Stellungnahme des MRB zu Beschäftigungstherapiewerkstätten

Reformbedarf

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Bericht
Releaseinfo: Vorlage der Volksanwaltschaft an den Menschenrechtsbeirat der Volksanwaltschaft, Österreich.
Copyright: © Menschenrechtsbeirat 2014

Präambel:

Der Menschenrechtsbeirat ist sich bewusst, dass in Einrichtungen der Beschäftigungstherapie (die Begrifflichkeiten unterscheiden sich je nach Bundesland, wobei Worte wie „Werkstätten“, „Beschäftigungstherapie“, „Tagesstruktur“ oder „fähigkeitsorientierte Aktivität“ Verwendung finden; in der Folge als „Werkstätten“ bezeichnet) Menschen mit Behinderung tätig sind, deren Leistungsfähigkeit zwischen sehr gering bis knapp unter 50% derjenigen eines nicht behinderten Menschen (siehe den Invaliditätsbegriff des § 255 Abs. 1 ASVG) reicht. An dieser Stelle sei angemerkt, dass in der Praxis einerseits diese Abgrenzung willkürlich erscheint und andererseits im Widerspruch zu Teilen des Artikels 27 der UN-BRK steht.

Artikel 27 UN-BRK Arbeit und Beschäftigung(1) Die Vertragsstaaten anerkennen das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit; dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird. Die Vertragsstaaten sichern und fördern die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit, einschließlich für Menschen, die während der Beschäftigung eine Behinderung erwerben, durch geeignete Schritte, einschließlich des Erlasses von Rechtsvorschriften, um unter anderema) Diskriminierung aufgrund von Behinderung in allen Angelegenheiten im Zusammenhang mit einer Beschäftigung gleich welcher Art, einschließlich der Auswahl-, Einstellungs- und Beschäftigungsbedingungen, der Weiterbeschäftigung, des beruflichen Aufstiegs sowie sicherer und gesunder Arbeitsbedingungen, zu verbieten;b) das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen, einschließlich Chancengleichheit und gleichen Entgelts für gleichwertige Arbeit, auf sichere und gesunde Arbeitsbedingungen, einschließlich Schutz vor Belästigungen, und auf Abhilfe bei Missständen zu schützen;c) zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen ihre Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte gleichberechtigt mit anderen ausüben können;d) Menschen mit Behinderungen wirksamen Zugang zu allgemeinen fachlichen und beruflichen Beratungsprogrammen, Stellenvermittlung sowie Berufsausbildung und Weiterbildung zu ermöglichen;e) für Menschen mit Behinderungen Beschäftigungsmöglichkeiten und beruflichen Aufstieg auf dem Arbeitsmarkt sowie die Unterstützung bei der Arbeitssuche, beim Erhalt und der Beibehaltung eines Arbeitsplatzes und beim beruflichen Wiedereinstieg zu fördern;f) Möglichkeiten für Selbständigkeit, Unternehmertum, die Bildung von Genossenschaften und die Gründung eines eigenen Geschäfts zu fördern;g) Menschen mit Behinderungen im öffentlichen Sektor zu beschäftigen;h) die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen im privaten Sektor durch geeignete Strategien und Maßnahmen zu fördern, wozu auch Programme für positive Maßnahmen, Anreize und andere Maßnahmen gehören können;i) sicherzustellen, dass am Arbeitsplatz angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen getroffen werden;j) das Sammeln von Arbeitserfahrung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch Menschen mit Behinderungen zu fördern;k) Programme für die berufliche Rehabilitation, den Erhalt des Arbeitsplatzes und den beruflichen Wiedereinstieg von Menschen mit Behinderungen zu fördern.(2) Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass Menschen mit Behinderungen nicht in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden und dass sie gleichberechtigt mit anderen vor Zwangs- oder Pflichtarbeit geschützt werden.

Angesichts dessen geht der Menschenrechtsbeirat davon aus, dass die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung in Werkstätten in ihrer derzeitigen rechtlichen und faktischen Gestaltung nicht den Bestimmungen der UN-BRK – insbesondere Artikel 27 „Arbeit und Beschäftigung“ – entspricht. Dies insbesondere deswegen, weil die in diesen Einrichtungen tätigen Menschen mit Behinderung von der österreichischen Rechtsordnung ausnahmslos nicht als ArbeitnehmerInnen im arbeitsrechtlichen Sinne angesehen werden und über keine eigenständige sozialversicherungsrechtliche Absicherung aus dieser Tätigkeit verfügen (von der gesetzlichen Unfallversicherung abgesehen).

