinn einbezogen; es ist im Habitus ebenso Resultat des Erlebten“.[66]

    Schütz sieht den Sinn einer Handlung in ihrer Zielgerichtetheit.[67] Sinn macht eine Handlung demnach nur in ihrer motivierten Gerichtetheit auf ein bestimmtes Ergebnis, „Gefühle, Affekte, Emotionen spielen lediglich eine Randrolle, da sich die Grenzen der Erinnerbarkeit mit den Grenzen der Rationalisierbarkeit decken.“[68] Dennoch wird in der Auseinandersetzung mit Schütz Theorie deutlich, dass die Auseinandersetzung mit umgebender Umwelt sinnstiftend ist. Schütz benennt drei Welten in denen Handelnde sich bewegen: die subjektive Welt, als „die Erfahrungen des Handelnden mit der Alltagswelt und seine daraus resultierenden Meinungen und Auffassungen über sie“[69], die physische Welt, also Natur und physische Dinge, und die soziale Welt, die alle Handelnden mit ihren Auffassungen und Haltungen beinhaltet.[70] In der Figur des Handelnden unterscheidet er sechs Lebensformen, zu verstehen sind sie in einer Art Skala. Ist die Sinnsetzung in der Lebensform der reinen Dauer noch nicht komplex, sondern ein „unaufmerksames Erleben der Welt in ihrer ganzen Fülle“[71], steigert sich die Komplexität in den Formen der gedächtnisbegabten Dauer, des handelnden Ich, des du bezogenen Ich, des redenden Ich bis zur Lebensform des begrifflich denkenden Ich.[72] Die Entstehung der subjektiven Welt verankert Schütz in der Lebensform der reinen Dauer, im Übergang zur Lebensform des gedächtnisbegabten Ich. Werlen beschreibt dies folgendermaßen: „den „Ausgangspunkt bilden die Erlebnisse in der reinen Dauer, die über selektive Symbolisierungen teilweise in die gedächtnisbegabte Dauer – den verfügbaren Wissenvorrat- aufgenommen werden“.[73]

    Um die Eigenlogik und somit das Verständnis, dass jede Handlung von Menschen mit Lernschwierigkeiten einen subjektiven Sinn ergibt, anzuerkennen dürfen aber eben genau diese Gefühle und Affekte nicht einem rationalen, objektiven Motiv einer Tätigkeit geopfert werden. In diesem Sinne ist der Sinn einer Handlung im Bourdieu‘schen Sinne zu verstehen. Sinnhafte Handlung, als ein Habitus, der als strukturierende Struktur wirkt und in der Auseinandersetzung mit sozialer Umwelt entsteht und sich stetig entwickelt.

    Jantzen übersetzt dieses soziologische Verständnis von Sinn in einer weiteren Ausarbeitung in die Kulturhistorische Psychologie.

    „Insofern ist das Leben der Menschen ein ständiger Prozeß [sic!], in dem Sinn und Bedeutungen miteinander vermittelt werden. Der Sinn sucht Bedeutungen in denen er sich ausdrücken kann. Diese wiederum können zugleich verzerrte Vorstellungen ins Bewußtsein [sic!] tragen, die zu Stereotypen werden können.“.[74]

    In dieser Aussage steckt der wichtige Moment, das die Ausdrucksform, die ein Mensch nutzt um sinnvoll zu handeln, sich auch in Stereotypen, also einem Verhalten verfestigen kann, dass im nächsten Moment einer sozialen Interaktion als anders verbesondert wird und somit als Behinderung im Sinne einer Lernschwierigkeit wahrgenommen werden kann. Anhand dieser Herleitung wird dennoch deutlich, dass auch besonderes Verhalten in seinem Kern sozial, vor allem subjektiv sinnvoll ist. Jantzen geht an dieser Stelle soweit zu sagen, dass auch als anders bewertetes und als behindert kategorisiertes Verhalten in seinem Kern einen Sinn hat und als Weg verstanden werden kann, aktuelle Wertesysteme häretisch zu verändern.[75]

    „Wenn Donna Willams (1994, 1997) verschiedene für Autismus gehaltene Ausdrucksformen als Selbstverteidigungsmechanismen autistischer Menschen innerhalb von Vernunftfallen hervorhebt, so sind auch dies Formen der Häresie, welche Legitimation in Frage stellen und auf Veränderung symbolischer Sinnwelten drängen.“[76]

    Die Frage der Anerkennung einer Eigenlogik des Verhaltens verknüpft sich an dieser Stelle nicht nur mit dem dargestellten Begriff der Behinderung, sondern ebenfalls mit der Frage inwiefern eine solche Anerkennung grundlegend ist um im zivilgesellschaftlichen Kontext solidarisch zu sein. Horster hat hierzu das Anerkennungskonzept von Honneth beleuchtet und in einem Artikel erarbeitet, inwiefern Menschen mit Behinderung als Teil der Moralgesellschaft anerkannt sein können. Die Grundlage für Honneths Anerkennungsbegriff sind die Arbeiten Hegels. Hegel legt drei verschiedene Anerkennungsarten fest, die zusammengenommen die Würde des Menschen ausmachen. Zunächst „die Anerkennung in der Liebe, […] die Anerkennung in der Ehre im gesellschaftlichen Tausch […] und schließlich die Anerkennung im Absoluten“.[77]

    Honneth führt in seinem Konzept neben Liebe und Recht auch Solidarität als Anerkennung an.[78] In seinem Schema ordnet er den drei Begriffen jeweils Entsprechungen auf der Ebene der Anerkennungsweise, der Anerkennungsformen, der praktischen Selbstbeziehung und der Missachtungsformen zu.[79] Die Anerkennungsweise, die der Solidarität zugeordnet wird, ist die soziale Wertschätzung, während es sich bei der Anerkennungsform um die Wertgemeinschaft handelt.[80] Erfährt ein Individuum Solidarität, kennzeichnet sich dies als Selbstschätzung im Bezogensein des Individuums auf sich selbst. Wird ihm Solidarität, als „die Akzeptanz individueller Besonderheit“, verweigert, bezeichnet Honneth dies als Entwürdigung.[81] Vor dem Verständnis, dass jedes Individuum als autonom gilt und als solches wahrgenommen und anerkannt werden möchte, folgert Honneth, dass dies beinhaltet selbst auch andere Individuen als autonom anzuerkennen.[82] Horster arbeitet an dieser Stelle weiter heraus, dass dieses Gefüge von anerkennen und anerkannt werden die Moralgemeinschaft als Gruppe von autonomen Individuen zeichnet, die neben dem Recht auch Pflichten innerhalb dieser Gemeinschaft haben. Horster stellt die Frage inwiefern Menschen mit einer Behinderung, er bleibt in seiner Formulierung hier bei Behinderungen im Allgemeinen und spezifiziert nicht, ob es sich bspw. um Sinnesbeeinträchtigungen oder eben Lernschwierigkeiten handelt, nun als Teil dieser Moralgemeinschaft verstanden werden können, wenn sie zwar durch Mitglieder der Gemeinschaft als autonom anerkannt werden können, also eben auch als Träger von Rechten, aber aufgrund ihres Verhaltens im Rahmen der bestehenden Strukturen und Ansprüche innerhalb der Gesellschaft nur schwer oder gar nicht Pflichten wahrnehmen können. Dieses moralische Dilemma löst Horster indem er „die Tatsache, dass wir betroffen sein könnten, egal aus welchen Gründen“ anführt.[83] Diese Haltung erlaubt ihm in der Argumentation der moralischen Reziprozität Menschen mit Behinderung als Teil der Moralgemeinschaft einzubinden. Als weiteres Argument führt er außerdem, mit Bezug auf Habermas und in der weiterführenden Argumentation mit Bezug auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, die Supererogation als Aufhebung der Reziprozität an. Im Kern argumentiert er, dass es einer Barmherzigkeit bedürfe, die wider dem reziproken Verständnis, nicht auf eine Gegenleistung im Sinne des wie du mir, so ich dir angewiesen ist. Dies stellt er im Hinblick auf aktuelle gesellschaftliche Prozesse selbst als hinfällig dar.[84]

    Jantzen nennt dieses Gefälle, das Horster idealtypisch durch Supererogation gelöst wissen möchte, das „Problem der Verantwortung, welche asymmetrisch ist“.[85] In Bezug auf Buber und das Prinzip der dialogischen Anerkennung versteht er es als aktuelle Aufgabe dieses Problem im Dreieck Macht, Gewalt und Ungerechtigkeit genau zu verorten und vor allem aus der Perspektive der „Besiegten“ zu erläutern.[86]

    Auch Nussbaum greift in ihrer kritischen Auseinandersetzung mit dem Personenbegriffs bei Rawls dieses Problem auf. Sie stellt fest, dass „Menschen mit schweren geistigen Beeinträchtigungen […] zunächst einmal akute Probleme für die in der Theorie verwendete Vorstellung eines Gesellschaftsvertrags und des gegenseitigen Vorteils [aufwerfen]“.[87] Das Problem sieht sie im Vernunftbegriff, der bei Rawls in Bezug auf Kant stark an die Person gebunden[88] ist und sie vom animalischen unterscheidet und dem Anspruch, dass besonders Menschen mit Lernschwierigkeiten, die in ihrer Versorgung und Ausbildung hohe Kosten verursachen, auch ökonomisch mehr nehmen, als sie beisteuern können.[89] Nussbaum widmet sich sehr ausgiebig diesem Problem und erarbeitet mit Bezug auf Kittay, Sen und Scanlon einen Personenbegriff, der dieses Dilemma löst, indem sie einen Katalog der menschlichen Befähigungen (capabilites) darstellt und in Zusammenarbeit mit Sen, die Relevanz positiver Freiheiten herausstellt.

    „Eine sachgerechte Bestimmung der Freiheit einer Person darf danach nicht nur negativ- im Sinne der Abwesenheit äußerer Zwänge – erfolgen, sondern hat den Blick auch auf das Vorliegen ressourcenabhängiger Möglichkeiten und spezifischer Fähigkeiten der betreffenden Person zu lenken.“[90]

    Ähnlich wie Horster mit der Annahme, dass alle Menschen im Laufe ihres Lebens eine Behinderung erfahren können, stellt Nussbaum fest, dass „zum menschlichen Lebenszyklus Phasen äußerster Angewiesenheit auf andere gehören, in denen unsere Lebensfunktionen denen von Menschen mit lebenslangen geistigen oder körperlichen Behinderungen entsprechen“.[91] Diese Annahme spiegelt sich im Tonus des Katalogs der Befähigungen deutlich wieder. Die Befähigung (capabilities) hat jeder Mensch, Unterschiede finden sich allerdings in der Ausprägung der Nutzung und Ausprägung der Befähigungen, den Nutzungen der Funktion (functionings).[92] Dies bedeutet im Kern eine Gleichheit der Menschen, die grundlegend für eine gerechte Verteilung von Gütern und Ressourcen, wie bspw. Bildung und Gesundheit, ist, nicht jeder Mensch muss aber alle Befähigungen gleich ausgeprägt haben um einen Anspruch zu haben. Im Gegenteil wird es bei Nussbaum und Sen im Rahmen des Capability Approach darum gehen, dass Gesellschaft den Auftrag hat Menschen, die aufgrund ihrer Lebenssituation derzeit nicht in der Lage sind, alle Befähigungen nach ihren Vorstellungen so zu nutzen und zu solchen Funktionen zu entwickeln, wie sie es bräuchten um ein gutes Leben in ihrem Verständnis zu führen, zu befähigen ebendies zu tun. Theunissen zeigt in seiner Darstellung der „Self Advocacy“ Bewegung auf, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten selbst im Rahmen ihrer organisierten Interessenvertretungen eine solche Befähigung fordern, um Rechte wahrnehmen zu können, aber eben auch Pflichten nachgehen zu können.[93] Dies lässt den Eindruck zu, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten selbst also eine Befähigung in dem Sinne fordern, um ein ausgeglicheneres Verhältnis einer moralischen Reziprozität erreichen zu können.

    Dederich setzt sich mit dem Verhältnis von Behinderung, Anerkennung und Identität auseinander indem er Schäden, die im Hinblick auf die Selbstschätzung bei Menschen mit Behinderung durch Aberkennungen entstanden sind, anerkennt. Er bezieht sich in seiner Herleitung u.a. auf die Ergebnisse der Studie zur ‚gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit‘ von Heitmeyer.[94] Im nächsten Schritt wirft er die Frage auf, inwiefern tatsächlich Menschen mit Behinderung anerkannt werden können, suggeriert der Begriff doch eine kollektive Identität, die reell so gar nicht existiert. Er überspitzt, dass die Identität der Gruppen von Menschen mit Behinderungen „sich über distinkte und exklusive Merkmale, die das Spezifische der Gruppe markieren“ konstituiert.[95]

    In diesem Diskurs entsteht nun die Annahme,

    „Identitätspolitik sei in hochkomplexen demokratischen Gesellschaften unverzichtbar. Denn es sei gerade diese Identitätspolitik, die signifikanten Interessensgemeinschaften, sozialen Minderheiten und abweichenden Standpunkten zu wichtigen gesellschaftlichen und politischen Fragen Gehör verschaffe“.[96]

    Grundlegender und simpler erarbeitet Gramsci, dass jede menschliche Tätigkeit intellektuelle Tätigkeit ist.[97] Gramsci setzt sich nicht explizit mit der menschlichen Tätigkeit von Menschen mit Lernschwierigkeit auseinander, gleichzeitig sind allerdings auch keine Erwähnungen zu finden die den Personenkreis aus seinen Überlegungen ausklammern könnten. Im Gegenteil betont er, dass der „Grad der Intellektualität konkreter Menschen vor dem Hintergrund ihrer sozialen Herkunft oder ihrer gesellschaftlichen Aufgabe höchst unterschiedlich ausgeprägt“ sein kann,[98] dies aber nicht zu bedeuten habe, dass es einen qualitativen Unterschied gäbe zwischen Menschen, die auch beruflich einer intellektuellen, philosophischen Tätigkeit nachkommen und Menschen, die außerhalb des Berufs alltagsphilosophisch Wertvorstellungen und Weltauffassungen haben.[99] In der Auseinandersetzung mit der Rolle der Handelnden im Kontext politischer Teilhabe wird genauer darauf eingegangen welche Rolle Gramsci Intellektuellen in der Gesellschaft einräumt, an dieser Stelle ist zunächst wichtig hervorzuheben, dass Gramscis Verständnis des Menschen als Intellektueller Grundlage seiner gesamten politischen Pädagogik ist und somit in seinen Ausarbeitung kein Argument zu finden ist, warum Menschen mit Lernschwierigkeiten als marginalisierte Gruppe nicht in gesellschaftliche Veränderungsprozesse einbezogen sein sollten.

    Fasst man die Argumente der Solidarität als Form der Anerkennung als autonome Individuen in einer Wertgemeinschaft, die Annahme kollektive Identitäten seien notwendig für demokratische Veränderungsprozesse und Gramscis Verständnis der Intellektualität aller Menschen zusammen, ergeben sich drei Begründungsansätze warum politisches Handeln von Menschen mit Lernschwierigkeiten im sozialen Nahraum relevant und notwendig ist.

    Abschließend ist festzuhalten, dass besonders in Anbetracht der Anerkennung von Menschen mit Lernschwierigkeiten in Bezug auf Kant gilt, dass der Andere als Selbstzweck zu sehen ist und wir uns ihm „um seiner selbst willen zuwenden, auch dann, wenn er uns vielleicht nie von Nutzen sein kann, das bedeutet ihn in seiner Menschwürde zu achten.“[100]



    [3] Speck, 2013, 147.

    [4] Vgl. Speck, 2013, 148.

    [5] Dederich, 2009, 18.

    [6] Ebd.

    [7] Ebd.

    [8] Dederich, 2009, 18ff.

    [9] A.a.O., 19.

    [10] Vgl. Göthling, 2015, elektronisches Manuskript beinhaltet keine Seitenangabe.

    [11] Vgl. Erlinger, 2004, elektronisches Manuskript beinhaltet keine Seitenangabe.

    [12] Vgl. Theunissen, 2001, elektronisches Manuskript beinhaltet keine Seitenangabe.

    [13] Ebd.

    [14] Biewer, 2004, 288.

    [15] Biewer, 2004, 288.

    [16] Vanoli, 2009, 149ff.

    [17] Ebd.

    [18] Biewer, 2004, 289.

    [19] Dederich, 2009, 19.

    [20] Jantzen, 1987, 18.

    [21] Jantzen, 2004, 118.

    [22] Vgl. Jantzen, 2004, 132.

    [23] Ebd.

    [24] Im Kontext der materialistisch geprägten kulturhistorischen Psychologie, die von Leontjev und Wigotski entwickelt wurde, legt Leontjev den Begriff des „Bedürfnis“ als intrapsychische Entsprechung zum körperlichen „Bedarf“ (vgl. hierzu Lanwer, 2008, 66ff) fest. Im Zusammenhang mit dem Konzept des denkenden Körpers ist hier somit ein intrapsychisches Verlangen in Form von Begierde oder Trieb gemeint (vgl. Jantzen, 2004, 131)

    [25] Vgl. Jantzen, 2004, 131f.

