Bibliotheksmitarbeiter aus dem Autismus-Spektrum

Bedeutung für das Arbeitsumfeld und Entwicklung von allgemeinen Handlungsempfehlungen für Führungskräfte und Mitarbeiter

Autor:in - Sabrina Reincke
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Bachelorarbeit
Releaseinfo: Bachelorarbeit; Studiengang Bibliotheks- und Informationsmanagement; Hamburg, August 2014
Copyright: © Sabrina Reincke 2014

Vorwort:

"Seit ich in der Bibliothek arbeite, habe ich nicht mehr das Gefühl, „neben dem Leben“ zu stehen – ich stehe jetzt IM Leben."

Aussage eines autistischen Bibliotheksmitarbeiters

1. Einleitung

Als die Softwarefirma SAP 2013 bekannt gab bis zum Jahr 2020 ein Pro-zent ihrer Stellen mit Autisten zu besetzen, erhielt das Thema autistische Beschäftigte mediale Aufmerksamkeit (vgl. Tauber 2013).

So lag der Blickwinkel weniger auf mögliche Einschränkungen die der Autismus mit sich bringt, sondern auf den speziellen Fähigkeiten und Stärken dieser Menschen. Die Asperger-Autistin Temple Grandin schrieb hierzu bereits 2008: "society loses out if individuals with autism spectrum disorders are not involved in the world of work [...]" (Grandin / Duffy 2008, S. xi) und kritisierte hiermit das unterschätzte und wenig genutzte Potential vieler Autisten auf dem Arbeitsmarkt.

Durch die Einstellung von Autisten könnten auch Bibliotheken von diesen Fähigkeiten profitieren. Zugleich vermögen Bibliotheken es, aufgrund ihrer vielfältigen Arbeitsfelder, geeignete Tätigkeitsbereiche für Autisten zu bieten, so dass beide Seiten von dieser Beschäftigung profitieren könnten. Es darf jedoch nicht in Vergessenheit geraten, dass Autismus gemäß der Rechtsprechung i. S. d. Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie eine Behinderung darstellen kann, "die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist und die ein Hindernis für die Teilhabe des Betreffenden am Berufsleben bildet." (Europäischer Gerichts-hof 2006, S. I-6504).

Gemäß der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie sollen deshalb "geeignete Maßnahmen vorgesehen werden, d. h. wirksame und praktikable Maßnahmen, um den Arbeitsplatz der Behinderung entsprechend einzurichten […]" (Europäische Gemeinschaft 2000, Abs. 20).

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich daher mit der Frage, wie das Arbeitsumfeld in Bibliotheken entsprechend der Bedürfnisse autistischer Personen gestaltet werden kann, damit beide Seiten einen Mehrwert aus dieser Beschäftigung ziehen. Hierfür muss nicht nur auf die Bedeutung autistischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für das Arbeitsumfeld einer Bibliothek eingegangen werden, sondern auch auf Folgen für das soziale Miteinander.

Es wird die Frage aufgegriffen inwiefern Bibliotheken überhaupt einen attraktiven Arbeitsplatz für Autisten bieten können und warum die Beschäftigung von Autisten zugleich ein Gewinn für die Bibliothek darstellen kann. Anhand von Handlungsempfehlungen erhalten Vorgesetzte und Kollegen autistischer Beschäftigter eine Hilfestellung für die tägliche Arbeit.

Um diese Fragen beantworten zu können, wird zunächst eine Einführung in das Thema Autismus und autistisches Spektrum gegeben.

Anschließend wird auf den Aspekt autistischer Beschäftigten in Bibliotheken eingegangen und dargestellt, warum dies bereits ein relevantes Thema für Bibliotheken sein sollte. Anhand ausgewerteten Experteninterviews werden die zuvor behandelten Themen aufgegriffen und mit Erkenntnissen ergänzt, die letztendlich zu der Erstellung von Handlungsempfehlungen führen. Die Schlussbetrachtung bietet einen abschließenden kritischen Blick auf die Möglichkeiten und Grenzen dieser Arbeit.

2. Das autistische Spektrum

Für die Zusammenarbeit mit autistischen Beschäftigten ist ein grundsätzliches Verständnis bezüglich der autistischen Problematik nötig. Im Hinblick auf die Komplexität dieser Erkrankung ist an dieser Stelle jedoch nur eine oberflächliche Einsicht möglich. Zunächst erfolgt ein genereller Überblick um im Anschluss unter Punkt 2.3 den Bezug zu Bibliotheksmitarbeitern herzustellen und unter 2.4 auf Leitsymptome einzugehen.

2.1 Historischer Hintergrund

1911 wandte der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler erstmals den Begriff "Autismus" an und bezeichnete hiermit "eine Kontaktstörung mit Rückzug auf die eigene Vorstellungs- und Gedankenwelt als ein Grundsymptom der Schizophrenie, mit Isolation von der Umwelt, charakterisiert durch extreme Selbstbezogenheit, Insichgekehrtheit sowie durch psychotische Persönlichkeitsstörungen mit fantastisch-traumhaftem, frei-assoziativem und affektiv-impulsivem Denken und Sprechen" (Brockhaus 2014).

Diesen Ausdruck griff der Kinder- und Jugendpsychiater Leo Kanner 1943 in seinem, in den USA veröffentlichten, Artikel über Untersuchungen an elf Kindern auf, die in unterschiedlich starker Ausprägung dieses autistische Verhalten aufwiesen. Ergänzt wurde dieses durch eine stark eingeschränkte oder nicht vorhandene Fähigkeit zur verbalen und nonverbalen Kommunikation, sowie obsessiven, stark einseitigen und von Routinen geprägten Verhaltensweisen (vgl. Kanner 1943, S. 248 ff.). Ein Jahr später verwendete Kanner erstmals den Begriff "early infantile autism" (vgl. Kanner 1944, S. 1), der heute als "Frühkindlicher Autismus" oder synonym auch als "Kanner-Syndrom" bekannt ist.

Ebenfalls veröffentlichte der österreichische Kinderarzt Hans Asperger 1944 seine Arbeit über "Die 'Autistischen Psychopathen' im Kindesalter". In dieser berichtete er von Kindern und Erwachsenen, die autistische Verhaltensweisen in unterschiedlichen Ausprägungen, sowie Auffälligkeiten in der sozialen Interaktion und im Sprachgebrauch, aufwiesen (vgl. Asperger 1943, S. 113 ff.). Obwohl Kanner und Asperger ihre Arbeiten im gleichen zeitlichen Rahmen veröffentlichten, galten der Frühkindliche Autismus und die "Autistischen Psychopathen im Kindesalter" als eigenständige Erkrankungen. Dies war besonders dem Umstand geschuldet, dass Asperger auf Deutsch veröffentlichte und seine Arbeit zunächst international unbekannt blieb.

Erst durch eine 1981 erschienene Publikation der britischen Psychiaterin Lorna Wing wurden Aspergers Erkenntnisse international bekannt. Wing war es auch, die für die "Autistischen Psychopathen" die heutige Bezeichnung "Asperger-Syndrom" einführte (vgl. Neumärker 2010, S. 192).

Bereits in den 1970ern führten sie und die Psychiaterin Judith Gould eine Studie an allen Kindern unter 15 Jahren in dem Londoner Stadtteil Camberwell durch. Sie fanden heraus, dass einige die Symptome des Frühkindlichen Autismus' aufwiesen, andere jedoch nicht alle Kriterien erfüllten obwohl auch sie autistische Verhaltensweisen zeigten. Rückblickend wurde deutlich, dass diese Kinder die Kriterien des Asperger-Syndroms erfüllten. Die wichtigsten Erkenntnisse dieser Studie waren nach Wing jedoch (vgl. Wing 2002, S. 21):

  • Frühkindlicher Autismus und Asperger-Syndrom stellen Untergruppen einer Störung dar, die die soziale Interaktion und Kommunikation beeinträchtigt.

  • Diese Störung kann auf jedem Intelligenzniveau auftreten.

  • In manchen Fällen kommt es bei dieser Störung auch zu anderen psychiatrischen Beeinträchtigungen oder Auswirkungen auf die körperliche Entwicklung.

Diese Erkenntnisse, sowie weiterführende Erfahrungen, führten dazu, dass inzwischen die Bezeichnung "Autistisches Spektrum" verstärkt Erwähnung findet (vgl. Wing 2002, S. 21-23).

Vor dem Hintergrund, dass das Asperger-Syndrom erst 1981 international bekannt wurde, erscheint es wenig verwunderlich, dass erst in der Folge-zeit offizielle Diagnosekriterien hierfür aufgestellt wurden. Dies führt dazu, dass erst die Kinder der letzten dreißig Jahre eine Diagnose bezüglich des Asperger-Syndroms erhalten konnten und keine Aussage zur Häufigkeit in den älteren Generationen getroffen werden kann.

2.2 Diagnosekriterien und Häufigkeit des autistischen Spektrums

Nach der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems 10 (ICD-10) werden der Frühkindliche Autismus und das Asperger-Syndrom, gemeinsam mit anderen Störungen, als Tiefgreifende Entwicklungsstörung klassifiziert.

Tiefgreifende Entwicklungsstörung(vgl. Dilling 2014, S. 343)

Autismus-Spektrum-Störung(vgl. Wing 2002, S. 34-47)

Beeinträchtigungen in gegenseitigen sozialen Interaktionen

Beeinträchtigungen in sozialen Interaktionen

Beeinträchtigungen in gegenseitigen Kommunikationsmustern

Beeinträchtigung der Kommunikation

Eingeschränktes, stereotypes, sich wiederholendes Repertoire von Interessen und Aktivitäten

Beeinträchtigung im Vorstellungsvermögen, dadurch: Repetitive stereotype Aktivitäten

Der Vergleich zwischen Tiefgreifender Entwicklungsstörung und Autismus-Spektrum-Störung nach Wing zeigt eine wesentliche Übereinstimmung der drei Hauptkriterien. Auch in dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders IV-TR (DSM-IV-TR) stellen die Beeinträchtigungen in diesen Kategorien die Hauptkriterien für das Vorliegen einer Tiefgreifenden Entwicklungsstörung dar (vgl. American Psychiatric Association 2003, S. 57-58). Dies verdeutlicht, dass der Frühkindliche Autismus und das Asperger-Syndrom auch im Hinblick auf offizielle Diagnosekriterien Untergruppen einer Störung darstellen und keine eigenständigen Krankheitsbilder sind.

Problematisch hinsichtlich der Diagnostik war, dass weder in der ICD-10, noch in den DSM-IV-TR die Autismus-Spektrum-Störung als Diagnose vorkam. So mussten die Diagnosekriterien für den Frühkindlichen Autismus, das Asperger-Syndrom, oder eine der anderen Störungen auf die Person zutreffen. Durch Autismus hervorgerufene Beeinträchtigungen können sich im Laufe des Lebens jedoch in ihrer Ausprägung ändern (vgl. Boucher 2009, S. 99). Dies könne dazu führen, dass jemand zu einem Zeitpunkt seines Lebens nicht alle Kriterien für eine Diagnose erfüllen kann, zu einem anderen Zeitpunkt jedoch schon. Erst in den DSM-V wurden die Einteilungen in Frühkindlichen Autismus, Asperger-Syndrom und andere Störungen aufgehoben, so dass hier von einer Autismus-Spektrum-Störung mit unterschiedlichen Ausprägungen ausgegangen wird (vgl. American Psychiatric Association 2013, S. 50-59).

Die heterogenen Diagnosekriterien[1] seien nach dem Psychologen Tony Attwood ein Hauptgrund dafür, weshalb nur unsichere Angaben über die Häufigkeit von Autismus-Spektrums-Störungen gemacht werden können (vgl. Attwood 2012, S. 58).

In einer Auswahl zur Häufigkeit von Autismus-Spektrum-Störungen wurden 0,62-0-70% weltweit als durchschnittliche Werte angegeben. Neuere Studien würden jedoch auch auf eine Häufigkeit von 1-2% in der Gesamt-bevölkerung hindeuten (vgl. Lai / Lomardo / Baron-Cohen 2014, S.2).

Nach Attwood bestehe die Möglichkeit, dass etwa 50% aller Kinder mit dem Asperger-Syndrom die autistischen Merkmale soweit überspielen können, dass sie undiagnostiziert bleiben und die Diagnose trotz Probleme entweder nie erhalten, oder erst im Erwachsenenalter (vgl. Attwood 2012, S. 58). Dies trägt dazu bei, weshalb zur Häufigkeit von Autismus-Spektrum-Störungen nur ungenaue Aussagen getroffen werden können.

2.3 Bedeutung des Spektrums für diese Arbeit

Zwar werden mit den DSM-V die Bezeichnungen Frühkindlicher Autismus, Asperger-Syndrom und weitere Tiefgreifende Entwicklungsstörungen unter dem Begriff Autismus-Spektrum-Störung zusammengefasst, doch muss herausgestellt werden, auf welche Spektrumsangehörigen sich die Bedeutungen für das Arbeitsumfeld und die Handlungsempfehlungen in dieser Arbeit beziehen.

Die autistischen Symptome sind innerhalb des Spektrums von niedriger bis starker Ausprägung verortet, wobei der Frühkindliche Autismus die schwersten Ausprägungen aufweisen kann. Während bei diesem Intelligenzminderungen möglich sind, sind Menschen mit dem Asperger-Syndrom nicht davon betroffen oder weisen einen überdurchschnittlich hohen Intelligenzquoten auf (vgl. Biscaldi 2013, S. 15).

Auch fallen die Ausprägungen autistischer Merkmale bei dem Asperger-Syndrom geringer aus, während Frühkindliche Autisten erheblich in ihrer Kommunikation beeinträchtigt und auf intensive Unterstützung angewiesen sein können (vgl. Kamp-Becker / Bölte 2011, S. 28 ff.).

Aufgrund der möglichen schweren Einschränkungen in der selbstständigen Lebensführung kann diese Arbeit nur Bezug auf die Menschen nehmen, die sich innerhalb des autistischen Spektrums in einem Bereich befinden, der eine Berufstätigkeit ohne erheblichen Assistenzbedarf zulässt. Hierbei wird es sich weniger um Frühkindliche Autisten, als mehr um Menschen mit dem Asperger-Syndrom oder dem High-Functional Autismus handeln, der häufig synonym Verwendung findet (vgl. Attwood 2012, S. 57). Im weiteren Verlauf der Arbeit sind bei der Verwendung der Begriffe Autismus oder autistisches Spektrum die Menschen gemeint, die leichtere autistische Ausprägungen aufweisen.

Im Hinblick auf die mitunter vielfältigen Leitsymptome wird nicht in dem Umfang eingegangen, wie es nötig wäre um auch autistische Besonderheiten von stark betroffenen Autisten abzudecken, sondern sind stets im Bezug auf Autisten zu sehen, die ohne erhebliche Einschränkungen oder hohem Assistenzbedarf einem Beruf ausüben können.

2.4 Leitsymptome

"Es gibt durchaus Zeiten, in denen ich mich krank fühle; aber die meiste Zeit fühle ich mich gesund. Daher stoße ich mich regelmäßig an einem Sprach-gebrauch, der suggeriert, dass ich krank wäre, weil ich autistisch bin. Und zwar zu jeder Zeit, weil ich ja auch zu jeder Zeit autistisch bin." (Seng 2013, S. 89). Mit diesen Worten beschreibt Herr Seng ein Problem, das schnell im Umgang mit autistischen Menschen entsteht. Was in den DSM und ICD-10 als Diagnosekriterien angegeben wird, kann für den Menschen selbst als etwas wahr genommen werden, dass ein Leben lang bereits zu dieser Person gehörte und nicht als Symptome oder Zeichen einer Behinderung verstanden wird. Gleichzeitig gibt es jedoch auch Autisten, die diese Eigenschaften aufgrund der Auswirkungen im Alltag oder Beruf als negative Aspekte sehen. Besonders wegen dieser individuellen Wahrnehmung besteht nicht bei jedem Autisten der Bedarf nach einem Schwerbehindertenausweis, so dass es mitunter autistische Beschäftige ohne diesen gibt (vgl. Schuster / Schuster 2013, S. 21-22).

Da Angehörige des autistischen Spektrums selbst entscheiden müssen, wie sie zu den autistischen Eigenschaften stehen, ist die Verwendung von Begriffen wie "Leitsymptome" oder auch "betroffene Menschen" in dieser Arbeit wertneutral zu verstehen.

Die Abbildung verdeutlicht, dass Menschen im autistischen Spektrum Leitsymptome aufweisen können, die als diagnostische Kriterien genutzt werden. Hinter diesen Leitsymptomen steht jedoch stets der Mensch als Individuum. So kann ein Autist starke Probleme in der sozialen Interaktion haben, während ein anderer sensorische Reize belastender empfindet (vgl. autismus Deutschland e.V. 2013, S. 5).

2.4.1 Sensorische Sensibilität und erhöhte Wahrnehmung

Autisten nehmen ihre Umwelt in vielerlei Hinsicht genauer und detailreicher wahr als nicht-autistische Menschen und können Informationen schlechter filtern. Licht wirkt dadurch heller und Geräusche können schmerzhaft laut sein, was besonders in Gesprächen dazu führt Hintergrundgeräusche schlecht ausblenden zu können. Hierdurch können Gesprächspartner mitunter nicht verstanden werden.

Für viele Autisten stellen Berührungen eine besondere Herausforderung dar, denn diese Reize können mit unangenehmen Gefühlen bis hin zu Schmerzen verbunden sein. Wird ein Autist zu lange unangenehmen Reizen ausgesetzt und strömen immer mehr Reize auf ihn ein, kann dies zu einer Überlastung führen, die als Overload bezeichnet wird (vgl. Attwood 2012, S. 323-326). Die Sensibilität und erhöhte Wahrnehmung autistischer Menschen stellt daher bei der Ausübung der Arbeit und der Bedeutung für das Arbeitsumfeld einen wichtigen Aspekt dar.

2.4.2 Routinen, stereotype und ritualisierte Verhaltensweisen

Viele Autisten beschreiben, dass Gefühle wie Chaos oder Verwirrung in ihrem Leben schon immer eine vorherrschende Rolle gespielt haben (vgl. Steindal 2011, S. 26). Aufgrund der vielen Informationen und Sinneseindrücke mit denen ein Autist sich wegen seiner sensorischen Sensibilität und erhöhten Wahrnehmung arrangieren muss, bieten gleichbleibende Strukturen und ritualisierte Verhaltensweisen ein Schutz vor einer Überlastung (vgl. Caldwell 2004, S. 39). Mit anderen Worten: "Sie dominieren, weil mit ihnen das Leben vorhersagbarer gestaltet werden kann. Es wird eine Ordnung geschaffen, da Überraschungen, Chaos und Unsicherheit von Menschen mit Asperger-Syndrom nur schwer ertragen werden können." (Attwood 2012, S. 221). Die plötzliche Änderung von Routinen führt daher bei dem Autisten zu einem Strukturverlust und nimmt ihm den Schutz. Dadurch können schlimmstenfalls so viele Reize auf die betreffende Person einstürzen, dass es zu einem Overload führt. Daher sollten Routinen bei Autisten stets ernst genommen und nach Möglichkeit nicht geändert werden.