Unstrittig ist, dass für die Erlassung von Vorschriften die Werkstätten betreffend nach der österreichischen Verfassung die Bundesländer zuständig sind. Allerdings weist die hier zu behandelnde Problematik auch Aspekte auf, die einer bundesgesetzlichen Regelung zugänglich sind. In dieser Hinsicht ist insbesondere auf das Sozialversicherungsrecht und auf das Arbeitsrecht zu verweisen. Eine grundlegende Reform der Werkstätten bedürfte daher einer konstruktiven Kooperation von Bundes- und Landesgesetzgebern, um innerhalb der bestehenden Kompetenzverteilung eine sinnvolle Neuordnung zu bewerkstelligen. Der Menschenrechtsbeirat erinnert an dieser Stelle an die UN-Handlungsempfehlung Nr. 11 im Rahmen der Staatenprüfung Österreichs durch den UN-Fachausschuss im September 2013, die mit Nachdruck auf eine übergreifende Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Rahmen der Behindertenpolitik zur Umsetzung der UN-BRK hingewiesen hat.

Die Tatsache, dass die Ausgestaltung der Werkstätten mit der UN-BRK nicht im Einklang steht (siehe auch UN-Handlungsempfehlung Nr. 44), soll keinesfalls dazu führen, dass derartige Einrichtungen einer sofortigen Schließung zugeführt werden. Es wird einer ganzen Palette von Maßnahmen bedürfen, um die sinnvolle Beschäftigung von behinderten Menschen in einer anderen, konventionskonformen Weise zu erreichen. Ein derartiger Maßnahmenmix wird nur in einem längeren, sorgsam geplanten Zeitraum zu realisieren sein, währenddessen die Beschäftigung der Menschen mit Behinderung jedenfalls aufrechterhalten werden muss. Es darf aber als unbestritten angesehen werden, dass Veränderungen hin zu einer konventionskonformen Praxis unmittelbar anzugehen sind.

Für die Übergangszeit sollte Vorsorge getroffen werden, dass das in den Werkstätten ausbezahlte Taschengeld bzw. die Arbeitsprämie den Menschen mit Behinderung nicht als Einkommen auf die bedarfsorientierte Mindestsicherung (VfGH 16.6.2014, B 1003/2013-11, B 1528/2013-8) oder auf die Ausgleichszulage (OGH 15.7.2014, 10 ObS 67/14x) angerechnet wird.

Wie bereits in der Vorlage der Volksanwaltschaft angesprochen, ist sich die Bundesregierung der Notwendigkeit von Reformen im Bereich der Werkstätten für Menschen mit Behinderung durchaus bewusst, da das Regierungsprogramm darauf ausdrücklich abzielt. Im gegebenen Zusammenhang ist auch auf die Beschlüsse der LandessozialreferentInnenkonferenz vom Mai 2014 hinzuweisen, in der unter anderem Gespräche zwischen dem Bund und den Ländern mit dem Ziel einer besseren Koordinierung der Maßnahmen für Menschen mit Behinderung im Setting des österreichischen Föderalismus initiiert wurden. Der Menschenrechtsbeirat muss – auch mit Blick auf die einschlägigen Empfehlungen des Fachausschusses - allerdings mit Sorge feststellen, dass bisher noch keine konkreten Ergebnisse zur besseren Koordinierung zwischen Bund und Ländern fix vereinbart wurden, wenngleich eine erste Gesprächsrunde zu diesem Thema auf BeamtInnenebene bereits stattfand.

Aus einer Reihe von gerichtlichen Entscheidungen geht hervor, dass die Beschäftigung der Menschen mit Behinderung in den Werkstätten nicht als Arbeitsverhältnis im Sinne des §1151 ABGB qualifiziert wird. Nach der Begründung des Obersten Gerichtshofes in seiner Entscheidung vom 29.10.2009, 9 0b A 105/09w, liegt die Tätigkeit in den Werkstätten in erster Linie im Interesse der Beschäftigten an der Möglichkeit zu arbeiten und dient vorwiegend ihrer „Erziehung“ und „Behandlung“. Aus diesem Grund ist nach der Judikatur die Qualifikation als Arbeitsverhältnis ausgeschlossen. Der unabhängige Monitoringausschuss zur Umsetzung der UN-BRK hat schon in seiner Stellungnahme vom 27. Juni 2011 darauf hingewiesen, dass diese OGH-Entscheidung im Sinne der Umsetzung der Konvention „kontraproduktiv“ ist.

Nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18.04.2012, 2011/10/0019, handelt es sich zwar bei der von der Werkstätte geleisteten „Arbeitsprämie“ um ein Entgelt und damit um ein Einkommen des Betroffenen, auf das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses im arbeitsrechtlichen Sinn kommt es dabei aber nicht an. In dieselbe Richtung geht auch der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 22.11.2012, B717/12, wenn er feststellt, dass eine von einer beschäftigten Person in einer Werkstätte bezogene „Erfolgsprämie“ möglicherweise überhaupt nicht als Einkommen qualifiziert werden kann.

All diesen gerichtlichen Entscheidungen liegt die Annahme zugrunde, dass es sich bei den hier in Rede stehenden Beschäftigungen um keine Arbeitsverhältnisse im Sinne der geltenden österreichischen Rechtsordnung handelt, da therapeutische Zwecke im Vordergrund stehen.

Dazu ist anzumerken, dass eine „Therapie“ oder eine „Behandlung“ dem üblichen Sprachgebrauch folgend, einen entsprechenden Therapie(Behandlungs)plan, ein Therapie(Behandlungs)ziel und einen feststellbaren Therapie(Behandlungs)erfolg voraussetzen würde. Ob der Begriff „Therapie“ daher im Fall der langjährigen Beschäftigung von Menschen mit Behinderung in Werkstätten überhaupt anwendbar ist, erscheint zumindest zweifelhaft.

Einige wichtige, wenngleich keinesfalls ausreichende, Schritte in Richtung der UN-BRK sind in diesem Bereich in der letzten Zeit festzustellen.

So sind mehrere Länder bestrebt (bzw. bestehen entsprechende Absichtserklärungen), Menschen mit Behinderung aus den Werkstätten heraus in Arbeitsverhältnisse in der freien Wirtschaft zu bringen, wobei Menschen mit Behinderung hier reguläre Arbeitsverhältnisse eingehen, kollektiv-vertraglich entlohnt werden und voll sozialversichert sind.

Der Übergang in den freien Arbeitsmarkt wird durch finanzielle Leistungen an ArbeitgeberInnen sowie durch Unterstützungsstrukturen für Menschen mit Behinderung ermöglicht bzw. erleichtert. Als Beispiel sei auf das Modell „Spagat“ verwiesen, das in Vorarlberg umgesetzt wird, allerdings im Lichte der Konvention selbst nur ein Übergangsschritt sein kann.

Auf Seiten der Gesetzgebung ist im Sommer 2014 eine Änderung des Familienlastenaus-gleichsgesetzes sowie der Sozialversicherungsgesetze dahingehend beschlossen worden, dass Leistungen wie die erhöhte Familienbeihilfe oder die Waisenpension nach einem erfolglosen Arbeitsversuch in der freien Wirtschaft wieder aufleben, ohne dass die Leistungsvoraussetzungen nochmals geprüft werden müssten. Damit sollen Hürden auf dem Weg zu einer Beschäftigung außerhalb der Werkstätten abgebaut werden. Selbstverständlich sind dies nur kleine Fortschritte, in diese Richtung – Schaffung eines inklusiven Settings für die Beschäftigung für Menschen mit Behinderung – muss aber wohl weitergegangen werden. Die einschlägigen Handlungsempfehlungen, insbesondere zur Koordination zwischen Bund und Ländern, wie auch der Beschluss der LandessozialreferentInnenkonferenz legen tiefgreifendere Reformen nahe.

Nicht hoch genug eingeschätzt werden, kann in diesem Zusammenhang der gemeinsame Schulbesuch von behinderten und nichtbehinderten SchülerInnen. Erwähnenswert ist dabei eine auf 12 Jahre angelegte Studie aus der Schweiz („Langzeitwirkungen der schulischen Integration. Eine empirische Studie zur Bedeutung von Integrationserfahrungen in der Schulzeit für die soziale u. berufliche Situation im jungen Erwachsenenalter.“, Michael Eckhart, 2011).

