Stigmatisierung älterer Arbeitnehmer im Industriebetrieb

Autor:in - Hans-Joachim Pohl
Textsorte: Buch
Releaseinfo: erschienen in: Manfred Brusten/Jürgen Hohmeier(Hrsg.), Stigmatisierung 1, Zur Produktion gesellschaftlicher Randgruppen, Darmstadt 1975. S. 109 - 123; Beide Bände sind leider Vergriffen und werden auch nicht mehr aufgelegt. Der Luchterhand-Verlag hat BIDOK die Erlaubnis zur Veröffentlichung gegeben.
Copyright: © Hans-Joachim Pohl 1975

Einführung

Mit Prozessen, an deren Anfang soziale Definitionen stehen, befassen sich die Sozialwissenschaften - vorwiegend in den Bereichen der Kriminal- und der Medizinsoziologie - erst seit relativ kurzer Zeit. Durch derartige Definitionen werden den Trägern bestimmter Merkmale - etwa Geisteskranken, Körperbehinderten, Sonderschülern, Ausländern - zusätzlich sozial diskreditierende Eigenschaften zugeschrieben, die eine Stigmatisterung dieser gesellschaftlichen Gruppen bedeuten und gesellschaftliche Ausgliederungsprozesse zur Folge haben. Es handelt sich also nicht um individuelle Eigenschaften bei den Angehörigen der betroffenen Gruppen, sondern vielmehr darum, daß vorhandene Merkmale in bestimmter Weise bewertet werden.

In der vorliegenden Arbeit wird der Versuch unternommen, den Erklärungswert dieses Forschungsansatzes auch für die Berufschancen von Arbeitnehmern unterschiedlichen Alters in Industriebetrieben nachzuweisen. Es wird davon ausgegangen, daß die Berufsausgliederung älterer Arbeitnehmer, die in den Arbeitslosenstatistiken deutlich sichtbar ist[1], auf einem gesellschaftlichen Prozeß beruht, der durch soziale Definitionen in Gang gesetzt wird. In diesem Zusammenhang stellt die berufliche Leistungsfähigkeit ein zentrales Element dar, da Arbeitnehmer nur dann ihre Berufsposition und ihr Berufsprestige erhalten können und außerdem bei der gegenwärtigen Bedeutung des Berufs in unserer Gesellschaft nur dann als vollwertige Mitglieder dieser Gesellschaft anerkannt werden, wenn ihnen die volle Leistungsfähigkeit zuerkannt wird. Ihre Aberkennung wird demnach eine Berufsausgliederung und auch eine Abwertung in außerberuflichen Beziehungen zur Folge haben.

In den folgenden Ausführungen wird zu Beginn das aus einer Vielzahl von Einzelmerkmalen bestehende Bild[2], das Personalleiter und andere Führungskräfte eines Industriebetriebes von alternden Arbeitnehmern haben, gekennzeichnet und auf diskreditierende Merkmale untersucht. Die anschließenden Ausführungen behandeln das aus der Zuschreibung von Merkmalen resultierende Verhalten gegenüber den Betroffenen bzw. den Einfluß der Merkmalszuschreibungen auf personelle Entscheidungen der Unternehmens- und Personalleitungen. Im darauf folgenden Abschnitt werden wir uns speziell mit dem Merkmal der beruflichen Leistungsfähigkeit als dem zentralen Element der beruflichen Statuszuweisung und dessen Zusammenhang mit dem Lebensalter befassen. Zuletzt werden die Möglichkeiten des Eindringens von Leistungssubstituten, wie sie nicht real vorhandene, sondern lediglich zugeschriebene Merkmale darstellen, in die betriebliche Leistungsbewertung behandelt.



[1] Die z.T. erfolgreichen Versuche der letzten Jahre, durch Gesetze und Gesetzesänderungen (flexible Altersgrenze, Erleichterung des Bezugs eines vorgezogenen Altersruhegeldes) die Zahl der älteren Arbeitslosen zu verringern, führen nicht zu einer Beendigung der beruflichen Ausgliederung alternder Menschen, sondern nur zu einer verringerten Sichtbarkeit dieses Phänomens in der Arbeitslosenstatistik.

[2] Eine soziale Rolle - definiert als Handlungserwartung gegenüber einem Positionsinhaber - beinhaltet auch ein Bild über ihn. Dieses setzt sich aus einer Vielzahl von Merkmalen zusammen, die die soziale Identität bilden. In dieser Identität äußert sich der Vorgang der Stigmatisierung (Goffman 1967, S. 10). Das auf dem Hintergrund einer vom Rollenträger vorgenommenen individuellen Rolleninterpretation und seines subjektiven Empfindens der eigenen Situation (Ich-Identität) stattfindende tatsächliche Rollenhandeln kann in diesem begrenzten Rahmen nicht abgehandelt werden. Vgl. hierzu Pohl (1973, S. 179-254).

1. Stereotype Vorstellungen über ältere Arbeitnehmer

Das Lebensalter stellt im Bewußtsein der Bevölkerung nicht nur eine Sozialkategorie dar. Jugend und Alter sind vielmehr mit einer Vielzahl von Vorstellungen verknüpft, die detaillierte Stereotype ergeben. Wenn das Altersstereotyp unter dem Aspekt der beruflichen Tätigkeit betrachtet wird, geraten spezielle Merkmale in den Blick. Das höhere kalendarische Alter wird dabei in bestimmter Weise negativ definiert. Den Angehörigen dieser Sozialkategorie werden u.a. die Eigenschaften abnehmende berufliche Leistungsfähigkeit sowie abnehmende Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit zugeschrieben.