2.4.3 Spezialinteresse

Das Spezialinteresse (es können auch mehrere sein) autistischer Menschen stellt einen hohen Stellenwert in ihrem Leben dar. Hierbei handelt es sich nicht um Hobbys, die in einem Rahmen wie bei nicht-autistischen Menschen ausgeübt werden, sondern für autistische Menschen eine viel größere Bedeutung aufweist. So verbringen sie überdurchschnittlich viel Zeit mit ihrem Interesse, sammeln sämtliche Informationen dazu und archivieren diese (vgl. Attwood 2012, S. 220). Das Spezialinteresse nimmt, ähnlich der Routinen, eine beruhigende und schutzbietende Funktion ein. Dies kann soweit führen, dass sich die Gespräche mit anderen Menschen nur um diese Themen drehen (vgl. Attwood 2012, S. 234 u. 238).

Hinsichtlich der Bedeutung am Arbeitsplatz heißt dies, dass ein Autist in Gesprächen mit Kollegen dazu neigt, sehr intensiv über das jeweilige Spezialinteresse zu reden. Da meist ein beträchtliches Wissen über das jeweilige Thema vorhanden ist, kann es weit über das Wissen und Interessen von Kollegen hinaus gehen, so dass es sich um keinen Dialog zwecks Interessenaustauschs handeln könnte, sondern um einen Monolog seitens des Autisten.

2.4.4 Sprachbesonderheiten

Auffälligkeiten im Sprachgebrauch werden auf unterschiedliche Weise deutlich. Autisten können durch ihre direkte, ehrliche und auf andere Menschen auch verletzend wirkende Ausdrucksweise auffallen. Menschen aus dem autistischen Spektrum sind sich häufig jedoch nicht darüber im Klaren, jemanden verbal zu verletzen(vgl. Vogeley 2012, S. 60-61).

Die Problematik, sich nicht vorstellen zu können einen anderen Menschen mit dem Gesagten zu verletzen rührt daher, dass Autisten Defizite hinsichtlich der Theory of Mind haben. Diese "beschreibt die Fähigkeit, Gedanken, Überzeugungen, Wünsche und Absichten anderer Menschen zu erkennen und zu verstehen, um deren Verhalten einschätzen und um vorhersagen zu können, was sie als Nächstes tun werden. Fehlt diese ToM-Fähigkeit, kann man sich nur schwer in andere hineinversetzen." (Attwood 2012, S. 143).

Für sie stellt ihre direkte Kommunikation damit ein Austausch sachlicher Informationen dar und sollte idealerweise ihnen gegenüber auch so erfolgen. Durch klare und direkte Aussagen kann sich ein Autist besser erklären, was an seiner Äußerung falsch war und kann daraus lernen.

Mit Ironie, versteckten Bedeutungen oder Andeutungen können Autisten schlecht umgehen, da sie dazu neigen, das Gesagte wörtlich zu verstehen (vgl. Attwood 2012, S. 147). Dies kann besonders im Rahmen der Berufstätigkeit zu Missverständnisse führen, falls Vorgesetzte oder Kollegen ironisch gemeinte Anweisungen geben und der autistische Beschäftigte dies wörtlich versteht und ausführt.

2.4.5 Soziale Interaktion

Das soziale Miteinander stellt für Autisten eine besondere Herausforderung dar. Im Gegensatz zu nicht-autistischen Menschen werden soziale Regeln nicht intuitiv beherrscht, sondern müssen wie eine Fremdsprache durch Erfahrungen im Umgang mit Anderen erlernt werden. Besteht dieses interne Lexikon aus sozialen Regeln nicht, kann es dazu führen, dass andere Menschen im Gespräch unterbrochen werden, nur über das Spezialinteresse gesprochen wird oder auch Dinge gesagt werden, die auf Nicht-Autisten verletzend wirken können. Die Kommunikation wird zusätzlich erschwert, da Menschen aus dem autistischen Spektrum Defizite in der Interpretation von Gestik und Mimik haben. Auch in diesen Bereichen können Autisten im Laufe ihres Lebens eine Art internes Lexikon anlegen. So werden manche Autisten bewusst auf die Gesichtszüge des Gegen-übers achten und das Gesehene mit Eindrücken aus früheren Erfahrungen vergleichen. In Zweiergesprächen können Autisten auf diese Weise beachtliche Erfolge erbringen und für Außenstehende "normal" wirken (vgl. Attwood 2012, S. 72 u. 164).

Problematisch wird es, wenn ein Autist an Gesprächen mit mehr als einer anderen Person teilnehmen soll. Die Betroffenen stehen dadurch gleichzeitig vor der Herausforderungen Reize aus der erhöhten Wahrnehmung zu filtern, auf die Gestik und Mimik der Gesprächspartner zu achten und die erhaltenen Eindrücke im Kopf zu übersetzen. Mitunter müssen auch soziale Regeln innerhalb eines Gesprächs eingehalten werden, so dass der autistische Beteiligte schnell an seine Grenzen gerät (vgl. Vogeley 2012, S. 55-56). Einige Menschen aus dem autistischen Spektrum haben das Lexikon aus sozialen Regeln sowie Erfahrungen bezüglich der Bedeutung von Mimik und Gestik so gut mit Informationen gefüllt, dass sie diese im sozialen Miteinander abrufen können. Dadurch können sie sich für eine gewisse Zeit an die Menschen in ihrer Umgebung anpassen und eine Rolle spielen um nicht autistisch zu wirken. Dies kann so erfolgreich geschehen, dass andere Menschen im ersten Moment nicht glauben, ihr Gegenüber könnte autistisch sein (vgl. Attwood 2012, S. 35).

Mitunter besteht die Annahme, Autisten würden generell keinen Blickkontakt zu anderen Menschen herstellen. Dies trifft nicht auf alle autistischen Menschen zu, sondern es besteht vielmehr ein Defizit in der richtigen Anwendung desselben (vgl. Steindal 2011, S. 22). So kann es sein, dass der autistische Beschäftigte in Gesprächen dazu neigt sein Gegenüber zu lange anzusehen und einen starrenden Blickkontakt ausübt.

2.5 Fazit

Die dargestellten Symptome, bzw. Beeinträchtigungen können sowohl für den autistischen Beschäftigten als auch für sein Arbeitsumfeld ein hohes Maß an gegenseitiger Toleranz erfordern. Die Auffälligkeiten in der sozialen Interaktion sind es häufig, die einen Autisten merkwürdig auf seine Mitmenschen oder Kollegen wirken lassen. Gleichzeitig kann jedoch auch die Zusammenarbeit mit gut angepassten Autisten zu Verwirrung führen, wenn diese ihre Rolle aufgrund von Überlastung nicht mehr spielen können und die autistischen Eigenschaften plötzlich offensichtlich erscheinen. Auch besteht das Risiko, dass gut angepasste Kollegen nicht mehr als autistische Menschen wahr- oder ernst genommen werden könnten, wodurch die Gefahr einer Überforderung steigt. Die Bedeutsamkeit des Spezialinteresses kann dazu führen, dass ein autistischer Kollege sich am liebsten darüber unterhalten möchte und an anderen Gesprächsthemen kein Interesse zeigt. Dies kann sich besonders negativ auf das kollegiale Miteinander auswirken. Es ist jedoch genau die Kombination aus ihren Interessen und den aus ihrer speziellen Wahrnehmung resultierenden Fähigkeiten, die einen autistischen Menschen als wertvollen Angestellten auszeichnen können.



[1] Zur Diagnostik des Asperger-Syndroms wurden ab 1989 auch die Diagnosekriterien nach Gillberg & Gillberg verwendet (vgl. Gillberg / Gillberg 1989)

3. Bibliotheken und Autismus

Obwohl Menschen aus dem autistischen Spektrum über ein "ungewöhnliches Leistungsprofil mit vielen positiven Eigenschaften und besonderen Fähigkeiten" (Sünkel 2013, S. 331) verfügen und laut einer britischen Studie 80 Prozent der befragten Asperger- und hochfunktionalen Autisten einer Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt nachgehen möchten (vgl. Barnard et al. 2001, S. 23), beträgt die Arbeitslosenquote in Deutschland allein für die Asperger- und hochfunktionalen Autisten 30 bis 50 Prozent (vgl. Sünkel 2013, S. 332).

3.1 Sammlung von Literaturstellen mit Bibliotheksbezug

Im Folgenden werden Zitate aus der Literatur dargestellt um zu verdeutlichen, dass Bibliotheken als geeignete Berufsfelder für Menschen aus dem autistischen Spektrum gesehen werden.

"Ein Interesse an Büchern und Katalogisierungssystem könnte zum Beruf des Bibliothekars befähigen."

Attwood 2012, S. 246

"Dazu gehört etwa der Beruf des Bibliothekars, dem in einer Bibliothek eine ruhige Umgebung zur Verfügung steht."

Attwood 2012, S. 356

"Likewise, in a library, an employee with autism may have difficulty functioning in an information resource position, but may excel at book sorting and shelving."

Smith/Belcher et al 2000, S. 10

"For example, a person with autism and mild mental retardation may be able to shelve books in a library by call number, whereas a person with autism and severe mental retardation may be limited to gluing the call numbers onto the book spines.The cognitive level of the worker must be taken into account to ensure that tasks are appropriately challenging without being unrealistic."

Smith/Belcher et al 2000, S. 12

In einer Tabelle mit der Übersicht für "Job that would be a good fit for nonvisual thinkers with more verbal brains" wird der Beruf der Bibliothekarin, bzw. des Bibliothekars aufgeführt.

vgl. Grandin/Duffy 2008, S. 89

Auf vier Seiten wird die Tätigkeit innerhalb einer Bibliothek beschrieben um Autisten einen theoretischen Einblick in dieses Berufsfeld

vgl. Grandin/Duffy 2008, S. 134-137

"'Der IT-Bereich ist ein großes Arbeitsgebiet für Autisten", sagt Friedrich Nolte, Fachreferent im Bundes-verband zur Förderung von Menschen mit Autismus. Detailgenauigkeit, Akribie, ein hervorragendes Gedächtnis und eine besondere Art, logisch zu denken, seien häufige Eigenschaften von Autisten. Diese können etwa auch in Bibliotheken, Archiven oder in der Qualitätskontrolle eingesetzt werden.'"Nennung der Bibliothek im Zusammenhang der Einstellung von Autisten bei SAP

Tauber 2013, S. 11

Zwar bestehen die zusammengestellten Textstellen mitunter von den gleichen Autoren, doch gehen diese unterschiedlich an die Möglichkeit einer Beschäftigung innerhalb einer Bibliothek heran. Während bei Tauber das Bibliothekswesen an sich angesprochen wird, wird bei Smith / Belcher davon ausgegangen, dass autistische Beschäftigte vor allem Tätigkeiten im Sortieren von Büchern ergreifen könnten. Im Vergleich dazu beschreiben Grandin / Duffy und Attwood Berufe als Bibliothekarin oder Bibliothekar.

Zudem wird in einem Artikel über berufliche Erfahrungen bei Menschen mit dem Asperger-Syndrom erwähnt, dass der Beruf des Bibliothekars geeignet sei, da Menschen aus dem autistischen Spektrum gut im visuellen Denken seien, gute technische Begabungen vorweisen könnten und gute Fähigkeiten in der Informationsverarbeitung aufwiesen (vgl. Baldwin / Costley / Warren 2014, S. 2).

Auch wurde im Zuge der Einstellung von Autisten bei SAP über einen Autisten berichtet, der zunächst Informationswissenschaften studierte, während der Berichterstattung die Masterarbeit im Bibliothekswesen schrieb und anschließend seine Stärke im visuellen Denken nutzen möchte um in der Erwachsenenbildung tätig zu sein. Zwar geht der Bericht nicht darauf ein, inwiefern er diese Tätigkeiten in einer Bibliothek ausüben möchte, doch sehe er selbst Bibliotheken und Bibliothekare als Informationsvermittler und hält sozialen Kontakt mit guter Vorbereitung und Gewöhnung auch für Autisten für möglich (vgl. Lormis 2013).

Dies zeigt, dass die Vorstellung über geeignete Tätigkeiten für Autisten in einer Bibliothek nicht auf einen Aufgabenbereich beschränkt ist und von den individuellen Fähigkeiten und Interessen betreffender Personen abhängt.

Innerhalb Deutschlands bieten zudem die Berufsbildungswerke Oberlinhaus und Neckargemünd Ausbildungen als Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste an. Diese Ausbildungen können auch von Autisten in Anspruch genommen werden und verdeutlichen, dass bereits das Ziel besteht, autistische Menschen in Bibliotheken zu vermitteln und das Interesse an diesem Berufsfeld vorhanden ist (vgl. Berufsbildungswerk Oberlinhaus 2013; Berufsbildungswerk Neckargemünd 2013).

3.2 Beispiele für autistische Arbeitnehmer in Bibliotheken

Im Zuge der vorliegenden Arbeit wurden Recherchen in zwei Internetforen zum Thema Autismus durchgeführt. Es wurde geprüft, ob es Threads von autistischen Forenmitgliedern gibt, die in Bibliotheken berufstätig sind, oder einen Beruf innerhalb einer Bibliothek ausüben wollen.

Bei den Foren handelt es sich um http://aspies.de/forum/ und um http://www.asperger-forum.de/ .

Insgesamt konnten in den Foren 12 Forenmitglieder identifiziert werden, die einen Beruf im Bibliothekswesen anstreben, dies bereits tun oder den Beruf gewechselt haben. Innerhalb dieser 12 Personen war jede mögliche Beschäftigungsart vertreten: Bibliothekarin, bzw. Bibliothekar, Tätigkeit als FaMI und Bibliotheksassistent sowie ungelernte Tätigkeiten innerhalb der Bibliothek[2]. Ein Bibliotheksmitarbeiter, der für Zeitschriften und den Zeitschriftenumlauf zuständig war, beschrieb zudem, dass er sich selbst auch Tätigkeiten an der Auskunft zutrauen würde, dies jedoch seitens der Kollegen nicht zugetraut wurde.

Auch international betrachtet arbeiten bereits Autisten in Bibliotheken. In China wurde eine 21-jährige Autistin ungelernt in einer kleinen Bibliothek innerhalb des Gemeindezentrums beschäftigt. Die Mutter übernahm die Rolle eines inoffiziellen Job Coachs. Es wird beschrieben, dass Kollegen nicht wussten wie sie sich ihr gegenüber verhalten sollten und sie ihr dadurch auch keine Hilfe sein konnten. Die Beschäftigung war dennoch für die Familie, die Tochter und die Bibliothek ein Gewinn (vgl. McCabe / Wu 2009).

Ebenfalls in China erhielt ein 21-jähriger Autist eine Anstellung in der Bibliothek von Shanghai. Laut Artikel arbeite er an vier Tagen die Woche in der Bibliothek und stellt Bücher ein. Zu Beginn seiner Tätigkeit konnte er sich nicht auf die Arbeit konzentrieren und ignorierte Nachfragen der Nutzer. Da ihm die Abläufe seiner Arbeit mehrfach erklärt worden, wurde er immer vertrauter damit, so dass er im weiteren Verlauf in der Lage war, seiner Tätigkeit problemlos nachzugehen.

Insgesamt war eine positive Entwicklung sichtbar, so dass er seinen Arbeitsweg selbstständig bewältigt und auch die Pausen mit den Kollegen verbringt. Um die Probleme autistischer Menschen hinsichtlich der Kommunikation und sozialen Interaktion zu berücksichtigen, wurde darauf geachtet, dass die Tätigkeit gewisse soziale Kontakte enthielten, er jedoch insgesamt wenig Kontakt zu Nutzern hatte (vgl. Ni 2013).

In den USA berichtet ein Asperger-Autist und Bibliothekar in seinem Blog von seinen unterschiedlichen Erfahrungen während der Arbeit in einer Bibliothek. Während er zunächst in der Katalogisierung tätig war, zielte es später darauf ab, im Auskunftsdienst zu arbeiten (vgl. Aspie Aggie Librarian 2011).

Adam Schwartz, Asperger-Autist, Comedian und berufstätig in einer Bibliothek in Winnipeg/Kanada veröffentlichte "Ten things I like about working in a library". Die ersten und für diese Arbeit wichtigsten vier Punkte sind:

"1. Libraries are a place of order. Unlike the rest of the world which is chaos, libraries organize information by subject, author and year. There is no reading between the lines for information like there is in the rest of life.

2. I feel like a computer expert when I am able to answer computer questions, like how do I book a computer. Where can I find a computer with microsoft word. (Although, there are some times that I can't figure out how to fix the computer or format on microsoft word but these questions are few and far between.)

3. Libraries are quiet and never give me sensory overload which sometimes happens in unknown crowded places. Especially when I am very hungry or tired.

4. There are always people to watch who never end up letting me down with their off-the-wall antics. Therefore, it is a good place to learn about human behaviour and what to do and what not to do in social interactions." (Schwartz 2013)

Penelope Andrews, Asperger-Autistin und Masterstudentin an der University of Sheffield im Studiengang Digital Library Management, spricht sich ebenfalls für Autisten in Bibliotheksberufen aus und beschreibt ihre Stärken folgendermaßen:"'I'm more focused, intense and honest than a neuro-typical person,' she said. 'I do things thoroughly and pay proper attention to detail. I'm always switched on: even when I'm not at work, I'll go to events that are relevant. Libraries are one of my autistic specialities and I harness that at work.'" (Hill 2013).

In den USA wurden in der Bibliothek der Illinois Wesleyan University zwei autistische Studentische Hilfskräfte beschäftigt. Als Tätigkeiten wurden Scandienste durchgeführt und an der Auskunft gearbeitet. Es wurde darauf geachtet, dass die beiden Studentischen Hilfskräfte Pause machen und sich Ruhe gönnen konnten wenn dies nötig war. Obwohl deutlich wurde, dass besondere Rücksicht genommen werden musste, etwa durch eine ruhige Arbeitsumgebung, deutliche Kommunikation und wenig Varianz in den Aufgaben, habe man die Zusammenarbeit geschätzt und als einen Gewinn betrachtet. Wichtig gewesen sei es, mit Geduld und dem richtigen Weg der Unterstützung (vgl. Miner 2009) Die Erfahrung bezüglich der Beschäftigung der beiden autistischen Hilfskräfte wurde in folgender Absicht geschrieben: "We offer our experiences as an entry into this conversation and as a voice of encouragement for employing people on the autistic spectrum in libraries." (Miner 2009, S. 20).

3.3 Fazit

Dieses Kapitel hat gezeigt, dass Menschen aus dem autistischen Spektrum bereits seit längerem ein relevantes Thema für Bibliotheken darstellen sollten. National wie international gibt es bereits Autisten, die in Bibliotheken arbeiten und einige von ihnen gehen so offen damit um, dass sie in Blogs und Zeitungsartikeln über ihre Arbeit dort berichten. Nicht nur lenken sie dadurch den Blick auf ihre Stärken und das Potential das Bibliotheken entgeht, wenn in erster Linie eine negative Vorstellung von Autisten besteht. Auch wird deutlich, dass die Arbeitgeber die Beschäftigung dieser Menschen als eine Bereicherung ansehen.

So warf Meg Miner am Ende ihres Artikels über die beiden Asperger-Autisten in der Bibliothek der Illinois Wesleyan University die Frage auf: "Why should we think differently of prospective employees’ potential be-cause some have a diagnosis for their personality traits and others don’t?" (Miner 2009, S. 20)



[2] Da es sich um geschützte Forenbereiche handelte, erfolgen in der öffentlichen Version dieser Arbeit keine Verweise.

