"Und wer kümmert sich um das Kind?"

Autor:in - Barbara Levc
Textsorte: Diplomarbeit
Releaseinfo: Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra der Philosophie an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Karl - Franzens - Universität Graz, vorgelegt von Barbara Levc am Institut für Erziehungswissenschaft. Begutachter: Univ.-Prof. Dr. Josef Scheipl. Graz, 2005
Copyright: © Barbara Levc 2005

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

An dieser Stelle möchte ich allen danken, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Dies gilt vor allem jenen acht Frauen, die bereit waren, mir Interviews zu geben und mir in großer Offenheit Einblicke in ihre Lebenssituation ermöglichten.

Ich danke Herrn Univ.-Prof. Dr. Josef Scheipl für seine kontinuierliche Unterstützung und Betreuung dieser Arbeit über einen vergleichsweise sehr langen Zeitraum, sowie Frau Dr. Elisabeth Glettler für ihre methodischen Anregungen.

Weiters danke ich Mag. Erich Levc-Münzer und Jakob Putz für deren "techno-therapeutische" Unterstützung sowie Korrekturhilfe.

Mein Dank gilt auch den vielen Menschen aus meinem Freundeskreis und der Selbstbestimmt - Leben - Bewegung, die Interesse an meiner Arbeit zeigten, mir bei der Ausführung halfen, mich ermutigten und mir in zahlreichen Gesprächen wichtige Impulse gaben.

Alle hier genannten Personen haben wesentlich dazu beigetragen, dass der persönliche Gewinn, den ich aus dieser Arbeit ziehe, über den Zweck eines Studienabschlusses weit hinausgeht.

1. Einleitung

1.1. Relevanz des Themas

"Während meiner Schwangerschaft beschäftigte ich mich vor allem mit technischen Hilfsmitteln zur Pflege des Kindes, da ich aufgrund einer spastischen Lähmung in meinen Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt bin. Ich machte mir Gedanken über den Transport, Hinaus- und Hineinheben ins Bettchen usw. Ich rief ein Beratungszentrum für technische Hilfen an und fragte, ob sie dementsprechende Hilfsmittel hätten. Der Mann sagte: ´Ja, natürlich! ´ Ich war überglücklich. Eine Woche später bekam ich einige Broschüren über Hilfsmittel für das behinderte Kind." (Seipelt-Holtmann, 1993, S. 20)

Ich stelle dieses Beispiel an den Anfang meiner Arbeit, weil es nach meiner Ansicht zeigt, dass Frauen mit Behinderungen in der gesellschaftlichen Rolle einer Mutter für die meisten Menschen nicht vorstellbar sind.

Bei Veranstaltungen, an denen viele behinderte Menschen teilnehmen, zeigt sich, dass Elternschaft bei behinderten Menschen keineswegs die große Ausnahme ist. Hier trifft man fast immer mehrere behinderte Männer und Frauen, die mit ihren meist nicht behinderten Partnerinnen oder Partnern und ihren Kindern angereist sind. Trotzdem werden spezielle Aspekte der Elternschaft behinderter Menschen in Österreich in Selbsthilfeorganisationen oder der emanzipatorischen Behindertenbewegung nicht thematisiert und auch nicht in die Öffentlichkeit getragen.

Tatsache ist aber, dass unbefriedigende Rahmenbedingungen der Lebensgestaltung, Diskriminierungen und Umweltbarrieren behinderte Menschen in der Rolle als Eltern ebenso bzw. sogar verschärft betreffen. Da Anstöße zu einer Veränderung der Lebensbedingungen behinderter Menschen im Hinblick auf gleichberechtigte Teilhabe immer von den Betroffenen selbst - bzw. wie im Fall der schulischen Integration von deren Angehörigen - kommen müssen, stellt sich die Frage, weshalb das Thema Behinderung und Elternschaft von Betroffenen nicht forciert wird.

Eine mögliche Erklärung wäre, dass Elternschaft im aktuellen gesellschaftlichen Verständnis dem Privatbereich zugeordnet wird und Eltern allgemein die gesellschaftliche Mitverantwortung für das Aufwachsen von Kindern nicht einfordern. Eine weitere Erklärung steht in Zusammenhang mit der allgemeinen Sichtweise von behinderten Menschen. Behinderung wird im allgemeinen Verständnis überwiegend mit Vorstellungen von Unmündigkeit und Abhängigkeit verknüpft (Vgl. Abschnitt 2 dieser Arbeit). Daher wird behinderten Menschen die mit Verantwortung überfrachtete Elternrolle nicht zugetraut. Behinderte Menschen, die Kinder haben, befinden sich daher in einer ambivalenten Situation zwischen ihrem eigenen Verständnis und den von außen herangetragenen Vorurteilen. Um diesen Konflikt zu bewältigen, wählen sie einen Weg des Umganges mit ihrer Situation, den eine behinderte Mutter mir gegenüber mit "sich nicht erwischen lassen" beschrieb. Probleme und Herausforderungen werden möglichst nicht nach außen kommuniziert, sondern individuell bewältigt. Man befürchtet, ansonsten die gegebenen Vorurteile zu bestätigen. Aufgrund bestehender gesellschaftlicher Rollenzuschreibungen sind behinderte Frauen in dieser Situation stärker betroffen als behinderte Männer. Denn den Frauen wird die hauptsächliche Zuständigkeit und Verantwortung für den familiären Bereich zugeschrieben. Hinzu kommt, dass angesichts bestehender Normen von Attraktivität und Leistungsfähigkeit Frauen mit Behinderungen in noch stärkerer Weise marginalisiert werden als behinderte Männer (Vgl. Abschnitt 3).

Meine Intention in dieser Arbeit ist es, Stellenwert und Zusammenwirken von stereotypen Vorstellungen, gegebenen Rahmenbedingungen und tatsächlichen behinderungsbedingten Spezifika im Hinblick auf die Mutterschaft von Frauen mit Behinderungen darzustellen. Weiters möchte ich regionale Rahmenbedingungen in der Steiermark für Frauen mit Behinderungen im Hinblick auf Beratung und Unterstützung in den Bereichen Kinderwunsch, Schwangerschaft und Mutterschaft darstellen und aufzeigen, wo Bedarf an Veränderungen besteht. Dabei stehen für mich die Erfahrungen betroffener Frauen als Expertinnen für ihre Lebenssituation im Zentrum. Meine Arbeit soll einen Anstoß zu einer weiteren Auseinandersetzung mit den Aspekten von Behinderung und Mutterschaft als einem gesamtgesellschaftlich relevanten Thema geben.

1.2. Persönlicher Zugang

Mein Interesse an diesem Thema ist unter anderem biographisch bedingt. Ich bin selbst blind und Mutter eines zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Arbeit sechsjährigen Sohnes. Meine Beschäftigung mit dem Thema Behinderung und Mutterschaft begann allerdings schon mehrere Jahre, bevor ich selbst Mutter wurde. Den Anstoß dazu gab ein Artikel einer blinden Mutter in der Zeitschrift einer deutschen Behindertenorganisation (Vgl. Paul, 1990). Eine Familie war zu diesem Zeitpunkt für mich fester Bestandteil meiner Lebensplanung. Ich ging davon aus, dass es ausschließlich von meinen persönlichen Fähigkeiten abhängen würde, ob ich die Anforderungen der Mutterrolle erfüllen könnte. Durch diesen Artikel wurde ich auf den Einfluss von gesellschaftlichen Grundhaltungen und Rahmenbedingungen erstmals aufmerksam. Durch mein Studium am Institut für Erziehungswissenschaft und meinen Kontakt zur emanzipatorischen Behindertenbewegung lernte ich, Behinderung nicht nur als individuelles, sondern als ein gesellschaftliches Phänomen zu sehen. Dieses Interesse bestimmte auch meinen Blickwinkel auf das Thema Behinderung und Mutterschaft, der sich in dieser Arbeit manifestiert.

Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass eigene Betroffenheit und persönliches Engagement als Intention für eine wissenschaftliche Arbeit vielfach kritisch gesehen werden. Bruner beschreibt die Ambivalenz dieser Frage sehr anschaulich: "Bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung verlangt persönliches Betroffen-Sein einerseits nach der Wahrung und Sicherung kritischer Distanz - da sonst die vermeintliche Objektivität wissenschaftlichen Erkennens auf dem Spiele steht. Andererseits - und dies klingt gemeinhin ebenso einleuchtend wie nahe liegend - bietet eben diese persönliche Betroffenheit ja auch eine günstige Bedingung für die Interpretationen der Interviews. Der ´Expertin in eigener Sache´ wird also eine höchst ambivalente Haltung entgegengebracht: sie ist zugleich Garantin für Authentizität und befangen. Ebenso wie erwartet wird, dass man gerade ihr in ihrer Situation Dinge im Interview berichten und erzählen wird, die eine ´behinderte Frau´ möglicherweise ´nichtbehinderten InterviewerInnen´ (zumal männlichen Geschlechts) eher nicht erzählen würde. Auf der anderen Seite wird erwartet, dass ihr gegebenenfalls die nötige ´innere´ Distanz zu ihrem Erkenntnisgegenstand und -interesse fehlen könnte." (Bruner, 2000)

Ebenso wie Bruner bin ich der Auffassung, dass eigene Betroffenheit weder ein Defizit, noch eine spezifische Kompetenz ist, die einem gleichsam auf natürliche Weise zuwächst (Vgl. ebd.). Wesentlich ist nach meiner Auffassung, sich des Ursprunges des eigenen Erkenntnisinteresses bewusst zu sein und dies auch klar darzulegen. Dazu gehört im Falle dieser Arbeit auch mein grundsätzlich emanzipatorischer Ansatz, d. h. das Ziel angestrebter Veränderungen ist die Selbstbestimmung und der gleichberechtigte und gleichwertige Zugang zu allen Lebensbereichen und gesellschaftlichen Rollen für Menschen mit Behinderungen.

1.3. Forschungsfragen

Die folgenden Fragestellungen möchte ich in dieser Arbeit untersuchen:

  1. Welche Reaktionen erfahren behinderte Frauen bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und Mutterschaft allgemein?

  2. Welche Reaktionen erfahren diese Frauen insbesondere von Personen, die professionell in der Beratung, Betreuung und Unterstützung von Schwangeren, Gebärenden und jungen Müttern tätig sind, sowie von Personen, die professionell in der Beratung und Unterstützung von behinderten Menschen tätig sind?

  3. Welchen Zugang haben behinderte Frauen zu Informationen, Beratung und sonstigen Angeboten im Bereich Kinderwunsch, Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft allgemein und in Bezug auf ihre jeweilige Behinderung?

  4. Welche Auswirkungen haben Reaktionen, die behinderte Frauen bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und Mutterschaft erfahren, auf ihre Lebenssituation und ihren Zugang zu Angeboten für Schwangere, Gebärende und junge Mütter?

  5. Welche Strategien der Lebens- und Alltagsbewältigung entwickeln Mütter mit Behinderungen?

  6. Welche Ressourcen stehen betroffenen Frauen derzeit zur Verfügung und inwieweit entsprechen diese den tatsächlichen Bedürfnissen?

1.4. Themeneingrenzung und Überblick

Die Frage der geschlechtsspezifischen Rollenzuschreibungen und Arbeitsteilung wird in dieser Arbeit nicht diskutiert. Ich gehe von der derzeitigen gesamtgesellschaftlichen Situation aus, in der der überwiegende Teil der familialen Reproduktionsarbeit von Frauen geleistet wird. Die Ausgangssituation in der Diskussion dieser Tatsache ist für behinderte Frauen allerdings anders als für nicht behinderte. Vielfach wird ihnen die Übernahme dieser Rolle gar nicht erst zugestanden (Vgl. Kap. 3.4.). Ausgehend vom Konzept eines selbstbestimmten und gleichberechtigten Lebens behinderter Menschen (Vgl. Kap 2.6.) bezieht sich mein Thema auf die gesellschaftspolitische Forderung, dass behinderte Menschen prinzipiell die Möglichkeit und das Recht haben müssen, jede gesellschaftliche Rolle - also auch die Rolle der Frau in Partnerschaft und Familie - zu übernehmen.

Die Situation gehörloser bzw. hochgradig hörbehinderter Frauen wird in dieser Arbeit bewusst ausgeklammert. Ich bin der Auffassung, dass die Spezifika der Lebenssituation gehörloser Menschen - z.B. die Frage sprachlicher Barrieren - im Rahmen dieser Arbeit nur zu oberflächlich behandelt werden könnten. Es wäre daher sinnvoll, das Thema Hörbehinderung und Mutterschaft in einer eigenen Arbeit ausführlich zu untersuchen. Die Beschreibung konkreter Rahmenbedingungen und Probleme der Lebenssituation von behinderten Müttern beziehen sich daher in dieser Arbeit überwiegend auf Frauen mit Bewegungs- und Sehbehinderungen. Auch in meiner Untersuchung habe ich nur bewegungsbehinderte und blinde Frauen interviewt. Aussagen zur allgemeinen gesellschaftlichen Einstellung zu behinderten Menschen beziehen sich - sofern nicht eine Gruppe konkret genannt wird - aber jeweils auf alle Behinderungsarten.

Zum Thema Behinderung und Mutterschaft gibt es mittlerweile zahlreiche Erfahrungsberichte, aber bislang nur wenige empirische Daten. Schönwiese weist aber darauf hin, dass - soll Forschung konkrete Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse behinderter Menschen haben - der Forscher/die Forscherin nicht in der Distanz zu den Beforschten verbleiben darf, die durch Objektivierung und Empirie hergestellt wird. Im Gegenteil muss eine Annäherung an die beforschten Personen erfolgen, indem sie und ihre unmittelbaren Lebenserfahrungen direkt in den Forschungsprozess einbezogen werden (Vgl Schönwiese, 1998).

Im folgenden Abschnitt dieser Arbeit beschreibe ich zunächst die allgemeine gesellschaftliche Situation behinderter Menschen. Dabei wird dem gängigen Rollenbild das Konzept eines selbstbestimmten Lebens mit Behinderung gegenübergestellt. In Abschnitt 3 setze ich mich ausführlich mit der gesellschaftlichen Stellung und Lebenssituation von Frauen mit Behinderungen auseinander. Um die Diskrepanz zwischen den Rollenzuschreibungen im Hinblick auf Behinderung bzw. Mutterschaft zu verdeutlichen, beschreibe ich in Abschnitt 4 die Entwicklung der Mutterrolle in den letzten 200 Jahren. Abschnitt 5 widmet sich dann ausführlich allen Aspekten der Mutterschaft behinderter Frauen. In Abschnitt 6 versuche ich eine Bestandsaufnahme der Rahmenbedingungen für Mütter mit Behinderungen in der Steiermark und stelle beispielhaft kurz die Gegebenheiten in Deutschland und Großbritannien dar. Die empirische Untersuchung und deren Ergebnisse werden in Abschnitt 7 dargestellt.

2. Die allgemeine gesellschaftliche Situation behinderter Menschen

In diesem einleitenden Abschnitt möchte ich schwerpunktmäßig jene Aspekte der Situation behinderter Menschen beschreiben, die für die weitere Arbeit von besonderer Relevanz sind: verschiedene Sichtweisen von Behinderung, Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber behinderten Menschen sowie die gesellschaftliche Rolle behinderter Menschen. Des Weiteren möchte ich mögliche Formen des Umganges behinderter Menschen mit den ihnen entgegengebrachten Einstellungen und Verhaltensweisen darstellen und schließlich das Konzept eines selbstbestimmten Lebens mit Behinderung vorstellen. Dieses Konzept soll in der weiteren Arbeit als Grundlage für die Beurteilung der aktuellen Situation von Müttern mit sichtbaren Behinderungen dienen.