    [26] Lanwer, 2000, 75.

    [27] Vgl. Jantzen, 2004,132.

    [28] Ebd.

    [29] Siebert, 2010, 12.

    [30] Ebd.

    [31] Ebd.

    [32] Vgl. von Ameln 2004, 22.

    [33] Von Ameln 2004, 22.

    [34] A.a.O.,138.

    [35] A.a.O., 139.

    [36] Vgl. Von Ameln 2004,139.

    [37] Von Ameln, 2004,140.

    [38] Von Ameln, 2004,140.

    [39] Stein, 2010, 29.

    [40] Vgl. Jantzen, 2004, 133.

    [41] Vgl. Dörner, 1996, 9ff.

    [42] Goffman, 2009, 13.

    [43] Biewer, 2004, 289.

    [44] Bernhard, 2005, 94.

    [45] Ebd.

    [46] Dederich, 2009, 15.

    [47] Siebert, 2010, 13.

    [48] Jantzen, 1993, 42.

    [49] Vgl. Antor, 2008, 137ff.

    [50] Fuchs-Heinritz; König, 2005, 114.

    [51] A.a.O., 113.

    [52] Jurt, 2008, 11.

    [53] Rehbein, 2011, 57.

    [54] Jurt, 2008, 34.

    [55] Vgl. Jurt, 2008, 58.

    [56] Vgl. Jurt, 2008, 58.

    [57] Bourdieu, 1992, 86, zit. n. Rehbein, 2011, 86.

    [58] vgl. Jurt, 2008, 72.

    [59] Vgl. Jurt, 2008, 72.

    [60] Wacquant, 1996, 24, zit. n. Rehbein, 2011, 95.

    [61] Ebd.

    [62] Rehbein, 2011, 95.

    [63] vgl. Rehbein, 2011, 97.

    [64] Jurt, 2008, 34.

    [65] Jurt, 2008, 90.

    [66] Jantzen, 2009, 48.

    [67] Jantzen, 2009, 43.

    [68] Ebd.

    [69] Werlen, 1997, 128.

    [70] Vgl. Werlen, 1997, 128.

    [71] Werlen, 1997, 129.

    [72] Vgl. Werlen, 1997, 129.

    [73] Werlen, 1997, 129.

    [74] Jantzen, 1994, 16.

    [75] Vgl. Jantzen, 2009, 49.

    [76] Jantzen, 2009, 50.

    [77] Jantzen, 2004, 217.

    [78] Vgl. Horster, 2009, 154.

    [79] Horster, 2009, 154.

    [80] Ebd.

    [81] Horster, 2009, 154f.

    [82] Ebd.

    [83] Horster, 2009, 157.

    [84] Horster, 2009 156 ff.

    [85] Jantzen, 2004, 187.

    [86] Ebd.

    [87] Nussbaum, 2014, 184.

    [88] Vgl. Nussbaum, 2014, 186.

    [89] Vgl. Nussbaum, 2014, 191.

    [90] Steckmann, 2008, 98.

    [91] Nussbaum, 2014, 190.

    [92] Vgl. Steckmann, 2008, 99.

    [93] Vgl. Theunissen, 2001.

    [94] Dederich, 2013, 222.

    [95] Ebd.

    [96] Dederich, 2013, 223.

    [97] Bernhard, 2005, 98f.

    [98] Bernhard, 2005, 99.

    [99] Vgl. Bernhard, 2005, 99.

    [100] Antor, 2008, 137.

    3. Sozialer Nahraum als Beziehungsraum und der Begriff der Zivilgesellschaft: Begründungszusammenhänge

    Bisher wurde im Rahmen der Klärung des Begriffs „Menschen mit Lernschwierigkeiten“ überwiegend darauf eingegangen, inwiefern Behinderung ein Moment der Interaktion darstellt.

    Im weiteren Verlauf soll nun betrachtet werden inwiefern darüber hinaus die Interaktion eine Rolle in der weitergefassten Teilhabe im sozialen Nahraum spielt. Verkürzt könnte man sagen, ging es bisher um die Interaktion zwischen Subjekt und Umwelt als Moment in dem Behinderung entsteht, geht es nun um Interaktion als Grundlage von Teilhabe im sozialen Nahraum.

    Im Laufe der folgenden Auseinandersetzung wird der hier gewählte Begriff des Sozialen Nahraums als eine Erweiterung des Begriffs des Sozialraums ausgearbeitet. Diese Erweiterung ist notwendig um zu verdeutlichen, dass hier die Situation von Menschen mit Lernschwierigkeiten im Rahmen zivilgesellschaftlicher Aktivitäten betrachtet wird, die sich in ihrer direkten Lebenswelt abspielen. Es wir deutlich werden, dass damit nicht nur die räumliche Nähe, sondern auch eine thematische Nähe gemeint ist. Zivilgesellschaftliche Aktivität steht hier im Gegensatz zu staatlich organisierter Politik wie Gremien in Kommunen, Ländern oder dem Bund. Die genaue Differenzierung und die differenzierte Ausarbeitung des Merkmals „Nahraum“ werden in diesem Kapitel aufgezeigt. Der Fokus der Ausarbeitung liegt hier auf der Frage inwiefern der Soziale Nahraum als Beziehungsraum verstanden werden kann, der in mehrdimensionalen Zusammenhängen zur Akteurin steht. Die Dimensionen, die hier dargestellt werden, sind zunächst eine Betrachtung des Begriffs der Handelnden, der Interferenzen der Handelnden mit dem Raum und das kollektive Handeln als Zivilgesellschaft.

    3.1. Spezifizierung des Begriffes des Sozialen Nahraums

    Voigt stellt in seiner Ausarbeitung zu der Korrelation zwischen Raum und Identität fest, dass es „so viele Wahrnehmungen wie Menschen gibt“[101]. Diese Erkenntnis nutzt er um im weiteren Verlauf deutlich zu machen, wie Wahrnehmung im systemischen Sinne funktioniert und in welchem Verhältnis Wahrnehmung und subjektiver Sinn zum Raum, als Ort für Kommunikation, stehen. Er entwickelt seine Feststellung weiter indem er akzentuiert, dass Wahrnehmung durch unsere Sinnesorgane zunächst ein neutraler Prozess ist[102]. Er bezieht sich auf Schmidt, wenn er folgendes verdeutlicht: „Bei der Bedeutungszuweisung operiert das Gehirn auf der Grundlage früherer interner Erfahrungen und stammesgeschichtlicher Festlegungen: erst dann wird ein Wahrnehmungsinhalt bewußt [sic!].“[103] Wahrnehmung fungiert in diesem Verständnis also als eine Art Brücke um die physische Umwelt zu internalisieren und so eine Abbildung der Umwelt im psychischen System zu konstruieren. Maßgeblich ist hierbei die Selektion und gleichzeitig die Zuweisung von Bedeutungen, die es immer in Anbetracht der bisherigen Wahrnehmungserfahrungen des Subjekts zu sehen gilt. Über die Wahrnehmung entwickelt das Subjekt ein Verständnis davon, dass „es außerhalb des Selbst eine Welt gibt, die es mit seinen Sinnesorganen erfassen kann und zu der auch der Körper des Subjekts gehört“.[104]

    Zur Organisation bzw. Ordnung der wahrgenommenen Reize nutzt das Subjekt die Kommunikation. Eine weitere wichtige Kategorie wird an dieser Stelle, dass das Verhältnis vom Subjekt zum Raum sich über die Kommunikation als ein gestalterisches Verhältnis darstellt.[105]

    In einem Versuch Leontjews Tätigkeitstheorie auch auf den Sozialraum zu beziehen, beschreibt Braun, den Zusammenhang zwischen der Konstruktion des Sozialraums und der durch das Subjekt vorgenommenen sinnhaften Einordnung der wahrgenommen Wirklichkeit, als einen absoluten Zusammenhang. Er beschreibt, dass „hier die Bedeutung materieller und symbolischer Strukturen nicht wie Einzelreize oder Reizwelten auf das Subjekt einwirken, sondern durch aktive, und in einem sehr weiten Sinne gegenständliche Tätigkeit vermittelt wird, in der die Subjekthaftigkeit dieser Raumbeziehung zum Ausdruck kommt“[106]. Leontjew selbst formuliert diese Wechselseitigkeit wie folgt:

    „Die tatsächliche Umwelt, die das menschliche Leben am meisten bestimmt, ist eine Welt, die durch die menschliche Tätigkeit umgewandelt wurde.“[107]

    Ergänzend kann hier ebenfalls auf Gramsci verwiesen werden, der dieses Verhältnis beschreibt indem er den Menschen als geschichtlichen Block aufschlüsselt. Bernhard arbeitet hierzu heraus, dass der Mensch „sich in einem „aktiven Verhältnis“ mit den ihn umgebenden historischen Verhältnissen [befindet], er ist das „Verknüpfungszentrum“ im Komplex jener Verhältnisse“[108]. Gramsci entwickelt hier den Begriff der „Cultura“, gemeint ist ein aktiver „Prozess der geistigen Erschließung der Welt durch die geschichtliche Persönlichkeit, die sich in der Folge dieser Tätigkeit selbst verändert“[109].

    Auch hier verdeutlicht sich die wechselseitige und gestalterische Ebene des Verhältnisses von Subjekt und Raum.

    Um die Abhebung des Begriffs des Nahraums zu verdeutlichen muss beachtet werden, dass die gestalterische Wirkung unterschiedliche Ausmaße zeigt, je nach der subjektiven Relevanz und Logik, die der entsprechende Raum aus der Perspektive des Subjekts innehat. Voigt unterscheidet an dieser Stelle bspw. sehr geringe gestalterische Möglichkeiten und Effekte in globalen Zusammenhängen, wo „für entsprechende Fragen teilweise nur temporäre soziale Systeme“ entstehen.[110] Als konkretes Beispiel nennt er internationale Konferenzen. In Vergleich dazu setzt er „abgrenzbare Gebiete, welche nicht nur Gegenstand […] [von] Kommunikation sind, sondern auch Systembestand, Systemerhalt (Autopoiesis) und Handlungen nach außen (Selbstreferenz)“[111] und somit einen starken subjektiven Sinn beinhalten.

    Den Begriff des sozialen Nahraums nutzt bspw. Urie Bronfenbrenner in seinem Konzept der Ökologie der menschlichen Entwicklung. Bronfenbrenner betrachtet „wie soziale Räume von Akteurinnen angeeignet werden und die Handlungsmöglichkeiten von Personen bestimmen“.[112] An dieser Stelle wird bereits deutlich, dass die beschriebene Beeinflussung des Sozialraums in ihrer Wechselwirkung nicht nur Einfluss auf die psychologische Ebene der Identitätsentwicklung eines Subjekts hat, sondern ebenfalls Möglichkeiten handlungsfähig zu sein bestimmt, in Bezug auf Menschen mit Lernschwierigkeiten, oftmals eingegrenzt.. Dieser Einfluss wird auch von Nussbaum herausgearbeitet. Sie nennt diese Entwicklung adaptive Präferenzen, das Konzept wird im folgenden Kapitel genauer erörtert und in Zusammenhang mit politischer Teilhabe von Menschen mit Lernschwierigkeiten gebracht.[113]

    Vorweg gilt festzuhalten, dass die Bestimmung der Handlungsmöglichkeiten, adaptive Präferenzen, die im Habitus Konzept beschriebene Tendenz die Situation in der wir Verhalten erlernen zu rekonstruieren, genau wie die systemtheoretische Feststellung, dass psychische Systeme zur Komplexitätsreduktion auf altbekanntes zurückgreifen, bzw. bekannte Zustände wiederherstellen wollen, Dynamiken sind, die zunächst suggerieren gesellschaftliche Veränderungen seien schwer durchzusetzen, bzw. gar nicht im Interesse der Subjekte.

    Eine erste Widerlegung dieser Annahme finden wir in Bronfenbrenners Verständnis von Entwicklung. Im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen menschlicher Entwicklung und dem sozialen Nahraum wird herausgearbeitet, dass „Entwicklung hier als die dauerhafte Veränderung der Art und Weise, wie die Person die Umwelt wahrnimmt und sich mit ihr auseinandersetzt“ versteht.[114] Entwicklung an sich bedeutet also bereits eine Veränderung, ein verändertes Subjekt wirkt in seinem dichotomen Verhältnis zur Umwelt strukturierend, so wie es auch strukturiert wird. Gesellschaftliche Veränderungsprozesse sind also keineswegs konträr der Entwicklung des Subjektes zu verstehen.

    In Bezug auf die Veränderbarkeit der sozialen Räume arbeitet er außerdem heraus, dass entscheidend ist, wie gut Akteurinnen in soziale Kontexte eingebunden sind. Je nach Einbindung erleben Akteurinnen den sozialen Raum als veränderbar, oder eben als gegeben.[115] Er grenzt allerdings ein, dass „die sozialen Umwelten von den Akteuren selbst als gestaltbare, wenn auch gleichwohl nicht als frei verfügbare, sondern gesellschaftliche determinierte Handlungsspielräume wahrgenommen werden“.[116] Spätestens an dieser Stelle findet sich ein direkter Bezug zu Max Webers Konzept des Raums. Auch Weber schreibt der von ihm so bezeichneten Herrschaftsdimension des Raumes eine große Bedeutung zu.

    Weber beschreibt allerdings, dass Sozialraum zunächst nicht als territorial eingegrenzter Raum zu verstehen ist, was bei Bronfenbrenner eine höhere Relevanz hat. Er sieht Räume vielmehr als ein Gefüge aus sozialen Beziehungen[117]. Die Grundlage für seine soziale Ordnung ist seine Handlungstypologie. Weber sieht in der Sinnhaftigkeit des Tuns den Unterschied zwischen menschlichen Verhalten und Handeln[118], eine weitere Steigerung stellt das soziale Handeln dar, bei dem neben der „Intentionalität und Reflexivität“[119] hinzu kommt, dass es auf einen anderen gerichtet ist. In der vierten Form, der sozialen Beziehung, beziehen sich zwei Handelnde aufeinander[120] .

    In Webers Typologie finden sich die intersubjektiv aufeinander bezogenen Beziehungen in einer sozialen Ordnung wieder, die ihre Legitimation in verschiedenen Motiven findet[121]. Beispiele dieser Motive sind die Tradition, der Glauben, bzw. eine „Satzung, an deren Legalität […] geglaubt wird“[122].

    Räume werden hier nicht als Wirklichkeitsbegriff, also als „fixierte Einheiten, die kontextunabhängig bestimmt werden“[123] verstanden. Die grundlegende Annahme ist: „Räume sind keine absoluten Einheiten, sondern ständig (re)produzierte Gewebe sozialer Praktiken“[124]. Diese Gewebe gliedert Weber in mehrere Dimensionen auf. Die subjektive Dimension stellt zunächst dar, dass die Reproduktion von Individuen vorgenommen wird. Dies geschieht durch eine Bewertung der wahrgenommenem Wirklichkeit vor dem individuellen Hintergrund des/der Wahrnehmenden[125]. Zu diesem individuellen Hintergrund zählt an dieser Stelle auch das geschichtliche phylogenetische Bewusstsein, welches uns bei Gramsci ebenfalls als grundlegendes, sinnstiftendes und handlungweisendes Moment begegnet.[126]

    Anhand der zweiten Dimension verdeutlicht Weber, dass diese Individuen dennoch nicht losgelöst agieren, sondern sich immer auch im Kontext der Gesellschaft und somit der anderen Handelnden bewegen. Diese intersubjektive Dimension beschreibt Bayer wie folgt: „Insofern sind Sozialräume nicht nur Bedeutungsräume für Einzelne, sondern in einem zweiten Schritt auch Bedeutungs- und Beziehungsräume handelnder Personen, […] die sich in ihren Handlungen eben auch aufeinander beziehen und die in der Konstruktion von Sozialräumen dieses unter Umständen reflektieren“[127].

    Als drittes stellt Weber die Herrschaftsdimension raus. Hier betont er, dass Individuen selten „am Anfang beginnen“[128], sondern sich immer in bereits konstruierten Räumen mit bestimmten Wert- und Normvorstellungen bewegen.[129] Hier wird erneut deutlich, dass es sich bei einer solchen Definition von Raum um „eine Relation und keine (individuelle) Ressource“ handelt.[130]

    Der Sozialraum ist ein intersubjektives Konstrukt welches nicht nur eine ihm generell innewohnende Bewertung beinhaltet, eine Qualität aufgrund der Konstruktion durch ein, an Werten und Normen orientiertes, Subjekt, sondern eben auch durch Merkmale wie bspw. die Territorialität. Wichtig ist zu betonen, dass Territorialität an sich zwar ausschlaggebend für die Konstruktion von Sozialraum, aber eben kein „originäres Phänomen“ ist.[131] Dennoch spielt sie eine große Rolle, da unsere Umgebung sowohl in der intersubjektiven, vor allem in der Herrschafts- aber auch in der subjektiven Dimension sinnstiftende und konstituierende Einflüsse auf uns ausübt im gleichen Moment aber eben auch unterschiedlich ausgeprägt von uns gestaltet wird.

