Zwischen Bühne und Publikum - das Thema Behinderung

Autor:in - Christian Mürner
Themenbereiche: Disability Studies
Schlagwörter: Kunst, Theater, Behinderung, Körper
Textsorte: Vortrag
Releaseinfo: Vortrag, gehalten am 12. November 2011, im Kleisthaus in Berlin am Symposium im Rahmen des internationalen Theaterfestivals NO LIMITS: Die Neoprofis, Positionen zum Darsteller heute am Beispiel des behinderten Schauspielers, Performers, Tänzers
Copyright: © Christian Mürner 2011

Zwischen Bühne und Publikum - das Thema Behinderung

Im Frühjahr dieses Jahres (2011) besuchte ich hintereinander zwei Theaterstücke in Hamburg: Die Glasmenagerie" von Tennessee Williams im Ernst-Deutsch Theater - inszeniert von Yves Jansen, und "Draußen vor der Tür" von Wolfgang Borchert im Thalia Theater - inszeniert von Luk Perceval. Beide Theaterbesuche vergegenwärtigten das Thema Behinderung eher indirekt als Übergangs - oder transversales Phänomen. In dem einen Stück spielte die nichtbehinderte Schauspielerin eine behinderte Figur, während in dem anderen behinderte Schauspieler Traumgestalten darstellten, für die eine Behinderung nicht zwingend erschien.

Zuerst stelle ich kurz Aspekte des Inhalts der beiden genannten Theaterstücke vor, um zu benennen, wo und wie Behinderung thematisiert wird. Dann sammle ich dazu Stellungnahmen, die die Autoren zu ihrem Stück gaben, und einige Ansichten der Theaterkritik zu den Inszenierungen. Am Schluss problematisiere ich, welche Wirkung eine gespielte oder wirkliche Behinderung zwischen Bühne und Publikum auslöst und welche künstlerische Position behinderte Personen im Theater repräsentieren, wobei ich aus der Zuschauerperspektive spreche.

1.a. Tennessee Williams "Die Glasmenagerie" Tennessee

Williams' "Die Glasmenagerie" (nach der Übersetzung von Jörn van Dyck zitiert) beginnt bekanntlich mit der familiären Situation, dass die von ihrem Ehemann verlassene Amanda Wingfield, eine vitale Frau, ihre erwachsenen Kinder belehrt, um nicht zu sagen schikaniert. Ihrem Sohn Tom sagt sie beispielsweise, er soll "das Essen nicht mit den Fingern auf die Gabel" schieben. (Williams 2009, 15) Ihrer Tochter Laura erklärt sie, sie soll ruhig sitzen bleiben.

Laura ist im Übrigen bei einem Schreibmaschinenkurs angemeldet, ihre Mutter stellt aber ernüchtert fest, dass ihre Tochter da gar nicht hingeht. Ohnehin möchte sie ihre Tochter gern verheiratet sehen. Laura aber fügt entschuldigend an: "Ich bin - verkrüppelt." Darauf antwortet die Mutter: "Unsinn! Laura, wie oft hab ich dir schon gesagt, du sollst dieses Wort nicht in den Mund nehmen! Du bist nicht verkrüppelt, du hast nur einen kleinen Fehler - fast nicht wahrnehmbar! Wenn du zu der Zeit gelebt hättest, als ich ein junges Mädchen war, als man lange, anmutige Röcke trug, die bis zum Boden fielen, hätte man es vielleicht sogar als Vorteil angesehen. Wenn man so eine leichte Benachteiligung hatte, dann musste man sie mit etwas anderem wieder wettmachen." (ebd., 28f)

Die Mutter Amanda kommt auf die Idee, dass Tom einen seiner Arbeitskollegen als Heiratsanwärter für Laura einladen soll. Tom hat Vorbehalte. Er sagt: "Wir merken gar nicht mehr, dass sie verkrüppelt ist." Wieder antwortet die Mutter: "Sag nicht verkrüppelt! Du weißt, dass ich das Wort nicht hören will!" Doch Tom meint, dass man "den Tatsachen ins Auge sehen" müsse und dass seine Schwester auch im Übrigen "ein wenig eigenartig erscheine" wegen ihrer Sammlung von kleinen Glastieren. (ebd., 60)

Das Treffen mit dem eingeladenen Arbeitskollegen Jim O'Connor missglückt, erstens hat er schon eine Freundin, wie sich herausstellt und zweitens zerbricht er ein Glastier. Dass das gläserne Einhorn sein Horn verliert, findet Laura nicht schlimm, sie sagt lächelnd: "Das Horn wurde ihm abgenommen, damit es sich nicht mehr vorkommt - wie eine Missgeburt." (ebd., 100) Hat die fehlgeschlagene Einladung, könnte man fragen, also doch etwas Gutes bewirkt?

