Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention

Autor:in - Leander Palleit
Themenbereiche: Recht
Textsorte: Artikel
Releaseinfo: Stellungnahme der unabhängigen Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention: Positionen Nr. 2 2010, www.institut-fuer-menschenrechte.de
Copyright: © Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention 2010

Anmerkung der Redaktion:

Unter folgendem Link finden Sie in unserer Leicht Lesen Bibliothek eine Übersetzung dieses Artikels in Leichter Sprache: http://bidok.uibk.ac.at/library/monitoringstelle2-palleit-aktionsplan-l.html

Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention

Die Bundesregierung sowie einige Bundesländer erarbeiten derzeit Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Sie bieten die Chance, die Umsetzung der Konvention voranzubringen. Welche Anforderungen an einen Aktionsplan aus menschenrechtlicher Sicht zu stellen sind, wird im Folgenden dargestellt.

Was ist ein Menschenrechts-Aktionsplan?

Ein Aktionsplan ist ein strategisch ausgerichtetes Handlungsprogramm des Staates oder eines anderen Verantwortungsträgers. Er enthält eine Beschreibung der Probleme, die durch den Plan behoben werden sollen, legt konkrete Ziele sowie Maßnahmen fest, mit denen diese Ziele erreicht werden können. Darüber hinaus regelt er die koordinierte Ausführung, Evaluation und Fortentwicklung dieser Maßnahmen. Ein Aktionsplan ist das Ergebnis eines transparenten und partizipativen Arbeitsprozesses und ist öffentlich zugänglich.

Das Besondere an einem Menschenrechts-Aktionsplan ist seine enge Rückbindung an die bestehenden menschenrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Ein Menschenrechts-Aktionsplan - als ein langfristig angelegter Prozess - soll dafür sorgen, dass die Menschenrechte, etwa von Menschen mit Behinderungen, eingehalten und umgesetzt werden.

Das Ziel der Aktionspläne: ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderungen

Warum ein Aktionsplan zur UN-Behindertenrechtskonvention?

Die UN-Behindertenrechtskonvention (kurz: Konvention oder BRK), die im März 2009 in Deutschland in Kraft getreten ist, verpflichtet den Staat dazu, bereits kurz nach ihrer Ratifikation geeignete, wirksame und zielgerichtete Maßnahmen zu ergreifen, um die Rechte der Konvention einzuhalten und umzusetzen (Artikel 4 der BRK). Die Konvention schreibt einem Staat zwar nicht vor, ihre Einhaltung und Umsetzung mittels eines Aktionsplans zu organisieren. Allerdings setzt sie in mehreren Artikeln die Existenz von staatlichen Programmen, Konzepten und Strategien zur Umsetzung der Konvention voraus (siehe zum Beispiel die Artikel 4, 8, 26 und 31 der BRK). Sie verlangt von allen Vertragsstaaten, auf allen Ebenen, also im Bund ebenso wie in den Ländern und Kommunen, erkennbar und planmäßig eine Politik zu verfolgen, die alle in der Konvention verbrieften Rechte achtet und verwirklicht.

Dass auch in Deutschland die in der Konvention festgeschriebenen Rechte von Menschen mit Behinderungen noch nicht vollständig verwirklicht sind und noch Handlungsbedarf besteht, ist inzwischen den meisten Verantwortlichen bewusst. Dieses gestiegene Problembewusstsein auch auf staatlicher Seite hat unter anderem dazu geführt, dass sich die Regierungsparteien auf Bundesebene 2009 im Koalitionsvertrag auf die Entwicklung eines Aktionsplans zur Umsetzung der BRK verständigt haben. Der Aktionsplan der Bundesregierung soll darüber hinaus den Rahmen bilden, in den sich Aktionspläne anderer, insbesondere der Länder, einfügen können. entsprechend entwickeln einige Bundesländer ebenfalls breit angelegte Strategien zur Umsetzung der UN-Konvention. in einigen Bundesländern gibt es bereits entsprechende Parlamentsbeschlüsse oder sogar - wie etwa in Rheinland-Pfalz - fertige Aktionspläne der Landesregierung.

