Grenzen der Sichtbarkeit von Geschlecht und Behinderung
In: Göde Both, Inka Greusing, Sabine Grenz, Tomke König, Lisa Pfahl, Katja Sabisch und Susanne Völker (Hg.) Bewegung/en. Dokumentation der 5. Jahrestagung der Fachgesellschaft Gender Studies. Opladen: Barbara Budrich, S. 61-74.
Inhaltsverzeichnis
- Abstract:
- Einleitung
- Die deutsche Behindertenbewegung – Hintergrund
- Erste Schritte
- Eine Bewegung ist geboren
- Eine Bewegung in der Bewegung: Frauen mit Behinderungen
- Behinderte Frauen in der Öffentlichkeit
- Debatten um Frauenfragen im Kontext der UN-Behindertenrechtskonvention
- Sichtbarkeit von Geschlecht und Behinderung
- Literaturverzeichnis
- Zu den Personen
Der Beitrag zeigt die Entwicklung der deutschen Behindertenbewegung auf sowie die Entstehung der „Krüppelfrauengruppen" und ihrer Forderungen sowie den späteren Zusammenschluss behinderter Frauen in Selbstvertretungsorganisationen. Es werden Unterschiede zwischen der Frauenbewegung und der Bewegung behinderter Frauen dargestellt und die zentralen Entwicklungen in der deutschen Behinderten- und Gleichstellungspolitik der Ietzten 30 Jahre nachvollzogen. Dabei wird der Einfluss von Frauen auf die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) hervorgehoben und auf weiterhin bestehende soziale Ungleichheiten eingegangen.
Schlüsselwörter
Frauen, Ungleichheit, Selbstbestimmung, Behindertenbewegung, politische Teilhabe, UN-BRK
From "crip women" to "disability and mad pride". The limits and visibility of gender and disability. The article outlines the history of the German disability rights movement and the disabled women's movement and its demands. We also show how disabled women later formed self-representation organisations. We indicate differences between the women's movement and the disabled women's movement, and key developments in the disability rights movement and gender policy in Germany over the last 30 years. We focus on the influence of women at the UN Convention on the Rights of People with Disabilities (UN CRPD) and the social inequalities which still exist.
Keywords
Women, inequality, independent living, disability movement, political participation, UN CRPD
Die Entwicklung von der Besonderung behinderter Menschen bis zu ihrer Anerkennung als Träger_innen von Bürgerrechten dauerte Jahrzehnte und geht maßgeblich auf die emanzipatorische Behindertenbewegung zurück. Auch das Sichtbarmachen der Anliegen behinderter Frauen benötigte einige Zeit und Einsatz von Frauen. Der Beitrag zeigt diese Entwicklung auf und fokussiert die Entstehung von „Krüppelfrauengruppen", ihre Forderungen sowie den späteren Zusammenschluss behinderter Frauen als Bewegung in der Bewegung. Dabei wird eine sozialkonstruktivistische Perspektive auf Geschlecht und Behinderung eingenommen, in der geschlechts- und fähigkeitsbezogene Differenzen zwischen Einzelnen und Gruppen nicht als (natur)gegeben verstanden werden, sondern als Produkt gesellschaftlicher Differenzierungen. Diese Perspektive stellt die Legitimität der gängigen Personenkategorien „disability" und „gender" in Frage; die Verknüpfung dieser beiden Kategorien wurde erstmals in der politischen Arbeit der sozialen Bewegung behinderter Frauen vorgenommenen und im Diskurs der Disability Studies weitergeführt:
„,Sex‘ und ,gender‘, ,impairment‘ und - offensichtlich Iiegt sowohl Geschlecht als auch Behinderung eine Zweiteilung zugrunde, bei der jeweils die erste Ebene der Natur zugeordnet und die zweite als gesellschaftlich bedingt angesehen wird [...] Die Ungleichheitskategorien und gender' dienen (dabei) auch dem Zweck, ,impairment‘ bzw. ,sex‘ als Interventionsebene herzustellen; sie sind nicht bloß Effekte von Naturerscheinungen, sondern stellen in der Gestalt von ,sex‘ oder ,impairment‘ selbst ,Natur‘ her" (Waldschmidt 2010; 46f.).
Die Betrachtung des Zusammenspiels von Behinderung und Geschlecht eröffnet also sowohl den Blick auf die Konstruktion von vermeintlich naturgegebenen Personenkategorien als auch auf die geschlechtstypischen Lebenssituationen von Personen mit Beeinträchtigungen. Die Faktoren, die zum Prozess des Behindert-Werdens von Frauen und Männern beitragen, werden so einer Analyse zugänglich gemacht (vgl. Jacob/Köbsell/Wollrad 2010). In der deutschsprachigen Forschung ist dies – anders als im anglo-amerikanischen Kontext (vgl. Garland Thomson 2004; Kafer 2011) – jedoch noch wenig etabliert (Raab 2010; Pfahl/Powell 2014).
