Abschlussbericht über das Projekt "Zukunft individuell planen"

Autor:in - Dirk Neges
Themenbereiche: Psychosoziale Arbeit
Textsorte: Bericht
Releaseinfo: Das Projekt "Zukunft individuell planen" wurde während den drei Jahren Laufzeit (2006-2009) durch Stiftungen und Einzelpersonen finanziell bzw. ideell unterstützt, denen an dieser Stelle gedankt werden soll: Aktion Mensch, Firma Würth, Heidehof Stiftung, Lebenshilfe Baden-Württemberg, dem Projektbeirat mit Dr. Karl Kleinbach, Prof. Dr. Jörg-Michael Kastl, Rudi Sack, Roland Wille und Rosemarie Henes. Nicht zu vergessen: die Kollegen und Kolleginnen von BAFF, FEDER und Kaffeehäusle.
Copyright: © Lebenshilfe Reutlingen e.V. 2010

Einleitung

Das Forschungsprojekt der Lebenshilfe Reutlingen "Zukunft individuell planen" (ZIP) wurde im Oktober 2006 mit einer Laufzeit von drei Jahren (bis Oktober 2009) ins Leben gerufen. Die Idee war: "Mit dem Projekt sollen Menschen mit Behinderung unterstützt und ermutigt werden, bei anstehenden Fragen, Problemstellungen und Entscheidungen ihre eigenen Wünsche und Vorstellungen zu entdecken und mit ihnen Wege zur Realisierung gesucht werden"[1]. Wie im Projektnamen enthalten, sollte das Projekt dabei assistieren, die eigene Zukunft selbstbestimmt zu gestalten.

Biografien von sog. geistig behinderten Menschen sind in der Regel von institutionellen Übergängen geprägt, welche quasi-automatisiert ablaufen. D.h. mit der Diagnose bzw. dem Etikett einer "geistigen Behinderung" werden unabhängig von den Vorstellungen der betroffenen Person Schritte eingeleitet, die biografisch bedeutsam sind: Schulform, Ausbildungs- und Arbeitsstelle, betreute Wohnform, usw.. Selbst nach mehreren Jahren des gesetzlich verankerten Paradigmenwechsels (SGB IX) scheinen geistig behinderte Menschen immer noch von Zuweisungen seitens der zuständigen Leistungsträger abhängig zu sein, sei es von der Arbeitsagentur, dem Sozialamt oder dem Integrationsamt. Ansätze diesen Missstand zu ändern, stellen aus Sicht der Pädagogik das Konzept der Persönlichen Zukunftsplanung und aus sozialrechtlicher Sicht die Einführung des Persönlichen Budgets dar[2]. Bei ZIP wurde der Versuch unternommen, beides zu verbinden.

Das Persönliche Budget sollte als neue Finanzierungsmethode mehr Wahlfreiheit und eine individuumsgerechtere Unterstützung ermöglichen. Der Projektmitarbeiter von ZIP war als Prozessbegleiter und -unterstützer vorgesehen - die Unterstützung war für die Betroffenen kostenfrei. Man ging davon aus, dass dadurch Menschen mit sog. geistiger Behinderung vermehrt das Persönliche Budget in Anspruch nehmen können. Die persönliche Zukunftsplanung sollte als methodische Rahmen zur Aneignung der eigenen Lebensgestaltung die betroffene Person in den Mittelpunkt rücken. Der Mitarbeiter sollte als Moderator des Prozesses dienen, aber nicht selbst in das soziale Netzwerk integriert werden.

Durch die Installation einer Anlaufstelle für offene Problemstellungen sollten Lücken der Reutlinger Behindertenhilfe ausfindig gemacht und mögliche Formen von alternativen Hilfen entwickelt werden. Kooperationen mit Schulen, Wohnträgern, Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM), Sozialleistungsträger und anderen Institutionen der Behindertenhilfe waren fester Bestandteil in der Projektkonzeption.

Dieser Abschlussbericht untersucht die Umsetzung des Projektes, setzt sich mit seinen erfolgreichen Verläufen anhand von Fallbeispielen auseinander und konstatiert Ergebnisse, die hinter den Erwartungen der Projektinitiatoren blieben.

Im ersten Kapitel wird eine kurze Darstellung der örtlichen Begebenheiten unternommen. In Reutlingen gibt es verschiedene Einrichtungen der Behindertenhilfe, die umfassende Unterstützungen anbieten. Sie dienten nicht nur als Kooperationspartner, sondern waren auch als Zugangsmöglichkeiten zu ZIP vorgesehen, wenn der Bedarf eines Menschen über die Angebotspalette der jeweiligen Einrichtung hinausgehen sollte. Das zweite Kapitel stellt die Projektkonzeption dar. Es werden die Grundlagen der Projektarbeit vorgestellt: Das Persönliche Budget und die Persönliche Zukunftsplanung. Anschließend wird im dritten Kapitel die empirische Grundlage des Abschlussberichtes vorgestellt, mit denen im vierten Kapitel die Ergebnisse entwickelt werden. Nach einem Überblick über die Teilnehmer/innen, werden innerhalb von drei Unterkapiteln zu den Themenfeldern Arbeit, Wohnen und Freizeit anhand von Fallbeispielen die Möglichkeiten und Grenzen des Projektes deutlich. Vor allem der Verlauf der Kooperationsbemühungen und die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen als Zugangsquellen werden dabei kritisch analysiert. Im fünften Kapitel werden die Ergebnisse zusammengefasst und erste Folgerungen formuliert, die dann im abschließenden sechsten Kapitel in einer Diskussion mit offenen Fragen konkretisiert werden.



[1] Projektkonzeption 2006

[2] Sowohl das Konzept der Persönlichen Zukunftsplanung als auch das Persönliche Budget werden in Kapitel 2 näher erklärt

1. Situation vor Ort

Neben der Lebenshilfe e.V. existieren im Raum Reutlingen mehrere Einrichtungen und Projekte der Behindertenhilfe. Eine kurze Übersicht soll die Einbettung des Projektes verdeutlichen. Dabei sollen nur jene erwähnt werden, mit denen es Schnittpunkte gegeben hat bzw. mit denen Schnittpunkte erwartet wurden:

Lebenshilfe Reutlingen e.V.

Die Lebenshilfe hat ihren Sitz im Gebäude des "Kaffeehäusle" - einem integrativen Café, das 1984 gegründet wurde. Sie betreibt dieses Café, in dem u.a. vier Menschen mit sog. geistiger Behinderung auf einem ausgelagerten WfbM-Platz arbeiten. Außerdem trifft sich im Kaffeehäusle der "Arbeitskreis Selbstbestimmung" (eine Selbsthilfeorganisation von Menschen mit und ohne Behinderung) und das Elternnetzwerk von Familien mit Kindern mit sog. geistiger Behinderung.

Mit BAFF (Bildung, Aktion, Freizeit, Feste) und FEDER (Familienunterstützender Dienst) sind zudem zwei Dienste im Haus, die in gemeinsamer Trägerschaft von BruderhausDiakonie und Lebenshilfe sind und Offene Hilfen anbieten. Das Projekt ZIP war in den selben Räumlichkeiten mit einem eigenem Büro angesiedelt.

Schulen

Mit der Peter-Rossegger-Schule und der Karl-Georg-Haldenwang Schule sind zwei Schulen für Schüler/innen mit einer sog. geistigen Behinderung im Landkreis Reutlingen vorhanden. Jährlich absolvieren mehrere Schüler/innen beider Schulen Praktika im Kaffeehäusle, nehmen an Freizeitangeboten von BAFF und FEDER teil oder werden durch Pflegeberatungen durch FEDER unterstützt.

BruderhausDiakonie

Die BruderhausDiakonie stellt die größte Einrichtung im Landkreis dar. Sie bietet neben mehreren Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) auch verschiedene betreute Wohnheime, Appartements und Einzelwohnungen an sowie ambulante Dienste in Privatwohnungen und auch psycho-soziale Beratung und begleitete Freizeitangebote.

Mit ihrer Beratungsstelle "Selbstbestimmt Leben" und dem Projekt "Fürs Leben lernen" werden zur Zeit neue Möglichkeiten des betreuten Wohnens erprobt.

Integrationsfachdienst Neckar-Alb(IFD)

Der örtliche Integrationsfachdienst Neckar-Alb ist sowohl für Reutlingen als auch für Tübingen zuständig. Seine Aufgabe ist es, sowohl schwerbehinderte Menschen bei der Vermittlung und Begleitung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu unterstützen (§ 109 SGB IX), als auch für Arbeitgeber/innen bei Fragen der finanziellen Förderung für die Beschäftigung behinderter Menschen eine Ansprechstation zu bieten. Er arbeitet mit dem Konzept der "Unterstützten Beschäftigung" - eine aus den USA entwickelte Methode mit dem Motto: "Erst platzieren, dann qualifizieren".[3]

Er beteiligt sich seit 2009 bei der von der Arbeitsagentur ausgeschriebenen Maßnahme "Unterstützte Beschäftigung" - die Namensgleichung ist verwirrend -, durch die junge Menschen mit Behinderungen intensiv unterstützt und qualifiziert werden, eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden. Diese Maßnahme soll explizit Schüler/innen mit einer leichten geistigen Behinderung ansprechen.

Pädagogische Hochschule

Mit der sonderpädagogischen Fakultät der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, findet vor Ort die Ausbildung von Sonderschullehrer/innen und Diplompädagog/innen (bzw. Master) statt. Es gibt einen regen Austausch zwischen der Lebenshilfe und der Hochschule: Studierende absolvieren Praktika bei BAFF und FEDER oder arbeiten in ihrer Freizeit ehrenamtlich in einem der Bereiche mit.



[3] Mehr dazu Doose 2006

2. Projektkonzeption

In diesem Kapitel sollen die Schwerpunkte der Projektkonzeption vorgestellt werden. Die Informationen in diesem Kapitel beruhen auf einer Projektskizze, einem Flyertext und auf Aussagen von Mitarbeiter/innen des Projektes. Durch Gespräche mit Eltern behinderter Kinder wurde den Projektmitarbeiter/innen deutlich, dass in folgenden Bereichen der Reutlinger Behindertenhilfe Lücken bestehen: Sei es bei Umbruchsituationen wie dem Schulende oder dem Auszug aus dem Elternhaus, sei es bei der Umsetzung von einem Persönlichen Budget, um dadurch individuelle Begleitungen arrangieren zu können. Offensichtlich vermissten die Eltern eine Ansprechstation, die unabhängig von einem Leistungsangebot berät und bei der Suche nach Alternativen zu den tradierten Wegen fördert und begleitet. Aus diesem Grund umfasste die Projektkonzeption neben der Begleitung bei einem Persönlichen Budget auch die Durchführung einer Persönlichen Zukunftsplanung bei bevorstehenden Umbruchsituationen.

2.1. Persönliches Budget

Mit der gesetzlichen Verankerung des Persönlichen Budgets zum 1.01.2008 und den Erkenntnissen aus der Studie von Kastl und Metzler[4] stellte sich die Lebenshilfe die Frage, inwieweit Menschen mit einer sog. geistigen Behinderung diese neue Leistungsform nutzen können und welcher Dienst im Raum Reutlingen die notwendige Unterstützung anbietet. Nach § 17 SGB IX können Leistungen der Eingliederungshilfe (§ 53ff. SGB XII) in Form eines Persönlichen Budgets erbracht werden: "Auf Antrag können Leistungen zur Teilhabe auch durch ein Persönliches Budget ausgeführt werden, um den Leistungsberechtigten in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen"[5]. Was heißt das? Bis dato bekamen Leistungserbringer, z.B. der Träger eines Wohnheimes, die erforderlichen finanziellen Mittel direkt vom Leistungsträger (i.d.R. Sozialamt oder Pflegekasse). Die betroffene Person kann in diesem Vorgang wenig mitentscheiden (z.B. über die Höhe der Vergütung, die Begleitpersonen, die Mitbewohner/innen, usw.). Das soll sich mit dem Persönlichen Budget ändern, denn nun werden die Mittel an die betroffene Person überwiesen, mit denen sie idealerweise selbst bestimmen kann, welcher Dienst ihr die erforderliche Unterstützung erbringt. Was sich ändert, ist also nicht die Art der Leistung, sondern die Form, also die Richtung des Geldflusses (vgl. Abb. 1).

Sachleistung: Persönliches Budget: (Abb1.; Quelle: www.autismushamburg.de)

Neben dem Selbstbestimmungsgedanken steht für den Leistungsträger auch eine finanzielle Entlastung der Eingliederungshilfe als wichtiges Kriterium für die Bewilligung für ein Persönliches Budget im Raum. Der ehemalige Vorsitzende der BAGüS Fritz Bauer bringt dieses Dilemma auf den Punkt: "Das Persönliche Budget soll Menschen mit Behinderungen besser auf ihre Bedürfnisse angepasste Hilfen ermöglichen - und gleichzeitig die öffentlichen Kassen entlasten."[6]

Die Budgetnehmer/innen werden nach einer Bedarfserhebung durch einen Fachdienst in eine Hilfebedarfsgruppe (HBG) kategorisiert. Jeder HBG liegt ein Maximalbudget zu Grunde, denn das Budget soll die äquivalente Sachkostenhöhe, die bisher in Anspruch genommen werden würde, nicht überschreiten.[7]

Die Motivation der Kostenreduzierung wird von Behindertenverbänden teilweise heftig kritisiert. Diese argumentieren dagegen, dass der Bedarf eines Menschen mit Behinderung auch höher werden kann und dies vom Leistungsträger durch die Festlegung eines Maximalbetrags verhindert wird[8], in dem dieser den entsprechenden soll-Passus als "verbindliche Handlungsanweisung" auslegt[9]. KASTL und METZLER weißen darauf hin, dass die Kritik nur dann zutreffen sei, wenn durch die Einsparungseffekte die Lebensqualität der Betroffen eingeschränkt werde oder der Bedarf nicht mehr gedeckt werden könne1[10]. Beides traf in ihrer Studie nicht zu.

Bundesweit werden mit dem Persönlichen Budget hohe Erwartungen verknüpft, wenn auch die Umsetzung sehr unterschiedlich verläuft. ZIP sollte sowohl bei der Beratung über als auch bei der Beantragung für ein Persönliches Budget Unterstützung anbieten, um die damit zusammenhängenden Möglichkeiten "ausfindig zu machen und auch umzusetzen"[11]. Es sollte ein Ansprechpartner für Menschen mit Behinderungen, deren Eltern, für den Sozialträger und für andere Einrichtungen geschaffen werden. Eine Budgetassistenz im engeren Sinne (Verwaltung des Budgets, Koordination der Umsetzung, usw.) war nicht vorgesehen.

2.2. Persönliche Zukunftsplanung

Neben dem Persönlichen Budget (PB) stand auch das Konzept der Persönlichen Zukunftsplanung im Mittelpunkt des Projektgedankens. Ähnlich wie beim PB soll die betroffene Person im Mittelpunkt der Planung stehen, d.h. mit ihr und nicht über sie gesprochen werden. Stefan Doose ist im deutschsprachigen Raum einer der ersten Vertreter dieses Konzeptes, das in den 1980er Jahren in den USA unter den Namen "personal future planning" oder "person centered planning" entwickelt wurde[12]. Im Gegensatz zum konventionellen Umgang mit behinderten Menschen setzt das Konzept auf einen konsequenten methodischen Ansatz, bei dem die betroffene Person in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt wird, um mit ihr über ihre Zukunft nachzudenken (vgl. Abb. 2).

Institutionelle Hilfeplanung

•Orientierung an Behinderung

•Betonung von Defiziten und Bedürfnissen

•Ziel: oft Reduzierung von negativen Verhaltensweisen

•Hilfeplanung abhängig vom professionellen Urteil, oft standardisierte Tests und Begutachtungen

•Schriftliche Berichte

•Sieht die Person im Kontext der verfügbaren Maßnahmen und Behinderteneinrichtungen, dies sind oft Lebenräume speziell für Menschen mit Behinderungen

•Professionelle Distanz durch Betonung der Unterschiede

•Staatlich geregelte Verfahrensweisen, Blickrichtung Kostenträger

•Person ist an der Erstellung der Hilfeplanung (oft nur teilweise) beteiligt

•Zielrichtung: Stärkung und Ausbau der Institution durch Angebot geeigneter Maßnahmen

Persönliche Zukunftsplanung

•Orientierung an der individuellen Person

•Suche nach Fähigkeiten und Stärken

•Ziel: Erweiterung der Lebensqualität

•Hilfeplanung abhängig von der Person, Familie, Freunde und Fachleuten, verlangt mit der Person Zeit zu verbringen, um sie kennen zulernen, und gemeinsam eine gute Beschreibung zu erarbeiten

•"Geschichten", Episoden von Menschen, die die Person gut kennen

•Sieht die Person im Kontext des regulären Lebens in der Region

•Bringt Menschen zusammen durch die Identifizierung von Gemeinsamkeiten

•Verfahrensweise nicht vorgeschrieben, Blickrichtung planende Person

•Person steuert den Plan und die Aktivitäten

•Zielrichtung: Stärkung und Verwirklichung der Ziele des Planenden durch das Angebot geeigneter individueller Maßnahmen, lernende Organisation

Gemeinsam mit Personen, die die Hauptperson zur Verwirklichung ihrer Ziele dabei haben will (Unterstützer/innenkreis), werden Gesprächsrunden entwickelt, in denen es um die Stärken, Fähigkeiten und Vorlieben der betroffenen Person geht. In diesen Treffen werden konkrete Ziele diskutiert, die es innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens zu erfüllen gilt (z.B. zwei bestimmte Praktikastellen bis zum nächsten Treffen absolvieren). Jane Wells fasst das zusammen:

"Alle ins Auge gefassten Veränderungen werden von einer kleinen Gruppe von Personen initiiert. Sie treffen sich über einen längeren Zeitraum hinweg freiwillig, um sich gegenseitig zu unterstützen, gemeinsam Probleme zu bewältigen und Handlungsstrategien zu entwickeln. Dieser Kreis von UnterstützerInnen ("circle of support") verpflichtet sich dazu, selbst aktiv zu werden, um sicherzustellen, dass sich im Leben der Person, für die die Zukunftsplanung gemacht wird, auch tatsächlich Dinge verändern."[13]

Um diese Ziele zu erreichen, stehen dafür didaktische Materialien zur Verfügung, wie "Käpt`n Life und seine Crew" (Netzwerk People First) oder "Gut Leben" (Lebenshilfe Verlag), die es den beteiligten Personen erleichtern sollen, sich mit der eigenen Zukunft auseinander zu setzten. ZIP sollte dabei eine koordinierende Position einnehmen und nicht direkt in das soziale Umfeld integriert sein (Abb. 3):

(Abb.3; Quelle: Doose 2004, S.22)

Obwohl diese beiden Konzepte als Schwerpunkte der Projektarbeit erdacht waren, sollte das Projekt dennoch offen für neue Bedarfe bleiben. Die Idee war, Lücken, die im Reutlinger Raum angetroffen werden zu analysieren und wenn möglich zu schließen. Dem Projekt stand ein sog. Projektrat zur Seite - bestehend aus Mitgliedern der Lebenshilfe (Vorstand, Projektinitiatorin, Landesverband, ZIPMitarbeiter) und Hochschulprofessoren. Dieses beratende Gremium sollte in regelmäßigen Abständen die Tätigkeiten von ZIP reflektieren und neue Akzente setzen.