Aus neueren empirischen Untersuchungen lassen sich auch verschiedene Hinweise auf das Altersbild[3] der betrieblichen Entscheidungsträger, das in die Definition der Berufsrolle der älteren Arbeitnehmer eingeht, entnehmen. So kommt eine Untersuchung der WEMA (1970, S. 28 ff.), bei der Firmeninhaber und Personalleiter nach ihren Vorstellungen über die Angehörigen der einzelnen Altersgruppen befragt werden, zu folgendem Ergebnis:

  • Die Bewältigung von Anpassungsproblemen sowie Fragen der beruflichen Weiterbildung und Umschulung, die im Zuge der technischen und organisatorischen Veränderungen immer häufiger einer Lösung bedürfen, werden älteren Arbeitskräften am wenigsten und jüngeren am ehesten zugetraut.

  • Auch die Merkmale physische und psychische Leistungsfähigkeit, Selbstvertrauen, Dynamik und Initiative werden den jüngeren, nicht jedoch den älteren Arbeitskräften zugeschrieben.

  • Häufiger bei älteren als bei jüngeren Arbeitskräften werden dafür die Merkmale Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit, Verantwortungsbewußtsein sowie die Fähigkeit, für den Betriebsfrieden zu sorgen, erwartet.

  • Auch die negativen Merkmale Anfälligkeit für Krankheiten, Unsicherheit und die Merkmale Angst vor beruflichem Abstieg und Angst vor Entlassung werden häufiger bei älteren als bei jüngeren Arbeitskräften unterstellt.

Ein Vergleich der Merkmale, wie sie bei jüngeren und bei älteren Arbeitskräften erwartet werden, läßt die positivere Tönung des Bildes der Jüngeren hinsichtlich der beruflichen Leistungsfähigkeit im weiteren Sinne und damit ihre berufliche Höhereinschätzung sichtbar werden.

Allerdings bestehen unterschiedliche Vorstellungen darüber, wer in seiner beruflichen Tätigkeit als älterer Arbeitnehmer anzusehen ist. Ein erstes Kriterium dafür bildet das kalendarische Alter. 67 % der in einer empirischen Untersuchung (WEMA 1970, S. 18) befragten Arbeitgeber bezeichneten als untere Grenze für die Zugehörigkeit zur Gruppe der älteren Arbeitnehmer ein Alter zwischen 50 und 60 Jahren, 13 % machten Altersangaben unter 50 Jahren und 17 % zählten nur Personen über 60 Jahren zu dieser Gruppe. In einer anderen Untersuchung (DGFP 1971, S. 12 ff.) wurde am häufigsten ein Alter von 55 Jahren als Beginn der Zugehörigkeit zur Gruppe der älteren Arbeitnehmer genannt. In einer dritten Untersuchung (INSTRE 1974, S. 54) bewegten sich die Altersangaben zwischen 40 und 63 Jahren. Diese Ergebnisse verdeutlichen gleichzeitig die Unzulänglichkeit des kalendarischen Alters als alleiniges Kriterium für die Zuordnung von Arbeitnehmern zum Typus der älteren Arbeitnehmer. Als weitere Kriterien werden deshalb in der betrieblichen Praxis Art und Umfang der Arbeitsplatzanforderungen verwendet. Starke Belastungen physischer oder psychischer Natur haben an verschiedenen Arbeitsplätzen zur Entstehung eines funktionsabhängigen Altersbildes geführt. Allerdings ermöglichen die Ergebnisse der vorliegenden empirischen Untersuchungen keine differenzierten Aussagen, da Altershöchstgrenzen, bezogen auf die Arbeitsanforderungen, nur für wenige Berufe genannt werden. Generell läßt sich aber sagen, daß Arbeitnehmer in Berufen mit relativ hohen physischen oder psychischen Anforderungen oder in Berufen, deren Anforderungen einem raschen Wandel unterliegen, früher zum Typus des älteren Arbeitnehmers gezählt werden als die Angehörigen anderer Berufe. Dieser Zuordnung können die Arbeitnehmer jedoch entgehen, wenn sie selbst die Entscheidungs- und Definitionsmacht darüber haben, wer zum Typus des älteren Arbeitnehmers zu zählen ist, oder wenn die Erfüllung der Anforderungen ihrer Arbeitsrolle von anderen Positionen aus kaum zu überblicken ist. Diese Bedingungen sind dann gegeben, wenn Arbeitnehmer

  1. relativ große Anweisungs- oder Entscheidungsbefugnisse haben,

  2. sie vornehmlich die Arbeitsleistungen anderer bewerten, während ihre eigenen Leistungen nur von relativ wenigen bewertet werden und sie

  3. c) einen relativ großen Handlungsspielraum besitzen, der gleichzeitig die Möglichkeit beinhaltet, Aufgaben zu delegieren.

Die aufgezählten Merkmale kennzeichnen am ehesten die Rollen der Angehörigen qualifizierterer Berufsgruppen[4], weshalb auch davon ausgegangen werden kann, daß die Angehörigen dieser Berufsgruppen, die häufig gleichzeitig den oberen sozialen Schichten angehören, die besseren Aussichten haben, einer Zuordnung zum Typus des älteren Arbeitnehmers zu entgehen.



[3] In einer empirischen Studie konnte Schneider (1970, S. 16 und 59) den Nachweis führen, daß die Definition verschiedener Rollen (u.a. der Berufsrolle) mit dem Lebensalter des jeweiligen Positionsinhabers variiert. Alle am Lebensalter verankerten stereotypen Vorstellungen gehen mit in die Rollendefinition ein.

