Herausgegeben vom Spaß am Lesen Verlag
Inhaltsverzeichnis
Im Westen nichts Neues ist ein Buch.
Das Buch ist sehr bekannt.
Nun gibt es das Buch in einfacher Sprache.
In unserer Bibliothek können Sie in das Buch hinein-lesen.
Sie finden hier die ersten Seiten vom Buch.
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Das Buch ist vom Spaß am Lesen Verlag.
Der Koch hat für 150 Personen gekocht. Bei uns
heißt er der Küchen-Bulle. Der Küchen-Bulle
mit den roten Haaren.
Seine Gulasch-Kanone ist heute bis zum Rand voll
mit dicker, heißer Suppe. Eine Suppe mit echtem
Fleisch und dicken, saftigen Bohnen.
Uns läuft das Wasser im Mund zusammen.
Jeder holt sein Koch-Geschirr. Ungeduldig
versammeln wir uns an der Gulasch-Kanone.
„Hej, mach den Deckel auf!“, rufen wir dem
Küchen-Bullen zu. Aber der schüttelt nur seinen
Kopf. „Es wird nicht eher gegessen, bis alle da sind“,
sagt er. „150 Essen sind hier drin, und ich warte,
bis alle von euch hier stehen. Alle 150 Leute von der
1. Kompanie.“
Kamerad Tjaden ist unser größter Fresser.
Er ruft: „Wir sind schon alle da!“
Der Küchen-Bulle merkt immer noch nichts und
fragt: „Wieso? Wo sind denn die anderen?“
„Die anderen? Die essen heute nicht“, sagt Tjaden.
„Die sind tot. Oder liegen im Lazarett.“
Der Küchen-Bulle guckt erschrocken.
Jetzt erst versteht er.
Wir sind mit 150 Leuten an die Front gezogen.
Und mit 80 Männern sind wir ins Lager
zurückgekommen.
Die Augen von Tjaden beginnen zu leuchten.
„Wenn du für 150 Leute gekocht hast, dann hast du
auch für 150 Leute eingekauft?“
Der Koch nickt.
Tjaden fragt weiter: „Auch Brot und Wurst?“
Er nickt wieder.
„Und Tabak auch?“, will Tjaden wissen.
„Ja, alles“, antwortet der Koch.
Der kleine Albert Kropp schlägt sich in die Hände.
„Dann werden wir endlich mal satt!“
Wir stürzen uns auf das Essen. Und dann gibt es
noch für jeden 10 Zigarren, 20 Zigaretten
und 2 Stücke Kau-Tabak.
Ich habe meinen Kau-Tabak gegen Zigaretten
getauscht. Das macht 40 Zigaretten für mich.
Damit kann ich einen Tag gut auskommen.
Ich bin genauso alt wie der kleine Albert Kropp.
Wir waren zusammen in der Schule,
in derselben Klasse.
Kurz vor dem Abitur hieß es dann: „Ab in den Krieg!“
Damals waren wir 18 Jahre alt. Jetzt sind wir 19.
Hier in der 1. Kompanie sind wir zu viert
aus unserer Klasse:
Da ist einmal der kleine Albert Kropp.
Der kann von uns allen am besten denken.
Der Zweite von uns, das ist Müller. Der hat seine
Schul-Bücher mitgebracht. Das muss man sich mal
vorstellen: Schul-Bücher nimmt der mit, in den
Krieg! Während geschossen wird, liest Müller in
seinem Physik-Buch. Er büffelt und hofft, dass er
das Not-Abitur machen kann.
Der Dritte von uns heißt Leer. Er trägt einen
Voll-Bart. Von morgens bis abends denkt er nur
an die Mädchen im Puff. Es gibt hier nämlich auch
einen Puff. Vor allem für die Offiziere.
Leer stellt sich vor, dass die Mädchen dort Hemden
aus Seide tragen. Und er stellt sich auch vor, wie sie
baden. Bevor sie ihre Kunden bedienen.
Während Müller Physik büffelt, genießt Leer die
Mädchen in seinem Kopf.
Schließlich bin ich der Vierte von uns.
