Modell zur Differenzierung der Grundformen von Unterrichts-Objekten

"Aber wir haben das doch schon so oft besprochen! Warum klappt es immer noch nicht?"

Autor:in - Harald Riedel
Themenbereiche: Schule
Schlagwörter: Unterricht, Didaktik, Lernen
Textsorte: Artikel
Copyright: © Harald Riedel 2001

1. Vorbemerkungen

- "Erziehender Unterricht", was ist das?

- Erzieht nicht jeder, der unterrichtet?

- Wie unterscheiden sich Unterricht und Erziehung?

- Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Unterricht und Erziehung?

"Aber wir haben das doch schon so oft besprochen! Warum klappt es immer noch nicht?" Aus dieser so oft von Eltern, Lehrern und Erziehern gestellten Frage spricht die Enttäuschung von Menschen, die privat oder beruflich viel Mühe aufwenden, um Kinder und Jugendliche zu erziehen. Die Enttäuschung zeigt, daß der gesunde Menschenverstand offensichtlich nicht ausreicht, um zu erkennen, warum Ansprache oder partnerschaftliche Diskussion allein nicht zu einem gewünschten oder "vereinbarten" Verhalten führt.

Mit den Grundformen von Unterrichts-Objekten werde ich ein Teil-Modell der Systemischen Didaktik darstellen, das die oben aufgeführten Fragen zu beantworten hilft. Allerdings beschäftige ich mich hier nur mit einem Aspekt zur Differenzierung von Unterricht-Objekten, dessen Verbindungen mit anderen Aspekten bzw. Teil-Modellen nicht außer Acht gelassen werden sollten! [1]

Als Unterrichts-Objekte werden in der Systemischen Didaktik alle Objekte bezeichnet, die der Lernende im Unterricht lernt bzw. lernen soll. Nun sagt schon der "gesunde Menschenverstand", daß das Erlernen verschiedener Unterrichts-Objekte jeweils andere unterrichtliche Maßnahmen bedingt.

So erfordert es beispielsweise unterschiedlichen Aufwand und Einsatz anderer Mittel,

  • wenn ein Lernender die alphabetische Reihenfolge der Buchstaben lernen soll

  • oder wenn er auch schon Wörter in Nachschlagewerken aufzusuchen lernen soll.

  • Noch andere Maßnahmen wird man treffen müssen und noch zeitaufwendiger wird es sein, den Lernenden zu der Verhaltensweise zu bringen, daß er, ohne noch darüber nachdenken zu müssen, von selbst Nachschlagewerke oder ein geeignetes Rechner-Programm benutzt, sobald er sich hinsichtlich der Schreibweise eines Textteils unsicher ist

  • oder wenigstens zu der Einstellung, daß man das "eigentlich" tun sollte.

Dementsprechend werden in der Systemischen Didaktik vier Grundformen von Unterrichts-Objekten unterschieden. Je nachdem,

  • ob ein Unterrichts-Objekt dem Lernenden lediglich einen Informationsgewinn oder eine darüber hinausgehende Fähigkeiten erbringt,

  • ob es nur die Aufnahme oder eine Weiterverarbeitung des Gelernten erfordert,

  • ob es an bestimmte Zwecke geknüpft ist oder nicht,

  • ob es in relativ kurzer Zeit oder nur in größeren Zeiträumen erlernt werden kann,

  • ob sich der Lernende des Erlernten bewußt ist oder eine eher automatisch ablaufende Leistung vollbringt,

wird es einer der vier Grundformen Information, Technik, Einstellung oder Verhaltensweise zugeordnet.

Zum Begriff "Grundform" füge ich einige Überlegungen ein, die zum Verständnis anderer Teil-Modelle der Systemischen Didaktik beitragen. Leser, die z. Z. an Fragen der Terminologie weniger interessiert sind, mögen diesen Teil überspringen und sogleich das 2. Kapitel lesen!

Die Bezeichnung "Grundform" geht auf die wichtigste didaktische Veröffentlichung von P. HEIMANN [2] zurück. Dort schreibt er:

" ... es gibt m.E. mindestens 3 konstante Grundformen, in der alle "Inhaltlichkeit" innerhalb des Unterrichts auftritt und strukturell vorgegeben auftreten muß: Die Inhalte präsentieren sich entweder als Wissenschaften, Techniken oder Pragmata ... und fallen sehr häufig in einen "Fach"zusammenhang, was ihre saubere begriffliche Scheidung so schwer macht."

Leider hat sich diese Unterscheidung von allen Kategorien der HEIMANNschen Didaktik in der Unterrichtswissenschaft am wenigsten durchgesetzt, obwohl sie, unterrichts-wissenschaftlich betrachtet, von wegweisender Bedeutung ist. Das mag u.a. durch folgende Ursachen bewirkt sein:

  • HEIMANN selbst spricht schon von der Schwierigkeit, die drei Kategorien sauber zu trennen. Dementsprechend sind seine Definitionsversuche so unvollkommen und die entsprechenden Beispiele genauso wie jene seines Schülers W. SCHULZ so verwaschen und unstimmig[3], daß Lehrende und andere Anwender des HEIMANN-Modells darin keine Hilfe für ihren Unterricht finden konnten.

  • Eine dreiteilige Gliederung der Grundformen reicht für unterrichts-wissenschaftliche Zwecke nicht aus.[4]

Trotz dieser Mängel war die HEIMANNsche Kategorisierung aus zwei Gründen für die Systemische Didaktik richtungsweisend. Sie machte deutlich, daß Unterrichts-Objekte unterschiedliche formale Strukturen besitzen und dementsprechend "vorgegeben", d.h. für den Unterrichtsprozeß aufbereitet werden müßten. Außerdem betonte HEIMANN die Wichtigkeit der Techniken für Schule und Kultur[5], wenngleich sich diese Sicht in seinen weiteren Aussagen zur Unterrichtsgestaltung leider nicht mehr widerspiegelte.

Im Gegensatz zu den Grundformen haben sich jene Kategorien, die HEIMANN zu einem anderen "Faktor" seines Modells, den "Intentionen" lieferte, bis auf den heutigen Tag erhalten. In gängigen Publikationen über unterrichts- oder erziehungs-wissenschaftliche Fragen, insbesondere in Unterrichtsplanungen, findet man die Einteilung in "kognitiv-aktiv", "aktiv-pathisch" und "pragmatisch-dynamisch"[6] oder vereinfacht als

  • "kognitiv", "emotional" und "pragmatisch" [7].

Diese Einteilung geht auf die traditionelle ontologische Gliederung von Aristoteles zurück, die von SCHELER[8] modifiziert und differenziert wurde und die als das "Leib-Seele-Geist-Schema" in der abendländischen Kultur allgegenwärtig ist. Wenngleich beispielsweise SCHULZ erkennt, daß die jeweiligen Kategorien von Unterrichts-Objekten eine "eigene Struktur" besitzen und diese "im Unterricht angemessen angeboten oder zumindest beachtet werden muß, wenn der Unterricht nicht sachfremd oder gar unsachlich genannt werden soll"[9], so vermochte doch kein Vertreter der HEIMANN-Schule irgendeinen Hinweis darauf zu geben, worin sich diese "Strukturen" unterscheiden. Demgemäß waren sie auch nicht in der Lage, Hilfen für die Konstruktion und Realisation solcher Strukturen im Unterricht anzubieten. Die Reaktionen anderer Didaktiker darauf war unterschiedlich.

Für die eine Seite sei stellvertretend H. MOSER, genannt, der die Trennung der drei Bereiche weder für sinnvoll noch für realisierbar hält.[10] Für die andere Seite steht H. GLÖCKEL[11], der zwar die alte Einteilung als üblich zitiert, aber kritisiert, daß sie kaumpraktikabel sei. Sie beruhe auf einer überholten psychologischen Vermögenslehre und sei nur für analytische, nicht aber für planend-konstruktive Zwecke dienlich. Schließlich verdecke sie die Einsicht, "daß unterschiedlichen Zielen auch unterschiedliche Methoden entsprechen müßten. Konstruktive Vorschläge für eine diesen Zielen genügende Einteilung macht er allerdings auch nicht. Statt dessen gibt er eine recht unsystematische Gliederung nach TYLER wieder, die zwar differenzierter ist, als es die HEIMANNschen Kategorien sind, aber keine genügende Trennschärfe aufweist und keinerlei Hinweise auf Zusammenhänge oder unterrichtliche Besonderheiten und Notwendigkeiten enthält.[12]

Hier setzt nun die Systemische Didaktik mit ihrem Modell der Grundformen von Unterrichts-Objekten an. Sie umgeht das wirkungslos bleibende "Leib-Seele-Geist-Schema", korrigiert und differenziert die HEIMANNsche Vorstellung der Grundformen und zeigt Beziehungen zwischen ihnen auf.



[1] Andere hiermit zusammenhängende Aspekte sind die Komplexitäts-Stufe und die Zeichen-Dimension von Unterrichts-Objekten. Diese und ihre Verbindungen mit Operations-Objekten sowie Hilfsmitteln sind in H. RIEDEL 1996 a und b zusammengefaßt.

[2] P. HEIMANN, 1965, S. 418

[3] Als Beispiele für die "inhaltlich" bestimmten Pragmata nennt HEIMANN u.a. das Schreiben von Aufsätzen und das Pflegen von Blumen und als Beispiele für die "formalen" Techniken das Schreiben, Lesen und Rechnen.

[4] Noch in starker Bindung an diese Gliederung hatten KÖNIG und ich in unserem 1. Entwurf (KÖNIG/RIEDEL 1969) ebenfalls zunächst nur die drei Kategorien "Information", "Technik" und "Verhaltensweise" unterschieden, die wir allerdings bereits 1973 mit der Grundform "Einstellung" vervollständigten.

[5] Auf S. 419 schreibt HEIMANN: "Die zentrale Achse dieser Inhalts-Systematik sind offenbar die Techniken, ... insbesondere die sprachlichen und mathematischen Exerzitien ..., die als unerläßliche Kulturtechniken vor allem das geistige Leben der Grundschule zu einem großen Teil ausmachen und Instrument und Schlüssel zugleich sind für die Besitzergreifung der Wissenschaften und "Pragmata" insgesamt ...".

[6] P. HEIMANN, 1965, S. 417ff

[7] W. SCHULZ, 1965, S. 28ff

[8] So schreibt der SCHELER-Schüler HARTMANN 1941, S. 121: "Es ist leicht einzusehen, daß die reale Welt nicht nur in einer einzigen einheitlichen Seinsart aufgeht, sondern vielmehr ein Stufenreich bildet. Schon bei Aristoteles findet sich der Gedanke einer die ganze Welt durchziehenden Stufenordnung, die von der schon spezialisierten Materie über den physischen Körper, den organischen Körper und das beseelte Lebewesen bis zum politischen Lebewesen ..., dem Menschen geht, der seinerseits auch wieder noch höhere Stufen erreichen kann. ... Aber auch der Mensch selbst ist "materielles, organisches, seelisches und geistiges Wesen, besteht aus vier Schichten".