Als wesentliche Ergebnisse werden angeführt:

  • AbgängerInnen mit Lernbehinderungen aus Integrationsklassen haben deutlich bessere Chancen in der Berufswelt als ehemalige SonderschülerInnen;

  • Jugendliche mit Lernbehinderungen aus Integrationsklassen schaffen es immer wieder, an mittleren Schulen Abschlüsse zu erreichen, wohingegen dies bei Jugendlichen aus Sonderschulklassen kaum je der Fall ist;

Die Sicherung des Lebensunterhaltes für alle in Werkstätten beschäftigten Menschen mit Behinderung soll unabhängig von der individuellen Leistungsfähigkeit und außerhalb der jetzigen Sozialhilfe- und Mindestsicherungslogik gewährleistet sein.

Zu den einzelnen Fragen der Volksanwaltschaft wird Folgendes ausgeführt:

1. „Worauf sollten alle Kommissionen bei Besuchen in diesen Einrichtungstypen vorrangig achten?“

Stellungnahme des MRB: Vorausgeschickt sei, dass die Werkstätten Einrichtungen darstellen, in denen oftmals behinderte Menschen für mehrere Stunden täglich beschäftigt sind, betreut werden und in ihrer Freiheit beschränkt sein können (z. B. versperrte Werkstätten). Bezüglich Kriterien wie dem zahlenmäßigen Verhältnis zwischen Schlüsselkräften und Menschen mit Behinderung, der Qualifikation der Schlüsselkräfte, der Multiprofessionalität des Betreuungspersonals, der Therapiepläne und Therapieziele, der transparenten Dokumentation, aber auch der individuellen Förderungskonzepte für die beschäftigten Menschen mit Behinderung, der umfassenden Barrierefreiheit der Einrichtung etc. werden die selben Standards und Erwägungen zu beachten sein, die auch bei anderen Einrichtungen für Menschen mit Behinderung herangezogen werden.

Darüber hinaus wird die Tatsache, dass eine Beschäftigung ausgeübt wird, weitere Fragestellungen nach sich ziehen müssen. So werden etwa Fragen nach regelmäßigen Pausen, nach Sicherheitsrichtlinien, nach der fähigkeitsorientierten Auswahl der Tätigkeiten für die einzelnen Menschen mit Behinderung, nach der fachlichen Qualifikation der Anleitenden und Ähnlichem zu beachten sein. Vor dem Hintergrund der Inklusion wäre wichtig danach zu fragen, ob Wohnen und Beschäftigung an unterschiedlichen Orten bzw. bei unterschiedlichen Trägern erfolgt. Die zeitliche Gestaltung der Beschäftigung sollte auf die Bedürfnisse der Menschen mit Behinderung Rücksicht nehmen. So kann eine tägliche Anwesenheitsverpflichtung von bis zu acht Stunden für Menschen mit psychischer Erkrankung aber auch für Menschen mit Mehrfachbehinderung eine Überforderung darstellen. Die Anwesenheitsverpflichtung ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass die Wohneinrichtungen während der Arbeitszeit personell nicht besetzt sind. Darüber hinaus sind Menschen, die die Werkstätte nicht (mehr) aufsuchen können, vom Verlust des vollbetreuten Wohnplatzes bedroht.

Besondere Bedeutung sollte auch der Frage beigemessen werden, ob die beschäftigten Menschen mit Behinderung über alternative Beschäftigungsangebote informiert, diese aktiv vorgeschlagen und praktisch in Form von „Schnuppertätigkeiten“ ausprobiert werden.

Eine weitere Fragestellung sollte auf das Vorhandensein von Beschäftigungsmöglichkeiten, die stereotype, auf eine antiquierte soziale Rolle der Frau beschränkte Angebote vermeiden, gerichtet sein. Darüber hinaus sollte erhoben werden, ob sich die Geschlechtszugehörigkeit in sachlich nicht gerechtfertigter Form auf die Höhe des Taschengeldes auswirkt.