    Territorialität wird als umfassender Begriff verstanden. So drückt es zunächst die geografische Lage aus, in welcher Region lebe ich, in welcher Gemeinde und bezogen auf staatliche Strukturen: In welchem Bundesland, welcher Kommune mit welchen speziellen rechtlichen Regelungen? Anhand der Auflistung wird bereits deutlich, dass es sich nicht um den direkten Wohnort einer Person handeln muss, Territorialität kann sich auch auf eine Region, ein Land, einen Kontinent beziehen. Da das Territorium ein Merkmal von Sozialraum darstellt, können also all diese Abstufungen Formen des Sozialraums sein. Die letztliche Entscheidung darüber an welcher Stelle wir von welchem Sozialraum sprechen, ist „für Weber von den Handelnden abhängig“[132], also wieder in der intersubjektiven Ebene zu betrachten.

    Werlen setzt sich in seiner Auseinandersetzung mit Schütz und der Frage nach der Konstitution der physischen Welt ebenfalls mit der Frage der Bedeutung der Territorialität auseinander. Er beschreibt, dass der „physisch-weltliche Standort des Körpers“[133] zunächst relevant ist, da er den Wirkungsraum der Handelnden begrenzt, aber eben auch bestimmt was genau auf das Ich der reinen Dauer einwirkt.[134] Schütz erfasst neben dem Standort als Gegenstand der physischen Welt auch den Körper der Handelnden als strukturierendes Element. Vor dem Hintergrund der Ansicht, dass nur das rational motivierte Erlebnis subjektiv Sinn ergibt, ordnet Schütz die Erfahrung der Handelnden den eigenen Körper zu erleben, ebenfalls in einen funktionalen Zusammenhang ein. Nicht die Bewegung an sich ist also sinnstiftend, sondern ihre Relevanz und Notwendigkeit in der physischen Welt, ihre Zielgerichtetheit.[135] Werlen bezeichnet diesen Zustand als die „Erfahrung der Räumlichkeit des eigenen Leibes“[136] und arbeitet heraus, dass vor diesem Hintergrund die „Konstitution der physischen Welt […] an das Erlebnis des Leibes gebunden“ ist.[137]

    Neben der intersubjektiven Beziehungsebene, der Territorialität, also dem Standort, ist somit auch die Körperlichkeit und das Erleben des eigenen Leibes im Raum konstituierendes Merkmal des sozialen Nahraums.

    Von größerer Bedeutung, um an dieser Stelle das Konzept des sozialen Nahraums vorrangig als Beziehungsraum zu stützen, ist allerdings Schütz Auseinandersetzung zur Konstitution der sozialen Welt. Der dritten Welt in seiner Theorie. Schütz ordnet diese klar in der Lebensform des Du bezogenen Ich ein.[138] Dennoch betont Werlen, dass die entstehenden Bedeutungen der sozialen Welt Begründungen in jeder einzelnen der dargestellten Lebensformen auf der von Schütz entwickelten komplexer werdenden Skala innehaben müssen.[139] Schütz beschreibt den Entstehungsmoment der sozialen Welt als den Moment in dem ein Ich und ein Du sich begegnen. Er verdeutlicht allerdings, dass es qualitative Abstufungen dieser Welt geben kann. Abhängig ist die Qualität von der Kongruenz der Dauer und des Gedächtnis der beiden Subjekte, also von den Erfahrungen, die sie bisher in ihren Lebensformen gemacht haben und inwiefern diese sich ähneln.[140] Je mehr Überschneidungen es gibt, desto sinnvoller erscheint die Handlung der Anderen und eine soziale Ordnung im Weber’schen Verständnis, ist wahrscheinlicher und einfacher.[141] Werlen fasst die Konstitution der sozialen Welt nach Schütz wie folgt zusammen:

    „Die soziale Welt bildet den gesellschaftlichen Bereich, den der einzelne Handelnde primär im Du erfährt; insbesondere in Form von typischen Erwartungen der anderen Handelnden in typischen Situationen.“[142]

    Er stellt dabei auch heraus, dass die Herstellung einer Ordnung der Sinnbezüge zwischen Ich und Du problematisch sein kann, Werlen betont, dass es hier eine Art Kompensation gibt, indem das Handeln idealisiert wird.[143] Sind die Diskrepanzen so groß, dass es zu Problemen in der sinnhaften Verständigung zwischen den beiden Handelnden kommt, „gilt es für die Beteiligten die Typenstruktur ihres verfügbaren Wissensvorrats derart zu verändern, zu erweitern, bis eine Reziprozität der Perspektiven wieder gegeben ist“.[144]

    Zusammenfassend lässt sich der soziale Nahraum als Beziehungsraum darstellen, der in der Interaktion verschiedener Handelnder, oder Akteurinnen, entsteht. Er ist gekoppelt an den sozialgeographischen Standort und die Körperlichkeit der Akteurinnen. Als drittes konstituierendes Moment ist die Anerkennung der Sinnhaftigkeit der Handlungen des Anderen, oder wie Schütz es beschreibt, die Notwendigkeit einer Kongruenz von Dauer und Gedächtnis der Handelnden, von großer Bedeutung.

    Zusammenfassend kann auch Werlen zitiert werden:

    „Daraus wird die Folgerung abgeleitet, daß [sic!] die reale Welt zwar ohne erkennendes Subjekt bestehen kann, ihre Bedeutungen, ihre Sinngehalte jedoch erst vom erkennenden Subjekt konstituiert werden. Die reale Welt als solche wird für den Erkennenden mithin zwar zur Voraussetzung für seine Handlungen; relevant wird sie aber erst, indem sie eine bestimmte Bedeutung erlangt, bzw. nachdem der Erkennende ihre Sinngehalte konstituiert hat.“[145]

    Diese Betrachtungsweise verknüpft die Identität und Entwicklung der Akteurinnen eng mit der Konstitution eines gemeinsamen Nahraums. Das dargestellte Verhältnis ist dichotom zu verstehen, so sind die bisherigen Erfahrungen, welche die Grundlage des Handelns der Akteurinnen bilden, grundlegend und wegweisend für die Beziehungen in deren Rahmen der soziale Nahraum entsteht. Gleichzeitig wirken der entstandene Beziehungsraum und die in der Interaktion vorkommenden Anerkennungs- und Missachtungsformen strukturierend auf die Akteurinnen.

    Hinte bezeichnet die bisher beschriebene Ebene des sozialen Raums als „durch die Individuen selbst“ definierte Ebene.[146] Diese hält er als eine von zwei konstituierenden Merkmalen fest. Das zweite Merkmal ist, dass Sozialraum eine „institutionell definierte geografische Steuerungsgröße“ ist.[147] Ein solches Verständnis von Sozialraum hebt die bisher theoretisch verankerte Definition auf ein handlungsorientiertes Level. Konkret werden soziale Kontakte, Familie, Freunde, Nachbarn und Menschen, die ein gemeinsames Interesse teilen als Sozialraum verstanden, der den Individuen so Ressourcen bietet. Diese Ressourcen dienen vornehmlich dem Sinn, der Handelnden Möglichkeiten zu bieten positiv auf den Sozialraum einzuwirken, neben der individuellen Ebene, auf der hierfür eben ein Interesse bestehen muss, spielen hier zusätzlich die strukturelle Ebene, also Anbieterinnen jeglicher Art im Sozialraum und die Einbeziehung von Politik und Verwaltung eine Rolle.[148] Dieses konkrete handlungsorientierte Verständnis von Sozialraum verdeutlicht auf einer weiteren Ebene die bereits beschriebene Bedeutung des Raumes als Beziehungsraum. Auch hier wird deutlich, dass die konstituierende Interaktion nicht in einem neutralen Ort ohne Bezüge geschieht, sondern, um Webers Terminologie zu nutzen, starke Herrschaftsdimensionen ausgeprägt sind. Analog zu diesem Begriff Webers findet sich bei Hinte der Rückbezug auf die Verwaltungs- bzw. Politikebene. Die individuelle Ebene spiegelt die ausführlich geschilderte konstituierende und Identitätsstiftende Ebene wieder, während die von Hinte angesprochene strukturelle Ebene des sozialen Raums sich hauptsächlich in der Diskussion um die Territorialität wiederfindet. Geht es hier eben in der Realität, der wirklichen Welt, viele Schritte nach einem Idealtypus, eben auch um Angebotsstruktur, Bildungsmöglichkeiten und somit Teilhabechancen.

    Im Folgenden soll nun genauer betrachtet werden was in diesem Verständnis der Begriff der Handelnden bedeutet und inwiefern er in seinem Kern politisch ist.

    3.2. Der Begriff der Handelnden im Kontext politischer Teilhabe

    Die Begrifflichkeiten, die bisher aufgetaucht sind um handelnde Personen zu beschreiben sind schon im Rahmen dieser Abhandlung vielfältig. Handelnde, tätiges Subjekt, Person, Individuum, Akteurin, Intellektuelle sind einige der Bezeichnungen, die in verschiedenen vorgestellten Konzeptionen genutzt werden. Um den Begriff im Kontext politischer Teilhabe klarer zu zeichnen findet an dieser Stelle eine kurze Auseinandersetzung mit den Begriffen statt und es wird verdeutlicht wie der Begriff der Handelnden im politischen Sinne zu verstehen ist.

    Politisches Verhalten ist in diesem Rahmen angelehnt an Huth zu verstehen, der Handlungen als politische definiert, wenn die Handelnden sie „freiwillig mit dem Ziel unternehmen, Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems zu beeinflussen“.[149] In Bezug auf die politische Teilhabe von Menschen mit Lernschwierigkeiten wird sich an dem Moment der Freiwilligkeit der zielgerichteten Handlung ein Problem erschließen, dass im Hinblick auf adaptive Präferenzen im Rahmen der Theorie der Verwirklichungschancen genauer betrachtet wird.

    Bourdieu bevorzugt den Begriff der Akteurin gegenüber dem des Individuums. Er bezeichnet die Akteurin als „handlungsfähige Verkörperung sozialer Strukturen“.[150] Dies bedeutet, dass sich in der Akteurin die angesprochene Gegenüberstellung der sozialen Welt und des Habitus wiederfindet. Auf der einen Seite repräsentiert die Akteurin durch ihre Handlungen die „objektiven Zwänge der sozialen Strukturen [und] subjektive[n] Determinationen des Habitus“.[151] Im Habitus geht es um den Moment der Entstehung des Habitus, sowie um den Moment der Anwendung. Durch diese Dualität wird er zu einem Netz aus internalisierten Handlungsschemata denen sich die Akteurin in ähnlichen Situationen bedienen kann um mit ihnen umzugehen. Über das durch den Habitus geprägte Handeln an sich ist die Akteurin so in der Lage die soziale Welt zu verändern. Gleichzeitig ändert er so die Entstehungsbedingungen für den Habitus. So entsteht eine Art Kreislauf des Strukturierens und des Strukturiert werdens.

    Im weiteren Verlauf gilt es genauer zu betrachten wie genau das verändernde Verhalten, welches von Bourdieu im Habitus gekennzeichnet und von Huth als politisch bezeichnet wird, zu verstehen ist. Hierfür wird besonders im Hinblick auf Menschen mit Lernschwierigkeiten Nussbaum betrachtet und als Ergänzung die Figur der Intellektuellen bei Gramsci. Während an dieser Stelle der Fokus auf Nussbaums Überlegungen zur Menschenwürde als Grundlage für einen Gerechtigkeitsdiskurs zu verstehen ist, der auf das Verfügen über Ressourcen fußt und nicht auf Gleichheit als Gerechtigkeit, wird durch die Darstellung des Konzept von Gramsci der politische Charakter der individuellen Handlung konkreter hervorgehoben.

    Im Kontext der Anerkennung des persönlichen Sinns der Handlungen von Menschen mit Lernschwierigkeiten und speziell der Frage inwiefern diese Teil einer Wertgemeinschaft sein können, die auf moralischer Reziprozität basiert, ist Nussbaums Arbeit bereits thematisiert worden. Sie entwickelt ein Menschenbild in dem sie, konträr zu Rawls, dessen konservative Betrachtung sie an dieser Stelle kritisiert, die Relevanz der sozialen Kooperation weiter in den Vordergrund rückt.

    „Der Fähigkeitenansatz macht also von einer Konzeption der Kooperation Gebrauch, für die Gerechtigkeit und umfassende Einbeziehung von Anfang an inhärent wertvolle Zwecke darstellen und die davon ausgeht, daß [sic!] die Bindungen zwischen den Menschen sich ebenso dem Altruismus wie dem gegenseitigen Vorteil verdanken“.[152]

    Rawls, der als Vertragstheoretiker in seinem Versuch einen Urzustand der Gesellschaft zu zeichnen möglichst wenige Vorannahmen machen will, erkennt Altruismus und das handeln aus Sorge ohne reziprokes Dankbarkeits- oder Ausgleichsverhältnis nicht als allgemeingültiges, vorpolitisches Kriterium an, da sich aus dieser Haltung keine allgemeinen politischen Prinzipien ableiten können.[153]

    Betrachtet man Nussbaum Konzept weiter vertiefend im Hinblick auf den Begriff der Person, muss man sich mit ihren Ausarbeitungen zum Begriff der Menschenwürde befassen. Sie versteht das menschliche Wesen im aristotelischen Sinne als politisches Lebewesen und betont, dass menschliche Würde auch in ihrer Konzeption durch einen Vernunftbegriff geprägt ist, dieser aber weitergefasst zu verstehen ist. Sie betont, dass Tätigkeit, praktisches Nachdenken, Geselligkeit und körperliche Integrität jeweils Bestandteile einer menschlichen Vernunft sind und ihr nicht konträr gegenüberstehen.[154]

    Der Umstand der Angewiesenheit spielt für sie in der Ausarbeitung des Katalogs der Befähigungen eine bedeutsame Rolle, da sie hier versucht einen ergebnisorientierten Ansatz zu entwickeln, der Menschen mit Lernschwierigkeiten in den Diskurs um eine gerechte Gesellschaft miteinschließt.[155] Sie betont:

    „In der Würde unserer Bedürftigkeit selbst ist ein Anspruch auf Unterstützung begründet. Die Gesellschaft wird von ganz unterschiedlichen Bindungen und Bestrebungen zusammengehalten, von denen nicht alle die Produktivität betreffen. Obwohl Produktivität notwendig und sogar gut ist, macht sie nicht den Hauptzweck des sozialen Lebens aus“.[156]

    Explizit politischer ist der Begriff der Intellektuellen bei Antonio Gramsci.

    Er erarbeitet seine Cultura im Kontext politischer Bildung, die er als grundlegend ansieht um in der Welt Veränderungen durchzusetzen. Er beschreibt, „erst im Prozess der Bildung des Bewusstseins wird der Mensch in einem aktiv- selbstbestimmten Verhältnis handlungsfähig, weil er sein Dasein und seine Geschichtlichkeit als Gesellschaftlichkeit begreift und dadurch sich zum Handeln selbst ermächtigt“.[157] Diese Selbstermächtigung führt zu einer Auseinandersetzung mit der Welt, die dazu führt, dass die geschichtliche Persönlichkeit, die Gramsci im Konzept des Menschen als geschichtlichen Block erfasst, sich selbst verändert.[158] Gramsci versteht das Individuum als Produkt der „konkreten Bedingungen seines sozialen Lebensmilieus und den übergreifenden gesellschaftlichen Strukturen, die auf dieses einwirken“.[159] Diese Bindungen werden an dieser Stelle als Bindungen und Bestrebungen verstanden, die Nussbaum ebenfalls anspricht und als konstituierendes Merkmal der Menschenwürde festhält.