Soweit zum ersten Stück, nun zum zweiten:

1.b. Wolfgang Borchert "Draußen vor der Tür"

Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür" handelt bekanntlich von einem Kriegsheimkehrer, der wegen einer fehlenden Kniescheibe hinkt, wegen Kurzsichtigkeit eine scheußliche Brille trägt, der kein Zuhause mehr findet, weil seine Frau mit einem anderen Mann zusammenlebt, und der sich umbringt. Er sagt: "Ich konnte es nicht mehr aushalten. Dieses Gehumpel und Gehinke. Und dann die Sache mit der Frau, die meine Frau war." (Borchert 2009, 128)

Beckmann, so hieß er und so wollte er nicht mehr genannt werden. Dazu bemerkt er: "Ich habe keinen Namen mehr. Ich soll weiterleben, wo es einen Menschen gibt, wo es einen Mann mit einem Bein gibt, der meinetwegen nur das eine Bein hat? Der nur ein Bein hat, weil es einen Unteroffizier Beckmann gegeben hat, der gesagt hat: Obergefreiter Bauer, Sie halten Ihren Posten unbedingt bis zuletzt. Ich soll weiterleben, wo es diesen Einbeinigen gibt, der immer Beckmann sagt?" (ebd., 137) Beckmann begreift sich selbst als ein "Gespenst aus dem Krieg". (ebd., 133)

Dann trifft Beckmann seinen Oberst und erzählt ihm von seinem Traum, vom Trauma, von denen, die stöhnend und bei Mondlicht aufstehen aus den Massengräbern (ebd., 144), seinen Namen rufen und ihn verfolgen. Er sagt: "Aus der Steppe stehen sie auf, einäuig, zahnlos, einarmig, beinlos, mit zerfetzten Gedärmen, ohne Schädeldecke, ohne Hände, durchlöchert, stinkend, blind." (ebd., 145) Beckmann will dem Oberst die Verantwortung dafür zurückgeben. Der Oberst lacht ihn aus und sagt: "Wissen Sie, mit dem Zeug, mit der Nummer, können Sie so auf die Bühne!" (ebd., 148)

Als Beckmann seine Geschichte in einem Lied einem Zirkusdirektor vorträgt, findet der sie gar "nicht so übel", (ebd.,157) aber lehnt einen Auftritt dennoch ab. Denn: "Das Publikum will gekitzelt werden und nicht gekniffen." (ebd., 158) Die Story vom Eheburch, der Wasserleiche und der Gasmaskenbrille sei zwar nicht schlecht, aber zu tragisch. Beckmann verfällt wieder seinem "tödlichen Traum". (ebd., 186) Der Einbeinige erscheint ihm erneut. Beckmann ist ratlos und fragt sich: "Wo bin ich? Hab ich geträumt? Bin ich denn nicht tot? Bin ich denn immer noch nicht tot?" (ebd., 190) Niemand antwortet ihm.

Nach dieser Kurzzusammenfassung der beiden Stücke nun zu den Inszenierungen und dem, was zwischen Bühne und Publikum sich abspielen kann.

2.a. Figuren, die "genauso wie das Publikum sprechen"

Tennessee Williams merkt zur Aufführung seines Stückes "Die Glasmenagerie" an, dass es "frei von allen Theaterkonventionen aufgeführt werden" könne. (2009, 6) Er betont, dass die Figuren seines Stückes "genauso wie das Publikum sprechen". (ebd.) Williams notiert in ebendiesen Anmerkungen auch, dass das aufgrund einer Kinderkrankheit entstandene kürzere, behinderte, durch eine Schiene gestützte Bein von Laura "auf der Bühne nur angedeutet werden" müsse. Dennoch gelte es als "Ursache" dafür, "dass Lauras Abkapselung immer weiter fortschreitet". So könne man letztlich Laura selbst als ein sehr zerbrechliches "Stück ihrer Glassammlung" betrachten. (ebd., 9f.) Interessanterweise bestimmt Williams hier Behinderung durch Isolation. (vgl. Jantzen 1978, 39f)

Die entscheidende Situation, die zweimal sprachlich betont wird, ist aber, dass man dieses Wort - "verkrüppelt" - nicht sagen dürfe. Dabei wird es aber gerade ausgesprochen! Das beanstandete Wort wird damit herausgestellt und erzeugt einen bestimmten Effekt: nämlich Aufmerksamkeit hinsichtlich der Behinderung. (vgl. Butler 2006, 158) Doch nahm man das Hinken der Schauspielerin nicht richtig ab, bei den halb abgedunkelten Szenenwechseln sah man sie ganz gewöhnlich gehen. In der Theaterkritik der Zeitung "Die Welt" (welt.de 12.3.2011) hieß es, die "hinkende Tochter" sei eher "spröde eckig" gespielt worden.