Diese bundesweiten Entwicklungen stimmen sehr hoffnungsvoll und sind zu begrüßen. Denn sie manifestieren den eingetretenen Bewusstseinswandel und bieten die Chance, ihm konkrete Taten folgen zu lassen. Auch in anderen Vertragsstaaten der BRK, beispielsweise in Australien, zeigt sich, dass koordinierte Umsetzungsstrategien die Verwirklichung von Menschenrechten merkbar fördern, wenn sie auf breiter Basis erarbeitet wurden.

Die Erfahrung zeigt auch, dass Sorgfalt und Zügigkeit sich dabei nicht ausschließen, sondern mit Augenmaß durchaus in Einklang gebracht werden können.

Mit der Entwicklung eines Aktionsplans zur BRK haben die politisch Verantwortlichen die Chance, der internationalen Gemeinschaft und dem Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen klar zu signalisieren, dass Deutschland die Einhaltung der Menschenrechte ernst nimmt. Deutschland hat zur Entstehung der UN-Konvention maßgeblich beigetragen und sich international einen guten Ruf erarbeitet. Bei der Umsetzung der Konvention hat Deutschland deshalb - nicht nur weil es zu den wirtschaftsstärksten Ländern der Welt gehört - eine Vorbildfunktion für andere Staaten.

Nach welchen Grundsätzen wird ein Aktionsplan erstellt?

In den letzten Jahren haben zahlreiche Länder Aktionspläne eingesetzt, um die Menschenrechtssituation in ihrem Land zu verbessern. Die internationalen Erfahrungen zeigen, dass Aktionspläne im Rahmen eines mehrjährigen Arbeitsprozesses entstehen. Dieser Prozess kann in folgende fünf Phasen unterteilt werden (siehe zu weiteren Details das "Handbook on National Human Rights Plans of Action" des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte von 2002):

  1. Vorbereitung

  2. Entwicklung

  3. Umsetzung

  4. Monitoring

  5. Evaluierung und Fortentwicklung des Plans

Oft werden bestehende Pläne in regelmäßigen Abständen anhand der in der Evaluierungsphase gewonnenen Erkenntnisse weiterentwickelt oder durch Folgepläne ersetzt.

An die Erstellung von Aktionsplänen sind dieselben Maßstäbe anzulegen wie an alle staatlichen Umsetzungsmaßnahmen. Denn Menschenrechte geben nicht nur das Ziel vor, sondern müssen auch auf dem Weg dorthin beachtet werden.

Bei der Erarbeitung eines Aktionsplans sollen alle zur Umsetzung der BRK berufenen staatlichen und nicht-staatlichen Stellen beteiligt werden, ebenso die Menschen, die von der Umsetzung direkt oder indirekt betroffen sind. Artikel 4 Absatz 3 der BRK gibt beispielsweise vor, dass Menschen mit Behinderungen, einschließlich Kindern mit Behinderungen, eng konsultiert und aktiv einbezogen werden müssen (Grundsatz der Partizipation). Partizipation setzt voraus, dass Planungen, Abläufe und Zwischenergebnisse transparent sind (Grundsatz der Transparenz).

Darüber hinaus dürfen Menschen mit Behinderungen nicht diskriminiert und auch innerhalb dieser Gruppe keine teilgruppe benachteiligt werden (siehe Artikel 2, 3 und 5 der BRK, Grundsatz der Nichtdiskriminierung). Die vielfältigen Erscheinungsformen von Behinderung - ob seelische, körperliche, geistige, sensorische oder andere Formen von Behinderung - sind in ihrem gesamten Spektrum gleichermaßen zu berücksichtigen. ebenso müssen Gender-Aspekte beachtet werden (Artikel 6 der BRK).

