Arbeit und Beschäftigung

Stellungnahme

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Bericht
Releaseinfo: Stellungnahme des Monitoringausschusses zum Thema Arbeit und Beschäftigung vom 21. Juni 2011
Copyright: © Monitoringausschuss 2011

1. Die Vorgaben der Konvention

Gemäß Artikel 27 der UN-Konvention haben Menschen mit Behinderung das gleiche Recht auf Arbeit wie alle anderen auch. Das Konzept, das Artikel 27 zugrunde liegt, geht davon aus, dass Menschen mit Behinderungen grundsätzlich in einem offenen, inklusiven und für Menschen mit Behinderungen barrierefrei zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld beschäftigt werden, und ihnen die Möglichkeit geboten wird, einen angemessenen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen und den Anspruch auf „bedarfsgerechte Arbeit“ die dem Anspruch auf ”decent work“ gerecht wird, zu verwirklichen.

2. Ist-Situation in Österreich

Derzeit gibt es für Menschen mit Behinderungen viele Benachteiligungen im Zugang zu Arbeit am regulären Arbeitsmarkt.

Maßnahmen zur Herstellung der Barrierefreiheit von Betrieben werden vielfach nicht oder unzureichend ergriffen, obwohl nach § 6 Abs. 1a BEinstG die Verpflichtung besteht, geeignete und im konkreten Fall erforderliche Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen mit Behinderungen den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, sofern diese Maßnahmen die DienstgeberInnen nicht unverhältnismäßig belasten. Eine Belastung ist jedenfalls nicht unverhältnismäßig, wenn sie durch Förderungsmaßnahmen nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften ausreichend kompensiert werden kann.

Kenntnisse über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in der Arbeitswelt, vor allem über deren Bedürfnisse, und was Barrierefreiheit konkret bedeutet, sind trotz verschiedener Maßnahmen und Angebote von staatlicher Seite sowie von Unter-nehmens- und ArbeitnehmerInnen-Vertretungen[1] noch nicht flächendeckend bei allen verantwortlichen Stellen vorhanden.

Unterstützungsmaßnahmen, insbesondere begleitende Hilfen wie Clearing, Job Coaching, Berufsausbildungsassistenz, Mentoring oder Arbeitsassistenz, die Menschen mit Behinderungen helfen, einen Arbeitsplatz zu erlangen bzw. zu erhalten, werden keinesfalls flächendeckend und ausreichend angeboten.

Besonders drastisch ist die Situation für Menschen mit Lernschwierigkeiten, da 59 % der SchülerInnen[2], die nach Sonderpädagogischem Lehrplan unterrichtet wurden, im Anschluss an ihren Schulbesuch keinerlei Unterstützung durch eine arbeitsmarkt-politische Maßnahme erhalten.

Laut Behindertenbericht der Bundesregierung aus 2008 ist „die Bereitschaft der DienstgeberInnen, Menschen mit Behinderungen einzustellen, nicht so groß, wie es wünschenswert wäre“ und gestaltet sich „die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Erwerbsleben […] damit weiterhin schwierig.“[3]

2008 waren bei sämtlichen der Einstellungspflicht unterliegenden DienstgeberInnen insgesamt 101.100 Pflichtstellen zu verzeichnen. Von diesen Pflichtstellen waren 66.400 mit begünstigten Behinderten besetzt. 34.700 Pflichtstellen waren unbesetzt. Insgesamt wurde damit die Beschäftigungspflicht zu 66% erfüllt. Beim Bund wurde die Beschäftigungspflicht zur Gänze erfüllt, teilweise wurde die Einstellungs-verpflichtung sogar überfüllt[4].