Hätte die Inszenierung an Glaubwürdigkeit gewonnen, wenn Laura von einer Schauspielerin mit (wirklicher) Behinderung gespielt worden wäre? Das ließe sich versuchen, doch ich bin nicht sicher, ob die Behinderung dadurch selbstverständlicher erscheinen würde oder ob dies unter Umständen in der Betrachtung nicht eher eine Reduzierung auf die Behinderung zur Folge hätte. Ich gehe nun wieder zur zweiten Inszenierung über.

2.b. Ein Stück, das kein Publikum sehen will

Wolfgang Borcherts Stück "Draußen vor der Tür" hat den Untertitel: "Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will". (2009, 115) Borchert denkt nicht nur an sein Stück, sondern auch an diejenigen, an die es sich richtet: Warum sollen sie es nicht sehen wollen?

Das Programheft hält fest, dass sich der Regisseur Luk Perceval ein "Wunsch erfüllt" habe, den Wunsch nämlich "die Zusammenarbeit mit den schon seit 1993 am Thalia Theater verankerten Eisenhans- Theaterprojekten. In Kooperation mit der Initiative ‚Leben mit Behinderung' finden bei Eisenhans besondere Menschen ihren Weg auf die Bühne." (Im Anschluss an meinen Vortrag können Sie dazu gleich noch mehr hören.) Diese sechs Schauspieler vom "Eisenhans- Theaterprojekt" übernahmen die Rolle der Gespenster und peinvollen Traumfiguren, die Beckmann verfolgen. Dabei kam ihre spezifische Körperlichkeit zum Ausdruck. In der Theaterkritik der Zeitung "Die Welt" (welt.de, 4.4.2011, Stefan Grund) hieß es, dass das, "was im täglichen Leben Behinderung" bedeute, "sich hier auf der Bühne in Überlegenheit" verkehre. Denn, hieß es weiter, niemand könne "glaubwürdiger Beckmann schreiend über die Bühne hetzen" als eben diese sechs behinderten Schauspieler. Dagegen notierte "Die Tageszeitung" (taz.de, 4.4.2011, Klaus Irler), dass "der Auftritt von sechs Schauspielern mit Down-Syndrom", auch wenn man die gute Absicht der Kooperation berücksichtige, befremdlich gewirkt habe.

Ich denke, dass die Bedeutung der Behinderung in dieser Inszenierung in der Schwebe blieb. Die Rolle der behinderten Schauspieler war unbestimmt und entsprach oder erschien mir als Zuschauer wie ein Verfremdungseffekt, der offen ließ, ob die behinderten den nichtbehinderten Schauspielern gleichgestellt wurden oder ob ihre Rolle pointiert werden und damit vertraut wirken sollte. Beeindruckend war, wie der nichtbehinderte Hauptdarsteller einen behinderten Schauspieler, der ihn eigentlich verfolgen sollte, wie selbstverständlich an die Hand nahm, weil er schneller rannte als dieser.

Nun zu meiner Grundfrage, welche Wirkung eine gespielte oder wirkliche Behinderung zwischen Bühne und Publikum auslöst?

3. Behinderung als Übergangs - oder transversales Phänomen

Die Theaterstücke von Williams und Borchert sind fast zur selben Zeit (1945 bzw. 1947) in unterschiedlichen kulturellen Konstellationen entstanden und publiziert worden. Diese Stücke, die ich ansatzweise im Zusammenhang der geschilderten aktuellen Inszenierungen schilderte, thematisieren in meiner Zuschauerperspektive Behinderung als Übergangs- oder transversales Phänomen (vgl. Welsch 1995, 748ff):

  • eine seits hinkt die Schauspielerin nicht wirklich, die Behinderung wird wegen der Rollenvorgabe simuliert,

  • andererseits sind die Schauspieler wirklich behindert, die Behinderung erscheint performativ, (vgl. Kobi 1992/2010, 129; vgl. auch Kastl 2010, 224f) wenn auch für die Rolle eigentlich unwichtig.