[9] W. SCHULZ, 1965, S. 29

[10] Auf S. 38 schreibt MOSER: "Das Verhältnis der drei Bereiche (kognitiv, affektiv, psychomotorisch) wird vom Lernzielansatz durch eine strikte Trennung, ja Isolierung der Dimensionen "gelöst". Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine solche Trennung wünschbar bzw. überhaupt möglich ist. Denn in der Unterrichtspraxis kann man das Kognitive nicht einfach vom Affektiven ablösen." Anzumerken ist hier, daß MOSER weder zwischen dem Planen und dem Realisieren von Unterricht noch zwischen dem Unterrichts-Objekt und Begleitprozessen zu unterscheiden vermag. Beides aber wäre Voraussetzung, um ein solch allgemeines Urteil fällen zu dürfen.

[11] H. GLÖCKEL 1990, S. 136 -139

[12] R. W. TYLER (1973) unterscheidet Informationen, Arbeitsgewohnheiten und Fertigkeiten, effektive Denkweisen, soziale Einstellungen, Interessen, Wertgefühle, Empfindungsvermögen, persönliche soziale Anpassung, Aufrechterhaltung physischer Gesundheit, Entwicklung einer Lebensphilosophie.

2. Das Modell der Grundformen

Die Beziehungen, die das Modell zwischen den einzelnen Grundformen aufdeckt, lassen sich als Antworten auf folgende Fragen verstehen:

  • Welcher Art ist die geistige Tätigkeit, die vom Lernenden verlangt wird? Ist sie "nur" erkennender oder ist sie verarbeitender bzw. Welt-verändernder Art?

  • Ist das Unterrichts-Objekt an einen bestimmten, "pragmatischen"[13] Zweck gebunden, oder ist es (zumindest während des Lernprozesses) zweckfrei?

  • Wie hoch ist der Grad an Bewußtheit, mit welchem der Lernende die nach Abschluß des Lernvorganges erlangte Leistung vollbringt?

  • Kann das Unterrichts-Objekt in verhältnismäßig kurzfristigen Unterrichts-Einheiten erlernt werden oder bedarf es eines langen Zeitraumes von Wochen bis Jahren?

Bild 1: Die vier Grundformen der Unterrichts-Objekte

Bild 1 versinnbildlicht die Zusammenhänge in Kurzform. Alle Pfeile gehen von der Grundform "Information" aus. Das bedeutet, daß diese Grundform Voraussetzung zum Erlernen aller anderen Grundformen ist. Insofern wird auch verständlich, warum bei vordergründiger Betrachtung von Lernprozessen das Erlernen von Informationen einen unvergleichlich hohen Stellenwert hat.

Allerdings drückt Bild 1 auch aus, daß Unterrichts-Objekte der anderen drei Grundformenzusätzlichen unterrichtlichen Aufwand erfordern. M. E. besteht ein Kardinalfehler des derzeitigen öffentlichen, oft aber auch privaten Unterrichts darin, daß die gezeigten grundlegenden Beziehungen und der sich daraus ergebende Aufwand nicht erkannt, zumindest aber (meist unter dem Vorwand zu geringer Zeit) nicht oder nur unzureichend berücksichtigt werden.

  • So werden im Zusammenhang mit Friedens-, Verkehrs- oder Umwelt-"Erziehung" leichtfertig Informationen mit Einstellungen, teils auch mit Verhaltensweisen gleichgesetzt und unangemessene Erwartungen an den Unterricht gestellt. Ein Beispiel dafür bietet die Unterrichtseinheit von SILKENBEUMER 1979, S. 175 ff, die auf S. 20 skizziert wird.

  • Auch für universitäres Lernen ist typisch, daß die Studierenden beispielsweise in der Regel lediglich Informationen auch dort geliefert bekommen, wo sie Techniken (beispielsweise des Experimentierens, des Unterrichtens, des wissenschaftlichen Arbeitens) für ihr weiteres Studium oder das spätere Berufsfeld benötigen. Unbewußt gehen die für die Lehre Verantwortlichen häufig genug davon aus, die im Bild ausgewiesenen Zusammenhänge würden von den Lernenden gleichsam automatisch und als Nebeneffekt während des Informations-Erwerbs hergestellt, so daß sich eigens dafür zu entwerfende unterrichtliche Maßnahmen erübrigten.

2.1 Zur Grundform "Information"

In anderen Didaktiken und in der Umgangssprache ist es unüblich, von "Informationen" als Unterrichts-Objekten zu sprechen. Statt dessen wird meist das Wort "Wissen" benutzt. Daß wir uns in der Systemischen Didaktik dieser Gepflogenheit nicht anschließen, hat seinen Grund in der Ungenauigkeit, mit der jene Bezeichnung verwendet wird. Als Beispiel sei das noch sehr neue Lehrbuch von STEINDORF genannt, in dem Wissen sowohl im Sinne von Informationen als auch von Techniken verstanden wird. So spricht der Autor von Wissen, das den Menschen "befähige", einen Beruf auszuüben.[14] Tatsächlich aber ist es nicht die Information selbst, die eine "Fähigkeit" hervorbringt, sondern erst der Lernende, der diese Information produktiv anwendet.

Bei Unterrichts-Objekten der Grundform "Information" handelt es sich (unabhängig von ihrer Komplexität und Kompliziertheit) immer lediglich um Aussagen über Sachverhalte oder Ereignisse, nicht aber auch schon um deren Verwendung zu einem bestimmten Zweck und damit zu einer bestimmten "Fähigkeit". Informationen sind zweck-unabhängig.

Nehmen wir folgende Unterrichts-Objekte als Beispiele für Informationen:

  • Bezeichnungen für einzelne Farben oder Himmelsrichtungen, Merkmale einer Pflanze oder die Oberflächenbeschaffenheit des Merkur,

  • die typischen Merkmale von Sagen, von Planeten, von Bildern des Expressionismus, von elektronischen Bausteinen,

  • Zusammenhänge von Inflation, Deflation und Beschäftigung, Funktion von Raketenantrieben, Entstehung von Regen, Einfluß von Kohlekraftwerken auf Wachstumsbedingungen in der Umgebung, Beziehungen zwischen Lehrerpersönlichkeit und Unterrichtsstil, zwischen Bachschen Kompositionen und solchen des Cool-Jazz.

In welcher Weise und zu welchem Zweck solche Informationen von einem bestimmten Menschen angewendet werden, ist noch in keiner Weise vorbestimmt.

Die drei Punkte zeigen allerdings, daß Informationen auf unterschiedlichen Komplexitäts-Stufen [15] betrachtet und gelernt werden können. Die Unterrichts-Objekte der 1. Ebene kennzeichnen jeweils Merkmale bestimmter Elemente, die der 2. Stufe stellen bereits Informations-Klassen dar, und die Unterrichts-Objekte des 3. Niveaus bilden Informations-Systeme. Sie alle haben jedoch unabhängig von ihrer Komplexitäts-Stufe gemeinsam, daß es sich um (zunächst) zweckfreie Aussagen über bestimmte Sachverhalte oder Ereignisse handelt.

Unerheblich ist, ob die jeweils übermittelten Aussagen der Wahrheit entsprechen oder ob deren Wahrheits-Gehalt auch nur überprüfbar ist.

  • Die Behauptung, der Mond bestünde aus grünem Käse, entspricht zwar nicht der Wahrheit, stellt aber dennoch eine Information dar.

  • Selbst die folgende, eher verwirrende Aussage ist eine Information, sogar eine mit besonders hohem Gehalt: "Die geschätzte Falschheit dieser Aussage unterscheidet sich nicht von ihrer geschätzten Wahrheit" [16]

2.2 Zur Grundform "Technik"

Umgangssprachlich läßt sich der Unterschied von Information und Technik so beschreiben: Im ersten Fall braucht man etwas nur zu wissen, im zweiten dagegen muß man das Wissen in geeigneter Weise anwenden, um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Bereits einfachste Beispiele aus dem Familienleben oder dem Kindergarten zeigen, daß Erziehung und Unterricht sich nicht auf Informationsvermittlung beschränken dürfen. Den Kinderbrei "ordentlich", d.h. sachgemäß zum Mund zu führen, verlangt mehr als das Abrufen gespeicherter Informationen. Das gleiche gilt für Unterrichts-Objekte wie

  • das Ausschneiden einer auf Papier gezeichneten Figur mit der Schere

  • das Erzeugen eines reinen Tones auf einem Horn,

  • das Malen einer Landschaft mit Aquarellfarben,

  • die Nutzung des Pythagoras-Satzes zur Berechnung nicht bekannter Strecken oder zur Konstruktion eines rechten Winkels,

  • die chemische Analyse einer Flüssigkeit,

  • das Lesen eines Bauplanes,

  • die Verwendung eines modernen Textverarbeitungsprogrammes zum Schreiben eines Aufsatzes.

Das Aneignen von Informationen allein reicht bei der Ausführung der genannten Techniken nicht aus.

Zwar erfordert das Erlernen und die Realisierung einer Technik immer die Kenntnis bestimmter Informationen, sei es hinsichtlich der Durchführung der Technik, sei es hinsichtlich ihrer Einsatzbedingungen, doch führt die Kenntnis dieser Informationen allein noch nicht zur gewünschten Technik. Wer einmal versucht hat, einem Waldhorn zwei klare Töne zu entlocken, oder nach eindeutiger Beschreibung ein ihm unbekanntes Textverarbeitungsprogramm zu nutzen, dem dürfte dies offensichtlich sein.

Über das Erinnern abgespeicherter Informationen hinaus, wie Lippen und Zunge gestellt werden müssen, um auf dem Horn zu blasen, oder welche Symbole einer technischen Zeichnung welche Bedeutung haben, muß der Lernende bzw. Ausführende einer Technik die genannten Informationen produzierend anwenden. Je höherwertiger die produzierende Operation, desto schwieriger ist nicht nur die Leistung beim Ausführen der Technik, sondern auch das Erlernen der Technik[17].

Bei Extern-Techniken ist dies augenscheinlich.

Versuchen Sie doch einmal, lediglich nach mündlicher oder schriftlicher Anweisung, einen Delphin-Sprung vom 3-m-Brett auszuführen. Sie stehen mit Ballen und Zehen am äußersten Ende des Brettes in 3 m Höhe über dem Wasser, den Rücken zum Wasserbecken, also das Gesicht zum Brett gewandt. Sie wippen, um das Brett in Schwingungen zu versetzen, springen nach oben ab und vollführen, mit dem Rücken zum Brett einen gestreckten Kopfsprung.