Mit Stand Mai 2010 betrug der Anteil der Menschen mit Behinderungen an der Zahl der Arbeitslosen 15,03 %.[5] Im Jahr 2007 war von den als begünstigte Behinderte eingestuften Personen ein Drittel nicht erwerbstätig.[6] Auf Grund des niedrigen Bildungsniveaus und der geringen Beschäftigungschancen (siehe auch Stellungnahme des Monitoringausschusses zu inklusiven Bildung vom 10. Juni 2010) sind Personen mit gesundheitlichen Vermittlungseinschränkungen wesentlich länger arbeitslos und finden schwerer eine Beschäftigung.[7] Von der Arbeitslosenstatistik nicht erfasst sind Menschen mit Behinderungen, die als nicht arbeitsfähig gelten und in segregierten Einrichtungen beschäftigt sind.

In Österreich gilt für „begünstigte Behinderte“ nach dem BEinstG ein besonderer Kündigungsschutz. Das bedeutet, dass sie nur gekündigt werden können, wenn zuvor der Behindertenausschuss beim Bundessozialamt der Kündigung zustimmt. Der besondere Kündigungsschutz für „begünstigte Behinderte“, tritt ab 1.1.2011 grundsätzlich erst nach vierjährigem Bestehen des Dienstverhältnisses ein.

Der besondere Kündigungsschutz wird von Personen, die während ihres Berufs-lebens behindert werden, als positiv angesehen, wohingegen er von Personen, die noch nicht im Berufsleben stehen, vielfach als Hindernis empfunden wird. Eine Ursache hierfür ist darin zu sehen, dass ArbeitgeberInnen meist zu wenig informiert sind und den Kündigungsschutz als unkalkulierbares Risiko einschätzen. Aus diesem Grund und aus Angst vor Stigmatisierung tendieren Jugendliche mit Behinderungen dazu, keinen Antrag auf Anerkennung als „begünstigte Behinderte“ zu stellen.

Zur besonderen Situation von Menschen mit Behinderungen, die derzeit in Tages- und Beschäftigungsstrukturen (in der sogenannten „Beschäftigungstherapie“, geschützten Werkstätten oder „Fähigkeitsorientierter Aktivität“) tätig sind, wird auf die Stellungnahme des Monitoringausschusses zur Konventionsverletzung durch die Situation von Menschen mit Behinderungen in Tages- und Beschäftigungsstrukturen verwiesen.[8]

In Zusammenhang mit der angestrebten Unterstützung von Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben erscheint die jüngere Rechtsprechung des OGH, die die Anwendbarkeit des Dienstnehmerbegriffs des § 1151 ABGB auf überwiegend „therapeutische“ Arbeitsverhältnisse bei gemeinnützigen Arbeitgebern auch dann abspricht, wenn Vollversicherung, Arbeitsvertrag und Lohnzettel vorliegen, kontra-produktiv.[9]

Frauen mit Behinderungen erfahren vielfach Mehrfachdiskriminierungen auch am Arbeitsmarkt und sind von mangelnder Qualifizierung, geringen Berufschancen und Arbeitslosigkeit verstärkt betroffen. Sie sind primär in unterbezahlten, frauen-spezifischen Berufsfeldern und in niedrigeren Hierarchieebenen tätig[10].

Für einige Jugendliche mit Behinderungen gibt es zwar Unterstützungsleistungen der Länder beim Erwerb von Bildungsabschlüssen, beim Einstieg in die Berufswelt, beim Erlangen einer Beschäftigung sowie beim nachhaltigen Verbleib in der Arbeitswelt durch Beratung, Berufsorientierung, Qualifizierung und (Aus-)Bildung. Auch besteht die Möglichkeit, im Anschluss an das Clearing Arbeitsassistenz zu erhalten, um die Jugendlichen dabei zu unterstützen, einen Arbeitsplatz, eine Lehrstelle oder Zugang zu einer höher bildenden Ausbildung zu finden. Die Anforderungen und Rahmenbedingungen in den einzelnen Beschäftigungs-programmen und Maßnahmen zur beruflichen Integration (wie Qualifizierungs-projekte, Begleitende Hilfen etc.) sowie Erfolgsklauseln (Quotenregelungen) führen jedoch dazu, dass in den meisten Fällen nur jene Jugendlichen einbezogen werden, die besonders fit und tendenziell leicht vermittelbar sind. Viele Menschen mit Vermittlungsproblemen und erhöhtem Unterstützungsbedarf finden hingegen kaum Zugang zu Maßnahmen der beruflichen Orientierung und Qualifizierung, sondern sind meist auf Formen der „Beschäftigungstherapie“ u.ä. angewiesen.[11]