[4] Als »qualifizierte Berufe« werden hier diejenigen bezeichnet, für die in der Regel eine relativ lange Schul- und/oder Berufsausbildung die Zugangsvoraussetzung darstellt.

2. Der Einfluß des Altersstereotyps bei personellen Entscheidungen

Relativ wenig empirisches Material liegt darüber vor, inwieweit stereotype Vorstellungen über den Typus des älteren Arbeitnehmers - zu denen die Merkmale Zuverlässigkeit, Erfahrung, Betriebstreue und Gewissenhaftigkeit ebenso gehören wie Unsicherheit, verlangsamte Reaktionsfähigkeit, geringe physische und psychische Leistungsfähigkeit, geringe Lern- und Umstellungsfähigkeit - in konkrete personelle Entscheidungen in Industriebetrieben einfließen bzw. das Verhalten der betrieblichen Führungskräfte beeinflussen. Dennoch lassen sich in verschiedenen Untersuchungen Beispiele dafür aufzeigen, daß das höhere Lebensalter und die damit verbundenen Merkmalszuschreibungen zu innerbetrieblichen Selektionsprozessen bis hin zur beruflichen Ausgliederung (Entlassung) führen.

  • Beispiel 1: In einem Betrieb wurde eine alte Anlage stillgelegt und eine neue, weitgehend automatisierte Anlage mit geringerem Arbeitskräftebedarf in Betrieb genommen. Von der Unternehmensleitung wurde eine »Personalsteuerungsstelle« eingesetzt, die die personellen Erfordernisse der neuen Anlage mit dem vorhandenen Arbeitskräftepotential verglich. Generell wurden Arbeitskräfte über 45 Jahre von der alten Anlage nicht übernommen, da die Angehörigen der »Personalsteuerungsstelle« zu der Ansicht gekommen waren, daß diese Arbeitskräfte nicht mehr in der Lage seien, sich auf die neuen Tätigkeiten umzustellen. Ihnen wurden zwar ebenfalls andere Arbeitsplätze gegeben, die aber »leichter« und von untergeordneter Bedeutung waren. Der bisherige Lohn ausschließlich verschiedener Zuschläge und Zulagen wurde für 90 bzw. 18o Stunden weitergezahlt. Danach wurde die der geringerwertigen Arbeit entsprechende Entlohnung gezahlt (RKW 1969, S. 61 ff. und Betriebsvereinbarung von 1967).

  • Beispiel 2: In untersuchten Walzwerken entstanden bei Inbetriebnahme neuer Anlagen Probleme für ältere Arbeitnehmer, indem sie zwar überwiegend auf die neuen Anlagen übernommen wurden, dabei aber einen beruflichen Abstieg in Kauf nehmen mußten. ältere Meister, vorwiegend die zu Meistern aufgestiegenen ehemaligen Walzer, wurden teilweise vorzeitig pensioniert, da ihre Umstellungsfähigkeit als zu gering erachtet wurde (EGKS 1966, S. 57 und 76).

  • Beispiel 3: In mehreren untersuchten Betrieben befürworteten die jeweiligen Vorgesetzten nicht die Teilnahme älterer Mitarbeiter an Schulungskursen, da deren Lernfähigkeit als zu gering eingeschätzt wurde. Diese Entscheidung gewinnt noch dadurch an Gewicht, daß bildungswillige Betriebsangehörige sich in einigen Betrieben nicht selbst für einen betrieblichen Lehrgang anmelden können, sondern von ihren Vorgesetzten vorgeschlagen werden müssen. Personen mit abgeschlossener Lehre haben nach Angaben der befragten Personal- und Schulungsleiter gegenüber un- und angelernten Kräften die besseren Chancen, einen Schulungskurs erfolgreich zu absolvieren und auch zur Teilnahme vorgeschlagen zu werden (RKW 1969, S. 60).

  • Beispiel 4: In einem Betrieb wurden verschiedene Arbeitsplätze zwecks Betriebsverkleinerung aufgelöst. Die auf diesen Plätzen arbeitenden, durchweg jüngeren Arbeitskräfte wurden nicht entlassen. Dagegen wurden Arbeitskräfte (59 Jahre und älter), die nach einjähriger Arbeitslosigkeit die Möglichkeit haben, in den Ruhestand zu treten, im Rahmen eines Sozialplanes entlassen, wodurch gleichzeitig eine Senkung des Durchschnittsalters der Belegschaft erreicht wurde. Auf den dadurch freiwerdenden Arbeitsplätzen wurden die jüngeren Belegschaftsmitglieder eingearbeitet. Der Betrieb nahm hierbei bewußt eine vorübergehende Einschränkung der Produktivität in Kauf, da nach Auskunft der Personalleitung die älteren Arbeitskräfte ihre Arbeitsplätze voll ausfüllten. Die Vorteile dieser Regelung wurden in einer langfristig höheren Arbeitsleistung der jüngeren Arbeitskräfte und in einer Verringerung des Krankheitsrisikos gesehen (Forschungsinstitut für Sozialpolitik 1969, S. 225).