In diesem Beitrag werden im Sinne einer Mehrebenenanalyse (Winker/Degele 2011: 54) ungleichheitsproduzierende Strukturen untersucht: Organisationen und Institutionen auf nationaler und globaler Ebene, Organisationen und Institutionen auf regionaler Ebene sowie ldentitätskonstruktionen behinderter Frauen und Männer. Die Beschreibung der internationalen politischen Entwicklungen zur Stärkung der Rechte behinderter Menschen, der nationalen rechtlich-institutionellen Reformprozesse sowie der veränderten Erwartungen von behinderter Frauen zielt auf eine Analyse der Bedingungen, unter denen behinderte Frauen in Deutschland ihre Interessen in Politik und Öffentlichkeit eingebracht haben. Ziel des Beitrags ist es, die institutionellen und organisationalen Entwicklungen in der (inter)nationalen Behindertenpolitik sowie die identitätspolitischen Strategien von Frauen und Lesben in der Behindertenbewegung aufzuzeigen, um die gesellschaftlichen Entwicklungen und internen Konflikte der bewegungspolitischen Zusammenschlüsse von den „Krüppelfrauen" bis hin zur „Disability and Mad Pride Parade" zu verstehen.
Die westdeutsche Behindertenbewegung entstand, als andere soziale Bewegungen wie die zweite Frauenbewegung bereits aktiv waren (vgl. Hark 2005). Sie beinhaltete eine radikale Kritik an dem mehr als hundert Jahre alten Fürsorgesystem der Anstalten und krankenhausähnlichen Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Bis weit in die 1970er Jahre waren dies „totale Institutionen" (vgl. Goffman 1961), in denen das gesamte Leben der Insass_innen der Logik der Institution unterworfen war. Zusätzlich zur Fremdbestimmung im alltäglichen Leben waren die Zustände innerhalb dieser Institutionen oftmals entwürdigend, wie unter anderem 1975 im Bericht der Psychiatrie-Enquete festgestellt wurde. Die Kommission bemängelte unter anderem die fehlende Privatsphäre, schlecht ausgebildetes Personal und unzureichende medizinische und therapeutische Versorgung (Deutscher Bundestag 1975: 11 f.).
Bereits in den 1950er Jahren gründeten Eltern Vereine, um Unterstützung für ihre Kinder außerhalb von Einrichtungen zu organisieren und sich für eine bessere Infrastruktur in der Behindertenhilfe einzusetzen. Zu dieser Zeit gab es keine öffentlichen Forderungen nach Integration. Im Gegenteil, Sonderschulen, Sonderkindertagesstätten und Werkstätten für Menschen mit Behinderungen wurden etabliert, ausgebaut und als fortschrittlich betrachtet. Mit dem sogenannten Wirtschaftswunder bei gleichzeitigem Fachkräftemangel wurden Fragen der beruflichen Rehabilitation behinderter Erwachsener für Politik und Wirtschaft zunehmend interessant. Zwischen 1964 und 1975 entstand ein ausdifferenziertes System der medizinischen und beruflichen Rehabilitation mit dem Ziel, (schwer)behinderte Personen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Doch das System an Aus- und Weiterbildungen war auf typisch männliche Lohnarbeitsbiografien zugeschnitten, was zum weitgehenden Ausschluss von Frauen führte (vgl. Schildmann 2009: 224). Bis in die späten 1970er Jahre fand Teilhabe für behinderte Menschen in Bereichen wie Bildung, Arbeit, Kultur und Politik im Prinzip nicht statt. Lediglich die Kriegsversehrten konnten nach dem Zweiten Weltkrieg durch Verbandsgründung und Lobbypolitik ihre Interessen vertreten und politische Erfolge wie die Einführung einer Schwerbehindertenquote auf dem Arbeitsmarkt erreichen (vgl. Bosl 2010).
Das Leben der meisten behinderten Menschen spielte sich jedoch weitestgehend innerhalb der Grenzen von Familien und Sondereinrichtungen ab. Es gab so gut wie keine zugängliche Infrastruktur, die Partizipation erlaubt hatte: Wohnungen, öffentliche Verkehrsmittel und Gebäude sowie kulturelle Einrichtungen waren nicht barrierefrei. Persönliche Assistenz als Unterstützung im Alltag war nicht verfügbar. Der durch diese Faktoren bedingte Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben war in beträchtlichem Maße dem vorherrschenden Verständnis von Behinderung als medizinisch-biologischem Problem geschuldet, Behinderung wurde mit Leid und Krankheit gleichgesetzt (vgl. Poore 2007); zwischen individuellen (Beeinträchtigung) und gesellschaftlichen Aspekten (Behinderung) wurde nicht unterschieden. Die Verortung von Behinderung in der „fehlerhaften" Ausstattung des Einzelnen wurde später als medizinisch-individuelles Modell von Behinderung beschrieben und kritisiert, da diese Denkweise voraussetze, dass das „Problem" Behinderung individuell zu lösen sei – indem entweder ein Heilmittel gefunden wurde oder die Betroffenen ihr Schicksal akzeptierten. Gesellschaftliche Ausgrenzung und soziale Stigmatisierung von behinderten Menschen wurden zwar auch damals thematisiert, aber überwiegend als unausweichliche Folge eines Lebens mit Beeinträchtigungen angesehen. Diese Sichtweise begründete auch die umfassende Macht, die Expert_innen über Menschen mit Behinderungen und deren Leben hatten: Nur Professionellen der (sozial-)medizinischen Disziplinen wurde die Fähigkeit, zu ,heilen‘, zu ,rehabilitieren‘ und zu wissen, was gut für „die Behinderten" war, zugeschrieben. Diese Sichtweise führte zu einer starken Ausweitung der Sonderpädagogik und der Rehabilitationswissenschaften über das 20. Jahrhundert hinweg (vgl. Pfahl/Buchner 2015). Legitimiert durch akademische Disziplinbildungen verfestigte sich die Annahme, Expert_innen wüssten besser als die betroffenen Personen selbst, welche Unterstützung behinderte Menschen benötigen und welche behindertenpolitischen Forderungen zu stellen seien. Das disziplinare Wissen der Professionellen kreiste um körperliche, sensorische, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen und daraus resultierende Schwierigkeiten in der Bewältigung des Lebens- und Arbeitsalltags. Dieser diagnostische Blick ließ im Diskurs um Behinderung andere biografische Erfahrungen oder soziale Zugehörigkeiten, die lebensbestimmend für die betroffenen Personen waren, in den Hintergrund treten. Als zu bemitleidende, angeblich unfähige, kindliche und geschlechtslose Wesen beschrieben, wurden Rechte, Forderungen und Bedürfnisse behinderter Frauen und Männer in der Behindertenhilfe nicht thematisiert geschweige denn ernst genommen.