Welche Anforderungen muss ein Aktionsplan erfüllen?

Wie ein Aktionsplan ausgestaltet ist, hängt davon ab, was mit ihm erreicht werden soll. in Anbetracht der laufenden Diskussion um die Umsetzung der BRK in Deutschland können die Ergebnisse der Aktionspläne auf Bundes-, Länder-und Gemeindeebene daher unterschiedlich sein. einige grundsätzliche Anforderungen müssen sie in jedem Fall erfüllen:

Rückbindung an die Konvention

Ein Aktionsplan muss sich an den normativen Vorgaben der BRK orientieren. Die Ziele und Maßnahmen sollten mit den Bestimmungen der BRK in engster Verbindung stehen und mit den internationalen Pflichten der Bundesrepublik Deutschland aus dem Übereinkommen korrespondieren. Aussagen eines Aktionsplans zum Bereich Bildung dürfen beispielsweise nicht Artikel 24 der Konvention widersprechen. ein Aktionsplan sollte deutlich machen, welche Ziele, Maßnahmen und Kontroll-bzw. Evaluationsmechanismen sich auf welche Teile der Konvention beziehen.

Gesamtverantwortlichkeit

Die Umsetzung der UN-Konvention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb ist es wichtig, die Aktionspläne verschiedener Verantwortungsträger miteinander zu verschränken und in ein Gesamtkonzept zu integrieren. Die Bundesregierung stellt - neben der Erarbeitung eines eigenen Aktionsplans - einen Rahmen für die Aktionspläne anderer Akteure zur Verfügung. Wichtig wird sein, die einzelnen Pläne von Bund, Ländern und anderen Akteuren aufeinander abzustimmen und zu prüfen, ob sie die Anforderungen, die an einen Aktionsplan gestellt werden, tatsächlich erfüllen.

Aktionspläne müssen darüber hinaus "Chefsache" sein. Die jeweils höchste entscheidungs- und Verantwortungsebene sollte in das erstellen und Umsetzen des Plans involviert sein.

Transparenz, Partizipation und Nichtdiskriminierung

In jeder Phase des Arbeitsprozesses sollten die bereits genannten Grundsätze der Transparenz, Partizipation und Nichtdiskriminierung beachtet werden. ein Aktionsplan sollte deshalb ein in jeder Beziehung öffentliches Dokument sein. Auch wenn letztlich der Staat für die Umsetzung der UN-Konvention verantwortlich ist und bleibt, sollten wesentliche Richtungsentscheidungen und Prioritätensetzungen möglichst breit diskutiert werden und so formuliert sein, dass sie von vielen Akteuren mitgetragen werden können. ein solches Vorgehen motiviert alle an der Umsetzung der BRK Beteiligten und macht deutlich, wie wichtig den politisch Verantwortlichen die Umsetzung der Konvention ist.

Bestandsaufnahme

Der Aktionsplan sollte eine kurze faktische Bestandsaufnahme bzw. Problembeschreibung für die Bereiche enthalten, für die er Maßnahmen festschreibt. Diese Zustandsanalyse ist für die Bestimmung der Ziele und das gemeinsame Verständnis der an den Maßnahmen beteiligten Akteure wichtig. Sie ist außerdem Voraussetzung, um künftige Fortschritte überhaupt feststellen zu können.

Umfassender Ansatz

Ein Aktionsplan sollte im Hinblick auf die Unteilbarkeit und Wechselbezüglichkeit der Menschenrechte möglichst alle von der Konvention geschützten Lebensbereiche umfassen. er sollte einzelne Bereiche - insbesondere die fundamentalen Fragen um die Einhaltung und Umsetzung von Artikel 12 (Gleiche Anerkennung vor dem Recht) und Artikel 14 (Freiheit und Sicherheit der Person) der BRK - nicht ausklammern, auch wenn es sich um schwierige oder umstrittene Fragen handelt. Das bedeutet nicht, dass er keine Prioritäten setzen oder Handlungsfelder etappenweise erschließen und festschreiben kann. er muss sich dabei allerdings an den Bestimmungen der BRK orientieren.