2.1. Der Begriff Behinderung im Licht unterschiedlicher Definitionen und Denkmodelle

Behinderung wird im Alltag ebenso wie in wissenschaftlichen Publikationen sehr unterschiedlich definiert, wobei die einzelnen Definitionen den Kontext, in dem sie verwendet werden, widerspiegeln. Im Alltag behinderter Menschen sind jene Definitionen von vorrangiger Bedeutung, welche in Gesetzestexten festgeschrieben werden. Sie bilden die Basis für Entscheidungen, die unmittelbaren Einfluss auf die Lebenssituation eines behinderten Menschen haben. So definiert § 3. Abs. 1. des österreichischen Behinderteneinstellungsgesetzes (BeinstG) Behinderung als "... die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder psychischen Zustand beruht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten." (BeinstG, 1962, § 3)

Ein zentraler Punkt dieser Definition ist die angegebene Dauer von voraussichtlich mehr als sechs Monaten, wodurch die Abgrenzung gegenüber Krankheit gewährleistet ist. Dies ist im Hinblick auf die Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung behinderter Menschen, die durch dieses Gesetz geregelt werden, von Bedeutung. Im Falle von Krankheit wird davon ausgegangen, dass der "regelwidrige Zustand" innerhalb einer bestimmten - hier mit etwa sechs Monaten definierten - Frist durch entsprechende medizinische Maßnahmen beseitigt werden und die Normalität wieder hergestellt werden kann.

Mit der Formulierung "regelwidriger Zustand" ist in dieser Definition - unabhängig von den Rahmenbedingungen, in denen sie auftritt - eine eindeutig negative Bewertung des Phänomens Behinderung an sich enthalten. Sie geht davon aus, dass es eine eindeutige für sich stehende Norm bzw. Regel für den Zustand von Körper, Seele und Geist gibt. Abweichungen stehen wiederum für sich im Widerspruch zu dieser Regel.

Egger stellt dazu fest, dass eine Norm als stillschweigende Vereinbarung zwischen den Mitgliedern einer Gesellschaft diese Gesellschaft erst funktionsfähig macht. Sie wirkt im Verborgenen und wird erst dort sichtbar, wo sie gebrochen wird. Eine Norm wird von der Gesellschaft, die sie stützt, häufig als absolut und in sich geschlossen betrachtet. Tatsächlich ist sie jedoch ein Spiegel der gegenwärtigen Ziele, Bestrebungen und Ängste dieser Gesellschaft. Eine Person, die gegebenen Normen - wie z. B. Schönheit, Leistungsfähigkeit und Flexibilität - nicht entspricht, rückt diese Normen ins Bewusstsein und stellt sie gleichzeitig in Frage. Sie repräsentiert eine Leerstelle im System, die - in diesem Fall als behindert - definiert und bewertet werden muss (Vgl. Egger, 1999, S. 5 ff.).

Cloerkes kritisiert an derartigen medizinisch-juristischen Definitionen, dass sie sich vor allem an der funktionalen Beeinträchtigung orientieren. Sie klammern den Menschen aus und besagen nichts über die Auswirkungen auf dessen Lebensgestaltung (Vgl. Cloerkes, 1997, S. 4).

Im Behindertengesetz des Landes Steiermark zielt die Definition von Behinderung vor allem auf bestimmte Auswirkungen der Schädigung auf die Lebenssituation der betroffenen Personen ab:

"Als Behinderte im Sinne dieses Gesetzes gelten Personen, die infolge eines angeborenen oder erworbenen Leidens oder Gebrechens ... in der Möglichkeit ... eine angemessene Erziehung, Schulbildung oder Berufsausbildung zu erhalten oder ... eine ihnen auf Grund ihrer Schul- und Berufsausbildung zumutbare Beschäftigung zu erlangen oder beizubehalten oder ... eine angemessene Eingliederung in die Gesellschaft zu erreichen, dauernd wesentlich beeinträchtigt sind oder bei Nichteinsetzen von Maßnahmen nach diesem Gesetz dauernd wesentlich beeinträchtigt bleiben würden." (Gesetz vom 10. Februar 2004 über Hilfeleistungen für Menschen mit Behinderung, § 2. Abs. 2.)

Eiermann et al kritisieren, dass Behinderung häufig als Persönlichkeitsmerkmal verstanden wird. "Damit verschwindet aber aus dem Blick, was ein Mensch sonst ist, außer dass sie oder er in einem bestimmten Teilbereich etwas ´nicht kann´. Es wird ausgeblendet, dass Menschen vor allem dadurch behindert werden, dass ihnen die Möglichkeit der Teilhabe und der Kompensation von Einschränkungen vorenthalten wird." (Eiermann et al, 2000, S. 34)

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat eine Klassifikation entwickelt, in der zwischen drei Dimensionen von Behinderung unterschieden wird, und die auch den gesellschaftlichen Aspekt mit einbezieht:

"´Impairment´ (medizinisch diagnostizierbare Schädigung des Organismus)

´Disability´ (aus dem ´Impairment´ resultierende Einschränkung, Funktionen und Aktivitäten so auszuüben, wie sie innerhalb einer Bandbreite als normal für Menschen betrachtet werden) und ´Handicap´ (Benachteiligung, die die Erfüllung der je nach Alter, Geschlecht, sozialen und kulturellen Faktoren für das Individuum sonst entsprechenden ´normalen´ Rolle begrenzt oder verhindert)" (WHO 1980, nach Eiermann et al, 2000, S. 34).

Hierbei wird kritisch angemerkt, dass auch die WHO-Klassifikation von einem generellen Normalitätsverständnis ausgeht, dass die Relativität jeder Norm unberücksichtigt lässt. Des Weiteren orientiert sich diese Klassifikation ausschließlich an Defiziten und vernachlässigt spezielle Erfahrungen und besondere Fähigkeiten, die behinderten Menschen eigen sind (Vgl. ebd., S. 34 f.).

Im wissenschaftlichen Bereich wurden von der Heil- und Sonderpädagogik häufig Definitionen übernommen, die den medizinischen Aspekt - also die Schädigung - in den Vordergrund stellen.

In der Definition von Bleidick sind alle Aspekte der WHO-Klassifikation enthalten: "Als behindert gelten Personen, die infolge einer Schädigung ihrer körperlichen, geistigen und seelischen Funktionen so weit beeinträchtigt sind, dass ihre unmittelbaren Lebensverrichtungen oder ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft erschwert werden." (Bleidick, 1992, S. 12, zit. nach Cloerkes, 1997, S. 4)

Schönwiese kritisiert sowohl den medizinisch-naturwissenschaftlichen Ansatz als auch die lineare Denkweise der WHO-Klassifikation. In allen derartigen Definitionen wird Behinderung als ein für sich existierendes Faktum gesehen. Im Sinn eines Ursache-Wirkungs-Schemas werden Merkmale und Eigenschaften behinderter Menschen als rein personale Qualitäten der betroffenen Personen gesehen und als Auslöser sozialer Reaktionen betrachtet. Tatsächlich muss Behinderung jedoch als ein sozial konstruiertes Phänomen begriffen werden, dessen Bewertung sich auf dem Hintergrund historisch-gesellschaftlicher Wertvorstellungen und Hierarchien vollzieht (Vgl. Schönwiese, 1998).