4. Ergebnisse der Experteninterviews

Im Hinblick auf die in Kapitel zwei und drei dargestellten Aspekte des autistischen Spektrums, und der Bedeutung von Bibliotheken als Arbeitgeber für diese Personengruppe, wurden Experteninterviews durchgeführt.

Diese dienten dazu, anhand von Leitfragen, empirische Daten im Rahmen der qualitativen Forschung zu erheben. Gemeinsam mit den Inhalten der vorangegangenen Kapitel bilden sie die Grundlage für die Entwicklung der Handlungsempfehlungen.

4.1 Auswahl der Experten

Für die Auswahl als Experte musste ein bedeutender Bezug zu dem Thema Autismus und Berufstätigkeit vorliegen. Dies konnte durch die Beschäftigung autistischer Mitarbeiter, durch Erfahrung mit autistischen Kollegen, der eigenen Zugehörigkeit zum autistischen Spektrum oder der Beschäftigung mit dieser Thematik im eigenen berufsbezogenen Kontext gegeben sein.

Da Angehörige des autistischen Spektrums unterschiedliche Ausprägungsgrade, Stärken und Defizite aufweisen, wurde bei der Auswahl der Experten darauf geachtet, unterschiedliche Blickwinkel betrachten zu können und so möglicherweise für die Entwicklung der Handlungsempfehlungen interessante Aspekte zu erhalten, die durch die dargestellten Informationen in Kapitel zwei und drei keine Beachtung gefunden hätten.

Die anknüpfenden Ergebnisse basieren daher auf der Grundlage folgender Experten:

Herr Dirk Müller-Remus ist der Gründer und Geschäftsführer des IT-Unternehmens "Auticon". Dieses beschäftigt an diversen Standorten in Deutschland Menschen aus dem autistischen Spektrum, die als Consultants für zeitlich begrenzte Aufträge in andere Unternehmen vermittelt werden. Als erstes deutsches Unternehmen dieser Art hat Auticon einen allgemeinen Bekanntheitsgrad erzielt.

Herr Hajo Seng ist Gründer der Hamburger Genossenschaft "autWorker". Diese besteht aus autistischen Mitgliedern und wurde mit dem Ziel gegründet, Bindeglied zwischen dem Arbeitsmarkt und autistischen Menschen zu sein. Herr Seng ist Asperger-Autist und arbeitet in der IT-Abteilung der Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky in Hamburg.

Herr Christian Nolte ist Geschäftsführer des IT-Unternehmens "Velian" in Braunschweig. Dieses stellte vor drei Jahren den ersten autistischen Mit-arbeiter ein. Außerdem sind ein Mitarbeiter mit Mutismus[3] und seit kurzem ein zweiter Asperger-Autist bei Velian beschäftigt.

Herr Prof. Dr. phil. Matthias Dalferth ist Professor an der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule Regensburg, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesverbandes Autismus Deutschland e.V. und Mitautor des Buches "Berufliche Teilhabe für Menschen aus dem autistischen Spektrum". Mit ihm fand kein persönliches Gespräch, sondern die Beantwortung von Fragen in Form eines Fragebogens, statt.

Aus Gründen des Datenschutzes werden interviewte Mitarbeiter einer deutschen, wissenschaftlichen Bibliothek nicht namentlich genannt. Die Kollegen eines Asperger-Autisten wurden persönlich interviewt, ihrem autistischen Kollegen wurde ein Fragebogen zugesandt.

4.2 Ergebnisse der Befragungen

Die Zusammenfassungen der einzelnen Interviews und Fragebögen können in den Anhängen 2 – 13 eingesehen werden.

Zwecks Nutzung der erhaltenen Informationen zur Entwicklung der Handlungsempfehlungen wurden Kategorien gebildet, die sich in den Interviews und Fragebögen als relevant abzeichneten.

4.2.1 Verantwortung seitens der Autisten

Herr Dirk Müller-Remus

Autisten müssen zu ihrem Autisten-Sein stehen und offen damit umgehen. Ohne diesen offenen Umgang kann ein Arbeitgeber nicht wissen, dass sein Mitarbeiter Autist ist und kann keine Hilfestellungen bieten, um Probleme bei der Arbeit oder im kollegialen Miteinander zu vermeiden oder zu lösen. Idealerweise kann der autistische Mitarbeiter Hinweise geben, welche Aspekte in der Kommunikation mit ihm beachtet werden sollten. Autisten sollten sich nicht mehr über ihre Defizite definieren, sondern sich auf ihre Stärken und ihr Potenzial konzentrieren.

Ein nicht offener Umgang mit der Thematik Autismus führt dazu, dass der autistische Mitarbeiter sich zu sehr an die Arbeitsumgebung anpassen will, was zu Überforderungen führen kann.

Herr Hajo Seng

Ein offener Umgang mit dem Autist-Sein, ist generell sinnvoll und der beste Weg. Wenn jemand tatsächlich nicht sagen möchte, dass er Autist ist, könnten Probleme auch ohne diese Bekanntmachung gelöst werden indem nur die Probleme an sich angesprochen werden. Durch die Bekanntgabe, man sei Autist, kann jedoch auch der Schwerbehindertenbeauftrage hinzugezogen werden und auch neutrale Personen, wie beispielsweise von autWorker, könnten eine Vermittlungsrolle übernehmen.

Ein nicht offener Umgang mit der Thematik Autismus führt auch laut Herrn Seng dazu, dass der autistische Mitarbeiter sich an die Arbeitsumgebung anpassen will, was zu Überforderungen führen kann.

Der offene Umgang stößt jedoch häufig auf Verwirrung, da einige Menschen nach wie vor die Vorstellung hätten, Autisten seien stark beeinträchtigt. Daher überwiegt die Annahme, dass Autismus eine Behinderung darstelle und es besteht die Sorge, dass Probleme am Arbeitsplatz bezüglich autistischer Beschäftigter überwiegen könnten.

Autisten sollten sich generell mehr auf ihre Stärken und ihr Potential konzentrieren. Da viele sich ihrer Stärken selbst nicht bewusst sind, wären Fähigkeiten-Workshops von autWorker eine gute Möglichkeit um sich darüber im Klaren zu werden.

Herr Christian Nolte

Ein Offener Umgang ist wichtig, um zu wissen wie man mit Menschen dieser unterschiedlichen Persönlichkeiten am besten kommuniziert.

Mitarbeiter einer wissenschaftliche Bibliothek

Der autistische Bibliotheksmitarbeiter empfindet einen offenen Umgang mit dem Autismus als wichtig. Seine Kollegen sehen für Autisten die Verantwortung darin, sich auf die Arbeit im Team einzulassen und die Bereitschaft mitzubringen, neue Gesichtspunkte im sozialen Miteinander lernen zu wollen.

4.2.2 Eignung von Bibliotheken als Arbeitgeber

Herr Dirk Müller-Remus

Bibliotheken stellen geeignete Arbeitsplätze dar, weil sie Tätigkeiten mit guter Strukturierung, reizarmer Umgebung, Regelabläufen und geringer Hektik bieten können.

Als besonders geeignete Tätigkeitsfelder sieht er die Katalogisierung, die Indexierung, das Klassifizieren, sowie Sortier- und Kopierarbeiten.

Wegen der ausgeprägten Fähigkeit zur Mustererkennung können auch Tätigkeiten im Big Data-Bereich eine hohe Attraktivität aufweisen.

Ob eine Tätigkeit im Publikumsverkehr geeignet und möglich sei, komme auf jeden Einzelnen Mitarbeiter an.

Herr Hajo Seng

Bibliotheken können einen geeigneten Arbeitsplatz darstellen, da vieles ohne den Zeitdruck wie in anderen Berufe stattfinden könne. Auch bestehen in vielen Bibliotheken keine "Mitarbeitermonokulturen", so dass in Bibliotheken bereits eine Unternehmenskultur mit unterschiedlichsten Charakteren vorherrsche. Dies könne zu einer größeren Toleranz gegen-über autistischen Mitarbeitern führen.

Als besonders geeignete Tätigkeiten nennt er Magazinarbeiten oder Aufgaben in der IT.

Arbeitsbereiche mit Führungsaufgaben oder im leitenden Projektmanagement seien jedoch eher ungeeignet. Ob Tätigkeiten im Publikumsverkehr möglich seien, müsste individuell geprüft werden. Prinzipiell wäre es denkbar, dass Beschäftigungen an der Ausleihe und der Information mögliche Arbeitsbereiche darstellen. Besonders an der Information könnte ein autistischer Mitarbeiter sein Expertenwissen einbringen.

Grundsätzlich seien wechselnde Tätigkeiten, besonders mit mehreren Aufgaben aus unterschiedlichen Themenbereichen weniger geeignet.

Herr Prof. Dr. Matthias Dalferth

Bibliotheken seien generell als Arbeitsplatz für Autisten geeignet, da sie eine ruhige Arbeitsumgebung bieten können. Zudem könnten Autisten sich besonders gut auf Details konzentrieren und sich diese gut merken. Auch liegen ihre Stärken im Sortieren, Registrieren und Archivieren.

Gut geeignet wären daher Tätigkeiten, die mit der Arbeit am Buch zu tun haben. Etwa das Ziehen und Einstellen derselben. Auch Aufgaben, die mit der Eingabe oder Verarbeitung von Informationen am Computer zu tun haben, könnten besonders geeignet sein.

Direkten Publikumsverkehr hält Herr Prof. Dr. Dalferth für problematisch, doch kommt die Eignung hierfür auf jeden individuell an. Sollte die Chance bestehen im indirekten Kontakt mit Nutzern zu stehen und Auskünfte zu geben, beispielsweise per E-Mail, könnte dies eine bessere Tätigkeit darstellen.

Herr Christian Nolte

Asperger-Autisten können im Rahmen informationstechnologischer Tätigkeiten erfolgreich beschäftigt werden. Die Erfahrungen Herrn Noltes zeigen, dass auch Kundenkontakt möglich sein kann.

Mitarbeiter einer wissenschaftliche Bibliothek

Bibliotheken seien als Arbeitsplatz für Autisten generell geeignet, da es sich um ruhige und wenig hektische Arbeitsumgebungen handele. Insbesondere Tätigkeiten mit Bezug zur Bestandspflege, wie die Arbeit in einem Magazin und das Ziehen und Einstellen von Büchern, seien geeignet.

Tätigkeiten im Publikumsverkehr seien weniger geeignet.

4.2.3 Gewinn für den Arbeitgeber

Herr Dirk Müller-Remus

Nach Herrn Müller-Remus verfügen viele Autisten über ausgeprägte Fähigkeiten zur Mustererkennung, eine ausgeprägte Fähigkeit zur Detailerkennung und analytisch-logisches Denkvermögen. Zugleich zeichnet sie eine sorgfältige, genaue, gewissenhafte und konzentrierte Arbeit aus.

Herr Hajo Seng

Autistische Mitarbeiter bringen frischen Wind in die Unternehmen und sehen vieles aus anderen Blickwinkeln. Grundsätzliche, meist unterschwellige Probleme innerhalb von Geschäftsprozessen können durch diese neuen Blickwinkel erkannt und eingefahrene Strukturen oder Arbeitsabläufe können verbessert werden. Überdies verwenden Autisten häufig andere Problemlösungsstrategien, so dass auch Problem anders angegangen werden könnten als zuvor.

Herr Christian Nolte

Im Team lernen alle ein neues Miteinander kennen und es entstehe ein neues Bewusstsein für die Teamstrukturen. Nach seiner Erfahrung bedeutete die Einstellung von Asperger-Autisten, hochmotivierte Arbeitnehmer zu haben, die ihre Meinung offen, direkt und ehrlich sagen. Auch sehen sie vieles aus anderen Blickwinkeln. Dies führe insgesamt dazu, dass Arbeitsergebnisse und –prozesse optimiert werden könnten.

Mitarbeiter einer wissenschaftliche Bibliothek

Laut dem autistischen Bibliotheksmitarbeiter entsprechen einige Tätigkeiten in einer Bibliothek dem Fähigkeitenprofil von Autisten. So werden Fehler, wie falsch stehende Bücher, besonders gut registriert. Auch können Bücher schnell gezogen und eingestellt werden.

Die Kollegen beschreiben zudem, dass sie mit ihrem autistischen Kollegen jemanden erhalten haben, der seine Aufgaben zuverlässig, verantwortungsvoll und korrekt ausführt. Auch würden ihm häufig Fehler auffallen. Die Zusammenarbeit mit ihm wird als Bereicherung empfunden und er wird als Kollege geschätzt.

4.2.4 Gewinn für autistische Arbeitnehmer

Herr Dirk Müller-Remus

Da Herr Müller-Remus in Kontakt mit vielen langzeitarbeitslosen Autisten gekommen ist, besteht der Gewinn für einen Autisten zunächst darin, einer Berufstätigkeit nachgehen zu können. Durch einen offenen und respektvollen Umgang mit dem Autismus könnten Bibliotheken außerdem ihren autistischen Mitarbeitern die Möglichkeit bieten einem Beruf nach-zugehen, ohne sich anpassen und verstellen zu müssen. Für viele Tätigkeiten in einer Bibliothek sind Fähigkeiten nötig, die Menschen mit Autismus häufig automatisch in sich tragen, etwa die Fähigkeit zur Detailerkennung.

Dies alles könnte bei den angestellten Autisten dazu beitragen, sich auf die Stärken zu konzentrieren. Auch bestünde eine positive Auswirkung auf das Selbstwertgefühl.

Herr Hajo Seng

Bibliotheken könnten Autisten einen Arbeitsplatz bieten, an dem sie ihre Stärken und Interessen beruflich nutzen könnten.

Herr Prof. Dr. Matthias Dalferth

Bibliotheken könnten Autisten einen Arbeitsplatz bieten, an dem sie ihre Stärken und Interessen beruflich nutzen könnten.

Herr Christian Nolte

Herr Nolte erhielt bei seinen autistischen Mitarbeitern den Eindruck, dass sie ihren beruflichen Platz bei Velian gefunden haben und das Gefühl er-hielten, akzeptiert zu werden. Die berufliche Tätigkeit entspräche dem Spezialinteresse, so dass die Mitarbeiter hochmotiviert seien. Die positiven Entwicklungen werden besonders dadurch deutlich, dass sie selbstständiger geworden seien, mehr Lebensfreude ausstrahlen und positive Entwicklungen im Privatleben zu verzeichnen hätten.

Mitarbeiter einer wissenschaftliche Bibliothek

Die Kollegen beschreiben, sie hätten ein Vertrauensverhältnis aufgebaut.

Da sich ihr autistischer Kollege für die Zusammenarbeit den Umgang mit Grußformen angeeignete hat, habe er einen Mehrwert aus der Beschäftigung gezogen und profitiere von den sozialen Umgangsformen im Privatleben. Auch vermuten sie, dass er aufgrund der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Charakteren bei der Arbeit sicherer ist dies auch außerhalb der Arbeit zu meistern.

Der Kollege selbst beschreibt, die Beschäftigung in der Bibliothek hätte dazu geführt, dass er wieder Struktur im Tagesablauf habe.

Dadurch könne er seine Freizeit besser nutzen und müsse sich nicht mehr mit dem Gedanken beschäftigen, sich um einen Job bemühen zu müssen. Insgesamt habe er an Selbstwertgefühl gewonnen und seine Nische gefunden.

Er beschreibt: "Seit ich in der Bibliothek arbeite, habe ich nicht mehr das Gefühl, „neben dem Leben“ zu stehen – ich stehe jetzt IM Leben."

4.2.5 Kommunikation und soziales Miteinander

Herr Dirk Müller-Remus

Bei vielen Autisten seien Defizite im Einführungsvermögen erkennbar. Auch hätten viele kein Interesse daran Pausen mit Kollegen zu verbringen oder an Betriebsausflügen teilzunehmen.

Häufig bestehe das Problem, dass Autisten von sich aus dazu neigen, bei Unklarheiten nicht nachzufragen oder bei Problemen nicht um Hilfe bitten. Dies kann sich sowohl auf die Ausübung von Aufgaben, als auch auf die soziale Interaktion auswirken und führe dazu, dass sie anfangen sich zu verstellen und eine nicht-autistische Rolle zu spielen.

Daher sei es wichtig, auf den autistischen Kollegen direkt zuzugehen und nachzufragen, ob alles in Ordnung sei oder Unterstützung benötigt werde.

Herr Hajo Seng

Da Autisten in ihrer Art häufig anders auf ihre Mitmenschen wirken, müsse darauf geachtet werden, dass es nicht zu Mobbing oder mobbing-ähnlichen Situationen komme. Wenn Probleme mit Kollegen oder Vorgesetzten bestehen, sollten diese frühestmöglich gelöst werden.

Herr Prof. Dr. Matthias Dalferth

Herr Prof. Dr. Dalferth beschreibt, dass Autisten häufig Probleme damit hätten, Gefühle anhand der Mimik und Gestik zu erkennen. Insgesamt bestehe das Problem, dass Bedürfnisse oder Erwartungen von Kunden und Kollegen schwer wahrgenommen werden.

Soziale Prozesse innerhalb des Arbeitsumfeldes seien ebenfalls schwer er-kenn- und durchschaubar. Es bestehe das Risiko von sozialer Überforderungen.

Herr Christian Nolte

Es habe sich schnell gezeigt, dass eine klare und direkte Ansprache wichtig sei. Bei bestehenden Problemen, oder wenn etwas stört, sei ein zeitnahes und direktes Feedback die richtige Vorgehensweise. Nach einmaligen Hinweisen, wie etwas besser gemacht werden könnte, werde dies schnell verinnerlicht. Ein Bewusstsein für die richtige Gesprächslautstärke sei mitunter nicht vorhanden.

Autistische Mitarbeiter sollten als eigenständige Persönlichkeiten gesehen und nach ihrer Meinung gefragt werden. Herr Nolte habe die Erfahrung gemacht, dass es häufig nicht erkannt wird, wenn jemand gerade beschäftigt sei und daher keine Zeit für Fragen habe. Auch bestehe die Möglichkeit mit zu vielen Detailfragen bombardiert zu werden. Werden angekündigte Besprechungen nicht eingehalten führe dies zu Verunsicherungen.

Grundsätzlich eigne sich der Austausch über das Spezialinteresse des autistischen Mitarbeiters, um ins Gespräch mit ihm zu gelangen.

Mitarbeiter einer wissenschaftliche Bibliothek

Der autistische Mitarbeiter beschreibt den Kontakt zu seinen Kollegen als unproblematisch und sagt aus, dass wenig Small-Talk bestehe.

Seine Kollegen erklärten, dass er zunächst viele soziale Floskeln lernen musste und viele klärende Gespräche stattgefunden hätten. In diesen hätten sie ihm erläutert, dass seine direkte Art verletzend auf andere wirken könne und manche Formulierungen oder Dinge nicht so gesagt werden könnten. Grundsätzlich mussten sich seine Kollegen daran gewöhnen, dass er mit seinen direkten Äußerungen niemanden verletzen oder beleidigen möchte. Für ihn stellen diese sachliche Hinweise oder Bemerkungen dar. Generell, besonders war dies während der Einarbeitungsphase nötig, sei eine eindeutige und klare Wortwahl wichtig.