Abgesehen von evtl. vorhandenen Ängsten genügt die Belehrung, also die Informationsvermittlung allein nicht, um diesen Sprung vollziehen zu lernen. Das Beispiel dürfte überzeugend sein, denn die für diese Technik vorrangigen Operationen sind externer Art und daher von Außenstehenden gut beobachtbar. Für andere Extern-Techniken wie das Ausschneiden einer Papierfigur oder das Blasen eines Waldhorns trifft dies gleichermaßen zu.

Anders ist das bei Intern-Techniken, die im Gegensatz zu den Extern-Techniken vorwiegend durch die Ausführung von (produzierenden) Intern-Operationen gekennzeichnet sind[18].

  • Das Berechnen unbekannter Strecken ,

  • das Lesen von Bauplänen

  • ebenso das Analysieren von Gedichten oder Bildern,

  • auch das Planen einer Unterrichts-Stunde

sind Beispiele für Intern-Techniken.

Da die Ausführung der notwendigen Intern-Operationennichtdirektbeobachtet werden kann, ist die Schwierigkeit beim Erlernen wie beim Ausführen von Intern-Techniken nicht ohne weiteres durch Außenstehende nachvollziehbar. Dies ist sicher einer der Gründe dafür, warum sich viele Lehrende oft damit begnügen, ihren Schülern lediglich Informationen über eine Intern-Technik zu vermitteln, anstatt sie die Ausführung der Technik selbst eingehend zu lehren. Die Enttäuschung der "schlechteren" Schüler und des Lehrenden selbst über die Fehlleistungen dieser Schüler sind dann vorprogrammiert.

  • Das ist beispielsweise der Fall, wenn den Schülern an einigen Beispielen dargestellt wird, wie der Satz des Pythagoras angewendet werden kann, um unbekannte Strecken in rechtwinkligen Dreiecken zu berechnen und anschließend erwartet wird, daß die Lernenden in der Lage sind, die Technik sofort auszuführen. Lehrende übersehen dabei, daß sie den Lernenden noch keine Gelegenheit gegeben haben, die notwendigen produzierenden Operationen hinreichend oft auszuführen.

  • Gleiches trifft für gemischte Techniken wie das Schreiben eines Textes auf dem Rechner oder das Ausführen von Schritten eines Volkstanzes zu, deren externe Anteile leicht beobachtet werden können und deshalb im Vordergrund der Betrachtung stehen, deren interne Teile aber nicht oder nicht genügend als eigenständiges Unterrichts-Objekt betrachtet werden.

  • Entsprechende Fehler treten auf, wenn Lehrende von ihren Schülern erwarten, "aus dem Stegreif" eine im Unterricht bearbeitete Situation szenisch darstellen zu können, ohne daß dies an anderer Stelle erarbeitet und "geübt" wurde.

Der erste Aspekt, durch den sich die Grundform "Technik" von der Grundform "Information" unterscheidet, und der im Unterricht oft vernachlässigt wird, ist also die zu vollziehende produzierende Operation. Es tritt aber noch eine weitere wichtige Komponente hinzu. Das ist die Zweck-Entsprechung des Informations- oder Energieumsatzes.

  • Haben Sie schon einmal das Gesellschaftsspiel "Minos" gespielt? Weitaus schwieriger als beim viel bekannteren Spiel "Monopoly" ist es, die einzelnen Spielentscheidungen dem Spielzweck angemessen zu treffen.

  • Manchen Mathematiklehrern fällt es oftmals gar nicht auf, daß Schülern die Lösung einer Aufgabe noch Schwierigkeiten bereiten kann, obwohl sie längst die konvergent denkende Anwendung der Regel zum Pythagoras-Satz beherrschen, nur weil die Aufgabe eine ungewohnte Zwecksetzung, z.B. nicht wie immer zuvor die Berechnung einer unbekannten Strecke sondern umgekehrt die Erzeugung eines rechten Winkels verlangt.[19]

  • Zu recht beschweren sich auch Schreibkräfte, wenn ihnen zugemutet wird, sich selbständig in ein neues und gegenüber bisherigen Gewohnheiten stark unterscheidendes Textverarbeitungsprogramm einzuarbeiten. Auch ein Menue-gesteuertes Programm verlangt die produzierende und zweckgerichtete Anwendung der Anweisungen eines Handbuches oder der sog. "online-Hilfen", die nur den technischen Ablauf beschreiben. Das Handbuch enthält zwar alle notwendigen, leider auch zunächst viele überflüssigen Informationen, verlangt dagegen aber nicht die Bewältigung notwendiger Anwendungs-Situationen, die das zügige und systematische Erlernen der zweckentsprechenden und produzierenden Operationen fördern. Genau dies aber müßte von einem "Lernprogramm" verlangt werden.

Die Ausführungen sollten genügen, um die Auffassung zu verstärken, daß Unterricht, der zum Erwerb von Techniken führen soll, nicht bei der Vermittlung von Informationen zu und über die Technik stehen bleiben darf, sondern die produzierende Anwendung dieser Informationen oder auch Teiltechniken und ihre zweckentsprechende Verwendung initiieren muß.

2.3 Zur Grundform "Verhaltensweise"

Mit der Unterscheidung von Informationen und Techniken sind lediglich zwei der Kriterien ausgenutzt worden, die zur Differenzierung der Grundformen entsprechend Bild 1 dienen, nämlich die Art der Tätigkeit und die Zweckgebundenheit. Die anderen Aspekte, die Bewußtheit und der Zeitaufwand, kommen erst ins Spiel, wenn man die beiden Grundformen im rechten Teil des Bildes ins Auge faßt: Einstellungen und Verhaltensweisen. Beginnen wir unsere Betrachtung dieser beiden Grundformen unter dem Aspekt der Bewußtheit.

Auch jene Philosophen, die außerordentlich hohe Vorstellungen von der Bewußtheit menschlicher Tätigkeiten haben, gestehen ein, daß viele Handlungen im täglichen Leben völlig unbewußt und dennoch zweckentsprechend vollzogen werden. So gibt selbst K. R. POPPER, der davon ausgeht, daß der Fortschritt der Kultur vorwiegend aufgrund bewußten(!) Versuchens und kritischen Verwerfens durch den "entdeckenden Geist" des Menschen entstanden ist, doch zu, daß menschliches Handeln zu bestimmten Teilen auch "automatisch" erfolgt.[20]

Am Beispiel von Verhaltensweisen läßt sich die Bedeutung dieses Gesichtspunkts einfach erklären. Umgangssprachlich vereinfacht läßt sich der Unterschied zwischen Techniken und Verhaltensweisen folgendermaßen formulieren: Techniken entsprechen dem, was man an Handlungen vollziehen kann, Verhaltensweisen dem, was man in einer bestimmten Situation nicht nur zu tun imstande ist, sondern, ohne es zu bedenken, zwangsläufig tut. Schon daraus ergibt sich, daß zunächst eine bestimmte Technik erlernt worden sein muß, bevor auf diesem Vermögen eine Verhaltensweise aufgebaut werden kann. Die Verhaltensweise ist eine automatisierte Technik.

Ich will dies an zwei typischen sog. "Kulturtechniken"[21] verdeutlichen, dem Erlernen des Schreibens und des Autofahrens.

  • Fast jedem Leser dürfte erinnerlich sein, wie schwer er sich zunächst tat, beispielsweise den Buchstaben "ß" in angemessener Form innerhalb von Wörtern wie "gießen" zu schreiben

  • oder wie schwer es ihm einmal gefallen war, "am Berg anzufahren".

In beiden Fällen handelt es sich um Misch-Techniken, die also sowohl Teiltechniken interner als auch externer Art beinhalten. Wodurch sind im Laufe der folgenden Monate und Jahre die Schwierigkeiten beim Vollzug dieser Technik beseitigt worden? Die muttersprachliche Antwort würde lauten: durch "Üben".

Nun kann "üben" allerdings unterschiedliches bedeuten:

  • Eine Information oftmals erkennen und erinnern, um sie zu speichern (wie beim Vokabellernen),

  • sie produzierend, also auswertend, konvergent denkend und/oder divergent denkend anwenden (wie beim Anwenden des Pythagoras-Satzes),

  • Eine Technik immer wieder in der gleichen Art und Weise ausführen, bis sie "automatisiert" ist (wie beim Binden einer Schleife oder beim Knüpfen eines komplizierten Seglerknotens)

Wie meistens in der Lebenspraxis sind auch bei den Prozessen zum geläufigeren und exakteren Schreiben bzw. Autofahren alle drei Arten des "Übens" beteiligt. Der für unseren Zusammenhang allein wichtige Aspekt ist jedoch der dritte, das "Automatisieren". Die Automatisierung wird immer durch einen Akt der "Konditionierung" (möglicherweise auch der Selbst-Konditionierung) bewirkt. Beide für die Erzeugung von Verhaltensweisen wichtigen Lernprozesse, jener der instrumentellen und jener der operanten Konditionierung [22] führen dazu, daß der Lernende mit steigender Häufigkeit und Dauer des Vollzugs einer Technik immer weniger "Gedanken an den Vollzug der Technik verschwenden" muß, damit also freie Bewußtseins-Kapazität für andere Informationen gewinnt. (beispielsweise über das Verkehrsgewühl um ihn herum).

Wenn der Lernende beim "Anfahren am Berg" anfangs noch genau analysieren mußte, wie stark die Steigung des Berges ist, dann überlegen mußte, wie stark die Handbremse anzuziehen und in welcher Geschwindigkeit die Kupplung loszulassen sei, so ist am Ende der Lernzeit ein Zustand erreicht, bei dem die "Koordination" der Teilmaßnahmen automatisch geschieht.

Das bedeutet, daß der Vollzug der Tätigkeit nicht mehr durch bewußte Prozesse gesteuert und kontrolliert wird, sondern daß er (in dieser Hinsicht) unbewußt abläuft. In der Umgangssprache hat sich diese Erkenntnis in dem Wort "es ist in Fleisch und Blut übergegangen" niedergeschlagen.[23] Erst wenn dieser Zustand erreicht ist, kann sich der Führer eines Autos, ohne ein Verkehrshindernis zu bilden, also verkehrsgerecht verhalten.

In Verengung des Begriffs "Üben" auf den Automatisierungs-Aspekt betont K. STÖCKER[24] dies auch für schulisches Lernen: "Sinn und Wesen aller Übung liegen in der erreichten Mechanisierung menschlicher Tätigkeiten. Was einst bewußter Anstrengung bedurfte, wozu unzählige Willensimpulse und Entscheidungen notwendig waren, wird mit der fortschreitenden Übung unbewußt und mechanisch. Es bedarf dann oft nur noch des leisen Anstoßes, um mit absoluter Sicherheit den Ablauf der gewünschten Handlung zu erreichen. Rechenoperationen aller Art, die Fertigkeiten des Lesens und Schreibens sind dafür Musterbeispiele. Damit werden ... Kräfte, Bewußtsein und Wille frei für höhere geistige Leistungen."