Diese Sichtweise spiegelt sich auch in der soziologischen Definition von Cloerkes wider, die deutlich macht, dass Behinderung vor allem durch die Bewertung eines bestimmten Merkmales durch die Allgemeinheit bedingt wird: "Eine Behinderung ist eine dauerhafte und sichtbare Abweichung im körperlichen, geistigen oder seelischen Bereich, der allgemein ein entschieden negativer Wert zugeschrieben wird." (Cloerkes, 1997, S. 6)

"Ein Mensch ist behindert, wenn erstens eine solche Abweichung von wie auch immer definierten gesellschaftlichen Erwartungen vorliegt und wenn zweitens deshalb negativ auf ihn reagiert wird. Es kommt also auf die soziale Reaktion an. Sie ´schafft´ Behinderungen und Behinderte." (Ebd., S. 75)

Cloerkes verweist ebenfalls darauf, dass Behinderung keine absolute Größe darstellt, sondern im Hinblick auf die konkrete Lebensführung einer betroffenen Person in ganz unterschiedlichem Maß wirksam wird. Entscheidend ist nicht die Schädigung an sich, sondern die Folgen für den betroffenen Menschen, und diese können in einzelnen Lebensphasen bzw. Lebenssituationen ganz unterschiedlich sein. Von der Allgemeinheit wird den einzelnen Behinderungen jedoch ein gleichbleibend negativer Wert zugemessen, was sich z. B. in Klassifizierungen wie einem Grad der Behinderung in Prozenten ausdrückt (Vgl. ebd., S. 7 f.).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass jene Sicht- und Definitionsweisen, die Behinderung als individuelles und unveränderbares Merkmal einer Person betrachten, im Alltag dominieren, was sich z. B. in der Gesetzgebung widerspiegelt. Aber auch in der wissenschaftlichen Behindertenpädagogik ist dieser Ansatz noch weit verbreitet. In neueren wissenschaftlichen Arbeiten - vor allem dort, wo behinderte Menschen direkt am Forschungsprozess beteiligt sind - wird auf die Relativität von Behinderung im Hinblick auf soziale Normen und Umweltbedingungen verwiesen. Behinderte Menschen erfahren die Auswirkungen der jeweiligen Sichtweisen ganz konkret in Einstellungen und Verhaltensweisen, die ihnen entgegengebracht werden.

2.2. Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber behinderten Menschen

Nach Hensle werden soziale Einstellungen zum allergrößten Teil nicht im Kontakt mit ihrem Objekt, sondern im Kontakt mit anderen Einstellungsträgern gelernt. So dürften auch Einstellungen gegenüber behinderten Menschen größtenteils ohne direkten Kontakt mit diesen erworben werden (Vgl. Hensle, 1988, S. 197).

Als Zusammenfassung der Ergebnisse verschiedener Untersuchungen bezüglich der in der Bevölkerung vorherrschenden Einstellung gegenüber Behinderten kommt Hensle zu folgender Bewertung: "Die Einstellungen der Bevölkerung gegenüber behinderten Personen sind ungünstig gefärbt. In der Interaktion wird Unsicherheit empfunden, Distanz grundsätzlich bevorzugt. Den Behinderten werden ungünstige Eigenschaften zugeschrieben, die mit der Behinderung als solcher nichts zu tun haben. Die Kenntnisse über Erscheinungsbilder und Ursachen von Behinderungen sind unzureichend, die Begriffe verschwommen." (Hensle, 1988, S. 196)

Cloerkes beschreibt Faktoren, die für die Einstellung gegenüber behinderten Menschen ausschlaggebend sind:

Wesentlichster Faktor ist die Art der Behinderung und hier vor allem das Ausmaß ihrer Sichtbarkeit, und das Ausmaß, in dem gesellschaftlich hochbewertete Funktionsleistungen wie Mobilität, Flexibilität, Intelligenz und Kommunikationsfähigkeit beeinträchtigt sind. Die objektive Schwere einer Behinderung ist kein ausschlaggebender Faktor, wohl aber das Ausmaß, in dem sie als angstauslösend bzw. bedrohlich empfunden wird. So werden geistige und psychische Behinderungen wesentlich negativer bewertet als körperliche. Persönlichkeitsmerkmale der Einstellungsträger bzw. Bildung und sozioökonomischer Status haben keinen wesentlichen Einfluss auf die Einstellung zu behinderten Menschen. Bei Frauen und jüngeren Personen ist die Akzeptanz allgemein höher als bei Männern bzw. Personen, die älter als fünfzig Jahre sind. In jedem Fall ist nachgewiesen, dass ein höherer Bildungsgrad und sozioökonomischer Status auch in Verbindung mit einem hohen Faktenwissen über Behinderungen noch lange kein Indikator für eine positivere Haltung gegenüber behinderten Menschen ist. Cloerkes stellt fest, dass es sich bei Einstellungen zu behinderten Menschen offenbar um sehr starre und grundlegende Haltungen handelt, die sich seit Beginn der Achtzigerjahre auch nicht wesentlich verändert haben (Vgl. Cloerkes, 1997, S. 77 f.).

Dies ist insofern bemerkenswert, als seit Beginn der Achtzigerjahre die Integration behinderter Menschen in allen Lebensbereichen verstärkt diskutiert, und z. B. im Bereich der Schule zum Teil auch praktiziert wird.

Der Stigmaansatz Erving Goffmans wurde unter anderem anhand von Beispielen der sozialen Situation behinderter Menschen entwickelt und bietet eine umfassende Charakteristik der Lebenssituation sozialer Randgruppen.

Nach der Definition Goffmans hat ein Individuum dann ein Stigma, wenn es in unerwünschter Weise anders ist, als seine Umwelt es antizipiert hätte (Vgl. Goffman, 1988, S. 9 ff.). Die Grundcharakteristik dieser Situation beschreibt er wie folgt: "Ein Individuum, das leicht im gewöhnlichen sozialen Verkehr hätte aufgenommen werden können, besitzt ein Merkmal, das sich der Aufmerksamkeit aufdrängen und bewirken kann, dass wir uns bei der Begegnung mit ihm abwenden, wodurch der Anspruch, den seine anderen Eigenschaften an uns stellen, gebrochen wird." (Goffman, 1988, S. 13) Eine Person mit einem Stigma wird nach Goffman für "nicht ganz menschlich" gehalten. Daher konstruiert man Theorien, die ihre Inferiorität erklären und die Gefährdung durch den Stigmatisierten nachweisen sollen. Damit werden auch Diskriminierungen rationalisiert.

Aufgrund eines Stigmas erfolgt die Generalisierung, indem auf Basis einer Unvollkommenheit eine ganze Kette anderer konstruiert wird. So erfahren erwachsene bewegungs- oder sinnesbehinderte Menschen in Interaktionen manchmal eine Behandlung, wie sie kleineren Kindern gerecht würde, da aufgrund ihrer körperlichen Behinderung auch eine Beeinträchtigung ihrer geistigen Fähigkeiten antizipiert wird.

Ebenso können dem stigmatisierten Individuum aber gleichzeitig in bestimmten Bereichen übernatürliche Fähigkeiten - z. B. das angebliche Vermögen blinder Menschen, den Interaktionspartner bis ins Innerste seiner Seele zu durchschauen - zugeschrieben werden.

Defensive Reaktionen von Stigmatisierten auf ihre Situation und die Behandlung durch nicht Stigmatisierte werden als direkter Ausdruck des Stigmas eingestuft (Vgl. ebd., S. 13 ff).

Mit der Stigmatisierung und Generalisierung geht auch ein Rollenverlust der betroffenen Person einher, der sich nicht nur auf solche Rollen beschränkt, die mit dem primären Merkmal unmittelbar zusammenhängen, wie z. B. das Führen eines Fahrzeuges bei blinden Personen. Die Aberkennung sozialer Rollen kann sich auf alle Lebensbereiche beziehen - Erwerbsfähige, Ehepartnerin, Mutter usw. - und im Extremfall bis zur Aberkennung des Lebensrechtes führen (Vgl. Hohmeier, 1975, S. 6 ff.; zit. nach Hensle, 1988, S. 212 f.).