[4] Vgl. Kastl/Metzler 2005

[5] § 17 Abs. 2 SGB IX

[6] Bliesinger 2009, S.9

[7] § 17 Abs.3 SGB IX

[8] Vgl. BAG:WfbM 2006, 2007

[9] Bliesinger a.a.O

[10] Vgl. Kastl/Metzler 2005, S.179

[11] Flyertext ZIP, S. 2

[12] Doose 2004, S. 3

[13] 13Wells o.a.J, S.1

3. Datenerhebung

In diesem Kapitel soll kurz die vorhandene Datengrundlage dargestellt und verdeutlicht werden, aus welchen Daten dieser Bericht seine Ergebnisse zieht. Die Größe des Projektes hätte zwar eine qualitative Erhebung möglich gemacht, doch erfahrungsgemäß benötigt eine detaillierte Auswertung mehrere Monate, die dem Verfasser nicht zur Verfügung standen.

3.1. Projektdokumentation

Grundlage für die Auswertung des Projektverlaufs stellte maßgeblich die angelegte Projektdokumentation in Form einer Accessdatenbank dar. Dort sind neben personenbezogen Daten wie Alter, Grad der Behinderung, Schulbildung, Berufserfahrung und Interessen auch Informationen zum sozialen Umfeld enthalten. Alle Ereignisse wie Telefonate, Briefwechsel, Gespräche, usw. wurden protokolliert.

Als problematisch bei der Auswertung dieser Datengrundlage stellen sich unvollständig geführte Datensätze dar, da diese Lücken nur mühsam rekonstruiert werden können und dann u.U. nicht den tatsächlichen Verlauf darstellen. Bei lückenhafter Dokumentation werden diese Stellen im Bericht explizit genannt.

3.2. Zwischenbericht

Im Januar 2009 fertigte der Verfasser dieses Abschlussberichtes einen Zwischenbericht über das Projekt an. Ausgehend von diesen Daten wurden die aktuellen Ereignisse addiert und mit Erkenntnissen aus anderen Projekterfahrungen in Zusammenhang gebracht.

3.3. Erfahrungswerte

Während des Projektes wurde von den Projektmitarbeitern zusätzlich eine Sammlung angelegt, die die Komplikationen und Schwierigkeiten des Projektverlaufs dokumentiert. Die Ergebnisse fließen in diesen Bericht ebenso mit ein.

4. Projektergebnisse

Die folgenden Projektergebnisse sind gegliedert in: 1. Personenkreis, 2. Projektzugang, 3. Unterstützungsdauer und -intensität, 4. Unterstützungsfelder. Anschließend werden diese Erkenntnisse dahingehend diskutiert inwiefern das Projekt erfolgreich war bzw. aus welchen Gründen dies nicht der Fall gewesen war.

4.1. Personenkreis

Der in Frage kommende Personenkreis sollte, wie bereits zitiert, Menschen mit Behinderungen, deren Familien und/oder deren soziales Umfeld umfassen. Genauere Definitionen, z.B. bezüglich des Alters, der Schulbildung und der Behinderung wurden nicht unternommen. Es gab keine expliziten Kriterien der Teilnahmebedingungen am Projekt ("Erwerbsfähigkeit" nach §8 SGB II oder ähnliches). Aufgrund der Projektverankerung in die Lebenshilfestrukturen und des zugrundeliegende Projektgedankens war der Personenkreis der Menschen mit einer sog. geistigen Behinderung im besonderen Blickfeld - vorallem der Personkreis in Umbruchsituationen.

Bis zum 31.10.2009 nahmen insgesamt 30 Menschen am Projekt ZIP teil[14] - die Teilnehmer/innen (Tn) galten als geistig behindert oder autistisch. Die Altersspanne (Alter beim Projektzugang) reichte von 13 bis 45 Jahren (bei zwei Tn ist der Alter nicht erhoben worden), wobei über 2/3 der Teilnehmenden zwischen 15 und 35 Jahren lag (n=21). Obwohl die Mehrzahl sich in einem Alter befindet, das von Übergangssituationen geprägt ist (vor allem im Bereich Wohnen und Arbeit), hatte das Alter, das kann man schon vorweg nehmen, keinen signifikanten Einfluss auf die Gründe weshalb ZIP aufgesucht wurde. Sowohl jüngere als auch älteren Menschen nahmen in verschiedenen Lebensbereichen (Arbeit, Wohnen, Freizeit) die Unterstützung von ZIP in Anspruch, um die Verwirklichung ihres Vorhabens zu realisieren. Die Vorstellung, dass Umbruchphasen insbesondere nach der Schule oder Ausbildung auftreten, erscheint im Bezug auf die Projekterfahrungen als verkürzt gedacht.

4.2. Projektzugang

Der Zugang zum Projekt sollte konzeptionell über mehrere Wege laufen: Eigenwerbung durch Flyer, Kontakte über die Lebenshilfe (FEDER, BAFF, Kaffeehäusle), intensive Kooperationen mit Schulen, IFD, BruderhausDiakonie, Sozialamt, Landratsamt und über themenbezogene Informationsveranstaltungen für Eltern und ihre Kinder. Im Rahmen mehrerer Zwischenevaluationen (Projektbeirat) während des Projektverlaufs musste dieser Ansatz als problematisches Feld konstatiert werden:

Der Zugang fand zum überwiegenden Teil über das Umfeld der Lebenshilfe (FEDER, BAFF, Elternnetzwerk, persönliche Kontakte, usw.) statt (n=22). Durch Werbung (Flyer, Zeitungsartikel o.ä.) fanden vier Teilnehmer/innen bzw. deren Eltern den direkten Weg zu ZIP (n=4) und durch Veranstaltungen konnten sich weitere vier Eltern mit ihren Kindern für das Projekt begeistern (n=4). Vermittlungen durch Schule, IFD, BruderhausDiakonie, Sozialamt usw. kamen nicht zu Stande (Abb.4).

(Abb. 4)

Ehrenamtliches Engagement bei der Lebenshilfe - sei es als Betroffene/r oder als Elternteil - und persönliche Kontakte durch Fachkräfte der Lebenshilfe zu Familien scheinen den entscheidenden Projektzugang darzustellen. Diese Erkenntnis wurde, wie bereits angedeutet, im Sommer 2008 als ein Zwischenergebnis festgehalten, weshalb sich seither der Blick für mögliche Teilnehmer/innen auf das sogenannte "Lebenshilfeklientel" konzentrierte. In Folge dieser Zielgruppenorientierung stand der Ausbau einer "Geh-Struktur"[15] im Zentrum der Teilnehmer/innenakquise. Konkret sollte eine engere Kooperation mit FEDER diese Zugangsmöglichkeit systematisieren - beispielsweise wurde der sogenannte "Teenie-Club", ein Gruppenangebot von FEDER, seither intensiver begleitet. Was zum Teil funktionierte: Es wurden drei "Teenies" beim Übergang von der Schule in das Arbeitsleben unterstützt, die zuvor, aufgrund von fehlenden Voraussetzungen (z.B. selbstständige Mobilität), weder von Schule, noch von IFD eine Unterstützung angebo-ten bekamen (Praktikasuche, Möglichkeit eines betriebsnahen Berufsbildungsbereich, usw.).

Exkurs: Institutionelle Anbindung an die Lebenshilfe.

Die Akzentuierung der Zugangsquellen entsprechen nachträglich betrachtet der Anbindung des Projektes an die Lebenshilfe Reutlingen - in doppelter Weise:

  • infrastrukturell durch die Nutzung der Räumlichkeiten im Kaffeehäusle und

  • ideell durch die Projektinitiation durch die Lebenshilfe.

Die Vorteile einer engen Anbindung an die Lebenshilfe sind zweifelsohne darin begründet, dass ZIP dadurch sehr Nahe am Geschehen der Offenen Hilfen verortet war. Bedarfe, die bei Freizeitangeboten (BAFF, Teenie-Club) geäußert wurden oder bei Pflegeberatungen auftraten, konnten schnell an ZIP weitervermittelt oder aufgenommen werden. Hintergrundwissen über die Lebenslagen der Projektteilnehmer/innen, die durch Teilnahme an BAFF- oder FEDER-Angeboten den Kolleg/innen bekannt waren, dienten als zusätzliche Hilfen für die ZIP-Unterstützung[16].

Die Übernahme von Freizeitangeboten durch den ZIP-Mitarbeiter wie oben beschrieben, hat jedoch einen ambivalenten Charakter. Zum einen konnte dadurch direkter Kontakt mit möglichen Teilnehmer/innen hergestellt und mögliche Stärken, Vorlieben, Fähigkeiten und Abneigen erkannt werden. Einzig die Beratungsgespräche als Grundlage zur Erkennung von diesen Eigenschaften zu nehmen, war den Projektinitiatoren/innen zu wenig. Andererseits konnte eine Verschmelzung von ZIP und Freizeitangeboten die Gefahr bergen, dass entweder das Angebot zur Akquise missbraucht wird oder aber eine fehlende Akquisestrategie keinen Zugang zu ZIP ermöglicht. Dieses Dilemma bestand bis zum Projektende.

4.3. Teilnehmer/innenanzahl und Erfolgsquote

In der Projektkonzeption wurde darauf verzichtet, eine numerische Größe an monatlichen Teilnehmer/innen als Ziel zu setzen oder einen Zeitraum der maximalen Unterstützungsdauer zu nennen - diese Regelungen existieren beispielsweise bei einigen Integrationsfachdiensten bzw. deren Kostenträger (Agentur für Arbeit, Jobcenter, Rehaträger).

Die insgesamt 30 Projektteilnehmer/innen verließen wie folgt das Projekt:[17]

  • sie wurden nach mehreren Beratungsgesprächen und Recherchen auf Grund von Zuständigkeitsfragen bzw. bereits vorhandenen Stellen zu anderen Angeboten wie FEDER, IFD, Sozialer Dienst der BruderhausDiakonie o.ä. vermittelt (n=8)[18],

  • sie wurden erfolgreich abgeschlossen (n=11),

  • sie wurden mit (Teil-)Erfolg am Projektende behelfsmäßig an Mitarbeiter/innen der Lebenshilfe oder an andere Dienste (z.B. Sozialdienst der BruderhausDiakonie) übergeben (n=4),

  • sie verließen ZIP aufgrund einer veränderten Lebenssituation (z.B. durch Elternengagement oder paralleles Einschalten anderer Dienste) (n=3),

  • sie mussten wegen abnehmendem Interesse, Krankheit o.ä. ergebnislos abgeschlossen werden (n=4)

Man muss die Daten genauer betrachten, um die Aussagekraft der Ergebnisse zu erkennen:

Als erstes gilt es, die erfolgreichen Unterstützungsfälle hervorzuheben. Mit insgesamt 15 erfolgreichen Unterstützungsfällen konnte ZIP für 50% der Personen, die gewünschten Anliegen erwirken. Untersucht man die Ergebnisse nicht personengebunden, sondern Vorhabensgebunden (vgl. Abb.6) erhält man eine ähnliche Erfolgsquote (17:35=49%). Mit dem Projekt wurden

  • für Schüler/innen, die von der Schule nicht unterstützt wurden (zu hoher Unterstützungsbedarf), Praktikastellen auf dem ersten Arbeitsmarkt akquiriert oder ein betriebsnaher Durchgang des Berufsbildungsbereichs erwirkt,

  • für WfbM-Beschäftigte konfliktärmere Arbeitsstellen außerhalb der WfbM gefunden,

  • Antragsverfahren für ein Persönliches Budget unterstützt, mit dem neue Möglichkeiten zur Erweiterung der Freizeitaktivitäten und des betreuten Wohnens in der Familie geschaffen wurden.

Davon abgesehen nutzte gut ein Viertel (n=8) ZIP als erste Anlaufstation, entweder als Informationsquelle für vorhandene Einrichtungen oder als Einstieg für ein Vorhaben, im Rahmen dessen sich dieses konkretisierte und entsprechende vorhandene Angebote weitervermittelt werden konnte - wobei jene Anfragen, die unmittelbar am Telefon geklärt werden konnten nicht dokumentiert sind und somit auch in der Statistik fehlen. ZIP übernahm sozusagen die Funktion der Gemeinsamen Servicestellen - in intensivierter Form.

Die Frage, ob Vermittlungen, bei denen erst nach (mehreren) gemeinsamen Treffen dies als Option aufkam, für ZIP als Erfolg gewertet werden können, könnte insofern bejaht werden, als ZIP den Weg für weitere Schritte geebnet hat und Optionen auftat, die zuvor nicht vorhanden waren.[19] Diese Fälle würden die 50%-Quote nochmals erhöhen.

Mit dieser Unterstützungsfunktion muss die Zahl jener, für die ZIP schließlich die richtige Ansprechstelle war, um ihr Vorhaben verwirklichen zu können als untere Grenze verstanden werden. Zwar bleibt die Aussagekraft aufgrund der insgesamt niedrigen Teilnehmer/innenzahl gering, unterstreicht aber dennoch, dass eine individuelle Unterstützung ohne zeitliche Begrenzung und ohne finanzielle Abhängigkeit von der Leistung, gute Erfolgsaussichten aufweist.

Die Erfolgsquote von ZIP hängt jedoch mit dem jeweiligen Vorhaben (Ziel) zusammen. Die Aussicht auf Erfolg ist beispielsweise bei einem Vorhaben, das zum Ziel hat mittels einer Persönlichen Zukunftsplanung neue Möglichkeiten der Freizeitgestaltung zu entwickeln eher wahrscheinlich, als der Wunsch von der WfbM auszutreten und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Beschäftigung zu finden. Das soll nicht bedeuten, dass Letztgenanntes nicht unterstützt werden sollte, sondern, dass es Wünsche gibt, die unter den gegeben Umständen der Behindertenhilfe einfacher sind zu unterstützen. Die Projektinitiator/innen vermuteten einen hohen Bedarf auch in den einfacher zu unterstützenden Angelegenheiten wie einer unabhängigen Beratung oder einer integrativen Freizeitgestaltung. Aus diesem Grund bleibt die geringe Teilnehmer/ innenzahl deutlich hinter den Projekterwartungen[20].

4.4. Unterstützungsdauer und -intensität

Der Unterstützungsumfang von ZIP ist aufgrund seines Personenkreises tendenziell auf einen längeren Zeitraum angelegt, was sich auch in der rekonstruierten Dauer der Unterstützung niederschlägt. Wie oben erwähnt, gab es keine zeitliche Begrenzung der Unterstützung.

Die Dauer der Unterstützung setzt sich unterschiedlich zusammen:

  • acht Personen wurden <6 Monate unterstützt,

  • elf Personen zwischen 7-12 Monate und

  • nochmals elf Personen >12 Monate (darunter vier Personen >25 Monate!).

(Abb. 5)

Die Grafik (Abb.5) lässt erkennen, dass ein Drittel über einen langen, tlw. sogar sehr langen Zeitraum begleitet wurde. Interessant dürfte sein, wie die Verteilung der Dauer mit dem Abschluss von ZIP zusammenhängt:

In die lange Unterstützungsdauer (>12 Monate) fallen neun Personen, deren Verlauf als erfolgreich bezeichnet werden kann, gleichzeitig aber auch ein Fall, der durch Engagement der Familie ZIP abgebrochen hat und einer, der das Interesse verlor. In die Spanne 7-12 Monate fallen die restlichen sechs erfolgreichen Verläufe, zwei offen abgeschlossene und drei Vermittlungen. Festhalten muss man in diesen beiden Gruppen, dass alle erfolgreichen Fälle mindestens 8 Monate von ZIP unterstützt wurden - mit einer durchschnittlichen Unterstützungsdauer von 14,7 Monaten. (Gesamtgruppe 10,4 Monate). In die Gruppe <6 Monate fallen fünf Vermittlungen, ein Abbruch und zwei als ergebnislos dokumentierte Fälle.

Angesichts der hohen Durchschnittsdauer bei den erfolgreichen Verläufen soll nochmals ein besonderer Blick auf die > 12 Gruppe geworfen werden, da es auch auf jene zutreffen könnte, die bei Projektende noch nicht abgeschlossen waren und zu diesem Zeitpunkt unter 12 Monaten unterstützt wurden:

Analysiert man die in der Projektdokumentation nachzulesenden datierten Ereignisse wie Briefwechsel, Beratungsgespräche usw., lassen sich die (sehr) langen Unterstützungszeiträume durch mehrere Aspekte erklären:

  • lange konzeptionelle Planungs- und Erprobungsphasen (Persönliche Zukunftsplanung, persönliche Gespräche, Recherchen, Praktika, usw.)

  • lange Antragsverfahren beim Persönlichen Budget (Festlegung der Hilfebedarfsgruppe, Verhandlungen über Höhe des Persönlichen Budgets, usw.)

  • Abbrüche und Irrwege (Rückkehr in WfbM, Neuanfang, usw.)

  • Kriseninterventionen (Krankheit, Überforderung, usw.)

  • Wunsch eines kontinuierlichen Ansprechpartners für Projektteilnehmer/in, Eltern, Schule, Arbeitgeber/in, Leistungsträger/in, usw., auch über die eigentliche Veränderungsphase hinaus.

  • verzögerte Erfüllung von Abmachungen (Antrag stellen, Dokumente organisieren, Informationen beschaffen/bereitstellen usw.) durch Verwandte, Behörden, andere beteiligte Dienste als auch durch das Projekt selbst.

Erwähnenswert ist, dass die Dauer der Unterstützung nicht mit der Art des Veränderungswunsches korreliert, d.h. es können keine Prognose abgegeben werden, sondern die Dauer der Unterstützung bleibt fallbezogen verschieden. Abzulesen ist das zum Beispiel beim Persönlichen Budget: bei zwei Fällen, die ein Persönliches Budget für die Teilhabe in die Gemeinschaft beantragt haben, um ihre Freizeit zu gestalten, verlief der eine Fall reibungslos und die Unterstützung endete nach 10 Monaten; bei dem zweiten Fall musste der Entscheidung vom Sozialleistungsträger widersprochen werden, was ein Verfahren nach sich zog. Außerdem musste die Begleitung zu Freizeitaktivitäten noch gesucht werden. Diese Unterstützung umfasste schließlich 14 Monate. Entscheidend ist also auch, wie aktiv das soziale Umfeld im Vorhaben engagiert ist und wie die entsprechenden Behörden und Kooperationspartner/innen mitarbeiten.

4.5. Unterstützungsfelder und Fallbeispiele

Die Projektoffenheit schlägt sich darin nieder in welchen Bereichen der Wunsch nach Unterstützung bzw. Begleitung nachgefragt wurde. Die Nachfragen lassen sich überwiegend in drei Kernbereiche kategorisieren: a) Arbeit (n=15), b) Freizeit (n=10) und c) Wohnen (n=10). Sonstige Anfragen (n=2) waren im Bereich Familienunterstützung und Partnervermittlung angesiedelt.[21]

(Abb. 6)

Die Betrachtung der Nachfragegewichtung gibt freilich weder Aufschluss über den tatsächlichen Prozess der Unterstützung noch über dessen Erfolg. Die Unterstützungsverläufe sollen mit Fallbeispielen die Chancen und Grenzen von ZIP verdeutlichen. Wie sich zeigen wird, spielt die Persönliche Zukunftsplanung nur eine geringe Rolle bei der Unterstützung[22]. Sie wurde lediglich in vier Fällen nachgefragt, und dabei nur zwei mal konkret durchgeführt. Bei diesen Fällen gab sie jedoch die entscheidenden Impulse.

4.5.1. Arbeit

Von den insgesamt 15 Nachfragen, die die Arbeitssituation betrafen, konnten mit dem Projekt elf Vorhaben erfolgreich umgesetzt werden, die weiter unten näher beschrieben werden. Herrn Nietmaier [1][23] wurde an den IFD vermittelt, aber für ein PB-Antrag für den Bereich Freizeit weiterhin von ZIP unterstützt. Herr Clemens [2] beendete seine Teilnahme aus persönlichen Gründen und die Schülerin Maria Ganz hatte kein Interesse mehr [3], weil sie in der Zwischenzeit an einem anderen Reutlinger Projekt teilnahm; Herr Nuss wurde bereits vom IFD unterstützt [4], weshalb ZIP nur für einen kurzen Zeitraum ihn bei der Praktiksuche begleitete.

