Zur Pränataldiagnostik und Gentherapie

Autor:in - Uwe Jürgen Ness
Themenbereiche: Therapie, Eugenik
Textsorte: Referat
Releaseinfo: Das vorliegende Referat wurde entnommen aus dem Bericht: Bioethik kontra Menschenrechte - Die Bedeutung der Bioethik-Konvention unter besonderer Beachtung von Menschen mit Behinderungen Enquete, am Dienstag, 18. März 1997 im Parlament, Budgetsaal Veranstalter: Grüner Parlamentsklub
Copyright: © Uwe Jürgen Ness 1997

Vorwort (Überschrift durch bidok eingefügt)

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

ich möchte mich zunächst einmal herzlich für die Einladung bedanken, hier im österreichischen Parlament auf dem Hearing des GRÜNEN Klubs zu "Bioethik und Menschenrechte" sprechen zu dürfen. Kurz zu meiner Person: Ich bin Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Gen- und Reproduktionstechnologie bei den deutschen GRÜNEN. Bei BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN versuchen diese Arbeitsgemeinschaften auf Bundesebene die Arbeit der verschiedenen MandatsträgerInnen in den Landtagen, im Bundestag und Europäischen Parlament mit der ehrenamtlichen Arbeit sowie kritischen WissenschaftlerInnen zu einem Politikfeld zu vernetzen. Diese AGen iniziierten über die Mandatierten parlamentarische Arbeit, sie verstehen sich als Clearing-House und als kritische Regulative zu der parlamentarischen Arbeit. Innerhalb der Parteistruktur sind sie Ansprechpartner für Interessierte und leisten insofern auch politische Bildungsarbeit. Seit Oktober letzten Jahres arbeite ich für die Europaabgeordnete Hiltrud Breyer in Brüssel. Dort bin ich schwerpunktmäßig für Gentechnik zuständig.

In meinem Referat will ich versuchen, die in der Bioethik-Konvention des Europarates enthaltenen Bestimmungen zu Gentechnik für die Medizin zu beschreiben. Dabei will ich insbesondere auf die Lücken in der Konvention eingehen, die beispielsweise bei verschiedenen pränataldiagnostischen Methoden bestehen. Zweiter Schwerpunkt meines Referats soll die somatische Gentherapie und die Keimbahnmanipulation sein, dann schließlich werde ich auf die Patentierung menschlicher Gene eingehen. Alles, was ich im Folgenden aufführen werde, ist durch die Bioethik-Konvention abgedeckt, ja soll teilweise sogar ausdrücklich gefördert werden. Beginnen will ich jedoch mit der Pränataldiagnostik:

1. Vorgeburtliche Schwangerschaftsuntersuchungen und Fortpflanzungsmedizin

Durch die Bioethik-Konvention soll so ziemlich alles, was im Bereich der Pränataldiagnostik und der Reproduktionsmedizin technisch möglich ist, erlaubt sein: Einzig die Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken ist im Artikel 18, Absatz 2 untersagt. Damit wird gleichzeitig die Forschung an Embryonen, die zum Beispiel bei Abtreibungen anfallen, erlaubt. Viel wesentlicher jedoch ist, daß die Konvention die zunehmend eugenische Tendenz der vorgeburtlichen Schwangerschaftuntersuchungen akzeptiert und keine Regulative vorsieht. Dabei werde ich mich, was die gesetzlichen Rahmenbedingungen anbelangt, auf die bundesdeutschen Gesetze beschränken.

1.1. Zunächst: Was ist humangenetische Beratung, was wird bei der vorgeburtlichen Diagnostik gemacht?

Es geht zum einen um wissenschaftliche Untersuchung, um die Suche nach defekten Genen bei zeugungswilligen Paaren mit dem Ziel, eine Schwangerschaft zu vermeiden oder zu beraten, diese zu wagen. Es geht im weiteren darum, über mögliche absehbare Erbanlagen bedingte oder unterstützte Erkrankungen bzw. Erkrankungsrisiken möglicher Kinder zu informieren.

Dies geschieht:

  • bei eigener Behinderung,

  • bei einem offensichtlichen Beratungsbedarf aufgrund familiärer Belastung,

  • bei ersichtlicher Disposition,

  • bei erworbener Behinderung

  • und bei Unsicherheiten über den eigenen genetischen Zustand.

Hierfür stehen an Unikliniken und im Rahmen des ambulanten ÄrztInnen/ PatientInnenverhältnisses Beratungsmöglichkeiten zu Verfügung.

Zum anderen werden vorgeburtliche Diagnoseverfahren, wie Ultraschall, Blut- und Fruchtwasseruntersuchungen als Vorsorgeuntersuchungen angeboten. Bei den über 5000 Erbkrankheiten, die es gibt, bei der Vielzahl der Schädigungen und Behinderungen, die Menschen während der Geburt und aus anderen Gründen erfahren, macht sich die Zahl der zum Beispiel durch Fruchtwasseruntersuchungen diagnostizierbaren Erbkrankheiten zwar marginal aus, sie ist aber unter ethischen Gesichtspunkten gesehen um so bedeutender.

Da die Technik der Fruchtwasseruntersuchungen, auch wegen möglicher Gefährdung der Frühschwangerschaft, erst ab der 16.-18. Woche angewandt wird, sind die medizinischen Ergebnisse vor dem Hintergrund der zwöflwöchigen Frist eines Schwangerschaftsabbruches besonders beachtlich. Durch Fruchtwasseruntersuchungen feststellbare chromosomale Fehlentwicklungen - wo das betreffende Gen lokalisiert werden kann - sind etwa bei der Turnerkrankheit, der Zystische Fibrose (Mukoviszidose), bei Chorea Huntington und beim Down Syndrom möglich. Die Amniozentese stellt als diagnostisches Verfahren einen gleich hohen Risikofaktor dar, durch sie einen Abort zu erleiden, wie sie in der Lage ist, ein Down Syndrom festzustellen.