4.2.6 Probleme im Arbeitsalltag

Herr Dirk Müller-Remus

Herr Müller-Remus beschreibt, Autisten hätten häufig Probleme mit einer eingeschränkten Flexibilität, Probleme bei kurzfristigen Änderungen und generelle Kommunikationsprobleme. Auch könnten Reizüberflutungen ein Problem darstellen, doch stelle die Gestaltung der Arbeitsumgebung gleichzeitig einen untergeordneter Aspekt dar. Am wichtigsten sei es, dass sich die autistischen Mitarbeiter von den Kollegen akzeptiert fühlten.

Herr Hajo Seng

Die Gestaltung des Arbeitsplatzes kann ein Problem darstellen, das jedoch am einfachsten zu lösen sei. Zu beachten sind unterschiedliche Bedürfnisse der autistischen Mitarbeiter. Während der eine problemlos in Großraumbüros arbeiten könne, sei für einen anderen bereits die Arbeit zu zweit in einem Büro eine Belastung. Daher könne diesbezüglich keine all-gemeine Empfehlung gegeben werden. Die Tendenz zu ruhigen und konzentrationsfördernden Umgebungen sei jedoch vorhanden.

Herr Prof. Dr. Matthias Dalferth

Grundsätzlich seien Veränderungen und Reizüberflutungen ein großes Problem. Bezüglich des Arbeitsalltags sei für einen autistischen Mitarbeiter eine gleichbleibende Tagesgestaltung mit nur einer zu bearbeitenden Aufgabe zeitgleich wichtig. Es sollte generell wenig Varianz in der Aufgabenstellung vorhanden sein und auch der Arbeitsplatz solle wenige Veränderungen aufweisen. Die Erwartung an ein gesteigertes Arbeitstempo und Multitasking, sowie an die Entwicklung eigener Problemlösungsstrategien könne einen autistischen Mitarbeiter überfordern. Auch die Arbeit in Großraumbüros, die eigenständige Hierarchisierung von Aufgaben sowie Schwerpunktsetzungen seien schwer zu bewältigen. Arbeiten ohneklare Anweisungen durchführen zu müssen und Führungsaufgaben zu übernehmen stellen weitere Probleme im Arbeitsalltag dar.

Mitarbeiter einer wissenschaftliche Bibliothek

Der autistische Mitarbeiter beschreibt, dass er besonders zu Beginn der Tätigkeit in der Bibliothek Problem mit Reizüberflutungen aufgrund Überforderung hatte und dies mitunter zum Abbruch der Tätigkeit an diesem Tag führte. Dies habe sich inzwischen deutlich verbessert.

Seine Kollegen bestätigen dies und führten an, dass ihr Kollege vor allem am Anfang für die Durchführung seiner Aufgaben eine klare Struktur gebraucht hätte, dies auch jetzt noch von Vorteil sei, er jedoch auch ohne diese Struktur arbeiten könne. Außerdem wurde erwähnt, dass sie ihm stets Aufgaben bereitstellen, so dass er gleich mit der Arbeit beginnen kann wenn er in der Bibliothek eintrifft.

Herr Christian Nolte

Herr Nolte machte die Erfahrung, dass zu viele Aufgaben zeitgleich für seine autistischen Mitarbeiter überfordernd sein können, insbesondere wenn die Struktur fehlt. Der Blick sollte darauf gerichtet sein, ob zu viele Aufgaben gleichzeitig angefangen werden und dadurch die Übersicht verloren gehe. Bei Aufgaben, deren Bearbeitung nicht erfolgreich verläuft kann der Misserfolg gleichbedeutend mit einer Niederlage sein. Dies könnte auch zu der Furcht führen, seine Vorgesetzten oder Kollegen zu enttäuschen. Die Erstellung von Tages- und Wochenplänen kann notwendig sein, ebenso die Einplanung fester Pausenzeiten.

4.2.7 Unterstützung durch einen Job Coach

Herr Dirk Müller-Remus

Da bei Auticon die Mitarbeiter für zeitliche begrenzte Aufträge an andere Unternehmen vermittelt werden, stellen die Job Coachs dort ein unverzichtbares Bindeglied zwischen autistischem Mitarbeiter und Unternehmen dar. Herr Müller-Remus ist jedoch der Meinung, dass ein Job Coach grundsätzlich zur Verfügung stehen sollte. Dies sollte ein externer Coach und kein Kollege sein, da ansonsten das Risiko bestünde, dass das Autisten-Sein in Vergessenheit gerät oder der autistische Kollege doch nicht genügend Unterstützung erfährt.

Herr Hajo Seng

Ein externer Job Coach könne hauptsächlich in der Einstiegsphase von Vorteil sein. Im weiteren Verlauf wäre es von Vorteil jemanden aus dem direkten Arbeitsumfeld, etwa einen Kollege, jemanden vom Personalrat oder den Schwerbehindertenbeauftragten, als Ansprechpartner zur Seite zu stellen.

Herr Prof. Dr. Matthias Dalferth

Ein Job Coach sei hilfreich bis unverzichtbar. Die Häufigkeit und Intensität der Betreuung durch den Coach müsse anhand individuellen Bedarfs geprüft werden. Grundsätzlich sei ein externer Coach sinnvoll wenn eine intensive Betreuung nötig ist. Besteht dieser Bedarf nicht, oder nicht mehr, habe sich der Einsatz eines vorbereiteten Kollegen als Mentor als erfolgsversprechend erwiesen.

Mitarbeiter einer wissenschaftliche Bibliothek

Der autistische Mitarbeiter hätte sich einen Job Coach in der Anfangszeit seiner Beschäftigung als hilfreich vorstellen können. Probleme im Bezug auf die Arbeit wurden mit der Autismustherapeutin besprochen. Inzwischen sei diese Art von Unterstützung für ihn nicht mehr notwendig.

Seine Kollegen sind der Meinung, dass ein Job Coach nicht hilfreich gewesen wäre. Zu Beginn der Zusammenarbeit wurden sie von der Therapeutin über die autismusspezifischen Besonderheiten aufgeklärt. Weitere Unter-stützung sei nicht nötig gewesen, da beide Seiten sich aneinander gewöhnen und aufeinander zugehen mussten.

Herr Christian Nolte

Velian verfügt zwar über einen Kommunikations- und Strategiecoach, der das Unternehmen in grundsätzlichen Fragen berät, dieser ist jedoch nicht mit einem Job Coach für autistische Mitarbeiter vergleichbar. Als der erste autistische Mitarbeiter vor drei Jahren bei Velian anfing, hatte er zwar seitens seiner betreuenden Einrichtung eine begleitende Person, diese war jedoch schnell nicht mehr nötig, so dass gar keine Betreuung mehr bestand. Dies führte dazu, dass Herr Nolte stets der direkte Ansprechpartner für seinen Mitarbeiter war, was viel Zeit in Anspruch nahm. Eine Person, die zur Entlastung hätte beitragen können, wäre sinnvoll gewesen. Bei dem zweiten autistischen Mitarbeiter ist eine Betreuung anwesend und gibt ihm Sicherheit. Insgesamt betrachtet würde Herr Nolte eine Ansprechperson, die das Team entlastet, als hilfreich einschätzen.

4.2.8 Unterstützung durch einen Leitfaden

Herr Dirk Müller-Remus

Während des Interviews führte Herr Müller-Remus an, dass viele autistische Mitarbeiter Probleme bezüglich der Wahl von Anreden und Gruß-formen in E-Mails hätten und diesbezüglich Unterstützung bräuchten. Erst durch diese Aussage entwickelte sich im Nachhinein die Überlegung, ob Bibliotheken autistischen Mitarbeitern mit einem Leitfaden eine Unterstützung in bestimmten sozialen Bereichen bieten könnten. Daher wurde Herrn Müller-Remus die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines Leitfadens nicht gestellt.

Herr Hajo Seng

Herr Seng sieht die Entwicklung eines Leitfadens als sinnvoll und ist der Ansicht, dass so etwas bisher noch nicht vorhanden sei.

Mögliche Inhalte für den Leitfaden könnten die Anreden in E-Mails und eine Orientierung über den Umfang eigener Kompetenzen und Entscheidungsfreiheiten darstellen. Auch eine Orientierungshilfe, wie man sich gegenüber bestimmten Personen oder Personengruppen verhalten soll, wäre hilfreich.

Herr Prof. Dr. Matthias Dalferth

Grundsätzlich hält Herr Prof. Dr. Dalferth den Einsatz eines Leitfadens für denkbar. Das Problem bestehe jedoch darin, dass ein solcher nicht alle notwendigen Aspekte bezüglich des sozialen Miteinanders abdecken könne und nur eine begrenzte Hilfsmöglichkeit biete.

Mitarbeiter einer wissenschaftliche Bibliothek

Die Kollegen des autistischen Mitarbeiters hätten einen Leitfaden nicht für hilfreich erachtet. Im Gegensatz dazu hätte sich ihr Kollege einen Leitfaden gewünscht, da er insbesondere mit ungeschriebenen sozialen Regeln manchmal Probleme habe und ihm diesbezüglich eine Orientierung hätte geboten werden können.

Herr Christian Nolte

Ein Leitfaden sowohl für den autistischen Mitarbeiter, als auch für die Kollegen wäre sinnvoll. Der Leitfaden könnte Hinweise für das Telefongespräch oder das Verfassen von E-Mails enthalten. Im Nachhinein habe Herr Nolte festgestellt, dass er seinen Mitarbeitern wenig von dem mitgegeben habe, was er als direkte Ansprechperson für die autistischen Mitarbeiter gelernt hat. Daher würde ein Leitfaden für alle anderen Mitarbeiter sinnvoll sein, damit auch die Kollegen wissen worauf sie achten müssen und wie sie sich in bestimmten Fällen verhalten sollen.

4.3 Fazit

Die Experteninterviews und Fragebögen verdeutlichen eine gewisse Homogenität der Menschen innerhalb des Spektrums, da sich aufgrund der Aussagen acht Kernkategorien im Hinblick auf die Berufstätigkeit von Autisten ableiten ließen. Dies ist besonders vor dem Hintergrund bedeutend, als dass die Befragten zwar alle einen Bezug zum Thema Autismus aufwiesen, dieser aber unterschiedlicher Natur war und vom beruflichen Kontext, zu autistischen Angestellten bis zum eigenen Autismus reichte.

Innerhalb der identifizierten Kategorien deckten sich einige Aussagen mit den Aussagen anderer Befragter, während es zu einigen Aspekten unterschiedliche Meinungen gab. Diese Ergebnisse machen deutlich, dass die Entwicklung und Anwendung von Handlungsempfehlungen Grenzen aufweist und stets der persönliche Austausch mit dem autistischen Beschäftigten gesucht werden muss.



[3] Mutismus ist eine Kommunikationsstörung bei der der Betroffene, je nach Ausprägungsgrad, überhaupt nicht oder wenig spricht.

5. Handlungsempfehlungen

Die dargestellten Handlungsempfehlungen können aufgrund der Vielseitigkeit von Stärken, Defiziten und Interessen autistischer Personen nur eine generelle Orientierung im Umgang mit autistischen Bibliotheksmitarbeitern bieten. Grundsätzlich gilt, dass der Austausch mit der betreffenden Mitarbeiterinnen oder dem betreffenden Mitarbeiter gesucht werden und gemeinsam geprüft werden sollte, welche Bedürfnisse bestehen und was im Miteinander hilfreich sein kann.

5.1 Generelle Hinweise

  • Ein Autist sollte niemals belogen werden, da er mit Unehrlichkeit nicht umgehen kann und selbst stets ehrlich sein wird.

  • Manche Autisten haben bereits zu Schulzeiten Erfahrungen mit Mobbing gemacht und dieses auch in späteren Berufen erfahren. Die Erfahrungen hinterlassen ein geringes Selbstwertgefühl, das erst langsam aufgebaut werden muss. Wird beobachtet, dass ein autistischer Mitarbeiter in mobbingähnliche Situationen verwickelt wird, ist die unverzügliche Unterstützung durch andere Kollegen oder Vorgesetzten geboten, da Autisten sich in der Regel nicht selbst aus solchen Situationen befreien können.

  • Falls der autistische Mitarbeiter aufgrund von Missverständnissen (Ironie, Doppeldeutigkeiten, Sprichwörtern) eine Aufgabe falsch durchführt, sollte sich niemand über ihn lustig machen oder ihn mit Vorwürfen konfrontieren. Stattdessen sollte der Person sachlich erklärt werden, was falsch verstanden wurde und wie es gemeint war.

Es ist davon auszugehen, dass der Mitarbeiter die Tätigkeit in der besten Absicht und in aller Gründlichkeit durchgeführt hat und Fehler nicht beabsichtigt waren. Vorwürfe und Scherze wegen Missverständnissen können dem Selbstwertgefühl einen schweren Schaden zufügen und die Furcht vor neuen Fehlern verstärken.

  • Es bietet sich generell an, mit dem autistischen Beschäftigen festzuhalten worin die Stärken und Defizite sowie mögliche Lösungen liegen. Eine Orientierung hierfür, bietet die Broschüre "Autistische Menschen am Arbeitsplatz" von autWorker (vgl. AutWorker 2014).

5.2 Geeignete Tätigkeitsbereiche

Bibliotheken können für Autisten an unterschiedlichsten Stellen geeignete Tätigkeiten bieten. Die klassischen Aufgaben sind in der Arbeit mit Büchern und anderen Medien zu verorten. Hierzu zählt das Ziehen und Ein-stellen von Büchern, Regalkontrollen, Buchbearbeitungen und der Zeitschriftenumlauf. Da Autisten gerne Sammeln, Katalogisieren, Indexieren oder Klassifizieren eignet sich auch die Akquisition als möglicher Arbeitsbereich um Medien zu bestellen und die formale wie inhaltliche Erschließung durchzuführen. Bei der Bestellung von Medien sollte jedoch darauf geachtet werden, dass Listen mit Medien zur Verfügung stehen, die bestellt werden sollen. Ansonsten könnte die selbstständige Auswahl von zu bestellenden Medien zu einer Überforderung führen.

Auch die Beschäftigung mit Tabellen, Daten und Statistiken könnten Tätigkeitsfehlder für Autisten darstellen.

Weiterhin haben viele Autisten mitunter die Neigung zu Tätigkeiten im IT-Bereich. Insbesondere seit Bibliotheken sich immer mehr den informationstechnologischen Herausforderungen stellen müssen, könnten Autisten in diesen Bereichen erfolgreich eingesetzt werden. Zu nennen sei die Arbeit mit Bibliothekskatalogen, Datenbanken, Bibliothekssystemen oder der Website. Aufgrund der Fähigkeit zur Mustererkennen könnten zukünftige Big Data-Projekte, beispielsweise im Zuge der Langzeitarchivierung, gute Tätigkeitsbereiche für Autisten darstellen.

5.3 Ungeeignete Tätigkeitsbereiche

Ob ein Tätigkeitsbereich für einen Autisten ungeeignet ist, sollte im direkten Austausch mit dem Autisten, ggf. nach Probearbeiten, besprochen werden.

Prinzipiell sollten Führungsaufgaben, Aufgaben bei denen der autistische Mitarbeiter selbstständige Entscheidungen über Arbeitsprozesse treffen muss oder eine leitende Rolle im Projektmanagement innehat mit Abstand betrachtet werden.

Tätigkeiten im Publikumsverkehr könnten für Menschen aus dem autistischen Spektrum ungeeignet sein, da sie mitunter zu sozialen Überforderungen führen. Individuell könnte jedoch auch die Vorliebe zum Kundenkontakt bestehen, da autistische Arbeitnehmer über ein reichhaltiges Wissen bezüglich ihrer Arbeit verfügen werden und bei Literaturrecherchen helfen könnten. Sofern Auskunftstätigkeiten nicht für den autistischen Mitarbeiter geeignet sind, könnte auch an der Ausleihe gearbeitet werden, wenn dies getrennt von der Auskunft stattfindet.

Wird der Mitarbeiter im direkten Publikumsverkehr eingesetzt, sollte da-rauf geachtet werden zwischendurch Pausen vorzugeben oder andere Tätigkeiten ohne Publikumsverkehr als Ausgleich zu bieten.

Sofern die Bibliothek Nutzeranfragen per E-Mail beantwortet, könnte auch dies von autistischen Mitarbeitern durchgeführt werden, da die Anforderungen an soziale Kompetenzen nicht so hoch sind wie im direkten Kontakt. Ob Chat-Beratungen sinnvoll sind gilt individuell zu prüfen.

5.4 Leitfaden und Job Coach

Ein Job Coach sollte, je nach individuellem Austausch mit dem Mitarbeiter, insbesondere bei einer Neubeschäftigung als Ansprechperson zur Seite stehen. Sofern der Betreuungsaufwand zu Beginn noch sehr hoch ist, oder auch im weiteren Verlauf eine regelmäßige Betreuung nötig ist, bietet sich ein externer Coach an.

Grundsätzlich bietet die Vorbereitung einer Kollegin oder eines Kollegen auf die Aufgabe als interner Coach, bzw. Mentor zwei positive Aspekte. Zum einen ist dieser Mentor direkt in die Abläufe der Bibliothek involviert und kann dem autistischen Kollegen umso mehr "Insiderinformationen" zukommen lassen. Zum anderen hat der autistische Mitarbeiter einen direkten Ansprechpartner im Team und kann so besser in bibliotheksinterne Themen eingebunden und integriert werden, als es mit einem externen Coach der Fall wäre.

Die Erstellung eines Leitfadens mit Hilfestellungen zu Grußformen in E-Mails, Verabschiedungen in Telefonaten, Unternehmenskulturellen Besonderheiten, die sonst nirgendwo festgehalten werden und Ansprech-partner für unterschiedliche Themengebiete ist grundsätzlich sinnvoll.

Hilfreich wäre auch eine Übersicht über die eigenen Kompetenzen und Grenzen zu erstellen. Hier muss jedoch geprüft werden, welche Tätigkeiten der Mitarbeiter ausführt und ob sich diese Frage überhaupt stellt.

Falls es sich bei der Bibliothek um eine große Bibliothek mit unterschiedlichen Abteilungen handelt, kann geprüft werden ob in dem Leitfaden Orientierungen zum Umgang mit unterschiedlichen Personengruppen, beispielsweise Professoren oder Nutzern, gegeben werden kann.

Empfehlenswert ist die Erstellung eines Leitfadens als Orientierung für die anderen Kollegen. Sofern noch keine Berührungspunkte mit einem Autisten bestanden, kann dieser Leitfaden hilfreich sein um grundsätzliche Fragen oder Befürchtungen zu klären. Mögliche Inhalte sind unter Punkt 5.1. genannten Generellen Hinweise und die Ausführungen unter Punkt 5.5 Kommunikation und soziale Interaktion.

5.5 Kommunikation und soziale Interaktion

Die meisten Autisten haben kein gutes Gefühl für soziale Regeln. Daher wissen sie nicht welche Erwartungen an sie gestellt werden, wie sie sich in einem Gespräch verhalten sollen und wie man ein wechselseitiges Gespräch führt. Es kann sein, dass ein autistischer Beschäftigter kaum spricht, sobald es um das Spezialinteresse geht aber in einen Monolog fällt und nicht merkt, dass dieser nicht gewünscht ist.