Vermehrt von Arbeitslosigkeit betroffen sind auch ältere Personen mit Behinderungen (ab 45 Jahren). Der Zugang ins Erwerbsleben und der Verbleib im Erwerbsleben sind für diese Personengruppe trotz Einsatzes von Förderungen erschwert.[12]

Für hörbehinderte und gehörlose Menschen stellt sich folgende Situation dar: sie haben durch fehlenden bilingualen Unterricht sehr geringe Chancen am Arbeitsmarkt und sind vielfach auf einfache, kommunikationsarme und durch Routine geprägte Arbeiten angewiesen. Sie üben kaum Berufe aus, die ihren tatsächlichen Fähigkeiten und Talenten entsprechen. Unzureichende Dolmetschangebote verhindern oft auch Weiterbildungs- und Aufstiegschancen von gehörlosen Beschäftigten. In einer Umfrage unter gehörlosen Frauen gab bloß 1 % der Befragten an, dass sie sich in ihrer Arbeit weiterbilden und Karriere machen können.[13]

Eine weitere Hürde für Menschen mit Behinderungen stellt die sogenannte „Beihilfenfalle“ dar. Damit ist gemeint, dass die Aufnahme einer kollektivvertraglich entlohnten Arbeit in vielen Fällen keinen finanziellen Anreiz beinhaltet, sondern langfristig ein beträchtliches finanzielles Risiko darstellen kann. Die meisten Transferleistungen (Waisenpensionen, erhöhte Familienbeihilfe, etc.) fallen nämlich ab bestimmten Einkommensschwellen zur Gänze weg, sodass sich das zur Verfügung stehende Nettoeinkommen durch die Arbeitsaufnahme sogar verringern kann. Zudem ist nicht gesichert, dass bei Verlust des Arbeitsplatzes die verloren gegangene Leistung wieder auflebt. In einigen Bundesländern (Niederösterreich, Oberösterreich) existieren auch Wartelisten auf Dienstleistungen der Behindertenhilfe (z.B. Tätigkeit in einer Werkstätte), sodass mit der Aufnahme einer entlohnten Arbeit auch das Risiko verbunden ist, nach einem allfälligen Scheitern am regulären Arbeitsmarkt die Möglichkeit der Rückkehr zu alternativen Angeboten zu verlieren.

Ein zentrales Problem stellt der Mangel an gesicherten und einheitlichen Daten zur Arbeitssituation von Menschen mit Behinderungen dar, sodass empirisch fundierte Aussagen kaum getroffen werden können und man auf Indizien angewiesen ist. Die Datenerhebung durch verschiedene Stellen (AMS, Statistik Austria etc.) erfolgt mit unterschiedlichen Definitionen von Behinderung, weshalb eine Vergleichbarkeit nicht gegeben ist[14]. Auch sollten exkludierende Faktoren und Hindernisse in der Verwirklichung von Barrierefreiheit erhoben werden.



[1] Siehe z.B. die gemeinsame Initiative von Sozialpartnern, BMASK und ÖAR www.arbeitundbehinderung.at.

[2] Fasching, H./Koenig O. (2010). Arbeitsmarktpolitische Unterstützungsmaßnahmen in Österreich. Dokumentation der bundesweiten Trägerbefragung arbeitsmarktpolitischer Unterstützungsmaßnahmen. Datenband II der dreibändigen Reihe „Die Übergangs-, Unterstützungs- und Beschäftigungssituation von Menschen mit einer intellektuellen Beeinträchtigung in Österreich“. Wien: Universität Wien.

[3] Behindertenbericht der Bundesregierung 2008, S. 147-148.