Gemeinsam mit Ultraschall und Blutuntersuchungen bilden diese vorgeburtlichen diagnostischen Instrumentarien und ihre Ergebnisse die Informationsgrundlage, auf der die Frau bei entsprechendem Befund ihre Entscheidung darüber treffen kann, ob sie bereit ist, die Schwangerschaft mit dem Wissen fortzuführen oder sie zu beenden. Hierbei ist sie freilich nicht an die 12. Woche als "deadline" gebunden. Die so entstandene Schwangerschaft auf Abruf steht unter dem Vorbehalt der medizinischen Indikation und damit unter der Entscheidungsmacht der ÄrztInnen, die bestätigen, daß es der Frau nicht zumutbar sei, ein voraussichtlich nicht gesundes Kind zu bekommen. Denn die medizinische Indikation ist dem gesundheitlichen Interesse der Frau geschuldet und von daher ist der legale Schwangerschaftsabbruch entfristet. Vor dem Hintergrund des generellen Gebärzwangs, den der Paragraph 218 des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) allen schwangeren Frauen auferlegt, kommt der eugenischen Variante der Ausnahme von der Gebärpflicht eine besondere Bedeutung zu.

Zwar ist die Präimplantationsdiagnostik (PID) in Deutschland wegen dem Embryonenschutzgesetz verboten, doch sind auch hier Aufweichungstendenzen unübersehbar. In einer Kombination von künstlicher Befruchtung und PID wird der im Reagenzglas befruchteten Eizelle - sobald sie sich dreimal geteilt hat, also acht identische Zellen vorliegen - eine embryonale Zelle entnommen. Deren DNA wird isoliert und durch ein kompliziertes und störungsanfälliges Verfahren vervielfältigt. Anschließend wird die DNA auf genetische Prädispositionen hin untersucht. Weist die DNA bestimmte Prädispostionen auf, so werden die restlichen Zellen nicht in die Gebärmutter implantiert. Der Reproduktionsmediziner Prof. Klaus Diedrich, Direktor der Lübecker Frauenklinik, ist ein großer Befürworter der Präimplantationstechnik. Er hält denn auch den Gesetzesapparat für zu träge und behindernd. Er sagte im "Focus" (39/1995) zu seiner ethischen Rechtfertigung für die Vermeidung nicht erbgesunder Menschen und über die "Frauenfreundlichkeit" seines Beherrschungswillens: "Bereits zweimal mußte die Patientin [das Ehepaar hat einen Gendefekt (Mukoviszidose)] im fünften Monat eine Schwangerschaft abbrechen. Die Fruchtwasseruntersuchung hatte ergeben, daß die Krankheit eines Tages bei dem Kind ausgebrochen wäre." Deutlicher kann man wohl nicht ausdrücken, wie tief der eugenisch motivierte Qualitätskontrollwunsch solcher Mediziner über das Leben ist und wie sehr Frauen mit ihrem Leib und ihrem Gewissen für die Erbgesundheit der Nachkommen haftbar gemacht werden.

Wie breit dieses Denken Einzug in den Alltag von Schwangeren gefunden und wie sehr die Rechtsprechung dem Anspruch auf "Schadensprävention" Rechnung trägt, wird u.a. daran deutlich, daß im Jahr 1991 rund 10 Prozent aller Frauen (70000) pränatale Testungen vornehmen ließen, während es 1980 noch 5000 waren. In der medizinischen Praxis muß mittlerweile der/die ÄrztIn die Frau über die Möglichkeit der Amniozentese aufklären, um zivilrechtliche- und Schadensersatzansprüche der Mutter gegen den Arzt abzuwenden, so ein Urteil des Bundesgerichtshofes. Nach einer niedersächsischen Studie zur Pränataldiagnostik sind 75 Prozent der Frauen "risikoschwanger" und dementsprechend sich diese spezifischen "Leistungen" der Gynäkologen in den letzten Jahren verfünfacht.

Dabei vermischt sich zunehmend die Fürsorge für einen guten Fortgang einer Schwangerschaft mit einer Qualitätskontrolle des Fötus. Die Mißbildungsdiagnostik hat in den letzten Jahren einen immer größeren Raum in der Schwangerschaftsvorsorge eingenommen. So erstaunt es nicht, daß schwangere Frauen ihre eigene Schwangerschaft immer öfter nur noch unter dem Blickwinkel von Risiken, Abweichungen und Pathologischem sehen. Untersuchungen zeigen, daß sie häufig, das Risiko ein behindertes Kind zu bekommen, überschätzen und verunsichert nach Möglichkeiten greifen, die ihnen Medizin und Humangenetik anbieten. Die Schere zwischen der angebotenen Diagnostik und den tatsächlich vorhandenen Therapiemöglichkeiten in der Schwangerschaft klafft dabei immer mehr auseinander. Oftmals besteht die einzige Therapie im Abbruch der Schwangerschaft.

1.2. Negativer Zugang zum "Ungeborenen"

Pränataldiagnostik setzt neue Normen von Krankheit und Behinderung. Es gibt kein bedinungsloses Ja mehr zu diesem Fötus, den die schwangere Frau erst nach dem Normalbefund zu ihrem Baby machen soll. Die Soziologin Irmgard Nippert berichtet: Sie wollte wissen, ob Frauen bei einem beim Ungeborenen diagnostizierten genetisch bedingten Übergewicht die Schwangerschaft abbrechen würden. 20 Prozent der Frauen kreuzten das Ja an. Dazu die Bundestagsabgeordnete und Gesundheitspolitikerin Monika Knoche von BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN: "Seit der schwangere Leib ein öffentlicher Ort wurde, seit medizintechnisch induzierte, moralisch-ethische Fragen aufgetreten sind, wird es zunehmend alleinige Last der Frau - der schwangeren Frau -, Entscheidungen individuell treffen zu müssen, die sie gar nicht tragen kann. Denn es ist eine gesellschaftliche Frage wie Menschen mit Behinderungen und Menschen mit diesen Menschen leben."

1.3. Der Paragraph 218 (StGB) und Eugenik

Demnach ist es nur nachvollziehbar, daß in der Medizin von der schwangeren Frau selbst abstrahiert und sie reduziert als - fötales Umfeld - wahrgenommmen wird. Dieser biologistischen, die Menschenwürde der Frau mißachtenden Betrachtung folgt der jetzt gültige Paragraph 218.

War in der früheren Fassung des Abtreibungsverbotes nach dem sog. III. Reich zuerst von einer eugenischen Indikation - als straffreiem Abtreibungsgrund die Rede, wurde hernach lieber von der embyophatischen Indikation gesprochen, die aber auch nichts anderes besagte, als daß eine Schwangerschaft abgebrochen werden konnte, wenn gesundheitliche Schädigungen des Embryos zu erwarten waren. Heute ist im geltendem Recht davon nichts mehr zu lesen. Dennoch existiert dies fort. Die Sprachregelung ging von der eugenischen über die embryophatische zur medizinischen Indikation über.