Für das Schreiben des Buchstaben "ß" bedeutet dies: Der Lernende hat es nicht mehr nötig, zu überlegen, in welcher Höhe er den Anstrich zu setzen hat, wie weit er über die (nur gedachte) Oberlinie hinausfahren muß, wie weit der Abstrich nach unten zu führen ist, schließlich wie der folgende Buchstabe anzusetzen ist.

Wenn dieses automatisierte, also nicht mehr bewußt gesteuert und kontrollierte Verhalten erreicht ist, entspricht der dadurch erreichte Lernzustand nicht mehr einer Technik, sondern einer Verhaltensweise.

Für den Bereich sozialen Lernens gilt dies gleichermaßen. So schreibt F. KOPP über Notwendigkeiten, die erfüllt werden müssen, wenn der "Morgenbericht" in der Grundschule seinen didaktischen Sinn haben soll: "Mehrere Fertigkeiten müssen die Kinder beherrschen, um die Situation 'Morgenbericht' meistern zu können. Das ist zuerst das Umgehen mit Stühlen, dann das Setzen zum Halbkreis. Danach wird ein Einordnen und Hinhören verlangt. Weiterhin ist das freie, aber sachgebundene Berichten notwendig. Es ist klar, daß alle diese Geschicklichkeiten nicht mit einem Male erlernbar sind. Stete Übung ist notwendig. Unentbehrlich ist die Hilfe und Führung des Lehrenden. Er bestimmt die Gesprächsordnung, er hilft beim Bilden des Hörkreises, er lobt das geordnete und sachliche Gespräch, er hebt eine Frage als gut oder wichtig heraus, er weist unsachliche Beiträge zurück und korrigiert vorlaute Kinder. So gelangen die Kinder erst langsam zur Meisterung der ihnen gestellten Aufgabe 'Morgenbericht'. Sie schaffen sich damit eine Lebensform, welche von ihnen als sinnvoll empfunden und deshalb bejaht wird. Diese Form gibt dem Schulleben seinen Stil, sie hält die Kinder." [25]

Hier wird beschrieben, wie auf der Grundlage einzelner Teil-Techniken Teil-Verhaltensweisen aufgebaut werden. Die führende Rolle des konditionierenden Lehrenden ist augenscheinlich, und es ist unsinnig, sie zu kaschieren.

Verhaltensweisen ergeben sich also immer durch Konditionierung auf der Grundlage einer Technik. In Bild 1 ist dies durch die Richtung des Pfeils gekennzeichnet. Der Inhalt des Pfeiles, der von der Technik zur Verhaltensweise führt, könnte nach dem bisher Gesagten kurzgefaßt als "Automatisieren" bezeichnet werden.[26]

Automatisieren wäre also zu übersetzen mit "sich von der bewußten Ausführung einer Tätigkeit immer weiter entfernen, bis die Tätigkeit unbewußt vollzogen werden kann." Das ist jedoch nur der eine Aspekt des Automatisierens. Der andere besteht darin, daß die Verhaltensweise ausschließlich auf einer ganz bestimmten, einseitig ausgewählten Technik aufgebaut wird.

Sich in fremdem Gelände zurechtzufinden, kann mit Hilfe unterschiedlicher Techniken gelöst werden.

  • Wer ausschließlich auf gekennzeichneten Wegen zu wandern gewöhnt ist, gerät in Schwierigkeiten, sobald in unübersichtlichem Gelände an einer Kreuzung die Wegweiser oder -marken fehlen.

  • Wer nun über eine Wanderkarte verfügt, kann sich gegebenenfalls helfen, wenn er seinen Standort bestimmen kann und gelernt hat, einen Kompaß einzusetzen.

  • Hat man den Kompaß vergessen, entsteht wiederum eine neue Schwierigkeit. Wer aus der Seite, an welcher Baumstämme mit Flechten bewachsen sind, auf die Himmelsrichtung schließen kann, kann sich dennoch helfen.

Eine konditionierte Verhaltensweise zu lernen, bedeutet an diesem Beispiel, daß nur eine der vielen möglichen Techniken ausgewählt wird, die dann zur Grundlage der zu konditionierenden Verhaltensweise dient. Das ist der zweite Aspekt des Automatisierens. Der (primitive) Automat überlegt nicht, wie er sich in einer neuen Situation verhalten soll, sondern er verhält sich so, wie er "programmiert" ist. Wer eine Verhaltensweise gelernt hat, verhält sich ebenso, aufgrund der Fixierung auf eine bestimmte Technik.

So kann man durchaus Wanderer beobachten, die ständig ihre Wanderkarte und ihren Kompaß benutzen, obwohl die Wege eindeutig beschildert und ihre Bemühungen somit überflüssig sind, möglicherweise von anderen Wanderern belächelt werden.

Hier zeigt sich, daß die Ausbildung von Verhaltensweisen nicht immer sinnvoll ist. Grundsätzlich könnte man der geschilderten Schwierigkeit natürlich aus dem Wege gehen, indem man zur Bewältigung bestimmter Situationen stets unterschiedliche Techniken lernen läßt, um sie anschließend zu Verhaltensweisen zu konditionieren. Für den, der nur selten wandert, wäre das allerdings unökonomisch.

  • Wer beim "Schalten" noch überlegen muß, welcher Gang in einer bestimmten Situation geeignet ist, kann sein Fahrzeug nicht sicher, zügig und verkehrsgerecht führen.

  • Wenn ein Fahrschüler beispielsweise lernen soll, vor dem Überholen immer in den Rückspiegel zu schauen, dann darf es der Fahrlehrer nicht zulassen, daß der Schüler seinen Beifahrer fragt, ob etwas "von hinten kommt", was ja grundsätzlich auch eine sinnvolle Technik zur Bewältigung der Situation wäre.

Andererseits setzt die Konditionierung einer Verhaltensweise gerade die Fixierung auf eine bestimmte Technik voraus. Das gilt natürlich auch für viele Bereiche schulischen Lernens.

Wenn es für den Lehrenden ein wichtiges "Erziehungs-Ziel" darstellt, daß sich Schüler wenigstens anderen Schülern (hoffentlich auch anderen Mitmenschen) gegenüber hilfsbereit verhalten, so wird er sich auf einer ersten einfachen Ebene damit zufrieden geben, wenn sich die Schüler gegenseitig mit Material aushelfen. Voraussetzung dafür wäre, daß die Schüler nicht bequemere Techniken der Materialversorgung nutzen können, z.B. die Selbstversorgung aus übervollen Material-Schränken.

Doch kann der Aspekt der Einseitigkeit im schulischen Leben leicht zu Konflikten führen.

So soll im Mathematikunterricht das schriftliche Subtrahieren in allen deutschen Bundesländern nach dem sog. "österreichischen Verfahren" oder dem "Ergänzungsverfahren" bis zur zügigen und fehlerlosen Beherrschung gelernt werden [27]. Gefordert ist also die Konditionierung einer Verhaltensweise. Das Subtrahieren mittels anderer Techniken erschwert und verzögert aber den Konditionierungs-Vorgang, weil die Bedingung der Einseitigkeit nicht mehr eingehalten wird. Der immer gleichbleibende Vollzug der internen wie der externen Operationen ist dann nicht mehr gewährleistet.

Andererseits ist es aber auch vorgeschriebenes Ziel des Mathematikunterrichts, daß die Lernenden möglichst oft eigene Lösungen für mathematische Probleme "entdecken". Angesichts dieser entgegengesetzten Forderungen geraten Lehrende leicht in Entscheidungsschwierigkeiten. Wie wichtig ist es dann, wenn er in Kenntnis der Bedingungen verschiedener Grundformen eindeutige Entscheidungen treffen kann!

Die Einseitigkeit beim Erlernen wie beim Vollzug von Verhaltensweisen ist gewiß eine Gefahr. Andererseits ist das entscheidende Argument für die Erzeugung von Verhaltensweisen die dadurch erfolgende Entlastung des Bewußtseins. Manche Aufgaben können nur dann sicher und zügig bewältigt werden, wenn entsprechende Verhaltensweisen ohne Belastung des Bewußtseins automatisch ablaufen. Das gilt für interne und für externe Verhaltensweise gleichermaßen.

  • Die meisten langjährigen Autofahrer haben schon erlebt, daß sie ohne Schwierigkeiten durch dichtesten Verkehr gefahren sind und plötzlich bemerkten, daß sie an einem Ort landeten, den sie sich gar nicht als Ziel gesetzt hatten.

  • Jeder Rettungshelfer, Koch und Leistungssportler muß mehr oder weniger komplizierte Aufgaben "wie im Schlaf beherrschen".

  • Als vollwertiger und geachteter Diskussions-Partner muß man nicht nur Regeln kennen, sondern sie automatisch umsetzen, um abwarten, anderen zuhören, ihre Meinung integrieren zu können.

Für Verhaltensweisen sind nach dem bisher Gesagten folgende Merkmale bestimmend:

  • Verhaltensweisen bauen auf Techniken auf,

  • die Techniken werden einseitig zu Lasten anderer, auch anwendbarer Techniken ausgewählt,

  • der Lernende wird konditioniert, diese eine Technik in bestimmten Situationen immer wieder anzuwenden,

  • bis der Vollzug der internen wie der externen Handlung unbewußt erfolgt, also "automatisch" abläuft.

  • Die Umwandlung einer Technik in die entsprechende Verhaltensweise bedarf größererZeiträume, als sie in einzelnen Unterrichtseinheiten zur Verfügung stehen.

Die Erzeugung von Verhaltensweisen verlangt seitens des Lehrenden die häufige Schaffung sinnvoller Situationen für das Äußern der gewählten Technik bzw. Der sich allmählich heranbildenden Verhaltensweise und konsequente, also gleichförmige, im Idealfall nie abweichende Einwirkung auf die Schüler.

Diese Erkenntnis verträgt sich natürlich nicht mit einem Bild von Unterricht und Erziehung, in welchem Lernende und Lehrende immer partnerschaftlich handeln und Lernende ausschließlich selbständig und mit hohem Grad an Bewußtheit lernen. Aber dieses Bild kann in seiner Einseitigkeit bestenfalls für jenen Teil des Unterrichts Gültigkeit beanspruchen, in dem es um das Erlernen von Informationen geht. Es verdeutlicht zwar eine wünschenswerte Zielvorstellung, ist aber leider längst nichtimmer und keinesfalls beim Heranbilden von Verhaltensweisen und Einstellungen wegen der Notwendigkeiten

  • der Einseitigkeit der Auswahl,

  • der Automatisierung

  • und der konsequenten Einwirkung

realisierbar. Eine Ausnahme hiervon bildet allein der Fall der Selbst-Konditionierung, auf den ich noch eingehen werde.