In den 1960er Jahren wurde die westdeutsche Gesellschaft durch die Studierenden- und die Frauenbewegung für Fragen der Diskriminierung sensibilisiert. Junge behinderte Frauen und Männer wurden von dieser Stimmung des Aufbruchs mitgerissen und begannen zusehends, sich von der Expert_innenmacht zu losen. 1968 wurde der „Club 68" gegründet, ein Vorbild für die sogenannten „Clubs Behinderter und ihrer Freunde" („Cebeef"), die in den nächsten Jahren entstanden. In diesen Clubs trafen sich behinderte und nichtbehinderte junge Leute, um im Gespräch gegenseitig Vorurteile abzubauen (vgl. Poore 2007). Durch die Konfrontation mit vielfaltigen Barrieren bei den Aktivitäten der Gruppen politisierten sich diese. Gusti Steiner, ein früher Aktivist der westdeutschen „Szene" erklärt seinen Prozess des „Erwachens" folgendermaßen:
„Ich war durch Stufen und Treppen, die von anderen, die Macht hatten, geplant und gebaut wurden, aus Gebäuden ausgesperrt. Ich und andere Behinderte waren durch die Art, Busse und Bahnen zu planen, zu bauen und einzusetzen, aus den Öffentlichen Verkehrsmitteln ausgesperrt. Und genau das hatte Auswirkungen auf unser Selbstbewusstsein! Wir mussten dahin, wo diese Konflikte deutlich waren" (Steiner o. J.).
Mehr und mehr behinderte Menschen begannen gegen die alltäglichen Diskriminierungen und Anfeindungen zu kämpfen. Ihre öffentlichen Aktionen, wie zum Beispiel das Blockieren des Straßenbahnnetzes in Frankfurt am Main, wurden von der Mehrheitsgesellschaft überwiegend als unerhört, undankbar und provokativ gedeutet. Die Aktionen gegen physische Barrieren in der Umwelt waren ein Novum und erzielten hohe mediate Aufmerksamkeit (vgl. Kobsell 2006a).
Die „Krüppelgruppen" – die erste wurde 1978 gegründet – hatten einen noch starker politisierten Zugang zum Thema Behinderung. Aus dieser Position wurde Behinderung als Resultat gesellschaftlicher Unterdrückung und als Zwang zur Anpassung an Normen, Wertvorstellungen und Ideale der Mehrheitsgesellschaft verstanden. Angestrebt wurde nicht die partnerschaftliche Kooperation mit Nichtbehinderten; vielmehr wurde in Opposition zu den „Unterdrücker_innen" (Frehe 1984: 105) eine eigene Position entwickelt. Die Redaktion der Krüppelzeitung erläuterte:
„Immer wieder werden wir danach gefragt, warum wir uns als Krüppel bezeichnen […]. Der Begriff Behinderung verschleiert für uns die wahren gesellschaftlichen Zustande, während der Name Krüppel die Distanz zwischen uns und den sogenannten Nichtbehinderten klarer aufzeigt. Durch die Aussonderung in Heime, Sonderschulen oder Rehabilitationszentren werden wir möglichst unmündig und isoliert gehalten […]. Daraus geht hervor, daß wir nicht nur behindert (wie z. B. durch Bordsteinkanten), sondern systematisch zerstört werden. Ehrlicher erscheint uns daher der Begriff Krüppel, hinter dem die Nichtbehinderten sich mit ihrer Scheinintegration („Behinderte sind ja auch Menschen") nicht so gut verstecken können" (N. N. 1982: 2).
Menschen, die sich nicht selbst als behindert positionierten, waren aus den Krüppelgruppen ausgeschlossen, was damit begründet wurde, dass erlebte Diskriminierung nur unter Gleichen analysiert werden konnte – vergleichbar mit dem Ausschluss von Männern aus Frauengruppen. Zudem sollte die Etablierung von Machtstrukturen zugunsten Nichtbehinderter in den Gruppen verhindert werden. Diese Sichtweise wurde jedoch nur von wenigen aus der Bewegung geteilt.