Die eugenische Berechtigung auf einen Schwangerschaftsabbruch bedeutete immer eine Schwangerschaft auf Zeit, die dem Stand medizintechnologischer Entwicklungen folgte. Heute gilt eine Entfristung, sofern eine verkappte embryophatische Indikation vorliegt. Durch den Paragraph 218 wird der Frau die Unveräußerlichkeit der Persönlichkeitsrechte in allen Zuständen, die körperliche Integrität und Autonomie (Grundrechte) sowie die selbstbestimmte Entscheidung über den Fortgang ihrer Schwangerschaft entzogen. Sie unterliegt einem Beratungszwang, was einer befristeten Aussetzung der Grundrechte auf einen begrenzten Zustand und Zeitraum gleichkommt. In den einen Körper und in der einen Person - schwangere Frau - hat der Gesetzgeber ein eigenständiges Rechtssubjekt hineindefiniert - das "Lebensrecht des Ungeborenen", das der staatlichen Schutzpflicht gegen den Willen der Frau unterstellt ist. Es werden zwei Rechtssubjekte konstruiert: Frau und Embryo werden einander gegenübergestellt. Interessanterweise gilt diese Logik aber nur für den Fall, daß das schutzbedürftige Ungeborene vermutlich erbgesund ist. Bei medizinisch-technologisch fraglich oder sicher als krank diagnostizierten Ungeborenen wird die Leibesfrucht rechtlich und anthropologisch in die Körperlichkeit und Person Frau - schwangere Frau - zurückverlagert.

Die Frau ist in diesem Fall an keinen Beratungszwang und keine Strafrechtsnorm gebunden. Selbst eine intakte Schwangerschaft, welche die Frau gesundheitlich, körperlich nicht belastet, kann im Interesse der Frau abgebrochen werden, wenn die "Qualität" der Schwangerschaft den in die Welt gesetzten Kriterien nicht standhält. Eine funktionsgestörte Schwangerschaft hingegen wird gegen die natürliche Abwehr des Körpers der Frau, mittels medizinischer Intervention aufrecht erhalten, wenn die "Qualität" der Leibesfrucht den Kriterien standhält.

In vielfacher Hinsicht ist der Erlanger Fall der "Hirntodschwangerschaft" ein Beispiel für diesen real existierenden Zynismus, der die Frau zum fötalen Umfeld degradiert und mittels "Hirntodkonzept" "belebte Leichen" definiert, um, wie in diesem Fall, der Gebärfähigkeit Herr zu werden. Diese schon mit Totenschein ausgestattete Frau in Erlangen hat einen Spontanabort ihres Leibes vollzogen. Eine gesunde Frau kann ihre Integrität, sofern sie sie durch Schwangerschaft als verletzt erlebt, nur über den Status "Krankheit" wiedererlangen.

Daß die Erwartung eines möglicherweise erberkrankten Kindes das Lebensglück und die Freude auf das Leben mit diesem Kind so schmälern kann, ist nicht Ausdruck eines Unvermögens oder irgendeines menschlichen Fehlverhaltens der schwangeren Frau, sondern Ausdruck der behinderten- und frauenfeindlichen Gesellschaft, die Menschen mit Behinderungen ausgrenzt und Behinderung ausmerzen will und den Frauen etwas als Hilfestellung offeriert, was nichts weiter ist, als die Kontrolle über ihre Gebärfähigkeit.

Von Prof. Ronnellenfitsch Uni Tübingen soll der Satz stammen: "Das Embryonenschutzgesetz stellt Erbkrankheiten unter Artenschutz". Die durch die medizinische Diagnostik entstandene Schwangerschaft auf Abruf ist nicht losgelöst von einer sexistisch motivierten Bevölkerungspolitik zu sehen. Sie ist gleichermaßen gegen die Autonomie der Frau wie gegen das Lebensrecht von Behinderten gerichtet. Das Angebot an medizinischer Diagnostik auf diesem Gebiet hat zweifellos überhaupt erst die wachsende Nachfrage nach solchen Schwangerschaftsuntersuchungen hervorgebracht. Jedoch steht unter allen richtigen alten und wichtigen neuen Argumenten die Streichung des Paragraph 218 auf der Tagesordnung. Denn ob eine Frau ein Kind bekommen will, ist ausschließlich eine Frage, die nur die Frau zu entscheiden hat. Über ihr "warum" steht der Gesellschaft kein Recht der Bewertung zu.

2. Somatische Gentherapie / Keimbahnmanipulation

2.1. Gentechniker arbeiten reduktionistisch und ignorieren soziale Interaktion und Umwelteinflüsse.

Als besonders förderungswürdig erscheint den Autoren der sog. Bioethik-Konvention die somatische Gentherapie, sie wird in den Erläuterungen genannt.

Die Bioethik und ihre konkrete Anwendung, die Gentechnik, reduzieren jedes Lebewesen auf die Struktur seiner Gene, seiner DNA. Gentechniker zerlegen schlußendlich jeden Organismus, gleichgültig ob Mikroorganismus oder Mensch, in die vier Grundbausteine. Diese vier Basen (Adenin, Cytosin, Thymin und Guanin), das sog. "genetische Alphabet", und ihre wechselnde Anordnung in der DNA allein sind demnach verantwortlich für verschiedene Arten und spezifische Merkmale. Diese reduktionistische Denkweise hat zur Folge, daß Gentechniker glauben, das Recht zu besitzen, prinzipiell auch diese Bausteine zwischen verschiedenen Lebewesen und über Artgrenzen hinweg austauschen zu dürfen. Lebewesen sind jedoch mehr als die Summe ihrer verschiedenen Genabschnitte.

Merkmale und vor allem Risiken eines gentechnisch veränderten Organismus setzen sich nicht nur aus den Merkmalen des Empfängers und denen, die man dem eingefügten Genabschnitt zuschreibt, zusammen, sondern auch der Ort der Einfügung und das Milieu spielen eine zentrale Rolle ("synergistisches Modell").

Von den zahlreichen, äußeren nichtgenetischen Ursachen von Krebs abgesehen, räumt auch Prof. Dr. Reiber (Göttingen) der streßabhängigen Immunreaktion eine mindestens genauso große Wahrscheinlichkeit ein, Krebs zu verursachen, wie an genetisch bedingtem Krebs (Onkogene) zu erkranken. Viel wichtiger als die genetischen Ursachen für Krebs ist es also, unter welchen Bedingungen Menschen leben.