Die unterschiedlichen Bedingungen, die für die vier verschiedenen Grundformen gelten, werden leider in der unterrichts-wissenschaftlichen Literatur nicht ausreichend berücksichtigt. Als neueres Beispiel seien nur SEIBERT u. a. genannt, die in Zusammenhang mit einer Merkmals-Bestimmung von "Üben" zwar einerseits das Moment "anstrengungsreduzierter, sicherer und geläufiger Verfügbarkeit" anführen, andererseits aber auch das Merkmal des "einsichtig Gelernten"[28]. Das ist ein Widerspruch in sich selbst.

Hierin zeigt sich die undifferenzierte Übernahme von Lerntheorien, die unter der Sammelbezeichnung "Kognitions-Theorien" zusammengefaßt werden. Diese Theorien sind sehr gut geeignet, jene Seite menschlichen Lernens zu klären, die einen hohen Grad an Bewußtheit seitens des Lernenden voraussetzen und solche Fragen schulischen Lernens zu beantworten, die sich mit dem Lernen von Informationen und Intern-Techniken beschäftigen. In dieser Hinsicht haben sie in den letzten Jahrzehnten einen wohltuenden Einfluß auf die Unterrichtswissenschaft gehabt. Leider beschränken sie sich auf diese eine Seite des Lernens.

Die völlig andersgearteten Bedingungen des Erlernens von Einstellungen und Verhaltensweisen können sie nicht klären. Hierfür sind die grundlegenden Aussagen der "behaviouristischen" Lerntheorien zuständig. Da sich die Vertreter der beiden "Schulen" über Jahrzehnte unversöhnlich bekämpften, neigen Didaktiker dazu, sich nur die Aussagen einer der beiden zu eigen zu machen, ohne zu bemerken, daß jede der Lern-Theorien andere Gegenstände des Lernens bearbeitet.

Die Systemische Didaktik integriert in ihrem Modell zur Differenzierung von Lernprozessen beide lerntheoretische Richtungen. [29]

Daß beide Sichtweisen ihre Berechtigung haben, erkennt man am Beispiel der Selbst-Konditionierung. In diesem höchst anspruchsvollen Fall muß der Lernende zunächst bewußt jene Technik auswählen, die ihm als die am besten geeignete erscheint, um sie dann in eine kraft- und energiesparende Verhaltensweise umzusetzen. Er muß selbst die Automatisierung, also die Überführung in den Zustand unbewußten Vollzugs steuern, sich selbst immer wieder in die erforderlichen Situationen bringen und sich selbst auf Einhaltung der gewünschten Verhaltensaspekte hin kontrollieren.

Wie schwierig dies ist, und welche Selbstdisziplin dazu gehört, weiß jeder, der sich selbst das Rauchen abgewöhnen oder eine nachlässige in eine erfolgreichere Arbeitshaltung umwandeln wollte.

Schulische Erziehung auf diesen schwierigen und höchst anspruchsvollen Fall der Selbst-Konditionierung beschränken zu können, ist eine Illusion. Schon die Fremd-Konditionierung erfordert sehr viel psychische Energie und Konsequenz, allerdings nicht vom Lernenden, sondern vom Lehrenden. Wäre Rahmenplan-Gestaltern dies hinreichend bewußt, so würden sie nicht unangemessen viele und unrealistische Verhaltensweisen fordern, sondern sich auf einige wesentliche und realisierbare beschränken.

In der didaktischen Literatur wird man vergeblich nach differenzierten Ausführungen über die Unterschiede von Techniken und Verhaltensweise suchen. Dort werden beide Grundformen wechselweise mit unterschiedlichem Bedeutungsgehalt und oft einander widersprechend mit den Begriffen "Fertigkeit", "Fähigkeit" oder "Gewohnheit" verknüpft.

So definiert beispielsweise STEINDORF [30] "Fertigkeit" (nach DANILOW): "Die Fertigkeit ist eine eingeschliffene, sich nach einem bestimmten Muster rationell und fehlerfrei vollziehende Handlung; sie bildet sich durch vielfach wiederholtes Üben heraus. Die Fertigkeit ist eine schnell und fehlerlos ablaufende elementare Fähigkeit; bestimmte Verfahren des Lernens und der praktischen Tätigkeit haben sich automatisiert, sind dem Schüler zur Gewohnheit geworden".

Hiernach wäre die Fähigkeit eine Voraussetzung für eine Fertigkeit. Derselbe Autor sagt aber auch auf S. 31: "Das Konstrukt Fähigkeiten kann man als aufgabenunspezifisch, situationsübergreifend und transferierbar verstehen, während Fertigkeiten an eine konkrete Aufgabe gebunden erscheinen".

Da man allgemeinere wohl nur auf der Basis konkreter Kompetenzen erlernen kann, wäre hiernach die Fertigkeit eine Voraussetzung für eine Fähigkeit. Das entspricht auch der Auffassung von K.G. PÖPPEL [31]:

" ... so ist die Fertigkeit des Notenlesens eine Voraussetzung zur musikalischen Interpretationsfähigkeit; handwerkliche Fertigkeiten sind die Voraussetzung zur künstlerischen Gestaltungsfähigkeit (1975, S. 115).

Völlig verwischt werden die Unterschiede der Grundformen in einem Beispiel von K. KOPP.[32]

Der Autor führt u.a. als "Fertigkeit" auf:

a) "das Abc können",

b) "flüstern können",

c) "sich leise in der Klasse bewegen können",

d) "einfache Formen der Höflichkeit einüben"

e) "Umgang mit Werkstoffen und Geräten", .

Die "Fertigkeit" (a) bezeichnet mit Gewißheit die Speicherung einer Information, hingegen handelt es sich bei den "Fertigkeiten"(b) und (c) um Techniken. Schließlich weisen die Zusätze "einüben" im Falle (d) und "Umgang" in Beispiel (e) darauf hin, daß hier vermutlich Verhaltensweisen gemeint sind.

2.4 Zur Grundform "Einstellung"

Aus den obigen Beispielen ergibt sich unmittelbar, daß Verhaltensweisen im Gegensatz zu Informationen und Techniken nur langfristig erzeugt bzw. erworben werden können. Entsprechendes gilt auch für die letzte Grundform, für Einstellungen. Einstellungen werden oft sowohl mit Informationen als auch mit Verhaltensweisen gleichgesetzt bzw. verwechselt. Den Grund dafür erkennt man leicht, wenn man die Beziehungen in Bild 1 betrachtet.

Die Gleichsetzung mit Informationen rührt daher, daß Einstellungen auf Informationen aufbauen. Doch wird bei dieser Art von Gleichsetzung außer acht gelassen, daß Einstellungen erst durch einseitige Auswahl bestimmter Informationen und deren Automatisierung entstehen. Das setzt im Gegensatz zum Informationserwerb langfristige Vorgänge voraus.

Genau dies haben Einstellungen mit Verhaltensweisen gemeinsam. Sie kommen nur durch längerfristige Konditionierung zustande. Der fundamentale Unterschied der beiden Grundformen untereinander besteht jedoch darin: Eine Einstellung baut auf Informationen auf, Verhaltensweisen dagegen auf Techniken.

Zwar kann eine Einstellung das Entstehen einer korrespondierenden Verhaltensweise erleichtern, beschleunigen und festigen (in Bild 1 durch den dunklen Pfeil zwischen Einstellungen und Verhaltensweisen symbolisiert), doch besteht hinsichtlich ihrer Auswirkung auf die Handlungen einer Person ein großer Unterschied. Man erkennt dies schon an einer umgangssprachlichen Beschreibung der beiden Grundformen. Ich hatte schon gesagt, daß Verhaltensweisen das bezeichnen, was man in einer bestimmten Situation nicht nur zu tun imstande ist, sondern was man dann auch zwangsläufig tut.

Eine Einstellung dagegen kennzeichnet lediglich die z.Zt. unumstößliche Meinung bzw. Überzeugung, daß man sich in bestimmten Situationen so und nicht anders verhalten müßte. Während eine Verhaltensweise also dem automatischen Vollzug einer Technik entspricht, so meint eine Einstellung die automatische Zuordnung oder Äußerung einer Information. Der Unterschied läßt sich an einem sehr alltäglichen Beispiel verdeutlichen.

  • Man kann sehr wohl die Einstellung haben, man müßte sich täglich mindestens zwei Mal die Zähne putzen, und wird dennoch aus Bequemlichkeit oder anderen Gründen öfter gegen diesen "Grundsatz" verstoßen.

  • Wer dagegen selbst nach einem sehr anstrengenden Tag und einer langen, durchfeierten Nacht die Zähne vor dem Schlafengehen putzt, der zeigt, daß er die entsprechende Verhaltensweise erworben hat.

Jedermann sind ähnliche Beispiele für verbreitete und allgemein "akzeptierte" Einstellungen einerseits und den entsprechenden Verhaltensweisen andererseits bekannt:

  • Rauchen ist ungesund <=> dem Angebot einer Zigarette nach dem Essen nicht widerstehen können

  • Hausmüll muß der Umwelt zuliebe sortiert werden <=> umständliche Wege scheuen, um Plastik- oder Bio-Abfälle zu entsorgen

  • Bei ROT keinesfalls die Straße überqueren <=> dennoch über eine Kreuzung rennen, wenn man den haltenden Bus erreichen will

  • Mitarbeit in Universitätsgremien gehört zu den Pflichten jedes Studenten <=> neben dem Studium nicht den Zeitverlust und den Energieaufwand auf sich nehmen, um regelmäßig an Gremiensitzungen teilzunehmen und sich darauf vorzubereiten.

Die Beispiele mögen genügen, um die Qualitätsunterschiede zwischen Einstellungen und Verhaltensweisenzu verdeutlichen. Sie alle zeigen, daß Einstellungen nicht auf Techniken, sondern auf Informationen aufbauen. Im übrigen aber treffen alle Merkmale von Verhaltensweisen auch auf Einstellungen zu:

  • Sie können nur in längeren Zeiträumen erzeugt werden,

  • sie entstehen durch Konditionierungs-Prozesse,

  • durch häufig wiederkehrende einseitige Auswahl von Informationen,

  • bis sie routinemäßig, also automatisch in entsprechenden Situationen assoziiert werden.

Die automatische Zuordnung eines bestimmten Urteils zu einem bestimmten Sachverhalt oder Ereignis kann ohne besondere Einflüsse auch nicht mehr selbständig in Frage gestellt werden.[33]

Besonders augenfällig ist dies bei jeweils aktuell propagierten, "Zeitgeist"-entsprechenden Einstellungen:

  • Man hat Energie zu sparen

  • Lehrende haben sich gegenüber ihren Schülern partnerschaftlich zu verhalten

  • Hochschulkommissionen sind zu mindestens 50 Prozent durch Frauen zu besetzen

  • Fettarme Nahrung ist gesund.

Es sei nochmals darauf hingewiesen, daß es sich hier nicht um Aussagen im Sinne der Grundform "Information" sondern um Überzeugungen handelt, die erst im Laufe eines länger dauernden Konditionierungs-Prozesses entstanden sind.