    Gramsci arbeitet in seinem Subjektbegriff mit der Figur der Intellektuellen. Er nutzt diese Figur als spätere Grundlage für seine Philosophie der Praxis. Er geht davon aus, dass jeder Mensch eine Intellektuelle ist und somit die Tätigkeit des Menschen eine philosophische ist, die in ihrem Kern, an dieser Stelle verknüpft sich die Annahme mit der Grundidee des Menschen als geschichtlichem Block, eine Weltauffassung repräsentiert und reproduziert.[160] Er räumt ein „nur bestimmte Menschen haben die soziale Funktion von Intellektuellen inne“.[161] Diese Unterscheidung bedeutet für ihn allerdings bloß eine quantitative, nicht eine qualitative.[162] Er meint damit, dass es natürlich möglich ist, dass bestimmte Personen im Rahmen des Berufes einer intellektuellen Tätigkeit nachgehen, dies habe aber nicht zur Folge, dass es irgendeine menschliche Tätigkeit gäbe, die als nicht intellektuell oder philosophisch zu bezeichnen ist.[163] Die im Subjekt verankerten geschichtlichen Erfahrungen zeigen sich in eben dieser Tätigkeit. Diese Annahme ist auch die Grundlage der spontanen Philosophie, die Gramsci hier entwickelt. Er geht davon aus, dass „Sprache, Alltagsverstand, gesunder Menschenverstand, Popularreligion, Folkore [die Bausteine] sind, […] aus denen die spontane Philosophie sich zusammensetzt, und die intellektuelle Tätigkeit des Menschen in Bewegung setzen“.[164] Gramsci nutzt diese Grundideen um sein Bildungsverständnis herzuleiten. Generell impliziert der Begriff der Intellektuellen in der spontanen Philosophie bereits die Fähigkeit eines jeden Menschen sich zu bilden. Diese Figur kombiniert Gramsci mit einem Kulturverständnis, dass Kultur nicht als etwas Übergeordnetes, Unveränderbares fasst, sondern als „Ausdruck jeweils konkreter gesellschaftlicher Lebensweisen, […]sie [kann] als ein Tätigkeitsfeld charakterisiert werden, in der Notwendigkeit und Freiheit, Zwang und Autonomie notwendig dialektisch miteinander verknüpft sind“.[165]

    Das Bildungsverständnis, dass sich wiederum hieraus ergibt, zeigt, dass Bildung nicht länger als abgekoppelter Begriff zu verstehen ist, der außerhalb gesellschaftlicher Realitäten passiert, sondern „an die jeweils konkrete Lebensweise der Gesellschaft und der in ihr handelnden Menschen gebunden“ ist.[166] Die wechselwirkende Funktion der Kultur, als aus der Tätigkeit der Menschen entstandene Wertvorstellung, verfestigt in einer Lebensweise, schafft verschiedene Gestaltungs-räume ebendieser. Bernhard arbeitet heraus, dass vermittelt über die Kultur Verhältnisse und Menschentypen produziert werden, die in Anbetracht ebendieser Kultur adäquat erscheinen.[167] Eine an Handlung und gemeinschaftliches Erleben gebundene Bildung kann an dieser Stelle als Möglichkeit verstanden werden sowohl unterstützend, als auch konträr zu unbewussten Sozialisationsprozessen zu fungieren und die Produktion des Menschentypus zu beeinflussen. So wirkt Bildung als zielgerichteter Prozess, mit den „Hoffnungen auf Selbstbefreiung, Mündigkeit und Autonomie“[168] gleichzeitig verändernd auf die Kultur ein. Kultur bleibt dabei ein dynamischer Begriff, der beschreibt welcher Lebensweise Menschen nachkommen.

    Besonders relevant wird dieses Verhältnis, wenn wir mit Gramsci die Rolle marginalisierter Gruppen betrachten, die in vorherrschenden Strukturen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Generell versteht Gramsci den Menschen als widersprüchliches Wesen, zur Verdeutlichung stellt Bernhard heraus, dass der Alltagsverstand des Menschen in der Lage ist dessen Geschichtlichkeit zu bemerken, dies allerdings nicht reflektiert. Dies hat zur Folge, dass entstandene Konventionen in der Lebensweise der Menschen, als eben geschichtlich gewachsen verstanden und im nächsten Schritt „naturalisiert“ werden, sie also als gegebene Strukturen ohne Veränderbarkeit wahrgenommen werden.[169]

    Auch dieser Alltagsverstand ist in Nussbaums Konzept der Vernunft als praktisches Nachdenken wiederzufinden.[170] Beiden ist an dieser Stelle gemein, dass sie diese Form alltäglicher Auseinandersetzung anerkennen und als Grundlage anerkennen, die Menschen Handlungsmöglichkeiten eröffnet. So entwickeln beide, auf unterschiedliche Art und Weise und mit augenscheinlich unterschiedlichen Motiven, jeweils große Bedeutungen der Bildung in ihren Konzepten. Gramsci, der die Bildung der Menschen als befreiendes Moment versteht, die den Grundstein zur Mündigkeit legt und besonders die marginalisierten Gruppen befähigt sich der Restriktionen der Gesellschaft zu widersetzen und verändernd auf politische Systeme zu reagieren und Nussbaum, die ein ergebnisorientiertes Konzept entwickelt, in dem es um die Befähigung der Menschen geht ein gutes Leben in ihrem Sinne zu leben. Zwar geht es bei Gramsci expliziter um die Veränderung eines politischen Systems, in seinen konkreten Überlegungen das Ende des italienischen Faschismus, die gesellschaftlichen Konsequenzen, die im Verlauf der Darstellung des Capability Approach deutlich werden, die aus Nussbaums Ansatz zu ziehen sind, sind ebenso politisch, da sie zielgerichtet Veränderungen im Raum der gemeinsamen Lebensgestaltung herbeiführen wollen.

    3.3. Politische Teilhabe als Instrument der Veränderung oder Mittel der Herrschaftssicherung

    Die Grundlage für beide Ansätze bleibt allerdings, dass die Menschen, oder ganze Gruppen an gesellschaftlichen Prozessen teilhaben können und ihre Aktivität solidarische Anerkennung findet. Konkret bedeutet dies, will eine Gruppe bspw. Gesetzesänderungen erwirken, hat aber keinerlei Möglichkeit Einfluss zu nehmen auf Gesetzgeberinnen, findet die Aktivität in diesem Teil des sozialen Raumes keine Anerkennung, sondern erfährt eine Missachtung. Eine Missachtung in dem einen Bereich muss aber keine umfassende Missachtung darstellen, so kann es sein, dass das Bemühen der Gruppe an anderer Stelle mindestens begrüßt wird.

    Hier ergibt sich nun die Frage, was eine solche Teilhabe der Handelnden im Kontext von politischen Prozessen bedeutet. Um dies zu erklären wird zunächst der Begriff der politischen Teilhabe erarbeitet. In der Ausarbeitung wird deutlich werden, dass diese umfassend zu verstehen ist, als Teilhabe an politischen Prozessen, die staatlich und bürokratisch organisiert sind, aber auch als Teilhabe an politischen Prozessen, die im Rahmen von Zivilgesellschaft selbstorganisiert ablaufen und hier zwar ebenfalls bestehende staatliche oder anderweitige Herrschaftsstrukturen unterstützen können, aber eben auch als Möglichkeit einen Gegenentwurf zu entwickeln fungieren.

    Ein Element von Teilhabe ist bereits im Rahmen der Frage nach der Entstehung von sozialen Nahräumen aufgegriffen worden. Besonders im Hinblick auf Identitätsentwicklung und Anerkennung ist anzumerken, dass ein simples da sein bereits bedeutet, dass man teilhat. Diese sehr vereinfachte Darstellung greift den dargestellten Kerngedanken auf, dass der soziale Raum „die von den Handelnden Akteurinnen permanent (re)produzierte Räumlichkeit bezeichnet“.[171] Vor dem Hintergrund der Ausarbeitungen zum Begriff der Behinderung liegt hier das Verständnis zu Grunde, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten ebenfalls als handelnde Akteurinnen zu verstehen sind, die in ihrer wie auch immer gearteten Tätigkeit den sozialen Nahraum mitkonstituieren.

    Postek erarbeitet in Bezug auf die Situation von Menschen mit Lernschwierigkeiten eine Liste von fünf unterschiedlichen Formen politischer Teilhabe.

    Zunächst die Staatsbürgerrolle. Hier kann die Person sich an Wahlen beteiligen, sie bezeichnet diese Rolle als „der einfachste Akt und die egalitärste Form politischer Partizipation“.[172] Im Rahmen der parteiorientierten Partizipation organisieren sich Personen in Parteien, sind hier also aktiv, oder zumindest beigetreten. Die dritte Form ist die problemzentrierte Partizipation, bzw. der legale Protest. Hier organisieren sich Menschen aus einer Betroffenheit oder Affinität zu einem bestimmten Problem, in dem sie Demonstrationen besuchen, Unterschriften sammeln, sich einer Bürgerinitiative anschließen, es geht dabei nicht um die Teilnahme an institutionalisierten staatlichen politischen Prozessen.[173] Als vierte Form führt sie den zivilen Ungehorsam an, diesen fasst sie zusammen als Teilnahme an nicht legalen, aber gewaltfreien Aktionen, hier liegt der Unterschied zur fünften Stufe der politischen Gewalt.[174]

    Im Rahmen dieser Ausarbeitung liegt der Fokus aus den Teilhabeformen der problemzentrierten Partizipation.

    Bartelheimer beschreibt Teilhabe in Bezug auf aktuelle gesellschaftliche Strukturen. Seinen Begriff erarbeitet er im Kontext der Frage wie Teilhabe im Rahmen von Sozialberichtserstattung messbar werden kann. Er betont zunächst, dass Begriff, der „historisch relativ“[175] zu verstehen ist. Dies bedeutet, Teilhabe ist immer relativ an dem gegebenem Stand der Gesellschaft zu betrachten. Welche Ressourcen und Möglichkeiten bieten sich um teilhaben zu können, aber auch die Frage inwiefern in der jeweils gegebenen Mentalität die Teilhabe von Individuen oder Gruppen generell gewollt ist. Zunächst ist hier nun zu klären, dass ein mehrdimensionaler Teilhabegriff bedeutet, nicht ausschließlich von der Teilhabe einzelner Individuen an gesellschaftlichen, kulturellen oder politischen Prozessen zu reden, sondern auch Gruppen und ihre Stellung und Wirkungen im Sozialraum zu betrachten[176]. Diese Differenzierung im Feld der gelingenden Teilhabe impliziert bereits, dass auch in den Momenten in denen Teilhabechancen nicht genutzt werden können, Unterschiede zu finden sind. Bartelheimer regt hier, basierend auf Überlegungen von Castel, an, ein Spektrum von gelingender Teilhabe, also „erwünschter Vielfalt von Lebensweisen und inakzeptablen Gefährdungen von Teilhabe“[177] zu nutzen.

    Zunächst muss deutlich sein, dass Teilhabe „ein dynamisches Konzept“[178] ist, dass „durch soziales Handeln und in sozialen Beziehungen angestrebt und verwirklicht“[179] wird. Es gilt also sowohl bei der Bewertung von Teilhabemöglichkeiten, sowie bei dem Teilhaben an sich, das Subjekt mit seiner individuellen Ausgangsbedingung im Besonderen und die Gesellschaft mit ihren soziokulturellen, ökonomischen, politischen und kulturellen Ressourcen, wie das vorherrschende Menschenbild oder die aktuelle Gesetzeslage, die soziale Ordnung im Weber’schen Sinne oder die Cultura bei Gramsci, zusammenfasst, im Allgemeinen zu berücksichti-gen[180].

    Um Teilhabe etwas genauer fassen zu können beschreibt Bartelheimer vier verschiedene konkrete Formen ebendieser. Zunächst thematisiert er „Teilhabe am System gesellschaftlicher Arbeitsteilung über Erwerbsarbeit“[181], die zweite Kategorie, die er bildet ist die „Teilhabe in informellen sozialen Nahbeziehungen“[182], z.B. Familien, die „Teilhabe durch Rechte“[183] und zuletzt die „kulturelle Teilhabe durch den Erwerb von Kompetenzen und durch geteilte gesellschaftliche Wertorientierungen“[184].

    In dieser Auflistung der vier verschiedenen Typen von Teilhabe kann das Verständnis politischer Teilhabe den Kategorien „Teilhabe durch Rechte“ und „kulturelle Teilhabe“ zugeordnet werden. Besonders im Hinblick auf den Kulturbegriffs Gramscis wird so deutlich, dass im Rahmen politischer Teilhabe die von anderen Individuen der Gesellschaft anerkannte Handlung eines Menschen mit Lernschwierigkeiten grundlegend ist um Veränderungsprozesse in Bewegung zu setzen.

    Als konkretes Beispiel dient hier bspw. die in unserer Verfassung etablierte Wahlfreiheit. Rechtlich geregelt ist jede volljährige deutsche Bürgerin berechtigt wählen zu gehen, dennoch ist diese Festlegung nicht losgelöst von Wertvorstellungen und Normierungen zu betrachten, die unsere Gesellschaft außerhalb der Gesetzeslage vornimmt. So scheint die Tatsache, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten in ihrem Recht auf Wahlfreiheit immer wieder offenkundig beschnitten werden, in großen Teilen der Gesellschaft akzeptiert zu werden, da kaum Protest gegen diese Entwicklung wahrzunehmen ist. Gleichzeitig findet derzeit noch zu wenig politische Aktivität von Menschen mit Lernschwierigkeiten statt, die gesellschaftlich anerkannt ist und somit verändernd auf ebendiese ablehnende Kultur wirken kann.

    Bartelheimer greift im Begriff von Teilhabe zwar bereits auf, dass es Abstufungen beim konkreten Wahrnehmen von Teilhabechancen geben kann und benennt dies mit dem Begriff einer geringeren Qualität der Teilhabe. An sich ist seine Darstellung, dass Teilhabe durch die Analyse von Chancen oder Handlungsspielräumen mess-bar werden kann durchaus sinnvoll, da sich so ein Moment festsetzen lassen könnte an dem eine besonders niedrige Qualität der Teilhabe als prekär verstanden werden kann.[185] Auch vor dem Hintergrund, das Teilhabe als Begriff im Rahmen der International Classification of Disability, Functioning and Health (im weiteren Verlauf ICF genannt) Einzug in diagnostische Verfahren erhalten hat und hier der Grad der Einschränkung der Teilhabe als Marker für die Schwere einer Behinderung verstanden wird, ist in Anbetracht des bisher vertretenen Verständnisses von Behinderung im Allgemeinen und Lernschwierigkeit im Speziellen, die Bedeutung dessen noch zu schwach und zu wenig scharf formuliert.[186]

    Politische Teilhabe findet in mehreren Dimensionen statt, der Ressource des Subjekts, und gesellschaftlicher, kultureller Wertsysteme. Besonders im Hinblick auf Teilhabe von Menschen mit Lernschwierigkeiten ist in dieser Mehrdimensionalität besonders die subjektive Theorie zu betonen, in der es auch sozialisationstheoretische Aneignungsprozesse geht. Dies liegt begründet in der Unterstellung, die bereits im Rahmen der Vorannahmen zu Behinderungsbegriff und Eigenlogik der Handlungen angesprochen wurde, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten bereits eine so eingeschränkte Wahrnehmung der Welt haben, dass politische Teilhabe gar nicht möglich ist. In Deutschland hat sich diese alltagsphilosophische Annahme nicht nur kulturell in Form der Lebensweise und vor allem der Art und Weise des Umgangs mit Menschen mit Lernschwierigkeiten manifestiert, sondern hat auch rechtliche Konsequenzen. So hat die rechtliche Regelung der gesetzlichen Betreuung bspw. offiziell den Status der Entmündigung abgelöst und es wurde ein differenzierteres System entwickelt in dem ein Mensch mit Lernschwierigkeiten im Idealfall prozesshaft mit Angehörigen und Verantwortlichen erarbeiten kann an welcher Stelle Unterstützung nötig ist. Wird festgestellt, dass eine gesetzliche Betreuung in allen Angelegenheiten nötig ist bedeutet dies allerdings, dass der Mensch das Recht verliert wählen zu gehen.[187] Anhand dieses Umstandes verdeutlicht sich das Dilemma, welches eingangs als besonders gravierende Form der Diskriminierung von Menschen mit Lernschwierigkeiten benannt wurde.

    Welti betont in seiner Auseinandersetzung mit dem Recht auf politische Teilhabe in einer parlamentarischen Demokratie, dass politische Teilhaberechte, unter die er auch das Wahlrecht als demokratische Teilhabe fasst, universell den Bürgerinnen zustehe. Er stellt fest:

    „Jede Ungleichbehandlung beim Wahlrecht ist eine Verweigerung der politischen Autonomie. Der Staat ist hier verpflichtet, die Voraussetzungen zur Teilhabe zu schaffen. Jeder rechtliche und tatsächliche Ausschluss behinderter Menschen von politischen Teilhaberechten ist durch die strengen Gleichheitssätze der staatsbürgerlichen Gleichheit und Rechtsgleichheit behinderter Menschen einer besonders strengen Rechtfertigungspflicht unterworfen. So muss der Staat im Wahlrecht durch die Briefwahl, barrierefreie Wahllokale und Wahlvorrichtungen die Möglichkeit für behinderte Menschen schaffen, an Wahlen und Abstimmungen und damit an der Willensbildung des Staates teilzuhaben.“[188]

    Er lässt in dieser Feststellung Bildung und Aufarbeitung politischer und vor allem staatlicher Abläufe in einfacher Sprache, also eine Barrierefreiheit bereits im Zugang von notwendigen Informationen zwar außen vor, dennoch wird deutlich, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten in Deutschland an dieser Stelle derzeit eine Verletzung ihrer Grundrechte erleben, wie wenige Personen, die die deutsche Staatsbürgerschaft innehaben sie erfahren.

    Auch Welti bezieht sich in der Definition des Teilhabebegriffs auf die Relevanz im ICF. Er arbeitet heraus, dass Behinderung hier „anhand des Defizits von Teilhabe konstituiert ist“.[189] Teilhabe versteht sich hier als „Einbezogensein in die Lebenssituation“.[190]

    Zusammenfassend sei erklärt, dass all diesen sehr konkreten Momenten von Teilhabe stets das bereits beschriebene Verständnis zu Grunde liegt, dass jedes Subjekt an sich teilhaben kann und dies auch grundsätzlich allein schon durch die Konstruktion des Sozialraumes tut. Dennoch findet man Teilhabe in sehr verschiedener Qualität vor. Der Grund für eine schwankende Qualität ist dabei sowohl im Problem der Anerkennung von Menschen mit Lernschwierigkeiten als autonome Individuen und somit Teil einer reziproken Wertgemeinschaft zu suchen, wie in politischen Strukturen. So wird besonders in der intersubjektiven und der Herrschaftsdimension des Sozialraums eine Beschneidung von Verwirklichungschancen vorgenommen. Dieses kann aufgrund der individuellen Ausgangslage des Subjekts geschehen, oder aufgrund konstruierter Instanzen des Sozialraums, die an sich Individuen oder Gruppen diskriminieren. Ein weiterer Grund ist außerdem, die Frage nach der Motivation des zielgerichteten politischen Handelns.