Es geht um ein neues Menschenbild, das mit Hilfe der Bioethik in die Köpfe der Menschen eingeschleust werden soll: Statt Menschen als Ergebnis ihrer Sozialisation und ihre Krankheiten primär als Folge von Lebensweise, einer permanenten Sockelbelastung durch Gifte in der Umwelt und ungesunden Arbeitsplätzen zu verstehen, werden die Ursachen für Krankheiten individualisiert. Humangenetiker müssen sich auf diese Weise keine Gedanken über komplexe und schwer erfaß- und meßbare Rahmenbedingung menschlichen Daseins machen. Gesellschaft, Arbeitgeber und Politik werden aus ihrer Verantwortung entlassen. Es gilt nicht, diese Zustände zu verändern, sondern den Menschen, der daran leidet.

2.2. Die Suche nach genetischen Prädispositionen[1] für sog. Massenleiden ersetzt eine präventive Politik.

Der Ausgangspunkt und die Rechtfertigung für die Humangenetik waren Erbleiden. Hier kann unterschieden werden zwischen monogenen Erbkrankheiten, die durch einen relativ genau bekannten Gen-Defekt verursacht werden, sowie polygenen (multifaktoriell ausgelösten) Erbkrankheiten, die durch mehrere Gen-Defekte entstehen bzw. bei denen das Zusammenspiel mehrerer Genabschnitte gestört ist. Forschungsgegenstand waren zunächst typische monogene Erbkrankheiten, wie zum Beispiel Zystische Fibrose ("Mukoviszidose") und ADA-Defizienz ("angeborene Immunschwäche"). Wegen einer Vielzahl von Rückschlägen in der Gentherapie dieser Erbkrankheiten geht die Forschung zusehends dazu über, genetische Prädispositionen für Massenleiden zu suchen. Diese Forschung hat zugleich den Zweck, für sich selbst breite gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen. Schließlich ist jeder potentiell von Arthritis, Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen betroffen. Dabei suggerieren die Humangenetiker, es gehe ihnen um eine Therapie dieser Krankheiten. Diagnose- und Therapiemöglichkeiten klaffen dabei in Wirklichkeit weit auseinander.

Brustkrebs ist hierfür inzwischen schon fast ein klassisches Beispiel: Für Frauen aus Familien, in denen bereits mehrere Frauen an genetisch bedingtem Brustkrebs erkrankten, besteht eine bestimmte Wahrscheinlichkeit, ebenfalls an Brustkrebs zu erkranken. In diesen Familien ist das sog. BRCA-1-Gen auf Chromosom 17 mutiert. Was macht eine Frau, die etwa im Alter von 20 Jahren die Diagnose bekommt, sie besäße eine genetische Prädisposition für Brustkrebs? Humangenetiker und Ärzte lassen die Frau mit dieser "Diagnose" völlig allein, da es in absehbarer Zeit zumindest keine entsprechenden Therapiemöglichkeiten geben wird. Die Frau hat nur die Wahl, sich Brust und Eierstöcke entfernen zu lassen oder das Risiko einzugehen. Und was geschieht, wenn sich bei einem weiblichen Embryo bereits die entsprechende genetische Prädisposition zeigt? Wird dieser dann abgetrieben, weil die Möglichkeit besteht, daß irgendwann einmal die Krankheit eintritt? Andere Ursachen von Krebs, wie Gifte in Luft und Nahrung, zivilisatorische Gewohnheiten und viele andere Faktoren, treten dabei in den Hintergrund. Der Mensch wird auf seine "schlechten Gene" reduziert, er ist genetisch determiniert.

2.3. Die somatische Gentherapie ist zum Scheitern verurteilt.

2.3.1.Die Gentherapie wird herkömmlicherweise unterschieden in zwei Forschungs- und Anwendungsbereiche:

Somatische Gentherapie: Darunter wird das Auffinden und Ersetzen von sog. defekten Genabschnitten durch Einschleusen von körperfremder DNA verstanden. Bei der somatischen Gentherapie wird nicht präventiv gearbeitet, sondern mit Menschen, bei denen Erbkrankheiten bereits ausgebrochen sind oder ein Ausbruch zu erwarten ist. Da die genetische Manipulation nur herkömmliche Körperzellen (Somazellen) umfassen und nicht die Keimzellen, also die Samen- und Eizellen selbst nicht verändern soll, bezeichnet man sie als somatische Gentherapie.

Keimbahntherapie: Durch die Keimbahntherapie werden direkt die Keimzellen manipuliert, so daß erwünschte oder unerwünschte Merkmale erreicht oder vermieden werden sollen. Diese Manipulation vererbt sich auf alle Nachkommen dieses Menschen. In Deutschland ist die Manipulation der Keimzellen bislang durch das Embryonenschutzgesetz verboten.

2.3.2. Ungelöste Schwierigkeiten

Es wurden mitlerweile zwischen 500 und 750 Gen-Defekte für Erbkrankheiten durch die multinationale Forschung im Rahmen der "Human Genome Organization" (HUGO) lokalisiert, insgesamt wird die Zahl auf über 5000 geschätzt. Diagnostizierbar sind ca. 100 von ihnen. Bei einem Großteil der darunter verstandenen Erbkrankheiten handelt es sich allerdings keineswegs um schwere, lebensbedrohliche "Schäden", sondern um Abweichungen von einer abstrakten Norm, die die Humangenetiker definiert haben. Die meisten schweren Erbkrankheiten hingegen treten in einer Population von 100000 Menschen nur wenige Male auf. Der Gen-Defekt für Zystische Fibrose zum Beispiel - immerhin eine der häufigsten Erbkrankheiten - kommt unter 100000 Neugeborenen ungefähr 60 mal vor. Angesichts der relativ geringen Anzahl von Betroffenen - was nicht etwa das damit verbundene Leid relativieren soll - müssen wir nüchtern feststellen, daß Diagnose, vor allem aber die jeweils nötigen speziellen Therapieformen für jede einzelne Erbkrankheit viel zu teuer würden, als daß die an Forschung und Anwendung beteiligten Pharmakonzerne dies finanzieren würden.

Die weltweit 150 gentherapeutischen Versuche, die es bislang gegeben hat, haben in keinem einzigen Fall zu einer wirklichen, nachgewiesenen Heilung des Patienten geführt[2].