Die Unterscheidung der Einstellung gegenüber einerseits der Information und andererseits der Verhaltensweise mag zunächst als eine rein theoretische Abstraktion ohne besonderen Wert erscheinen. Sie hat aber für Unterrichts- und Erziehungsvorgänge eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Erst die genaue Kenntnis dieser Unterschiede macht es dem Lehrenden möglich, zu entscheiden, auf welcher Wirkungs-Ebene er seine Arbeit ansiedelt. Daß diese Kenntnisse aber noch nicht sehr verbreitet sind, kann man beispielsweise einem Zitat von W. KLAFKI entnehmen, der in einem Aufsatz zur Grundschulpädagogik im Widerspruch zu Aussagen der Reformpädagogik über die ganzheitlich bestimmten Äußerungen von Grundschulkindern feststellt:

"Man kann mit Kindern dieses Alters z.T. auf beachtlich differenziertem kognitivem Niveau über Aggressionen, ihre Erscheinungsformen, Anlässe und mögliche Ursachen sprechen; aber das bedeutet keineswegs zugleich, daß sie ihre eigenen Aggressionen auch bereits praktisch zu beherrschen vermögen, und sie wissen oft um diese Diskrepanz." [34]

Wenn diese Diskrepanz betont werden muß, bedeutet dies, daß den Adressaten unausgesprochen unterstellt wird, nicht die Unterschiede von Informationen und Verhaltensweisen zu kennen! Man erinnere sich an das Eingangs-Zitat:

"Aber wir haben das doch schon so oft besprochen! Warum klappt es immer noch nicht?"

Zwischen der Fähigkeit, sich mit Informationen argumentierend auseinanderzusetzen und der Fähigkeit, entsprechende Verhaltensweisen zu äußern, liegen Welten!

Allbekannt ist der Satz: "Wer unterrichtet, der erzieht auch!". Natürlich gilt der Satz nur, sofern der Unterrichtende genügend Zeit hat, um erziehen zu können, eine Bedingung , die im Fachlehrer-System oft nicht erfüllt ist.

Die bisherigen Ausführungen genügen, um die Grenze zwischen dem umgangssprachlichen Verständnis von "Unterrichten" und "Erziehen" zu bestimmen:

Unterricht wird zu dem Zweck veranstaltet, daß Informationen und Techniken gelernt werden.

Erziehung geschieht, damit Einstellungen und Verhaltensweisen gelernt werden.

Will ein Lehrender "nur" Unterrichtsarbeit leisten, oder will er "erziehen"? Als Reaktion auf den vielfach beklagten "Werteverfall" in der Gesellschaft sind in den letzten Jahren vermehrt Publikationen erschienen, die einen "erziehenden Unterricht" fordern. So sehr dies zu begrüßen ist, so ist es doch angezeigt, genauer zu analysieren, was in einzelnen Fällen mit "erziehendem Unterricht" gemeint ist. Betrachten wir drei Zitate, die man in einem Buch von TH. DIETRICH zu Fragen der Pädagogik findet: [35]

a) "Wann kann der Unterricht erziehend wirken? ... (Antwort:) Wenn der Unterricht Arbeitsformen entwickelt, die ein frei sich bildendes, zu gegenseitiger Verantwortlichkeit und Hilfe führendes Gruppenarbeiten und Einzuarbeiten ermöglichen ...".

b) "'Erziehender Unterricht' heißt also nach HERBART: Sittliche Gedankenkreise im Schüler 'aufbauen'. Das kann der Lehrende durch eine 'richtige' methodische Gestaltung des Unterrichts erreichen. Er muß die Vorstellungsmassen so lenken und zusammenfügen, daß aus ihnen ein sittliches Wollen entsteht."

c) "HERBART hat jedoch von 'erziehendem Unterricht', vor allem von Erziehung, eine andere Auffassung als wir. Während wir den Standpunkt vertreten, Erziehung 'geschieht' in der Schule in erster Linie durch die Zusammenarbeit und das gemeinsame Handeln der Schüler, behauptet HERBART aufgrund seiner psychologischen Theorie, daß Erziehung durch die Vermittlung eines 'sittlichen Gedankenkreises' erfolgt. Dadurch gewinne der Zögling die 'rechte Form'."

Das Zitat (a) und die Auffassung von DIETRICH in Zitat (c) meint mit "erziehendem Unterricht" die Ausbildung von Verhaltensweisen. Die Sichtweise, die sich in Zitat (b) und der HERBART-Auffassung in (c) spiegelt, hat unter demselben Begriff (nur) die Ausbildung von Einstellungen zum Ziel.

Nun mag man sich schnell zu der Auffassung DIETRICHS bekennen, denn im Leben kommt es in erster Linie darauf an, daß man sittlich handelt und nicht, daß man ("nur") sittlich-verantwortlich denkt. Doch wäre die ausschließliche Festlegung eines erziehenden Unterrichts auf die Ausbildung von Verhaltensweisen nicht nur unzulässig einseitig, sondern auch welt- bzw. schulfremd. Der Lehrende, der erziehend unterrichten will, muß sich ja immer fragen, welche Möglichkeiten ihm die Bedingungen des Schullebens offenlassen.

Verdeutlichen wir dies am Beispiel des Unterrichts-Objekts "Gleichberechtigung von Mann und Frau". Es ist heute selbstverständlich, daß dieses Unterrichts-Objekt im Unterricht "behandelt" wird. Doch was heißt hier "behandelt" im Sinne der jeweils angestrebten Grundform? Soll es bedeuten, daß die Lernenden lediglich die allgemeine Forderung nach Gleichberechtigung und ihre Bedeutung in verschiedenen Lebensbereichen kennenlernen, sie mit ihren und ihrer Eltern Erfahrungen vergleichen, so erfolgt die Unterrichtsarbeit auf der Ebene der Grundform "Information". Nun existieren bekanntlich verschiedene Sichtweisen zum Gleichberechtigungsthema, z.B.

  • Mann und Frau sollen in allen Lebensbereichen vollständig gleichberechtigt sein.

  • Mann und Frau sollen in allen Lebensbereichen vollständig gleichberechtigt sein, allerdings ist der "Dienst an der Waffe" Männern vorbehalten.

  • Psychologische und biologische Eigenarten der Frau müssen trotz Gleichberechtigung berücksichtigt werden.

  • Trotz des Gleichberechtigungsprinzips muß der besonderen Verantwortung der Frau bei der frühkindlichen Erziehung Rechnung getragen werden. ...

Selbst wenn sich die Schüler mit diesen und anderen verschiedenen, sich teils widersprechenden Aussagen, dazu mit Parteiprogrammen oder anderen institutionellen Äußerungen selbständig und kritisch auseinandersetzen, so wird das Unterrichts-Objekt immer noch als Information behandelt.

Ziel einer länger währenden "Behandlung" könnte aber auch sein, daß die Lernenden nach Kennenlernen der genannten Möglichkeiten allmählich auf eine bestimmte einseitige Meinung "eingeschworen" werden sollen. Die anderen Sichtweisen würden dabei in immer wieder neuen Situationen, Filmen, Texten, Gesprächen, Rollenspielen usw. unterdrückt, immer dieselbe favorisiert. Dann wäre Ziel des Unterrichts die Erzeugung einer Einstellung.

Hier wird deutlich, welche Verantwortung ein Lehrender angesichts einer solchen Entscheidung trägt. In früheren Publikationen haben wir[36] ausführlich diskutiert, was Lehrende im einzelnen kritisch abwägen müßten, bevor sie sich entschließen, eine bestimmte Einstellung bei ihren Schülern erzeugen zu wollen.

Wie sieht es nun mit Möglichkeiten der Grundform "Verhaltensweise" zu verwirklichen?

R. SILKENBEUMER hat seinerzeit im genannten Zusammenhang eine Unterrichtseinheit "Einüben und Stabilisieren geschlechtsuntypischer Verhaltensweisen" publiziert. Daraus stammt das folgende Zitat:[37] "Der Erwerb geschlechtsuntypischer Verhaltensweisen wie sie in den Bilderheften modellartig dargestellt sind, wird sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, d.h. es wird nicht jeden Tag Unterricht zum Thema ,soziale Geschlechtskontrollen' durchgeführt, sondern vielleicht nur alle 14 Tage. - Die in den Bilderheften dargestellten gemeinsamen Aktivitäten von Jungen und Mädchen sind als Anregungen für reale Spiele gedacht ... Die Bilderhefte sollen im Abstand von einigen Wochen ,gelesen' werden. Die Schüler sollen aber nicht nur lesen, sie sollen auch inhaltliche Zusammenhänge darstellen, zum Ausdruck kommende Gefühle verbalisieren, Abgebildetes interpretieren, abgebildete Aktivitäten im Unterricht real ausführen. Bei der Durchführung der Aktivitäten[38] muß die Lehrerin darauf achten, daß sich die Gruppen nicht nach Geschlecht getrennt zusammensetzen und daß die Mädchen in geschlechtsgemischten Gruppen nicht nur eine Zuschauer- und Handlangerposition einnehmen." ... "Die Erfahrungen beim Spiel in gemischten Gruppen bzw. die Ursache für die Bildung geschlechtsgetrennter Gruppen soll nachfolgend im Unterricht zur Sprache kommen."

Der Autor will offensichtlich nicht auf der Ebene der bloßen Informationsvermittlung stehenbleiben, wie es häufig im Sachunterricht geschieht. Wie deutlich in seinem "Thema" formuliert, möchte er eine Verhaltensweise erzeugen. Er sieht auch deutlich die Notwendigkeit einer langfristigen Einflußnahme. Jedoch zeigt der Text, daß er in der genannten Unterrichtseinheit sicherlich keine Verhaltensweisen, sondern bestenfalls Einstellungen würde erzeugen können. Er spricht davon, daß die Lernenden ihre Erfahrungen, und das sind gespeicherte Informationen, "zur Sprache bringen" sollen. Die offensichtliche Diskrepanz zwischen Anspruch (Verhaltensweise) und Durchführung (Einstellung) ist typisch für viele Vorschläge und Forderungen zum politischen oder sozialkundlichen Unterricht. Insofern stellt die genannte Unterrichtseinheit nicht einmal eine unrühmliche Ausnahme dar.

Das Beispiel verdeutlicht, wie leicht die mangelnde Unterscheidung der Grundformen zu falschen Erwartungen und damit sicher auch zu Enttäuschungen der Lehrenden führt. Andererseits ist es auch Ausdruck der Unsicherheiten, die schon durch die Rahmenpläne erzeugt werden. So führt etwa der Berliner Rahmenplan für Sozialkunde [39] neun grundlegende "Einsichten" auf, die "dem Schüler als verpflichtende gesellschaftliche Grundwerte nahezubringen ..." seien, was den Eindruck erweckt, daß mit ihnen Einstellungen im hier definierten Sinne gemeint sind. Betrachtet man jedoch die näheren Ausführungen für die einzelnen Schuljahre, so wird schnell deutlich, daß die dort neben "Kenntnissen", "Erkenntnissen" genannten "Einsichten" innerhalb der zur Verfügung gestellten Zeiträume gar nicht realisiert werden können.