    Im Kontext von Gramscis Intellektuellen Begriff arbeitet Jantzen heraus, das Intellektuelle, die auch die Aufgabe Intellektueller in der Gesellschaft übernehmen dies ausführen indem sie die Traditionen und Handlungsweisen einer Institution, wie bspw. einer Profession übernehmen.[191] Der Intellektuelle ist als organischer Intellektueller in der Lage sich sowohl in den Dienst der Herrschenden zu stellen, vor dem Hintergrund der Herrschaftsdimension des sozialen Raumes ist dies auch nicht anders möglich, da der soziale Raum ja eben auch durch Restriktionen begrenzt ist, aber auch sich seiner beeinflussenden Position bewusst zu werden und verändernd zu wirken.[192] Diese verändernde Wirkung findet maßgeblich außerhalb staatlicher oder professioneller Institutionen statt. Der Raum in dem Intellektuelle, politisch Handelnde gemeinsam über ihr konkretes Verhalten auf Kultur und Kommunikationsprozesse und den sozialen Nahraum als direkte Lebenswelt einwirken ist hier losgelöst von staatlichen oder parlamentarischen Strukturen zu sehen, die Verortung dieser Prozesse findet in dem Bereich statt, den Postek als problemzentrierte Partizipation oder legalen Protest festlegt.

    3.4. Kollektives Handeln in Zivilgesellschaft als Raum alltäglicher Lebensgestaltung

    Die Relevanz der Zivilgesellschaft als Raum für problemzentrierte Partizipation oder politische Teilhabe marginalisierter Gruppen, wie dem Personenkreis von Menschen mit Behinderung, wird besonders in der Verortung von Zivilgesellschaft als dritter Raum neben Staat und Wirtschaft deutlich.

    Diese Verortung findet sich zunächst bei Gramsci, der in der Entwicklung seiner Theorie von Zivilgesellschaft betrachtete warum sich in den westeuropäischen Kulturen kein sozialistisches System durchsetzte.[193] Einen Grund sah er u.a. in dem Umstand, dass die kapitalistischen Systeme nicht nur durch Menschen unterstützt wurden, die ein konkretes Interesse an deren Erhalt hatten, sondern der Kapitalismus „war kulturell hegemonial, das heißt führend und dominant“.[194] Die Aushandlungsprozesse, die einer solchen kulturellen Hegemonie voran gingen, verortete Gramsci in der Zivilgesellschaft. Hier gilt es in seinem Verständnis als Aufgabe der organischen Intellektuellen, aber, wie bereits beschrieben, auch marginalisierter Gruppen Veränderungsprozesse in Gang zu setzen, die sich in einer veränderten Kultur niederschlagen würden. Das Dilemma in dem sich die Akteurinnen hier befinden ist, dass Zivilgesellschaft in der Analyse nicht nur als Ort für tiefgreifende Veränderungen der Herrschaftsverhältnisse verstanden wird, sondern maßgeblich der Hegemoniesicherung der politischen Gemeinschaft, verkürzt: der politisch machtvollen Gruppen.[195] Angelehnt an die Philosophie der Praxis, die auf dem Verständnis beruht jeder menschlichen Tätigkeit liegt eine spontane Philosophie zu Grunde, betont Bernhard, dass über Zivilgesellschaft ein spontaner Konsens geschaffen wird, der den „herrschenden Gruppen dauerhafte Konformität der Bevölkerung mit ihren Zielsetzungen“[196] organisiert. Dennoch ist Zivilgesellschaft als scheinbar privater Ort ein „großes Feld für politisch-kulturelle Initiativen dieser Zivilgesellschaft, die in Gegensatz zu dieser Hegemonie treten können, indem sie Konsens und seine Grundlage systematisch überprüfen“.[197] Grundlegend für Gramsci ist an dieser Stelle, dass „eine Hegemonie […] niemals absolut stabil [ist], das heißt die gesellschaftlichen Verhältnisse im Sinne der politischen, ökonomischen und kulturellen Beziehungen und Rahmenbedingungen sind stets brüchig, unvollständig und widersprüchlich“.[198] Adloff betont ebenfalls, dass das Verständnis von Zivilgesellschaft als ein solcher Raum ohne Wirtschaftsakteure und als „autonomer Raum nicht-staatlicher Organisationen“[199], also als dritter Sektor neben Staat und Wirtschaft auf Gramsci zurückgeht. Wie Adloff, räumt auch Bernhard ein, dass diese Trennung nur idealtypisch und als Analyseinstrument zu verstehen ist, da die tatsächliche Verstrickung der drei Bereiche real und oft schwer nachvollziehbar ist.[200]

    Während Gramsci bspw. auch Kirchen als privat und der Zivilgesellschaft angehörig ansieht, findet sich bei Dewey eine differenziertere Trennung von privat und öffentlich. Privat ist in seinem Verständnis, wenn „das Zusammenhandeln von zwei oder mehr Akteuren keine Auswirkungen auf Dritte“ hat.[201] Sollten eben doch Auswirkungen auf Dritte entstehen, die diese wiederum beeinflussen und auf sie wirken wollen, entsteht Öffentlichkeit. „Sie besteht aus Bürgern und Bürgerinnen, die aus einer gemeinsam erlebten Betroffenheit zu dem Schluss kommen, dass die fraglichen Interaktionen kontrolliert werden müssen.“[202] Erst aus dieser Interaktion und daraus resultierenden Entscheidungen die Dinge einer bestimmten Ordnung unterstellen zu wollen entsteht der Staat. Die besondere Relevanz, die dem Verhältnis Staat als ständig wandelbares Ergebnis von Aushandlungsprozessen der Öffentlichkeit, zu Grunde liegt, wird auch deutlich, wenn Adloff heraus arbeitet, dass Dewey diese Kausalverbindung gegen „die Tendenzen der Bürokratisierung und Professionalisierung des sozialen Lebens“ verteidigen will.[203] Neben dem Aspekt der kommunikativen Problemlösung und die „praxisorientierte kollektive Folgenabschätzung“[204] geht es in Deweys Verständnis von Zivilgesellschaft vor allem um den Gemeinsinn, der dem Eigennutzen vorrangig sein soll. Dies zu erreichen hofft Dewey in der Organisation der Zivilgesellschaft als Gemeinschaft, in der allen Mitgliedern ihre Wirkung deutlich ist und ihre Aktivitäten im Hinblick auf die Verbesserung der gemeinsamen Situation anerkannt sind. Jantzen arbeitet heraus, dass diese Haltung zunächst als Gegenpol zu einem liberalen Verständnis von Zivilgesellschaft als aus staatlichen Bezugssystemen ausgelagerter Ort, wünschenswert ist, betont aber auch die Gefahren eines Missbrauchs des Gemeinschaftssinns.[205] Als Negativbeispiele arbeitet er bspw. die Volksgemeinschaft im dritten Reich heraus.[206] Um einer solchen Falle zu entgehen arbeitet er stärker mit dem Begriff der Gleichheit „in der wechselseitigen Anerkennung und nicht nur als Gleichheit vor einem wie immer gearteten Gesetz“.[207] Als besonders hebt er außerdem hervor, dass die Akteurinnen hier zivile Vereinigungen sind, die sich zwar als Mitgliedergruppen einer Gemeinschaft qualifizieren aber eben auch unabhängig einer solchen Wertgemeinschaft agieren können.[208]

    Zivilgesellschaft ist zusammenführend als Raum im Sinne eines Beziehungsraums zu verstehen, in dem vor dem Hintergrund gemeinschaftlicher Interessen und Werte, eine Kultur im Sinne Gramscis, nicht nur gelebt, sondern kritisch betrachtet, also wahrgenommen und interpretiert, aber auch gestaltet wird. Angesiedelt ist die Zivilgesellschaft zwischen dem Staat, deren inhaltliche Ausrichtung sie maßgeblich beeinflusst, und der Wirtschaft. Im Sinne der problemzentrierten Partizipation sind die Themen, die konkret im jeweiligen Moment vom kollektiven Handlungsgefüge Zivilgesellschaft bearbeitet und kritisiert werden, Themen, die die Lebenswelt der Handelnden derzeit betreffen. In einem solidarischen Verständnis ist dabei auch festzuhalten, dass es nicht notwendig ist, dass alle Handelnden gleichzeitig betroffen sind von Diskriminierungen oder Restriktionen, sondern, die Anerkennung der jeweils betroffenen Handelnden Grund genug ist für solidarisches kollektives Handeln.

    3.5. Verortung von Menschen mit Lernschwierigkeiten im Gefüge sozialer Nahraum und Zivilgesellschaft

    Beispielhaft für einen solchen Personenkreis sind Menschen mit Lernschwierigkeiten zu verstehen. Oft leben diese im Konkreten in Institutionen und können so mit großen Teilen der Gesellschaft keinerlei Kongruenz in Dauer oder Gedächtnis zeigen. Dies erschwert zwar solidarische Identifikationsprozesse, bedeutet allerdings nicht, dass diese ausgeschlossen sind. In der Anerkennung als autonome Individuen, als Intellektuelle, und Teil einer Wertgemeinschaft, die sich als Zivilgesellschaft wirksam handelnd in Bezug auf gesamtgesellschaftliche Willensbildungsprozesse und Haltungen erlebt, liegt nicht nur die Grundlage für Veränderungsprozesse.

    Im bisherigen Diskurs ist deutlich geworden, dass Verhalten, als die von anderen wahrnehmbare Handlung im Kern immer subjektiv sinnvoll ist.

    Auch ein Mensch mit Lernschwierigkeiten, der sich selbst verletzt und bspw. ständig beißt, sieht in diesem Verhalten eine Logik. In Anlehnung an die Deprivationsforschung von Rene Spitz, kann man in diesem Verhalten bspw. eine Kompensation der Reizdeprivation sehen. Der Mensch hat keine Möglichkeit sich im deprivierenden Umfeld einer Einrichtung ein Gegenüber zu finden anhand dessen er sich selbst erfahren kann, also muss er auf sich selbst zurückgreifen. Der Mensch ist dennoch Teil des sozialen Raums und als handelnde Akteurin eben auch konstituierend. Eine Aberkennung dieser Fähigkeit, bspw. in Form des Abschottens des Menschen in einer Einrichtung, um sich oder andere vor sich selbst oder ihr zu schützen, bedeutet nur, dass man diesen Menschen im Nutzen seiner Teilhabechancen einschränkt und mehr noch sie als Trägerin der Menschenwürde hinterfragt.

    Eine Aberkennung beginnt an dieser Stelle schon in der bloßen Absprache einer Fähigkeit. Besonders im Rahmen der professionellen Behindertenhilfe, aber auch im Rahmen der alltäglichen Auseinandersetzungen mit dem Thema Lernschwierigkeiten findet bspw. eine Formulierung immer mehr Anklang, in der erwachsene Menschen, die den rechtlichen Status der Volljährigkeit bereits erreicht haben, und dementsprechend viele Jahre Handlungserfahrungen, zumeist negative, also nicht wirkungsvolle, in dieser Welt sammeln konnten, reduziert werden auf eine wesentlich jüngere Altersgruppe. Immer häufiger wird betont der Mensch sei zwar dreißig Jahre alt, aber kognitiv auf dem Stand eines dreijährigen Kindes, mittlerweile manifestiert sich dieses Verständnis einer menschlichen Entwicklung und Auseinandersetzung mit Umwelt auch in diagnostischen Verfahren.[209]

    Auch dies ist eine Form der Aberkennung und Diskriminierung, die Fähigkeit an gesellschaftlichen Prozessen teilzuhaben aberkennt. Deutlich wird dies u.a. daran, dass man als deutsche Bürgerin mit sechzehn, bzw. achtzehn Jahren wählen darf, einem dreijährigen Kind wird ein solcher Abwägungs- und Überlegungsprozess bei weitem nicht zugetraut, warum also einem Menschen der kognitiv einem solchen Kind entspricht. Offensichtlicher und augenscheinlich gravierender verdeutlicht sich die aberkennende Tendenz auch in aktuellen biotechnischen Entwicklungen, die sich besonders negativ auf die Lebenssituation von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen auswirken. Eine ähnliche Dynamik entwickelt sich im Umgang mit Pränataldiagnostik. Diese wirkt sich auf werdende Eltern, oder Eltern, die sich gegen die Abtreibung eines Kindes entschieden haben, dem im Rahmen eines Tests das Risiko einer Beeinträchtigung zugeschrieben wurde, aus, indem diese in Rechtfertigungspositionen gebracht werden, die wiederum implizieren eine Lernschwierigkeit, eine Beeinträchtigung wären Schicksale, die man absichtlich niemanden zutrauen dürfe.[210]

    Abgesehen von dieser strukturellen Diskriminierung schlägt sich eine solche Haltung auch im alltäglichen Verhalten nieder. Greifen wir die bisher vorgestellten Konzepte auf, dass ein solches alltägliches Verhalten zur Konstitution des sozialen Raumes gehört und, im Sinne Gramscis, Grundstein einer Kultur darstellt, gehören Menschen mit Lernschwierigkeiten demnach zu einer Gruppe, deren Diskriminierung historisch gewachsen ist, mittlerweile aber als gegeben und naturalisiert, wie von Gramsci beschrieben, wahrgenommen wird. Kombiniert man dies mit der angesprochenen Problematik, dass Grundlage unserer gesellschaftlichen Interaktion und der politischen Prozesse nach wie vor eine Erwartung von Reziprozität ist, geht die augenscheinlich simple Diskriminierung weit über die Aberkennung oder Missachtung der Fähigkeit hinaus und wird zu einer Infragestellung der Würde der Menschen.

    Dies ist mit einem sozialethischen Gesellschafts- und Politikverständnis nicht vereinbar, geht es hier doch um Ordnungssysteme einer Gesellschaft, die die Würde aller Menschen schützen soll und diese nicht als etwas versteht, dass der Mensch sich über eine Leistung erarbeiten muss.

    An dieser Stelle verdeutlicht sich ein umfassender Zusammenhang, der im Rahmen dieser Arbeit aufgezeigt werden soll. Die von Werlen beschriebene Problematik, des nicht Verstehen der Handlungen des Gegenüber aufgrund einer zu großen Diskrepanz in Dauer und Gedächtnis, ist die Grundlage für die Entstehung einer Behinderung in dem Verständnis, wie es den Ausarbeitungen zu Grunde liegt.

    Im Falle einer entstandenen Behinderung kommt es nicht zu einer Art Neuverhandlung und einer Veränderung der Wissensstruktur der an der Handlung beteiligten. Handelnde, deren Handlung in ihrer Art eine höhere Kongruenz mit der Dauer und dem Gedächtnis vieler anderer Handelnder in der sozialen Welt hat, haben die Deutungshoheit und so reproduziert sich die Behinderung.

    Diesen Unterstellungen und weiteren Missachtungen, die sich als Alltagsphilosophie auch kulturell und in Deutschland auch rechtlich verankert haben, kann im Rahmen einer sozialethischen Betrachtung nur begegnet werden indem die Diskussion um das Vermögen von Menschen mit Lernschwierigkeiten Teil einer Wertgemeinschaft zu sein entkräftet wird. Dies geschieht sowohl durch das Betrachten des Nussbaum’schen Verständnisses der Würde des Menschen als eine Würde der Bedürftigkeit, als auch durch die Darstellung der Behinderung als sozialer Bestand, der in der Interaktion entsteht und sich durch die Aberkennung und das Vorenthalten von Teilhaberechten verfestigt.

    Hier verdeutlicht sich die zweite wichtige Annahme, die ebenfalls als Begründung verstanden werden soll warum politische Teilhabe von Menschen mit Lernschwierigkeiten relevant ist. Nicht nur ist ein Verweigern dieser Form der Teilhabe eine Aberkennung, die weit über eine rechtliche Diskriminierung hinausgeht und den Menschen mit Lernschwierigkeit als menschliches Wesen in Frage stellt und somit eine Absprache der menschlichen Würde stattfindet.

    Verweigerung politischer Teilhabe aufgrund einer Alltagsphilosophie, die besagt, Teilhabe wäre aufgrund scheinbarer kognitiver Tatbestände nicht möglich lässt Behinderung als solche überhaupt erst entstehen. Eine wichtige Begründung politischer Teilhabe von Menschen mit Lernschwierigkeiten ist somit auch eine präventive Verhinderung von Behinderung. Dies findet nicht nur auf der individuellen Ebene Bedeutung, insofern der Mensch mit Lernschwierigkeit sich selbst als erfolgreich handelnd erlebt, sondern führt gleichzeitig zu einer veränderten Wahrnehmung von Lernschwierigkeiten im Besonderen und Behinderungen im Allgemeinen. Um diese zweite Kernthese genauer herauszuarbeiten werden im Nachfolgenden relevante Elemente des Capability Approach dargestellt um nicht nur herauszuarbeiten, dass jeder Mensch bestimmte Befähigungen oder Fähigkeiten hat, die es auszubilden gilt um eine gutes Leben in ihrem Sinne zu führen, sondern auch um zu verdeutlichen welchen Einfluss eine solche Wirksamkeits- und Anerkennungserfahrung auf Individuum und Gesellschaft, auf Habitus und soziale Welt hat.