Vektoren, auch "Gen-Fähren" oder "Gen-Taxis" genannt, sind als Transportvehikel nötig, mit deren Hilfe körperfremde DNA-Abschnitte in die Zielzellen eingeschleust werden sollen, um so defekte, körpereigene Genabschnitte zu ersetzen. So vergleichsweise einfach, wie sich die Ersetzung eines Genabschnittes durch einen anderen im Labor gestaltet, ist dies im menschlichen Körper keineswegs. Zudem muß nicht nur eine einzelne Zelle, sondern gegebenenfalls ein Organ mit Milliarden von Einzelzellen manipuliert werden.

Das zu ersetzende Gen kann häufig durch die verschiedenen Vektoren nicht genau lokalisiert werden. Ein an der falschen Stelle eingefügtes Gen jedoch führt nicht zur gewünschten Wirkung (Gen-Expression) bzw. zu überhaupt keiner. Eine Methode zum gezielten Genaustausch ("Gene targeting") ist jedoch nicht absehbar.

Die am häufigsten verwendeten Vektoren, nämlich Retroviren und Adenoviren, die mit den Schnupfenviren verwandt sind, bergen einige schwerwiegende Gefahren: Wie dies auch die Evolution zeigt, kann retrovirales Erbgut in die DNA der Wirtszellen integriert werden. Dadurch können Funktion einzelner Gene und Regulationsmechanismen gestört werden. Diese sog. Positionseffekte wiederum können zu neuen Krankheiten, zur Aktivierung von Proto-Onkogenen, der sog. Krebsgene, führen.

2.3.3. Beispiel Zystische Fibrose (Mukoviszidose)

Als monogene Erbkrankheit ist Zystische Fibrose relativ gut erforscht: Sie wird durch ein einziges defektes Gen auf Chromosom 7 hervorgerufen und führt dazu, daß spezielle Kanäle für Chlorid-Ionen in der Membran der Bronchienzellen blockiert werden. Die Zellen produzieren einen zähflüssigen Schleim, der nicht abfließen kann und in dem sich Bakterien und andere Krankheitserreger bilden. Per Spray, das die Patienten inhalieren mußten, und mit Adenoviren als Vektoren, die vermehrungsunfähig gemacht wurden, wurde versucht, den defekten durch einen intakten Genabschnitt zu ersetzen.

Die gentherapeutischen Versuche zur Behandlung von Zystischer Fibrose brachten folgende Ergebnisse:

  • Der eingeschleuste körperfremde DNA-Abschnitt konnte nur in wenigen Zellen nachgewiesen werden. Den Patienten ging es nicht besser, da sich der Chlorid-Ionenfluß nur auf ein Fünftel des Normalwertes erhöht hatte.

  • Bereits nach einer Woche war der körperfremde DNA-Abschnitt nicht mehr in den manipulierten Zellen nachweisbar. Die mit dem körperfremden DNA-Abschnitt infizierten ausgereiften Zellen starben nach einer gewissen Zeit. Die Therapie müßte nach einer gewissen Zeit immer wieder wiederholt werden, wobei nicht vorstellbar ist, wie der Körper eine ständig wiederholte Kontamination mit körperfremder DNA überstehen sollte. Allein in Stamm- und Keimzellen ist eine dauerhafte Integration körperfremder DNA möglich, aber bei Keimzellen angesichts der Gefahr der (ungewollten) Menschenzucht generell abzulehnen.

  • Nebenwirkungen waren Fieber und zu niedriger Blutdruck. Zudem erkannte der Körper die körperfremden Substanzen und eine Immunantwort fand statt. Eine Patientin erkrankte an einer Lungenentzündung.

2.4. Somatische Gentherapie und Keimbahntherapie lassen sich nicht voneinander trennen.

Die retroviralen Vektoren, die - wie bereits angeführt - dazu dienen, in die Zielzellen körperfremde DNA einzuschleusen, werden im Labor vermehrungsunfähig gemacht. Auf diese Weise soll bei einer in-vivo-Therapie eine Infizierung der anderen Zellen vermieden werden. Um im Labor die Vektoren selbst zu vermehren, werden sog. Helferzellen eingesetzt, die in ihren Erbmaterial ebenfalls Retroviren enthalten. Die Helferzellen weisen Gen-Defekte auf, welche den Gen-Defekten der retroviralen Vektoren genau entgegengesetzt sind ("komplementäre Wirkung"). Dadurch können sich die Vektoren theoretisch nur unter Zugabe der entsprechenden Helferzellen im Labor vermehren. Allerdings befinden sich in allen menschlichen Zellen (durch die Evolution bedingt) DNA-Stücke, die retroviralen Ursprungs sind. Durch diese DNA-Abschnitte kann - genauso wie die Helferzellen im Labor - die Vermehrung der Vektoren im menschlichen Körper bewerkstelligt werden.

Übergriff auf Keimzellen: Wenn sich die retroviralen Vektoren im Organismus vermehren können, besteht die Möglichkeit, daß sie auch andere Körperzellen befallen. Die infizierten Wirtszellen, so Tappeser/Panholzer in einem Gutachten für den Bundestag, können "vermehrungsfähige und/oder infektiöse Viren bilden, die dann auch freigesetzt werden". Einmal im menschlichen Körper, sind diese Viren nicht mehr rückholbar: Sie können auf die Keimzellen übergreifen. Eine ungewollte Manipulation der Keimzellen hat deshalb besondere Brisanz, weil nicht nur der einzelne Patient davon betroffen ist, wie etwa bei der Veränderung der herkömmlichen Körperzellen, sondern alle Nachkommen dieses Menschen. Außerdem können diese Viren sich auf konventionelle Weise, etwa wie Schnupfenviren, durch die Luft weiter ausbreiten. Auch mit Hilfe der bislang gewonnenen Erkenntnisse aus den gentherapeutischen Versuchen der letzten Jahre kann keine Aussage über eine mittel- und langfristige Veränderung des menschlichen Gen-Pools gemacht werden.