Am 25. Februar 1980 veränderte sich die bewegungspolitische Situation entscheidend. Grund dafür war ein Urteil des Frankfurter Landgerichts: Einer Urlauberin wurde die Minderung ihres Reisepreises zugesprochen, weil sie den Anblick behinderter Menschen während ihres Urlaubs „ertragen" musste (Klee 1980). Im Anschluss an die Urteilsverkündung gab es zahlreiche Proteste, die in eine bundesweite Demonstration mündeten, an der ca. 5 000 Menschen teilnahmen, von denen viele eine offensichtliche Beeinträchtigung hatten. Vergleichbares hatte es in Deutschland noch nicht gegeben. Obwohl die Demonstration nicht die Aufhebung des Gerichtsurteils bewirkte, kann sie als Startschuss für die westdeutsche Behindertenbewegung angesehen werden. Sie stärkte das Gefühl der gemeinsamen Stärke sowie – und das war neu – der öffentlichen Wahrnehmbarkeit: Erstmalig wurde vom Widerstand behinderter Menschen in der bundesweiten Presse berichtet. Die daraus resultierende Aufbruchstimmung wirkte sich auch auf das „Internationale Jahr der Behinderten" aus, das die Vereinten Nationen für 1981 ausgerufen hatten. Überzeugt davon, dass sich Professionelle in diesem Rahmen als Expert_innen und Sprecher_innen für die Bedürfnisse behinderter Menschen darstellen werden, entstand aus der Vernetzung der verschiedenen Gruppen die Idee, das UN-Jahr für eigene Zwecke zu nutzen. Die erste Gelegenheit dafür bot die Eröffnungsfeier am 24. Januar 1981 in Dortmund. Aus ganz Westdeutschland reisten behinderte Menschen und ihre Unterstützer_innen an, um die Reden der Politiker_innen und Funktionär_innen zu stören und die Aufmerksamkeit auf die eigenen Anliegen zu richten. Einige Aktivist_innen ketteten sich an die Bühne und hinderten so den Bundespräsidenten Karl Carstens, eine Rede zu halten. Sie forderten: „Keine Reden, keine Aussonderung, keine Menschenrechtsverletzungen" (Anonymous 1981). Carstens musste seine Rede in einem angrenzenden Hinterzimmer halten; sie bestätigte, was die Protestierenden befürchtet hatten: Weder Rechte noch Selbstbestimmung, aber Nächstenliebe gegenüber „den Behinderten" fanden Erwähnung (vgl. Steiner 1983).
Das Krüppeltribunal am 13. Dezember 1981 bildete die letzte große Veranstaltung der Bewegung in diesem Jahr. Hier wurde Gewalt gegen behinderte Menschen als Menschenrechtsverletzung thematisiert (Daniels/Degener/Jürgens 1983: 9). Angeprangert wurden die Lebensumstände in Einrichtungen der Behindertenhilfe, willkürliche Machtanwendung der Behörden, Einschränkung der Mobilität, Zustände in Behindertenwerkstätten und die besondere Benachteiligung behinderter Frauen. So wurde das von den Aktivist_innen als „Jahr der Behinderer" umbenannte Jahr zur effektiven Geburtshelferin der Behindertenbewegung in Deutschland. Auch für die weltweite Vernetzung der Behindertenbewegungen war das Jahr 1981 von Bedeutung. „Disabled Peoples' International" (DPI) wurde gegründet: „(d)er weltweit erste erfolgreiche Versuch, das Reden über volle und gleichberechtigte Partizipation von Menschen mit Behinderungen in Taten umzusetzen" (www.dpi.org; eigene Übersetzung).
Für die Zeit nach 1981 können zwei Hauptströmungen der Weiterentwicklung der Behindertenbewegung ausgemacht werden: Einerseits ging es um die Etablierung von Infrastrukturen, die Selbstbestimmung in allen gesellschaftlichen Bereichen ermöglichen sollten, wie z. B. die Organisation von persönlicher Assistenz und die Beratung von behinderten durch behinderte Menschen (Peer Counselling). Gleichzeitig wurde verstärkt an der politisch-öffentlichen Selbstvertretung gearbeitet.