Goffman unterscheidet zwischen diskreditierten und diskreditierbaren Individuen. Das Stigma des Diskreditierten ist offensichtlich und jedermann bekannt. Der Diskreditierbare hingegen ist eine Person, deren Andersartigkeit nicht bzw. nicht in jeder Situation offensichtlich und daher nicht allgemein bekannt ist. Hier geht es vor allem darum, die Information über den "Fehler" zu steuern, was hauptsächlich durch Täuschen geschieht (Vgl. Goffman, 1988, S. 56 ff.).

Wie evident ein Stigma für Interaktionspartner wird, ist in jedem Fall situationsabhängig. Dies gilt auch für Behinderungen. Eine gehörlose Besucherin einer Galerie, eine blinde Person während eines Telefonates oder eine an einem Tisch sitzende bewegungsbehinderte Rollstuhlbenutzerin befinden sich in der Situation der Diskreditierbarkeit. Sie können in Interaktionen versuchen, die Situation so zu steuern, dass ihre Behinderung nicht offenkundig wird, oder mehr oder weniger direkt darauf hinweisen.

In gemischten sozialen Kontakten von behinderten Personen mit nicht behinderten treten auf beiden Seiten Interaktionsspannungen auf, die von Seywald wie folgt beschrieben werden:

Bei den nicht behinderten Teilnehmern entstehen sie aus der Diskrepanz zwischen der Tendenz zur Generalisierung aufgrund des Merkmales der Behinderung und der Notwendigkeit, sich an die sogenannte "Irrelevanzregel" zu halten. Diese gesellschaftliche Norm schreibt vor, dass die Behinderung der Interaktionspartner ignoriert werden muss, als sei sie nicht vorhanden. Oberflächlich betrachtet könnte dieses Verhalten als Ausdruck von Höflichkeit gewertet werden, für Seywald ist es jedoch ein Ausdruck der affektiven Ablehnung des "übersehenen" Merkmals. Die Irrelevanzregel wird in der Sozialisation immer dort vermittelt und gelernt, wo Kindern das offen gezeigte Interesse an den Merkmalen behinderter Menschen untersagt wird. Diese Spannungssituation bewirkt häufig, dass nichtbehinderte Personen den direkten Kontakt mit behinderten meiden bzw. rasch wieder zu beenden suchen.

Beim behinderten Menschen entstehen Interaktionsspannungen in gemischten sozialen Kontakten durch gegensätzliche Rollenerwartungen an ihn. Laien erwarten im allgemeinen eine durchwegs hilfsbedürftige, schwache Person; soziale Kontrollinstanzen und Professionelle dagegen leistungsbereite, nach Selbständigkeit strebende Rehabilitanden (Vgl. Seywald, 1976, S. 56 ff; zit. nach Hensle, 1988, S. 218 f.).

Nach Cloerkes führt die Begegnung mit einem behinderten Menschen und die Konfrontation mit dessen Abweichungen beim nicht behinderten häufig zu psychischen Reaktionen wie Unbehagen, Angst, Abscheu oder Verhaltensunsicherheit. Daher werden solche Begegnungen möglichst vermieden, und es wird versucht, Distanz herzustellen. Aggressive Verhaltensweisen wie Anstarren, diskriminierende Äußerungen, Witze, Spott bis hin zu Vernichtungstendenzen dienen ebenso der Abgrenzung wie Verhaltensweisen, die auf den ersten Blick positiv erscheinen, so z. B. Äußerungen von Mitleid, aufgedrängte Hilfe, unpersönliche Hilfe in Form von Spenden und Scheinakzeptierung. Dagegen kommt echtes Engagement für behinderte Menschen ohne implizite Abwertung, Entlohnungs- oder Dankbarkeitserwartungen vergleichsweise selten vor (Vgl. Cloerkes, 1997, S. 79 ff.).

Egger sieht diese implizite Abwertung zum Beispiel in überfürsorglichen Hilfeleistungen, die behinderten Menschen manchmal regelrecht aufgedrängt werden: "Dir fehlen die nötigen Voraussetzungen, um Dich in unserem System bewähren zu können, Du bist zu langsam, zu schwach und zu unbeweglich, ich zeig dir wie es geht... Du wirst nie der Norm entsprechen, und deshalb bist Du mir auch nicht gleichgestellt; es darf nicht sein, dass Du dieselben Handlungen ausübst wie ich - ich bin schneller und geschickter als Du - ich helfe Dir." (Egger, 1999, S. 33) Gleichzeitig wird damit auch versucht, ein antizipiertes normabweichendes Verhalten vorzeitig zu unterbinden.

Egger setzt sich mit der Institutionalisierung von Behinderung bzw. von behinderten Menschen auseinander und stellt dazu fest, dass die "Behinderteninstitutionen", zu denen sie sowohl alle Sondereinrichtungen wie Kindergärten, Schulen, Werkstätten für Behinderte, Wohn- und Pflegeheime als auch den Rehabilitationsbereich zählt, in ihrer bewertenden und ausschließenden Wirkung ganz wesentlich zum Stigmatisierungsprozess beitragen. Der Lebenslauf behinderter Menschen ist häufig von Eingriffen unterschiedlicher Institutionen geprägt, die auch die gesellschaftliche Positionierung der betroffenen Menschen bestimmen. Egger sieht Behinderung als ein gesellschaftliches Konstrukt, das eine insgesamt stabilisierende Funktion hat, indem es die Möglichkeit der Abgrenzung bietet. Dementsprechend erfüllen Sonderinstitutionen für behinderte Menschen zwei Funktionen: Sie stellen die Abgrenzung sicher - ">Behinderte< sollen das Fremde, Unheimliche bleiben, deshalb verwahrt man sie in den für sie erbauten Anstalten." Gleichzeitig wird dieses "Fremde" definiert und in Kategorien - nach Behinderungsarten - eingeteilt und mit entsprechenden Zuschreibungen versehen (Vgl. ebd., S. 35 ff.).

Miles-Paul verweist darauf, dass im geschlossenen sozialen System einer Institution Personal und Fachleute weitgehende soziale Kontrolle über die Insassen ausüben. Dies ist gesellschaftlich erwünscht, was vor allem durch die Tatsache verdeutlicht wird, dass Institutionen für behinderte Menschen durch gesetzliche Regelungen und Subventionen wesentlich stärker gefördert werden als Organisationsformen und Beratungsstellen, die behinderten Menschen ein selbstbestimmtes Leben in eigener Wohnumgebung ermöglichen (Vgl. Miles-Paul, 1992, S. 54 f.).

2.3. Zur Rolle des behinderten Menschen in der Gesellschaft

In diesem Kapitel möchte ich die gesellschaftliche Rolle des bzw. der Behinderten, und deren Implikationen kurz beschreiben. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit soll die Behindertenrolle der Mutterrolle gegenübergestellt und daraus Erkenntnisse über die Einstellungen zur Mutterschaft behinderter Frauen gewonnen werden.

2.3.1. Der Begriff der sozialen Rolle

"Soziale Rollen bezeichnen Ansprüche der Gesellschaft an die Träger von sozialen Positionen." (Darendorf, 1969, S. 33; zit. nach Cloerkes, 1997, S. 141)

Menschen nehmen gleichzeitig und nacheinander verschiedene soziale Positionen ein, die sie selbst erworben haben oder die ihnen zugeschrieben wurden. An diese Positionen sind Erwartungen der Gesellschaft an Verhaltensweisen und Handlungen ihrer Inhaber geknüpft. Abweichungen vom erwarteten Verhalten werden sanktioniert. Rollenverhalten ist erwartungskonformes Verhalten in einer bestimmten sozialen Position, z. B. als Mutter, Student oder Patient. Menschliches Handeln ist überwiegend Rollenhandeln, also ausgerichtet an den Erwartungen anderer. Die Übernahme vieler sozialer Rollen erfolgt im Rahmen der Sozialisation. Dauerhaftes Zuwiderhandeln führt zur Zuschreibung bzw. Übernahme einer neuen Rolle, z. B. der Deviantenrolle (Vgl. Cloerkes, 1997, S. 141).