2. „In Niederösterreich, in der Steiermark und im Burgenland erhalten alle Menschen mit Behinderung in der Beschäftigungstherapie ein gleich hohes fixes mtl. Taschengeld. In den anderen Bundesländern ist dessen Höhe von einer Reihe von Kriterien wie ua. der Dauer der täglichen Beschäftigung, der Pünktlichkeit, dem Sozialverhalten, der Motivation und der Arbeitsleistung in der Beschäftigungstherapie abhängig und wird von Landesregierungen in Vereinbarungen mit den Trägern nur in Form von Minimal und Maximalbeträgen determiniert. Besuche der Kommissionen zeigen, dass NutzerInnen dieser Einrichtungen keine Informationen darüber haben, welche Parameter ihre Taschengeldbemessung individuell beeinflussen. Auch der bereits erwähnte Forschungsbericht der Universität Wien zeigt, dass Nutzerinnen und Nutzer nur in 10,7% aller Einrichtungen über die Höhe des Taschengeldes mitbestimmen können. Nur in 7,7% der Standorte werden als Bestimmungskriterien des Taschengeldbetrages die Verkaufserlöse in den einzelnen Gruppen und in 7,1 % das Alter der NutzerInnen herangezogen.“

„Ist dieser Aspekt unter dem Gesichtspunkt des Art. 16 Abs. 3 UN-BRK relevant?Ist die Differenzierung der Höhe von Taschengeld nach erbrachter Arbeitsleistung diskriminierend, wenn sich Trägerermessen konkret so auswirkt, dass Menschen mit Mehrfachbeeinträchtigungen ein geringeres Taschengeld zugestanden wird als weniger beeinträchtigten NutzerInnen?“

Stellungnahme des MRB: Vorauszuschicken ist, dass ein undifferenziertes und ausnahmslos angewandtes Regime von „Taschengeld“ anstelle eines Arbeitsentgelts schon für sich genommen im Widerspruch zu Art. 27 UN-BRK steht.

Dennoch wird für die Dauer des Übergangszeitraumes im Sinne einer grundlegenden Reform der Werkstätten eine schrittweise Überleitung von Taschengeld in eine reguläre Entlohnung nicht immer zu vermeiden sein (siehe auch Art. 7 ILO Konvention Nr. 159). Es gibt aber auch Beispiele, die zeigen, dass eine rasche Umstellung möglich sein kann.

Um dem Anschein willkürlicher Gestaltung möglichst entgegen zu treten, wäre zumindest eine transparente, den SelbstvertreterInnen und ihren InteressenvertreterInnen einsichtige und objektiv nachvollziehbare Bemessung des Taschengeldes anzustreben.

In Analogie zu den arbeitsrechtlichen Instrumenten von Kollektivvertrag und Betriebsvereinbarung wäre vorstellbar, innerhalb eines vom Fördergeber vorgegebenen Rahmens Kriterien für eine Differenzierung der Höhe des Taschengeldes auszuarbeiten und in der Einrichtung bekannt zu machen. Dabei könnte die Art der Beschäftigung, die Leistungsfähigkeit und das Bemühen des einzelnen Menschen mit Behinderung, das tägliche Ausmaß der Beschäftigung sowie ein rechnerischer Anteil an Erlösen eine Rolle spielen. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass (zumindest teilweise) allfällige Erlöse der Werkstätten an das Land zurück zu führen sind. Ein Regelwerk für die Umsatzbeteiligung müsste daher etabliert werden. Dabei sollte das Ausmaß an zumutbarer Beschäftigung in der Relation zur Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden, sodass die Geldleistung mit dem Ausmaß der Beeinträchtigung tendenziell steigt.

Der Menschenrechtsbeirat spricht sich für die verpflichtende Einrichtung eines Organs der Menschen mit Behinderung in den Werkstätten aus, durch das diese ihr Mitspracherecht in wichtigen Angelegenheiten ausüben können. Derartige Organe bestehen in manchen Ländern bereits. Unabhängig von der Frage der Bemessung des Taschengeldes ist es dem Menschenrechtsbeirat ein Anliegen, die Sicherung des Lebensunterhaltes für alle in Werkstätten beschäftigten Menschen mit Behinderung unabhängig von der individuellen Leistungsfähigkeit gewährleistet zu wissen. Dabei ist die Sicherung des Lebensunterhaltes außerhalb der jetzigen Sozialhilfe-/ Mindestsicherungslogik (d.h. ohne Berücksichtigung von Vermögen und ohne Regressregelungen) und unabhängig von einer Beschäftigung anzustreben. Wie in der Arbeitsgruppe anhand konkreter Beispiele aufgezeigt wurde, verbleibt Menschen mit Behinderung in Werkstätten innerhalb und außerhalb betreuter Wohnformen derzeit oftmals ganz wenig oder nichts zur eigenen Verwendung.