Ich, Paul Bäumer.
Müller, Albert Kropp, Leer und ich – wir sind
zusammen in der 1. Kompanie.
Die anderen aus unserer Klasse sind auf andere
Abteilungen aufgeteilt.
Insgesamt sind wir 20 ehemalige Schüler aus
derselben Klasse. Alle sind jetzt hier im Krieg.
Und natürlich sind auch unsere vier Freunde hier.
Die haben wir in der Ausbildung zum Soldaten
kennen gelernt:
Tjaden, der größte Fresser der Kompanie. 19 Jahre
alt wie wir. Von Beruf Schlosser. Ein spitzes Mäuse-
Gesicht hat er. Und er ist ganz mager.
Haie Westhus ist auch 19. Von Beruf Torf-Stecher.
Riesige Hände hat der. Ein ganzes Brot kann er in
seiner Hand verschwinden lassen. Und dann sagt er
noch: „Ratet mal, was ich in meiner Faust habe?“
Detering ist etwas älter als wir. Er ist Bauer von
Beruf und denkt von morgens bis abends nur an
seinen Hof und an seine Frau.
Und dann ist da noch Kat.
Kat ist 40 und Schuster von Beruf.
Blaue Augen. Hänge-Schultern.
Er ist unser Anführer. Zäh ist er, gerissen, schlau.
Kat weiß immer sofort, was los ist in diesem Krieg.
Der kennt sich aus.
Der Tag heute ist wirklich gut. Fast jeder von uns
hat Post bekommen. Briefe und Zeitungen.
Die kann man gut auf dem Klo lesen.
Es gibt ein Massen-Klo. Eine Gemeinschafts-Latrine.
Hier sitzen 20 Männer wie in der Eisenbahn,
ganz eng nebeneinander. Türen gibt es nicht.
Am Anfang haben wir uns furchtbar geschämt.
Wir wollten nicht mit anderen zusammen
auf dem Klo zu sitzen.
Heute schämen wir uns nicht mehr.
Die wichtigsten Themen für einen Soldaten sind:
Essen und Trinken. Der Magen und die Verdauung.
Unsere ganze Sprache dreht sich nur um Essen.
Und um das, was danach kommt.
Deshalb gibt es auch die Latrinen-Sprache.
Jedes zweite Wort heißt „Scheiße“.
Wenn das unsere Eltern wüssten!
Wir vier von der Schule setzen uns nicht in die
Latrine zu den anderen. Wir machen es uns
gemütlicher. Wir schnappen uns einzelne
Holz-Kisten. Die kann man auch als Klo nehmen.
Wir tragen die Kisten auf die Wiese hinaus. Und
verrichten unser Geschäft unter dem freien Himmel.
Weit da hinten wird gekämpft. Am Horizont sehen
wir die weißen Wolken. Die Wolken von Raketen-
Geschossen. Raketen gehen runter. Wolken steigen
auf. Wie ein weit entferntes Gewitter hören wir die
Geräusche von der Front.
Die Hummeln auf der Wiese übertönen alles.
Rund um uns blühen die Blumen. Wir sehen Gräser
und Schmetterlinge. Wir spüren den warmen
Sommer-Wind. Unsere Kisten stehen mitten im
Mohn. Wir lesen die Zeitungen und Briefe.
Wir rauchen oder spielen Karten.
„Man, man“, sagt Kropp. „Das hätte schiefgehen
können. Das hätte nämlich auch uns erwischen
können.“ Wir denken an die 70 anderen aus unserer
Kompanie. An die 70 Männer, die nach dem Angriff
nicht zurückgekommen sind. An die Männer,
die es erwischt hat.
Wir schweigen. Aber wir sind auch glücklich.
Über das gute Essen, über den roten Mohn.
Über die Zigaretten und den Sommer-Wind.
Wenn man überlebt, ist das alles viel schöner,
als wenn man nur lebt.
Albert Kropp hat einen Brief von unserem Lehrer
Kantorek bekommen. „Ich soll euch von Kantorek
grüßen“, sagt Albert. Wir sitzen auf unseren Kisten
und nicken.