[5] Siehe www.arbeitundbehinderung.at/de/arbeitsmarkt/arbeitsmarktdaten/gesamtarbeitslosigkeit.php; siehe zur erhöhten Armutsgefährdung von Menschen mit Behinderungen: Stellungnahme des Monitoringausschusses 30.07.2010, http://www.monitoringausschuss.at/sym/monitoringausschuss/Stellungnahmen.

[6] Behindertenbericht der Bundesregierung 2008, S. 148.

[7] Behindertenbericht der Bundesregierung 2008, S. 158.

[8] Siehe Stellungnahme Beschäftigungstherapie, 24. März 2010, http://www.monitoringausschuss.at/sym/monitoringausschuss/Stellungnahmen.

[9] OGH 9ObA105/09w, 8ObA48/09f vom 29.10.2009 bzw. 18.02.2010

[10] Behindertenbericht der Bundesregierung 2008, S. 230-234.

[11] Vgl. Egger-Subotitsch, Lebenssituation und Bedürfnisse von Jugendlichen, In: Egger-Subotitsch/ Sturm (Hrsg.), Damit fertig werden, das Beste rausholen und es irgendwie schaffen, Beiträge zur Fachtagung „Physisch und psychisch beeinträchtige Personen am Arbeitsmarkt“ vom 15. März 2005 in Wien, AMS Österreich, 2006, S. 60-65 (62); Fasching/Pinetz, Übergänge gestalten, Pädagogische Unterstützungssysteme für junge Frauen und Männer mit Sonderpädagogischem Förderbedarf im Arbeitsleben, In: Behinderte Menschen, Zeitschrift für gemeinsames Leben, Lernen und Arbeiten, Nr. 5, 2008, S. 26-41 (38 f).

Siehe auch Fasching, H./ Mursec, D. (2010). Schulische Ausgangssituation und Übergang in Ausbildung und Beruf in Österreich. Dokumentation der bundesweiten Befragung der Bezirksschulinspektor/innen und Eltern. Datenband I der dreibändigen Reihe „Die Übergangs-, Unterstützungs- und Beschäftigungssituation von Menschen mit einer intellektuellen Beeinträchtigung in Österreich“. Wien: Universität Wien.

[12] Behindertenbericht der Bundesregierung 2008, S. 158.

[13] Breiter et al, Projekt VITA, Erkundungsstudie zur beruflichen Lebenssituation von gehörlosen Frauen im Raum Wien und Umgebung, 2002, S. 109.

[14] Vgl. Behindertenbericht der Bundesregierung 2008, S. 157 ff.

3. Rechtliche Situation

Durch das Behindertengleichstellungspaket 2005 wurde der Schutz vor Diskriminierung und Belästigung in Umsetzung der EU-Beschäftigungsrahmen-richtlinie in mehreren Gesetzen verankert. Demnach ist Diskriminierung und Belästigung aufgrund einer Behinderung im Arbeitsverhältnis sowie bei der Aus- und Weiterbildung, bei der Mitgliedschaft zu ArbeitnehmerInnenorganisationen und beim Zugang zur selbständigen Erwerbstätigkeit verboten. Vor einer gerichtlichen Durchsetzung von (primär) Schadenersatzansprüchen ist zwingend ein Schlichtungsverfahren beim Bundessozialamt zu führen. Im Arbeitsleben ist zwar im BEinstG ein gerichtlich durchsetzbarer Erfüllungsanspruch auf Herstellung diskriminierungsfreier Arbeitsbedingungen geregelt, aber auch dies ist zu wenig bekannt und wird daher viel zu wenig eingefordert bzw. gewährt.

In Österreich besteht durch das Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) für ArbeitgeberInnen eine Verpflichtung, ab 25 DienstnehmerInnen mindestens eine/n begünstigte/n Behinderte/n pro 25 Beschäftigte einzustellen (per 1.1.2010 betrifft dies 94.352 Personen[15]). Für die Erhebung der Quote kommt es allein auf die Anzahl der Personen an, es ist unerheblich, ob diese in Teilzeit oder Vollzeit beschäftigt sind. Auf die Pflichtzahl werden „begünstigte Behinderte“ angerechnet, manche wie Lehrlinge, blinde Personen oder Rollstuhlfahrer/innen sogar doppelt.