Dass mit der Beauftragung eines anderen Dienstes, die Unterstützung von ZIP nicht automatisch abgeschlossen sein musste, erwies sich in einem Fall: die Eltern von Herrn Ganther [5], dessen Verlängerung seiner Arbeitsstelle von Fördermitteln der Agentur für Arbeit abhängig war, waren mit dem dafür zuständigen IFD sehr unzufrieden. ZIP wurde kurzfristig eingeschaltet, um gemeinsam mit der Familie den Stand der Verhandlungen transparent zu machen, was der Dokumentation zur Folge erst nach mehreren Kontaktversuchen möglich war. Schlussendlich wurden die Fördermittel bewilligt und der Vertrag verlängert.

Von den restlichen zehn Teilnehmer/innen suchten drei aus Unzufriedenheit mit ihrer bisherigen Tätigkeit eine Alternative zur ihrer WfbM-Arbeitsstelle. Alle drei wurden nicht vom IFD unterstützt und bekamen keine Assistenz seitens der Werkstatt, weshalb sie ZIP um Unterstützung baten. Ein detaillierter Blick in die Fallbeispiele soll die Besonderheiten bei dieser Fragestellung deutlich machen.

Frau Alber [6]

Frau Alber ist 41 Jahre alt und arbeitete seit über 20 Jahren in der WfbM - sie bezieht nach § 43 SGB VI eine Erwerbsminderungsrente. 2008 erkrankte Frau Alber und konnte für mehrere Monate ihre Tätigkeit in dem Café (ausgelagerten WfbM-Arbeitsplatz) nicht mehr nachgehen. Während ihrer Krankheit wurde sie ohne in Kenntnis gesetzt zu werden vom Leistungserbringer (WfbM) nachträglich abgemeldet, was daraus erfolgt, dass der Sozialleistungsträger eine Kostenübernahme bis maximal dreimonatiger Abwesenheit übernimmt.

Daraufhin meldeten sich die Eltern über die FEDER-Kollegin bei ZIP und baten um Unterstützung bei der Suche nach einer Alternative zur WfbM, zu der sie offensichtlich aufgrund der nicht transparenten Abmeldung nicht mehr gehen mochten. Um den Gesundheitszustand zu stabilisieren und eine Tagesstruktur zu schaffen, wurde nach der Genesung als erste Maßnahme eine Tätigkeit im Kaffeehäusle erfunden, die sie übernehmen konnte (Bügelhilfe). Parallel dazu wurden Verhandlungen mit dem Sozialamt und dem alten Café aufgenommen, um eine erneute Beschäftigung zu besprechen. In diesem Zusammenhang kam zum Vorschein, dass die WfbM in den letzten Jahren keine Berichte über den Außenarbeitsplatz an den Sozialleitungsträger erbrachte. Das Café gab außerdem an, wenig Unterstützung von Seiten des Werkstattträgers bekommen zu haben und wunderte sich, warum sie das Arbeitsentgelt zahlen müssen und die Assistenz leisten, aber nur die WfbM die Sozialleistungen bekommt, obwohl diese nachweislich keine Unterstützung geleistet hätte.

Es folgten Überlegungen, wie die Kostensätze, die normalerweise die WfbM als Unterstützungspauschale für einen WfbM-Platz bekommen würde (ca. 900€/Monat), an das Café gegeben werden können. Das Sozialamt und das Café waren hierbei sehr entgegenkommend und engagierten sich intensiv an dem Prozess. Die Koordination der beteiligten Personen erwies sich dennoch als nicht einfach, weshalb sich auf Grund von Krankheiten und Terminverschiebungen klärende Gesprächsrunden immer wieder um Wochen verschoben.

Nach internen Verhandlungen gab das Café an, seinen Arbeitsplan umzustrukturieren, um eine kontinuierliche Ansprechperson für Frau Alber zu garantieren und stellte eine 400€-Job für sie in Aussicht. Der Sozialleistungsträger finanzierte die Assistenz nach § 54 Abs. 1 SGB XII (Ambulante Teilhabe am Arbeitsleben) mit 400€. Schlussendlich konnte Frau Alber in einem Trainingsarbeiten das Café davon überzeugen, sie wieder aufzunehmen.

Seit März 2009 arbeitet Frau Alber als geringfügig Beschäftigte wieder an drei Vormittagen im Café und bekommt dafür ca. 200€ im Monat. Aufgrund ihrer Erwerbsminderungsrente (ca. 700€) ist dieser Lohn nachrangig. Sowohl nach eigenen Aussagen, als auch der Einschätzung ihrer Eltern, geht Frau Alber gerne in das Café. Ende Oktober ergaben sich dann Schwierigkeiten mit der Kontinuität der Begleitperson, was eine Überforderung des Personals und eine Verschlechterung des psychischen Zustandes von Frau Alber zur Folge hatte. Ein Gespräch zwischen Eltern und Café stand zum Zeitpunkt des Berichts aus.

Dieses Fallbeispiel spiegelt eine neue Entwicklung wider: die Möglichkeit bei Erhalt der sog. Erwerbsminderungsrente (EM-Rente) außerhalb der WfbM eine Beschäftigung zu finden und die dafür nötige Assistenz finanziert zu bekommen. Dies ist deshalb möglich, weil die EM-Rente-Bezieher/innen durch den WfbM-Austritt lediglich die Beiträge zur Altersrente und zur Arbeitslosenversicherung verlieren. Die Altersrente ist für WfbM-Beschäftigte normalerweise unwichtig, da die Mindesthöhe der Altersrente der Erwerbsminderungsrente entspricht und diese für die Versicherten i.d.R. mehr als bedarfsdeckend ist. Die Krankenversicherung und Pflegeversicherung wird von der Rentenversicherung angemeldet.

Ähnlich wie bei einem anderem Projektteilnehmer namens Herrn Stauber [7], der ebenfalls bereits eine EM-Rente bezieht, handelt es sich hierbei weniger um eine Erwerbstätigkeit als Verdienstquelle, als um eine tagesstrukturierende Maßnahme, die eben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt integriert ist. Dennoch werden alle Leistungen als "Ambulante Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §54 Abs.1 Nr. 4 SGB XII" erbracht - als Eingliederungshilfe. Hier heißt es wörtlich, dass die Sozialleistungsträger Hilfen für "vergleichbare sonstige Beschäftigungsstätten" leisten. Aber Vorsicht: Es werden keine Leistungen im Sinne einer Arbeitsassistenz auf dem ersten Arbeitsmarkt (§ 270a SGB III "Förderung in Sonderregelungen" und § 102 Abs. 4 SGB IX "Aufgaben des Integrationsamtes") erbracht - dafür wäre die Agentur für Arbeit oder das Integrationsamt zuständig. Die hier genannten Fälle gelten als voll erwerbsgemindert, d.h. die Personen können nicht mehr als 3 Stunden am Tag arbeiten (§ 43 SGB VI) - anderenfalls würden sie auch keine Erwerbsminderungsrente beziehen können. Im Grunde genommen stehen somit nur Teilzeitbeschäftigungen zur Verfügung, da es bisher kein Konzept gibt, wie man die Qualität und Quantität einer WfbM-Beschäftigung örtlich und trägerunabhängig definieren kann, dass also jemand die WfbM-Leistungen beanspruchen könnte und gleichzeitig nicht in der WfbM arbeitet, sondern auf einem WfbM-ähnlichen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Zurück zu den ZIP-Teilnehmer/innen bedeutet das z.B., dass Herr Stauber nun fünfmal in der Woche in eine Bügelstube geht, die für ihn einen weiteren Raum anmietete und ihren Arbeitsvorgang umstrukturierte. Dafür bekommt die Arbeitgeberin 380€ als ambulante Leistungen nach § 54 Abs. 1, Nr. 4 SGB XII. ZIP diente in seinem Fall sehr lange als Ansprechpartner, z.B. wenn die Finanzierung verlängert werden musste oder Krisen auftraten. Zu erwähnen ist, dass der Sozialleistungsträger bei Krankheit von länger als vier Wochen die Finanzierung einstellt, was im Vergleich zur WfbM zwei Monate weniger ist. Da Herr Stauber mehrmals länger krank wurde, musste ZIP hier als Verhandlungspartner auftreten (ähnlich wie ein IFD), um den Beschäftigungsplatz zu sichern.

In beiden Fällen ist feststellbar, dass der Sozialleistungsträger über "ambulante" Formen der Beschäftigung - als Tagesstrukturierung, bei EM-Rentenbezug - einfach zu begeistern war. Ein Grund mag die Möglichkeit eines integrativen Beschäftigungssettings zu sein, die die Bereichsleiterin der Eingliederungshilfe unterstützt. Die Vorarbeit von ZIP (Akquise, Vorgespräche, usw.) erleichterten eine Unterstützung eventuell zusätzlich. Ein weiterer Grund dafür scheint die - im Vergleich zu einer Tätigkeit in der WfbM - wesentlich günstigere Finanzierung zu sein (Fr. Alber 400€ und Hr. Stauber 380€ gegenüber 900€ in der WfbM). Ebenso war die Unterstützung und Begleitung durch den Werkstattträger auf einem Außenarbeitsplatz für das Sozialamt und die Familien sehr unzufrieden stellend. Überraschend ist dennoch, dass der Sozialleistungsträger schnell die Finanzierung einstellte, obwohl er dass in der WfbM nicht machen würde - und dort sind die Sätze bekanntlich wesentlich höher. Aber auch hier ließen sich Kompromisse finden (im Falle von Herrn Stauber wurden während einer mehrwöchigen Krankheit die Kosten von Miete und Strom, die sich durch die Errichtung seines Arbeitsplatzes erhöhten, anteilig übernommen).

Von Seiten der WfbM war in diesem Bereich wenig Unterstützung anzutreffen. Das liegt vermutlich darin begründet, dass zum einen der zuständige Vermittlungsdienst (IFD) bei EM-Rentenbezug keine Fördermittel der Agentur für Arbeit beantragen kann, weil die Person wie oben beschrieben "voll erwerbsgemindert" (§ 43 SGB VI) ist - d.h. sie nicht mehr als 3 Stunden täglich auf dem allgemeinem Arbeitsmarkt tätig sein kann. Die "Erwerbsfähigkeit" ist sozialrechtlich jedoch grundlegend für Fördermittel durch die Arbeitsagentur. Zum anderen zeigen die Sozialdienste der WfbM, also jene Stellen, die auch für den Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zuständig wären, hierbei bisher wenig Engagement. Diese Übergangsproblematik ist bekanntlich bundesweit ein Thema[24]. Ein Grund scheint bei Letztgenannten die mangelnde Ausstattung an Personal zu sein, welches die WfbM-Beschäftigten begleiten könnte. Laut Dokumentationsakte gab ein Sozialdienstmitarbeiter der WfbM das als ein bekanntes Problem an. Eine weitere Schwierigkeit scheint darin zu liegen, dass die WfbM-Beschäftigten vom Sozialdienst entweder als zu schwach eingestuft werden oder die Gruppenleiter ihre Leistungsbesten nur ungern verlieren.

Eine weiteres Beispiel soll diesen Konflikt verdeutlichen:

Frau Oswald [8]

Frau Oswald ist 29 Jahre alt und arbeitete seit 10 Jahren in der gleichen Abteilung der WfbM. 2008 beklagte sie sich bei ihren Eltern über Konflikte mit Vorgesetzten und anderen WfbM-Beschäftigten. Sie sprach sogar von Mobbing. Ihr Vorgesetzter stellte im Gegenzug eine abnehmende Motivation und Arbeitsleistung fest. Die Eltern wandten sich im Oktober 2008 über die Lebenshilfe an ZIP und fragten nach Alternativen zu ihrer aktuellen Beschäftigung. Sie standen einer Beschäftigung außerhalb der Werkstatt offen gegenüber, legten darauf aber keine Priorität. Da Frau Oswald gerne eine andere Tätigkeit als die bisherige ausüben wollte, aber nicht wusste, welche das sein könnte, wurde vereinbart, dass mittels einer Persönlichen Zukunftsplanung versucht werden sollte neue Bereiche zu erschließen. Sowohl Frau Oswald als auch ihre Eltern waren für diesen Vorschlag sehr aufgeschlossen. Parallel dazu bemühten sich die Eltern innerhalb der Werkstatt um eine andere Tätigkeit für ihre Tochter.

Mit Frau Oswald wurden in den nächsten Wochen mit Hilfe des Buches "Käpt'n Life und seine Crew" verschiedene Grundlagen erarbeitet: Mitglieder des sozialen Umfeldes, Interessen, Freizeitaktivitäten, Alltagskompetenzen, Abneigungen und Vorlieben, usw. Darauf wurden diejenige Personen zu einer ersten Gesprächsrunde im November eingeladen, die Frau Oswald (und ihre Eltern) als wünschenswert erachteten. Neben den Eltern und ZIP waren an diesem Termin, eine Nachbarin, ein alter Bekannter von den Eltern und Frau Oswald, der Vereinstrainer und die Wohnbetreuerin anwesend. In mehreren Schritten wurden die persönlichen Bezüge zwischen den Anwesenden und Frau Oswald deutlich, wurden Interessen und Kompetenzen erarbeitet und daraus mögliche Beschäftigungsformen entwickelt. Die Runde wurde damit geschlossen, dass in zwei Feldern nach Praktikantenstellen recherchiert werden sollte: im Bürobereich und im gastronomischen Servicebereich. Eine nötige Begleitperson sollte über die WfbM organisiert werden.

ZIP konnte nach langen Recherchen, innerhalb dieser sich einige Reutlinger Gastwirte als wenig aufgeschlossen gegenüber Menschen mit sog. geistiger Behinderung entpuppten, ein erstes Bewerbungsgespräch in einem Hotel arrangieren. In diesem wurde für Mai 2009 ein 14-tägiges Praktikum vereinbart. Auf Anfragen an die WfbM zwecks einer Freistellung für diese Zeit und einer möglichen Begleitung, willigte diese zwar einer Freistellung ein, äußerte sich aber kritisch gegenüber einer Beschäftigung in dem Hotel, weil Frau Oswald die Ansprüche des Hotels sicherlich nicht erfüllen könne und das Vorhaben deshalb wenig Sinn mache. Die WfbM arbeite bei Vermittlungen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt nach speziellen Verfahren, die u.a. ein Tätigkeitsprofil der Stelle mit dem Kompetenzprofil des WfbM-Beschäftigten vergleichen. Eine Begleitung seitens der WfbM sei nicht möglich, da eine Voraussetzung sei, selbstständig zu dem Arbeitsplatz zu finden und Vorort nur die Hilfe der Kollegen/Kolleginnen benötigt werden dürfe.

Um das Praktikum antreten zu können, war seitens des Hotels die Voraussetzung eine externe Begleitperson bereit zu stellen, da das Personal keine Erfahrungen mit geistig behinderten Menschen gehabt hatte und sich damit überfordert fühlte. Die Begleitperson konnte schließlich gefunden werden und wurde von den Eltern privat finanziert, nach dem auch der Leistungsträger signalisierte, dass die Gelder für WfbMBeschäftigte an die WfbM gekoppelt seien und es in der Hand des Leistungserbringers liege, die Unterstützung zu stellen. Der gefundene Begleiter übernahm während des Praktikums den Fahrdienst und den Ansprechpartner im Hotel (eine Art Arbeitsassistenz). Die Arbeitszeit wurde auf Vormittag beschränkt. Am Ende des Praktikums, mit mehreren Besuchen seitens ZIP, konnte Frau Oswald fast alleine mit dem Bus zur Arbeit fahren und viele Dinge übernehmen, die ihr anfangs nicht zugetraut wurden (z.B. Wurst- und Käseplatten anrichten, Buffet abräumen, Geschirr säubern, Raum saugen).

Ihr gefiel es so gut, dass sie beim Abschlussgespräch darauf drängte ein weiteres Praktikum machen zu dürfen. Diesem positiven Eindruck bestätigte das Hotel. Die Personalleiterin konnte sich sogar eine Übernahme vorstellen, sollte eine längere Phase mit Begleitung garantiert sein und eine Arbeitgeberförderung möglich werden. Mit diesem Anliegen wurde nun im Juli 2009 der IFD eingeschaltet. Eine erste Verhandlung mit dem Arbeitgeber wurde wegen Urlaubspausen und Kommunikationsmissverständnissen zwischen IFD und der Familie erst im Oktober hergestellt. In der Zwischenzeit arbeitete Frau Oswald in zwei anderen Abteilungen der WfbM, um Alternativen zur alten Arbeit zu testen. Das Ergebnis ist zum Zeitpunkt des Berichts noch offen.

Dieses Beispiel zeigt deutlich die problematische Haltung der WfbM bei der individuellen Unterstützung ihrer Beschäftigten. Sie kann zwar innerhalb ihrer Einrichtung andere Arbeitsplätze anbieten, kommt jedoch an ihre Grenzen, wenn der Wunsch besteht Alternativen dazu auszuprobieren. Interne Verfahrensprotokolle scheinen ebenso einschränkend zu wirken wie wenig experimentierfreudige Mitarbeiter/innen im Sozialdienst, die zudem durch einen hohen Personenschlüssel auch wenig Handlungsspielraum haben. Wie sich an einem anderen Beispiel (Frau Trenkle) noch zeigen wird, gibt es auch Sozialdienste, die sehr gewillt sind, Alternativen zu testen und das mit Erfolg.

Wären die Eltern von Frau Oswald nicht in der Lage gewesen, die Assistenz aus eigenen Mitteln zu finanzieren, wäre das Praktikum im Hotel nicht möglich gewesen. Aufgrund des sozialrechtlichen Status von Frau Oswald (WfbM-Beschäftigte/erwerbsgemindert) konnte auch keine Arbeitsassistenz beantragt werden, da sie weder arbeitslos gemeldet ist, noch im Sinne der Arbeitsagentur als auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelbar gilt.[25] Neben dem Dilemma der WfbM ist also der Status einer WfbM-Beschäftigten selbst ein widersprüchlicher. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie von Berit Blesinger zum Thema "Persönliches Budget und berufliche Teilhabe".

Ihrer Ansicht nach ist das eines der großen Umsetzungshemmnisse für ein Persönliches Budget im Bereich der Teilhabe am Arbeitsleben.[26]

Die wenig vorhandenen Möglichkeiten von Frau Oswalds Unterstützung (finanziell und personell) sind nur ein Ausdruck dessen, weshalb die Vermittlung von einer WfbM auf den ersten Arbeitsmarkt oder auf einen ausgelagerten Arbeitsplatz so schwer fallen.

Ähnlich wie bei Frau Oswald empfand Herr Kuhn [9] seine Arbeitssituation für äußerst unzufriedenstellend, da es zu regelmäßigen Streitsituationen zwischen ihm und den anderen Beschäftigten kam. Seine Schilderungen zur Folge nahmen diese drastische Ausmaße an. Im Rahmen einer Unterstützung bei einem Persönlichen Budget für die Teilhabe in der Gemeinschaft dominierte dieses Thema die Beratungsgespräche. Zusammen mit seiner Mutter wurde deshalb ein Probearbeiten in einer anderen Abteilung als erster Schritt initiiert, das im November 2009 statt finden sollte. Eine detailierte Fallbeschreibung findet in Kapitel 4.5.2. statt.