Damals in der Schule hat Lehrer Kantorek uns
immer wieder Vorträge gehalten: „Es ist eine Ehre,
dem Vaterland zu dienen. Jeder hat die Pflicht,
für das Vaterland zu kämpfen! Ihr werdet Helden
sein, wenn ihr in den Krieg hinauszieht.
Es will doch wohl keiner von euch ein Feigling sein!
Ihr meldet euch doch sicher freiwillig?
Alle zusammen! Für den Krieg! Für das Vaterland!
Freiwillig! Alle! Oder ist einer dagegen?“
Kantorek hat so lange auf uns eingeredet, bis er uns
alle überzeugt hatte. Jedenfalls wollte keiner von
uns ein Feigling sein. Deshalb sagten wir alle ja.
Nur einer von uns hat gezögert: Josef Behm.
Er war ein dicker, gemütlicher Kerl. Aber er hätte
sich blamiert. Wenn er nicht mitgemacht hätte.
Josef hatte keine Wahl. Und so hat auch er sich
„freiwillig“ gemeldet.
Damals glaubten wir noch an unsere Lehrer
und an unsere Eltern. Sie waren unsere Vorbilder.
Was Erwachsene sagen, ist richtig. Das dachten
wir damals.
Eines Tages hier im Krieg passiert dann die Sache
mit Josef.
Wir sind mitten im Geschütz-Feuer. Um uns herum
nur Schüsse und Rauch. Jeder rennt in eine andere
Richtung. Wir schießen oder gehen in Deckung.
Plötzlich hören wir Josef schreien. Er bedeckt seine
Augen. Er schreit wie am Spieß. Ein Schuss hat seine
Augen getroffen. Das Blut läuft durch seine Hände
hindurch. Josef sackt zusammen. Er bleibt liegen.
Josef hat es erwischt. Wir wissen sofort: Josef ist tot.
Wir sind entsetzt, aber wir lassen ihn liegen.
Wir müssen ihn liegen lassen. Wir müssen uns
selbst in Sicherheit bringen. Zurück! Zurück!
In Deckung gehen! Wir rennen zu einem anderen
Graben. Weiter hinten, weiter weg.
Plötzlich hören wir Josefs Stimme.
Wie kann das sein? Er ist doch tot?!
Aber da vorne. Das ist tatsächlich Josef. Unser Josef
Behm. Er kriecht da vorne auf dem Boden herum.
Er stöhnt und spuckt. Er kriecht auf uns zu.
Er ist also nur bewusstlos gewesen.
„Josef! Josef! Geh in Deckung!“, schreien wir laut.
Aber Josef kann nichts sehen. Er ist wild vor Schmerz.
Wir versuchen, ihm entgegen zu kriechen.
Wir versuchen, ihn zu uns zu holen.
Josef bäumt sich auf. Er will auf seine Beine.
Er will stehen und gehen. Laufen und rennen.
Wegrennen.
Josef ist ganz ungeschützt. „Josef! Josef!
Geh in Deckung!“, rufen wir noch einmal.
In dem Augenblick.
In dieser Sekunde.
Fällt ein Schuss.
Josef sinkt auf die Erde. Wie ein lebloser Sack.
Abgeknallt. Sie haben ihn einfach abgeknallt.
Vor unseren Augen abgeschossen.
Unseren Josef Behm.
Den dicken, gemütlichen Kerl aus unserer Klasse.
Josef. Wie kann unser Josef tot sein?
Er ist der erste Tote von uns aus der Schule.
Er ist der erste Tote, den wir je gesehen haben.
Seit dieser Sache mit Josef sehen wir alles mit
anderen Augen. Wir wissen, dass Kantorek uns
belogen hat. Mit seinen Vorträgen über Helden und
Ehre. Auch unsere Eltern haben uns belogen.
Hier ist keiner ein Held.
Hier ist kein Vater-Land.
Und hier ist kein Mutter-Land.
Wir sind einfach nur furchtbar allein.
Und wir müssen mit all dem alleine fertig werden.
Quelle
Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues. Spaß am Lesen Verlag. Münster 2014.
bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet
Stand: 01.03.2016