Bislang haben sich die Humangenetiker immer darauf berufen, daß die Gefahr der (ungewollten) Menschenzucht in der somatischen Gentherapie gebannt sei, da die eingeschleusten DNA-Abschnitte nicht vererbt würden. Brisant ist der beschriebene Vorgang deshalb, weil damit belegt wird, daß die Trennung von somatischer Gentherapie und Keimbahntherapie wissenschaftlich nicht möglich ist. Genau darauf aber baut die Humangenetik einen Teil ihrer Rechtfertigung auf. Diese wissenschaftlich nicht haltbare Trennung jedoch unternimmt auch die Bioethik-Konvention: Unter Artikel 13 (Eingriffe in das menschliche Genom) heißt es: "Ein Eingriff, der auf die Veränderung des menschlichen Genoms gerichtet ist, darf nur zu präventiven, diagnostischen oder therapeutischen Zwecken und nur dann vorgenommen werden, wenn er nicht darauf abzielt, irgendeine Veränderung des Genoms von Nachkommen herbeizuführen." Sollte sich die Manipulation tatsächlich auf die Keimbahn ausbreiten, ist seitens der Mediziner dann die sterotype Ausflucht zu erwarten, daß diese Veränderung schließlich nicht beabsichtigt gewesen sei, sondern eben eine Nebenwirkung des gentherapeutischen Eingriffs sei.

2.5. Menschliches Leid, das durch Erbkrankheiten entsteht, wird als Legitimation für andere Zwecke mißbraucht. Das eigentliche Ziel: der "genormte Mensch".

2.5.1. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie mitleidsvoll sich manche Humangenetiker über erbkranke Menschen äußern, gleichwohl in ihren Versuchen mit den Hoffnungen Sterbenskranker spielen, die natürlich nach jedem Strohhalm greifen, ...

Wenn man sich in Erinnerung ruft, daß die Humangenetik wesentlich am "Rassehygieneinstitut" der Nazis begründet wurde und diese personelle Kontinuität erst durch den Tod der führenden Rassehygieniker bzw. Humangenetiker unterbrochen wurde, ... dann wird klar, daß es in weiten Teilen der Humangenetik nicht nur um die Therapie sterbenskranker Menschen geht.

Zwei Zitate, die davon zeugen, wessen Geistes Kind manche Genetiker sind: Hermann Joseph Muller, Genetiker und Nobelpreisträger: "Die besten Geister der Menschheit werden genetische Methoden entwickeln, die neue Eigenschaften, Organe und Biosysteme erfinden, die den Interessen, dem Glück und der Herrlichkeit jener gottgleichen Wesen dienen, deren dürftige Vorahnung wir elende Kreaturen sind." Oder etwa Francis H. C. Crick, ebenfalls Genetiker und Nobelpreisträger: "Haben die Menschen überhaupt ein Recht, Kinder zu bekommen? [Es wäre] nicht sehr schwierig, der Nahrung etwas beifügen zu lassen, was den Nachwuchs unterbindet. [Man könnte] ein anderes chemisches Mittel bereithalten, das nur solche Leute erhalten, deren Fortpflanzung erwünscht ist".

Beide Zitate stammen übrigens aus den 50er Jahren. Diese Männer haben - nur so viel als Anmerkung - die Genetik begründet.

2.5.2. Die somatische Gentherapie hat mit einer Vielzahl von Schwierigkeiten zu kämpfen, die nach Einschätzung von kritischen Experten auch durch neue Methoden des Gentransfers, etwa chemisch-physikalische Verfahren mit Liposomen- bzw. Goldpartikelbeschuß, nicht gelöst werden können. Prof. John Fagan, der an der Decodierung von Genen beteiligt war, die Krebs auslösen können, spricht bei der somatischen Gentherapie inzwischen von einer "technologischen Sackgasse".

Finanzierbar und therapierbar wäre bestenfalls eine kleine Anzahl von monogenen Erbkrankheiten. Übrigens sollte man bedenken, daß mit den Geldern, die für die Humangenetik ausgegeben werden, auch elementarste Hygienemaßnahmen in der sog. Dritten Welt finanziert werden könnten. Selbst in der BRD kämen diese Verfahren nur einem erlauchten Kreis von Patienten zugute. Zumindest die gesetzlichen Krankenkassen würden niemals Hunderttausende Mark für somatische Gentherapien ausgeben.

Es gibt eine wachsende Kluft zwischen der Decodierung von defekten Genabschnitten, also der Diagnose sowohl im embryonalen Stadium als auch bei bereits geborenen Menschen und den eigentlichen Therapiemöglichkeiten. Es werden zwar immer mehr Erbkrankheiten und genetische Prädispositionen für Massenleiden gefunden, Therapieverfahren selbst jedoch scheitern bzw. werden aus Kostengründen erst gar nicht entwickelt.

2.6. Fazit zu Pränataldiagnostik und Gentherapie

Die Behauptung liegt nahe, daß durch die somatische Gentherapie und die dafür nötige Decodierung des Humangenoms schlußendlich etwas ganz anderes bezweckt wird.

Ein menschliches Organ mit Milliarden Zellen wird niemals mit Hilfe der Gentechnik therapierbar sein. Je geringer die Anzahl der zu verändernden Zellen, desto einfacher der Eingriff. Also will man im embryonalen Stadium ansetzen, in dem man in der Frühphase eine gut überschau- und manipulierbare Zellkultur vorfindet. Die manipulierten embryonalen Zellen würden dann bei jeder Zellteilung die DNA-Abschnitte körperfremder Herkunft kopieren und sie so auf alle Tochterzellen übertragen. Ein direkter Eingriff in die menschliche Keimbahn hat zwar noch nicht stattgefunden. In weltweit 14 Zentren wird jedoch bereits die Präimplantationsdiagnostik (PID) angewandt. In einen Projekt in Großbritannien wird im Rahmen der In-vitro-Fertilisation (IVF) das embryonale Genom vor dem Implantation in die Gebärmutter nicht etwa nur klassische monogene Erbkrankheiten hin analysiert, sondern auf die Darmkrebsart FAP (familiäre adenomatöse Polyposis). Besitzt das embryonale Genom diese Prädispostion, so werden die embryonalen Zellen nicht in die Gebärmutter implantiert. Menschen mit dem fraglichen Gen für FAP erkranken nicht zwangsläufig an dieser Darmkrebsart. Zudem tritt die Krankheit selbst erst ab dem dreißigsten Lebensjahr ein, vor allem aber werden die Chancen einer Heilung durch Operationen als gut angesehen.

Angesichts von immer mehr Krankheiten und Merkmalen, für die man genetische Prädispositionen findet, wird es für Befürworter und Humangenetiker selbst schwer, sich für oder gegen eine "selektive Abtreibung", also aus eugenischen Gründen, zu entscheiden. Eine Umfrage der britischen Psychologin Theresa Marteau ergab, daß sich 30 Prozent der Befragten für ein genetisches Screening auf Krebsarten aussprachen, die, wie etwa FAP, erst ab dem dreißigsten Lebensjahr auftreten. "Wie weit werden wir noch gehen, um ein perfektes Baby zu bekommen?", fragt angesichts dessen der britische Krebsspezialist Bill Gullick.