Generell ist eine klare, direkte und eindeutige Kommunikation mit Autisten zu empfehlen.

Da viele Autisten anderen nicht zur Last fallen und unangenehm auffallen wollen, kann es sein, dass Probleme nicht angesprochen werden. Daher sollte besonders zu Beginn der Tätigkeit darauf geachtet werden, ob der Mitarbeiter Unterstützung benötigt.

5.5.1 Autistischer Bewerber

Bewirbt sich eine Person aus dem autistischen Spektrum um eine Anstellung, oder erzählt während eines Vorstellungsgesprächs, er sei Autist, sollte offen und möglichst ohne Vorbehalte, Erwartungen oder Befürchtungen damit umgegangen werden. Bewerberinnen und Bewerber, die keinen autistischen Eindruck erwecken sollten ernst genommen und die Diagnose nicht angezweifelt werden.

Es sollte ein Austausch darüber stattfinden, was der Autismus für die betreffende Person bedeutet, welche Probleme (siehe Kapitel zwei) besonders relevant sind und wo die Stärken gesehen werden.

Wird der vorliegende Autismus bereits in der Bewerbung erwähnt, gilt es den Personalrat und die Schwerbehindertenvertretung zu dem Vorstellungsgespräch hinzuzuziehen. Hat der Bewerber eine betreuende Person, sollte diese auf Wunsch des Bewerbers ebenfalls bei dem Vorstellungsgespräch anwesend sein.

5.5.1 Autistische Mitarbeiter / Kollegen

Autisten führen nicht gerne Small-Talk. Für sie stellt dies uninteressante Informationen da und sie wissen mitunter nicht, wie sie auf Grundlage dieser Themen ein Gespräch führen sollen. Um mit einem Autisten in Kontakt zu kommen eignet sich ein Gespräch über das Spezialinteresse, doch sollte man darauf vorbereitet sein, dass dies in einen Monolog des Kollegen übergehen und man selbst nicht genügend Wissen darüber vorweisen kann.

Häufig besteht in Bibliotheken die Mentalität Pausen mit Kollegen zu verbringen. Sofern der autistische Kollege seine Pausen alleine verbringen möchte, ist dies kein Zeichen von Ablehnung. Pausen stellen für Autisten unstrukturierte Zeiten dar, in denen sie sich vielleicht eigene Routinen geschaffen haben um diese Zeit als Erholung zu nutzen. Gemeinsames Essen mit Kollegen stellt den autistischen Kollegen vor die Herausforderung nicht zu wissen, welche sozialen Erwartungen herrschen. Grundsätzlich zeigt es dem autistischen Kollegen jedoch, dass er im Team geschätzt wird und Interesse an seiner Gesellschaft besteht wenn dennoch hin und wieder gefragt wird, ob die Pause gemeinsam verbracht werden soll. Idealerweise wird in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass es verstanden wird, wenn das Angebot nicht angenommen wird.

Finden Aktivitäten außerhalb der normalen Arbeitssituation statt, beispielsweise eine Weihnachtsfeier, kann Menschen aus dem autistischen Spektrum entweder freigestellt werden, ob sie kommen möchten, oder es sollte ihnen Hilfe bezüglich der sozialen Erwartungen angeboten werden. Allein die Frage nach der richtigen Kleidung, wie lange man da bleiben muss und wie man mit unbekannten Kollegen umgeht kann einen Autisten ohne Hilfestellung überfordern. Grundsätzlich ist es zu empfehlen, dass während solcher Veranstaltungen ein vertrauter Kollege Begleit-, oder zumindest als Ansprechperson, zur Seite steht.

Viele Autisten verfügen über eine sehr klare visuelle Vorstellungskraft. Da sie vieles wörtlich verstehen, können manche Sprichwörter oder Redensarten auch so aufgefasst und zu negativen bildlichen Vorstellungen führen. So kann es passieren, dass ein Autist blankes Entsetzen verspürt, wenn ein Kollege ihm mitteilt, ihm würde wegen Kopfschmerzen der Kopf platzen. In solchen Momenten ist ein sensibler Umgang mit den autistischen Kollegen geboten um das Bewusstsein zu vermitteln, dass alles in Ordnung ist.

5.6 Strukturierungshilfen

Autistische Mitarbeiter sollten besonders zu Beginn der Tätigkeit nicht mit ihren Aufgaben alleine gelassen werden. Für einige Autisten ist die dauerhafte Erstellung von Tages- und Wochenplänen hilfreich. Andere brauchen diese überhaupt nicht.

Anhang 14 und 15 geben Beispiele wie ein Tagesplan Mithilfe eines Online-Systems aussehen kann. In diesem Fall kann der Plan online erstellt und für den jeweiligen Tag auf eine App übertragen werden. Dies hätte den Vorteil, dass der autistische Mitarbeiter mittels Smartphone oder Tablet stets über Benachrichtigungen darin erinnert wird, wenn Pausen gemacht werden sollen oder ein Tätigkeitenwechsel ansteht.

5.7 Veränderungen

Schon die kleinste Veränderung kann bei Autisten zu großer Angst führen und im schlimmsten Fall für diesen Tag zu Arbeitsausfällen. Es gibt zwar Autisten die mit Veränderungen gut umgehen können, doch sollte dies nicht vorausgesetzt werden. Daher sollte bei anstehenden Veränderungen so früh wie möglich eine Information an den autistischen Mitarbeiter herausgehen. Auf einer sachlich-informativen Ebene sollten ihm die zu erwartenden Veränderungen erläutert werden. Sofern es Veränderungen sind, die Mithilfe visueller Darstellungen erläutert werden können, stellt dies bei Autisten einen guten Zugangsweg dar.

Falls nicht schon solche Maßnahmen durchgeführt werden, stellt die Beschäftigung eines autistischen Mitarbeiters einen optimalen Zeitpunkt dar um die grundsätzliche Einführung von Change-Management in der Bibliothek anzugehen.

Fallen plötzliche, nicht vorhersehbare Veränderungen im Tagesablauf an, sollte es ernst genommen werden, wenn der autistische Mitarbeiter sich kurzzeitig zurücknehmen und erholen muss. Je nach individueller Ausprägung, kann eine Veränderung dazu führen, dass die Struktur und Sicherheit soweit zusammenbricht, dass es zu einer Reizüberflutung führt.

6. Schlussbetrachtung

Die vorliegende Arbeit zeigt, dass Menschen aus dem autistischen Spektrum gemeinsame Grundproblematiken aufweisen die letzten Endes zu einer solchen Diagnose geführt haben. Zugleich wird jedoch deutlich, dass jeder Mensch in diesem Spektrum ein Individuum mit unterschiedlich starken Ausprägungen der autistischen Besonderheiten darstellt.

Dies bezieht sich nicht nur auf bestehende Defizite, sondern auch auf Interessen und Stärken und nahm auch Einfluss auf die Entwicklung der Handlungsempfehlungen.

Mit den dargestellten Handlungsempfehlungen wurde versucht weit möglichst allgemeinen Bedürfnissen und Anforderungen zu entsprechen, um Führungskräfte, Kollegen und autistischen Mitarbeitern einer Bibliothek das Miteinander zu erleichtern.

Die Anforderungen an die Entwicklung von Handlungsempfehlungen, die "allgemeine Bedürfnisse und Anforderungen" für den Umgang mit Menschen innerhalb eines Spektrums erfüllen können, sind es jedoch, die diesen Empfehlungen die eigenen Grenzen setzen.

Jede Führungskraft und jeder Mitarbeiter wird daher vor die Verantwortung gestellt, die Empfehlungen nicht als allgemeingültig zu sehen, sondern als Orientierung für das berufliche und soziale Miteinander mit einem autistischen Beschäftigten. Da es sich bei jedem autistischen Menschen um ein Individuum handelt, führt dies dazu, dass die hier entwickelten Handlungsempfehlungen vielleicht eine optimale Hilfe für den Umgang mit dem einem bieten können, im Umgang mit einem anderen jedoch stark an den jeweiligen Menschen angepasst werden müssen.

Dies stellt den Bereich dar, in dem die Autisten selbst für sich eintreten und offen mit den Vorgesetzten oder Kollegen über ihre Defizite, aber auch über Stärken und mögliche Hilfestellungen in den Austausch treten müssen. Hinsichtlich autistischer Beschäftigter in Bibliotheken hätte dies bereits zu früheren Zeiten Sinn gemacht. Die im dritten Kapitel dargestellten Ergebnisse bezüglich autistischer Mitarbeiter in Bibliotheken zeigen, dass das Thema nicht erst relevant wird. Die Relevanz ist bereits da, denn es arbeiten schon jetzt Autisten in Bibliotheken.

Zudem werden Bibliotheken in der Literatur, von anderen Autisten oder von BBWs als geeignete Berufsfelder empfohlen.

Die Handlungsempfehlungen zeigen zwar, dass bei der Beschäftigung mit Menschen aus dem autistischen Spektrum auf diverse Aspekte geachtet werden muss. Gleichzeitig wurde in den Experteninterviews und den vor-gestellten Beschäftigten in Kapitel drei deutlich, dass trotz aller Probleme und Anstrengungen das berufliche Miteinander mit einem Autisten als bereichernde Erfahrung gesehen wird.

Autisten verfügen über andere Problemlösungsstrategien. Sie nehmen ihre Arbeitsumgebung auf eine andere Art wahr und sehen mit einem neuen Blickwinkel auf die Dinge als nicht-autistische Beschäftigte.

Besonders in unserem heutigen Zeitalter, mit ständig wandelnden informationstechnologischen Entwicklungen und veränderten Nutzererwartungen, stehen Bibliotheken immer wieder vor der Herausforderung, andere Blickwinkel einzunehmen und neue Wege zu gehen.

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Anhang

Anhang 1: Leitfaden zum Interview mit Dirk Müller-Remus

  1. Gab es nach der Gründung von Auticon und durch die Zusammenarbeit mit Menschen aus dem autistischen Spektrum bestimmte Ereignisse, Probleme oder positive Begebenheiten, die Sie überrascht haben und wo-mit Sie nicht gerechnet hätten?

  2. Auf der Website von Auticon werden Stärken autistischer Menschen genannt, die sich viele Arbeitgeber bei ihren Mitarbeitern wünschen würden.

Worin sehen Sie die größten Probleme im Arbeitsalltag, die einen Autisten in der Auslebung dieser Stärken negativ beeinflussen und bei der Arbeit einschränken?

  1. Wie haben Sie das Thema der räumlichen Gestaltung, z.B. im Hinblick auf eine reizarme Umgebung, an den unterschiedlichen Auticon-Standorten gelöst?

Gibt es beispielsweise interne Richtlinien, etwa zur Helligkeit des Lichts?

Im Folgenden beziehe ich mich auf ein Arbeitsumfeld mit Nicht-Autistischen Vorgesetzten und Kollegen, etwa in einer Bibliothek.

  1. Welche Empfehlungen haben Sie generell im Hinblick auf die räumliche Gestaltung des Arbeitsumfeldes für Menschen im autistischen Spektrum? Insbesondere, wenn sich mehrere Menschen einen Arbeitsbereich, bzw. ein Büro teilen müssen.

  2. Wie schätzen Sie die Offenheit und Bereitschaft von Arbeitgebern bezüglich der Beschäftigung autistischer Mitarbeiter in Unternehmen/öffentlichen Einrichtungen ein?

  3. Insbesondere in Internetforen wird häufig erwähnt, viele Betroffene würden ihren Arbeitgeber aus Furcht vor Vorurteilen nicht über ihre Autismus-Diagnose aufklären.

Halten Sie einen offenen Umgang mit dieser Thematik am Arbeitsplatz grundsätzlich für wichtig? Warum / Warum nicht?

  1. Die Genossenschaft autWorker bietet unter anderem Mitarbeiterfortbildungen an, um über das autistische Spektrum aufzuklären.

Wie bedeutsam halten Sie solch eine Fortbildung für Unternehmen/öffentliche Einrichtungen, insbesondere wenn es dort bereits einen autistischen Mitarbeiter gibt?

  1. Inwiefern halten Sie den Austausch über Stärken und Defizite zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ggf. auch unter Kollegen, für wichtig?

  2. Bei Auticon gibt es Job-Coachs als Bindeglied zwischen den Consultants und Kunden.

Würden Sie in einem Unternehmen/einer öffentlichen Einrichtung einen Kollegen, der in Form eines Autismusbegleiters als Ansprechperson zur Verfügung stehen kann, als sinnvoll einschätzen? Warum / Warum nicht?

  1. Was könnte einem Arbeitnehmer aus dem autistischen Spektrum, der nicht in einem geschützten und auf Autisten ausgerichteten Umfeld arbeitet, noch helfen?

  2. Haben Sie noch weitere Anregungen, die in den bisherigen Fragen keine Berücksichtigung fanden?

Anhang 2: Interview mit Dirk Müller-Remus

Anhand von Leitfragen wurde Dirk Müller-Remus, Gründer des IT-Unternehmens "Auticon", interviewt.

"Auticon" beschäftigt Menschen aus dem autistischen Spektrum, vermittelt sie als Consultants für zeitlich begrenzte Aufträge in andere Unternehmen und hat als erstes deutsches Unternehmen dieser Art hohen Bekanntheitsgrad in der Branche erzielt.

Herr Müller-Remus berichtet, er und seine Frau, durch einen autistischen Sohn mit persönlichem Bezug zum Autismus, hätten 2008 das erste Mal die Idee ein Unternehmen wie Auticon zu gründen.

Nach Kontaktaufnahme mit Thorkil Sonne, Gründer des Unternehmens Specialisterne in Dänemark[4], fuhr Herr Müller-Remus ab 2009 mehrmals zwecks Erfahrungsaustauschs nach Dänemark.

Die Initialzündung für die Gründung Auticons war jedoch das Treffen ei-ner Selbsthilfegruppe in 2010, bei dem zwanzig bis fünfundzwanzig Autisten von ihrem beruflichen Werdegang erzählten und deutlich wurde: Ob-wohl diese gute Ausbildungen vorweisen konnten, waren sie dennoch arbeitslos.

In der Folgezeit lernte Herr Müller-Remus viele Autisten kennen, so auch Sebastian Dern, Mitglied in der Selbsthilfeorganisation Aspies e.V.. Dieser unterstützte ihn unter autistischen Gesichtspunkten bei der Gestaltung des Auticon-Konzepts. Ergänzend hatte auch der Kontakt zur Freien Universität Berlin[5] einen unterstützenden Charakter. Dies führte dazu, dass Herr Müller-Remus 2011 die Arbeit mit Auticon beginnen konnte.

Während seiner Zusammenarbeit mit Autisten merkte er, dass die in der Literatur beschriebenen Stärken autistischer Menschen auch auf die Realität zutrafen. Einige würden die Erwartungen sogar noch "übererfüllen" und Stärken aufweisen, die "viel schillernder und noch viel vielfältiger" und stärker ausgeprägt waren, als man es erwarten würde. Als mögliche Stärken nennt Herr Müller-Remus die ausgeprägte Fähigkeit zur Muster-erkennung, eine ausgeprägte Fähigkeit zur Detailerkennung und ein analytisch-logisches Denkvermögen. Zudem würden Autisten sorgfältig, genau, gewissenhaft und konzentriert arbeiten. Mögliche Probleme sind eine eingeschränkte Flexibilität, Probleme bei einer kurzfristigen Änderung von Tagesordnungspunkten und Reizüberflutungen. In der sozialen Interaktion wurden grundsätzliche Kommunikationsprobleme und Defizite im Ein-führungsvermögen angeführt.

Durch die Zusammenarbeit mit Autisten bildete sich bei Herrn Müller-Remus schnell das Bewusstsein, dass es nicht "DIE Autisten gibt und auch nicht DIE Asperger-Autisten und auch nicht DIE hochbegabten Autisten, sondern es ist wirklich von Mensch zu Mensch ganz und gar unterschiedlich ausgeprägt". Dies führt dazu, dass jeder Autist als ein Individuum verstanden werden und mit jedem Autisten ein individueller Weg gegangen werden muss.

Im Hinblick auf Auticon erzählt Herr Müller-Remus, dass 95 Prozent der dort beschäftigen zuvor langzeitarbeitslos waren. Aufgrund dessen und, weil das Leben vieler Autisten häufig von negativem Feedback geprägt war, bestünde bei vielen ein geringes Selbstwertgefühl. Daher ist es zunächst Aufgabe, den autistischen Mitarbeitern das Bewusstsein zu vermitteln, dass sie akzeptiert werden wie sie sind und nicht versuchen müssen wie ein Nicht-Autist zu funktionieren.

Die Gestaltung der Arbeitsumgebung sieht Herr Müller-Remus als einen untergeordneten Aspekt. Zwar sollte, um das Problem der Reizüberflutung zu verringern, die Arbeitsumgebung optisch, akustisch und geruchsmäßig möglichst reizarm gestaltet sein, doch hat Herr Müller-Remus folgende Erfahrung gemacht: Da die autistischen Mitarbeiter bei Auticon für zeitlich begrenzte Aufträge an externe Unternehmen vermittelt werden, müssen sie sich häufig mit Arbeitsumgebungen arrangieren, die nicht immer reizarm sind. Dies stellte bisher noch keinen Grund dar, warum ein Consultant die Tätigkeit in einem solchen Unternehmen nicht durchführen konnte.

Wichtiger sei es, dass sich die Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz aufgenommen fühlen und das soziale Miteinander stimmt.

Herr Müller-Remus führt an, dass die ihm bekannten Auftraggeber verantwortungsvoll und sensibel mit diesem Thema umgingen und es akzeptiert wird, wenn der autistische Mitarbeiter kein Interesse an gemeinsamen Pausen oder Betriebsausflügen hat.

Hinsichtlich der allgemeinen Offenheit und Bereitschaft von Arbeitgebern, Menschen aus dem autistischen Spektrum zu beschäftigen sieht Herr Müller-Remus die Verantwortung diesbezüglich nicht nur bei den Arbeit-gebern, sondern auch bei den Autisten selbst.

Viele Autisten haben in ihrer beruflichen Laufbahn versucht sich anzupassen und die autistischen Eigenschaften zu verstecken.

Deshalb sei es in der Verantwortung der Autisten, offen mit dem Autist-Sein umzugehen und dies dem Vorgesetzten mitzuteilen.

Nur indem ein Vorgesetzter weiß, dass sein Mitarbeiter Autist ist, besteht überhaupt die Chance auf Probleme einzugehen.

In vielen Fällen weiß ein Arbeitgeber oder Vorgesetzter nur wenig über Autismus, besonders das autistische Spektrum ist häufig eine Unbekannte. Deshalb sollte ein autistischer Mitarbeiter nicht nur offen mit dem Autismus umgehen, sondern auch auf Bedürfnisse und Lösungsmöglichkeiten eingehen (bspw. klare, direkte Ansprache, reizarme Umgebung).

Indem das Gegenüber des autistischen Mitarbeiters weiß, worum es geht, kann es sich darauf einstellen und sich bei Bedarf weiter über dieses Thema informieren.

Herr Müller-Remus spricht sich jedoch nicht nur für einen offenen Umgang mit dem Autismus aus, sondern beschreibt, dass die Autisten sich mehr auf ihre Stärken konzentrieren sollten.