Andernfalls ist eine Ausgleichstaxe zu zahlen, diese beträgt mit 1.1.2011 monatlich 226 Euro, für Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten 316 Euro und für Unternehmen mit mehr als 400 Beschäftigten 336 Euro (Budgetbegleitgesetz 2011 BGBl. I Nr. 111/2010).

Es stellt sich jedoch allgemein die Frage, ob die Festlegung der derzeitigen Beschäftigungspflicht noch adäquat erscheint. Insbesondere vor dem Hintergrund des in der UN-Konvention normierten Inklusionsprinzips erscheint eine Verschärfung der Beschäftigungspflicht angebracht. Aber auch die Berücksichtigung der derzeitigen angespannten wirtschaftlichen Lage spricht für eine Verschärfung der Beschäftigungspflicht. Die Koppelung der Ausgleichstaxe an den Pensionsanpassungsfaktor, während parallel dazu die Löhne und Gehälter kollektivvertraglich bzw. besoldungsrechtlich stiegen, führte dazu, dass die 1984 diskutierte Intention des Gesetzgebers, die Ausgleichstaxe mit 30% eines „durchschnittlichen Arbeits-lohn[s] für manuelle Arbeiter“[16] festzusetzen, mittlerweile nicht mehr greift.

Nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz gilt als arbeitsunfähig, wer invalid oder berufsunfähig ist. Zum Begriff der Invalidität wird auf die einschlägigen Bestimmungen des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) verwiesen. Ausschlaggebend ist allein, ob die eigene Leistungsfähigkeit zumindest 50 % einer körperlich und geistig gesunden Person entspricht.

Die 50 %-Grenze der Leistungsfähigkeit hat auch Konsequenzen für die Zuständigkeit für Leistungen von Bund (Arbeitsmarkt) und Ländern (Sozialhilfe) und führt zu großen Unterschieden und Diskriminierungen bei Gestaltung und Bezug von Leistungen.

Problematisch bei der Bemessung der Arbeitsfähigkeit sind die vielen unterschiedlichen Einstufungsverfahren und -stellen, je nachdem, ob es sich um eine Einschätzung des Grades der Behinderung nach dem BEinstG, dem BundesbehindertenG, den Bundes- und Landespflegegeldgesetzen, die Evaluierung des individuellen Hilfebedarfs nach den Landesgesetzen oder um arbeitsmedizinische Begutachtungen zur Feststellung der Arbeitsfähigkeit gemäß ArbeitslosenversicherungsG oder ASVG handelt. Um Leistungen beziehen zu können, müssen sich die Betroffenen bei jedem Leistungsträger einem gesonderten - nach unter-schiedlichen Kriterien gestalteten - Begutachtungsverfahren unterziehen. Daraus resultieren meist unterschiedliche rechtliche Beurteilungen, welche oft nicht nachvollziehbar sind und zu großer Rechtsunsicherheit führen.

In Österreich gibt es eine Vielzahl an unterschiedlichen arbeitsmarktpolitischen Förderungen, die großteils durch Richtlinien des BMASK geregelt sind und für Betroffene und deren Angehörige bzw. BeraterInnen kaum überblickbar sind.



[16] Ernst / Haller, Behinderteneinstellungsgesetz, Gesetze und Kommentare, Wien 2005, S 98 f.

4. Handlungsbedarf

Derzeit entsprechen die Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen in Österreich nicht dem Standard des Art. 27 der UN-Konvention.

Die UN-Konvention geht von einem sozialen Modell von Behinderung aus, wonach Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht. Demnach haben Menschen mit Behinderungen ein Recht auf alle jene Unterstützungsleistungen, die ihnen die volle wirksame und gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft ermöglichen. Damit ist die Feststellung der Arbeitsfähigkeit nicht mit den Bestimmungen der UN-Konvention vereinbar und wäre durch eine Feststellung des Unterstützungsbedarfs zu ersetzen.