    Bereits an mehreren Stellen angesprochen ist ein Problem, dass besonders im Kontext politischer Teilhabe Menschen mit Lernschwierigkeiten zusätzlich einschränkt. Betrachten wir nochmals Huth Verständnis, das politisches Handeln freiwilliges Handeln ist, dass verändernd auf politische Strukturen wirkt, ergibt sich ein Dilemma. Aufgrund der allgemeinen in der Kultur manifestierten Haltungen gegenüber Menschen mit Lernschwierigkeiten, ergibt sich eine Lebenswelt, die zunächst nicht unterstützend und befähigend auf diese wirkt. Dies hat zur Folge, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten in sehr wenigen bis keinen Momenten in ihrem Leben die Möglichkeit haben zu erfahren was es bedeutet verändernd zu wirken. Um eine Veränderung zu bewirken muss auf der Seite des Gegenübers eine Anerkennung gegeben sein.

    Wenn politisches Handeln außerdem als freiwilliges Handeln zu verstehen ist, begegnet uns abermals das Problem der adaptiven Präferenzen. Schon bei Gramsci wird die Problematik benannt, dass die Subjektwerdung des Menschen tatsächlich gesellschaftlichen Reproduktionsbedingungen unterworfen ist.[211] Es wurde heraus-gearbeitet, dass sowohl auf individueller, wie auch gesellschaftlicher Ebene, die Tendenz besteht bekannte Handlungsmuster zu nutzen und den bekannten Zustand der Gesellschaft so zu erhalten. Nussbaum greift im Begriff der adaptiven Präferenzen genau diese Tendenz als problematisch auf und setzt sie in ein Verhältnis zur Selbstverhältnis der Person.[212] Dieses problematische Verhältnis zur eigenen Person zeigt sich darin, dass die Person sich „womöglich in Unkenntnis darüber befinden [kann], worin ihre wirklichen Bedürfnisse bestehen“.[213] Diese Unkenntnis hängt eben nicht nur mit dem Umstand zusammen, dass ein Status Quo erhalten werden möchte, sondern auch damit, dass „Personen es in Deprivationssituationen als akzeptabel betrachten, ein Leben unterhalb eines Mindeststandards für ein gutes menschlichen Lebens zu führen, oder […] sie nicht einmal in der Lage sind, diese Situation als defizitär wahrzunehmen“.[214] Menschen mit Lernschwierigkeiten erleben sich an dieser Stelle nicht nur in einer Deprivationssituation, in der sie ein solches Leben unterhalb des Mindeststandard annehmen, der Moment der Freiwilligkeit politischen Handelns wird hier nahezu hinfällig. Nussbaum und Sen begegnen diesem Phänomen im Capability Approach mit dem Konzept der Befähigungen und Funktionen und der positiven Freiheiten. Im weiteren Verlauf wird dieses Konzept als Perspektive zur Etablierung und Unterstützung von Menschen mit Lernschwierigkeiten als politische Akteurinnen vorgestellt.



    [101] Voigt, 1999, 122.

    [102] Voigt, 1999, 123.

    [103] Schmidt, 1996, zit. nach: Voigt, 124, 1999.

    [104] Voigt, Manfred, 1999, 125.

    [105] Voigt,1999, 130.

    [106] Braun, 2008, 126.

    [107] A.a.O., 124.

    [108] Bernhard, 2005, 94.

    [109] A.a.O., 45.

    [110] Voigt, 1999, 130.

    [111] Voigt, 1999, 130.

    [112] Grundmann, Kunze, 2008, 172.

    [113] Vgl. Steckmann, 2008, 100. Und: Kessl, 2011, 297.

    [114] Grundmann, Kunze, 2008, 173.

    [115] Vgl. Grundmann, Kunze, 2008, 175.

    [116] A.a.O., 174.

    [117] Vgl. Bayer, 2008, 42.

    [118] Vgl. Müller, 2007, 112.

    [119] Ebd.

    [120] Vgl. Müller, 2007, 112.

    [121] Müller, 2007, 112.

    [122] Ebd.

    [123] Kessel, Reutlinger, 2007, 21.

    [124] A.a.O.

    [125] Vgl. Bayer, 2008, 40.

    [126] Vgl. Bernhard, 2005, 89ff.

    [127] Bernhard, 2005, 89ff.

    [128] Vgl. Bayer, 2008, 40.

    [129] A.a.O.

    [130] Vgl. Bayer, 2008, 50.

    [131] Bayer, 2008, 42.

    [132] Bayer, 2008, 42.

    [133] Werlen, 1997, 130.

    [134] Vgl. Werlen, 1997, 130.

    [135] Werlen, 1997, 130.

    [136] Werlen, 1997, 130.

    [137] Ebd.

    [138] Werlen, 1997, 131.

    [139] Werlen, 1997, 133.

    [140] A.a.O., 132.

    [141] Vgl. Werlen, 1997, 132.

    [142] Werlen, 1997, 133.

    [143] Werlen, 1997, 134.

    [144] Werlen, 1997, 134.

    [145] Werlen, 1997, 112.

    [146] Seifert, Steffens, 2009, 14.

    [147] Ebd.

    [148] Vgl. Seifert, Steffens, 2009, 14.

    [149] Huth, 2003, 149, zit. n. Postek, 2009.

    [150] Rehbein, 2011: 95

    [151] Ebd.

    [152] Nussbaum, 2014, 222.

    [153] Ebd.; Reese- Schäfer, 2011, 109.

    [154] Nussbaum, 2014, 224.

    [155] Vgl. Nussbaum, 2014, 220.

    [156] Nussbaum, 2014, 226.

    [157] Bernhard, 2005, 94.

    [158] A.a.O., 45.

    [159] A.a.O., 92.

    [160] Bernhard, 2005, 99.

    [161] Jantzen, 1993, 41.

    [162] Bernhard, 2005, 99.

    [163] Ebd.

    [164] Bernhard, 2005, 100.

    [165] Bernhard, 2005, 101.

    [166] Bernhard, 2005, 101.

    [167] Ebd.

    [168] Bernhard, 2005, 100.

    [169] A.a.O., 103.

    [170] Nussbaum, 2014, 224.

    [171] Kessl, 2011, 291.

    [172] Postek, 2009.

    [173] Vgl. Postek, 2009.

    [174] Vgl. Postek, 2009.

    [175] Bartelheimer, 2007, 8.

    [176] Vgl. Bartelheimer, 2007, 8.

    [177] Bartelheimer, 2007, 8.

    [178] Ebd.

    [179] Ebd.

    [180] Vgl. Bartelheimer, 2007, 9.

    [181] Bartelheimer, 2007, 11.

    [182] Ebd.

    [183] Ebd.

    [184] Ebd.

    [185] Bartelheimer, 2007, 12.

    [186] Vgl. Grampp, Jackstell, Wöbke, 2013.

    [187] Vgl. Palleit, 2011.

    [188] Welti, 2005, 535.

    [189] Welti, 2005, 537.

    [190] Ebd.

    [191] Vgl. Jantzen, 1993, 41.

    [192] Vgl. Jantzen, 1993, 42.

    [193] Vgl. Adloff, 2005, 41.

    [194] Ebd.

    [195] Bernhard, 2005, 135 ff.

    [196] A.a.O., 139.

    [197] Bernhard, 2005, 140.

    [198] Süß, 45.

    [199] Adloff, 2005, 44.

    [200] Vgl. Adloff, 2005, 43; Bernhard, 2005, 136.

    [201] Adloff, 2005, 47.

    [202] Adloff, 2005, 47.

    [203] Adloff, 2005, 48.

    [204] Ebd.

    [205] Jantzen, 2004, 212f.

    [206] Vgl. Jantzen, 2004, 212f.

    [207] Ebd.

    [208] Ebd.

    [209] Vgl. Dosen, 2010.

    [210] Vgl. Antor, 2009, 134.; vertiefend hierzu Mürner, 1998.

    [211] Bernhard, 2005, 94.

    [212] Steckmann, 2008, 100.

    [213] Ebd.

    [214] A.a.O., 104.

    4. Politische Selbstwirksamkeit: Perspektiven

    Die Ausarbeitungen bisher haben aufgezeigt welche Begründungen es gibt Menschen mit Lernschwierigkeiten als politische Akteurinnen im sozialen Nahraum wahrzunehmen und anzuerkennen. Im weiteren Verlauf soll nun anhand der Darstellung des Capability Approach betrachtet werden inwiefern politische Teilhabe als Verwirklichungschance und somit als Moment der Befähigung zu verstehen ist, in dem die bloße Fähigkeit, als Befähigung (capability), politisch teilzuhaben in eine Handlungsmöglichkeit, als Funktion (functioning), überführt wird. In der Auseinandersetzung mit der Frage nach der Bedeutung von politischer Selbstwirksamkeit sollen Perspektiven aufgezeigt werden.

    4.1. Grundannahmen des Capability Approach

    Nussbaum entwickelt den Capability Approach gemeinsam mit Sen. Im Mittelpunkt steht die Befähigung der Menschen, die ihnen zur Verfügung stehenden Güter zu nutzen, auszubauen und so die Verwirklichung der individuellen Ansprüche an ein gutes Leben umzusetzen.[215]

    Nussbaum setzt sich vor allem mit der Frage auseinander, welche Befähigung (capabilities) der Mensch an sich besitzt, während Sen als Ökonom seinen Schwerpunkt klar im Feld der ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Wirkungsweisen sieht und menschliche Entwicklung als Freiheiten versteht.

    Bereits dargestellt wurde das Verständnis der Person, das Nussbaum in aristotelischer Tradition in Kritik an Rawls weiterentwickelt. Ihre Auseinandersetzungen zu der Frage inwiefern eine Person sich durch die Vernunft vom animalischen unterscheidet, sind bereits erörtert. Wichtig ist nochmals hervorzuheben, dass Nussbaum davon ausgeht, dass jeder Mensch vernünftig handelt. Dies argumentiert Sie, indem sie einen umfassenden, praktischen Vernunftbegriff entwickelt.

    Auch, wenn es sich um einen gemeinsam entwickelten Ansatz handelt, nähern sich Nussbaum und Sen von zwei unterschiedlichen Perspektiven an. Otto und Ziegler stellen heraus, das Sens Fokus „das Arrangement differenter Handlungs- und Daseinsweisen, über das je unterschiedliche Menschen verfügen und damit verbunden die Frage nach ihren positiven Freiheiten, sich für ein als erstrebenswert betrachtetes Leben entscheiden zu können“ ist.[216] Er arbeitet mit dem Begriff der positiven Freiheit und knüpft diesen eng an ein Verständnis von Entwicklung. Sen betont, Entwicklung lasse sich „als Prozeß [sic!] der Erweiterung realer Freiheiten verstehen, die den Menschen zukommen“.[217] Um in diesem Sinne Freiheiten entwickeln zu können, müssen nach Sen die Gründe für Unfreiheiten beseitigt werden. Sowohl als Ursache, als auch als Erscheinungsform einer Unfreiheit stellt er bspw. Armut heraus, als weitere Erscheinungsformen stellt er allerdings auch die „Verweigerung politischer und bürgerlicher Rechte seitens autoritärer Regime und erzwungener Beraubung der Freiheit, am sozialen, politischen und wirtschaftlichen Leben des Gemeinwesens teilzunehmen“ dar.[218]

    In dem Verständnis Entwicklung immer als Erweiterung von Freiheiten zu verstehen spricht Sen dieser Erweiterung von Freiheit zwei Ebenen zu. So haben diese eine konstitutive Funktion, hier kann die Erweiterung der Freiheit an sich bereits als oberstes Ziel von Entwicklung verstanden werden. Außerdem kommt hier eine instrumentelle Ebene hinzu. Durch diese wird Erweiterung von Freiheit nicht nur, als oberstes Ziel, sondern auch als wichtiges Mittel für Entwicklung verstanden.[219] Als Beispiel für instrumentelle Freiheiten hebt Sen beispielhaft auch die politische Freiheit heraus.

    „Politische Freiheiten im weiten Sinne, d.h. unter Einschluß [sic!] der sogenannten bürgerlichen Rechte, betreffen die Möglichkeit, darüber mitzuentscheiden, wer und nach welchen Prinzipien er regiert.“[220]

    Sen beginnt im Zusammenhang mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen politischen Freiheiten und ökonomischen Bedürfnissen eine kurze Argumentation in der er beides aneinander knüpft, statt es gegeneinander zu stellen. Diese Verknüpfung führt er bspw. darauf zurück, dass wir die genaue Bestimmung was unsere ökonomischen Bedürfnisse eigentlich sind, erst in der Diskussion und Debatte im Rahmen der politischen Freiheit, vornehmen.[221] Um diesen Zusammenhang noch zu verdeutlichen, hebt er die instrumentelle Bedeutung der Erweiterung politischer Freiheit, sowie die konstruktive Bedeutung der Erweiterung politischer Freiheit explizit vor. Sen, der als leitendes Symptom globaler sozialer Ungerechtigkeit die Vorkommnisse von Hungersnöten sieht und die Analyse dieser als Grundlage seiner Argumentation nutzt, arbeitet im Hinblick auf die instrumentelle Bedeutung heraus, politische Freiheit als wichtigstes Mittel zu nutzen, um ebendiese auch zu entwickeln. Er betont, dass in keinem demokratisch geführten Land mit unabhängiger Presse bisher eine Hungersnot ausgebrochen sei. In politischen Systemen in denen Politikerinnen auf politische Freiheiten wie Meinungsäußerung angewiesen sind um Interessen repräsentieren und somit ihr Amt sichern zu können kommt dies nicht vor. Er verknüpft vor dieser Analyse politische Freiheit als Mittel um politische Freiheit sichern zu können.[222] Im Hinblick auf die Frage nach der konstruktiven Rolle der politischen Freiheit stellt er fest, dass zunehmend unterschätzt wird wie sehr sich Diskussions- und Debatteninhalte tatsächlich auf soziale Probleme auswirken. So nennt er als Beispiel, die sinkende Geburtenrate in Indiens gebildeten Kreisen. Er führt diese zurück auf die Teilnahme an Diskussionen zur Problematik der Überbevölkerung.[223] Grundlegend für die weiterführende Auseinandersetzung ist nicht nur eben dieses duale Verständnis von Freiheiten, speziell politischer Freiheit, sondern auch das Konzept des Bedürfnisses, dass Sen in diesem Kontext thematisiert. So benennt er:

    „Unser Begriff von „Bedürfnissen“ hängt mit der Vorstellung zusammen, daß [sic!] einige Mangelerscheinungen ihrer Natur nach zu verhindern sind, und wir wissen auch, was wir zu ihrer Prävention beitragen können“.[224]

    Dieses Verständnis von Bedürfnis liegt auch Nussbaums Ansätzen zu Grunde. So nutzt sie nicht wie Sen das Konzept der positiven Freiheiten um die Grundsätze eines Capability Approach herauszuarbeiten, stellt dennoch im gleichen Tonus fest, dass Personen mit bestimmten Befähigungen ausgestattet sind, deren Ausbildung oder Entwicklung vermittelt über soziale Gefüge unterstützt werden muss.[225] Nussbaum entwickelt, ähnlich wie Sen in der Beschreibung der Freiheiten, einen Katalog von Befähigungen. Es richtet sich nach den Wünschen der individuellen Person selbst welche Befähigungen wie umfangreich zu Funktionen ausgebildet werden. Im Vordergrund steht dabei klar die individuelle Vorstellung vom guten Leben. Vor dem Hintergrund der individuellen Antwort dieser Frage gilt es die im folgenden Kapitel benannten Befähigungen auszuarbeiten. Nussbaum formuliert im Hinblick auf die Ausarbeitung dieser Haltung sogar, dass es die Aufgabe der Gesellschaft ist, die Menschen bei dieser Entwicklung zu unterstützen, sollte Menschen dabei der Zugang zu individuell notwendigen Ressourcen verweigert werden, sieht sie die grundlegende Gerechtigkeit des gesellschaftlichen Zusammenlebens negiert.[226]

    Bevor im nächsten Schritt vertiefend auf den Nussbaum’schen Katalog der menschlichen Befähigungen eingegangen wird und damit der Blickwinkel Nussbaums dem Sens gegenüber genauer betrachtet wird, gilt es vorweg als weiteren wichtigen Grundstein des Capability Approach auf die Frage nach der starken vagen Konzeption vom guten Leben einzugehen.