Diese Charakterisierung bildet wiederum ziemlich genau einen fließenden Übergang aber. Nämlich die Wende von den traditionellen Ansichten der "Anthropologie des Schauspielers", in der dieser als Person Abstand zur Figur, die er spielt, wahrt (Plessner 1948/1982, 146ff), hin zur neuen "performativen Ästhetik", die den unmittelbaren Aufführungscharakter betont, der sich "zwischen Akteuren und Zuschauer ereignet". Dabei kann es zu einer Verwischung der Grenze zwischen Produktion und Rezeption kommen. (vgl. Erika Fischer-Lichte 2004, 41ff)

Bei diesem Übergang kann das Thema Behinderung eine besondere Situation verdeutlichen. Die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte nimmt Bezug auf Christoph Schlingensiefs Projekt "Chance 2000 - Wahlkampfzirkus '98" und spricht dabei von einer "Kollision der Rahmen" (ebd., 75) im Zusammenhang der Umgangsweise mit behinderten Darstellern. Erika Fischer-Lichte sagt: "Wer sich [als Zuschauer, C.M.] für den Theaterrahmen entschied, blieb ruhig auf seinem Platz sitzen, wer dagegen den Rahmen ‚soziale Interaktion' setzte, griff protestierend ein." (ebd., 76) Die Zuschauer gerieten also in ein Dazwischen, zwischen "Entmächtigung" und "Selbstermächtigung" (ebd., 80), durchaus ein Dazwischen, das vom Theatermacher dem Zuschauer "aufgezwungen" wird und die "Ästhetik des Performativen" kennzeichnet, die nicht "säuberlich" trennt zwischen den Bereichen "Kunst, sozialer Lebenswelt und Politik". (ebd., 82)

Erika Fischer-Lichte weist darauf hin, dass schon Ende des 18. Jahrhundert festgestellt wurde, dass "der Zuschauer immer dann aus der Illusion gerissen [wird], wenn er den Körper des Schauspielers/der Schauspielerin nicht als Zeichen für die Rollenfigur wahrnimmt, sondern als den realen Körper der betreffenden Schauspielerin und daher für sie zu empfinden beginnt." (ebd., 101) Das kann von Bedeutung sein, wenn man davon spricht, dass man sich von behinderten Schauspieler "berührt" fühle. Auf der Bühne hat der Schauspieler einen "semiotischer Körper", aber der ist nicht abzutrennen von seinem Leib, auch wenn er versucht einen Abstand dazwischen zu bringen. (ebd., 129) Nach der traditionellen Ansicht soll der Zuschauer nur auf die Figur des Stückes reagieren, nicht auf den realen Körper des Schauspielers und auf dessen allfällige Behinderung. Diese Versinnlichung sei der Kunstcharakter, auf der Bühne und hebe sich von der Wirklichkeit ab. (vgl. Simmel 1912/1984, 153ff)

Die Bühne bringt die Behinderung nicht zum Verschwinden, aber warum bemerkt man überhaupt behinderte Schauspieler und lässt sich nicht ablenken von ihrer Rolle, identifiziert sich mit dieser wie bei anderen Schauspielern? Hat dies mit der intellektuellen Begrenzung und Problematik der Einfühlung zu tun? Diese Einfühlung wirkt vor allem bei Schauspielern mit geistiger Behinderung paradox, denn ihre Rolle wird vom Zuschauer in der Regel auf ihre existenzielle Situation übertragen. Keine Lösung ist es meiner Ansicht nach, wenn man sagt: "In der Arbeit mit professionellen Schauspielern kümmern wir uns nicht um die Behinderung". (Michael Elber, Leiter von HORA, Heilpädagogik aktuell, Zürich 2011) Der Appell, an etwas nicht zu denken, klingt paradox, macht doch eher gerade darauf aufmerksam.