Die Aufzählung derartiger Beispiele ließe sich mit Sicherheit beliebig fortsetzen, wenn man die vorliegenden betrieblichen Dokumente (Betriebsvereinbarungen, Sozialpläne, Firmenberichte usw.) auswerten und/oder die zuständigen Führungskräfte der Betriebe daraufhin befragen würde. Bereits aus den bisher angeführten Beispielen wird jedoch deutlich, daß erstens der Status als älterer Arbeitnehmer in der Weise durchgesetzt wird, daß Arbeitnehmer von den betrieblichen Führungskräften als ältere gekennzeichnet werden. Diese Kennzeichnung erfolgt dadurch, daß bei personellen Entscheidungen die Typisierung als älterer Arbeitnehmer als Auswahlkriterium herangezogen wird und zur Bezeichnung geringer Umstellungs-, Lern- und Leistungsfähigkeit sowie eines schlechten Gesundheitszustandes dient.

Diese Typisierung würde dann noch lückenloser und rigider, wenn Maßnahmen wie finanzielle Zuschüsse bzw. Steuererleichterungen als Belohnung für die Beschäftigung älterer Arbeitskräfte und die immer wieder diskutierte Pflicht zur Beschäftigung dieses Personenkreises realisiert würden, da dies für die Betriebsleitungen Anlässe sind, den Kreis der älteren Arbeitnehmer möglichst weit zu fassen. Zweitens wird aus den Beispielen ersichtlich, daß Arbeitnehmer unter Hinweis auf ihre Zugehörigkeit zum Typ des älteren Arbeitnehmers durch entsprechende Maßnahmen in ihrer Teilhabe an betrieblichen Vorgängen und Veränderungen eingeschränkt werden. Auf der Basis des vorliegenden Materials läßt sich festhalten, daß eine Stigmatisierung als älterer Arbeitnehmer bei personellen Veränderungen in Industriebetrieben in der Zuweisung »leichterer« Arbeitsplätze, die häufig mit Einkommenseinbußen verbunden sind, durch das Fernhalten von Bildungsmaßnahmen oder in der vorübergehenden und/oder dauernden beruflichen Ausgliederung (Entlassung) mit der Möglichkeit eines vorzeitigen Rentenbezuges ihren Niederschlag findet. Unmittelbar daraus ergeben sich ökonomische Probleme, da alle diese Vorgänge sofort oder längerfristig gesehen zu Einkommenseinbußen führen. Die besonders von der Stigmatisierung betroffenen Angehörigen weniger qualifizierter Berufe spüren die finanziellen Folgen um so deutlicher, als ihre ökonomische Lage ohnehin schon problematisch ist.

Eine Sonderstellung nehmen Stigmatisierungsvorgänge bei der Wiedereingliederurig von älteren Arbeitslosen ein, da hier der Negativstatus als älterer Arbeitnehmer noch durch die negativ bewertete Arbeitslosigkeit verstärkt wird. In der BRD haben ältere Arbeitslose seit etwa 20 Jahren mehr oder weniger große Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden. Waren hiervon in den 50er Jahren verstärkt die älteren Angestellten betroffen (Arnold/Berger 1955, S. 10), so glich sich dieser Nachteil in den 60er Jahren in etwa aus und betrifft heute ältere Arbeiter stärker als ältere Angestellte (ANBA 1974, S. 114). Bei der Mehrzahl der Unternehmer und Personalleiter besteht im Falle eines Personalbedarfs eine offensichtliche Abneigung, ältere Arbeitslose einzustellen. Dies geht auch aus den verschiedentlich analysierten Stellenanzeigen hervor, die häufig Altershöchstgrenzen für die Einstellung nennen. Sobel und Wilcock (o. J., S. 30) kamen aufgrund ihrer Untersuchungen zu dem Ergebnis, daß in den meisten Industrieländern die Obergrenzen zwischen 40 und 45 Jahren liegen.

Als wesentlichstes Hemmnis, das einer Vermittlung älterer Arbeitsloser entgegensteht, erweisen sich nach den Angaben der von Hofbauer/Bintig/Dadzio (1968, S. 375) befragten Vermittler die gesundheitlichen Einschränkungen, wie sie bei älteren Arbeitslosen tatsächlich vorliegen, oder wie sie von den Personalleitungen lediglich vermutet werden. Daß dieses vornehmlich bei älteren Arbeitern genannte Vermittlungshemmnis allerdings häufig nur das Kriterium »Lebensalter« verdeckt, wird beim Vergleich mit älteren Angestellten, bei denen der Gesundheitszustand innerhalb gewisser Grenzen nur eine sekundäre Rolle spielt, deutlich. Auch diese Arbeitnehmergruppen erhalten nur schwer neue berufliche Stellungen, jedoch wird bei ihnen als Vermittlungshemmnis statt des Merkmals »gesundheitliche Einschränkung« direkt das Lebensalter genannt. Schon früher ermittelte Meis (1953, S. 24), daß das Vermittlungshemmnis »Krankheit« keineswegs mit eingeschränkter Arbeitsfähigkeit oder gar Arbeitsunfähigkeit gleichzusetzen sei. Dieses Hemmnis werde von den Personalabteilungen selbst dann genannt, wenn zwar frühere Arbeitsverhältnisse aus Krankheitsgründen gelöst wurden, gegenwärtig aber keine gesundheitliche Einschränkung bestehe.