Dessen ungeachtet sind frühe erfolge in der Umsetzung des Aktionsplans in drängenden, besonders wichtigen Problemfeldern zur Motivation aller Beteiligten sehr wünschenswert. entsprechend ambitionierte, kurzfristig zu erreichende Ziele sollten in diesen Bereichen gesetzt werden.

Klarheit und Überprüfbarkeit

Ein Aktionsplan sollte eine klare Handlungsorientierung bieten, aber gleichzeitig auch so gestaltet sein, dass der jeweilige Grad der Zielerreichung während der Umsetzung des Plans jederzeit mess- und überprüfbar ist.

Es ist daher wichtig, dass der Plan neben einer Problembeschreibung auch klare Vorgaben zum Soll-Zustand enthält. er sollte verdeutlichen, welche spezifischen Ziele wann erreicht werden sollen und welche Zwischenziele auf dem Weg dorthin mit welchen konkreten Maßnahmen bis zu welchem Zeitpunkt zu verwirklichen sind.

Der Plan sollte angeben, wer für die Ausführung der Maßnahmen zuständig ist. Auch Budgetfragen müssen geklärt werden. im Plan sollte überdies festgehalten werden, wem gegenüber in welchen Zeiträumen zu berichten ist.

Mechanismen zur Überprüfung und Fortentwicklung

Ein Aktionsplan sollte Mechanismen zur Qualitäts- und Ergebniskontrolle ebenso enthalten wie Festlegungen für seine künftige Fortentwicklung. Dies gilt nicht nur für den Plan insgesamt. Auch bei den einzelnen Maßnahmen sollte bestimmt werden, wie, wann und durch wen der erzielte Fortschritt kontrolliert und bewertet werden soll.

Auf Bundesebene werden derzeit zwei Gremien ins Leben gerufen, die die Umsetzung der BRK voranbringen und den Aktionsplan der Bundesregierung begleiten sollen: ein Ausschuss beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der so genannte Koordinierungsmechanismus beim Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen. Beiden Gremien kommt eine wichtige Rolle bei der Steuerung, Überprüfung und Fortentwicklung des Aktionsplansprozesses zu. Deshalb ist bei ihrer Besetzung darauf zu achten, dass die unterschiedlichen Perspektiven behinderter Menschen vertreten sind.

Um ihrer verantwortungsvollen Funktion gerecht werden zu können, sind die beschriebenen Gremien mit den nötigen personellen und finanziellen Mitteln auszustatten. Sinnvoll ist außerdem, eine Verfahrens- oder Geschäftsordnung zu verabschieden, die die Rolle und Arbeitsweise der Gremien transparent und vorhersehbar macht und sie einer breiten Öffentlichkeit vermittelt.

Ebenso wäre zu empfehlen, den Deutschen Bundestag bzw. die Länderparlamente in die Überprüfung und Fortentwicklung der Aktionspläne einzubeziehen, um eine breitere Legitimation zu erreichen.

Weiterführende Informationen

Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights: Handbook on National Human Rights Plans of Action (Professional training Series No. 10), Geneva 29 August 2002 - HR/P/Pt/10 - abrufbar unter: http://www. ohchr.org/Documents/Publications/training10en.pdf

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Wolfgang Schmidt (Titelbild), Svea Pietschmann

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Die Zeichnungen kommen aus dem Neuen Wörterbuch für Leichte Sprache von "Mensch zuerst - Netzwerk People First Deutschland e.V."

September 2010

ISBN 978-3-942315-02-9 (PDF-Version)

ISSN 2190-8885 (PDF-Version)

Quelle:

Leander Palleit: Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention.

Original: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/uploads/tx_commerce/positionen_nr_2_aktionsplaene_zur_umsetzung_der_un_behindertenrechtskonvention.pdf

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 05.04.2012

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