2.3.2. Die Behindertenrolle

Bei seiner Beschreibung der Behindertenrolle vergleicht Cloerkes zwei Ansätze. In beiden wird Behinderung als eine Form abweichenden Verhaltens verstanden.

Nach dem prozessualen Ansatz ist das Ausmaß sozialer Reaktionen auf ein abweichendes Verhalten davon abhängig, wie groß die Abweichung von einer Norm ist und inwieweit das Individuum für diese verantwortlich gemacht wird. Im Falle der Verantwortlichkeit für das abweichende Verhalten kommt es zu Sanktionen, wie z. B. bei Kriminalität; im Falle der Nichtverantwortlichkeit gelten die Konsequenzen der Abweichung als legitim und die Person wird vorübergehend oder dauerhaft von bestimmten Verpflichtungen, die sich aus ihrer sozialen Rolle ergeben, entbunden - z. B. bei Krankheit. Die Behindertenrolle ist nach diesem Schema ambivalent, weil das Individuum für seine Abweichung zwar nicht verantwortlich gemacht wird (zumindest ist dies die offiziell sozial erwünschte Sichtweise), die Konsequenzen der Abweichung werden jedoch sanktioniert, z. B. durch Diskriminierungen, Institutionalisierung von behinderten Menschen usw. Beim Kranken hat sich die Umgebung an die Gegebenheiten anzupassen. Bei behinderten Menschen wird jedoch erwartet, dass sie sich anpassen müssen, wenn sie mit nicht Behinderten zusammen sein wollen.

Nach dem strukturellen Ansatz ist die Behindertenrolle Ausdruck der Anpassung des behinderten Menschen an Rollenerwartungen, die seinem Zustand "angemessen" sind. Die Behindertenrolle ist vordefiniert, und der Betroffene wird in sie sozialisiert. In diesem Ansatz wird die Behindertenrolle überwiegend positiv beurteilt, weil sie in Interaktionen Klarheit schafft und den behinderten Menschen vor Überforderung und Sanktionierungen schützt. Ein niedrigeres Lebensniveau und geringere Chancen zur sozialen Teilhabe sind ein "angemessener Preis" für die Abgrenzung von der Deviantenrolle.

Cloerkes stellt zu diesem Ansatz fest, dass er die realen Gegebenheiten gut abbildet, kritisiert aber gleichzeitig, dass gesellschaftliche Normen und Rollenerwartungen nicht hinterfragt werden und Behinderung als absolute Kategorie gesehen wird. Soziale Integration behinderter Menschen ist nach diesem Ansatz unmöglich. Von ihnen wird Anpassung gefordert, während ihre Interessen nicht berücksichtigt werden (Vgl. Cloerkes, 1997, S. 142 ff.).

Die Verhaltenserwartungen, die mit der Zuschreibung der Behindertenrolle verbunden sind, spiegeln die Einstellung zu Behinderung bzw. behinderten Menschen wider.

Goffman führt in seiner Stigmatheorie aus, dass vom Stigmatisierten verlangt wird, sich unter dem Gesichtspunkt der weiteren Gesellschaft zu sehen. Wer die von Professionellen bzw. der Gesellschaft verfochtene Linie verfolgt, dem wird Reife und gute persönliche Anpassung bescheinigt. Wird die vorgegebene Linie vom stigmatisierten Individuum nicht vertreten, führt dies oft zur Zuschreibung psychischer Ursachen. In gemischten sozialen Situationen sollte das stigmatisierte Individuum den "Normalen" helfen, auf Unfreundlichkeit oder Beleidigung nicht in derselben Weise antworten, sondern mit Verständnis und Geduld die nicht Stigmatisierten umerziehen und ihnen behutsam klar machen, dass es auch ein menschliches Wesen ist. Die nicht Stigmatisierten erhoffen zu ihrer eigenen Erleichterung vom stigmatisierten Individuum immer wieder Hinweise darauf, dass es in der Lage ist, seinen Fehler spielend hinzunehmen. Die Umwelt erwartet vom stigmatisierten Individuum aber auch, "dass es seinen Platz kennt", d. h. nicht tut, was über das hinausgeht, was die "Normalen" für angemessen halten. Überschreitet die betreffende Person diese Grenze, reagiert die Umwelt ablehnend oder zumindest peinlich berührt (Vgl. Goffman, 1988, S. 143 ff).

Seywald konkretisiert, dass die Gesellschaft im Falle des Stigmas der Behinderung von den betroffenen Menschen unter anderem ein gewisses Maß an permanenter Trauer und daraus folgender Zurückhaltung in verschiedenen Lebensbereichen erwartet: "Im Gegensatz zu dem um einen Angehörigen Trauernden, der den Verlust nach Ablauf eines Jahres offiziell überwunden hat und sich dann wieder seines Lebens freuen darf, erwarten viele ´Normale´ vom schwer Behinderten die niemals endende Vorführung einer Lebenstragödie, und sie sind offenbar schockiert, wenn er Regungen weltlicher Sinneslust oder gar ´Vergnügungssucht´ offenbart." (Seywald, 1976, S. 123; zit. nach Hensle, 1988, S. 221)

In dieser Beschreibung deutet sich bereits die weithin verbreitete Einstellung zur Sexualität behinderter Menschen an, die auch im Hinblick auf die Einstellung zur Mutterschaft behinderter Frauen relevant ist und deshalb in dieser Arbeit noch genauer thematisiert werden soll.

Schopmans stellt fest, dass die gesellschaftlich definierte Behindertenrolle eine überwiegend verzichtende Grundhaltung verlangt. Keine eigenen Ansprüche zu stellen und "pflegeleicht" zu sein, sind Vorraussetzungen für eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz behinderter Menschen (Vgl. Schopmans, 1991 S. 20 f.).

Nach Miles-Paul beinhaltet die Behindertenrolle eine gewisse Verkindlichung der behinderten Person. Die scheinbare "Entlastung" von familiären, beruflichen und gesellschaftlichen Verantwortungen bedeutet für die Betroffenen gleichzeitig die Verweigerung gesellschaftlicher Teilhabe und des vollen Persönlichkeitsrechtes (Vgl. Miles-Paul, 1992, S. 52 f.).

Behinderte Menschen erfahren in ihrer Auseinandersetzung mit der ihnen von der Gesellschaft zugewiesenen Rolle laufend, dass zahlreiche soziale Kontrollinstanzen darum bemüht sind, diese Rolle auch gegen ihren Willen durchzusetzen. Inwieweit eine behinderte Person in der Lage ist, eine eigenständige Position und Rolle in der Gesellschaft zu finden und auch durchzusetzen, hängt nicht nur von ihrer physischen und psychischen Konstitution, sondern von zahlreichen Faktoren des persönlichen Lebenszusammenhanges ab.

2.4. Identitätsentwicklung unter dem Einfluss gesellschaftlicher Ausgrenzung

Während im allgemeinen Verständnis immer davon ausgegangen wird, dass die Art einer Behinderung die Identität des betroffenen Menschen bestimmt, verweist Meier-Rey darauf, dass es - mit Ausnahme gehörloser Menschen - nur wenige wissenschaftliche Arbeiten zu dieser Frage gibt und keinerlei empirische Ergebnisse zu einer behinderungsspezifischen Identitätsentwicklung vorliegen (Vgl. Meier-Rey, 1994, S. 72 ff.).