Dazu passen ein paar treffende Querverweise und Aspekte von Aussagen bekannter Schauspieler mit Behinderung, die kurz einfüge. Peter Radtke (1987, 13) schreibt in seinen "Erfahrungen eines behinderten Schauspielers", dass "Krüppel auf der Bühne" für ihn kein Tabu darstelle, dennoch sei er skeptisch gegenüber einem möglichen Missbrauch der Darstellung oder Vorführung von Behinderung auf der Bühne. Integration auf der Bühne bedeute für einen Schauspieler mit Behinderung gerade nicht, alles so zu machen wie die anderen Schauspieler. (ebd., 39) Radtke kann sich aus ethischen (nicht ästhetischen) Gründen vorstellen, zuzustimmen, wenn jemand sagen würde ein Behinderter soll auf der Bühne keinen Behinderten spielen. (vgl. ebd., 78)

Raimund Hoghe versteht seine Bühnenauftritte weder therapuetisch noch behindertenaktivistisch, es geht ihm um Kunst, um Tanztheater. Dabei sagt Hoghe schlicht: "Diesen Körper gibt es auch. Es gibt andere Körper als die bekannten Tänzerkörper." (2006) Und er fügt hinzu: "Da der Zuschauer nicht die Möglichkeit sieht, sich zu identifizieren, ist er auf sich selbst zurückgeworfen." Für ihn selbst ist die Bühne als Kunstform "auch ein Schutz", denn es sei etwas anderes, wenn er seinen Körper "in einem Schwimmbad oder am Strand zeige". Ähnlich antwortet Raphael de Riedmatten (2011): "Mit einer körperlichen Behinderung steht man bereits im Alltag auf einer Bühne und wird angeschaut - allerdings ohne die Fäden selbst in der Hand zu halten."

Doch zählen neben der Inszenierung und dem Spiel der Schauspieler auch die Reaktionen des Publikums, einerseits beispielsweise ein Husten, das zu einer "Gegenstimme" werden kann (vgl. Düffel 2009, 160), aber andererseits auch der Beifall. Beides spricht für den Versuch einer "kreativen Balance zwischen Abhängigkeit und Autonomie" (vgl. Bianchi 2001, 17) oder anders gesagt, für die Bevorzugung des Erlebens im Theater gegenüber der beschaulichen Einfühlung. Das Thema Behinderung im Zwischenraum von Bühne und Publikum, zwischen Fiktion und Wirklichkeit, bietet eine einmalige Chance für eine teilnehmende, partizipative Auseinandersetzung.

Literatur:

Bianchi, Paolo: Weltsichten im Lebenskunstwerk, in Müller,

Angela/Schubert, Jutta (Hrsg.): Weltsichten, Hamburg 2001, S. 14-19

Borchert, Wolfgang (1947/2009): Das Gesamtwerk, Reinbek bei Hamburg

Butler, Judith (2006): Hass spricht, Frankfurt a. M.

Düffel, John von (2009): Wovon ich schreibe, Köln.

Fischer-Lichte, Erika (2004): Ästhetik des Performativen, Frankfurt a.M.

Hoghe, Raimund: in "du - Zeitschrift für Kultur" 765, April 2006.

Höhne, Gisela (1997): Theater trotz Therapie, in: Theunissen, Georg (Hrsg.): Kunst, ästhetische Praxis und geistige Behinderung, Bad Heilbrunn, S. 234- 250.

Jantzen, Wolfgang (1978): Behindertenpädagogik/Persönlichkeitstheorie/Therapie, Köln.

Kastl, Jörg Michael (2010): Einführung in die Soziologie der Behinderung, Wiesbaden.

Kobi, Emil E. (1992/2011): Behindertsein aus heutiger Zeit, in Ders: PersonaleHeilpädagogik, Berlin, S. 127-140.

Pfeilstetter, Richard (2004): Theater als Chance für die Soziale Arbeit, Norderstedt.

Plessner, Helmuth (1948/1982): Zur Anthropologie des Schauspieler, in Ders.: Mit anderen Augen, Stuttgart, S. 146-163.

Radtke, Peter (1987): M wie Tabori, Erfahrungen eines behinderten Schauspielers, Zürich.

Riedmatten, Raphael de: in "du- Zeitschrift für Kultur" 816, Mai 2011.

Simmel, Georg (1912/1984): Der Schauspieler und die Wirklichkeit, in Ders: Das Individuum und die Freiheit, Berlin, S. 153-159.

Welsch, Wolfgang (1995): Vernunft, Frankfurt a.M. Williams, Tennessee (1945/2009): Die Glasmenagerie, Frankfurt a.M.

Quelle:

Christian Mürner: Zwischen Bühne und Publikum - das Thema Behinderung

Vortrag, gehalten am 12. November 2011, im Kleisthaus in Berlin am Symposium im Rahmen des internationalen Theaterfestivals NO LIMITS: Die Neoprofis, Positionen zum Darsteller heute am Beispiel des behinderten Schauspielers, Performers, Tänzers

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Stand: 14.03.2012

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