In der Entstehungsphase der Behindertenbewegung waren Frauen und Mädchen wenig sichtbar. Sie wurden weder in der Fachliteratur zu Behinderung noch in der Frauenliteratur oder den Schriften aus der Behindertenbewegung erwähnt. Innerhalb der von Männern dominierten Behindertenbewegung gab es – auch international – kaum Interesse, sich mit Geschlechterfragen zu beschäftigen (vgl. O'Toole 2004). Die heterosexistische Perspektive der Mehrheitsgesellschaft wurde von der Behindertenbewegung unhinterfragt übernommen. Die Erfahrung, weder von der Frauen- noch von der Behindertenbewegung anerkannt beziehungsweise mit den eigenen Themen akzeptiert zu werden, führte in den späten 1970er Jahren zur Gründung der „Krüppelfrauengruppen". Deren Ziel war es, Räume für Austausch und die Analyse der spezifischen Situation als behinderte Frauen zu schaffen (vgl. Ehrig 1996: 297). Die Frauenbewegung war kaum interessiert an den Belangen und Kritiken von Frauen mit Behinderungen, und so kam es nicht zu einem Bündnis der beiden sozialen Bewegungen. Erstmalig wurde die Überschneidung behinderten- und geschlechterpolitischer Belange im Kontext des internationalen Jahres für Behinderte 1981 thematisiert. Einer der Anklagepunkte beim „Krüppeltribunal" war das Thema „Behinderte Frauen". in der Auseinandersetzung mit Schönheitsidealen, Gynäkologie, Vergewaltigung und Abtreibung wurde aufgezeigt, was es bedeutet, weiblich und behindert zu sein (vgl. Daniels/Degener/Jürgens 1983). Dokumentiert, aber sozialwissenschaftlich bislang kaum untersucht, sind die Auseinandersetzungen zwischen Lesben, die Mitte der 1980er Jahre auf den Berliner Lesbenwochen stattfanden. Hier wurde um Fragen der Teilhabe, Selbstbestimmung und Barrierefreiheit behinderter Frauen in der Lesbenbewegung gestritten und gemeinsam Veranstaltungen durchgeführt (vgl. Raab 2007).
Zu dieser Zeit wurden auch erste sozial- und erziehungswissenschaftliche Analysen zu den Lebensbedingungen behinderter Frauen in (West-)Deutschland (vgl. Schildmann 1983) und deren beruflichen Perspektiven (vgl. Rohr 1984a) vorgelegt, die der feministischen Frauenforschung zuzurechnen sind.
Die im Kollektiv der Frauen- und Lesbenkrüppelgruppen entwickelte Erkenntnis, dass sich die Lebensrealitäten behinderter Frauen aufgrund des Zusammenwirkens von Behinderung und Geschlecht in vielen Aspekten sowohl von den Lebensrealitäten behinderter Männer wie auch von denen anderer Frauen unterschieden, wurde in dem Buch Geschlecht behindert. Besonderes Merkmal: Frau (Ewinkel et al. 1985) aufgenommen. Es vertiefte die Diskussionen des Krüppeltribunals und griff Themen wie Mutterschaft, Sterilisation, Sozialisation, Bildung und berufliche Rehabilitation auf. In der weiteren Debatte wurde unter dem Stichwort ,doppelte Diskriminierung` die Situation behinderter Frauen kritisch diskutiert und gefragt, wie es dazu kommt, dass behinderte Frauen nicht als attraktiv, begehrenswert oder produktiv wahrgenommen werden und sie diesen vermeintlichen Mangel in der Regel durch Verzicht auf Partner_innenschaft und durch hohe Leistungen zu kompensieren haben. Insbesondere die fehlende Anerkennung als sexuelle Wesen, die ebenfalls eine Form von Sexismus darstellt (vgl. Rohr 1984b), führte den Analysen zufolge dazu, dass behinderten Frauen neben dem Recht auf eine selbstbestimmte Sexualität das Recht auf Fortpflanzung regelmäßig abgesprochen und ihnen Sterilisationen und Abtreibungen angetragen wurden. Frauen, die als geistig behindert gelten, erlebten lange Jahre ein faktisches Gebärverbot (vgl. Pixa-Kettner/Bargfrede/Blanken 1996). Behinderte Frauen werden bis heute oft nicht als potenzielle (Intim-)Partner_innen wahrgenommen; zugleich erfahren sie ein großes Ausmaß an sexualisierter Gewalt (vgl. Schröttle et al. 2012).
Dass sexualisierte Gewalt gegen behinderte Frauen, dieses ,Tabu in einem Tabu', wissenschaftliche und öffentliche Aufmerksamkeit erlangte, ist auf die Aktivitäten behinderter Frauen zurückzuführen. Das deutsche Strafrecht hingegen sieht nach wie vor eine verminderte Strafe vor, wenn die Person, der Gewalt angetan wird, als ,widerstandsunfähig' gilt. Die Kritik am Sexualstrafrecht war damit eines der zentralen Anliegen der Krüppelfrauen. Auch positionierten sie sich eindeutig für die Fristenregelung des § 218, aber gegen selektive Spätabbrüche im Falle einer vermuteten Behinderung des Fötus (vgl. Köbsell 2006b). Mit Stellungnahmen gegen Pränatal-Diagnostik traten die Frauen zunehmend selbstbewusst an die Öffentlichkeit (vgl. Degener/Köbsell 1992) und gerieten damit auch wiederholt in Konflikt mit der Frauenbewegung und ihrer Forderung nach selbstbestimmter Entscheidung auf eine selektive Abtreibung (vgl. Achtelik 2015).