Als Nächstes soll ein Beispiel zeigen, dass auch erfolgreiche Unterstützungsprozesse nicht von Dauer sein müssen:

Herr Schmidt [10]

Herr Schmidt ist 37 Jahre alt und arbeitete seit mehreren Jahren in einem Café auf einem ausgelagerten WfbM-Platz. Er wollte etwas Neues ausprobieren - in der alten Stelle traten Konflikte auf - und beauftragte ZIP im Mai 2007 mit ihm bei einer Mensa nachzufragen, ob dort ein Praktikum möglich sei.

Die Mensa beschäftigte bereits Menschen mit Behinderungen und war einem Praktikum aufgeschlossen. Dieses absolvierte Herr Schmidt im Juli 2007 erfolgreich, so dass sowohl er als auch die Mensa sich ein Arbeitsverhältnis vorstellen konnten. Auch von Seiten des Werkstattträgers stand diesem Vorhaben eines ausgelagerten WfbM-Platzes an der Mensa nichts im Weg. Anschließende Verhandlungen über die Höhe des Arbeitsentgeltes verliefen hingegen konfliktreich: Von der Mensa hätte Herr Schmidt ein Arbeitsentgelt von ca. 430€ bekommen können, was laut der Werkstattleitung nicht möglich wäre, da er bisher 290€ bekam. Eine Änderung verstoße gegen das Solidaritätsprinzip der WfbM. Zudem wollte die WfbM den Fall gern übernehmen. Nach mehreren Verhandlungsgesprächen wurde ein Arbeitsentgelt von 385€ vereinbart und eine Fortführung durch ZIP. Herr Schmidt bevorzugte eine Teilzeitanstellung, um genügend Raum für Freizeitaktivitäten zu haben. Auch dabei intervenierte die Werkstatt, da eine Teilzeitregelung ein ärztliches Attest benötigt, weil die Sozialleistungen an eine Vollzeitbeschäftigung gebunden sind. Schließlich konnten auch diese Punkte geklärt werden und ein Beginn wurde auf Januar 2008 terminiert.

Die Beschäftigung verlief anfangs wie gewünscht - der Arbeitgeber war sehr zufrieden mit der Leistung und Herrn Schmidt gefiel seine Arbeit. Im März 2008 meldete sich Herr Schmidt bei ZIP, weil ihm immer noch das alte Arbeitsentgelt überwiesen worden war. Dies wurde wenig später rückwirkend korrigiert.

Schwierigkeiten ereigneten sich im Mai des selben Jahres. Herr Schmidt berichtete von Konflikten zwischen ihm und seinem Vorgesetzten. Gegenstand war sein Wunsch nach mehr Sonderurlaub. Er überlegte sich nun in die WfbM zu gehen, weil dort die Sonderregelungen möglich wären. Gleichzeitig äußerte er den Wunsch vom Elternhaus auszuziehen. Angebote von der Beratungsstelle "Selbstbestimmt Leben" habe er bereits eingeholt. Sowohl ZIP, Eltern als auch der Sozialdienst scheinen von den neuen Ereignissen überrascht zu sein. Auf Nachfragen an die Mensa gab diese an, dass außer einer Ermahnung nichts vorgefallen sei. Herr Schmidt benötigte laut Mensa mittlerweile doch mehr Aufsicht, um ein gutes Arbeitsergebnis zu erreichen. Wenige Tage später berichtete Herr Schmidt dem Mitarbeiter von ZIP, dass er nun endgültig aufhöre. Er möchte wieder in die Abteilung der WfbM, in der er vor 10 Jahren schon war und wo sein Freund arbeite, der ähnliche Freizeitaktivitäten wie er habe. Grund der Beendigung sei eine Überforderung. Diese Entscheidung überraschte 30 den ZIP-Mitarbeiter offensichtlich, besonders dadurch, dass der Sozialdienst der WfbM bereits informiert war. Von diesem gingen keine Interventionen aus und die Kooperation zwischen ihm und ZIP waren schlecht. In der Folgezeit versuchte der Sozialdienst über Praktika in zwei Bereichen einen geeigneten Platz für Herrn Schmidt zu finden (Küche und die von Herrn Schmidt gewünschte Abteilung). Die Idee mit dem Umzug schien in dieser Zeit vorerst aufgeschoben zu sein. Im September begann Herr Schmidt in seiner alten Abteilung zu arbeiten.

Zwei Monate später suchte er erneut ZIP auf und fragte nach einer Art Persönlicher Zukunftskonferenz, um eine Veränderung im Bereich Wohnen und Arbeiten zu besprechen. Er gab an, in der WfbM sehr unzufrieden zu sein, eine neue Arbeit an der Hochschule suchen zu wollen und in ein neues Projekt auf der Schwäbischen Alb zu ziehen. Die neuen Vorhaben leitete er aus Gesprächen mit einer Hochschulprofessorin und einem neuem neuen Projekt der Lebenshilfe ab. Grund der unzufriedenen Arbeitssituation waren gesundheitliche Einschränkungen, die ihm verboten mit Maschinen zu arbeiten, die er eigentlich bedienen konnte. Um Transparenz in die diversen Vorhaben zu bringen - es war unklar, was er mit wem bereits verhandelt hatte - wurde zu einer Gesprächsrunde mit den beteiligten Personen eingeladen: Eltern, ZIP, ein Lebenshilfemitglied, eine Hochschulprofessorin.

In dieser Gesprächsrunde stellte er seinen Wunsch dar, außerhalb der WfbM zu arbeiten, am liebsten auf dem ersten Arbeitsmarkt. Das Inkrafttreten der Erwerbsminderungsrente in wenigen Jahren, veranlasste vor allem seine Eltern und ZIP gegen dieses Vorhaben zu plädieren, da er den Anspruch anderenfalls verlieren würde. Die Möglichkeit an der Hochschule in Projektform als Referent zu arbeiten, müsste laut der Hochschulprofessorin ohnehin parallel zur WfbM laufen, da dies nur gering vergütet werde und zeitlich begrenzt sei. Nach einer Bedenkzeit sprach sich Herr Schmidt für diese Variante aus. Eine Änderung in seiner Wohnsituation wurde hinter die Abwicklung des Hochschulprojekts verschoben. Das Projekt auf der schwäbischen Alb, stellte sich heraus, ist für Schulabgänger/innen konzipiert und soll erst 2011 starten.

Herr Schmidt arbeitet nun nach wie vor in der WfbM - er hat dort neue Aufgaben bekommen - und hält seit dem Sommersemester 2009 mit der Professorin an einem Abend in der Woche ein Seminar. Da sein Honorar auf die Grundsicherung angerechnet wird, fällt diese für die Monate des Semester weg, tritt in den anderen Monaten aber wieder in Kraft. Das Sozialamt kooperiert hierbei sehr entgegenkommend.

Dieses sehr abwechslungsreiche Fallbeispiel zeigt, dass selbst sicher geglaubte Verhältnisse sich überraschend ändern können, auch teilweise zum Unverständnis von den beteiligten unterstützenden Personen. Ähnlich wie in der Studie von Jochen Friedrich[27] müssen bei der Suche nach alternativen Arbeitsmöglichkeiten Fakten wie Freizeitaktivitäten oder politisches Engagement berücksichtigt werden, die bei einer Jobsuche normalerweise eine nachgeordnete Rolle spielen.

Obwohl der Sozialdienst der WfbM wesentlich kooperativer war als in dem Fallbeispiel zuvor, gab es erneut Komplikationen, die zu einigen Verhandlungen geführt haben. Die verspätete Umstellung des Arbeitsentgeltes reiht sich darin ein. Fraglich ist, ob die Kooperation so abgelaufen wäre, wenn Herr Schmidt mehr Unterstützung benötigt hätte (z.B. bei der Fahrt) und nicht so selbstständig gewesen wäre.

Die ZIP-Unterstützung kam speziell bei der Frage nach dem Austritt aus der Werkstatt bei greifbarer Nähe zur EM-Rente an eine Verantwortungsgrenze. Denn die EM-Rente bedeutet für den WfbM-Beschäftigten eine finanzielle Absicherung, die nicht zu unterschätzen ist - zu Recht legen darauf Eltern besonderen Wert. Die Schwierigkeit liegt darin, diese Besonderheit für den/die Betroffene/n verständlich zu machen, wenn der Wunsch z.B. nach einem WfbM-Austritt sehr stark ist, mittel- oder langfristig ihn bzw. sie die Änderung der Situation aber benachteiligen würde.

Unterstützung beim Übergang von der Schule ins Arbeitsleben

Sechs Jugendliche sind in der so genannten ersten Schwelle zwischen Schule/Berufsbildungsbereich( BBB) und Arbeit auf der Suche nach Praktika und/oder Alternativen zum Berufsbildungsbereich der WfbM auf das Projekt zugekommen. Alle Eltern waren mit dem Engagement der Schule oder des BBB sehr unzufrieden und erhofften sich über ZIP mehr Unterstützung für ihre Kinder, die in keine Förderprogramme der Schule, der Agentur für Arbeit, des IFD oder des Landkreises unterkommen konnten. Den Gesprächsprotokollen zur Folge war ein Punkt der Unzufriedenheit die Berufswegekonferenz der Schule, für dessen Teilnahme nur ein bestimmter Personenkreis mit besonderen (kognitiven) Voraussetzungen vorgesehen sei. Außerdem fühlten sich die Eltern bei der Suche nach Praktika auf dem ersten Arbeitsmarkt von der Schule sehr allein gelassen. Der Zugang zu ZIP erfolgte, wie weiter oben erwähnt, nicht über eine Vermittlung der Schule, die von der Unzufriedenheit der Eltern wusste, sondern über eine Lebenshilfe-Informationsveranstaltung und über persönliche Kontakte innerhalb der Lebenshilfe (FEDER und BAFF).

Zwei Jugendlichen verließen ZIP vorzeitig, da sie durch paralleles Elternengagement andere Lösungen fanden. Bei Elisabeth Joos [11] erwirkten die Eltern beispielsweise die Aufnahme in die Christian-Morgenstern-Schule - eigentlich ein Ort zur Berufsvorbereitung für Jugendliche der Jugendhilfe. Mit ZIP wurden zuvor mehrere Schulen (auch Berufsschulen) auf das Vorhaben angesprochen, in denen im Anschluss Elisabeth hospitierte. Nach Reflexionsgesprächen mit den Lehrer/innen und der Einschätzung durch Elisabeth war schlussendlich die Christian-Morgenstern-Schule der Favorit. Fraglich ist, ob bei den Hospitationen eine unterstützende Person hätte dabei sein sollen, denn bei einer Schule (Schule für Kinderpflege), die zu Beginn für alle die Favoritin war, war die Hospitation der Grund der Ablehnung. Eine zusätzliche Person hätte eventuell für Elisabeth und Lehrer/in eine Entlastungsfunktion einnehmen können.

Maria Ganz [3] und ihre Mutter wollten eine Persönliche Zukunftskonferenz initiieren und diese nach den Sommerferien 2009 terminieren. Inhaltlich sollte die Zukunftskonferenz mögliche Beschäftigungen und Wohnformen thematisieren. Auf Nachfragen von ZIP trat sie während den Sommerferien in das Wohnprojekt "Fürs Leben lernen" (Landkreis und BruderhausDiakonie) ein und war an einer weiteren Unterstützung nicht mehr interessiert.

Für die restlichen vier Jugendlichen konnte ZIP mehrwöchige Praktika auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt akquirieren und eine notwendige Begleitung organisieren (Hotelküche, Naturladen, Entsorgungsfirma, Mangelstube). Bei der ersten Kontaktaufnahme hatten die Jugendlichen bereits konkrete Vorstellungen, in welchem Bereich sie arbeiten wollten, weshalb sie eine Persönliche Zukunftskonferenz nicht in Anspruch nahmen.

Bei einem Fall, hier Markus Lutz [12] genannt, war das Praktikum in einer Entsorgungsfirma nur mit einer intensiven Dauerbegleitung (Studentin) durchführbar. Diese war sowohl bei der Fahrt als auch während der Arbeit anwesend. Durch diese Begleitung verlief das Praktikum gut und der Arbeitgeber konnte sich am Ende des Praktikums eine Fortführung vorstellen. Markus hatte jedoch keine Interesse daran, konnte die Gründe aber nicht benennen. Als Schwierigkeit stellte sich die Finanzierung der Begleitperson dar. Auf Grund des Schülerstatus lag die Zuständigkeit einer Begleitung bei der Schule. Die Lehrer/innen konnten aber keine Begleitung bereitstellen. Schlussendlich wurde die studentische Assistenz über die Verhinderungspflege finanziert - offensichtlich eine fallbezogene Behelfslösung, da die Pflegekasse eigentlich bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht zuständig ist, aber die zuständige Stelle (Agentur für Arbeit) keine Schüler/innen unterstützt, die nicht in der Berufswegekonferenz aufgenommen werden. Die Reutlinger Agentur für Arbeit (AfA) scheint hier wenig kooperierend gewesen zu sein. Ein möglicher Grund ist ein finanzieller: Die AfA ist Leistungsträger für den BBB (2 Jahre). Danach übernimmt das Sozialamt mit der Eingliederungshilfe die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Arbeitsbereich der WfbM). Markus geht seit September 2009 in den BBB.

In diesem Zusammenhang ist es auch zu verstehen, dass Florian Vogt [13], für sein Praktikum in der Hotelküche, das er über sechs Monate ein Mal wöchentlich absolvierte, keine Unterstützung durch die AfA bekam. Wäre er nicht geistig behindert und in der selben Situation (letztes Schuljahr; Arbeit suchend), würde er laut § 53 SGB III (Mobilitätshilfen) oder § 68 SGB III (sonstige Aufwendungen) sowohl eine Erstattung der Fahrtkosten als auch der notwendigen Arbeitskleidung bekommen. Laut dem zuständigen Berufsberater der Reutlinger REHA-Abteilung werden aber sog. "GSchüler/innen" in der Regel nicht als Arbeit suchend aufgenommen, weil sie nach der Schule sowieso in den BBB gingen.[28] Durch dieses Vorgehen musste sich Florian mit einer Plastik-Kochweste, die ihm das Hotel stellte, zufrieden geben. Eine tägliche Begleitung war nicht notwendig, da die Küche über viel Personal mit Ausbildungserfahrung verfügt und Florian nach einer kurzen Lernphase mit dem ZIP-Mitarbeiter den Fahrtweg alleine bewältigen konnte. Die Schule zeigte in seinem Fall ebenfalls wenig Engagement[29]. Dieses Praktikum war so erfolgreich, dass das Hotel sich eine intensivere Variante im Zusammenhang mit dem BBB gut vorstellen konnte. Zum Projektende wurde das dem Sozialdienst des BBB übermittelt, der sich über die Vorarbeit bedankte und Kooperationen mit dem Hotel anstreben wollte. Interessant zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass der Sozialdienst angab, dass ein betriebsnaher BBB in Planung sei, sie selbst aber an Kapazitätsgrenzen stoßen würden, um betriebliche Praktika zu akquirieren und externe Projekte wie ZIP dabei sehr hilfreich seien.

Ähnlich wie Florian Vogt und Markus Lutz suchte auch Anna Conrad [14] nach einem Schulpraktikum auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Ihre Wunschtätigkeiten waren im hauswirtschaftlichen Bereich und im Service. Aufgrund guter Kontakte zu einer Mangelstube konnte dort rasch ein Praktikum vereinbart werden, das Anna im Mai 2009 absolvierte. Nach einem anfänglichen Bus- und Wegtraining durch die Mutter und einer Praktikantin der Lebenshilfe, konnte Anna alleine zur Arbeit finden. Dort fühlte sie sich wohl und erledigte ihre Arbeit gewissenhaft, wenn auch die Arbeitgeberin meinten, sie könnte mit etwas Übung auch komplizierte Tätigkeiten übernehmen. Lediglich das Sozialverhalten schien verbesserungswürdig. Aus diesem Grund sollten weitere Praktikum in einem Buchladen und im Kaffeehäusle im Herbst 2009, andere Fähigkeiten überprüfen und das Sozialverhalten trainieren.

Für Frau Trenkle [15], deren engagierte Mutter ZIP beauftragte, wurden 2008 zwei Praktika während der Schule und des BBB durchgeführt (Hotelküche und Naturladen). Die in dem BBB gelernten Inhalte sollten durch die Praktika gefestigt und erweitert werden. Der Sozialdienst Ermstal zeigte sich hierbei sehr kreativ und an individuellen Lösungen interessiert. Im September und Oktober 2009 absolvierte Frau Trenkle im Naturladen nochmals ein längeres Praktikum, in dem sie von ZIP und dem Sozialdienst ein mal wöchentlich dabei unterstützt wurde neue Tätigkeiten zu lernen. Als Schwierigkeit stellte sich wieder die Finanzierung der Arbeitsbegleitung heraus. Die Arbeitgeberin wünschte sich für die Zeit des Praktikums die Umlegung der Arbeitsfördermittel, die der BBB bekommt, da sie für diesen Zeitraum die Unterstützung übernehme. Diese Mittel sind jedoch an die Einrichtung BBB/WfbM institutionell gebunden. Nach Angaben der Arbeitgeberin hängen mögliche Übernahmeoptionen eng mit Fördermitteln zusammen. Kooperationsgespräche mit dem IFD und dem Sozialamt/Eingliederungshilfe sollten im Dezember 2009 folgen.

Als problematisch zeigten sich bei den Schüler/innen bzw. bei den BBBTeilnehmer/ innen, wie die Praktikumsbegleitung organisiert werden sollte. Es war unklar, wer die Praktikant/innen zur Arbeitsstelle und ggf. während der Arbeit begleiten sollte. Die Schule, die Werkstatt und ZIP arbeiteten dabei nur unbefriedigend zusammen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Schule lange davon ausging, so die Aussage einer Lehrkraft im November 2008, das ZIP nicht im Bereich "Arbeit" Unterstützung anbiete und sie deshalb eine Zusammenarbeit als wenig sinnvoll erachtete. Die Gründe dieses Informationsmissstandes bleiben spekulativ. Jedenfalls wäre dadurch auch zu verstehen, warum ZIP bei der jährlichen Informationsabendveranstaltung zum Berufseinstieg nie eingeladen wurde und dort lediglich die gewohnten Institutionen Agentur für Arbeit, Sozialamt/Eingliederungshilfe, WfbM und IFD referierten. Die erste Anlaufstation für die Schule stellt, wenn es sich um die Integration auf den allgemeinen Arbeitsmarkt handelt, der IFD dar[30]. Dieser ist dafür sozialrechtlich auch zuständig, macht jedoch bisher seine Hilfen, wie oben erwähnt, von Kriterien abhängig, die Schüler/innen wie Florian, Markus, und Anna ausschließen. Der Sozialleistungsträger sieht darin noch keinen Handlungsbedarf und konzentriert sich auf den Personenkreis der sog. Grenzgänger: Schulabgänger/innen mit einer sog. leichten geistigen Behinderung oder einer Lernbehinderung[31]. Vermutlich, weil deren Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt besser wären als der durchschnittliche Schüler der Schule für sog. geistig Behinderte. Dadurch entsteht aber der selbe Effekt wie bei der Berufswegekonferenz: Schüler/innen werden von Unterstützungen ausgeschlossen.

Zusammenfassung für das Unterstützungsfeld Arbeit

  • Eine Unterstützung und Begleitung ist auf lange Dauer ausgerichtet (>12 Monate), die teilweise über mehr als 20 Monate laufen kann. Abbrüche und Neuanfänge müssen einkalkuliert werden; sie stellen einen "normalen" Verlauf dar und bedürfen einer geduldigen Arbeitsweise.

  • "Ambulante Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben", vor allem bei Bezug von EM-Rente, sind eine neue Möglichkeit der Beschäftigung und werden von Seiten des Sozialamtes unterstützt - vermutlich deshalb, weil sie integrativ und gleichzeitig billiger sind als eine entsprechende Maßnahme in der WfbM.