Das Problem hierbei sei, dass viele Autisten nicht wüssten worin ihre Stärken liegen. Auch sei vielen nicht klar, dass ihre ausgeprägten Spezialinteressen eine Leidenschaft darstellen, die als berufliche Stärke genutzt werden kann, so dass das Bewusstsein dafür geschaffen werden muss. Dies könne durch Fähigkeiten-Workshops geschehen wie sie von der Genossenschaft autWorker angeboten werden.

Im Bezug auf Mitarbeiterfortbildungen zum Thema Autismus sieht Herr Müller-Remus das Problem, dass dies als Pflichtveranstaltung aufgefasst werden könnte und Desinteresse seitens der Mitarbeiter besteht.

Hinzu kommt, dass solch eine Fortbildung nur grundlegendes Wissen über Autismus vermitteln kann.

In der Zusammenarbeit hilft dies jedoch nur wenig, da der autistische Mitarbeiter seine individuellen Stärken, Schwächen und Probleme hat. Deshalb sei es erfolgsversprechender im direkten Austausch miteinander zu sein und aus der täglichen Zusammenarbeit zu lernen.

Um den Austausch zu fördern, können Job Coachs sinnvoll sein.

Diese hält Herr Müller-Remus nach seinen Erfahrungen mittlerweile sogar für unverzichtbar.

Nach Möglichkeit sollte Kollegen dies nicht übernehmen, sondern externe Coachs. Bei Kollegen bestünde das Risiko, dass die Funktion des Coachs im Laufe der Zeit untergeht und auch vergessen wird, dass der Mitarbeiter Autist ist. Ein externer Coach hingegen ist für alle präsent, kann für alle Seiten als Ansprechpartner fungieren und stärkt so das Bewusstsein, einen autistischen Mitarbeiter zu haben.

Mögliche Themen, bei denen ein Coach dem autistischen Mitarbeiter beratend zur Seite stehen könnte, wäre Unterstützung bei der Formulierung von Anreden, bzw. Grußformen in E-Mails.

Hier haben laut Herrn Müller-Remus viele Autisten ein Problem über die Entscheidung der richtigen Wortwahl. So sei häufig nicht klar, ob beispielsweise "Sehr geehrter", "Hallo", "Lieber" oder eine andere Anrede richtig ist.

Sowohl für den Job Coach, als auch für Kollegen und Vorgesetzte des autistischen Mitarbeiters gilt jedoch zu beachten, dass Autisten dazu neigen wenig zu fragen, so dass davon ausgegangen wird, dass alles okay sei. Dies sei jedoch nicht immer der Fall und müsse den beteiligten Personen bewusst gemacht werden.

Es sollte auf den autistischen Kollegen zugegangen und direkt nachgefragt werden, ob alles in Ordnung ist oder Klärungsbedarf besteht.

Insbesondere bei Unsicherheiten oder Dingen, die Probleme bereiten und die der autistische Mitarbeiter nicht von selbst anspricht, besteht das Risiko, dass der Betroffene versucht sich möglichst anzupassen und normal erscheinen will. Dies kann jedoch dazu führen, dass, aus dem Gesichtspunkt von Kollegen und Vorgesetzten, ein plötzlicher Zusammenbruch des betroffenen Mitarbeiters vorkommt mit dem niemand gerechnet hat.

Bibliotheken seien laut Herrn Müller-Remus geeignete Arbeitsplätze für Autisten, da hier die Möglichkeit besteht gut strukturiert, reizarm, mit Regelabläufen und geringer Hektik die Aufgaben durchführen zu können.

Für Autisten geeignete Tätigkeiten seien in der Katalogisierung oder der Indexierung zu finden. Auch Tätigkeiten, die aus Sortieren, Klassifizieren und Kopieren bestehen seien für einen Autisten geeignet und entsprächen genau seinem Fähigkeiten- und Interessenprofil.

Ob die Tätigkeit im Publikumsverkehr möglich ist, kommt nach Herrn Müller-Remus auf jeden Einzelnen an.

Im Zusammenhang mit der zukünftigen Entwicklung von Auticon führte Herr Müller-Remus an, dass aufgrund der ausgeprägten Mustererkennung auch Projekte im Big Data-Bereich für Autisten eine hohe Attraktivität darstellen.

Anhang 3: Leitfaden zum Interview mit Hajo Seng

  1. Wie schätzen Sie die Offenheit und Bereitschaft von Arbeitgebern bezüglich der Beschäftigung autistischer Mitarbeiter in Unternehmen / öffentlichen Einrichtungen ein?

  2. Insbesondere in Internetforen wird häufig erwähnt, viele Betroffene würden ihren Arbeitgeber aus Furcht vor Vorurteilen nicht über ihre Autismus-Diagnose aufklären.

Halten einen offenen Umgang mit dieser Thematik am Arbeitsplatz grundsätzlich für wichtig? Warum / Warum nicht?

  1. autWorker bietet unter anderem Fähigkeitenworkshops für Autisten an.

Inwiefern kann so ein Workshop gerade im Hinblick auf die Berufstätigkeit wichtig sein?

  1. Inwiefern halten Sie den Austausch über Stärken und Defizite zwischen Arbeitgeber und autistischem Arbeitnehmer, ggf. auch unter Kollegen, für wichtig?

  2. Worin sehen Sie die größten Probleme im Arbeitsalltag, die einen Autisten in der Auslebung seiner Stärken negativ beeinflussen und bei der Arbeit einschränken?

  3. Welche Empfehlungen haben Sie für die räumliche Gestaltung des Arbeitsumfeldes für Menschen im autistischen Spektrum?

Insbesondere, wenn sich mehrere Menschen einen Arbeitsbereich, z.B. ein Büro, teilen müssen.

  1. Es gibt ebenfalls Mitarbeiterfortbildungen um über das autistische Spektrum aufzuklären.

Ist es empfehlenswert, dass insbesondere neurotypische Mitarbeiter aus Unternehmen/öffentliche Einrichtungen, die autistische Mitarbeiter beschäftigen, an solchen Fortbildungen teilnehmen?

  1. Wodurch zeichnet sich eine Bibliothek als einen geeigneten Arbeitsplatz für Menschen aus dem autistischen Spektrum aus?

Gibt es Ihrer Meinung nach Tätigkeiten in einer Bibliothek, die für Autisten besser geeignet sind als andere? Wenn ja, welche und warum?

  1. Bei Auticon gibt es Job-Coaches als Bindeglied zwischen den Consultants und Kunden.

Würdest du in einem Unternehmen/einer öffentlichen Einrichtung einen Kollegen, oder eine externe Person, als Autismusbegleiter, als sinnvoll einschätzen? Warum / Warum nicht?

  1. Inwiefern schätzen Sie die Erstellung eines Leitfadens mit den wichtigsten (sozialen) Regeln, die im jeweiligen Unternehmen herrschen, als sinnvoll ein?

  2. Haben Sie weitere Anregungen, die in den bisherigen Fragen keine Berücksichtigung fanden?

Anhang 4: Interview mit Hajo Seng

Anhand eines Leitfadens fand das Interview mit dem Gründer der Hamburger Genossenschaft autWorker statt. AutWorker besteht aus autistischen Mitgliedern und wurde mit dem Ziel gegründet, Bindeglied zwischen dem Arbeitsmarkt und autistischen Menschen zu sein. Herr Seng, selbst Asperger-Autist, ist in der IT-Abteilung der Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky in Hamburg tätig.

Herr Seng schätzt die Offenheit und Bereitschaft von Arbeitgebern bezüglich der Einstellung von autistischen Mitarbeitern so ein, dass bei der Erwähnung von Autismus zunächst an eine Behinderung gedacht wird. Auch bestehen die unterschiedlichsten Vorstellungen über Autismus, sowohl im negativen wie positiv Sinne.

Bei vielen nicht-autistischen Menschen überwiegt die Vorstellung, Autismus würde stets so eine starke Behinderung bedeuten, dass Betroffene kaum zu einem selbstständigen Leben fähig seien. So passt es nicht in die Vorstellung, wenn ein Autist dann doch viel "normaler" wirkt.

Hinsichtlich der Beschäftigung von Autisten besteht die Sorge, dies könne mit generellen Problemen am Arbeitsplatz und Schwierigkeiten im Team verbunden sein.

Seiner Erfahrung nach gibt es in Unternehmen, die autistischen Mitarbeitern gegenüber offen sind, häufig an der entscheidenden Personalposition jemand, der bereits durch eigene Kinder oder Bekannte in Berührung mit dem Thema Autismus gekommen ist. So fallen in diesen Fällen die Berührungsängste hinsichtlich dieser Thematik geringer aus.

Insbesondere wegen den häufig einseitigen Vorstellungen über Autismus hält Herr Seng einen offenen Umgang diesbezüglich für wichtig.

Mitunter sprechen autistische Mitarbeiter aus Sorge vor Vorurteilen ungerne mit Vorgesetzten oder Kollegen über Probleme, die aus dem Autismus resultieren. Daher sieht Herr Seng auch die Möglichkeit, individuelle Probleme anzusprechen, ohne sofort den vorliegenden Autismus zu erwähnen.

Vielmehr könnte dem Vorgesetzten zunächst vermittelt werden welche Probleme (bspw. in der Arbeitsumgebung) bestehen. So könnte eine Verbesserung dieser Situation angestrebt werden, ohne zwangsläufig den Autismus erwähnen zu müssen.

Herr Seng beschreibt, dass in den von autWorker angebotenen Fähigkeiten-Workshops für Autisten immer wieder festgestellt wird, viele Autisten hätten kein Bewusstsein für ihre Stärken und das eigene Potenzial.

Insbesondere durch negative Erfahrungen neigen sie dazu, den Autismus in erster Linie selbst als Behinderung zu sehen.

So wird in den Fähigkeiten-Workshops versucht den Betroffenen ein Bewusstsein für die eigenen Stärken zu vermitteln. Dies kann sich auch positiv auf die Berufstätigkeit auswirken.

Generell empfiehlt Herr Seng, besonders vor dem Hintergrund Vorgesetzten von der Autismus-Diagnose zu erzählen, die "eigenen Potenziale in den Vordergrund" zu stellen. Auch sei ein eigener, offener Umgang im Bezug auf die eigenen Stärken und Schwächen eine Möglichkeit, um zugleich einen offenen Umgang im Arbeitsumfeld zu fördern.

Hierdurch würde vermieden, dass der Betroffene zu sehr versucht sich an seine Umgebung anzupassen und etwas darzustellen, das er gar nicht ist.

Probleme am Arbeitsplatz stellen für jeden Menschen einen Stressfaktor dar. Für Autisten sei dies jedoch besonders belastend, so dass stets eine Lösung der Probleme angestrebt werden sollte.

Kann der autistische Mitarbeiter im Gespräch mit seinem Vorgesetzten keine Lösung herbeiführen, besteht die Möglichkeit eine neutrale Person hinzu zuziehen. Grundsätzliche Ansprechpartner wären zunächst der Personalrat und Schwerbehindertenbeauftragte. Doch insbesondere jemand mit Kenntnis über Autismus, etwa jemand von autWorker, könnte auch einbezogen werden um die Relevanz für die betreffende Person zu verdeutlichen und zwischen beiden Seiten zu vermitteln. So könnte erklärt werden, dass für einen Autisten die Arbeit in einem Großraumbüro weitaus belastender sein kann als für Nicht-Autisten.

Als eines der größten Probleme vieler Autisten, die bei der Ausübung der Stärken und Durchführung der Arbeit hinderlich sein können, führt Herr Seng die generell falsche Berufswahl an. So hat er im Rahmen seiner Tätigkeit bei autWorker die Erfahrung gemacht, dass es durchaus Autisten mit Führungsaufgaben oder im Projektmanagement gibt und hält diese Tätigkeiten, sofern Kerntätigkeit, mitunter für ungeeignet. Auch der Wareneinkauf und die Verhandlung von Preisen werden als suboptimale Tätigkeitsfelder verstanden.

Da Bibliotheken über vielfältige Tätigkeitsbereiche verfügen empfiehlt er, sich darüber zu informieren und auszuprobieren welcher Bereich am ehesten dem Fähigkeitenprofil entspricht. So besteht insbesondere die Unterscheidung von Tätigkeiten mit und ohne Publikumsverkehr.

Tätigkeiten an der Ausleihe oder an der Information könnten seiner Meinung nach auch für Autisten geeignete Arbeitsbereiche sein. Insbesondere an der Information könnte ein Autist sein spezielles Fachwissen einbringen.

Als geeignete Tätigkeiten ohne Publikumsverkehr seien bspw. Magazinarbeiten oder Tätigkeiten im IT-Bereich zu nennen.

Wenig geeignet hingegen seien wechselnde Tätigkeiten, insbesondere wenn diese während des Tages variieren. Als Beispiel sei die Tätigkeit des Fachreferenten genannt, die nicht nur aus der Medienauswahl, sondern meist auch aus dem Auskunftsdienst und weiteren Aufgaben besteht. Besser sei ein Tätigkeitsbereich in dem die Aufgaben unter ein Thema fallen.

Als ein weiteres wichtiges Problemfeld wird das soziale Umfeld, der generelle Umgang mit Kollegen oder das Vorliegen von Mobbing angeführt.

Hier müsse man frühzeitig eingreifen um eine Lösung für beide Seiten erreichen zu können. Umso fortgeschrittener die Probleme im sozialen Mit-einander seien, desto schwieriger sei es, den Konflikt aufzulösen.

Auch die Gestaltung des Arbeitsplatzes sei ein wichtiges Thema das Probleme birgt. Hier führt Herr Seng an, dass Autisten sehr unterschiedliche Bedürfnisse diesbezüglich haben können.

Der Eine kann ohne Probleme in einem Großraumbüro arbeiten, während jemand anders es nicht erträgt sich mit einer anderen Person ein Büro zu teilen.

Für Herrn Seng selbst hat sich eine Konstellation zu Zweit oder zu Dritt bewährt, sofern es sich um Kollegen handelt, die ihrer Tätigkeit im ruhigen Rahmen nachgehen.

Bezüglich der räumlichen Gestaltung kann daher keine grundsätzliche Empfehlung gegeben werden. Es besteht jedoch die Tendenz zu ruhigen und konzentrationsfördernden Umgebungen.

Grundsätzlich sieht er die Gestaltung des Arbeitsplatzes als ein Problemfeld, das am besten behandelt werden kann.

Um Vorgesetzte und Mitarbeiter über das autistische Spektrum und die Bedeutung bezüglich autistischen Mitarbeitern zu informieren, erachtet Herr Seng Mitarbeiterfortbildungen in Unternehmen als sinnvoll, die sich dem Thema autistischer Fähigkeiten annehmen wollen und eine generelle Einführung erhalten möchte.

Sofern es jedoch um einen konkreten Mitarbeiter vor Ort geht, wäre es erfolgsversprechender im individuellen Austausch mit dem Mitarbeiter zu sein. Um diesen Austausch zu unterstützen, kann ein Job Coach seiner Meinung nach sinnvoll sein, besonders in der Einstiegsphase in Form eines externen Coachs. Im weiteren Verlauf wäre es der beste Weg, wenn jemand aus dem direkten Arbeitsumfeld (Kollege, Personalrat, Schwerbehindertenbeauftragte) als Ansprechpartner eingesetzt werden könnte.

Die Erstellung eines Leitfadens mit den ungeschriebenen sozialen Regeln in der jeweiligen Unternehmenskultur, hält Herr Seng für sinnvoll.

Als mögliche Inhalte führt er Anreden in E-Mails an. Auch eine Orientierung über den Umfang eigener Kompetenzen und Entscheidungsfreiheit sei ein möglicher Inhalt.

Generell wäre eine Orientierung hilfreich, wie man sich gegenüber bestimmten Personen oder Personengruppen verhält.

Zwar gibt es durchaus Mitarbeiterseminare die die generelle Kommunikation im Publikumsverkehr zum Inhalt haben, doch ist dies sehr grundsätzlich und deckt nicht alle Problemfelder eines autistischen Mitarbeiters ab.

Laut Herrn Seng können Bibliotheken aus zwei Aspekten heraus ein geeigneter Arbeitsplatz für Autisten sein.

Zum Einen gibt es Bereiche in denen weniger unter Zeitdruck gearbeitet werden muss, als in anderen Berufen.

Zum Anderen besteht seiner Ansicht nach in Bibliotheken meist keine "Mitarbeitermonokultur", so dass eine stärkere Toleranz mit den unterschiedlichsten Menschen und deren Charakteren vorherrscht.

Er führt an, dass es sich bei seinem Arbeitgeber um ein harmonisches Miteinander handelt. Doch habe er auch erfahren, dass dies nicht in allen Universitätsbibliotheken so sei.

In anderen Berufsbereichen herrsche häufiger ein hoher Zeitdruck und eine "Mitarbeitermonokultur", so dass ein Mensch, der sich aufgrund seines Autismus' von der Gesellschaft abhebt, dort stärkeren Problemen ausgesetzt sein kann.

Bei seinem Vorstellungsgespräch in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg gab Herr Seng seinen Autismus an. In einem Mitarbeitergespräch erhielt er später das Feedback, es hätte die Annahme bestanden, dass Herr Seng durch seine andere Art etwas frischen Wind in die Abteilung bringen würde. Dies bestätigte sich und sei nach Herrn Sengs Erfahrung ein Aspekt, über den Arbeitgeber sich nicht im Klaren seien, wenn es um autistische Mitarbeiter geht. Autisten gehen häufig anders an Probleme heran, haben andere Problemlösungsstrategien. So kann durch die Beschäftigung autistischer Mitarbeiter ein anderer Blick auf die Dinge erfolgen. Grundsätzliche, meist unterschwellige Probleme werden deutlich und bestimmte Strukturen oder Arbeitsabläufe können verbessert werden.

Anhang 5: Leitfaden zum Interview mit Christian Nolte

  1. Laut Artikel in der IHK Zeitung machen Herr Schmidt und Herr Dismer die Ausbildung zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung.

Wie sind Sie auf die beiden aufmerksam geworden? Haben beide sich z.B. bei Ihnen beworben?

  1. Wussten Sie vor der Einstellung über die möglichen Stärken und Probleme, insbesondere beim Asperger-Autismus, Bescheid? Was führte zu der Entscheidung der Einstellung?

  2. Wurde das restliche Team bei dieser Entscheidung einbezogen, z.B. nach Erfahrungen oder Befürchtungen gefragt?

  3. Welche Stärken und positiven Aspekte bildeten sich in der Zusammenarbeit insbesondere mit Herrn Schmidt heraus?

  4. In dem Artikel wird erwähnt, dass es lange Zeit Zweifel an einer funktionierenden Zusammenarbeit gegeben habe. Welche Probleme sind generell aufgetreten? Gab es Probleme mit denen Sie in grundsätzlich oder in ihrer Intensität nicht gerechnet haben?

  5. Gab es bestimmte räumliche Anpassungen um den Arbeitsplatz möglichst reiz- und ablenkungsfrei zu gestalten?

  6. Wie wurden die anderen Mitarbeiter einbezogen, so dass nun doch eine gute Arbeitsatmosphäre entstehen konnte?

  7. Hatten Sie einen begleitenden Job-Coach der zu Beginn, oder auch jetzt noch, bei der Einarbeitung und der Klärung von Fragen und Problemen zur Seite stand/steht?