    Diese Konzeption soll als Grundlage dessen dienen wonach alle Bestrebungen im Capability Approach sich überhaupt richten. Jeder Mensch soll in der Lage sein ein gutes Leben im eigenen Verständnis zu führen. Eine der Grundannahmen ist, dass hierfür zwar alle Menschen mit den gleichen Befähigungen versehen sind, diese aber unterschiedlich ausgeprägt sein müssen. Gegebenenfalls müssen Menschen in der Entwicklung einer der Befähigung zu Funktionen unterstützt werden, um diese für ein gutes Leben nutzen zu können. Diese Überführung der Befähigung in eine konkrete Handlungsmöglichkeit findet im Bereich der Verwirklichungschancen statt, die ebenfalls im weiteren Verlauf genauer dargestellt werden. Zunächst gilt es aber zu betrachten, warum eine Konzeption vom guten Leben sowohl stark, als auch vage sein muss. Nussbaum schreibt hierzu:

    The Aristotelian proceeds this way in the belief that it is better to be vaguely right than precisely wrong; and that, without the guidance oft he thick vague theory, what we often get, in public policy, is precise wrongness“.[227]

    In der Formulierung einer starken vagen Konzeption spiegelt sich die Mehrdimensionalität des Ansatzes wieder. Stark ist die Konzeption, da „der Umriss einer Gesellschaft gewonnen werde, deren Mitglieder –zumindest- über ein Minimum an gemeinsamen Vorstellungen über das verfügen können, was es für alle zu garantieren gilt, um Gerechtigkeit zu erreichen.“[228] Vage bleibt die Konzeption, da es nicht vorgesehen ist eine allgemeingültige Vorstellung des Guten vorzugeben und so gegenteilig nicht Freiheiten zu ermöglichen und Befähigungen nach individueller Bedeutung zu entwickeln, sondern kontrolliert und vorgegeben zu sein. Dederich bezeichnet in seiner Auseinandersetzung mit den Grundzügen des Capability Approach die Befähigung als einen Mindeststandard, der „auch all jenen zugestanden werden [muss], von denen man annimmt, dass sie sie niemals in Anspruch nehmen werden“.[229]

    4.2. Die menschlichen Befähigungen als Verwirklichungschancen

    Es handelt sich in Nussbaums Konzeption um zehn Befähigungen, die wiederum vor dem Hintergrund sechs weiterer Kriterien zu verstehen sind. Im englischen Original bezeichnet Nussbaum diese Fähigkeiten als Capabilities, im deutschen ist dies entweder mit Befähigung oder Fähigkeit übersetzt. Im Rahmen dieser Arbeit wird die Übersetzung Befähigung zur Darstellung gewählt, da sie besonders im Hinblick auf den Personenbegriff und in der Diskussion um Menschen mit Lernschwierigkeiten als autonome Mitglieder einer Wertgemeinschaft die prozesshafte und anerkennende Färbung innehat, die grundlegend allen vorgestellten Konzepten innewohnt.

    An erste Stelle stellt Nussbaum das Leben. Als menschliche Befähigung beschreibt sie in diesem Zusammenhang, dass man ein Leben von Anfang bis Ende würdevoll leben kann.[230]

    Als Nächstes führt sie die Befähigung, bei guter Gesundheit zu sein an. Folgend geht es ihr um körperliche Integrität. Hierzu zählt sie neben der freien Entscheidungen sich zu bewegen, auch die Sicherheit vor gewaltsamen und sexuellen Übergriffen und häuslicher Gewalt, aber auch im positiven Sinne die Befähigung zur sexuellen Befriedigung und Fortpflanzung. Die nächste Befähigung sind die Sinne, die Vorstellungskraft und das Denken. Hierzu zählt auch die Lese- und Schreibfähigkeit, sowie die Fähigkeit zu Schlussfolgerungen und die Ausdrucksmöglichkeit dieser Schlussfolgerungen. Diese Ausdrucksmöglichkeiten ordnet sie sowohl im künstlerischen, musikalischen Bereich ein, aber auch generell als „Fähigkeit, sich seines Verstandes zu bedienen, die durch die Garantie der politischen und künstlerischen Meinungsfreiheit und der Freiheit der Religionsausübung geschützt wird“.[231]

    Auch das Spektrum der Gefühle beschreibt sie als Befähigung. Positiv wie negativ auf unsere Umwelt und die Gefühlswelt unserer Umwelt reagieren zu können, ist hier ausschlaggebend.

    Als sechste Befähigung führt sie die praktische Vernunft an, deren Relevanz besonders im Hinblick auf den Vernunftbegriff als Grundlage für eine Anerkennung als Person und somit als Trägerin der menschlichen Würde bereits herausgearbeitet wurde.

    Im Feld der Zugehörigkeit geht es um zwei verschiedene Bereiche. Zunächst beschreibt dieser Begriff die Befähigung „mit anderen und für andere zu leben“[232] und sich durch soziale Interaktionen auf die Standpunkte anderer einzulassen. Weiterhin bedeutet der Begriff, dass man durch Zugehörigkeit zu einer Gruppe Achtung und Anerkennung der eigenen Würde erfährt.

    Als eine der letzten Befähigungen zählt Nussbaum die Fähigkeit zur Anteilnahme für Tiere, Pflanzen und zur Welt der Natur.

    Auch das Spiel, also die Fähigkeit zu lachen und „erholsame Tätigkeiten zu genießen“, zählt sie zu den wichtigen menschlichen Befähigungen.[233]

    Abschließend nennt Nussbaum als zehnte Befähigungen, die Kontrolle über die eigene Umwelt. Diese Fähigkeit splittet sie auf und beschreibt zunächst die politische Kontrolle in Form von Partizipation an politischen Prozessen. Außerdem beschreibt sie eine inhaltliche Kontrolle, hierzu zählen vor allem das Recht auf Eigentum und das Recht als Mensch in sozialen Beziehungen an einem vernünftigen Arbeitsplatz arbeiten zu können.[234]

    Sowohl, um Kritikerinnen vorwegzugreifen, aber auch die Mehrdimensionalität der starken vagen Konzeption herauszuarbeiten, bettet Nussbaum die Befähigungen an weitere Kriterien. Sie versteht ihren Befähigungen Begriff als eine Liste, die es stets zu modifizieren gilt. Außerdem beruft sie sich darauf sämtliche Punkte abstrakt formuliert zu haben, damit „die Bürgerinnen und Bürger, ihre Parlamente und ihre Gerichte ausreichend Raum haben, um sie genauer zu bestimmen und zu diskutieren“[235]

    Das dritte wichtige Merkmal dieses Katalogs ist, dass es sich um sehr generelle Begriffe handelt, die zunächst frei von jeder metaphysischen Deutung sind und somit Anklang bei Menschen finden können, „die ansonsten sehr unterschiedliche Konzeptionen davon haben, worin der Sinn und der letzte Zweck des Lebens besteht“.[236] Außerdem hält sie in dieser Auflistung nur die Befähigung, als eine Art Anlage, nicht aber die entsprechende Tätigkeit fest. Die Ermöglichung diese Befähigungen zu nutzen, die nach Nussbaum gegeben sein muss, damit alle Menschen innerhalb einer Gesellschaft gerecht und gleich behandelt werden, schließt keine Pflicht ein diese Tätigkeiten wirklich auszuführen.[237] Weiterhin betont sie, dass einer Interpretation der Begrifflichkeiten durch den hohen Stellenwert von Meinungs-, Rede- und Versammlungsfreiheit viel Raum gegeben wird. Eng hiermit verbunden ist auch ihre abschließende Modifikation, dass es sich um Konzepte handelt, die durchaus in jedem System als Grundlage politischen Handelns rechtfertigbar sind, diese Ansprüche aber nicht zwangsläufig zu Maßnahmen führen müssen, die dessen Durchsetzung bewirken sollen.[238]

    Nussbaum betont weiterhin, dass es sich bei den menschlichen Befähigungen keinesfalls um isolierte Fähigkeiten handelt. Sie durchdringen und bedingen sich jeweils. Als Beispiel bedient sich Nussbaum hier einem Vergleich von Aristoteles, der den Zusammenhang zwischen Ernährung, als Teil der Befähigung zum gesunden Leben, und der Mobilität, die wir zu der Befähigung der körperlichen Integrität zählen können. „Aristoteles bemerkt, daß (!) beide Aspekte insofern zusammen betrachtet werden müssen, als unsere charakteristische Ernährungsweise etwa im Gegensatz zu der der Schwämme die Fortbewegung notwendig macht“.[239] Hier verdeutlicht sich auf einer sehr körperlichen Ebene die Durchdringung der einzelnen Begriffe, wie wir sie im Individuum finden. Ein weiteres Beispiel, dass man besonders im Hinblick auf den Schwerpunkt der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Begriffen wie Bildung, Teilhabe und Politik setzen kann ist, dass die Befähigung der praktischen Vernunft, sowie die des Denkens und der Vorstellungskraft eng verbunden ist mit der Befähigung „für andere und bezogen auf andere zu leben, Verbundenheit mit anderen Menschen zu erkennen und zu zeigen, verschiedene Formen von familiären und sozialen Beziehungen einzugehen“.[240] Nussbaum selbst stellt diesen Zusammenhang als besonders heraus. Sie schreibt, dass die „praktische Vernunft […] eine einzigartige architektonische Funktion [innehat]. Sie durchdringt alle Tätigkeiten und Pläne im Hinblick auf deren Realisierung in einem guten und erfüllten menschlichen Leben. Alles, was wir tun, tun wir als soziale Wesen; und unsere eigene Lebensplanung ist eine Planung mit anderen für andere“.[241]

    In diesem Kontext verdeutlicht Nussbaum abermals das Prinzip der Verwirklichungschancen, indem sie sagt, dass „Bürger, die die moralischen Fähigkeiten bei sich selbst und bei anderen schätzen und deren Ziel ein Gerechtigkeitsbegriff ist, der ihnen ein gutes Zusammenleben in der Gemeinschaft ermöglicht, über diese Vorrausetzungen nachdenken und gute politische Prinzipien nicht nur darin erblicken, die Verteilung der instrumentellen ‚Grundgüter‘ zu regeln, sondern auch darin, die angemessene Verwirklichung dieser und anderer menschlicher Fähigkeiten der Bürger zu fördern“.[242]

    Verwirklichungschance als Moment, das eine menschliche Befähigung in eine konkrete Handlungsmöglichkeit, eine Funktion, überführt, wird von Bartelheimer wie folgt skizziert:

    Abbildung 1. Abbildung 1: Wie Teilhabe „funktioniert“ – ein Modell frei nach Amartya Sen Bartelheimer, 2007, 9.

    Modell: Gesellschaftliche Umwandlungsfaktoren, Ressourcen Rechte,
                     Inividuelle Umwandlungsfaktoren. Verwirklichungschancen ("capabilities"). Handlungs- und
                     Entscheidungsspielraum Wahlraum, persönliche, gesellschaftliche Ziele.
                     Teilhabeergebnis Lebenslage (-weise)

    Die Grafik ist so zu lesen, dass zunächst also verschiedene Ressourcen, bspw. Rechte dem Menschen zur Verfügung stehen. Bei den dargestellten individuellen Umwandlungsfaktoren kann es sich um körperliche Gesundheit, aber auch den Bildungsgrad handeln. Auch eine Lernschwierigkeit zählt zu den individuellen Umwandlungsfaktoren. Spätestens vor dem Verständnis der Lernschwierigkeit und der Behinderung als sozialer Bestand wird deutlich, dass gesellschaftliche Umwandlungsfaktoren trotz der begrifflichen Trennung eng verknüpft sind. In den gesellschaftlichen Umwandlungsfaktoren finden sich alle Umstände wieder, wie sie dem Individuum in Zivilgesellschaft, Staat und Wirtschaft begegnen. Gemeint sind alle als Kultur gelebten Wertvorstellungen, Traditionen und Haltungen, also auch positive Erfahrungen der Veränderlichkeit der Dinge, wie negative Missachtungserfahrungen.

    Zusammengefasst kann der dargestellte Ablauf als ein sich immer wiederholender Prozess beschrieben werden, in dem der Mensch sich vor dem Hintergrund verschiedener Rechte und Ressourcen (hier bspw. auch der Zugang zu Bildung), und unter dem Einfluss von gesellschaftlichen, wie individuell gewordenen Mustern ein Konzept eines guten Lebens in seinem Sinne erarbeitet und versucht dies umzusetzen. Der Einfluss der gesellschaftlichen Verhältnisse kann angelehnt an Gramsci sowohl als positiver Einfluss verstanden werden, da besonders im Kontext von Zivilgesellschaft kritischer Umgang mit hegemonialen Strukturen erfahren werden kann, aber eben auch in Form der Herrschaftssicherung als hemmender Einfluss. Besonders deutlich wird die Auswirkung dieses hemmenden Moments am vorgestellten Konzept der adaptiven Präferenzen.

    Diese Form der Präferenzen zeichnet sich durch zwei Merkmale aus.

    „Es liegen erstens bei einer Person Präferenzen vor, die an ihren spezifischen Lebenskontext angepasst sind, und zweitens entsprechen diese Präferenzen auch nicht den wahren Bedürfnissen der Person.“[243]

    Steckmann arbeitet vor allem heraus, dass die „kontextbezogene Anpassung von Präferenzen ein Resultat jeglichen sozialisatorischen bzw. erzieherischen Einflusses ist“.[244]

    Menschen mit Lernschwierigkeiten werden in diesen Zusammenhängen mit mehreren Problemen konfrontiert. Wie bereits mehrfach betont, erleben Menschen mit Lernschwierigkeiten sich nach wie vor selten als anerkannt. Dies zeigt sich darin, dass oftmals diskutiert wird, ob sie tatsächlich die dargestellten Befähigungen haben. Die Übersetzung der capability als Befähigung wirkt an dieser Stelle zusätzlich verwirrend in den Diskurs. Impliziert der Begriff doch im deutschen, dass es sich bereits bei einer Befähigung um einen Wesenszug handelt, der gebende Unterstützung im Sinne einer Sorgehandlung o.ä. benötigt (jemand wird befähigt etwas zu tun). Gemeint ist er allerdings konträr. Menschen mit Lernschwierigkeiten als Personen haben die Befähigungen und können vor diesem Hintergrund entsprechende Funktionen ausbilden um ein gutes Leben in einer vagen Konzeption zu leben. In der Entwicklung der Befähigung hin zu einer Funktion bedarf es je nach den individuellen Umwandlungsfaktoren unterschiedliche Ressourcen, ggf. auch Hilfeleistungen (Ich bin befähigt dies zu tun). Neben diesem Problem, dass eng verknüpft ist mit der problematischen Wahrnehmung von Menschen mit Lernschwierigkeiten, stellen adaptive Präferenzen ein Problem dar, dass sich besonders in Form einer negativen Auswirkung auf das Selbstbild der Menschen mit Lernschwierigkeiten auswirkt. Die gesellschaftlichen Umwandlungsfaktoren, die Kultur, wie es bei Gramsci beschrieben wird, sind so beeinflussend, dass bspw. durch die zu Beginn angesprochene problemhafte Individualisierung von Behinderung, internalisierte gesellschaftliche Verhältnisse zu einer Deformation des personalen Selbstverhältnisses führen können.[245] Menschen mit Lernschwierigkeiten sind aufgrund der deprivierenden physischen Welt und der diskriminierenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen eingeschränkt in der Entwicklung einer vagen Konzeption vom guten Leben. Die Aberkennung der Befähigung wird angenommen und zeigt sich symptomatisch nicht nur in Verhalten, das verbesondert wird, sondern auch als Konzeption vom guten Leben, das aus adaptiven Präferenzen, im beschriebenen Sinne versteht. Steckmann betont bereits, dass die Anpassung der Präferenzen ein Ergebnis von Erziehung sei. Setzt man hierzu auch Gramsci in Beziehung und betrachtet nochmals die Funktion organischer Intellektueller, wird deutlich, dass ganze Institutionen und organisierte Bildungsprozesse auf ein solchen aberkennendes Verständnis von Menschen mit Lernschwierigkeiten fußt und, überspitzt formuliert, ganze Institutionen und Professionen ihre Anstrengungen darauf konzentrieren diese Verhältnisse, diese Wertvorstellungen immer wieder zu (re)produzieren.

    Im nächsten Schritt geht es maßgeblich darum zu betrachten, inwiefern die Befähigung der Zugehörigkeit, der praktischen Vernunft, aber auch Sens positive Entwicklung der politischen Freiheit konträr zu diesem Negativverhältnis, nutzbar sind als Räume in denen Menschen mit Lernschwierigkeiten sich selbst politisch wirksam handelnd erleben. Und so eben nicht (re)produzierend, sondern verändernd auf gesellschaftliche Verhältnisse wirken können.

    4.3. Verwirklichungschancen und Freiheiten als Raum für politische Selbstwirksamkeit

    Der Fokus liegt an dieser Stelle besonders auf den beiden angeführten Befähigungen der praktischen Vernunft, sowie der Zugehörigkeit, als auch der Entwicklung der politischen Freiheit, da dies die ausschlaggebenden Elemente des Capability Approach darstellen, die im Kontext politischer Teilhabe von Menschen mit Lernschwierigkeiten wichtig sind.

    Durch seine Ausarbeitungen zum Nutzen und Zweck der Erweiterung von Freiheiten hat Sen die Wechselwirkung des Erlebens von Freiheiten deutlich hervorgehoben. Da das Erweitern einer Freiheit, sowohl als oberstes Ziel, als auch, als wichtigstes Mittel der Entwicklung verstanden wird, werden vor allem der prozesshafte Charakter und die Anerkennung einer Wirkung auf das Individuum und somit im nächsten Schritt auf die Gesellschaft deutlich.