Eine "genetische Normalität" beim Menschen wird konstruiert, Abweichungen davon als krank oder behindert klassifiziert. Vermeintlich objektive naturwissenschaftliche Erkenntnisse werden auf diese Weise in gesellschaftliches und politisches Handeln transferiert: Wir als GRÜNE stellen uns entschieden gegen eine solche Einteilung in wertvolles und wertloses Leben. Eine Bewußtseinsbildung in dem Sinne, daß ein Mensch mit Behinderungen oder mit einer potentiell genetisch verursachten Krankheit, wie etwa Krebs, besser gar nicht zur Welt gekommen wäre, läuft einer humanen Gesellschaft zuwider. Krankheitsursachen sind komplexer als Humangenetiker behaupten. Ob eine genetische Prädisposition tatsächlich zum Ausdruck kommt, hängt viel stärker von zivilisatorischen Zwängen, ungesunder Lebensweise, krankmachenden Arbeitsplätzen und einer vergifteten Umwelt ab. Hier muß eine alternative Politik ansetzen, die sich nicht auf Reparatur und Eugenik konzentriert, sondern auf Nachhaltigkeit und Ursachenbekämpfung.

Die Funktion der Bioethik und der zahlreichen Bioethik-Kommissionen ist es dabei, für die gesellschaftliche Verankerung eines biologistischen, entsolidarisierten Gesellschaftsbildes zu sorgen und den Menschen auf sein biologisches bzw. genetisches Material zu reduzieren. Die sog. Ethikberatergruppe der Europäischen Kommission hat sogar offiziell die Aufgabe erhalten, für die gesellschaftliche Akzeptanz der Gentechnik zu sorgen. Hinter verschlossenen Türen basteln sich die Gentechnik-Betreiber ihre eigene Ethik. Diese findet ihre Grenzen dort, wo sie sowieso bereits durch den wissenschaftlich-technischen Stand gegeben sind. Ein gesellschaftlicher Diskurs über diese für jeden Menschen zentralen Fragen soll dadurch verhindert werden.

Der dritte Teil meines Referats hat schließlich nicht direkt mit gentherapeutischen und fortpflanzungsmedizinschen Themen zu tun, sondern mit einer weiteren Lücke der Bioethik-Konvention.



[1] Auch Anlage, Empfänglichkeit genannt, d.h., ein gentisch bedingtes Merkmal (hier: eine Krankheit) kommt mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zur Ausprägung.

[2] Vgl. French Anderson. In: Scientific American. September 1995. Das einzige Beispiel einer vermeintlich erfolgreichen somatischen Gentherapie durch French Anderson wird denn auch immer wieder von Humangenetikern angeführt. Selbst die kärglichen Erfolge bei zwei Kindern mit ADA-Defizienz sind zu hinterfragen: weder wurde die herkömmliche medikamentöse Behandlung abgesetzt, noch die Resultate publiziert oder die Daten unabhängigen Gutachtern zugänglich gemacht. Vgl. a. Wochenpost vom 12.1.1995 und Süddeutsche Zeitung vom 27.4.1995

3. Patentierung menschlicher Gene

In den nächsten Monaten wird die "Richtlinie über der rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen" der Europäischen Union erneut auf der Tagesordung des Europäischen Parlaments stehen. Nachdem das Parlament vor zwei Jahren zum ersten Mal von seinem Vetorecht Gebrauch machte und den Kommissions-Entwurf ablehnte, wurde auf Drängen der Industrie ein neuer Entwurf präsentiert - im wesentlichen eine Neuauflage der abgelehnten Richtlinie. Auch in diesem Entwurf geht es nicht um die behauptete Harmonisierung des bestehenden Patentrechtes, sondern um eine systematische Ausweitung der Patentierbarkeit im Bereich der belebten Natur. Die Patentierung menschlicher Gene erscheint dabei als besonders schwieriges Thema, da bereits der Gedanke, daß es sich bei Genen um Erfindungen handeln könne, befremdlich ist. Zu dieser seit vielen Jahren andauernden Debatte zur Patentierung menschlicher Gene schweigen sich die Autoren der Bioethik-Konvention aus. Offensichtlich haben sie nichts gegen eine Patentierung menschlicher Gene und wollen diese folglich auch nicht verbieten.

3.1. Teile des menschlichen Körpers

Die Begriffe "Erfindung" und "Entdeckung" sind für das gesamte Patentwesen von zentraler Bedeutung. Insbesondere die Behauptung der EU-Kommission, die Grenze zwischen Erfindung und Entdeckung könne durch die Unterscheidung von Genen (Zellen) in "natürlichem Zustand" und technisch isolierten Genen (Zellen) definiert werden, ist ein juristischer Winkelzug und irreführend. Bestandteile des menschlichen Körpers sollen als patentierbar definiert werden, sobald sie durch irgendeinen technischen Schritt aus ihrem natürlichen Zusammenhang gelöst worden sind. Nicht nur menschliche Gene, sondern auch alle menschliche Zellen, unter Umständen auch menschliche Organe für Transplantationszwecke, sind damit patentierbar. Das bedeutet, daß etwa befruchtete und unbefruchtete menschliche Eizellen patentierbar sein können, genauso wie embryonale Stammzellen.

Ein aktuelles Beispiel für diese Entwicklung bietet das bereits erteilte Patent "Isolierung und Konservierung von foetalen und neonatalen hämatopoetischen Stamm- und Progenitorzellen des Blutes". Dieses Patent betrifft sowohl die somatische Gentherapie als die Transplantationsmedizin. Blutzellen, die aus der Nabelschnur von Neugeborenen gewonnen werden, haben ihre Teilungsfähigkeit noch nicht verloren. Sie können, wenn sie zum Beispiel ins Knochenmark übertragen werden, die Folgen von Bestrahlung oder Chemotherapie mildern. Die Patentinhaber haben nichts anderes getan, als zu zeigen, daß man diese Blutzellen aus der Nabelschnur gewinnen und tiefkühlen kann. Das erteilte Patent umfasst alle menschlichen Blutzellen, soweit sie aus der Nabelschnur von Neugeborenen gewonnen und zu therapeutischen Zwecken genutzt werden können. Aufgrund dieses Patentes soll zum ersten Mal aus ethischen Gründen ein Einspruch beim Europäischen Patentamt eingereicht werden, der von der Scientific Communitiy selbst getragen wird. Wissenschaftler aus Frankreich, den Niederlanden und England haben einen gemeinsamen Einspruch angekündigt. Derartige Einsprüche würden durch die Richtlinie fast unmöglich gemacht.