Es ist also davon auszugehen, dass die soziale Situation behinderter Menschen deren Identitätsentwicklung wesentlich stärker prägt, als die Behinderung als solche. Im Folgenden werden einige Theorien zu dieser Frage zusammengefasst.

Nach Goffmans Darstellung wird das stigmatisierte Individuum in dieselben Auffassungen über seine Person sozialisiert, wie seine Umwelt sie vertritt. Gesellschaftliche Standards werden übernommen, und durch die Behandlung in der Gesellschaft wird dem stigmatisierten Individuum ständig verdeutlicht, was die andern als "seinen Fehler" sehen. Daher muss es zu der Einsicht kommen, dass es hinter das zurückfällt, was es eigentlich sein sollte. Die Einstellung zu den abweichenden Attributen kann nur negativ sein. Es kommt zu einer Spaltung zwischen Ichideal und Ich.

Als ein zentrales Merkmal im Leben des stigmatisierten Individuums sieht Goffman den Mangel an Respekt und Beachtung durch die Umwelt, und die Überzeugung der betroffenen Person, dass einige ihrer Eigenschaften diese Haltung rechtfertigen. Als mögliche Reaktionen werden genannt:

  • Versuch der Korrektur des "Fehlers", wobei sich die Betroffenen häufig mehr oder weniger kompetenten und seriösen "Experten" der unterschiedlichsten Richtungen praktisch ausliefern;

  • besondere Anstrengungen, um sich Lebensbereiche, Tätigkeiten, gesellschaftliche Positionen zu erschließen, die Trägern des jeweiligen Merkmals allgemein nicht zugetraut oder zugestanden werden (= indirekte Korrektur);

  • Nutzung des Stigmas für "sekundäre Gewinne" und Abwehr von Anforderungen;

  • Erkenntnis der "Grenzen der Normalen" und dass Leiden über das Leben und die Menschen belehren kann (Glück im Unglück)

(Vgl. Goffman, 1988, S. 16 ff.).

Ernst Klee spricht vom "entfremdeten Bewusstsein" behinderter Menschen und meint damit die verinnerlichte Überzeugung der Minderwertigkeit, die entsteht, wenn behinderte Personen sich immer an den Maßstäben nichtbehinderter messen lassen müssen, denen sie naturgemäß nicht genügen können. Dieses entfremdete Bewusstsein ist allen Bevölkerungsgruppen gemeinsam, die an den Existenzrand gedrängt wurden. Es blockiert die Erkenntnis gesellschaftlicher Zusammenhänge, weil diese für den Einzelnen bedrohlich erscheint. So kommt Wille zum Widerstand erst gar nicht auf. Behinderte Menschen sind häufig in existenzieller Weise von der Hilfe anderer - Familienangehörige, Pflegepersonal, Arbeitskollegen usw. - abhängig und leben - häufig durchaus berechtigt - mit der ständigen Angst vor dem Verlust der Unterstützung bzw. Repressalien, wenn sie sich gegen die Erwartungen dieser Personen auflehnen. Das Unterlegenheitsgefühl kann, so Klee, nicht nur die individuelle Leistungsfähigkeit herabsetzen, sondern führt auch zu einer Art Gruppendruck auf den einzelnen behinderten Menschen, die Grenzen der von nichtbehinderten Personen festgelegten Normen nicht zu überschreiten. So besteht die starke Tendenz innerhalb und zwischen Behindertengruppen, endlose Streitigkeiten um Kompetenzen und knappe Ressourcen zu führen, ohne jene anzugreifen, die für die Misere tatsächlich verantwortlich sind. Die Aggressionen werden in der eigenen Gruppe ausgetragen, anstatt Forderungen an verantwortliche Stellen selbstbewusst heranzutragen (Vgl. Klee, 1987, S. 133 ff.).

Bei Cloerkes findet sich eine differenzierte Darstellung der Auswirkungen eines Stigmas auf die Identität der betroffenen Person. Er kritisiert zunächst, dass in der Sonderpädagogik Identitätsstörungen bei behinderten Menschen als zwangsläufig angesehen werden, und zwar nicht nur als Folge des Stigmatisierungsprozesses, sondern als Konsequenz der Behinderung. Das Bild von behinderten Menschen in der Sonderpädagogik ist nach Cloerkes vielfach das von defizitären Wesen, denen selbst eine so elementare Fähigkeit wie die zur Stabilisierung der Ich-Identität angesichts unterschiedlicher Einflüsse fehlt. Auch in aktuellen Lehrbüchern werden den einzelnen Behinderungsarten Listen von negativen Persönlichkeitsmerkmalen der betroffenen Menschen zugeordnet. Somit werden auch von sogenannten "Behindertenexperten" eindeutige Stigmatisierungen vorgenommen, und es zeigt sich, dass sich die Menschenbilder von Laien, wissenschaftlichen Experten und professionellen Helfern im Hinblick auf behinderte Menschen in eindrucksvoller und fataler Weise ähneln und eine Sicht offenbaren, die den Vorurteilen gegenüber behinderten Menschen entspricht. Cloerkes stellt mit Verweis auf Goffman fest, dass Identitätsprobleme sicher keine Spezialität behinderter Menschen sind, und fordert von der Sonderpädagogik, den Stigmafaktoren mehr Aufmerksamkeit zu schenken (Vgl. Cloerkes, 1997, S. 158 f.).

Cloerkes stellt das Modell der Entstehung von Ich-Identität nach Frey vor, in dem dargestellt wird, wie Probleme aufgrund der Ambivalenz zwischen Selbstbild und wahrgenommenem Fremdbild von stigmatisierten Personen bearbeitet werden können. Danach ist Identität eine Integrationsleistung zwischen dem Selbstbild, dem vom Individuum erfahrenen Fremdbild und dem tatsächlichen Fremdbild, das andere von ihm haben. Differenzen zwischen den Bildern werden in diesem Integrationsprozess ausbalanciert. Identität integriert Selbstbild und wahrgenommenes Fremdbild, leitet das Handeln an und bestimmt die Selbstdarstellung. Diese Selbstdarstellung des Individuums kann vom Selbstbild abweichen. Bei behinderten Menschen weicht die Selbstwahrnehmung häufig stark von der erfahrenen Fremdwahrnehmung, die diverse Zuschreibungen aufgrund der Behinderung beinhaltet, ab. Daraus entsteht beim betroffenen Menschen ein Konflikt zwischen der Anpassung an die Anforderungen von außen und der Wahrung seines Selbstbildes. Das Individuum hat verschiedene Strategien zur Verfügung, neue und unangenehme Informationen, die sein Selbstbild bedrohen, abzuwehren, indem es sie herunterspielt, übersieht oder durch Höherbewertung von positiven Informationen entwertet. Auf diese Weise ist es möglich, negative Aspekte des wahrgenommenen Fremdbildes teilweise oder ganz auszublenden und trotz negativer Zuschreibungen ein positives Selbstbild zu bewahren. Des Weiteren kann das Individuum versuchen, das Bild der Umwelt von ihm durch verschiedene Handlungen und Argumente zu korrigieren, z. B. indem es die Glaubwürdigkeit von Kritikern in Frage stellt, seine anderen Qualitäten betont bzw. Mängel durch besondere Leistungen kompensiert. Es kann unangenehme Interaktionen abbrechen und nach anderen Interaktionspartnern suchen. Wenn diese Strategien keine oder keine ausreichende Wirkung zeigen, entsteht ein starker Druck, das Selbstbild dem wahrgenommenen Fremdbild anzupassen. Dann werden Teile dieses Fremdbildes in das Selbstbild übernommen, und damit bewirkt Stigmatisierung eine Übernahme der abwertenden Sichtweise durch den Betroffenen. In der Selbstdarstellung eines Menschen ist sein Selbstbild nicht unbedingt erkennbar, denn jeder Mensch versucht sich seiner Umwelt so zu präsentieren, wie er gerne gesehen werden möchte. Soll die Selbstdarstellung überzeugen, muss sie aber den Erwartungen der Umwelt angepasst werden und das Individuum muss einen Kompromiss zwischen seinem Selbstbild, den wahrgenommenen Umweltanforderungen und weiteren Rahmenbedingungen suchen. Oft begrenzen daher auch Umweltbedingungen die Möglichkeiten eines Individuums, das Bild, das seine Umwelt von ihm hat, zu beeinflussen (Vgl. ebd., S. 160 ff.).