Trotz der zunehmenden Sichtbarkeit behinderten- und geschlechterpolitischer Themen in der Öffentlichkeit blieben grundsätzliche Probleme bestehen: Die sich institutionalisierende Frauenbewegung griff die Themen behinderter Frauen nicht systematisch auf und die männlich dominierte Behindertenbewegung zeigte sich resistent gegenüber Geschlechterfragen. Dies führte in den frühen 1990er Jahren zu einem ,Kampf der Geschlechter‘ in der Bewegung: Dreh- und Angelpunkt war dabei die Verwendung des Begriffs ,doppelte Diskriminierung`, der von Männern aus der Bewegung als Strategie für eine ,doppelte Opfer-Anerkennung` verunglimpft wurde (vgl. Christoph 1993: 149). Der male-stream der Bewegung war offensichtlich verärgert vom öffentlichen Erfolg: der Bewegungsfrauen, die aus der Bewegungslinie ausscherten, indem sie sich zuvörderst als Frauen identifizierten. Dies führte zu Spaltungsvorwürfen gegen die Frauen. Es gab auch Frauen, die den Begriff der ,doppelten Diskriminierung` kritisierten (vgl. Hanna 1995), doch war er bereits zu einem ,Markenzeichen‘ geworden, mit dem sich viele identifizierten (vgl. Hermes 1994: 3).
Die 1990er Jahre waren von der Wiedervereinigung sowie von Aushandlungen über die politischen Standpunkte der jeweiligen Frauenbewegungen in beiden Teilen des Landes geprägt (Marx Ferree 2012). In der Behindertenbewegung dominierte der Kampf um rechtliche Gleichstellung – inspiriert von den Entwicklungen in den USA. Schon 1986 war eine Delegation der deutschen Bewegung in die USA gereist und beeindruckt von deren Antidiskriminierungsgesetzgebung zurückgekehrt. Jedoch konnten sie in Deutschland zunächst keine Unterstützung für ihre Anliegen finden. Erst der Americans with Disability Act (ADA) aus dem Jahr 1990 stieß die Diskussion erneut an und führte zu erfolgreichen Initiativen. Ein Meilenstein der Anerkennung war 1994 die Erweiterung des Artikels 3 des deutschen Grundgesetzes. Der Bund behinderter Jurist_innen hatte in Kooperation mit Aktivist_innen aus der Bewegung für diese Erweiterung gekämpft. Das Grundgesetz erwähnte in der alten Fassung Menschen mit Behinderungen nicht. Im Zuge der durch die Wiedervereinigung nötig gewordenen Änderungen wurde Artikel 3 GG um den Satz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden" ergänzt. Während die öffentliche Diskussion um die Grundgesetzänderung keine – wie beim späteren Gleichstellungsgesetz der Fall – Geschlechterfragen berücksichtigte, förderte sie in der Bewegung die Sensibilisierung für geschlechterrelevante Belange. Eine erste Fachtagung der Bewegungsfrauen zur Frage der Geschlechtergleichstellung fand 1996 statt. In der Diskussion wurde die fehlende bundesweite Interessenvertretung kritisiert. Vor diesem Hintergrund wurde 1998 das „Weibernetz – Bundesnetzwerk von Frauen, Lesben und Mädchen mit Beeinträchtigungen" gegründet. Es begann, sich in die Debatte um das Gleichstellungsgesetz einzubringen, und entwickelte eine Liste von Forderungen (vgl. Ruhm 1997: 25). Die Ziele waren Selbstbestimmung hinsichtlich Sexualität, Familienbeziehungen und Elternschaft sowie Schutz vor sexualisierter Gewalt, weshalb das Weibernetz auch für eine Reform des Sexualstrafrechts kämpfte. Diese Reform fand 2004 statt, wobei das Gesetz auch nach der Reform im Strafmaß noch zwischen widerstandsunfähigen und -fähigen Opfern unterscheidet (vgl. Arnade 2005), aber die Verjährungsfristen bei Straftaten an minderjährigen Personen wurden verlängert.
Neben der kritischen Diskussion um selektive Abtreibung ist es der Verdienst der Bewegung, das hohe Ausmaß an sexualisierter Gewalt gegen behinderte Mädchen und Frauen ins öffentliche Bewusstsein gerückt zu haben. Andere Erfolge der Bewegung behinderter Frauen sind weniger greifbar, aber nicht weniger wichtig: Inzwischen mit staatlicher Forderung ausgestattet, repräsentiert das Weibernetz seit 2003 die Interessen behinderter Frauen in zahlreichen Regierungsgremien und Nichtregierungsorganisationen. Viele Forderungen haben ihren Weg in Gesetze gefunden; neuere Gesetze sehen die Berücksichtigung der Belange behinderter Frauen vor. Dies kann als Zeichen für eine wachsende politische und soziale Anerkennung gedeutet werden. Während das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (2006) auf europäische Politikziele zurückzuführen ist, ist das Behindertengleichstellungsgesetz (2002) eine Errungenschaft der deutschen Behindertenbewegung, die jahrzehntelang für diese rechtliche Gleichstellung gekämpft hat. 1999 erließ Berlin als erstes Bundesland ein Landesgleichstellungsgesetz; die anderen Bundesländer folgten bis 2007. Parallel dazu fand ein Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik statt mit der Folge weiterer Gesetzesänderungen, die mehr Selbstbestimmung und ein unabhängiges Leben und Wohnen ermöglichen sollen.