Um dem möglichen Missbrauch in Werkstätten im Sinne des Art. 16 Abs. 3 UN-BRK schon präventiv entgegen zu treten, erscheint es dem Menschenrechtsbeirat geboten, dass die Einrichtungen standardisierte Konzepte erarbeiten und auflegen, aus denen hervorgeht, in welcher Form und durch welche Maßnahmen das Auftreten von Gewalt verhindert werden soll. Auf das vom Menschenrechtsbeirat im Rahmen des Prüfschwerpunkts für Einrichtungen und Programme für Menschen mit Behinderung angenommene Papier „Maßnahmen zur Gewaltprävention“ wird in diesem Zusammenhang hingewiesen. Ergänzend sei insbesondere auf Artikel 27 Abs. 2 der UN-Konvention verwiesen. Anhand von einigen in der Arbeitsgruppe besprochenen Regelungen der Länder kann nicht zweifelsfrei eine konventionskonforme Umsetzung in Österreich angenommen werden.

3. „Die Kommissionen 1 und 2 haben erhoben, dass das Taschengeld auch dann nicht deutlich erhöht wird, wenn einzelne Standorte wegen der guten Auftragslage und der erbrachten Leistungen der dort tätigen Menschen mit Behinderung Überschüsse erzielen. Diese Mehreinnahmen sind an Trägervereine abzuführen. Ausnahmen scheinen dies keine zu sein: Im zitierten Forschungsbericht ausgewiesen ist, dass 64,9 % der Werkstätten laut eigenen Angaben Klientinnen und Klienten finanziell nicht am Verkaufserlös beteiligen, 18,5 % tun dies teilweise, 16,7 % immer“

„Soll die Volksanwaltschaft solche Sachverhalte als Ausbeutung im Sinne des Art. 16 Abs. 3 UN-BRK qualifizieren? Welche Gründe sprechen nach Ansicht des MRB dafür, welche dagegen?“

Stellungnahme des MRB: Unter der Voraussetzung, dass die Werkstätten von gemeinnützigen Trägern geführt werden (sollte dies nicht der Fall sein, so läge die Annahme eines möglichen Missbrauchs erheblich näher) könnten allfällige Überschüsse an Schlüsselkräfte und beschäftigte Menschen mit Behinderung gleichermaßen zur Verteilung gelangen. Eine einseitige Gewährung von „Belohnungen“ nur an Schlüsselkräfte wäre jedenfalls diskriminierend.

Bei einer Kombination von nach dem bisher Gesagten ungünstigen Gestaltungsvarianten der Beschäftigung in einer Werkstätte (z. B. Fehlen jeglichen „Therapie“plans, hoher Druck in Richtung Output-Orientierung, wenig bis keine individuelle Förderung, keine Information über Alternativangebote, willkürliche Differenzierung des Taschengeldes, Ausschüttung von allfälligen Überschüssen nur an die Schlüsselkräfte, rechtlich zwingende Verknüpfung von Unterbringung in einer betreuten Wohnform mit der Beschäftigung in einer Werkstätte sowie Fehlen einer unabhängigen Kontrolle der Einrichtung) ist eine Verletzung von Art. 16 Abs. 2 UN-BRK im Sinne eines Missbrauchs bis hin zu – in extremer Ausformung – Ausbeutung sicher nicht von der Hand zu weisen. Je mehr die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung in Werkstätten als individuelle Förderung mit dem Ziel der Prüfung realistischer Alternativen erfolgt und in ein umfassendes Betreuungskonzept mit dem gleichzeitigen Aufbau eines inklusiven Arbeitsmarktes eingebunden ist, desto weniger wird man von Missbrauch sprechen können.

Selbst dann aber gilt: eine geplante, von Bund und Ländern abgestimmt unterstützte Reform der Beschäftigungstherapie ist jedenfalls geboten! Dabei wäre die Vereinbarung einer verbindlichen Zeitlinie im Sinne eines Etappenplans äußerst zweckmäßig.

In der 15. Sitzung des MRB am 16. Oktober 2014 angenommen.

Quelle

Menschenrechtsbeirat der Volksanwaltschaft, Österreich: Stellungnahme des MRB zu Beschäftigungstherapiewerkstätten - Reformbedarf. Vorlage der Volksanwaltschaft an den MRB, 2014. Im Internet: http://volksanwaltschaft.gv.at/praeventive-menschenrechtskontrolle/der-menschenrechtsbeirat

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Stand: 6.02.2015

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