  • Schüler/innen und WfbM-Beschäftigte, die in keine Förderprogramme kommen, weil sie bestimmte Kriterien nicht erfüllen, brauchen eine Unterstützung bei der Suche nach Praktika außerhalb der WfbM - unabhängig davon, ob sie (auf den ersten Blick) für den allgemeinen Arbeitsmarkt geeignet sind. Mit Unterstützung kann auch dieser Personenkreis Praktika erfolgreich absolvieren und somit seine berufliche Optionen erweitern, wenn nicht sogar die Arbeitgeber/innen von ihren Fähigkeiten überzeugen (Oswald, Vogt, Trenkle). Weder die Schule noch die Agentur für Arbeit noch die WfbM sind bisher besonders engagiert. Für die Begleitung bedarf es zusätzlich eines sicheren Pools an Begleitpersonen und eine gesicherte Finanzierung deren Assistenzleistungen.

  • Beim Übergang Schule-Beruf gab es zwischen Schule, WfbM und ZIP nur unzureichende Absprachen, obwohl aus Sicht von ZIP und Schule der Wunsch bestand, das zu ändern. Vor allem im Bezug auf die angesprochene Praktikumsbegleitung besteht hier Änderungsbedarf, d.h. kommende Projekte müssen von den betroffenen Institutionen nicht nur gut geheißen, sondern aktiv mitgetragen werden - beispielsweise durch eine Verankerung in die Schulstrukturen. Gleichzeitig müssen kommende Projekte schulstrukturelle Bedingungen besser berücksichtigen.

4.5.2. Freizeit

Im zweiten Bereich gab es insgesamt zehn Menschen, die für Veränderungen in ihrer Freizeit durch ZIP Unterstützung ersuchten - sechs davon wollten das mit Hilfe eines Persönlichen Budgets unternehmen.

Insgesamt konnte das Projekt drei Anliegen erfolgreich unterstützen. Drei Anfragen [16], [17], [18] wurden nach Recherchen an den FEDER-Dienst vermittelt und weitere drei [1], [19], [20] verliefen ergebnislos bzw. mussten abgebrochen werden (kein Ergebnis am Projektende, Krankheit; Einschaltung des Jugendamtes)[32]. Bei den weitervermittelten Fällen hat sich die Erkenntnis bemerkbar gemacht, dass bei Anfragen minderjähriger Antragssteller eine Unterstützung mit einem Persönlichen Budget nicht möglich war.[33]Das hing mit der Zuständigkeitsfrage zusammen und damit mit der Finanzierung. In diesen Fällen sah sich das Sozialamt nicht zuständig und verwies auf die Schule (z.B. beim Mobilitätstraining) bzw. auf das Angebot von FEDER (z.B. bei einer Freizeitbegleitung). Zusätzlich kommt hinzu, dass ein Antragsverfahren eines Persönlichen Budgets mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erfolgreich gewesen wäre, weil das Einkommen der Eltern über der relevanten Einkommensgrenze gelegen hätte.

Insgesamt betrachtet bleibt die Nachfrage nach einem Persönlichen Budget ebenso wie der Zugang zum Projekt an sich, weit hinter den Erwartungen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass dies eines der Schwerpunkte für das Projekt darstellen hätte sollen. Betrachtet man die gesamten Budgetfälle aus dem Landkreis Reutlingen, ist festzustellen, dass das Budget verglichen mit anderen Landkreisen zwar häufiger in Anspruch genommen wird, aber Menschen mit einer sog. geistigen Behinderung diese Form der Teilhabeleistung noch selten wahrnehmen[34].

Im Rahmen des Projektes wurden vier Budgetnehmer für den Bereich der Freizeit unterstützt. Ein weiterer Teilnehmer nahm ein Budget für eine Wohnassistenz in Anspruch (vgl. Kapitel 4.2.3.):

Persönliches Budget für Freizeitgestaltung

Die Beratung und Unterstützung für ein Persönliches Budget (PB) fiel sehr unterschiedlich aus - je nach Grad der Unterstützungsmöglichkeit durch die Eltern bzw. der gesetzlichen Betreuung. Beispielsweise war bei Herrn Emmerich [21] lediglich der Ablauf des Antragsverfahrens zu klären, da die Begleitung durch seine Geschwister übernommen werden sollte und seine Eltern die Budgetverwaltung und -organisation abwickeln wollten. Mit dem Budget kann er nun z.B. die notwendige Begleitung für eine integrative Freizeitaktivität bezahlen.

In mehreren Beratungsgesprächen bei bereits bewilligten Budgetfällen stellte sich heraus, dass die Organisationsform des Arbeitsverhältnisses zwischen Budgetnehmer und -erbringer für die Betroffenen nicht klar genug geregelt ist. Zum Beispiel bei der Frage worüber ein Bruder seine Schwester mit dem PB bezahlen kann, wenn diese ihm bei der Haushaltsführung unterstützt: 400€-Job? Aufwandsentschädigung? Es gibt in Reutlingen offensichtlich keine klare Anlaufstelle für Betroffene und ihren Eltern. Telefonate zwischen dem Projektmitarbeiter und der Mitautorin der Bundesstudie zum trägerübergreifenden Budget scheinen zu diesem Thema auch keine Klarheit gebracht zu haben. Es ist davon auszugehen, dass bei regelmäßigen Leistungen (z.B. Hilfe im Haushalt) das sog. Arbeitgebermodell (z.B. 400€-Job) noch sinnvoll ist, doch bei spontanen Unterstützungen, z.B. wenn der Nachbar zum Einkaufen mitfährt oder den Rasen mäht, scheint es bei der Verwendung des PB Unklarheiten zu geben. Das zeigt sich an dem nächsten Fallbeispiel:

Herr Kuhn [9]

Herr Kuhn ist Mitte vierzig, lebt im Haus seiner 80-jährigen Mutter und arbeitet in einer WfbM. Im Rahmen einer krankheitsbedingten Abwesenheit der Mutter, musste die Lebenshilfe im Sommer 2008 eine Betreuung organisieren, da es nur geringen Kontakt zu Verwandten gab, die das hätten übernehmen können. Zugang zu dieser sehr engen Konstellation mit teilweise prekärem Ausmaß, was Ordnung und Hygiene betrifft, fand über persönliche Kontakte von Lebenshilfemitgliedern statt, da die Mutter bisher wenig Anlass sah, Unterstützung von außen zuzulassen. Ihr schwäbischer Habitus, wie sie selber sagt, mache es schwer Hilfe von anderen zu akzeptieren. Nach der Genesung der Mutter wurden schließlich mit ihr und Herrn Kuhn Überlegungen diskutiert, wie die Wohn- und Lebenssituation unabhängiger von der Mutter gestaltet werden könnte und Herr Kuhn dennoch im Haus wohnen bleiben kann. ZIP wurde im September 2008 damit beauftragt zusammen mit der Familie sowohl den Prozess eines Behindertentestament zu begleiten als auch ein Persönliches Budget für die Teilhabe an der Gemeinschaft zu beantragen, die nötige Haushaltshilfe zu finden und begleitete Freizeitangebote zu organisieren.

Die intensive Unterstützung im Antragsverfahren des PB verlief offensichtlich komplizierter als angedacht. Vor allem die Vorgaben des Sozialleistungsträgers an den Antragssteller (Hr. Kuhn) bereiteten der Mutter als gesetzliche Betreuungsperson große Verständnisschwierigkeiten - wöchentliche Beratungs- und Klärungsgespräche mussten vereinbart werden. Zu den Problemfeldern gehörten: eine provisorische Kostenaufstellung über die mögliche Verwendung des PB, das Einrichten eines neuen Girokontos, die Angabe aller Einkünfte, das Verständnis der Zielvereinbarung, die Organisationsform des Arbeitsverhältnisses der Begleitpersonen (selbstständig? 400€- Job? Aufwandsentschädigung durch die Lebenshilfe?). Der Wunsch der Mutter war eine verwaltungsarme Konstellation, z.B. einem Nachbarn fürs Rasenmähen einfach 10€ Bargeld geben zu können. Dies wäre laut Sozialleistungsträger Schwarzgeld - obwohl Hilfen bei der Gartenpflege in den Zielvereinbarungen aufgenommen wurden. Aufgrund der Neuheit des PB für den Sozialleistungsträger (nach eigener Angabe) werden nun solche Überlegungen nach Umsetzbarkeit überprüft, was bis zum Zeitpunkt des Berichts ausstand.

Schwierigkeiten bereitete ZIP die Suche nach einer Haushaltshilfe. Weder durch Aushänge noch durch Annoncen bei der Agentur für Arbeit fand sich eine geeignete Kraft. Zusätzlich musste die Mutter dafür überzeugt werden, dass jemand Fremdes in ihrem Haus arbeiten soll, was ihr als schwäbische Bäuerin ein Dorn im Auge sei. Als sich schließlich eine Altenpflegerin fand und sich die Familie für sie entschied, sagte die Frau am ersten Arbeitstag überraschenderweise ab. Diese Komplikationen belasteten vor allem die Mutter, welche mittlerweile dem PB skeptisch gegenübersteht und es nur deshalb weiterhin befürworte, damit es ihrem Sohn zu gute komme.

Trotz diesen Schwierigkeiten wurde für Herr Kuhn mit dem PB (Hilfebedarfsgruppe III - 700€) ein privater Fahrdienst gefunden, wodurch er nun an VHS- und BAFF-Kursen teilnehmen kann oder kleine Ausflüge ohne die Mutter unternimmt. Der Fahrer wird über die Lebenshilfe mit Aufwandsentschädigung bezahlt, welche die Kosten dann an Familie Kuhn in Rechnung stellt. ZIP übernahm die Budgetassistenz, die in der Zielvereinbarung auch aufgenommen wurde, weil die Mutter mit der Verwaltung nach eigenen Angaben überfordert sei und stets Unklarheiten über mögliche Verwendungszwecke des PB bestanden. ZIP war somit Ansprechpartner gegenüber dem Sozialleistungsträger.

Ein Unfall im Sommer 2009, durch den Herr Kuhn eine REHA durchlaufen musste, war Anlass dafür, andere Vorhaben (Haushaltshilfe, Behindertentestament) vorerst auszusetzen. Zudem kam im Rahmen der Beratungsgespräche heraus, dass sich in den letzten Monaten Konflikte in der WfbM zugetragen haben, die die Beratungsgespräche dominierten. Unklar waren die Ursachen der Konflikte, da sich die Darstellungen von Herrn Kuhn mit jenen der Werkstatt sehr unterschieden. Aufgrund dessen wurde Ende Oktober ein Gespräch zwischen der Familie, dem Sozialleistungsträger und der WfbM anberaumt, in der andere Tätigkeitsbereiche für Herrn Kuhn diskutiert wurden. Ergebnis ist, dass Herr Kuhn ab November in einem anderen Arbeitsbereich ein Praktikum absolvieren kann. Die Freizeitangebote nutzt er nach wie vor und ist damit sehr zufrieden. Das Behindertentestament ist im Oktober ebenfalls initiiert worden: Lediglich die Haushaltshilfe wurde nicht gefunden. Die Suche wird nun von einer Lebenshilfekollegin fortgeführt, die auch die Familie bei der Umsetzung des PB unterstützten wird.

Dieses Fallbeispiel verdeutlicht die Notwendigkeit einer Budgetassistenz, wenn die Eltern bzw. die gesetzliche Betreuungsperson, in diesem Fall die Mutter, mit der zusammenhängenden Verwaltung überfordert ist. Weder das Antragsverfahren noch die Budgetverwaltung und mit ihr der korrekte Einsatz der Mittel und die Korrespondenz mit dem Leistungsträger sind ihr verständlich. Vor allem die enge Anbindung an die Lebenshilfe kann hier als Vorteil interpretiert werden, da die Mutter von Herrn Kuhn seit Jahren ein gutes Verhältnis zu den Mitarbeiter/innen pflegt und ihnen vertraut, auch dann, wenn sie beispielsweise habituell andere Maßnahmen bevorzugen würde.

Die Unterstützung scheint laut Dokumentationsakte sehr intensiv verlaufen zu sein. Sie umfasste wöchentliche Telefonate und mindestens vierzehntägige Beratungsgespräche sowie eine Organisation der Freizeitaktivitäten und Schriftwechsel mit dem Sozialleistungsträger. Die Budgetassistenz war in der Zielvereinbarung verankert und wurden über das PB finanziert - ein Punkt, der in den Bundesmodellprojekten immer ein Problemfeld war und nachwievor ist[35]. Dieser Umstand war in der Projektkonzept nicht vorgesehen, da ZIP als kostenlose Beratungsstelle und Unterstützung gedacht war und nicht eigene Leistungen verkaufen sollte - deshalb sollte ZIP auch trägerunabhängig sein. Die Intensität dieses Fallbeispiels ging jedoch über die ZIPKonzeption hinaus (Budgetassistenz). Die Übernahme der Budgetassistenz und vieler anderer Aufgaben (z.B. Behindertentestament) hängen offensichtlich mit der Überforderung von Herrn Kuhn und seiner Mutter zusammen die anstehenden Aufgaben selbstständig zu bewältigen, sowie mit dem Fehlen eines sozialen Netzwerkes, das diese Aufgaben übernehmen hätte können.

Die Überforderung korreliert mit dem komplizierten Budgetverfahren. Bundesweit gibt es verschiedene Verfahrensweisen. Gemeinsam ist ihnen, dass ein einheitlicher Fachdienst den Bedarf des Budgetnehmers erhebt.[36] In sog. Budgetkonferenzen sollen auch die individuellen Wünsche des Budgetnehmers geäußert werden können - in der Studie von METZLER et al. gaben 2/3 der Budgetnehmer/innen an ihre Wünsche eingebracht haben zu können[37]. Im Fall von Herrn Kuhn wurde das in einem häuslichen Gespräch zwischen ihm, dem Leistungsträger und dem Medizinischpädagogischen Dienst gemacht. Fraglich ist, warum der Sozialleistungsträger nach der Erhebung des Hilfebedarfs vom Antragsteller eine detaillierte, stundengenaue Kostenaufstellung über die kommende Verwendung des Persönlichen Budget anfordert, wenn doch das Budget zwar bedarfsorientiert aber lediglich an die Zielvereinbarung gebunden sein soll und nach sechs Monaten sowieso wieder überprüft wird. Wie soll im Vorhinein überlegt werden, welche Dienste von wem eingekauft werden, da diese schließlich abhängig vom Budget sind. Raum für Spontanes (z.B. Begleitung zu Ausflügen, Einkäufen usw.) kann auch schwerlich im Voraus kostentechnisch durchkalkuliert werden. Zwar wurden Abschätzungen akzeptiert, doch dann muss man dieses Verfahren generell in Frage stellen dürfen. Eine stundengenaue Prognose ist zwar zur Berechnung des Budgets einfacher, setzt für den Budgetnehmer bzw. Budgetnehmerin und seiner gesetzlichen Betreuungsperson eine hohe Planungskompetenz voraus.

In diesem Zusammenhang fällt auch die unklare Organisationsform der Assistenz. Ist ein Dienstleister der Leistungsanbieter, dürfte das weniger ein Problem sein, als wenn das unabhängig von diesem passiert, z.B. durch einen Nachbarn, einer Verwandten oder einem Ehrenamtlichen, usw. ZIP wurde hierbei, auch von anderen PB-Fällen angefragt, welche Möglichkeiten es steuerrechtlich gebe. Eine klare bundesweite Regelung gibt es hierbei nicht. Für Familie Kuhn sicherlich ein Nachteil, denn sie wollte z.B. mit dem PB einen Nachbarn, der bei der Gartenpflege behilflich ist, eine Aufwandsentschädigung bezahlen. Der Sozialleistungsträger sah das auf Anfrage kritisch - obwohl es, wie bereits oben erwähnt, ausdrücklich in der Zielvereinbarung aufgelistet war. Hätte Frau Kuhn nicht nachgefragt und ginge die Organisation nicht über ZIP wäre das sicherlich niemandem aufgefallen und das PB erfüllte unkompliziert seinen Zweck (bei anderen Budgetnehmer/innen im Landkreis Reutlingen nachgefragt, wird das teilweise so gehandhabt). Nun bedarf es einer Zustimmung des Sozialleistungsträger. Würde es ein professioneller Dienst machen, der teurer ist, aber eine Rechnung stellen kann, ginge das vermutlich in Ordnung - nur hätte dadurch Herr Kuhn weniger Geld für eine Freizeitbegleitung. Durch solche Komplikationen fällt es der Familie schwer den genauen Verwendungszweck des PB zu bestimmen, da sie sich jedes Mal fragen müssen, ob das nun im Budget enthalten wäre oder nicht.

Ein weiterer problematischer Punkt tritt ein, wenn das Budget am Ende der bewilligten Zeit nicht vollständig ausgegeben ist. Im Grunde droht dadurch eine Budgetkürzung für den folgenden Bewilligungszeitraum - auch wenn ein Teil der Zielvereinbarung erst nachträglich verwirklicht werden kann (hier: Hilfe im Haushalt). Wenn diese Überlegung sowieso im Raum steht, wird die stundengenaue Prognose obsolet und der Sozialleistungsträger kann das PB anhand der HBG pauschalisieren, in dem er den Höchstbetrag bewilligt und am Ende der ersten sechs Monate eine Art Abrechnung fordert, durch die der genaue Bedarf ersichtlich werden würde. Doch auch hier zeigen Erfahrungen aus anderen Regionen (z.B. Sachsen-Anhalt), dass pauschalisierte Budgets weder den Hilfebedarf decken noch die Bemessung für die Antragsteller/innen transparent ist.[38] Ein passgenauers Verfahren steht also noch aus.

Nun zu einem anderen Fall: Die Intention von Herrn Decker [22] war es unabhängiger von seinem Vater Freizeitmöglichkeiten zu nutzen. Dafür benötigte er eine zuverlässige Begleitung mit Kenntnissen in "Facilitated Communication" (FC) - Gestützte Kommunikation - die im Rahmen der ZIP-Recherche (und mit Hilfe von FEDER) gefunden wurde und seither Herrn Decker erfolgreich unterstützt. Als problematisch stellte sich die Höhe des PB heraus, da er als erstes in eine zu niedrige Hilfebedarfsgruppe (HBG) eingestuft wurde und der Medizinisch-pädagogische Dienst die Einstufung nicht transparent machte. Der engagierte Vater legte Widerspruch ein und bekam Recht (HBG III - 600€). Die beste Organisationsform wurde auch hier erst nach eini-gen Monaten gefunden. Nach einer anfänglichen Bezahlung gegen Aufwandsentschädigung über eine FEDER-Unterstützung, machte sich die Assistentin von Herrn Decker 2008 selbstständig und stellt seither Rechnungen an diesen. Sie kann dadurch einen höheren Stundensatz gelten machen. Sollte das Budget aufgebraucht sein, muss Herr Decker Mittel aus der Pflegekasse für seine Assistenz beantragen (Verhinderungspflege oder Zusätzliche Betreuungsleistungen). In Gesprächen mit dem Vater lobte dieser ausdrücklich die Kooperationsbereitschaft des Sozialleistungsträgers. Mittlerweile unterstützt eine zweite Assistenz (FEDER) Herrn Decker bei sportlichen Aktivitäten. Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist ein geschlechtsbezogener Konfliktpunkt: Durch die Nähe zwischen Unterstützerin und Herrn Decker entwickelte er eine Art erotische Zuneigung, welche die Unterstützung gefährdete. ZIP unterstützte Herrn Decker und seine Familie lediglich beim Antragsverfahren und bei der Recherche der Assistenz. Das soziale Umfeld von Herrn Decker ist sehr engagiert und benötigte keine Unterstützung.