Als weiteres Vermittlungshemmnis ist eine geringe berufliche Qualifikation wirksam. Sobel und Wilcock (o. J., S. 3o) berichteten, daß für Facharbeiter in Stellenanzeigen kaum, dagegen für wenig qualifizierte Arbeitskräfte sehr häufig und außerdem sehr niedrige Altershöchstgrenzen vorgegeben werden. Die Untersuchungen des SAB-Instituts (1971, S. 103) und des Forschungsinstituts für Sozialpolitik (1969, S. 221 f.) kamen sogar zu dem Ergebnis, daß ältere Arbeitskräfte mit nur geringen beruflichen Qualifikationen nahezu überhaupt nicht gesucht oder eingestellt werden. Arbeitsplätze mit hohen körperlichen Anforderungen werden ihnen gar nicht erst zugemutet, und Arbeitsplätze mit körperlich leichteren Anforderungen wie Pförtner etc., für die ohnehin die Nachfrage durch betriebsinterne Bewerber größer ist als das Angebot, werden innerbetrieblich besetzt.

Zusätzliche Vermittlungshemmnisse entstehen schließlich durch das Senioritätsprinzip. In Betrieben, in denen dieses Prinzip Geltung besitzt, haben ältere Belegschaftsmitglieder einen relativ guten Schutz vor innerbetrieblicher Abwertung und auch vor beruflicher Ausgliederung. Ein relativ hohes Durchschnittsalter ist die Folge. Da dieser Tatbestand aufgrund des beschriebenen Stigmas üblicherweise von den Personalleitungen als Nachteil gewertet wird, versuchen diese gerade bei Neueinstellungen, die Altersstruktur der Belegschaft: zu jüngeren Jahrgängen hin zu verschieben. Nachteilig für ältere Arbeitslose wirkt sich auch aus, daß neueingestellte Arbeitnehmer überwiegend nur Anfangsstellungen mit entsprechend schlechter Bezahlung erhalten, was gerade für Altere - sofern sie überhaupt eingestellt werden - Einkommenseinbußen und beruflichen Abstieg zur Folge hat. Das Senioritätsprinzip, das einerseits positive Auswirkungen auf die Beschäftigungssituation älterer Betriebsangehöriger hat, verschlechtert damit andererseits zusätzlich die Vermittlungsmöglichkeiten der älteren Arbeitslosen.

Die angeführten Vermittlungshemmnisse verdeutlichen, daß unter mehreren Bewerbern derjenige Arbeitnehmer die besten Aussichten auf einen Arbeitsplatz hat, der den geringsten Negativstatus aufweist. Ein Arbeitsloser wird gegenüber einem Arbeitnehmer in ungekündigter Stellung im Nachteil sein, wofür schon als Indiz gelten kann, daß in Stellungsgesuchen relativ häufig das Merkmal »in ungekündigter Stellung« neben den vorhandenen Kenntnissen und Fähigkeiten als Vorzug angeführt wird. Befindet sich der Arbeitslose darüber hinaus noch in einem höheren Lebensalter, so wird dies seine Wettbewerbsstellung hinsichtlich des Arbeitsplatzes weiter verschlechtern. Vereinigt er zusätzlich noch die Merkmale »geringe schulische und berufliche Bildung« auf sich, gilt er in den meisten Fällen als unvermittelbar[5]. Dies läßt auch den Schluß zu, daß Stigmatisierte aus unteren sozialen Schichten von der Gesellschaft stärker abgelehnt werden, Stigmata also schichtspezifisch wirken (Lautmann/Schönhals-Abrahamsohn/Schönhals 1972, S. 97).

In einzelnen Untersuchungen werden freilich auch Arbeitsbereiche angesprochen, in denen aus Altersgründen stigmatisierte Arbeitnehmer relativ gute Vermittlungs- und Beschäftigungsaussichten haben.

  • Beispiel 1: In einem Industriebetrieb werden für verschiedene Facharbeiterpositionen Arbeitskräfte bis zum Alter von 60 Jahren gesucht. Es handelt sich dabei um Stellungen in der Lagerverwaltung und ähnliche Tätigkeiten. In diesen Produktionsbereichen ist nach Auskunft der befragten Personalleiter kaum Akkordarbeit, die Altere möglicherweise nicht mehr verrichten wollen oder können, möglich, und deshalb liege der durchschnittliche Verdienst auch relativ niedrig (Forschungsinstitut für Sozialpolitik 1969, S. 222).

  • Beispiel 2: In einem Betrieb sind Arbeitsplätze mit nur geringen bzw. ohne Aufstiegsmöglichkeiten zu besetzen. Für diese Tätigkeiten (z.B. Sachbearbeiterpositionen für kaufmännische Angestellte) werden jüngere Arbeitskräfte weniger gern eingestellt, da die Erfahrung gemacht wurde, daß diese nach 2 oder 3 Jahren zu anderen Arbeitsplätzen mit besseren Aufstiegsmöglichkeiten abwandern. Gesucht werden deshalb Angestellte im Alter zwischen 50 und 55 Jahren, die noch 10 bis 15 Jahre die betreffenden Positionen ausfüllen können (Forschungsinstitut für Sozialpolitik 1969, S. 222).

  • Beispiel 3: Vor allem Kleinbetriebe haben einen ungedeckten Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften und sind folglich auch eher als Großbetriebe bereit, ältere oder behinderte Arbeitskräfte einzustellen. Nicht die bessere Einschätzung der Fähigkeiten Älterer, sondern der größere Mangel an Fachkräften gegenüber den attraktiveren Großbetrieben vebessert damit die Beschäftigungsaussichten älterer Arbeitsloser (SAB-Institut 1971, S. 121 f.).