So werden im Berliner Rahmenplan, B III a 4. Hauptschule, Sozialkunde 1987, S. 5 u. a. als drei von zehn "Lernzielen" genannt, die in insgesamt etwa zehn Stunden verwirklicht werden sollen:

  • "Erkennen, daß die Vielfalt der Meinungen Ausdruck der Freiheit unserer Gesellschaft sind",

  • "Den Schülern soll die Einsicht vermittelt werden, daß Konflikte, ..., fair und rational ausgetragen werden müssen",

  • "Die Schüler sollen zu der Erkenntnis kommen, daß gegensätzliche Meinungen, durch den Kompromiß ausgeglichen werden können, ...".

Sollen die Schüler lediglich Informationen lernen oder entsprechende Einstellungen? In durchschnittlich einer Unterrichtsstunde aber kann es nicht gelingen, eine Einstellung zu erzeugen!

In Kap. 2.3 (über Verhaltensweisen) hatte ich die kognitions-psychologischen Lerntheorien als insofern zu einseitig beurteilt, daß sie lediglich das Lernen von Informationen und Techniken erklären können, nicht aber solches von Einstellungen und Verhaltensweisen. Hierfür hatte ich den behaviouristischen Lerntheorien mit ihrer Betonung der Konditionierung eine wichtige Rolle zugewiesen. Leider aber haben diese Lerntheorien wiederum eine andere unerwünschte Wirkung. Auf sie ist zurückzuführen, daß in der erziehungs- wie in der unterrichts-wissenschaftlichen Literatur oft nichtzwischen Einstellungen und Verhaltensweisen unterschieden wird. Die Ursache dafür ist in jener Grundauffassung des Behaviourismus zu finden, daß nur das als wissenschaftlich gewertet wird, was eindeutig beobachtbar ist.

Einstellungen aber bezeichnen innere Zustände und lassen sich daher nicht direkt beobachten. Deshalb versucht der Behaviourist, eine Einstellung dadurch nachzuweisen, daß er die dieser Einstellung entsprechende Verhaltensweise zu registrieren versucht. Dabei wird unterstellt, daß jemand, an dem man eine bestimmte (äußere) Verhaltensweise beobachten kann, mit Sicherheit auch die entsprechende (innere) Einstellung hat. So schreibt beispielsweise R.F. MAGER, 1974, S. 26f:

"'Einstellung' beruht auf dem, was jemand sagt oder was er tut. Es beruht auf sichtbarem Verhalten..." . ..."Wenn wir sagen, jemand hat eine negative Einstellung zum Fernsehen, bedeutet das, wir sagen voraus, daß er, wenn er vor einen Fernsehapparat gesetzt wird, bei der erstbesten Gelegenheit versuchen wird fortzukommen, und daß er sich sehr wahrscheinlich nicht die Hacken abbrennen wird, um sich diesem Reizmittel öfter auszusetzen."

Das gewohnheitsmäßige Sagen und Tun wird vom Behaviouristen also gleichgesetzt. Dementsprechend ist nicht mehr zwischen Einstellung und Verhaltensweisen zu trennen.

Zurück zur Formel vom "Erziehenden Unterricht"! Zutreffend ist die Überlegung, daß der Lehrende, sei er sich dessen bewußt oder nicht, durch seinen Unterricht immer auch gleichzeitig erzieht, und daß es sicher besser ist, wenigstens einen Teil dieser "erziehenden" Wirkung bewußt und planmäßig zu erzeugen.

  • So gelingt es manchen Fachlehrern, neben der Informations- und ggfls. Technik-Vermittlung Einstellungen zu erzeugen, die dazu führen, daß das vertretene Fach bei vielen Schülern zum "Lieblingsfach" und zum Grundstein für Neigungen und Hobbys in der Zukunft wird.

  • Andererseits passiert es gerade Lehrern, die besonders begeistert von ihrem Fach sind, daß sie entgegen ihren Absichten allmählich Abneigungen bei ihren Schülern erzeugen, beispielsweise weil sie die Schüler mit ungeschicktem Informations-Unterricht über längere Zeit überfordern oder langweilen.

Wenn "erziehender Unterricht" so aufgefaßt wird, daß der Lehrende

  • sich ständig eines (nicht zu großen) Katalogs von erwünschten Einstellungen und Verhaltensweisen bewußt ist

  • und bei seiner täglichen Unterrichtsarbeit - und soweit möglich, auch schon bei dessen Planung - darauf achtet, in welcher Weise er einzelne Unterrichts-Situationen ausnutzen kann, um positive Begleitprozesse im Sinne der angestrebten Einstellungen und Verhaltensweisen zu fördern,

dann ist die Forderung nach "erziehendem Unterricht" zu bejahen.

Versteht man unter der Formel allerdings lediglich die Absicht, die Schüler im Unterricht über "richtige" Werthaltungen zu belehren, so ist die Wirkung eines solchen Unterrichts als eher fragwürdig zu beurteilen.

Besonders dringlich ist diese Frage im politischen Unterricht. In dessen fachdidaktischer Diskussion spielt nach wie vor eines der drei im "Beutelsbacher Konsens" zusammengefaßten Prinzipien, das sog. "Überwältigungs"- oder Indoktrinationsverbot eine herausragende Bedeutung: "Das Indoktrinationsverbot betrifft Meinungen, Einstellungen und Verhaltensweisen der Lernenden ...".[40] Mit anderen Worten: Der Lehrende darf keinerlei (politische) Einstellungen und Verhaltensweisen zu erzeugen versuchen. Ein Standpunkt, der meilenweit von einem verantwortungsbewußt erziehenden Unterrichten entfernt ist. Nach allem bisher Gesagten reicht es eben nicht aus, die Menschenrechte den Schülern lediglich "bewußt zu machen". M.E. versagt politischer Unterricht, wenn nicht wenigstens auf dieser Minimal-Ebene der Versuch einer Einstellungs-Vermittlung unternommen wird. Kann das Indoktrinations-Verbot angesichts politisch brenzliger Probleme, z. Z. etwa zur Lage des Rechts-Extremismus noch Gültigkeit beanspruchen?

Überhaupt ist die Konditionierung von Einstellungen und Verhaltensweisen in der modernen erziehungs-wissenschaftlichen Literatur nahezu ein Tabu. Allerdings werden damit verbundene Fragen neuerdings, wenn auch oft in wenig differenzierender Weise unter den Schlagworten "Regeln" und "Rituale" abgehandelt, wobei unter "Ritualen" meist Verhaltensweisen gemeint sind.[41] Mit "Regeln" werden sowohl Informationen als auch die darauf konditionierten Einstellungen bezeichnet.[42]

Aber auch hier werden oft Einstellungen und Verhaltensweisen gleichgesetzt.

  • Wird etwa die Regel "Wir verlassen den Arbeitsplatz so, daß ein anderes Kind gleich weiterarbeiten kann!" in gemeinsamem Gespräch für die sog. "Freiarbeit" begründet, vereinbart und anschließend gut sichtbar auf einem Pappstreifen an die Wand geheftet [43], so geschieht dies auf der Ebene der Information-Vermittlung.

  • Je häufiger und länger die Regel wahrgenommen und verstärkt wird, desto eher wird sie zur Einstellung werden. Ob allerdings auf der Grundlage dieser Einstellung auch die entsprechende Verhaltensweise entsteht, ist weniger von der Festigkeit der Einstellung als von konsequenten Rückkopplungen auf das tatsächliche Handeln der Lernenden in entsprechenden Situationen abhängig.

Besondere Schwierigkeiten entstehen dann, wenn nur Einstellungen anstatt der erwünschten Verhaltensweisen erzeugt werden, letztere aber nicht so einfach wie im o.g. Beispiel, sondern so komplex sind, daß als Basis ihrer Konditionierung zunächst alle notwendigen Techniken bzw. Teiltechniken erlernt werden müssen.

  • So kann man z. Z. feststellen, daß es Hochschullehrenden erziehungs-wissenschaftlicher Fachbereiche in jahrelanger Beeinflussung zwar gelingt, bei der Mehrheit der Studierenden u. a. die Standard-Einstellungen zu erzeugen, daß Unterricht geöffnet, differenziert und individualisiert werden soll. Leider aber wird allzu oft völlig vernachlässigt, auch die entsprechenden Techniken (Unterrichtsmaßnahmen zur Differenzierung, Individualisierung und "Öffnung") zu lehren, auf deren Grundlage später die erforderlichen Verhaltensweisen selbst konditioniert werden könnten. Der sog. "Praxisschock" ist dann eine zwangsläufige Folge.

  • Ebenso erfordert die Zielsetzung höflichen Verhaltens in der Grundschule, daß Kinder die entsprechende Höflichkeitsformen zunächst als Techniken lernen, sofern sie sie nicht schon von zu Hause mitbringen.

Fassen wir die wichtigsten Merkmale von Einstellungen zusammen:

  • Einstellungen werden auf Informationen aufgebaut.

  • Bestimmte Informationen werden einseitig zu Ungunsten anderer Informationen ausgewählt.

  • Der Lernende wird konditioniert, indem er zu bestimmten Sachverhalten immer mit derselben Meinung konfrontiert wird,

  • bis der Lernende die vorgegebene Meinung dem entsprechenden Sachverhalt unbewußt und automatisch zuordnet.

  • Die Umwandlung einer Information zu einer Einstellung ist nur in längerenZeiträumen möglich.



[13] Im Wort "pragmatisch" weist sich deutlich der Bezug zu HEIMANN aus.

[14] Wie unscharf der Begriff verwendet wird, zeigt folgender Absatz: "Schulunterricht ist bestrebt, jedem Menschen eine Grundausstattung an Wissen zu vermitteln, die ihn befähigt einen Beruf auszuüben und das Leben sinnvoll zu gestalten. Er nimmt sich die sichere Beherrschung der Muttersprache zum Ziel; er führt in die sogenannten Kulturtechniken ein, läßt die Welt als eine auf Zahl und Begriff gebrachte Größe erscheinen, lehrt "Realien", macht mit Fremdsprachen bekannt usw.." (STEINDORF 1995, S. 29)

[15] Hinsichtlich der Komplexität von Unterrichts- und von Operations-Objekten werden in der Systemischen Didaktik drei Haupt-Stufen (System, Klasse, Element) und die Unter-Stufen (Element eines Systems, Element einer Klasse und relativ isoliertes Element) unterschieden. Weitere Klassifizierungen von Unterrichts-Objekten lassen sich nach der Zeichen-Dimension vornehmen. Vgl. dazu KÖNIG; E. / RIEDEL, H. 1975a, S42 ff.