    Grundmann erarbeitet in seiner Auseinandersetzung zum Begriff der Handlungsbefähigung im Kontext des Capability Approach einen Begriff ebendieser, der „Handlungsbefähigung über das Erleben von Handlungswirksamkeit und Selbstbestimmtheit in konkreten sozialen Handlungsbezügen einer Person bestimmt“.[246] Er stellt heraus, dass dies ein Verständnis sei, dass sowohl den Ansatz des Capability Approach auffasst, Handlungsbefähigung hänge eng mit der Verwertbarkeit von Ressourcen in einer Lebenslage zusammen, aber auch eine sozialisationstheoretische Ebene impliziere.[247] Die sozialisationstheoretische Ebene beziehe sich hierbei maßgeblich auf die Frage inwiefern durch die Erfahrung von Handlungsfähigkeit eine Einsicht in die „Möglichkeiten des Machbaren“[248] zu entwickeln sei.

    Diese sozialisationstheoretische Ebene lässt sich zunächst am einfachsten mit der starken vagen Konzeption des guten Leben verknüpfen und hier speziell mit der vagen Komponente der Konzeption, als die Ebene, die es individuell bzw. situativ differenzierter herauszuarbeiten gilt.[249] Somit ist aber auch die Erfahrung der Möglichkeit des Machbaren dem Dilemma ausgesetzt, das zu adaptiven Präferenzen führt. In Anbetracht kultureller und gesellschaftlicher Strukturen und Wertvorstellungen kann eine solche Erfahrung nicht nur positiv, sondern eben auch einschränkend wahrgenommen und übersetzt werden. Grundmann selbst thematisiert diese Problematik indem er einräumt, dass bspw. die zur Verfügung stehenden Ressourcen relevant sind für die eigene Erfahrung.[250]

    Nun soll es aber die Herangehensweise betrachtet werden, dass eine solche Auseinandersetzung mit der physischen und sozialen Welt, mit der Öffentlichkeit, wie Dewey sie zeichnet, oder der Zivilgesellschaft im Sinne Gramscis, auch eine Erfahrung der eigenen Wirksamkeit sein kann und somit positiv auf Selbstbild, bzw. die Selbstschätzung als positive Form der Anerkennung in der Wirkung des Individuums auf sich selbst, sein kann.

    Handlungsbefähigung, so Grundmann, ist hierfür als ein Begriff zu verstehen, der, ähnlich wie der Habitus, in einem dichotomen Verständnis zu sehen ist. Handlungsbefähigung sei demnach ein „Bündel an Persönlichkeitseigenschaften […] die für eine situativ angemessene Einschätzung von Handlungsoptionen vor dem Hintergrund verfügbarer Handlungsressourcen relevant sind“[251]. Gleichzeitig stellt der operative Moment der Ausführung einer Handlung eine Erfahrung dar, die sich wiederum als Persönlichkeitsmerkmal manifestiert. Handlungsbefähigung ist also ebenfalls im Sinne einer Befähigung als grundlegende menschliche Befähigung zu verstehen, die nicht erst entsteht, sondern in der Person angelegt ist und als Teil einer Vorstellung vom guten Leben unterschiedlich ausgeprägt werden kann um ebendiese Vorstellung zu erreichen.

    Das internalisieren einer Erfahrung der erfolgreichen Handlung, lässt sich Selbstwirksamkeit bezeichnen. Der Handelnde erfährt sich durch die Ausführung seiner Handlung als Person, die verändernd auf Dinge wirken kann. Grundmann arbeitet zusätzlich den Aspekt heraus, dass die Erfahrung in noch bedeutenderem Maße als wichtig wahrgenommen wird, wenn sie sich im sozialen Nahraum, also im Kreise von Freunden und Familie der Person abspiele.[252] Die Dichte der sinnhaften Beziehungen und eine hohe Anzahl an Personen, die eine hohe Kongruenz in Dauer und Gedächtnis mit dem Handelnden haben und so in der Lage sind Handlungen als sinnvoll anzuerkennen spielt in der eigenen Wahrnehmung des Handelnden also eine bedeutende Rolle. Nicht nur verdeutlicht sich an dieser Stelle wieder die Relevanz der Anerkennung für die Entwicklung der Person, auch wird deutlich, was Sen mit der instrumentellen Funktion der Freiheiten meint.

    Die Handlungsbefähigung ist nicht nur ein „Bündel an Persönlichkeitserfahrungen“ aus dem der Handelnde seine Handlungen ableitet, sie ist also nicht nur oberstes Ziel, sondern eben auch in Form einer neuerlich gemachten Erfahrung von eigener Wirksamkeit ein Mittel Freiheiten zu entwickeln. Dieses Verständnis auch explizit auf politische Freiheiten und die Befähigungen der praktischen Vernunft und der Zugehörigkeit anzuwenden liegt nicht nur Nahe. Ferner bietet die Anwendung des Konzepts der Handlungsbefähigung auf ebendiese Freiheiten und Befähigungen die Möglichkeit die bisher dargestellten Begründungszusammenhänge zur Bedeutung der Anerkennung von Menschen mit Lernschwierigkeiten als politische Akteurinnen, eben auch als Perspektive im Sinne einer Entwicklung der Freiheit zu verstehen.

    Bereits Gramsci, aber auch Nussbaum und Sen legen besonderen Wert auf Bildung als Mittel zur Selbstermächtigung oder Mündigkeit. In beiden Ansätzen wird außerdem deutlich wie ausschlaggebend die Bedeutung der Kultur, bzw. der Anerkennung als Person in einer Wertgemeinschaft ist. Vor dem Hintergrund der dargestellten Konzepte darf nicht angenommen werden, dass eine institutionalisierte Form der Bildung oder eine ausgelagerte Heranführung an politische Partizipation sinn- oder wirkungsvoll ist. Vielmehr muss beachtet werden, dass Menschen sich in den Zusammenhängen ihrer Lebenswelten, ihres sozialen Nahraums, in Räumen mit subjektiven sinnhaften Bedeutungen, wirksam handelnd erleben müssen. Über diese Wirksamkeitserfahrung entwickelt sich sowohl die Befähigung der praktischen Vernunft, als auch, der Zugehörigkeit zu einer Funktion aus, die die Person in der Umsetzung ihrer Idee vom guten Leben nutzen kann. Grundmann arbeitet dabei in seinen Ausführungen ebenfalls aus, inwiefern es sich negativ auf Wirksamkeitserfahrungen auswirkt, wenn Ressourcen versperrt werden.[253] Zu diesen Ressourcen zählt auch im Sinne der politischen Freiheit als Mittel Entwicklung der politischen Freiheit, politische Teilhabe.

    Besonders im Hinblick auf Menschen mit Lernschwierigkeiten führt die konstante Aberkennung der genannten Befähigungen, die fehlenden Ressourcen besonders im Bereich der politischen Teilhabe, und somit auch die fehlenden Wirksamkeitserfahrungen, zu einer tiefgreifenden Problematik. So ergibt sich hier ein Kreislauf der Aberkennung, der sich durch Zuschreibungen und Kategorisierungen, die sich als Behinderungen manifestieren sowohl auf gesellschaftliche Verhältnisse, aber auch auf die Selbstschätzung des Menschen mit Lernschwierigkeit auswirken. Dieser Kreislauf kann nicht durchbrochen werden indem Menschen mit Lernschwierigkeiten an ihrem Selbstbild arbeiten, oder professionelle Helfer sie unterstützen die Dinge richtig zu machen. Dieser Kreislauf kann nur die die gemeinschaftliche Erfahrung der Wirksamkeit der Handlungen von Menschen mit Lernschwierigkeiten verändert werden. Menschen mit Lernschwierigkeiten selbst, aber auch Personen im sozialen Nahraum müssen diese Wirksamkeit erfahren um gesellschaftliche Veränderungsprozesse, die bis in die Kultur, Wertvorstellungen und staatliche und bürokratische Institutionen hineinwirken, umzusetzen.



    [215] vgl. Kubon-Gilke, 2011, 392ff.

    [216] Otto; Ziegler, 2008, 9.

    [217] Sen, 2002, 13.

    [218] Sen, 2002, 14.

    [219] Vgl. Sen, 2002, 50.

    [220] Sen, 2002, 52f.

    [221] Sen, 2002, 182.

    [222] Sen, 2002, 187.

    [223] A.a.O., 188.

    [224] A.a.O., 189.

    [225] Vgl. Otto; Ziegler, 2008, 9.

    [226] Vgl. Nussbaum, 2014, 111.;Otto; Ziegler, 2008, 11.; vgl. Röh, 2013, 11.; Dederich, 2013, 249.

    [227] Nussbaum, 1990, 217., zit. n. Röh, 2013, 11.

    [228] Röh, 2013, 11.

    [229] Dederich, 2013, 250.

    [230] Vgl. Nussbaum, 2014, 112.

    [231] Nussbaum, 2014, 113.

    [232] Nussbaum, 2014, 113.

    [233] Nussbaum, 2014, 114.

    [234] Ebd.

    [235] Nussbaum, 2014, 115.

    [236] A.a.O., 116.

    [237] Nussbaum, 2014, 116.

    [238] Vgl. Nussbaum, 2014, 116.

    [239] Nussbaum, 1999, 58.

    [240] Nussbaum, 1999, 58.

    [241] Nussbaum, 1999, 60.

    [242] A.a.O., 61.

    [243] Steckmann, 2008, 104.

    [244] Ebd.

    [245] Vgl. Steckmann, 2008, 100.

    [246] Grundmann, 2008, 131.

    [247] A.a.O., 132.

    [248] Ebd.

    [249] Vgl. Röh, 2013, 11.

    [250] Vgl. Grundmann, 2008, 133.

    [251] Grundmann, 2008, 132f.

    [252] Vgl. Grundmann, 2008, 134.

    [253] Vgl. Grundmann, 2008, 135.

    5. Fazit

    Im Rahmen der Thesis wurde deutlich das Verständnis herausgearbeitet, dass es Menschen mit Lernschwierigkeiten nicht möglich ist, nicht teilzuhaben. Dies widerspricht der grundlegenden Annahme, dass sozialer Nahraum sich als Beziehungsraum konstituiert. Auch die Befähigung der Zugehörigkeit impliziert bereits, dass es zur Grundausstattung einer Person gehört teilzuhaben. Im vorgelegten Diskurs ist anhand der Anerkennung der Eigenlogik der Handlungen von Menschen mit Lernschwierigkeiten und der Auseinandersetzung mit dem Katalog der Befähigungen deutlich geworden, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten in einem solchen Verständnis als Personen und somit autonome Mitglieder der Gesellschaft als Wertgemeinschaft zu verstehen sind.

    Die Intensität der Auseinandersetzung mit dem Begriff der Lernschwierigkeiten, sowie der begründeten Annahme Behinderung entstehe erst in der sozialen Interkation waren notwendig um herauszuarbeiten vor welchem Hintergrund die Einordnung der weiteren Begriffe stattfindet, aber auch um zu verdeutlichen welcher Personenkreis mit den gewählten Begriffen benannt ist.

    In der Frage wie soziale Ordnungen strukturiert sein müssen um alle Mitglieder der jeweiligen Ordnungssysteme, wie der Gesellschaft oder dem Staat, in ihrer Würde zu schützen und anzuerkennen, gilt es genau zu betrachten wer als Mitglied ebendieser Systeme verstanden wird. Lässt sich im Blick auf den Staat mit dem Bürgerinnenbegriff ein deutliches rechtliches Bild zeichnen, wird im Hinblick auf Zivilgesellschaft eine Einschränkung schwieriger, weil genauer differenziert werden muss. Besonders Menschen mit Lernschwierigkeiten sehen sich hier, im Rahmen der Missachtungserfahrungen, die sie aufgrund mangelnder Solidarität machen, mit der Kategorisierung konfrontiert, dass sie keine Personen seien, denen es in einem reziproken Verständnis möglich ist Teil einer solchen Wertgemeinschaft zu sein.

    Die genaue Ausarbeitung wie eine Behinderung entsteht und dabei die Verdeutlichung der sozialen Natur einer Behinderung ist für das grundlegende Kriterium der Auseinandersetzungen, das Menschen mit Lernschwierigkeiten unbestreitbar Teil einer Wertgemeinschaft sind, unumgänglich. Eine zu schwache Betrachtung der Verhältnismäßigkeit von Behinderung würde den Diskurs um den Status als Person sonst auch in dieser Arbeit zulassen.

    An dieser Problematik verdeutlicht sich nicht nur die zweite zu Grunde liegende These, dass Teilhabe an politischen Prozessen in der Zivilgesellschaft eben auch präventiv zur Vermeidung von Behinderungen verstanden werden kann. Es werden auch weitere Fragestellungen und Potenziale des Themas deutlich.

    Wie an verschiedenen Stellen angesprochen, sehen sich besonders Menschen mit Behinderung im Allgemeinen, und Menschen mit Lernschwierigkeiten im Speziellen, konfrontiert mit der Aberkennung des Status als Person. An diesen Status sind Rechte gebunden, die ihnen durch die Aberkennung verwirkt bleiben sollen. Ein interessanter Aspekt, der weiterführend von großer Bedeutung sein kann ist hier die grundsätzliche Betrachtung der Fragestellung unter bioethischen Aspekten.

    Außerdem lässt besonders der Capability Approach die Frage aufkommen inwiefern professionelle Helferinnen aus den Professionen der Sozialarbeit und der Heilpädagogik in diese Prozesse als Unterstützungspersonen involviert werden können. Auf einer konkreten Handlungsebene wäre also auch die Frage zu stellen inwiefern verschiedene Assistenzkonzepte kompatibel mit den dargestellten Grundideen sind, aber auch die Frage nach Legitimation, des Auftrags der Professionen und der Haltung professioneller Helferinnen sind Aspekte, deren vertiefende Betrachtung sinnvoll ist.

    Im Sinne der dargebotenen Haltung stellt die Betrachtung der Momente von Empowerment und Selbstermächtigung des Personenkreises von Menschen mit Lernschwierigkeiten ebenfalls eine interessante Vertiefung dar. Wie sieht die konkrete Situation in Aktionsbündnissen, Verbänden und Nachbarschaften aus. Findet politische Teilhabe von Menschen mit Lernschwierigkeiten statt und wenn ja, ist diese institutionell gesteuert und sind Strukturen wie Werkstatt- oder Heimbeiräte darunter zufassen, oder finden sich Menschen mit Lernschwierigkeiten als solidarische Unterstützerinnen in der zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung mit ganz anderen Themen, wie Gentrifizierung oder Umweltschutz?

    Aus persönlichem Interesse wäre als letzte Perspektive auch die ethische Fragestellung interessant inwiefern ein solches Verständnis der Person, der Befähigung, des kollektiven Handelns in Zivilgesellschaft, aber vor allem ein solches Verständnis von Behinderung, das generell als Grundlage inklusiver Prozesse verstanden wird, in kapitalistischen System tatsächlich zu etablieren ist. Oder inwiefern es im Kontext kapitalistischer Leistungs- und Verwertungslogik völlig utopisch und ideell verklärt wahrgenommen wird.

    All dies sind Fragen, die sich nicht nur aus den Darstellungen der Konzepte und ihrer Zusammenhänge ergeben haben. Es sind Fragen, die sich im Rahmen eines Studiums ergeben haben.

    Die vorliegende Master Thesis als Abschluss dieses Studiums ist nicht als abschließende Zusammenfassung oder als finale und absolute Auseinandersetzung mit Lernschwierigkeiten, Teilhabe und Zivilgesellschaft zu verstehen. Ähnlich wie der derzeit genutzte und geforderte Begriff der Lernschwierigkeiten stellt diese Arbeit einen Moment der Auseinandersetzung dar. Eine begründete Haltung, die sich vor dem Hintergrund individueller Erfahrungen und Auseinandersetzungen, ebenso wie gesellschaftlicher Ansprüche und erlebter Veränderungsprozesse konstituiert hat und nun strukturierend wirkt.

    6. Literaturverzeichnis

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    7. Abbildungsverzeichnis

    Abbildung 1: Bartelheimer, Peter: Politik der Teilhabe. Ein soziologischer Beipackzettel, 2007, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): FachForum. Analysen und Kommentare, 2007.

    8. Abkürzungsverzeichnis

    u.a.: unter Anderem

    bspw.: Beispielsweise

    ICF: International Classification of Functioning, Disability and Health

    o.ä.: oder ähnliches

    ggf.: gegebenenfalls

    bzw.: beziehungsweise

    9. Selbständigkeitserklärung

    Hiermit versichere ich, Anna Lena Roemer, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Sämtliche Stellen der Arbeit, die benutzten Werken im Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen sind, habe ich durch Quellenangaben kenntlich gemacht.

    Berlin, den 23.01.2016

    Anna Lena Roemer

    Quelle

    Anna Lena Roemer: Menschen mit Lernschwierigkeiten als politische Akteure im sozialen Nahraum. Sozialethische Begründungen und Perspektiven.Masterarbeit; Eingereicht bei Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl; Studiengang Soziale Arbeit (M.A.), Intercultural Community Work der katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin.

    bidok - Volltextbibliothek: Erstveröffentlichung im Internet.

    Stand: 25.10.2018

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