Diese Beispiele lassen erwarten, daß für ältere Arbeitnehmer nur dann günstigere Vermittlungsaussichten bestehen, wenn sie eine Tätigkeit an weniger attraktiven Arbeitsplätzen (geringer Verdienst, geringe Aufstiegsmöglichkeiten) oder in weniger attraktiven Betrieben (Kleinbetrieben) in Kauf nehmen oder während einer konjunkturell oder auch partiell angespannten Arbeitsmarktlage anstreben. Die günstigeren Beschäftigungsaussichten resultieren dann allerdings nicht aus einer positiveren Bewertung der älteren Arbeitskräfte, sondern aus einer generellen, einer regionalen oder auf Einzelsituationen beschränkten Mangelsituation am Arbeitsmarkt.



[5] Es ist anzunehmen, daß ausländische und weibliche Arbeitskräfte den gleichen Diskriminierungen unterworfen sind. Entsprechend lassen sich auch die Aussagen des Leiters des Arbeitsamtes Bielefeld in einem Vortrag am 2.5.1974 interpretieren, wonach gegenwärtig keine Arbeitslosigkeit der Facharbeiter, sondern eine Arbeitslosigkeit der Hilfsarbeiter, der Frauen und der Ausländer bestehe.

3. Lebensalter und Leistungsfähigkeit

Da also Arbeitnehmer aufgrund ihres Lebensalters und der damit verbundenen Zuschreibung geringerer beruflicher Leistungsfähigkeit stigmatisiert werden, gewinnt die Frage an Bedeutung, ob die zugeschriebenen Merkmale bei alternden Arbeitnehmern tatsächlich vorhanden sind, bzw. ob zunehmendes Lebensalter für abnehmende Leistungsfähigkeit ursächlich ist. Lange Zeit war das sog. Defizit-Modell der Leistungsfähigkeit herrschende Meinung. Dieses besagt, daß die geistigen und körperlichen Fähigkeiten eines Menschen mit zunehmendem Lebensalter einen Höhepunkt erreichen und danach einer kontinuierlichen Abnahme unterliegen. Aus einer größeren Zahl neuerer Forschungsergebnisse ist jedoch erkennbar, daß das kalendarische Alter hinsichtlich der im Beruf erforderlichen physischen und psychischen Fähigkeiten nur eine untergeordnete Einflußgröße darstellt. Die Abnahme dieser Fähigkeiten wird vielmehr durch eine Vielzahl von Faktoren ausgelöst, die Angehörige bestimmter Altersgruppen, Teilgruppen der Bevölkerung oder auch nur einzelne Individuen betreffen[6]. So sind ältere Menschen mit gutem Gesundheitszustand leistungsfähiger als ältere Menschen mit schlechtem Gesundheitszustand. Eine gute Schulbildung, eine qualifizierte berufliche Tätigkeit und berufliche Stellung, berufliches Training, geringe Arbeitsbelastungen und ein hohes Begabungsniveau sind empirisch geprüfte Faktoren mit positiver Wirkung auf die Fähigkeiten älterer Menschen. Auch die jeweilige ökonomische Situation sowie Umgebungsfaktoren konnten als Einflüsse nachgewiesen werden, wobei vergangene und gegenwärtige Ansprüche und Verhaltenserwartungen zusammenwirken. Als ebenfalls wirksame Einflußgrößen sind die für eine bestimmte Leistung verfügbare Zeit und schließlich auch die Motivstruktur anzusehen. Damit kann als erwiesen gelten, daß die dem Typus »älterer Arbeitnehmer« zugeschriebene abnehmende Leistungsfähigkeit einmal häufig auf andere Faktoren als zunehmendes Lebensalter zurückgeführt werden kann, und zum anderen beim Fehlen dieser Einflüsse die volle Leistungsfähigkeit vorhanden sein kann. Diese Untersuchungsergebnisse führen zu der Forderung, die häufig angenommene Eindimensionalität der Beziehung von Lebensalter und Leistungsfähigkeit durch ein mehrdimensionales Bezugssystem abzulösen, das allerdings von erheblich größerer Komplexität sein würde.

Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß aus zugeschriebenen Eigenschaften durchaus tatsächliche werden können. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn die Vorstellungen über den Verfall von Fähigkeiten mit in die Verhaltenserwartungen gegenüber älteren Arbeitnehmern eingehen und diese daher nur noch begrenzten Leistungszumutungen ausgesetzt sind, wenn sie beispielsweise nicht mehr zur Teilnahme an Fortbildungskursen aufgefordert, an neuen Maschinen eingearbeitet oder mit neuen Arbeitstechniken vertraut gemacht werden, wenn also »lernen« und »einarbeiten« ausschließlich den Jüngeren vorbehalten bleiben. Die Folge wird - ganz im Sinne einer »self-fulfilling-prophecy« - sein, daß geringere Leistungszumutungen tatsächlich geringere Leistungsfähigkeit hervorrufen. Auf diese Weise bestätigen sich negative Zuschreibungen gleichsam von selbst.



[6] An dieser Stelle kann beispielsweise auf die Arbeiten von Lehr (1972) sowie Thomae/Lehr (1973) verwiesen werden, die die zahlreichen Untersuchungen zum Thema »Einflußfaktoren auf die berufliche Leistungsfähigkeit im höheren Lebensalter« zusammenfassend dargestellt haben.

4. Leistungssubstitute und betriebliche Statuszuweisung

Bisher ist die Frage unerörtert geblieben, wie die mit dem Merkmal »Lebensalter« verbundene Zuschreibung geringerer Leistungsfähigkeit Eingang in die betriebliche Leistungsbewertung finden kann - und zwar trotz der Tatsache, daß eine Abnahme beruflicher Leistungsfähigkeit wesentlich von anderen Faktoren als dem Lebensalter bestimmt wird. Die Klärung dieser Frage ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil nach dem in den Industriegesellschaften propagierten Leistungsprinzip beruflicher Status durch Leistung zu erwerben ist und eine an diesem Prinzip orientierte Zuweisung von Berufspositionen die genaue Erfassung der tatsächlichen Leistungsfähigkeit voraussetzt.