[16] I. STEWART 1994, S. 16

[17] Die Systemische Didaktik unterscheidet neben den zwei kogneszierenden Operationen erkennen und erinnern die vier produzierenden Operationen speichern, auswerten, konvergent denken, divergent denken und original denken. Vgl. dazu H. RIEDEL 1991, S. 15 - 28.

[18] Externe Operationen ergeben sich vorwiegend aus der Umsetzung von Energie, interne Operationen vorwiegend aus der Umsetzung von Information. Vergleiche dazu RIEDEL, H.: Vorüberlegungen zur Revision des Modells der Intern-Operationen. Grundlagenstudien aus Kybernetik und Geisteswissenschaft 3, 31, 1990. S. 111-122.

[19] Kenner des Modells der Intern-Operationen werden sofort bemerken, daß hier die Zwecksetzung ein reversibles konvergentes Denken, wenn nicht gar ein divergentes Denken erfordert.

[20] K. R. POPPER 1994, S. 280: "Viele geistige Tätigkeiten sind unbewußt; viel davon ist Anlage, und viel ist physiologischer Natur. Aber viel von dem, was zu einem bestimmten Zeitpunkt physiologisch und (etwa beim Klavierspielen oder beim Autofahren) "automatisch" ist, haben wir vorher mit jener bewußten Konzentration betrieben, die so charakteristisch ist für den entdeckenden Geist - den Geist, der vor einem schwierigen Problem steht. Es spricht also alles dafür, daß der Geist, das Bewußtsein, im Haushalt der höheren Organismen unerläßlich ist, und für die Notwendigkeit, gelöste Probleme und "erlernte" Situationen in die Physis, in den Körper zurücksinken zu lassen - vermutlich, um den Geist, das Bewußtsein, für neue Aufgaben frei zu machen."

[21] Das Wort "Kulturtechnik" wird hier im umgangssprachlichen Sinne gebraucht. Dabei bleibt offen, ob man von einer Technik im oben definierten Sinne oder von einer Verhaltensweise spricht.

[22] Wichtigster Faktor bei der instrumentellen Konditionierung ist die zeitliche und räumliche Nachbarschaft von Reizen, bei der operanten Konditionierung dagegen die Verstärkung eines bereits vorhandenen Verhaltensaspektes. Vgl. dazu H.RIEDEL 1995 b.

[23] Die Tätigkeit wird also nicht mehr bewußt mittels "geistiger" Vorgänge sondern nur noch auf körperlicher Ebene gesteuert.

[24] K. STÖCKER 1970, S. 132

[25] F. KOPP 1980, S.

[26] Diese Wortwahl schließt die durchaus nicht unumstrittene Position ein, daß ein Automat nicht bewußt funktioniert

[27] Man rechnet also nicht "12 minus 8 gleich 4", sondern "von 8 bis 12 fehlen 4".

[28] SEIBERT 1990, S. 225

[29] Vgl. dazu H. RIEDEL 1995 a und b

[30] STEINDORF 1995, S. 30 f.

[31] PÖPPEL 1975, S. 115

[32] F. KOPP 1980 , S. 119 ff

[33] Leider ist es mir im Rahmen dieses Beitrages nicht möglich, auf Überzeugungen einzugehen, die dieser Modellvorstellung widersprechen, etwa den Standpunkt, daß Menschen als Großhirn-Wesen mit aufgeklärtem Bewußtsein solchen Konditionierungen gegenüber gefeit seien. Der Sinn der durch Automatisierung erzeugten Grundformen steckt natürlich in der fast absoluten Bewußtseins-Entlastung und der dadurch außerordentlich erhöhten Reaktionsgeschwindigkeit in Standardsituationen, die ja nicht nur im materiell-energetischen, sondern auch im informationellen Bereich bewältigt werden müssen.

[34] KLAFKI, W.: Ziele zeitgemäßer Grundschulpädagogik, in: Grundschule 2/1989, S. 25

[35] TH. DIETRICH 1992, S. 150 ff.

[36] KÖNIG/RIEDEL 1979, S. 74 ff. und S. 333 ff.

[37] R. SILKENBEUMER 1979, S. 175 ff.

[38] Die Schüler sollen einen Pudding anrühren, ein Spiel "Fang den Wal" und eine "fliegende Flasche" herstellen. Der Autor denkt daran, daß zwei der Spiele eher maschinentechnisch Interessierte und das Herstellen des Puddings eher hauswirtschaftlich Interessierte anspricht. Dennoch sollen wechselseitig alle Kinder, also Jungen und Mädchen daran teilnehmen.

[39] Berliner Rahmenplan. A V 4. Sozialkunde. 1987, S. 1f

[40] H.-G WEHLING 1992, S. 131

[41] So definieren beispielsweise KAISER / KAISER 1991, S. 155 ff Rituale als " veräußerlichte (verselbständigte) Handlungszusammenhänge, in denen ein Grundanspruch der betreffenden Institution vermittelt wird, ohne sich explizit zu legitimieren" mit den Merkmalen, daß sich das Handeln vom Handlungszweck losgelöst und verselbständigt hat, es Ausdruck institutionell bedingter Herrschaftsansprüche ist, daß die Teilnahme am Ritual die von der Institution akzeptierte Identität verschafft, und die Teilnehmer die erwarteten Leistungen in ihr Verhaltensrepertoire übernehmen.

[42] Wie wichtig Regeln und Rituale z. Z. genommen werden, mag man allein daraus ersehen, daß für die Zeitschrift "Grundschule konkret" 1994 (9) eigens ein Sonderheft dazu herausgegeben wurde.

[43] Vgl. I. HAUNSCHILDT u. K. RENKAWITZ 1995, S. 27

3. Vergleich mit dem üblichen Leib - Seele - Geist - Schema

HEIMANN und seine Nachfolger klassifizierten Unterrichts-Objekte wie noch heute verbreitet üblich nach den Merkmalen "kognitiv", "emotional" und "pragmatisch" (wobei die zweite und dritte Unterklasse teilweise auch als "affektiv" und "psychomotorisch benannt werden). Trotz der behaupteten "strukturellen" Unterschiede konnten sie allerdings keine Hilfen für die Realisierung der jeweiligen Unterrichts-Objekte geben. Das liegt in der Klassifizierung selbst begründet. Sie ordnet Unterrichts-Objekte ja nur nach gemeinsamen Merkmalen, weist aber keine Verbindungen untereinander und zu anderen Faktoren des Unterrichts auf. Das wird bei einem Vergleich mit dem Modell der Grundformen deutlich.

Nehmen wir als Beispiel drei "Lernziele", wie sie H. MEYER[44] anführt:

a) Hochvakuum- und Halbleiterdioden hinsichtlich ihrer Eigenschaften als elektrisches Ventil vergleichen

b) Stadtpläne und großmaßstabige Karten lesen können.

c) Lernen, daß wissenschaftliche Arbeit Gründlichkeit und Wahrhaftigkeit erfordert.

Ohne lange zu überlegen wird man alle drei Ziele der Kategorie "kognitiv" zuordnen, denn sie bezeichnen sämtlich geistige Fähigkeiten. MEYER allerdings klassifiziert das dritte "Lernziel" als ein "affektives". Möglicherweise tut er dies in dem Bewußtsein, daß zum Erreichen dieses Zieles andere Maßnahmen erforderlich sind als zum Erreichen der ersten beiden. Inwiefern sich aber die Maßnahmen unterscheiden müßten, geht aus der Zuordnung selbst nicht hervor, denn nirgends in der entsprechenden Literatur ist beschrieben, was anders notwendig ist, um "affektive" bzw. "emotionale" Ziele anzugehen.

Analysieren wir die drei Zielsetzungen nun nach den Grundformen, so erhalten wir das eindeutige Ergebnis:

  • Im Lernziel (a) wird das Vergleichen von Informationen verlangt. Wenn das Vergleichen auch eine produzierende Operation darstellt, so fehlt gegenüber einer Technik noch die eindeutige Ausrichtung auf einen pragmatischen Zweck (vgl. Bild 1!).

  • Lernziel (b) bezeichnet eine Technik. Das Lesen von Stadtplänen beinhaltet beides, produzierende Operationen, etwa das Auswerten und konvergent denkende Anwenden der Legende, und den eindeutigen Zweck, aus dem Plan eine Vorstellung über die Lage bestimmter Straßen, Gebäude, etc. zu gewinnen.

  • Mit der Zielsetzung (c) ist eine Einstellung der Schüler gemeint. Sie erfordert noch nicht die Verhaltensweise, bei wissenschaftlichen Vorhaben auch immer gründlich und wahrhaftig vorzugehen, sondern "nur" die Überzeugung, daß man so zu verfahren habe. Andererseits umfaßt die Zielsetzung mehr als nur einen beliebigen Informationsstand. Die Überzeugung wird nicht durch einen einmaligen Akt gewonnen, etwa durch plastische Darstellung der Konsequenzen, die eintreten würden, oder eingetreten sind, wenn sich ein Wissenschaftler nicht an die genannten Grundsätze hält, sondern durch langfristige (konditionierende) Beeinflussung.

Die Ausführungen über die jeweils anderen Bedingungen und unterrichtlichen Maßnahmen zur Erzeugung der verschiedenen Grundformen sollten genügen, um die Nutzlosigkeit der Zuordnung in kognitive, emotionale bzw. affektive und pragmatische Ziele zu erkennen.



[44] H. MEYER, 1980, S. ...

4. Ausblick

Das häufige Auftauchen von Begriffen wie "erziehender Unterricht", "Routinen" und "Rituale" in der unterrichts-wissenschaftlichen Literatur deutet darauf hin, daß zunehmend eine Verknüpfung des Informations- und Technik-vermittelnden Unterrichts mit längerfristigen Zielen hinsichtlich des Erwerbs von Einstellungen und Verhaltensweisen gefordert wird. Im 2. Kapitel habe ich versucht darzustellen, warum es angesichts der genannten Formeln notwendig ist, die vier Grundformen "Information", "Technik", "Einstellung" und "Verhaltensweise" zu unterscheiden, und warum üblicherweise

  • Informationen entweder mit Techniken oder mit Einstellungen gleichgesetzt oder vermengt werden,

  • desgleichen Techniken mit Verhaltensweisen,

  • sowie Verhaltensweisen mit Einstellungen.

Jede der Grundformen erfordert jedoch ihre eigene Art unterrichtlichen Vorgehens. Möge das vorgestellte Modell helfen, die Vielfalt der in der Literatur verwendeten Begriffe zu ordnen und realistische Perspektiven für den Unterricht eröffnen! Davon unberührt bleibt die Notwendigkeit, Unterrichts-Objekte unterhalb der einzelnen Grundformen noch weiter zu differenzieren.

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Quelle:

Harald Riedel: Modell zur Differenzierung der Grundformen von Unterrichts-Objekten "Aber wir haben das doch schon so oft besprochen! Warum klappt es immer noch nicht?"

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 12.12.2005

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