  8. Haben Sie sich zu Beginn, oder ggf. im Laufe der Zusammenarbeit, mit Herrn Schmidt darüber ausgetauscht, was ihm Probleme bereitet und wie man diese lösen könnte?

  9. Wurde eine Art Leitfaden erstellt, in denen wichtige Absprachen oder Orientierungsmöglichkeiten für das (soziale) Miteinander gesammelt wurden, so dass sich Herr Schmidt daran orientieren konnte?

Wenn nein: Hätten Sie solch einen Leitfaden im Nachhinein für sinnvoll gehalten?

  1. Haben Sie noch weitere Anregungen, die in den bisherigen Fragen keine Berücksichtigung fanden?

Anhang 6: Interview mit Christian Nolte

Interviewt wurde Christian Nolte, Geschäftsführer des IT-Unternehmens "Velian". Dieses stellte vor drei Jahren den ersten Asperger-Autisten ein. Seit kurzem wird ein zweiter Asperger-Autist eingearbeitet. Auch gehört ein Mitarbeiter mit Mutismus in das Velian-Team.

Das IT-Unternehmen Velian beschäftigt zwei Mitarbeiter mit dem Asperger-Syndrom (Herr Schmidt, Herr Timmer) und einen Mitarbeiter mit Mutismus (Herr Dismer).

Die jeweiligen betreuenden Institutionen (Lavie[6], Lebenshilfe[7] und Ausbildungsverbund[8]) stellten den Kontakt zu Herrn Nolte her und erkundigten sich nach der Bereitschaft zwecks Praktikums und eventueller Berufsausbildung im Softwarebereich. Bevor Herr Schmidt bei Velian anfing, bestanden für Herrn Nolte noch keine Berührungspunkte zum Autismus und daher keinerlei Kenntnisse darüber. Durch die Lavie bekam Herr Nolte eine Übersicht mit möglichen Einschränkungen bezüglich des Asperger-Syndroms (bspw. fehlender Blickkontakt, ablenkende Umgebungsgeräusche) zur Verfügung gestellt.

Herr Schmidt befindet sich ab September 2014 im dritten und letzten Ausbildungsjahr. Als dieser sich vor drei Jahren vorstellte, war auch seine zuständige Betreuerin der Lavie anwesend. Entgegen des Informationsschreibens konnte Herr Schmidt während des Vorstellungsgesprächs schnell einen Draht zu Herrn Nolte aufbauen, was wahrscheinlich dem Umstand geschuldet war, dass Herr Schmidt ein gemeinsames Gesprächsthema mit Herrn Nolte hatte und sich über sein Spezialinteresse austauschen konnte (IT/Computer, etc.). Blickkontakt war ihm möglich und auch lautere Umgebungsgeräusche waren für Herrn Schmidt zu Händeln. Er begann zunächst mit einem Probearbeiten. Diese wurde anschließend in ein Praktikum umgewandelt und ein Jahr lang als Vorbereitung auf die Berufsausbildung genutzt.

Kurz vor Beginn der Ausbildung nahm Herr Schmidt am Berufsschulunterricht teil um herauszufinden, wie es sich mit den akustischen Reizen und dem Kontakt zu Mitschülern verhält.

Seit Beginn der Berufsschule wird Herr Schmidt nicht mehr durch die Lavie betreut.

Herr Nolte berichtet, Herr Schmidt habe zuvor bereits in einer Behindertenwerkstatt gearbeitet, dort jedoch kaum Berührungspunkte mit Computern gehabt. Die IT-Fähigkeiten, die für die berufliche Tätigkeit bei Velian notwendig sind, habe er sich autodidaktisch beigebracht.

In der ersten Woche bei Velian war die Betreuerin von Herrn Schmidt unterstützend anwesend. Bereits ab der Folgewoche war diese jedoch nicht mehr nötig. Durch die Lavie wurde Herrn Nolte nahegelegt für Herrn Schmidt vorab einen Wochenplan zu erstellen, so dass dieser immer wusste, was auf ihn zukommt und er sich in seinem Tagesablauf sicher fühlte. Auch wurden zwei Pausen zu festen Zeiten eingeplant.

Die Orientierung durch diesen Plan war für Herrn Schmidt zunächst von Vorteil. Als diese Planung zwischenzeitlich aus organisatorischen Gründen nicht erstellt werden konnte, wurde jedoch deutlich, dass Herr Schmidt auch ohne diesen zurechtkam. Insbesondere fiel auf, dass die festgelegten Pausen nicht mehr eingehalten wurden, da Herr Schmidt merkte, dass diese nicht nötig waren.

Heute arbeitet Herr Schmidt ohne Wochenplan und macht, wie die anderen Kollegen auch, zu selbstbestimmten Zeiten Pause.

Unabhängig von der Wochenplanung stehen für Herrn Schmidt Aufgaben im System bereit und er konnte sich schnell einarbeiten.

Herr Nolte beschreibt, dass bezüglich der Bearbeitung von Aufgaben insbesondere die Strukturierung durch Checklisten hilfreich war, da Aufgaben oder Arbeitsvorgänge kontrolliert und abgehakt werden konnten.

Ohne diese Strukturierung traten bei Herrn Schmidt schneller Probleme bei der Bearbeitung der Aufgaben auf, da die nötige Übersicht verloren ging. Auch falle auf, dass Herr Schmidt bei mehreren Aufgaben dazu neigt eine Aufgabe zu bearbeiten und sich bei Bearbeitungsschwierigkeiten einer anderen Aufgabe widme. Dies ginge soweit, bis mehrere angefangene Aufgaben zu einer Überforderung führen. Daher ging seitens Herrn Nolte die Empfehlung aus, nicht mehr als zwei Aufgaben gleichzeitig zu bearbeiten.

Herr Nolte betont jedoch, dass dies bei allen anderen Mitarbeitern auch der Fall sei, nur, dass es bei diesen später, also bspw. bei mehr zeitgleichen Aufgaben eintreten würde. Für Herrn Nolte hat sich dadurch der persönliche Mehrwert ergeben zu lernen, wie er Aufgaben, auch im Hinblick auf die anderen Kollegen, strukturieren muss.

Ein Problem besonders zur Anfangszeit war, dass Herr Schmidt mit vielen Detail-Zwischenfragen zu Herrn Nolte ging und kein Gespür dafür hatte, wenn dieser in anderen Dingen vertieft war und keine Zeit hatte. Dies führte dazu, dass Herr Nolte später zu ihm kommen wollte. Wenn dies dann nicht erfolgte, führte es bei Herrn Schmidt zu Irritation. Inzwischen habe Herr Schmidt gelernt Anzeichen zu erkennen, wenn Herr Nolte gerade nicht ansprechbar sei.

Besonders zu schätzen wusste Herr Nolte von Beginn an die offene und direkte Art seitens Herrn Schmidt. Findet dieser fachlich etwas nicht gut, wird dies direkt von ihm angesprochen, ohne ein "Blatt vor den Mund" zu nehmen. Im Umgang mit Kollegen ist er jedoch zurückhaltender.

Nach einiger Zeit übergab Herr Nolte auch Aufgaben im direkten Kunden-kontakt an Herrn Schmidt. Dies fand zunächst bei ausgewählten Kunden und mit der Information statt, dass Herr Schmidt Asperger-Autist sei und aufgrund dessen selbst schwer merkt, wenn er zu viel spricht. Die Kunden sollten ihn daher unterbrechen wenn er etwas zu umfangreich erklärte.

Hier führt Herr Nolte an, dass man sich selbst erst daran gewöhnen müsse jemanden zu unterbrechen, doch dies sei im Umgang mit Herrn Schmidt wichtig und richtig.

Inzwischen führt Herr Schmidt Kundengespräche selbstständig per E-Mail und am Telefon. Telefonisch ist eine monotone Intonation erkennbar.

Hinsichtlich der Formulierung der E-Mails musste er die richtige Mischung zwischen Freundlichkeit und Sachlichkeit lernen. Dies sei ihm mittlerweile so gut gelungen, dass die E-Mails als Vorbild für andere genutzt werden könnten.

Im Bezug auf die Telefonate fiel auf, dass Herrn Schmidt die Verabschiedungsfloskeln zunächst nicht lagen und er darauf hingewiesen werden musste das Telefonat mit einer Verabschiedung zu beenden.

Grundsätzlich sei es so, dass man Herrn Schmidt einmal auf etwas hinweisen muss, er dies verinnerlicht und es anwendet.

Herr Nolte beschreibt, dass Herr Schmidt zu wenig nach seiner eigenen Meinung gefragt wurde. In Gesprächen mit der Lavie wurde zwar darüber gesprochen, was gut für ihn sei, doch niemand habe ihn direkt gefragt was er davon halte. Für Herrn Nolte sei es daher eine Selbstverständlichkeit ihn direkt anzusprechen und nach seiner Meinung zu fragen.

Bezüglich der Integration von Herrn Schmidt ins Velian-Team beschreibt Herr Nolte, das dieser in Teambuilding-Maßnahmen einbezogen wurde. Die anderen Mitarbeiter waren seiner Einstellung gegenüber offen, er wurde ins Team integriert und es wurde darauf geachtet ihn, soweit wie möglich, wie alle anderen auch zu behandeln. Zudem verfügt die Velian über einen Kommunikations- und Strategiecoach der bei Bedarf das Team coacht (dies nicht nur im Hinblick auf autistische Mitarbeiter).

Dennoch war bezüglich der Anfangszeit deutlich, dass es für das ganze Team mit Anstrengung und Belastung verbunden war. Teilweise wurden Kollegen durch den Abbau von Nervosität (Bein wippen) abgelenkt. Auch haben sich die Teamstrukturen etwas geändert. Zudem hat Herr Schmidt kein Gespür für die Lautstärke seiner Stimme und neigte zu lautem sprechen, wodurch andere sich abgelenkt fühlten.

Herr Nolte empfahl den Mitarbeitern (auch heute noch) Herrn Schmidt bei Problemen direkt Feedback zu geben und klar zu sagen, was nicht in Ordnung ist oder was einen ablenkt. Dies sei für einige jedoch immer noch schwer.

Im Nachhinein merkt Herr Nolte, dass er den übrigen Mitarbeitern wenig von dem mitgegeben hat, was er im Umgang mit Herrn Schmidt gelernt hat und diese daher in vielen Dingen nicht die Art von Ansprechpartner sein konnten wie er.

Zusätzlich zu Herrn Schmidt befindet sich Herr Timmer als zweiter Asperger-Autist in der Vorbereitungsphase zu einer Berufsausbildung und arbeitet einmal wöchentlich bei Velian. Bei Herrn Timmer seien die Probleme ausgeprägter wenn der Tagesplan nicht ganz klar ist und auch Aufgaben müssen detaillierter erklärt werden. Auch sei bei ihm stets eine Betreuung anwesend. Da bei Velian sowieso gerade das Thema besteht, wie man Aufgaben im Team besser erklären kann, um nicht für weitere Fragen verfügbar sein zu müssen, bietet sich jedoch durch Herrn Timmer die Möglichkeit, bessere Formulierungswege für alle zu finden.

Wie auch bei Herrn Schmidt, bekommt Herr Timmer seine Aufgaben vorab ins System gestellt und kann sich daran orientieren. Für Herrn Timmer ist es ein großes Problem wenn er Aufgaben nicht lösen kann. Dies sei für ihn wie eine schwere Niederlage und er fürchtet, die Kollegen dadurch zu enttäuschen.

Mit dem Umzug und der Gewöhnung an die neuen Räumlichkeiten hatte Herr Timmer jedoch keine Probleme.

Herr Dismer ist mutistischer Mitarbeiter, wodurch die verbale Kommunikation mit ihm erschwert ist. Er hat ohne Vorbereitungszeit oder Praktikum seine Ausbildung bei der Velian absolviert und ist dort nun festangestellt.

Auch im Umgang mit ihm sind klare Worte die beste Zugangsmöglichkeit.

Im Laufe der Jahre wurde Herr Dismer zunehmend aufgeschlossener.

Herr Dismer hat etwa 3-4 Monate vor Herrn Schmidt bei Velian angefangen. Herr Nolte berichtet von dem Versuch, Herrn Schmidt und Herrn Dismer zusammenzusetzen, so dass jemand der viel redet mit jemandem der kaum spricht im direkten Kontakt ist und beide aufeinander zugehen müssen.

Dies habe sehr gut funktioniert.

Es sei generell eine Überlegung wert, ob es für Menschen mit Behinderung sinnvoll wäre, mehr als einen behinderten Mitarbeiter zu haben. So würden diejenigen das Gefühl erhalten, nicht als einzige Beeinträchtigte im Unternehmen zu arbeiten. Hier müsse man jedoch bedenken, dass dies einen erhöhten Betreuungsaufwand bedeutet.

Im Juli 2014 zog die Velian in neue Räumlichkeiten.

Es war bereits seit längerem bekannt, dass ein Umzug geplant sei. Der Umzug an sich fand sehr spontan statt und musste innerhalb weniger Wochen durchgeführt werden.

Als klar war, dass neue Räume gefunden wurden, wurden diese gefilmt und fotografiert und in einer Infoveranstaltung den Mitarbeitern präsentiert. Diese konnten anhand der Fotos die zukünftigen Räume sehen und ihre Wünsche bezüglich der Gestaltung und Einrichtung äußern. Diese fanden bei der Planung Berücksichtigung.

Als weitere Unterstützung bezüglich des Informationsflusses wurden den Mitarbeitern Work in Progress-Fotos zur Verfügung gestellt. So konnte jeder sehen wie der Stand der Dinge in den neuen Räumlichkeiten war.

Zudem erstellten die Mitarbeiter zu Beginn einen detaillierten Plan, wer wo sitzt und auch die Anordnung der Tische sei momentan ähnlich der vorherigen. All dies habe sicherlich hinsichtlich der Gewöhnung an die neuen Räume geholfen.

Herr Schmidt war wegen seines Berufsschulunterrichts nicht bei dem Umzug anwesend, so dass er direkt in den neuen Räumen arbeiten konnte. Bevor die eigentliche Arbeit wieder begann, kam er einmal vorbei um sich die neue Arbeitsumgebung anzusehen. Auch Herr Timmer hat sich die Räume nach dem Umzug und bevor er regulär arbeiten musste, einmal angesehen. Insgesamt gab es aufgrund des Umzugs und der damit verbundenen Veränderungen keine Probleme.

Bezüglich der Unterstützung während der Arbeit, würde Herr Nolte inzwischen zwei Formen von Leitfaden sinnvoll finden.

Einerseits wäre es eine Hilfe für den autistischen Mitarbeiter einen Leitfaden als Orientierung zu haben. Da Herr Nolte jedoch das Bewusstsein erhalten hat, dass er zwar die Bezugsperson für Herrn Schmidt und Herrn Timmer ist, die anderen Kollegen jedoch nicht immer wissen, wie sie sich verhalten sollen, hält er es ebenso für sinnvoll den anderen Mitarbeitern ein Leitfaden mit Hinweisen zu geben.

Grundsätzlich hat Herr Nolte hat seitens der Lavie, der Lebenshilfe und dem Ausbildungsbund durchweg positive Rückmeldungen bekommen, da Herr Schmidt, Herr Dismer und Herr Timmer eine Chance bei der Velian bekommen haben und dies für die drei zu einer positiven Entwicklung beigetragen habe. So ist Herr Schmidt insgesamt viel selbstständiger und vor allem lebensfroher geworden und die positiven Auswirkungen ziehen sich bis ins Privatleben hinein.

Insgesamt gab es für alle Beteiligten Zeiten, die sehr fordernd waren.

Dennoch, oder gerade deshalb, haben alle viel gelernt und es war für alle eine bereichernde Erfahrung und ist es noch.

Herr Nolte möchte daher auch zukünftig Menschen eine Chance geben, deren Potential bisher nicht erkannt wurde und dieses bei Velian nutzen, denn sie können auch sehr gute Entlastungen an vielen Stellen bieten.

Herr Nolte kann die Beschäftigung von Menschen mit dem Asperger-Syndrom nur empfehlen. Er bereut nichts, doch sollte man wissen worauf man sich einlässt und, dass dies einen erhöhten Betreuungsaufwand bedeuten könnte.

Auch betont er, dass seine beiden autistischen Mitarbeiter keinen repräsentativen Durchschnitt darstellen würden. So könnte es natürlich auch sein, dass die Zusammenarbeit mit anderen Autisten nicht funktioniere.

Herr Nolte führt auch an, dass der Arbeitsplatz insbesondere wegen des Bezugs zu IT-Themen geeignet sei. Daher kann Herr Schmidt sein Spezialinteresse als Gesprächsthemen nutzen und in Gesprächen mitreden. Bei anderen Arbeitsplätzen sei dies eventuell nicht in diesem Umfang möglich.

Wichtig ist für Herrn Nolte eine positive Grundeinstellung. Sofern die Zweifel an einer erfolgreichen Zusammenarbeit zu groß seien und dadurch dem betreffenden Mitarbeiter vieles nicht zugetraut wird, führe dies zu einem weniger erfolgreichen Arbeitsverhältnis. Er hält es für besser, auf ein Ziel hinzuarbeiten, etwa die Tatsache, dass Herr Schmidt nun auch im Kundenkontakt ist. Dies hätten ihm viele nicht zugetraut.

Auch hält Herr Nolte es für wichtig jeden Menschen als eigenstände Person wahrzunehmen.

Für Herrn Nolte gilt: "Man muss die richtigen Leute für die richtigen Bereiche, aber auch passend zum Team finden."

Rückblickend betrachtet stellte Herr Nolte fest, dass es für Unternehmen schwer sei einen Überblick über mögliche Unterstützung bei der Beschäftigung schwerbehinderter Mitarbeiter zu erhalten.

So hätte beispielsweise jemand, der während der Arbeitszeiten der betreffenden Kollegen zwecks Ansprechpartner und Betreuung zur Verfügung gestanden hätte, eine Entlastung bieten können.

Dies sei laut Herrn Nolte besonders im Hinblick auf andere Unternehmen ein wichtiger Punkt, da dies eine Entlastung darstellen kann, wodurch vielleicht mehr Unternehmen den Versuch starten würden jemanden mit Autismus zu beschäftigen.

Im Allgemeinen sieht Herr Nolte noch viel Potential in der Beschäftigung autistischer Mitarbeiter. Auch könnte er sich vorstellen, dass die Vernetzung von Unternehmen mit solchen Beschäftigten zwecks Erfahrungsaustauschs sinnvoll und interessant sein könnte.

Zu Beginn des Interviews wurde deutlich, dass Herr Nolte bezüglich des Asperger-Syndroms nicht die Bezeichnung Krankheit oder Behinderung wählte, sondern dies als Persönlichkeit beschrieb.

Herr Nolte sieht dies so, da sich einerseits für betreffende Personen durch die Autismus-Diagnose nichts daran ändert wer und wie sie sind.

So sieht er in der Diagnostik zwar den Sinn zu wissen, dass eine Person autistisch ist, dies jedoch nicht wie Krankheiten heilbar ist. Daher sei das Wissen um den Autismus vor allem deshalb wichtig, weil man dadurch weiß, dass betreffende Personen mitunter anders behandelt werden müssen.

Am wichtigsten wäre es jedoch, wenn man wüsste was anders im Umgang mit diesen Personen gehandhabt werden sollte und, dass mit diesem Thema bereits in der Schule begonnen werden würde.