Herr Nietmaier [1] suchte neben einer Arbeitsstelle als Ingenieur (er hat einen FHAbschluss), wofür der IFD beauftragt wurde, eine Möglichkeit selbstständiger die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. ZIP diente als erste Anlaufstation für die beiden Vorhaben und stellte den Kontakt zum IFD und zum Sozialleistungsträger her. Für das Mobilitätstraining sollte ein PB die Kosten einer Begleitung finanzieren. ZIP sollte sowohl eine entsprechende Person ausfindig machen als auch das Antragsverfahren unterstützen. Vom Sozialleistungsträger gab es bereits eine mündliche Zusage zur Finanzierung. Auf ein schnelles Vorgehen war auf Wunsch von Herrn Nietmaier abzusehen - er benötigt aufgrund seiner autistischen Verhaltensweisen Zeit sich an Personen und neue Situationen zu gewöhnen (auch wenn sie nur spekulativ sind). Bei Projektende war das Antragsverfahren noch nicht beendet.

Zusammenfassung

  • Die Inanspruchnahme eines Persönlichen Budgets sowohl im Bezug auf Freizeitgestaltung und -begleitung, als auch zur Erreichung von mehr Mobilität funktioniert gut - insofern ein soziales Netzwerk existiert. Sinnvoll ist die Begleitung des Antragsverfahrens vor allem dann, wenn der/die Antragsteller/in und seine gesetzliche Betreunungsperson Schwierigkeiten mit dem bürokratischen Ablauf haben.

  • ZIP dient nicht nur während eines Antragsverfahrens als zuverlässiger Ansprechpartner, sondern auch dann, wenn eine trägerunabhängige Beratung erwünscht ist. Die Nähe zu betroffenen Familien scheint hier ein Vorteil. Die Frage ist, inwiefern die Gemeinsame Servicestelle diese Aufgabe übernehmen könnte.

  • Auch im Bereich der Freizeitgestaltung ist eine kontinuierliche Unterstützung, zum Teil über mehr als ein Jahr, ein zu kalkulieren.

  • Als Schwierigkeit stellt sich die Zuständigkeitsfrage des Leistungsträgers und -erbringers, wenn jemand minderjährig ist. Das Sozialamt verweist bspw. auf die Schule oder FEDER. ZIP diente hierbei lediglich als Beratungs- und Vermittlungsdienst.

  • Das Antragsverfahren eines Persönlichen Budgets und damit die Hilfebedarferhebung scheint für Menschen mit einer sog. geistiger Behinderung unausgereift. Die Berechnung der Budgethöhe, gemessen an Stunden, die vorab prognostiziert werden sollen, ist für Dienstleister besser geeignet als für Privatpersonen bzw. offene Hilfen. Eine Budgetpauschale ist jedoch ebenso problematisch wie Erfahrungen aus anderen Regionen bestätigen. Alternative Modelle sind zu diskutieren.

  • Die Organisationsform der Begleitung ist sehr unklar. In Reutlingen gibt es dafür keine Anlaufstellen, die von den Betroffenen und ihrem Umfeld genutzt werden. Flexible nachbarschaftliche Hilfen (z.B. Einkäufe erledigen oder Rasenmähen) können nicht oder nur umständlich über das PB abgerechnet werden.

4.2.3. Wohnen

Der dritte große Lebensbereich, das Wohnen, hatte insgesamt zehn Unterstützungsanfragen. Wie in Kapitel 1 dargestellt, bietet die BruderhausDiakonie im Raum Reutlingen umfassende und vielfältige Wohnbetreuung an - sei es im stationären Bereich oder im ambulant betreuten Wohnen (abW), weshalb ZIP nur Anfragen unterstützen sollte, die nicht in diese Leistungsangebote fallen.

Alle Teilnehmer/innen wohnten zum Zeitpunkt der Anfrage in der Herkunftsfamilie und suchten Alternativen zu der bisherigen Konstellation. Das konnte mehrere Vorhaben betreffen:

  • Vorbereitungen auf eine eigene Wohnung,

  • einen Umzug in das abW, zu Verwandten oder mit Freunden,

  • Entschärfung einer angespannten Wohnsituation durch zusätzliche Fachkräfte.

Den Zugang fanden sie über bereits vorhandene Kontakte zur Lebenshilfe (BAFF/FEDER) oder der Bereich des Wohnens kam im Laufe der vorhandenen ZIP Unterstützung hinzu. Das erklärt auch Anfragen, die eigentlich an die Beratungsstelle "Selbstbestimmt Leben" hätten gestellt werden können, aber zuerst an den vertrauten Projektmitarbeiter herangetragen wurden.

Neben der Fallbeschreibung von Herrn Kuhn [9] weiter oben, stellt Herr Riedle [23] den zweiten Fall dar, der mit Hilfe eines Persönlichen Budgets, seine Wohnsituation absichern wollte.

Herr Riedle

Herr Riedle ist Ende Dreißig, wohnt bei seinen Eltern und wollte mit der Fertigstellung des Hauses seiner Schwester, in dieses umziehen. Um die notwendige Unterstützung bei der Haushaltsführung zu finanzieren, beantragte er im Sommer 2008 mit Hilfe seiner Eltern und ZIP ein Persönliches Budget zur Teilhabe in der Gemeinschaft. Neben der ZIP-Unterstützung wurde von der Familie die Beratungsstelle "Selbstständig Leben" der BruderhausDiakonie eingeschaltet, was laut Dokumentationsdatei offensichtlich erst im Nachhinein kommuniziert wurde und anfangs zu Verwirrungen führte.

Mit dem bewilligten PB (HBG II - 400€) kauft sich Herr Riedle nun seit August 2009 häusliche Unterstützung ein, die ihm seine Schwester gibt. Das wird über das sog. Arbeitgebermodell geregelt, d.h. die Schwester wird von Herrn Riedle als geringfügig Beschäftigte eingestellt. Bei steuerrechtlichen Fragen bezüglich der Organisationsform der Unterstützung (hier: Arbeitgebermodell), ist zu bemerken, dass der Budgetempfänger (Herr Riedle) Arbeitgeberabgaben (max. 13,7%) [39] aus dem PB an die Bundesknappschaft zahlen muss, wenn die Unterstützung als Minijob angemeldet wird. Die Höhe des PB orientiert sich aber am Unterstützungsbedarf, d.h. es war unklar woraus die Arbeitgeberabgaben bezahlt werden sollen - eventuell aus dem WfbM-Lohn? Erfahrungswerte gab es scheinbar dabei keine, auch nicht von Seiten der Autor/innen der letzten bundesweiten Studie zum Persönlichen Budget. Außerdem war fraglich, wer in einem Krankheitsfall von Herrn Riedle für ihn da sein soll, wenn seine Eltern verhindert sind und seine Schwester nur mit unbezahlten Sonderurlaub von ihrer anderen Arbeitsstelle befreit werden kann. Ist das im PB eingerechnet - evtl. als eine Art Krankheitspauschale? Der Projektmitarbeiter scheint bei diesen Fragestellungen selbst ratlos gewesen zu sein. Zu betonen ist, dass sich die beteiligten Personen die Abwicklung eines PB wesentlich einfach vorstellten. Die neue Wohnsituation scheint für Herrn Riedle dennoch gut zu funktionieren. Ob das Budget bedarfsdeckend ist, wird sich nach den ersten sechs Monaten zeigen.

Dieses Beispiel belegt erneut, dass zum Erhalt eines Persönlichen Budgets ein gut funktionierendes soziales Netz vorhanden sein sollte, das sowohl Fragen zum Antragsverfahren beantworten kann, als auch steuerrechtliche Hürden zu meistern weiß. ZIP nahm hier hauptsächlich eine Beratungsfunktion wahr. Ob die Eltern ZIP und die Beratungsstelle "Selbstbestimmt Leben" als ähnliche Dienste wahrnahmen, ist nicht auszuschließen. Zuständigkeitsüberschneidungen waren zumindest zu Beginn der Unterstützung vorhanden.

Das Arbeitgebermodell, das bundesweit 13% der Budgetnehmer/innen zur Organisation des PB verwenden[40], hat den Nachteil, dass der Arbeitgeber (oder seine gesetzlicher Vertretung), die Abgabenabwicklung und Anmeldung des Minijobs selber organisieren muss. Erfahrungswerte wie das bei anderen Budgetempfänger/innen im Landkreis Reutlingen funktioniert, scheint es keine zu geben. Neben dieser speziellen Fragestellung wäre generell interessant, welche neue Möglichkeiten Menschen mit Behinderungen durch ein PB im Landkreis erhalten, wie die Verwaltung des Budgets verläuft und welche Stellen bei Schwierigkeiten als Beratung genutzt werden.[41]

Die Unterstützung von Marian Arnold [24] verlief laut Dokumentation ergebnislos. Sein Wunsch war in einer Wohngemeinschaft zu wohnen und dafür Gleichaltrige zu finden. Zwar scheinen Mitschüler/innen und Freunde Interesse bekundet zu haben, Hemmungen der Eltern - so die frustriert klingende Aussage seines Vaters - verhinderten eine Umsetzung. Ein Schulvortrag von ZIP sollte Möglichkeiten des betreuten Wohnens aufzeigen, was wohl keine Ressonanz nach sich zog.[42]

Herr Schmidt [10], der auch für eine neue Arbeitsstelle außerhalb der WfbM ZIP angefragt hatte, wollte mit Hilfe eines Persönlichen Budgets vom Elternhaus in ein betreutes Wohnen umziehen. Durch regelmäßige Veränderungen in seiner Lebenssituation musste dieser Punkt immer wieder verschoben werden und wurde bis zum Projektende nicht abgeschlossen.

Wie unter Kapitel 4.1.1. erwähnt, interessierten sich die Schülerin Maria Ganz [3] und ihre Mutter für eine Persönliche Zukunftsplanung, die dann zugunsten der Teilnahme in dem Projekt "Fürs Leben lernen" abgesagt wurde.

Für Lisa Zimmermann [20], die eine Veränderung ihre Wohnsituation und ihrer Freizeitgestaltung wünschte, wurde ZIP zusammen mit FEDER damit beauftragt möglichst schnell eine Begleitperson zu finden, die sie zu Hause und in ihrer Freizeit betreut. Die Mutter war schwer erkrankt und konnte das nicht mehr übernehmen. Zusammen mit der Familie wurde eine Tagesmutter gefunden. Nach ca. einem Jahr wurde die Situation wieder akut und das Jugendamt brachte Lisa in einem Heim unter. ZIP und FEDER wurden angefragt, Möglichkeiten der Rückholungen zu recherchieren. Aufgrund von Zuständigkeitsüberschneidungen wurde ZIP nicht aktiv.

Bei vier weiteren Fällen [25], [26], [27], [28] wurden ZIP als unabhängige Beratungsund Rechercheinstanz eingeschaltet. Es ging um die Frage, welche Möglichkeiten es in Reutlingen gäbe betreut wohnen zu können. Die Diakonie-Stelle "Selbstbestimmt Leben" wurde hierbei als Kooperationspartner in Anspruch genommen. Im Fall von Herrn Maier [28] wurde über diesen Weg im Frühjahr 2008 ein Zimmer im abW organisiert. Die anderen drei Fälle gingen ergebnislos zu Ende (die Eltern wollten sich melden, ob die recherchierten Angebote funktionieren). Als Ursache für die drei letztgenannten Fällen, die ohne Ergebnis dokumentiert sind, ist ein Missverhältnis zwischen Komm- und Gehstruktur nicht auszuschließen.

Herr Nerlinger [29] und Herr Volz [30] konnten in keine der drei Bereiche Arbeit, Freizeit und Wohnen kategorisiert werden. Herr Nerlinger war auf der Suche nach einer Partnerin und benötigte dafür eine Assistenz. ZIP recherchierte dafür eine Kontaktstelle. Herr Volz fragte nach einer Anlaufstelle, die ihn dabei unterstützt sollte den Führerschein zu machen. Auch dafür recherchierte das Projekt einen Ansprechpartner (KBF).

Zusammenfassung

  • ZIP wurde zum Teil als erste Ansprechstation aktiviert. Das Projekt beriet über mögliche Wohnoptionen. Zur Umsetzung wurden dann andere Dienste eingeschaltet (z.B. "Selbstbestimmt Leben" oder das abW).

  • Eine Veränderung in der Wohnsituation scheint der der Arbeit nachrangig zu sein. Änderungen in dem einen Bereich lässt Verschiebungen in dem anderen Bereich folgen, weshalb auch hier lange Unterstützungszeiträume vorzufinden sind.

  • Ein Persönliches Budget ermöglicht ein familiennahes Wohnen, auch wenn die Organisation und Verwaltung des PB aufwendiger ist als eine Sachlleistung wie das abW in Anspruch zu nehmen. Für ein Wohnen bei Verwandten, die auch die Unterstützung leisten, scheint ein PB nur als Arbeitgebermodell durchführbar zu sein. Dabei gibt es Unklarheiten bei der Organisationsform (Berechnung und Versteuerung für den Budgetempfänger), für die in Reutlingen keine klaren Ansprechstationen existieren.

  • Durch die BruderhausDiakonie gibt es im Landkreis eine Einrichtung, die den Bereich des Wohnens so gut wie umfassend abdeckt - Umsetzungen mit einem Persönlichen Budget ausgenommen. ZIP hat durch die Lebenshilfe einen Vertrauensvorschuss bei Betroffenen und Eltern mit geistig behinderten Kindern, weshalb sie vermutlich die Beratungsstelle "Selbstbestimmt Leben" nicht als erstes in Anspruch nahmen.

  • Es gibt nach wie vor Bedenken seitens der Eltern neue Möglichkeiten des betreuten Wohnens auszuprobieren, z.B. WG für junge Erwachsene.



[14] In dieser Zahl fehlen Anfragen, die nicht dokumentiert wurden und welche auf Grund von Zuständigkeitsfragen oder bereits vorhandenen Diensten an entsprechende Einrichtungen weitervermittelt wurden.

[15] Eine "Geh-Struktur" bedeutet, dass der Ziel-Personenkreis durchh initiierte Kontakaufnahme aufgesucht wird. Eine "Komm-Struktur" hingegen stellt eine offene Anlaufstation dar, die von Personen genutzt werden kann.

[16] Damit ist nicht gemeint, dass ohne die Teilnehmer/innen Maßnahmen diskutiert wurden und sie somit dem Prozess außen vor waren, wie das Rudi SACK 1998 in einem Aufsatz zu Recht kritisiert. Das Hintergrundwissen betraf z.B. Informationen zum Umfang der Behinderung, der durch Gespräche mit Eltern und Teilnehmer/in noch unklar war (Weglauftendenzen, Aggressivität usw.). Oder aber das soziale Netz der/des Projektteilnehmers/in konnte umfassender dargestellt werden (Finanzielle Lage, Engagement der Eltern/Geschwister, usw.)

[17] Vgl. Übersichtstabelle im Anhang

[18] Dieser Sachverhalt wurde erst im Laufe der Unterstützung deutlich, z.B. nach einer persönlichen Zukunftsplanung oder nach einer Gesprächsrunde mit dem Sozialleistungsträger o.ä.. Anfragen, die bereits am Telefon oder per Mail in diese Kategorie fielen, wurden gleich an die entsprechende Stelle weitergeleitet und nicht dokumentiert.

[19] In drei Fällen hatten die Eltern "nur" den Bedarf eine unabhängige Beratung in Anspruch zu nehmen, um über mögliche Freizeitbegleitungen und deren Finanzierung zu sprechen. ZIP wurde diesbezüglich als Recherche- und Beratungsinstanz genutzt. Eine Umsetzung im Rahmen von ZIP wurde dann nicht erwünscht, weil die Eltern entweder Bedenken für größere Veränderungen hatten oder weil sie durch die ZIP-Beratung fachspezifischere Dienste empfohlen bekamen (z.B. Unterstützung bei einen KFZFührerschein für Körperbehinderte oder BAFF). Auffällig war die wiederholt geäußerte Erleichterung der Eltern eine trägerübergreifende Beratungsstelle gefunden zu haben und eine Unterstützung im Dschungel der Sozialleistungen zu bekommen.

[20] Auf eine Analyse der Gründe wird in Kapitel 5.6. eingegangen.

[21] Fünf Teilnehmer/innen wünschten in mehreren Bereichen gleichzeitig Unterstützungsbedarf (z.B. neue Möglichkeiten für die Freizeitgestaltung und eine andere Arbeitsstelle), was zum Teil an andere Dienste (z.B. IFD oder KBF) weiter vermittelt wurde oder nachrangig bearbeitet wurde. Dieser mehrdimensionale Änderungsbedarf konnte auch erst im Rahmen der ZIP-Unterstützung auftreten. In der obigen Aufzählung sind somit Überschneidungen enthalten.

[22] Vgl. Kapitel 5.2. und 5.8.

[23] Die Zahlen sollen eine Orientierung erleichtern sowohl für den Bericht als auch für die Tabelle im Anhang. Desweiteren soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass aus Datenschutzgründen alle Namen anonymisiert wurden. Überschneidung zu realen Namen sind somit Zufall.

[24] DOOSE gibt Übergangsquoten von 0,3% an (vgl. Doose 2006, S.186)

[25] Vgl. § 41 Abs. 1 SGB IX: Wenn "(...) wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder" eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt in Betracht kommt.

[26] Vgl. Blesinger 2009, S.122

[27] Vgl. Friedrich 2006, S.9f.

[28] Diese Aussage wurde in einem Telefongespräch geäußert, das in der Projektdokumentation festgehalten wurde.

[29] Ein Lehrer gab auf Anfrage, weshalb der Schüler Florian Vogt nicht in die Berufswegekonferenz kommen könne, an, dass dieser sabbere und somit nicht geeignet dafür sei.

[30] Bei einem Gespräch mit einer Lehrerin wurde die Relevanz des IFD deutlich. ZIP scheint eher eine Nebenrolle gespielt zu haben (z.B. als Hilfe bei der Praktikumsakquise oder der Freizeitgestaltung). Bei diesem Gespräch war außerdem eine sehr behütende Einstellung feststellbar, die den "beschützenden" Rahmen der WfbM hervorhob. Eine dauerhafte Integration auf den allgemeinen Arbeitsmarkt sei - so ihre Erfahrung - für dieses Klientel nicht möglich (vgl. dazu kritisch Doose 2006).

[31] Diese Konzentration äußerten Vertreter/innen der Reutlinger Eingliederungshilfe in einem Gesprächskreis zwischen ZIP und der Lebenshilfe.

[32] Herr Ganther, der bereits weiter oben erwähnt wurde, und der bei Beantragung von Fördermittel für seinen Arbeitgeber unterstützt wurde, hatte seit langem Interesse eine Persönliche Zukunftskonferenz zu unternehmen, in der diskutiert werden sollte, wie er am besten neue Freunde kennen lernen könnte und wie ein selbstständiges Wohnen in einer Wohngemeinschaft realisierbar wäre. Ein entsprechender Termin wurde aufgrund des unsicheren Arbeitsverhältnisses mehrmals verschoben. Die unbegrenzte Unterstützungsdauer kommt diesem Vorgehen sehr entgegen - die Mutter äußerte das ausdrücklich. Herr Ganther wurde seit Mai 2007 durch ZIP begleitet. Krankheitsbedingt konnte die Zukunftskonferenz bis Oktober 2009 nicht durchgeführt werden.

[33] Nach einer Statistik des Landkreises Reutlingen wurden 2008 keine Budgets an Menschen unter 20 Jahren bewilligt.