Voraussetzung für einen inklusiven Arbeitsmarkt ist die Gewährleistung der Inklusiven Bildung für alle Menschen in allen Lebensbereichen.[17]

Der Monitoringausschuss sieht das Ziel der Konvention, einen offenen, inklusiven und für alle Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt, mit der Möglichkeit, einen angemessenen Lebensunterhalt durch Arbeit verdienen zu können, zu gewährleisten, nicht erfüllt, der Ausschuss schlägt folgende Maßnahmen vor:

  1. Umsetzung inklusiver Bildung in allen Lebensbereichen für alle Menschen

  2. Verfassungsrechtliche Verankerung des Rechts auf Arbeit für alle Menschen

  3. Umsetzung der Arbeitsrechte von Menschen mit Behinderungen nach Maßgabe der Grundprinzipien der Konvention gemäß Artikel 3.

  4. Die umfassende Barrierefreiheit in der Arbeitswelt ist sicherzustellen.

  5. Der Rechtsschutz bei Diskriminierung in der Arbeitswelt ist zu verstärken (durchsetzbarer Anspruch auf Beseitigung von Barrieren, Ausweitung der Unterstützung bei Rechtsverfahren).

  6. Chancengleicher und nachhaltiger Zugang zu sozialversicherungsrechtlich abgesicherten Beschäftigungsverhältnissen (siehe auch Regierungsprogramm 2008, Seite 184)

  7. Schaffung von umfassender persönlicher Assistenz, die über die Unterstützung am Arbeitsplatz hinausgeht und selbstbestimmtes Leben in allen Lebensbereichen möglich macht[18]

  8. Es sind individuelle Unterstützungspläne für Menschen mit Behinderungen zu erstellen.

  9. Menschen mit Behinderungen, insbesondere Menschen mit intellektueller Behinderung bzw. mit Lernschwierigkeiten, sowie Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen müssen eine adäquate Unterstützung erhalten, die gemeindenah eine angemessene Arbeit, mit begleitenden Hilfen, Unterstützungsstrukturen und entsprechender sozialversicherungsrechtlicher und arbeitsrechtlicher Absicherung ermöglicht (siehe auch Regierungsprogramm 2008, Seite 184).

  10. Weiterentwicklung und Aufstockung der Beschäftigungsoffensive und zusätzliche Unterstützungsmaßnahmen, um Menschen mit Behinderungen den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt zu sichern

  11. Zur Erleichterung des Einstiegs am „ersten Arbeitsmarkt“ braucht es flexible Schnittstellen und Durchlässigkeit zwischen den verschiedenen Maßnahmen der Behindertenhilfe und der Arbeitsmarktpolitik. Zu diesem Zweck haben der Bund und die Länder als Gesetzgeber sowie deren vollziehende Organe zu gewährleisten, dass nicht der österreichischen Verfassungsrealität geschuldete Abgrenzungen der so genannten Behindertenhilfe einerseits und des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts andererseits Laufbahn hemmende oder Existenz bedrohende Auswirkungen auf Betroffene haben. In den Nationalen Aktionsplan[19] wäre ein umfassendes und stimmiges Konzept für inklusive Beschäftigung aufzunehmen.

  12. Unterstützungsmaßnahmen beim (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen, angepasst an deren Unterstützungsbedarf (insbesondere auch für Jugendliche) sind auszubauen und mit einem Rechtsanspruch auszustatten.

  13. Es sind Maßnahmen zur stärkeren Umsetzung der Einstellungspflicht für Betriebe, v.a. im Hinblick auf die Höhe der Ausgleichstaxe und Anrechnung auf die Pflichtquoten unabhängig von der Leistungsfähigkeit der Person (Anreizsystem statt Sanktionssystems) vorzusehen.