3.2. Verdrängte Ethik

Ethische Probleme der Patentierung werden im Richtlinienentwurf weitgehend ausgeklammert. Kommission und Rat stehlen sich mit dem allgemeinen Verweis auf die Nichtpatentierbarkeit von "Erfindungen" davon, die gegen die "guten Sitten" und "die öffentliche Ordnung" verstoßen (Artikel 9). Die reale Entscheidung wird letztlich der Appellationsinstanz des Europäischen Patentamts überlassen - einem reinen Verwaltungsgremium.

Wie weit diese Gen-Piraterie am Menschen gehen kann zeigt der Fall John Moore. Dem an einer seltenen Krebskrankheit leidenden Moore wurde die Milz entfernt. Sein Arzt, Dr. Golde, experimentierte mit dem Organ und entwickelte, ohne daß Moore etwas von den Experimenten wußte, eine 'Mo-Zellinie'. Dr. Golde meldete diese genetische Goldgrube zum Patent an und verkaufte die Nutzungsrechte mit Millionengewinnen an verschiedene Konzerne. Als Moore durch Zufall von der Sache erfuhr, verklagte er Dr. Gold des Raubes an einer menschlichen Essenz. Die Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, daß Organe und Zellen, welche aus dem menschlichen Körper entfernt worden sind, nicht mehr Eigentum der Person sei. Was Dr. Golde unternahm, war schlicht und ergreifend Zellen in einer Nährlösung zu vermehren. Erfinderischer Geist war nicht zugange. Für Moore war das, was ihm angetan wurde "... eine totale Invasion, ... wie eine Vergewaltigung".

Die Keimbahntherapie soll nicht patentierbar sein (Artikel 9). Dies wurde erst durch Druck des Europäischen Parlaments möglich. Daß die Keimbahnmanipulation als nicht patentierbar aufgeführt wird, zeigt gleichzeitig, daß in der Konvention auch riskante Verfahren rechtlich abgesichert werden sollen. Doch Therapien, wie etwa die somatische Gentherapie, sind patentierbar. Hier prescht die Europäische Union am weitesten vor: bislang sind medizinische Diagnose- und Heilverfahren nach übereinstimmender internationaler Praxis nicht patentierbar, weil sie als Allgemeinwissen der Menschheit betrachtet werden.

Die gefährlichen Konsequenzen eines Kommerzialisierungsschubes in der Medizin nimmt die Kommission dabei in Kauf: Wenn Therapien patentierbar werden, müßten Ärzte an die Patentinhaber einer Therapie Lizenzgebühren zahlen, bevor sie diese anwenden dürfen. Therapien zurückzuhalten bis genügend Profit damit erzielt werden kann, ist dann für die Patentinhaber eine sinnvolle Vermarktungsstrategie - für medizinische Behandlung eine fatale Einschränkung. Es droht die Zwei-Klassen-Medizin, in der nur diejenigen Zugang zu Therapien haben, die sich auch die Lizenzgebühren leisten können.

Die Patentierung von menschlichen Genen macht Individuen und Ethnien zu einer genetischen Goldgrube, auf denen Firmen in Komplizenschaft mit öffentlich geförderter Wissenschaft ihre DNA-Claims abstecken. Das Europäische Patentamt hat bereits ein Patent auf ein Gen erteilt, das menschliches Relaxin codiert (ein Hormon, das Wehenschmerz lindert). Die Zustimmung der Person, von der das Gen isoliert wurde, ist dafür nicht erforderlich. Bestandteile von Menschen werden so Eigentumstitel von Firmen oder Regierungen. Die Selbstbestimmung des Individuums wird zugunsten von Profitinteressen durchlöchert, der Mensch wird zu "biologischem Material" degradiert.

Auch die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung wird durch die Patentierbarkeit menschlicher Gene eingeschränkt. Ein Wissensaustausch unter den Forschern wird zur Vermeidung eines wirtschaftlichen Nachteils unterbunden werden, wenn menschliche Gene patentiert sind. So wird der freie Zugang zu wissenschaftlicher Information blockiert werden.

Die Patentierbarkeit von Genen bricht mit dem zentralen Grundanliegen des Erfinderschutzes: der Förderung von Innovation und technischem Fortschritt. Ein Patent auf eine Luftpumpe erlaubt andere patentgeschützte Luftpumpen. Die Verbesserung eines Produkts durch technischen Fortschritt ist durch die Konstruktion des Patentrechts ausdrücklich erwünscht, denn nur wenn eine tatsächliche Neuerung gelingt, winken die lukrativen Lizenzen. Wenn man einmal wohlwollend unterstellt, es gäbe erfolgversprechende Ansätze bei der Gentechnik am Menschen, ist durch die Patentierung von Genen diese Förderung des technischen Fortschritts jedoch nicht möglich. Ein Patent auf ein bestimmtes Virusresistenzgen schützt dieses total: entweder schafft ein Gen diese spezifische Virusresistenz - dann kann es sich nur um das patentierte Gen handeln; oder es schafft sie nicht - dann handelt es sich um ein anderes Gen. Andere Möglichkeiten existieren beim derzeitigen Stand der Gentechnik nicht. Die EU-Richtlinie schafft somit für die Gentechnik ein Sonderrecht, das mit dem innovationsfördernden Grundanliegen des Patentrechts nicht in Einklang steht.

Ich danke für Ihre bzw. Eure Aufmerksamkeit und glaube, mit diesen Ausführungen eine knappe Skizze einiger Bereiche für die Anwendung der Bioethik-Konvention gegeben zu haben. Ich hoffe, daß wir in der Diskussion insbesondere auf die Bereiche eingehen können, die ich jetzt hier in meinem Referat nicht ansprechen konnte.

UWE-JÜRGEN NESS

Sprecher der Bundesarbeitsgruppe Gen- und Reproduktionstechnologien bei den Grünen/Bündnis 90

tätig im Europaparlament Brüssel u. Straßbourg

Quelle:

Uwe Jürgen Ness: Zur Pränataldiagnostik und Gentherapie

Das vorliegende Referat wurde entnommen aus dem Bericht: Bioethik kontra Menschenrechte - Die Bedeutung der Bioethik-Konvention unter besonderer Beachtung von Menschen mit Behinderungen

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 31.10.2006

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