[34] Laut der selben Statistik nahmen 2008 42 Menschen mit Behinderung ein Persönliches Budget in Anspruch, darunter acht Menschen mit einer sog. geistigen Behinderung und vier mit Mehrfachbehinderungen, die nicht näher differenziert wurden.

[35] Vgl. Kastl/Metzler 2005

[36] Vgl. Metzler et al. 2007, S.137

[37] ebda.

[38] Vgl. BAG:WfbM 2007

[39] Vgl. Deutsche Rentenversicherung Knappschaft Bahn-See 2008, S. 15

[40] Metzler et al. 2007, S.190

[41] Diese Fragestellung sollte wissenschaftlich untersucht werden.

[42] 42Thesing (2009) weist auf unterschiedliche Wohnwünsche von Eltern und ihren (jugendlichen) Kindern hin. Bei den Vorstellungen der Eltern stehen Sicherheit und Versorgung im Vordergrund.

5. Diskussion der Ergebnisse

Bevor mögliche Folgerungen des Projektverlaufs diskutiert werden können, müssen die hier dargestellten Ergebnisse synthetisiert werden. Darin sollen auch Schwierigkeiten besprochen werden, die vor Projektbeginn nicht bedacht wurden.

5.1. Dauer der Unterstützung

Es hat sich gezeigt, dass eine erfolgreiche Unterstützung Kontinuität bedarf und auf Länge angelegt ist (Durchschnitt: 14,7 Monate). Außerdem müssen Irrwege und somit Abbrüche und Neuanfänge als mögliche eintretende Faktoren berücksichtigt werden, weshalb Rückkehroptionen mitbedacht werden müssen[43].

Mit dem Wissen um der Notwendigkeit einer langfristigen Unterstützung bei komplizierten Vorhaben (z.B. Übergang WfbM - allgemeiner Arbeitsmarkt), sollte für zukünftige Projekte eine Begrenzung der Teilnehmer/innenanzahl erwogen werden, die parallel unterstützt werden soll. Nicht gemeint, ist damit eine Begrenzung der Gesamtteilnehmer/innenzahl. Als Negativbeispiel sei die hohe Teilnehmer/innenquote des IFD genannt, die (regional abhängig) zwischen 25 und 35 Teilnehmer/innen liegt[44], wodurch die Gefahr besteht, Teilnehmer/innen mit guten Erfolgsaussichten und jene mit schlechteren zu trennen und dementsprechend die Unterstützung zu akzentuieren.[45]

5.2. Persönliche Zukunftsplanung

Während der drei Jahren Laufzeit war die Anfrage nach einer Persönlichen Zukunftsplanung sehr gering. Das lag zum einen an den sehr konkreten Anliegen und Vorstellungen, die viele Teilnehmer/innen mitbrachten, und zum anderen an dem geringen Projektzulauf (vgl. 4.2. und 5.8.).

Das Interesse dieses Ansatzes auf der fachlichen Ebene scheint demgegenüber zumindest ansatzweise vorhanden zu sein. ZIP wurde zu mehreren Vorträgen an der Pädagogischen Hochschule und dem Seminar für Heilerziehungspflege eingeladen. Inwieweit mit dem Konzept im Landkreis gearbeitet wird, ist nicht ersichtlich.

Reutlinger Schulen und andere Bildungsstätten sind zumindest nicht im bundesweiten Netzwerk zur Persönlichen Zukunftsplanung beteiligt.

5.3. Trägerunabhängige Beratung

In allen drei Kernbereichen scheint der trägerunabhängige Status eine wichtige Rolle zu spielen, um mit Betroffenen und Eltern über mögliche Unterstützungsformen im Raum Reutlingen zu diskutieren. Damit ist gemeint, dass die Vorhaben unabhängig von Trägerleistungen diskutiert werden können - wenn auch mit der Freiheit auf diese zu jeder Zeit zurückgreifen zu können, z.B. WfbM (BruderhausDiakonie), BAFF oder FEDER (Lebenshilfe), "Selbstbestimmt Leben" (BruderhausDiakonie). Interpretieren könnte man das zum einen als eine Art Vertrauensbonus durch die Eingebundenheit in die Lebenshilfestrukturen. Gerade Betroffenen und/oder Eltern, die sowieso schon in den Strukturen aktiv sind oder in der Vergangenheit andere Angebote wahrnahmen (z.B. BAFF oder FEDER), wissen darum. Das könnte erklären, warum z.B. nicht die Gemeinsame Servicestelle kontaktiert wurde. In geringem Umfang war die Unabhängigkeit von der BruderhausDiakonie - und damit auch von der Beratungsstelle "Selbstbestimmt Leben" - ein expliziter Grund der Kontaktaufnahme. Trägerinterne Beratungsdienste laufen schnell Gefahr auch zu trägerinternen Leistungen zu raten bzw. zu beraten - sei es bewusst oder unbewusst. Das zählt aber auch für das Projekt ZIP, das mit seiner Nähe zu BAFF und FEDER die gleiche Schwierigkeit hatte. Das Motiv der alternativen Beratung scheint nicht selten mit einer Unzufriedenheit über die bisherigen Erfahrungen mit trägerinternen Unterstützungsformen zu korrelieren - vor allem im Bereich "Arbeit" bei Alternativen zum BBB oder der WfbM.

5.4. Schule

Das betrifft leider auch die Schule. Obwohl ihr Auftrag in der Werkstufe die Berufsvorbereitung ist, werden die Jugendlichen und jungen Erwachsenen bei der Suche nach Praktika auf dem ersten Arbeitsmarkt offenbar nicht ausreichend unterstützt, weshalb einige Eltern ZIP aufsuchten. Während die Schule mit dem IFD in einigen Fällen kooperiert - vor allem bei sog. "fitten" Schüler/innen in der Berufswegekonferenz -, scheint ZIP für die Schule im Übergangsprozess eine untergeordnete Rolle eingenommen zu haben. Dadurch ließe sich zumindest die geringe Kooperation mit der Schule erklären. Der nach wie vor kaum hinterfragte quasi-automatisierte Übergang von der Schule in die Werkstatt mag dabei eine Rolle spielen - nicht selten einhergehend mit einer Überbehütung der Schüler/innen seitens der Lehrer/innen. Die von ZIP erwirkten Praktika zeigen, dass in Reutlingen Möglichkeiten bestehen zumindest erste berufliche Erfahrungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu sammeln. Alternative Wege zum direkten Übergang in den Berufsbildungsbereich existieren auch Reutlingen und können beschritten werden. In dem von Landkreis und KVJS initiierten neuen Projekts "Fürs Leben lernen", das Schulabgänger/innen beim Auszug oder beim Selbstständiger-Werden unterstützt, war ZIP als Ansprechpartner vorgesehen, wurde aber auch hier nicht in Anspruch genommen. Das unterstreicht erneut die Dringlichkeit einer besser koordinierten Kooperation.

5.5. Kooperation

Eine enge Kooperation mit anderen Einrichtungen und Sozialträgern (z.B. Bruderhaus-Diakonie, IFD, Sozialamt, usw.) wäre auf Grund der offenen Unterstützungsleistung von ZIP sehr erstrebenswert gewesen. Der Zugang zum Projekt kam ausschließlich über die Lebenshilfestrukturen (vgl. 4.2.). In Anbetracht der vergangenen Kooperationsbemühungen muss einer fruchtbaren Zusammenarbeit aber skeptisch gegenüber gestanden werden, wenn diese nicht institutionalisiert wird - vor allem muss man sich von dem Gedanken verabschieden, dass andere Dienste ihre "Klienten" freiwillig weiter vermitteln[46].

Fraglich ist in diesem Zusammenhang, weshalb einige Einrichtungen (z.B. Schule und Sozialleistungsträger) auch nach einem Projektverlauf von über zwei Jahren auf Anfrage immer noch nicht wussten, dass ZIP keine Einschränkungen der Tätigkeitsfelder besitzt und dort aktiv wird, wo Unterstützung nachgefragt wird, z.B. auch bei Veränderung im Arbeitsleben - das geht zumindest aus der Dokumentationsdatei hervor. Eine Möglichkeit besteht in der Existenz des IFD oder dem Integrationscoach der WfbM. Laut gesetzlichem Auftrag ist der IFD für schwerbehinderte Personen "mit besonderem Bedarf an arbeitsbegleitender Betreuung", und dabei insbesondere für "Schulabgänger, die für die Aufnahme einer Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf die Unterstützung [anderer, DN]" benötigen, zuständig (§ 109 SGB IX).

Der Integrationscoach der WfbM hatte vermutlich aufgrund seiner Trägerverbundenheit mit der BruderhausDiakonie, die bekanntlich ein vielseitiges stationäres und ambulantes Leistungsspektrum anbieten kann, wenig Interesse an einer intensiven Kooperation mit einem trägerunabhängigen Dienst gehabt. Aus Sicht von ZIP ist diese Stelle jedoch mitentscheidend gewesen, wenn es darum geht Alternativen für eine/n WfbM-Angestellte/n zu suchen und bspw. ein Außenarbeitsplatz relevant werden könnte. Bezeichnend dafür ist, das geht aus Notizen in der Projektdokumentation hervor, dass der Integrationscoach äußerst schwer zu erreichen war (telefonisch und per eMail). Nicht auszuschließen ist zudem, dass andere Einrichtungen ZIP aufgrund seines offenen Charakters und seiner Trägerunabhängigkeit als Konkurrenzinstitution ansahen.

5.6. Zugang und alternative Wege

Damit zusammenhängend muss der Umfang der Teilnehmer/innenzahl als enttäuschend bewertet werden. Mit 30 Teilnehmer/innen bleibt das Projekt weit hinter den Erwartungen der Projektinitiator/innen. Ein Grund der geringen Nachfrage lässt sich aus den o.g. nicht stattgefundenen Weitervermittlungen an ZIP interpretieren. Es bleibt fraglich, warum andere Einrichtungen wie Schulen und WfbM mit ZIP keinen einzigen Kontaktversuch unternahmen. Etablierte Wege, wie z.B. der Übergang von der Schule in die WfbM oder vom Elternhaus ins Wohnheim, scheinen Lehrer/innen und Eltern, Sozialdienstmitarbeiter/innen und Berufsberater/innen nach wie vor zu bevorzugen. Das liegt zum einen daran, dass diese Wege wie ein "Fertiggericht" Sicherheiten bieten, die ein Projekt wie ZIP sich erst erarbeiten muss. Die erfolgreichen Unterstützungsprozesse - über 50% der Teilnemer/innen konnten ihr Vorhaben verwirklichen! - hatten jedoch keine Strahlkraft nach außen, was vermutlich zur Folge hatte, dass die Betroffenen, die Einrichtungen und Sozialleistungsträger nicht die Vertrauensbasis zum Projekt aufbauen konnten, die notwendig gewesen wäre, um als gleichwertiger Dienst akzeptiert zu werden.

Alternative Wege zu begehen, also etwas anderes als der Herkömmliche[47] zu wagen, kann per se als schwierig interpretiert werden. Man schwimmt gegen den Strom und muss mit Widerstand rechnen, was das Vorankommen erschwert, wenn nicht sogar verhindert. Das kostet auf jeden Fall Kraft, viel mehr, als wenn man Wege nimmt, die bereits geebnet sind. Der seltene Wunsch nach einer Persönlichen Zukunftsplanung zeigt das. Zusätzlich erschwert wird ein Vorhaben, wenn die Unterstützung ausbleibt oder dem Vorhaben skeptisch gegenüberstanden wird, wie zum Beispiel in der Schule und in der WfbM geschehen. Nach eigenen Angaben fühlten sich die Eltern teilweise genötigt die ZIP-Beauftragung zu rechtfertigen, da man laut Lehrer/innen und Sozialdienst ihren Kindern Hoffnungen mache, die nicht in Erfüllung gehen könnten.

Beim Beschreiten von neuen Wegen sind aber Irrwege normal, wenn auch kraftraubend. Deutlich wird bei solchen Äußerungen auch, dass andere Dienste und Einrichtungen ZIP als Konkurrenz zu ihren eigenen Leistungen sahen und somit eine Kooperation skeptisch gegenüberstehen mussten.

5.7. Persönliches Budget

Aus ähnlichen Gründen wurde die Annahme, dass ein Persönliches Budget häufig nachgefragt werden würde, nicht bestätigt - abzulesen auch am bundesdeutschen Stand[48]. Zudem ist festzuhalten, dass ein PB nur für die Freizeitgestaltung und das Wohnen beantragt wurde (§ 55 SGB IX Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft). Für die Teilhabe am Arbeitsleben (§33 SGB IX) scheint diese Finanzierungsmethode nachrangig zu sein. Auch ein trägerübergreifendes PB wurde im Raum Reutlingen bisher nicht realisiert.[49] Auf Nachfrage erklärte das Sozialamt seine generelle Offenheit hierfür, kritisierte aber die abweisende Haltung anderer Leistungsträger, z.B. der Pflegekassen.

Die Begleitung eines Antragsverfahrens für ein PB verlief bei ZIP sehr unterschiedlich. Das Projekt wurde beispielsweise als erste Beratungsinstanz genutzt: Entweder gab es konkrete Fragen zum PB oder die Eltern brauchten allgemeine Informationen, wie man ein Vorgaben finanzieren kann und sich das PB dann als mögliche Variante herauskristallisierte. Im Rahmen dieser Gespräche tauchten Fragen zum sozial-rechtlichen Hintergrund und zur Budgetverwaltung auf oder es musste geklärt werden, wer die Leistung (z.B. Freizeitbegleitung) erbringt. Hierbei bedurfte es nicht selten auch Beratung von Experten (Jurist/in, Professor/in) oder von erfahrenen Budgetverwalter/ innen. Dabei muss festgehalten werden, dass einige Sachverhalte, die mit einem PB zusammenhängen, immer noch nicht transparent sind und es in Reutlingen keine klare Anlaufstelle gibt, die diesbezüglich schnell Informationen geben könnte.

Offene Fragen sind beispielsweise:

  • Möglichkeiten der Organisationsform, z.B. die Berechnung des PB beim sog. Arbeitgebermodell

  • Wie die Unterstützung finanziert wird, wenn sie außerordentlich statt findet, z.B. wenn der Betroffene krank wird, der/die Betreuer/in dafür Urlaub nehmen müsste, diesen aber nicht bezahlt bekommt.

  • Finanzierung einer Budgetassistenz, wenn weder das soziale Umfeld noch ein gefördertes Projekt das übernehmen kann.

  • Transparente Berechnung des Hilfebedarfs und der Budgethöhe

Die Relevanz einer unabhängigen Budgetberatung für sog. geistig behinderte Leistungsberechtigte wird neben Erfahrungen aus anderen Regionen[50] auch durch die bundesweite Studie zum "Persönlichen Budget und berufliche(r) Teilhabe" unterstrichen. Die Autorin konstatiert:

"Die Finanzierung von Budgetberatungen und -unterstützungen erfolgt seitens der Leistungsträger bislang nicht im erforderlichen Maße (...). Unklar ist schließlich auch, inwieweit in der Praxis eine fachlich kompente und zugleich ergebnisoffene und personenzentrierte Beratung und Unterstützung unabhängig von Leistungsanbietern und Leistungsträgern stattfindet. Daher muss insgesamt festgestellt werden, dass derzeit ungeklärt ist, wie ein hoher Beratungs- und Unterstützungsbedarf, insbesondere von Menschen mit Lern-, sog. geistiger und psychischer Behinderung abgedeckt werden soll. Damit zusammenhängend ist ebenfalls unklar, inwieweit für diese Zielgruppe der uneingeschränkte, barrierefreie Zugang zur Leistungsform gewährleistet werden kann." [51]

Zu einem ähnlichen Schluss kommt die BAG:WfbM in ihrem Bericht zum Persönlichen Budget. Sie fordert für Personen mit niedrigen Bildungsabschlüssen eine unabhängige Budgetassistenz/-beratung, um die Zahl der Budgetnehmer/innen zu erhöhen.[52] KASTL und MEYER geben hierbei zu bedenken, dass durch eine Zusicherung über die Finanzierung einer unabhängigen Budgetassistenz eine Art neue Sachleistung entstehen kann, die dem Gedanken des Persönlichen Budgets widerspräche.[53]

5.8. Teilhabe am Arbeitsleben

Für den Bereich der Arbeitsleben ist in Reutlingen ein großer Bedarf an Veränderung festzustellen. Die meisten Nachfragen an ZIP im Bereich Arbeit beinhalteten den Wunsch nach einer Alternative zur WfbM - sei es beim Einstieg (BBB), nach einigen Jahren der Beschäftigung oder aber bei Bezug der EM-Rente. In allen Fällen gab es Unzufriedenheiten mit den trägerinternen Unterstützungsdiensten, wie z.B. Werkstufelehrer/in, Integrationscoach und Sozialdienst der WfbM, d.h. der Vorteil der Unabhängigkeit von ZIP scheint insbesondere dann gegeben zu sein, wenn es um die Teilhabe am Arbeitsleben geht.

Diese Trägerunabhängigkeit hat auch der Integrationsfachdienst. Aus Untersuchungen[54] weiß man jedoch, dass bei den Integrationsfachdiensten trotz mehrerer Maßnahmen eine Zielgruppenverschiebung nachwievor festzustellen ist: sogenannte Rehabilitanten (z.B. nach Unfällen oder Krankheiten) sind der bundesweit überrepräsentierte Personenkreis. Zudem muss festgehalten werden, dass der IFD die Aufgabe hat ein sozialversichertes Arbeitsverhältnis auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu organisieren bzw. zu erhalten (§109 SGB IX) - Alternativen für sog. "Erwerbgeminderte" wie eine tagesstrukturierende Maßnahme (hier bewilligt als § 54 Abs.1, Nr.4 SGB XII Ambulante Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) oder einen WfbM-Außenarbeitsplatz zählen nicht oder nur in Ausnahmenfällen dazu.

Die Diagnose der "Erwerbsminderung" wird von der Agentur für Arbeit erstellt, um festzustellen wer "werkstattbedürftig" ist und wer nicht. In der WfbM soll dann diese "Erwerbsminderung" sukzessive abgebaut oder die vorhandenen Fähigkeiten zumindest stabilisiert werden, um ggf. eine Vermittlung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu realisieren. Die Realität mit einer Vermittlungsquote von unter 0,5% pro Jahr[55] zeigt, dass die WfbM oftmals eine Sackgasse darstellt. Ein Projekt im Rheinland legt nahe, dass ein wichtiger Faktor für die Beteiligung der WfbM an einer Verbesserung der Übergangschancen der WfbM-Beschäftigten darin liegt, dass einerseits eine enge Zusammenarbeit zwischen den Leistungsträgern (z.B. Sozialamt und Integrationsamt) statt findet und andererseits ein Anreizsystem (z.B. eine anteilige Weiterzahlung der WfbM-Pauschale über die Probezeit von 6 Monaten bei erfolgreicher Vermittlung) geschaffen wird[56].