Schon relativ früh erörterte Dahrendorf den Beziehungszusammenhang zwischen Leistung und Status und erkannte, daß durch die technologische Entwicklung an vielen Arbeitsplätzen Anforderungen entstanden sind, die nicht durch technische Leistungsmaßstäbe erfaßbar sind: »Wenn wir uns die Prinzipien moderner Arbeitsplatzbewertung ansehen und diese als Index der herrschenden Auffassung industrieller Fertigkeiten verstehen, so finden wir hier fast durchweg neben funktionalen Qualifikationsanforderungen wie Fachkenntnissen und Geschicklichkeit auch gewissermaßen meta-technische oder extra-funktionale ... Fertigkeiten wie Verantwortung für Betriebsmittel und Erzeugnisse oder für Sicherheit anderer« (1956, S. 552) . Diese Zweiteilung der Qualifikationsanforderungen verwendete auch Weinstock (1963, S. 145), der zwischen zentralen und peripheren Rollenelementen differenzierte. Am ausführlichsten beschäftigte sich Offe mit der Bedeutung der peripheren oder extra-funktionalen Elemente der Arbeitsrolle. Er unterscheidet zwei Klassen von Regeln, aus denen sich die Arbeitsrolle zusammensetzt (1970, S. 29)[7]:

  • Technische Umgangs- oder Verfahrensregeln und

  • normative Orientierungen (regulative Normen und extra-funktionale Orientierungen).

Diese Elemente der Arbeitsrolle können - so Offe - auf einem Kontinuum dargestellt werden, an dessen einem Pol die funktionalen und an dessen anderem Pol die funktional irrelevanten Regeln angesiedelt sind. Die zunehmende Bedeutung der normativen Orientierungen für die Leistungsbeurteilung ergibt sich zum einen dadurch, daß in den heutigen Industriebetrieben eine Entwicklungstendenz zu einer diskontinuierlichen Qualifikationsstruktur besteht (die Regeln der Arbeitsrolle eines Arbeitnehmers gehen nur noch zum Teil in die seines Vorgesetzten ein), und damit die vertikale Demonstrationschance individuellen Arbeitsvermögens (Sichtbarmachung beruflicher Leistungsfähigkeit gegenüber den Vorgesetzten) eingeschränkt ist. Zum anderen verringert sich ständig der initiative Einfluß auf das Arbeitsergebnis (Möglichkeit, das Arbeitstempo, die Beschaffenheit des Produktes, die Ausstoßmenge usw. selbst zu bestimmen) zugunsten eines lediglich präventiven Einflusses (Möglichkeit, innerhalb eines bestimmten institutionellen Rahmens Unterlassungen und Fehler zu begehen, die die Erfüllung von Arbeitsaufgaben verhindern oder verhindern könnten), wobei die Möglichkeit individueller Zurechenbarkeit von Arbeitsleistungen abnimmt. Die individuelle Zurechenbarkeit und die vertikale Demonstrationschance sind aber Voraussetzungen für leistungsentsprechende Statuszuweisung. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, entsteht ein »Legitimitätsvakuum«, in das Leistungssubstitute eindringen. Zu diesen - vom Kern der Arbeitsleistung oft weit entfernten - Substituten zählen neben organisationsextern erworbenen Leistungssymbolen und Herkunftskriterien auch alle in der Gesellschaft existierenden zugeschriebenen Merkmale einzelner Gruppen, durch die sich »die ehemals vielleicht rationale Legitimation von Status durch Leistung ... in eine autoritäre Diskriminierung oder Privilegierung kultureller Gruppen« verwandelt (Offe 1970, S. 33).

Diese Mängel des Leistungsprinzips haben für ältere Arbeitnehmer zur Folge, daß es ihnen nicht möglich ist, vorhandene Leistungsfähigkeit nachzuweisen, um so der Zuschreibung, weniger leistungsfähig zu sein, entgegenzuwirken. Sie sind damit faktisch in doppelter Weise benachteiligt. Einmal werden ihnen negativ bewertete Merkmale einfach zugeschrieben und zum anderen wird es ihnen weitgehend unmöglich gemacht, den Beweis für die Fehlerhaftigkeit der Zuschreibung anzutreten. Es ist deshalb in diesem Zusammenhang der Aussage Dreitzels (1974, S. 42) zuzustimmen, daß das Leistungsprinzip heute weniger der Freisetzung individueller Lebenschancen dient, als vielmehr eine »subtil verschleiernde Legitimation des Fortbestands gesellschaftlicher Ungleichheit« darstellt.

Nahezu alle neueren empirischen Forschungsarbeiten über ältere Arbeitnehmer sind durch eine weitreichende Theorielosigkeit gekennzeichnet. Dies ist einer der Gründe dafür, daß trotz intensivster Forschung in diesem Bereich noch vielfältige, bisher ungelöste Probleme bestehen. Die vorhandenen Ansätze der Stigma-Forschung können möglicherweise das fehlende theoretische Fundament bilden. Die vorangegangenen Ausführungen ließen deutlich werden, daß Arbeitnehmer im höheren Lebensalter, die vornehmlich den unteren sozialen Schichten angehören, einer Stigmatisierung als ältere Arbeitnehmer unterliegen. Diesen Arbeitnehmern werden eine Vielzahl sozial diskreditierender Eigenschaften zugeschrieben, die berufliche Abwertungs- und Ausgliederungsprozesse zur Folge haben. Sowohl die Prozesse der Zuschreibung als auch die Konsequenzen für die stigmatisierten Arbeitskräfte bedürfen noch eingehender empirischer und theoretischer Untersuchungen.