Wie auch die Frauenbewegung (vgl. Marx Ferree 2012: 183) erlebte die Behindertenbewegung zu dieser Zeit eine Internationalisierung. Bereits 1999 war die International Disability Alliance (IDA) gegründet worden (vgl. Köbsell. 2012: 90), die später an der Entstehung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) beteiligt war. Die UN-BRK ist das erste internationale Menschenrechtsdokument, das keine medizinische Definition von Behinderung enthält: ,,Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können" (Artikel 1 UN-BRK).
Protagonist_innen der Behindertenbewegung aus der ganzen Welt hatten bei der Erarbeitung der UN-BRK, die im Jahr 2006 in Kraft trat, Schlüsselrollen inne. Als von der UN berufene Moderatorin war vor allem die deutsche Juristin Theresia Degener maßgeblich an der Entwicklung der Konvention beteiligt, mit der die Umsetzung der Menschenrechte für Menschen mit Behinderungen vorangebracht werden sollte (vgl. Degener 2009), Bereits 2004 forderte Sigrid Arnade, eine Vertreterin des Weibernetzes, die UN-Botschafter_innen auf, Frauenfragen in die UN-BRK aufzunehmen (Arnade 2010: 224). Im Anschluss startete das „Netzwerk Artikel 3" die internationale Kampagne „Behinderte Frauen in der UN-Konvention sichtbar machen" (Netzwerk Artikel 3). 2005 wurden Arnade und ihre Kollegin Sabine Hafner durch Disabled People International (DPI) mit der Erstellung eines Gutachtens zur Situation behinderter Frauen weltweit beauftragt. Das Gutachten belegte eindeutig, dass behinderte Frauen gegenüber Frauen ohne Behinderung und Männern mit Behinderung in allen Ländern benachteiligt werden. In der Konsequenz wurde für die Konvention ein twin track approach entwickelt, d. h., es wurden einerseits Artikel mit ausdrücklichem Bezug auf die Belange von Frauen und andererseits Artikel mit Genderreferenzen formuliert. Als Kompromiss zwischen den Interessen behinderter Frauen des sogenannten globalen Südens und Nordens wurde dies zu einer erfolgreichen Strategie: Die Interessen behinderter Frauen werden so in der Konvention grundsätzlich mitgedacht und die spezifische Situation von Frauen ist in Artikel 6 der UN-BRK festgehalten.
Behinderte Frauen waren und sind auf vielfache Weise in politische Prozesse des Feminismus involviert. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Frauen- und Behindertenbewegung sind komplex und bieten zahlreiche theoretische und praktische Anknüpfungspunkte zur wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion von Selbstbestimmung als Grundlage des Rechts auf Inklusion und Partizipation.
Frauen und Männer waren und sind in der deutschen Behindertenbewegung und in den zentralen politischen Organisationen nicht gleichermaßen repräsentiert. Zudem führten die sozialen Kämpfe, die mit dem identitätspolitischen Angebot einhergingen, sich selbstbestimmt als „behinderte Frau" oder „behinderter Mann" zu begreifen, zum Ausschluss von nichtdeutschen Frauen und von Menschen mit Lernschwierigkeiten. Eine Betrachtung der Leitlinien und programmatischen Inhalte der zentralen NGOs und DPOs macht zudem deutlich, lass die Interessen von Frauen mit psychiatrischen Diagnosen und von Frauen of Color in der Behindertenbewegung weitgehend ignoriert wurden.
Trotz des wachsenden Grades der Formalisierung und Institutionalisierung behindertenpolitischer Themen empfinden sich viele Akteur_innen in diesem Bereich immer noch als Teil eben dieser Bewegung. Teilweise identifizieren sie sich damit, teilweise nutzen sie sie aus strategischen Gründen. Das gegenwärtige Netzwerk aus individuellen und kollektiven Akteur_innen muss deshalb sowohl von den etablierten Organisationen der Behindertenhilfe, wie zum Beispiel Einrichtungen der Ambulanten Hilfe oder beruflicher Rehabilitation, als auch von politischen Akteur_innen wie zum Beispiel Parteien und Lobbygruppen, unterschieden werden. Diese sind Dialogpartner_innen und mindestens zum Teil durch professionelle Strategien oder ökonomischen Profit ihrer Einrichtungen motiviert. Als kooperatives Bündnis agiert die sogenannte BRK-Allianz zwischen den Behindertenbewegungen und den Organisationen, die zu Behinderung arbeiten. Die BRK-Allianz hat fünf Jahre nach der Ratifikation der Konvention und der mit einer ersten Staatenprüfung verbundenen Erstellung eines Berichts der Bundesregierung zur Umsetzung der Konvention einen kritischen Parallel-Bericht verfasst, der auf Lücken hinweist, die zwischen politischer Rhetorik und gelebter Erfahrung von Menschen mit Behinderungen in Deutschland bestehen (BRK-Allianz 2013, www.brk-allianz.de). Solche strategischen Bündnisse bringen Disability Mainstreaming in die entscheidenden Bundespolitischen Debatten.