Der EM-Rentenanspruch tritt i.d.R. für WfbM-Beschäftigte nach 20 Jahren Beitragszahlungen ein und orientiert sich am bundesdeutschen Durchschnittslohn. Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die Menschen mit (geistiger) Behinderungen ausüben, können damit nur schwer mithalten. Diese Tätigkeiten sind größtenteils Nischenarbeitsplätze und dementsprechend gering vergütet - behinderte Beschäftigte bleiben i.d.R. unter der sogenannten Niedriglohngrenze[57], d.h. sie haben zwar mehr Lohn aber wesentlich weniger Rente bzw. keinen Anspruch auf eine EMRente. Dieses Dilemma muss vor allem dann bedacht werden, wenn der Wunsch nach einer Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von WfbM-Beschäftigten geäußert wird, die kurz vor EM-Rentenanspruch stehen. Ein Außenarbeitsplatz scheint hier die bessere Lösung zu sein, der dann - sollte der Anspruch geltend gemacht werden können - in eine tagesstrukturierende Maßnahme ggf. mit weniger Stundenumfang umgewandelt werden kann. Das Projekt hat bei den Unterstützungsfällen gezeigt, dass es eine Herausforderung ist die komplizierte Rentenregelung den Betroffenen zu erklären. Der aktuelle Wunsch nach Veränderung scheint in diesem Zusammenhang stärker gewesen zu sein, als das Abwägen welche Variante die meisten Vorteile für die Person versprechen könnte. An diesem Punkt stieß ZIP in einem Fall (Herr Schmidt) an eine Verantwortungsgrenze, als der Wunsch nach Veränderung die finanzielle Absicherung der absehbaren Zukunft in Frage stellte. Gleichzeitig darf aber eine unbefriedigende Gegenwart nicht mit dem Verweis auf eine bessere Zukunft relativiert werden. Das würde gegen das Selbstbestimmungsrecht verstoßen. Für einen Unterstützerdienst stellt dieses Dilemma eine schwierige Aufgabe dar.

Weniger "zukunftsschädigend" ist eine Beschäftigung außerhalb der WfbM, wenn sie früher statt findet, bspw. direkt nach der Schule. Hierbei scheint ein hoher Bedarf an Unterstützung bei der Suche nach Praktika und dessen Begleitung vorzuliegen. Vor allem der zweite Punkt stellte sich aufgrund der unzufrieden stellenden Kooperation zwischen Schule und ZIP dann als schwierig heraus, wenn die Begleitung intensiven Charakter annahm - also eine Art Arbeitsassistenz benötigt wurde. Dafür konnte weder die Schule noch das WfbM/BBB die nötigen zeitlichen Ressourcen stellen. Das aber dem Arbeitgeber bzw. der Arbeitgeberin zu überlassen, ist ebenso keine Lösung. Zwar hat nach § 102, Abs. 4 SGB IX jede/r schwerbehinderte/r Arbeitsuchende/r ein Recht auf eine Arbeitsassistenz - die Begleitung eines Praktikums kann dadurch nicht bewerkstelligt werden[58]. Nach Angaben des BBB gibt es in Reutlingen bisher kein Konzept wie ein betrieblicher Berufsbildungsbereich aussehen könnte. Zwar scheint das der Trend zu werden, doch eine Stelle, die die Stellenrecherche koordiniert und organisiert, gibt es nicht. Hier besteht eine Lücke der Unterstützung.



[43] Kastl/Metzler (2005, S.128) sehen darin einen Punkt, der für Angehörige von sog. geistig behinderten Menschen eine bedeutsame Rolle spielt.

[44] Der IFD Neckar-Alb hat einen Personenschlüssel von 1:35

[45] vgl. BAG:UB 2003 und Neges o.a.J.. In einer Einzelfallstudie, die der Verfasser dieses Berichts angefertigt hat und noch unveröffentlicht ist, wurde dieser Punkt ausführlich erörtert und als Missstand identifiziert, der strukturell verankert ist. Bei ZIP schien eine Begrenzung wegen der geringen Anfrage für unnötig. Dennoch halte ich eine Maximierung von 15 bis 20 Teilnehmer/innen, die parallel unterstützt werden für ratsam.

[46] Die Mitarbeiter/innen des Sozialleistungsträgers gaben in einem 2008 von ZIP entworfenem Fragebogen an, dass sie von ZIP erhoffen mehr Klient/innen vermittelt zu bekommen und nicht andersherum.

[47] Vgl. Duden 2001, S.54

[48] Vgl. Metzler 2007

[49] Statistik des Landkreises Reutlingen zum Persönlichen Budget 2008

[50] Vgl. BAG:WfbM 2007

[51] Bliesinger 2009, S.119

[52] BAG:WfbM 2006

[53] Vgl. Kastl/Meyer 2007, S.194

[54] Vgl. Kastl/Trost 2002; Doose 2006

[55] Doose 2006, S.97

[56] Rohde/Schartmann 2005

[57] Ebd., S. 285

[58] Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) 2007

6. Ausblick

Am Ende des Projektes stellt sich nun die Frage, welche Erkenntnisse sich aus dem Projektverlauf für die Behindertenhilfe im Landkreis Reutlingen ableiten lassen. Es wurden an mehreren Stellen die erfolgreichen Verläufe dargestellt: die unabhängige Beratungsfunktion, die Unterstützung bei einem Persönlichen Budget, die Begleitung von betrieblichen Praktika. Dieser Ausblick soll dazu dienen, Möglichkeiten eines neuen Projektes zu diskutieren und die Rahmenbedingungen dafür zu skizzieren.

Die BruderhausDiakonie (BD) stellt in Reutlingen die größte Sozialträgerin der Behindertenhilfe dar. Mit dem Angebot von Werkstätten und Wohnungen ist sie sozusagen unverzichtbar für behinderte Menschen. Die meisten Projektteilnehmer/innen haben demzufolge auch in irgendeiner Form mit ihr bereits Kontakt gehabt - sei es in einer WfbM als Praktikant/in oder als Beschäftigte/r, sei es als Mitbewohner/in in einer Wohngruppe oder sei es als Kursteilnehmer/in eines Freizeitangebots. Sie deckt ein großes Spektrum der Behindertenhilfe ab. Das betrifft nicht nur sogenannte "stationäre" Maßnahmen, sondern auch "ambulante" wie ein ambulant betreutes Wohnen o.ä.

Die BruderhausDiakonie besitzt mit ihrer Beratungsstelle "Selbstbestimmt Leben" eine Anlaufstation, die sich, ähnlich wie ZIP oder die Gemeinsame Servicestelle, als "Lotsen und Berater durch die Vielzahl an Angeboten, Chancen und Hürden" (Flyer) versteht. Ohne es explizit aufzuführen, dürfte mit "Angeboten" in erster Linie jene der BruderhausDiakonie gemeint sein. Das kann für viele sinnvoll sein, muss aber nicht. Inwiefern andere Optionen unterstützt werden, ist unklar.

Sollte der Wunsch nach Veränderung außerhalb der Strukturen der BruderhausDiakonie angesiedelt sein, bedarf es einer unabhängigen Anlaufstelle zur Beratung. Die Gemeinsame Servicestellen sind dafür gesetzlich zuständig (§ 22ff. SGB IX), fungierten in den hier genannten Fällen aber nicht als erste Anlaufstation. Auch in Kooperationsgesprächen zu Beginn der Projektphase äußerten sich die Mitarbeiter/ innen über eine Zusammenarbeit eher verhalten: nach fast 2 ½ Jahren gab es faktisch keine Zusammenarbeit. Eine ähnliche Rolle nehmen die Sozialleistungsträger ein (§ 14 SGB I).

Die Unabhängigkeit von ZIP ist jedoch relativ, bedenkt man, dass der Personenkreis von ZIP maßgeblich aus dem Lebenshilfeumfeld stammte. Man kann sagen, die Unabhängigkeit betrifft die inhaltliche Ebene, nicht aber die strukturelle. Zwischen diesen beiden Ebenen muss unterschieden werden. ZIP konnte jederzeit auf die Angebote der BruderhausDiakonie zurückgreifen und auf Wunsch an die entsprechende Stelle weiter vermitteln, was in der Vergangenheit auch geschehen ist. Der umgekehrte Weg ist nicht eingetreten und wird aufgrund der institutionellen Verankerung mit großer Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft bei möglichen Folgeprojekten nicht eintreten - sollte das Projekt nicht in Kooperation mit der BruderhausDiakonie/ Schule/Sozialleistungsträger geführt werden. Auch wenn der Bedarf nach Beratung existiert, ist die - vergangene Erfahrungen haben das gezeigt - Nachfrage für eine reine Beratungsstelle gering (n=7).

Die Erhaltung einer (inhaltlich) unabhängigen Beratungsstelle - mit ihrem offenen Charakter was die Lebensbereiche betrifft, sollte für Betroffene und ihr soziales Umfeld bereit gestellt werden. Sie muss in unmittelbarer Nähe zu etablierten Träger der Behindertenhilfe angesiedelt sein und trotzdem ergebnissoffen beraten können. Eine Geh-Struktur scheint ebenso ratsam wie eine Verflechtung zu mehreren Trägern. In weit das die Gemeinsamen Servicestellen übernehmen können, muss geklärt werden.

Das Wohnangebot der BruderhausDiakonie ist in Reutlingen sehr umfangreich. Es umfasst im Grunde genommen fast alle Wohnformen. Der Auszug aus dem Elternhaus oder eine andere Veränderung im Wohnbereich könnte mit dieser Angebotspalette abgedeckt werden. Die vergangenen Vermittlungen an entsprechende Dienste unterstreichen das. Außerdem läuft seit Dezember 2008 das Projekt "Fürs Leben lernen" vom Landkreis Reutlingen und KVJS. Dieses stellt sich die Aufgabe Schüler/innen im Prozess des Selbstständig-Werdens zu unterstützten. Die Teilnehmer/innenzahl ist jedoch begrenzt und auch hier ist die Struktur an die BruderhausDiakonie angegliedert. Eine wirkliche Lücke scheint einzig die Unterstützung bei der Umsetzung eines Persönlichen Budgets darzustellen.

Eine Assistenz im Bereich des Wohnens wird lediglich durch eine Begleitung eines Persönliches Budget nötig. Alle anderen Anfragen deckt die Beratungsstelle "Selbstbestimmt Leben" der BruderhausDiakonie bzw. der Sozialdienst des ambulant betreuten Wohnens ab.

Als wichtige Funktion kann die Unterstützung bei der Beantragung eines Persönlichen Budgets eingestuft werden. Es ist festzuhalten, dass (vor allem) für die Gestaltung der Freizeit durch dieses Finanzierungsmodell neue Möglichkeiten entstehen. Diese Möglichkeiten gemeinsam zu entwickeln und kontinuierlich zu begleiten, könnte ein Schwerpunkt eines Folgeprojektes werden. Beratungen bei sozial-rechtlichen Fragen, Begleitungen zum Medizinisch-Pädagogischen-Dienst, "Übersetzung" vom Schriftverkehr, eventuell sogar die Übernahme der Budgetverwaltung - kurz um: ein zuverlässiger kompetenter Ansprechpartner für alle Beteiligten, der als Schnittstelle zwischen Leistungsträger/in und Budgetnehmer/in fungiert. Es ist m.E. sogar ein Äquivalent zum IFD denkbar - eine Art Freizeit-IFD.

Der Vorteil einer engen Anbindung an die Reutlinger Lebenshilfe (BAFF, FEDER) darf die Offenheit der Unterstützung jedoch nicht einschränken. Problematisch wird die Unabhängigkeit, wenn mittels des Bugets Angebote von BAFF oder FEDER in Anspruch genommen werden und vormals ehrenamtliche Tätigkeiten dann finanziert werden würden. Wobei eine Abrechnung über ein Persönliches Buget nur dann möglich ist, wenn es in die Zuständigkeit des Sozialleistungsträger fällt und nicht in die der Pflegekassen, was bei BAFF und FEDER oftmals der Fall ist (z.B. Verhinderungspflege). Das gilt somit nur für die Personen, deren Verhinderungspflege und zusätzlichen Betreuungsleistungen ausgeschöpft sind oder keine Pflegestufe haben. Ein trägerübgreifendes Budget ist in Reutlingen bisher nicht möglich. Ähnliches galt für ZIP. Die Unterstützung war kostenfrei für die Betroffenen - und somit auch für den Leistungsträger. Sollte eine Budgetverwaltung ein fester Aufgabenpunkt sein, muss über die Finanzierung dieser Leistung diskutiert werden. Der Status der Unabhängigkeit wäre damit nur noch eingeschränkt gültig.

Es gilt also zu diskutieren, ob ein mögliches Folgeprojekt weiterhin eine Art Moderatorenrolle einnehmen soll oder ob es als Leistungsanbieter, z.B. für eine Budgetverwaltung fungiert. Für den zweiten Fall muss dann überlegt werden, wie die Leistungen finanziert werden kann.

Am 1.01.2009 ist das neue Gesetz "Einführung zur Unterstützten Beschäftigung" in Kraft getreten. Ziel ist es Menschen mit Behinderungen, die bisher nicht auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vermittelt werden konnten und gleichzeitig nicht "werkstattbedürftig" sind, gemäß dem Leitsatz von Unterstützter Beschäftigung: "Erst platzieren, dann qualifizieren" eine Arbeit zu vermitteln[59]. Nach einer "individuellen betrieblichen Orientierungsphase" wird die Möglichkeit geschaffen erste Erfahrungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu sammeln und die nötige Begleitung, je nach Bedarf, garantieren. Darauf aufbauend setzt die zweite Phase der "Berufsbegleitung nach Bedarf" ein. Die Umsetzung wird durch den IFD geleistet. Der Zugang findet über eine Vermittlung der AfA statt - die Anzahl wird vorab über ein Kontingent vereinbart.

Die Frage ist, ob ein Folgeprojekt in Zukunft auf die Unterstützung im Bereich Arbeit seinen Schwerpunkt legen soll. Es gibt bereits viele Projekte und Maßnahmen in Reutlingen, wodurch Eltern und Betroffene leicht die Übersicht verlieren. Durch die Unzufriedenheit der Eltern über die Schule und WfbM wäre zumindest ein Bedarf vorzufinden, der bisher von niemanden gedeckt wird. Die Schule kann nicht die nötigen Ressourcen bereitstellen, weshalb die Berufswegekonferenz und der BBB der WfbM die einzigen Wege darstellen. Gleichzeitig gibt es im BBB und in der WfbM keine koordinierte Praktikaakquise. Die Stelle des Integrationscoaches existiert nicht mehr. Für einige Eltern und Schüler/innen scheint das zu wenig zu sein[60].

Es fehlt demnach eine Anlaufstelle für intensive Begleitfälle, mit dem Ziel mögliche Praktika- und Arbeitsstellen zu finden; unabhängig davon, ob daraus ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis entsteht oder ein WfbM-Außenarbeitsplatz. Wo diese angesiedelt sein sollte, ist zu diskutieren.

Schwierig könnte dabei die Etablierung einer neuen Anlaufstelle sein - das hat sich in Vergangenheit bereits gezeigt. Die Schule, die WfbM, die Arbeitsagentur und z.T. auch der IFD sind die Institutionen beim Übergang Schule-Beruf. Alternative Wege scheinen nur mühsam auf Kooperationswillen zu stoßen, aber auch die Eltern erwägen von sich aus nur selten andere Optionen als die gewohnten. Im Dschungel der Berufsvorbereitungsmaßnahmen muss nicht nur den bekannten Institutionen, sondern vor allem den behinderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen transparent werden, welche Optionen sie haben und welche Aufgaben ein neues Projekt anbietet. Im Mittelpunkt müsste die Praktikumsbegleitung stehen. Mit der Folge, dass das Projekt zu einem Leistungsanbieter werden würde. In Hamburg gibt es seit ca. 10 Jahren einen sog. "betrieblichen Berufsbildungsbereich", der von der Hamburger Arbeitsassistenz und dem IFD begleitet wird. Die Übertragung auf Reutlingen ist m.E. skeptisch zu betrachten, da hier die Erfahrungen fehlen und eine enge Kooperation mit der Agentur für Arbeit (AfA) nur schwer vorstellbar ist. Zwar ist die AfA der zuständige Leistungsträger beim Übergang Schule-Beruf, doch Erfahrungen zeigen, dass eine enge Anbindung an die AfA problematisch ist, weil diese stets Maßnahmen auf Kontingent-basierter Vermittlung durchführt. Die ehemalige Strukturverantwortung der AfA über den IFD hat gezeigt, welche Folgen das nach sich ziehen kann[61]. Wie weiter oben bereits erwähnt, halte ich eine enge Kooperation mit dem BBB und der Schule für die beste Möglichkeit, da beide einen Bedarf signalisiert haben. Inwiefern diese dafür empfänglich sind und wie ein Projekt finanziert werden könnte, müssen Gespräche klären.



[59] vgl. BfA 2009

[60] In Berlin wird gerade ein IFD gegründet, der ausschließlich für Schüler/innen und WfbM-Beschäftigte zuständig sein soll.

[61] vgl. Kastl/Trost 2002; Doose 2006

Literatur

BAG:UB: Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft zur Unterstützten Beschäftigung im März 2003. Abrufbar unter: http://www.bagub.de/ifd/ifd_stellung_2003_03_01.htm. Stand. 19.01.2009

BAG:WfbM: Stellungnahme der BAG:WfbM zum Referentenentwurf "Gesetz zur Einführung Unterstützter Beschäftigung (Arbeitstitel)" vom 29.5.2008

BAG:WfbM: Nur ein Sparmodell? Aufsatz vom 17.10.2007. Unter: www.bagwfbm.de. Stand:20.10.2009

BAG:WfbM: Stellungnahme zum Bericht über das Persönliche Budget vom 21.11.2006. Unter: www.bag-wfbm.de Stand: 20.10.2009.

Blesinger, B.: Persönliches Budget und berufliche Teilhabe. Hamburg 2009.

Bundesagentur für Arbeit: Handlungsempfehlung und Geschäftsanweisung (HEGA) - Gesetzt zur Einführung Unterstützter Beschäftigung. 1/2009. Abrufbar unter http://www.arbeitsagentur.de/nn_26822/zentraler-Content/HEGAInternet/A05-Berufl-Qualifizierung/Dokument/HEGA-01-2009-VA-Unterstuetzte-Be schaeftigung.html Stand 20.01.2009.

Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH): Empfehlung der BIH für die Erbringung finanzieller Leistungen zur Arbeitsassistenz schwerbehinderter Menschen gemäß §102, Abs. 4 SGB IX. Karlsruhe. Stand 16.Oktober 2007.

Deutsche Rentenversicherung Bahn-See (Hrsg.): Minijobs in Privathaushalten. Informationen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Bochum 2008

Doose, S.:Unterstützte Beschäftigung: Berufliche Integration auf lange Sicht. Marburg 2006.

Doose, S.:I want my dream. Persönliche Zukunftsplanung. 2004

Duden: Das Fremdwörterbuch. 7. neu berarbeitete und erweiterte Ausgabe. Mannheim 2001.

Friedrich, J.: Orientierung im Entscheidungsprozess: Menschen mit geistiger Behinderung und der allgemeine Arbeitsmarkt. Hamburg 2006.

Kastl, J.M/Meyer, T.: Deinstitutionalisierung durch Persönliche Budgets? Am Beispiel der Situation von Menschen mit psychischen Behinderungen. In: Cloerkes, G./Kastl, J.M.: Leben und Arbeiten unter erschwerten Bedingungen. Menschen im Nezt der Institutionen. Heidelberg 2007, S. 187-210.

Kastl, J.M./Metzler, H.:Modellprojekt Persönliches Budget für Menschen mit Behinderungen in Baden-Württemberg. Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung. Tübingen 2005

Kastl, J.M./Trost, R.:Integrationsfachdienste zur beruflichen Eingliederung von Menschen mit Behinderungen. Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung zur Arbeit der Modellprojekte des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung in 16 Bundesländern. Pädagogische Hochschule Ludwigsburg/Reutlingen 2002.

Metzler, H. et al.: Begleitung und Auswertung der Erprobung trägerübergreifender Persönlicher Budgets. Abschlussbericht. Tübingen 2007.

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Rohde, K.-P./Schartmann, D.: Der Übergang von der WfbM in den allgemeinen Arbeitsmarkt. In: Impulse. 34/2005, S.14-15.

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Quelle:

Dirk Neges: Abschlussbericht über das Projekt "Zukunft individuell planen"

bidok-Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet.

Stand: 09.08.2011

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