  14. Begutachtungsverfahren müssen einen ganzheitlichen, multidisziplinären (bio-psycho-sozialen) Ansatz – gemäß der UN-Konvention als Minimum erforderlich – verfolgen. Rein medizinische Verfahren, die einzig auf die Arbeits- bzw. Leistungsfähigkeit (starre 50%-Grenze) abstellen, sind mit Modellen, die den individuellen Unterstützungs- bzw. Assistenzbedarf eruieren, zu ersetzen. Die unterschiedlichen Einstufungsverfahren sind zu vereinheitlichen (Einführung einer zentralen Anlaufstelle und Förderschiene "Gesundheitsstraße", "One Stop Shop").

  15. Vereinheitlichung der divergierenden ArbeitnehmerInnenbegriffe im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht im Sinne des europäischen Trends zu hohen Schutzniveaus für alle Menschen, auch Menschen mit Behinderungen im Erwerbsleben (beispielsweise in der Rahmenrichtlinie Beschäftigung und Beruf)

  16. Grundlegende Änderung der segregierenden und arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Situation von Menschen in Beschäftigungstherapie oder Werkstätten gemäß dem Regierungsprogramm, sowie der Stellungnahme des Ausschusses[20]

  17. Es sind die Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung über das Recht auf Arbeit und auf chancengleiche und gerechte Arbeitsbedingungen von Menschen mit Behinderungen zu verstärken, insbesondere Aufklärungsarbeit und Bewusstseinsbildung in den Betrieben.

  18. In Bezug auf arbeitsmarktpolitische Anliegen von UnternehmerInnen, Arbeit-suchenden und ArbeitnehmerInnen im Zusammenhang mit Behinderung muss einerseits gewährleistet sein, dass alle diesbezüglichen Aktivitäten gemeindenah, bürgernah und vernetzt abgewickelt werden, andererseits aber auch die Prinzipien von Inklusion und Mainstreaming insofern verwirklicht werden, als keine segregativen Abläufe und Strukturen für die Anliegen von Menschen mit Behinderungen aufrechterhalten oder neu geschaffen werden.

  19. In sämtliche Handlungsfelder zur Umsetzung des Rechts auf Arbeit sind Menschen mit Behinderungen und deren Interessensvertretungen einzubeziehen.[21]

  20. Es müssen die Daten von Menschen mit Behinderungen, gegliedert nach Art des Unterstützungsbedarfs in allen Statistiken (v.a. auch in jenen des AMS) umfassend erfasst werden. Es sind auch internationale Statistiken und Projekte einzubeziehen.

Teilaspekte der vorliegenden Fragen wurden bereits in Arbeitsgruppen erörtert. Der Monitoringausschuss empfiehlt, dass, basierend auf diesen Vorarbeiten und unter Bezug auf bereits existierende Pilotprogramme, die Artikel 25 bis 27 der Konvention umgesetzt werden. Der Monitoringausschuss betont, dass die arbeits- und sozial-versicherungsrechtlichen Standards an die relevanten Bestimmungen anzugleichen sind. Gemäß der Konvention darf es keine benachteiligenden Regelungen auf Basis von Beeinträchtigung bzw. Behinderung geben.

Für den Ausschuss

Die Vorsitzende

Marianne Schulze

Quelle

Unabhängiger Monitoringausschuss zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen Österreich: Stellungnahme zum Thema Arbeit und Beschäftigung 2011

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 08.05.2015



[17] Siehe Stellungnahme zu Inklusiver Bildung, 10.6.2010, http://www.monitoringausschuss.at/sym/monitoringausschuss/Stellungnahmen.

[18] Siehe Stellungnahme zu Persönlicher Assistenz, 27. Juni 2011, http://www.monitoringausschuss.at/sym/monitoringausschuss/Stellungnahmen.

[19] Siehe Unterlagen des Arbeitstages im Februar 2011: http://www.krischanitz-noebauer.at/doku/bmasknap/1-arbeitstagung/.

[20] Siehe Fußnote 8.

[21] Vgl. Artikel 4 (3) Konvention, siehe auch Stellungnahme zum Budgetbegleitgesetz 2009.

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