Denn besonders Auswirkungen früheren Mobbings könnten dazu führen dass Menschen auch im Erwachsenenalter Probleme mit bestimmten Dingen haben und schnelles Schubladendenken einsetzt und gesagt würde, dass bestimmte Probleme durch den Autismus kämen, obwohl es auf früheren Erfahrungen basiert.

Herr Nolte nutzt für die Erklärung, was ein Asperger-Autist ist mitunter die Bezeichnung "Mensch mit Spezialbegabung" weil sie ein spezielles Interessengebiet haben indem sie hochmotiviert auftreten können.

Dafür bestehen vielleicht Schwächen im Zwischenmenschlichen Bereich, aber das sollte aus seiner Sicht kein Hinderungsgrund bezüglich einer Einstellung sein.

Anhang 7: Leitfaden für das Interview in einer Wissenschaftlichen Bibliothek

  1. Ist dies der erste Autist, mit dem Sie zusammen arbeiten?

  2. Was schätzen Sie an ihm, sowohl auf beruflicher, als auch auf kollegialer Ebene besonders?

  3. Welche Probleme ergaben sich aufgrund seines Asperger-Autismus zu Beginn seiner Tätigkeit und/oder ergeben sich auch heute noch?

  4. Wie wurden/werden diese Probleme angegangen und gelöst. Falls sie nicht vollständig gelöst werden konnten/können, wie wird damit weiter umgegangen?

  5. Angenommen, es würde ein weiterer autistischer Mitarbeiter eingestellt werden.

Was würden Sie von Beginn an anders machen?

  1. Das Berliner Unternehmen Auticon stellt ausschließlich autistische Mitarbeiter ein, die häufig auch bei Kunden vor Ort tätig werden müssen. Als Ansprechpartner für den autistischen Mitarbeiter und dem Kunden stellt Auticon Job-Coaches zur Verfügung. Dieser Coach soll u.a. das gegenseitige Verständnis fördern oder Ideen einbringen, wie das Arbeitsumfeld für den autistischen Mitarbeiter besser gestaltet werden könnte.

  2. Inwiefern halten Sie die Möglichkeit eines speziellen Coaches, vielleicht nur zu Beginn der Tätigkeit, als eine hilfreiche Unterstützung?

(Dieser Coach könnte entweder jemand aus dem Kollegium / Personalrat oder eine externe Person sein)

  1. Halten Sie die Erstellung eines Leitfadens, mit den wichtigsten (sozialen) meist ungeschriebenen Regeln, die in der Bibliothek herrschen, für sinnvoll?

Wenn ja: Zu welchen Themen hätten Sie einen solchen Leitfaden erstellt?

  1. Gibt es noch etwas, dass Sie im Hinblick auf Ihre Erfahrungen mit einem autistischen Kollegen erwähnen möchte und ich mit meinen Fragen noch nicht berücksichtigt habe?

Anhang 8: Interview in einer Wissenschaftlichen Bibliothek

Befragt wurde das Magazin-Kollegium des autistischen Mitarbeiters (s. Anhang 10).

Die Befragten arbeiten seit mehr als fünf Jahren mit ihrem Kollegen zusammen. Für alle war es die erste Zusammenarbeit mit einem Autisten, daher wurde das Team zu Beginn durch die Therapeutin über die Besonderheiten aufgeklärt.

Zu Beginn der Tätigkeit bestanden die Probleme vor allem im sozialen Miteinander. Beide Seiten mussten sich aneinander gewöhnen und aufeinander zugehen.

Es war ein hohes Maß an Toleranz sowie die gegenseitige Bereitschaft und Offenheit für diese Zusammenarbeit von Nöten. Während ihr autistischer Kollege lernen musste im Team zu arbeiten, Kenntnisse über die gängigen sozialen Floskeln und Grußformen erwerben musste, bestand für die Befragten das Problem darin mit seiner sehr direkten Art umgehen zu können, in der ein Verständnis über soziale Höflichkeit fehlte.

So mussten sie verinnerlichen, dass negative, kritisierende oder auch verletzend wirkende Äußerungen nicht als solche gemeint sind, sondern einer sachlichen, nicht wertenden Äußerung gleichkommen.

Die Beteiligten haben viel miteinander gesprochen um sich aufeinander einlassen zu können. Dies hat ihren autistischen Kollegen zu Beginn aufgrund der sozialen Überforderung an seine Grenzen gehen lassen, so dass er die Arbeit manchmal für diesen Tag abbrechen musste.

Bei der Einarbeitung in seine Tätigkeiten war es nötig eine eindeutige Wortwahl zu verwenden und Struktur zu schaffen indem vermittelt wurde, was seine Aufgabe ist und was er machen soll.

Ohne vorgegebene Struktur fällt dem Kollegen die Arbeit schwer.

Die Befragten geben an, ihm Aufgaben für den Arbeitstag vorzubereiten um Struktur zu schaffen. Inzwischen kann er jedoch auch selbstständig arbeiten und genießt das Vertrauen seiner Kollegen.

Ein Job Coach oder Leitfaden mit Regeln hätte ihrer Meinung nach nicht geholfen.

Hinsichtlich der fachlichen Zusammenarbeit schätzen sie, dass er seine Aufgaben stets zuverlässig, verantwortungsvoll und korrekt ausführt.

Überdies ist er schnell und er hat ein Talent dafür, Fehler zu entdecken, etwa falsch stehende Bücher.

Tätigkeiten an der Ausleihe oder Auskunft einer Bibliothek wären für ihn ungeeignet. Das Magazin bietet ihm die Möglichkeit eines gut strukturierten Raumes. Die Signaturen und Regalbeschriftungen geben Orientierung und es handelt sich um eine reizarme Umgebung.

Im privaten Miteinander beschreiben sie ihn als sehr gebildet und mit einem hohen Wissensschatz, breitem Interessenspektrum und stark ausgeprägter Ironie. Sie schätzen ihn als Kollegen.

Mit der Zeit wurde gegenseitiges Vertrauen aufgebaut, auch wird die Zusammenarbeit als Bereicherung für alle Beteiligten verstanden.

Es wurde zudem die Vermutung geäußert, dass sich ihr Kollege nun, da er sich bei der Arbeit mit unterschiedlichen Charakteren auseinandersetzen musste, auch im Umgang mit Menschen außerhalb der Arbeit neue Kompetenzen erlernt hätte.

Anhang 9: Fragebogen an den Mitarbeiter einer Wissenschaftlichen Bibliothek

  1. Seit wann arbeiten Sie bereits in der Bibliothek und welche Aufgaben führen Sie dort aus?

  2. Gibt es bei der Ausübung Ihrer Aufgaben, oder im sozialen Miteinander unter Kollegen etwas, dass Ihnen besonders leicht oder schwer fällt? Wenn ja, was?

  3. Sofern Reizüberflutungen ein Problem für Sie sind: Wie gehen Sie bei der Arbeit damit um?

  4. Nur ein kleiner Anteil der Menschen aus dem autistischen Spektrum ist auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig. Was bedeutet Ihnen die Tätigkeit in der Bibliothek?

  5. Denken Sie, dass Bibliotheken generell geeignete Arbeitsplätze für Autisten sein können? Wenn ja: Warum? Wenn nein: Warum nicht?

  6. Das Berliner Unternehmen Auticon stellt ausschließlich autistische Mitarbeiter ein, die häufig auch bei Kunden vor Ort tätig werden müssen. Als Ansprechpartner für den autistischen Mitarbeiter und dem Kunden stellt Auticon Job Coachs zur Verfügung. Dieser Coach soll u.a. das gegenseitige Verständnis fördern oder Ideen einbringen, wie das Arbeitsumfeld für den autistischen Mitarbeiter besser gestaltet werden könnte.

Inwiefern halten Sie die Möglichkeit eines speziellen Coachs, vielleicht nur zu Beginn der Tätigkeit, als eine hilfreiche Unterstützung?

(Dieser Coach könnte entweder jemand aus dem Kollegium / Personal-rat oder eine externe Person sein)

  1. Indem Sie sowohl in einer Fernsehsendung, als auch in einem Zeitungsbericht, über sich und den Autismus gesprochen haben, zeigen Sie einen offenen Umgang damit.

Denken Sie, dass es wichtig ist am Arbeitsplatz offen damit umzugehen und die direkten Kollegen über den Autismus zu informieren? Wenn ja: Warum? Wenn nein: Warum nicht?

  1. Hätten Sie sich einen Leitfaden, mit den wichtigsten (sozialen) meist ungeschriebenen Regeln, die in der Bibliothek herrschen, gewünscht und für sinnvoll gehalten?

Wenn ja: Zu welchen Punkten hätten Sie sich diese Orientierung gewünscht?

  1. Gibt es noch etwas, dass Sie im Hinblick auf Ihre Berufstätigkeit und der Arbeit in der Bibliothek erzählen möchten und ich mit meinen Fragen noch nicht berücksichtigt habe?

Anhang 10: Zusammenfassung des Fragebogens an einen Bibliotheksmitarbeiter

Arbeitsplatz: Wissenschaftliche Bibliothek in Deutschland, Mitarbeiter mit Asperger-Syndrom

Der Befragte arbeitet seit 2008 in dem Magazin einer wissenschaftlichen Bibliothek. Zu seinen Tätigkeiten gehört das Ziehen und Einstellen von Büchern. Hierbei ist kein direkter Publikumskontakt gegeben.

Er beschreibt, dass ihm das Zurechtfinden innerhalb des Magazins leicht fällt. Ebenfalls sei es leicht, die zu ziehenden Bücher, und später die Rückstellplätze, zu finden. Falsch stehende Medien fallen ihm auf und werden korrigiert.

Die Kollegen wussten zu Beginn seiner Tätigkeit über den Autismus Bescheid. Generell hält er einen offenen Umgang mit dem Autismus, auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Kollegen, für wichtig.

Der Kontakt mit den Kollegen ist unproblematisch. Es gibt jedoch wenig Small-Talk.

Der Befragte hält Bibliotheken generell für geeignete Arbeitsplätze für Autisten, da sie eine ruhige und wenig hektische Arbeitsumgebung bieten. Zudem gehören Tätigkeiten wie die Bestandspflege zu Aufgaben, die dem Fähigkeitenprofil vieler Autisten entsprechen. Tätigkeiten, die mit direktem Publikumskontakt (Ausleihe, Aufsicht oder Information) zu tun haben, hält er für problematisch.

Als der Befragte die Tätigkeit in der Bibliothek aufnahm kam es häufiger vor, dass die Arbeit durch Reizüberflutungen für diesen Tag abgebrochen werden musste. Da das Magazin eine ruhige und reizarme Arbeitsumgebung darstellt sind Reizüberflutungen inzwischen selten geworden. Wenn es doch einmal dazu kommt, wird dies den Kollegen mitgeteilt und der Befragte kann sich für einige Minuten zurückziehen.

Zu Beginn der Tätigkeit hätten ein Job Coach und ein Leitfaden mit sozialen Regeln (insbesondere "ungeschrieben") eine gute Unterstützung sein können. Da diese Möglichkeiten nicht zur Verfügung standen, besprach der Befragte seine Anliegen hinsichtlich der Arbeit mit seiner damaligen Autismustherapeutin. Inzwischen "läuft alles wie von selbst".

Seit der Befragte die Tätigkeit in der Bibliothek ausübt hat sich sein Selbstwertgefühl verbessert und er hat Struktur im Tagesablauf erhalten. Er beschreibt: "Seit ich in der Bibliothek arbeite, habe ich nicht mehr das Gefühl, „neben dem Leben“ zu stehen – ich stehe jetzt IM Leben.".

Durch die Berufstätigkeit kann er in seiner Freizeit besser seinen Interessen und Projekten nachgehen, da er zuvor stets die Belastung spürte sich darum kümmern zu müssen eine Anstellung zu erhalten.

Er hat seine Nische gefunden.

Anhang 11: Fragebogen an Prof. Dr. phil. Matthias Dalferth

  1. Aus Zeitungsartikeln bezüglich der Einstellung von Autisten bei SAP ging hervor, dass Sie auch Archive und Bibliotheken als geeigneten Arbeitsplatz für Autisten sehen.

Warum können insbesondere Bibliotheken einen geeigneten Arbeitsplatz darstellen?

  1. In Bibliotheken gibt es unterschiedliche Tätigkeiten, die auch mit Publikumsverkehr, bzw. dem direkten Austausch mit Bibliotheksbesuchern, verbunden sind.

Halten Sie diese Tätigkeiten für einen Autisten grundsätzlich für ungeeignet, oder kann man dies nicht pauschalisieren, so dass individuell entschieden werden muss, ob es eine geeignete Tätigkeit darstellt? Könnte etwa der Auskunftsdienst eine geeignete Tätigkeit sein, weil der autistische Mitarbeiter dort sein Expertenwissen einbringen könnte?

  1. Worin sehen Sie die größten Probleme im Arbeitsalltag, die einen Autisten in der Auslebung seiner Stärken negativ beeinflussen und bei der Arbeit einschränken?

  2. Bei Auticon gibt es Job Coaches als Bindeglied zwischen den Consultants und Kunden. Würden Sie im Hinblick auf die Tätigkeit in einer Bibliothek, solch einen Coach als Ansprechpartner und Bindeglied zwischen autistischem Mitarbeiter und den übrigen Kollegen als sinnvoll einschätzen?

Wenn ja: Sollte dies Ihrer Meinung nach ein Kollege (z.B. aus dem Personalrat) sein, oder besser eine externe Person?

  1. Inwiefern schätzen Sie die Erstellung eines Leitfadens mit den wichtigsten (sozialen) meist ungeschriebenen Regeln, die im jeweiligen Unter-nehmen herrschen, als sinnvoll ein?

Gibt es "klassische" ungeschriebene Regeln, die einem Autisten schwer fallen und die in diesem Leitfaden erscheinen sollten (beispielsweise die Anrede unterschiedlicher Kollegen im E-Mailkontakt?)

Anhang 12: Zusammenfassung des Fragebogens an Prof. Dr. phil. Matthias Dalferth

Professor an der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule Regensburg, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesverbandes Autismus Deutschland e.V. und Mitautor des Buches "Berufliche Teilhabe für Menschen aus dem autistischen Spektrum".

Herr Prof. Dr. Dalferth sieht Bibliotheken aus unterschiedlichen Gründen als geeignete Arbeitsplätze für Autisten. Zunächst bieten Bibliotheken aufgrund der Lärmempfindlichkeit vieler Autisten die Möglichkeit einer ruhigen Arbeitsumgebung.

Bezüglich des Fähigkeitenprofils vieler Autisten bezieht er sich auf die Monotropismus-Hypothese, die unter anderem besagt, Autisten könnten sich besonders gut auf Details konzentrieren und sich diese gut merken.

Auch führt er den "Systemizing"-Faktor an, der von den Stärken autistischer Menschen unter anderem im Sortieren, Registrieren oder Archivieren handelt. Durch diese Stärken könnten autistische Mitarbeiter in einer Bibliothek zu ziehende Bücher schnell finden und einstellen.

Auch könnten sie gut Informationen am Computer bearbeiten.

Er führt an, dass einige Autisten im Privatleben eher "Lexika oder Publikationen mit systematischer Gliederung als Prosa" lesen würden.[9]

Tätigkeiten mit direktem Austausch im Publikumsverkehr könnten bei unterschiedlichen Anfragen eventuell zu dem Gefühl sozialer Überforderung führen, so dass Herr Prof. Dr. Dalferth diesen Tätigkeitenbereich als weniger geeignet ansieht. Es muss jedoch individuell geprüft werden, ob eine Eignung besteht oder nicht.

Sofern die Möglichkeit besteht Nutzeranfragen per E-Mail zu beantworten, könnte dies eine geeignete Tätigkeit sein, da kein persönlicher Nutzerkontakt nötig ist und der Mitarbeiter selbst über die zeitliche Beantwortung und den Inhalt der E-Mail entscheiden kann.

Generell ist es wichtig eine gleichbleibende Tageslaufgestaltung mit nur einer Aufgabe zeitgleich zur Erledigung zu geben und wenig Varianz in die Aufgabenstellung zu bringen. Auch der Arbeitsplatz sollte möglichst gleichbleibend gestaltet sein.

Den Einsatz eines externen Job Coachs beurteilt Herr Prof. Dr. Dalferth als hilfreich bis unverzichtbar. Je nach persönlichem Bedarf muss geprüft werden wie lange und wie intensiv die Unterstützung durch einen externen Coach nötig ist. Gute Erfahrungen wurden zudem damit gesammelt, im weiteren Verlauf einen motivierten und auf diese Tätigkeit vorbereiteten Kollegen als Mentor einzusetzen.

Einen Leitfaden mit allgemein bekannten, jedoch ungeschriebenen Regeln, zu erstellen und dem autistischen Mitarbeiter als Orientierung zur Verfügung zu stellen, sieht Herr Prof. Dr. Dalferth als eine weitere Unterstützungsmöglichkeit. Das Problem hierin sei jedoch, dass ein Leitfaden nie die komplexen Anforderungen an das Alltagsgeschehen widerspiegeln könne und stets unvollständig sein wird.

Deshalb sollte die Möglichkeit in Betracht gezogen werden den Job Coach, bzw. kollegialen Mentor, gemessen an den persönlichen Bedarf des autistischen Mitarbeiters, einzusetzen um Fragen und Unverständliches verständlich zu vermitteln.

Folgende Faktoren sieht Herr Prof. Dr. Dalferth als potentielle Probleme, die einen Autisten bei der Ausführung seiner Arbeit einschränken oder negativ beeinflussen könnten:

Im sozialen Kontext

Durchschauen sozialer Prozesse im Betrieb

Wahrnehmung der Erwartungen

Bedürfnisse von Kunden bzw. Mitarbeitern

Erkennen von gefühlsmäßigen Äußerungen in Mimik und Gestik

Probleme bei der Bearbeitung von Aufgaben

Druck zur Steigerung des Arbeitstempos

Erwartungen an Multitasking

Erwartung an die Entwicklung eigener Problemlösungsstrategien

Arbeit in Großraumbüros

Eigenständige Hierarchisierung der Aufgaben

Eigene Schwerpunktsetzung

Arbeiten ohne klare Anweisungen, ohne Plan

Tätigkeit als Vorgesetzter

Weitere mögliche Probleme

Reizüberflutung

Ertragen von Veränderungen (Tagesablauf, Personal, Arbeitsaufgaben, Umstände…)

Quelle

Bachelorarbeit; Studiengang Bibliotheks- und Informationsmanagement; Hamburg, August 2014

bidok - Volltextbibliothek: Erstveröffentlichung im Internet

Stand: 06.03.2015



[4] Specialisterne ist ein in Dänemark gegründetes IT-Unternehmen mit autistischen Beschäftigten. Es gilt als Vorreiter für dieses Unternehmensmodell und verfügt über internationale Standorte (vgl. Specialisterne 2014)

[5] Diese bietet unter anderem eine Autismus-Sprechstunde an

[6] vgl. Lavie 2005

[7] vgl. Lebenshilfe 2014

[8] vgl. Ausbildungsverbund 2012

[9] Anm. des Autors.: Diese Interessen decken sich mit den beschriebenen Stärken des "Systemizing"-Faktors

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