Auch unter den jungen und älteren Aktivist_innen gibt es vielversprechende Zusammenschlüsse, die eine umfassendere Repräsentation behinderter Menschen anstreben. Die seit drei Jahren in Berlin stattfindende „Disability and Mad Pride Parade" greift die gemeinsamen Diskriminierungserfahrungen von Menschen mit Behinderungen, psychiatrischen Diagnosen und weiteren Zuschreibungen des „Anders-Seins" auf und bietet durch die Anrufung „behindert und verrückt feiern" ein öffentliches. Forum für die stolze Aneignung eigener, vielseitiger Identitäten. Diese Entwicklung spiegelt die – insbesondere in den internationalen Disability und Mad Studies zu beobachtende – Verschiebung des emanzipatorischen Diskurses um Behinderung als soziale Konstruktion hin zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Ableismus (vgl. Maskos 2010) als neue Gouvernementalität wider: Mit dem Begriff des Ableismus und der Forschung im Umfeld dieses Terminus wird eine thematische Erweiterung und Perspektivenverschiebung in den Disability Studies vorgenommen (vgl. Buchner/Pfahl/Traue 2015): Behinderung wird nicht mehr nur als abweichende Differenz zur Normalität verstanden, sondern als zwischenmenschliches und gesellschaftliches Verhältnis, das allgemein in der Bestimmung von Fähigkeiten seinen Ausdruck findet. Gegenwärtige lokale Bündnisse wie das der „Disability and Mad Pride Parade" greifen diesen Gedanken auf und stellen allgemeine Grundannahmen über Autonomie, Fähigkeit und Leistung auf den Prüfstand: Wer gilt unter welchen Bedingungen als un/fähig? Wer ist oder wird jeweils befähigt: lndividuen oder Kollektive? Ableismus ist dabei nicht als ein Machtverhältnis zu verstehen, sondern durch diverse „Achsen der Ungleichheit" (Klinger 2009) bedingt: „Behinderung als multiples Konzept bedeutet, davon auszugehen, dass Behinderung durch verschiedene gesellschaftliche Achsen wie z. B. Rassismus, Homophobie, Klasse oder Sexismus (mit-)reguliert wird und umgekehrt" (Raab 2010: 77). Mit ihrer Kritik an Leistungsimperativen und Körpernormen fragen die Aktivist_innen danach, auf welchen gesellschaftlichen Verhältnissen und Relationen Behinderungen und Fähigkeiten beruhen, und greifen zu Strategien der kollektiven Transformation, wie sie in der crip theory (vgl. Kafer 2013) beschrieben werden.
Achtelik, Kirsten (2015), Selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldiagnostik, Abtreibung. Berlin: Verbrecher Verlag.
Anonymous (1981). Das UNO-Jahr der behinderten Menschen 1981. Zugriff am 28. Oktober 2014 unter www.behinderte.de/1981/81idx.htm.
Arnade, Sigrid (2005). Frauenspezifische Belange im SGB IX. Relevante Paragraphen mit Beispielen. In Weibernetz (Hrsg.), Was sind frauenspezifische Belange im SGB IX? (S. 4-6). Kassel.
Arnade, Sigrid (2010). „Wir waren viele und wir waren überall". In Jutta Jacob, Swantje Köbsell & Eske Wollrad (Hrsg.), Gendering Disability (S. 231-234). Bielefeld: transcript.
Bosl, Elsbeth (2010). Politiken der Normalisierung. Zur Geschichte der Behindertenpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Bielefeld: transcript.
BRK-Allianz (o. J.). UN-Ausschuss veröffentlicht Frageliste. Zugriff am 3. November 2014 unter www.brk-allianz.de.
Buchner, Tobias; Pfahl, Lisa & Traue, Boris (Hrsg.). (2015). Zur Kritik der Fähigkeiten: Ableism als neue Forschungsperspektive der Disability Studies und ihrer Partner_innen. Zeitschrift für Inklusion, 2. Zugriff am 7. November 2015 unter www.inklusion-online.net/index.php/inklusion-online.
Christoph, Franz (1993). Pädagogische Betroffenheit. In Christian Mürner & Susanne Schriber (Hrsg.), Selbstkritik der Sonderpädagogik? (S. 137-153). Luzern: Edition SZH.
Daniels, Susanne von; Degener, Theresia & Jürgens, Andreas (Hrsg.). (1983). Krüppeltribunal. Köln: Pahl-Rugenstein.
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Lisa Pfahl, Prof Dr., Professorin für Disability Studies, Universität Innsbruck. Arbeitsschwer-punkte: Bildung, Behinderung und soziale Ungleichheit, Exklusion und Inklusion, Subjektivierung, Diskursforschung, interpretative Sozialforschung.
Kontakt: Bildungswissenschaftliche Fakultät, Institut für Erziehungswissenschaften, Universität Innsbruck, Liebeneggstraße 8, 6020 Innsbruck, Österreich
E-Mail: lisa.pfahl@uibk.ac.at
Swantje Köbsell, Prof. Dr., Professorin fair Disability Studies, Alice Salomon Hochschule Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Behinderung, Inklusion und Genderforschung, Pränataldiagnostik, Eugenik und Bioethik.
Kontakt: Disability Studies, Alice Salomon Hochschule Berlin, Alice-Salomon-Platz 5, 12627 Berlin
E-Mail: koebsell@ash-berlin.eu
Quelle
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bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet
Stand: 20.08.2019