[7] Offe unterscheidet die folgenden Regeln: 1. technische Umgangs- oder Verfahrensregeln: an einem Arbeitsplatz erforderliche physische Leistungsfähigkeit sowie das aus Erfahrung und Übung gewonnene Leistungskönnen und -wissen; 2. normative Orientierungen: sämtliche Normen, Werte, Interessen und Motive, die im institutionellen Rahmen der Arbeitsprozesse einzuhalten sind; hierzu gehören: a) regulative Normen, wie Normen der Vorsicht, der Sparsamkeit usw., die das Funktionieren des Kooperationsgefüges fördern, ohne auf bestimmte Funktionen am Arbeitsplatz beschränkt zu sein; und b) extra-funktionale Orientierungen, die zwar keinen funktionalen Beitrag zum Arbeitsvollzug leisten, aber nichtsdestoweniger vorausgesetzt und erwartet werden. Sie dienen vor allem der Stützung der organisatorischen Autoritätsstruktur (etwa im Sinne von Loyalität mit den Ansichten und Interessen vorgesetzter Personen und Unterordnung unter das herrschende Interesse der Organisation).

Literatur

ANBA (Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit), Die Arbeitslosen Ende September 1973 nach ausgewählten persönlichen Merkmalen, 1974, S. 111-116.

Arnold, W./Bergler, R.,Psychologische Gründe der Arbeitslosigkeit älterer Angestellter, Lüneburg 1955.

Dahrendorf, R.,Industrielle Fertigkeiten und soziale Schichtung, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1956, S. 540-568.

DGFP (Deutsche Gesellschaft für Personalführung), Methoden der Anpassung der Arbeitsanforderungen an ältere Arbeitnehmer, unveröffentlichter Forschungsbericht, Düsseldorf 1971.

Dreitzel, H. P.,Soziologische Reflexionen über das Elend des Leistungsprinzips, in: Sinn und Unsinn des Leistungsprinzips - Ein Symposion, München 1974, S. 31-53.

EGKS (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl), Die Auswirkungen des technischen Fortschritts auf die Struktur und Ausbildung des Personals in den Walzwerken, München 1966.

Forschungsinstitut für Sozialpolitik der Universität zu Köln, Wiedereingliederung älterer Arbeitsloser in die Wirtschaft Nordrhein-Westfalens, unveröffentlichter Forschungsbericht, Düsseldorf 1969.

Goffman, E.,Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität, Frankfurt 1967.

Hofbauer, H./Bintig, U./Dadzio, W., Materialien zur Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland, in: Mittellungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, 1968, S. 357-386.

INSTRE (Institut für Stadt- und Regionalentwicklung), Der Ältere in der industriellen Arbeitswelt, Forschungsbericht, Düsseldorf 1974.

Lautmann, R./Schönhals-Abrahamsohn, M./Schönhals, M., Zur Struktur von Stigmata, in. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1972, S. 83-100.

Lehr, U.,Psychologie des Alterns, Heidelberg 1972.

Meis, W.,Hamburgs Beschäftigungslage und der ältere Angestellte, Hamburg 1953.

Offe, C., Leistungsprinzip und industrielle Arbeit, Frankfurt 1970.

Pohl, H. J., Ältere Arbeitnehmer - Ursachen und Folgen beruflicher Abwertung, Diss., Bielefeld 1973.

RKW (Rationalisierungskuratorium der Deutschen Wirtschaft), Qualifizierung älterer Arbeitnehmer, unveröffentlichter Forschungsbericht, Köln 1969.

SAB-Institut für sozioökonomische Strukturforschung, Teilzeitbeschäftigung bei männlichen Arbeitskräften, unveröffentlichter Forschungsbericht, Köln 1971,

Schneider, H. D.,Soziale Rollen im Erwachsenenalter, Frankfurt 1970.

Sobel, J./Wilcock, R. C., Methoden der Vermittlung und Arbeitsberatung älterer Arbeitnehmer, OECD-Bericht, o.O.u.J.

Thomae, H./Lehr, U.,Berufliche Leistungsfähigkeit im mittleren und höheren Erwachsenenalter, Göttingen 1973.

Weinstock, A., Role Elements - A Link between Acculturation and Occupational Status, in: British journal of Sociology, 1963, S. 144 bis 149.

WEMA-Institut für empirische Sozialforschung, Einstellungen und Verhalten der Arbeitgeber gegenüber älteren Arbeitnehmern, unveröffentlichter Forschungsbericht, Köln 1970.

Zur Person:

Hans-Joachim Pohl, geb. 1942, Diplom-Volkswirt, Dr. Soz. Wiss., Wissenschaftl. Assistent an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld. Arbeitsgebiete: Personal- und Ausbildungswesen, Humanisierung der Arbeit, Berufsprobleme älterer Arbeitnehmer.

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Quelle

Hans-Joachim Pohl: Stigmatisierung älterer Arbeitnehmer im Industriebetrieb

Erschienen in: Manfred Brusten/Jürgen Hohmeier(Hrsg.), Stigmatisierung 1, Zur Produktion gesellschaftlicher Randgruppen, Darmstadt 1975. S. 109 - 123

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 10.02.2005

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