Dies trifft für behinderte Menschen häufig zu. Oft sind es Umweltbedingungen, wie Barrieren im baulichen Bereich oder bei Kommunikationssystemen, die Menschen daran hindern, ihre Fähigkeiten einzusetzen, und ihre Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe beschränken. Sie sind dann auf Hilfe anderer angewiesen, was von der Gesellschaft jedoch nicht als eine Folge der Umweltbedingungen, sondern als Folge der Behinderung und Ausdruck von Unfähigkeit gesehen wird. Somit verfestigt sich die defizitorientierte Einstellung gegenüber behinderten Menschen.

Cloerkes geht davon aus, dass behinderte Menschen über besonders ausgeprägte identitätsfördernde Strategien verfügen, wie sie im Modell von Frey dargestellt wurden: "Sie sind vermutlich geübt im Bewahren von Distanz gegenüber der zugeschriebenen Rolle eines Behinderten. Sie zeigen im tagtäglichen Umgang mit nicht Behinderten ein hohes Maß an Empathie für deren Interaktionsprobleme (jedenfalls notwendigerweise mehr als umgekehrt). Sie müssen viel mehr Ambiguität und Ambivalenz aushalten als Menschen ohne Behinderungen, das heißt Erwartungsdiskrepanzen und unvollständige Bedürfnisbefriedigung ertragen, ... das stärkt. Und auch die Identitätsdarstellung als Präsentation eigener Erwartungen nach außen gehört zu den notwendigen Erfahrungen als Behinderter." (Cloerkes, 1997, S. 159)

2.5. Wege zur Einstellungsänderung und Entstigmatisierung

Angesichts der im vorhergegangenen Kapitel beschriebenen Diskrepanz zwischen dem Selbstbild behinderter Menschen und dem Bild, das die nicht behinderte Umwelt von diesen Personen hat, stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten zur Einstellungsänderung bestehen.

Cloerkes sieht die Chancen für eine weniger negative Bewertung von Behinderung aufgrund eines generellen Wertewandels in der Gesellschaft hin zu humaneren Werten und geringerer Leistungsorientierung eher skeptisch. Als sehr wohl veränderbar sieht er aber die sozialen Reaktionen auf behinderte Menschen. Dazu trägt eine Reduzierung subjektiver und objektiver Belastungen bei. Den hohen Belastungen einzelner Personen durch die Notwendigkeit von Hilfeleistungen und dem Entstehen von Abhängigkeitsverhältnissen kann durch die verstärkte Übernahme dieser Hilfeleistungen durch Dienstleistungssysteme entgegengewirkt werden, deren Kosten von der gesamten Gesellschaft getragen werden und auf die ein Anspruch durch den einzelnen behinderten Menschen besteht. Im Bereich der subjektiven Belastungen scheint für Cloerkes vor allem das Problem der Verhaltensunsicherheit im Kontakt mit behinderten Menschen durch frühzeitige Integration lösbar (Vgl. Cloerkes, 1997, S. 109 f.).

Während die massenmediale Vermittlung von Informationen über behinderte Menschen kaum etwas zur positiven Einstellungsänderung beiträgt, abhängig von der Art der Darstellung sogar einen eher verfestigenden oder gar verstärkenden Einfluss auf negative Einstellungen ausübt, können persönliche Kontakte mit behinderten Menschen sehr wohl eine positive Einstellungsänderung bewirken. Dabei ist nicht die Häufigkeit der Kontakte ausschlaggebend, sondern deren Qualität: Intensität, positive emotionale Besetzung und Freiwilligkeit sowie der gleichberechtigte Status der Beteiligten sind die ausschlaggebenden Faktoren. Diese Faktoren sind z. B. bei beruflichen Kontakten nicht behinderter mit behinderten Menschen häufig nicht gegeben. Cloerkes berichtet über Studien zur Einstellung von medizinischen Fachkräften gegenüber behinderten Menschen. Diese kommen zum Ergebnis, dass die Haltung dieser Personengruppe im Durchschnitt nicht anders ist als die von Laien (Vgl. ebd., S. 113 ff, u. S. 121 ff.). "Auffällig ist die hohe Diskrepanz zwischen hohem Fachwissen und zum Teil eindeutiger Ablehnung Behinderter bei Ärzten." (Ebd., S. 124)

Die wirksamste Strategie zum Abbau von Vorurteilen und der positiven Veränderung von Einstellungen durch Informationsvermittlung sind nach Cloerkes fundierte Informationen, die im direkten Kontakt von einer behinderten Person selbst präsentiert werden. Dementsprechend fordert er eine Stärkung der Handlungskompetenz behinderter Menschen. Voraussetzung dafür ist ein Umdenken und eine differenzierte Herangehensweise bei vielen sogenannten "Behindertenexperten". Die Person muss hervorgehoben werden, und eine konsequente Abgrenzung sowohl gegenüber dem Merkmal Behinderung als auch gegenüber der Behindertengruppe erfahren (Vgl. ebd., S. 109 u. S. 127).

Cloerkes wendet sich gegen "Sonderwelten" für behinderte Menschen sowohl im schulischen Bereich als auch im Hinblick auf Betreuung und Pflege. Gegen das Argument vieler Behindertenpädagogen, dass Sondereinrichtungen angesichts der Stigmatisierung behinderter Menschen einen notwendigen Schonraum darstellen, ohne den ihre Identitätsentwicklung gefährdet sei, führt er die Erkenntnisse des oben dargestellten Modells von Frey an: "Stigmatisierung hat ... nicht zwangsläufig zur Konsequenz, dass Betroffene ihr Leben fortan in einer völlig neuen, fremdbestimmten Rolle führen müssen und ihre Identität unwiederbringlichen Schaden nimmt. Stigmatisierte Individuen sind den Vorgängen nicht hilflos ausgeliefert, sondern sehr oft in der Lage, sich selbst und ihre Identität hinreichend zu schützen. Das mag uns überraschen, weil wir uns zu sehr daran gewöhnt haben, in defizitären Kategorien über sie nachzudenken, ihnen Hilflosigkeit zuzuschreiben und ihnen Fähigkeiten zur Identitätserhaltung abzusprechen." (Ebd., S. 175/176) Dies ist aber keine Rechtfertigung dafür, unnötige Stigmatisierungsprozesse zu tolerieren. Stigmatisierung bedeutet immer eine fatale Gefährdung der Identität und psychischen Integrität. Die Identitätsentwicklung behinderter Menschen verläuft bei Integration besser. Die alten Bilder von behinderten Menschen lösen sich zugunsten realitätsnaher Vorstellungen auf. "Integration bietet keine Garantie für durchgängig vorurteilsfreie Meinungen und das Ausbleiben von Stigmatisierungen, aber sie trägt ganz entscheidend dazu bei, sich ungünstigen Einflüssen zu widersetzen und die eigene psychische Integrität zu bewahren." (Ebd., S. 181)

Mit dem im folgenden Kapitel vorgestellten Konzept eines selbstbestimmten Lebens behinderter Menschen wird bereits der nächste Schritt vollzogen. Dieses Konzept will die Voraussetzungen dafür schaffen, dass behinderte Menschen aktiv an allen Lebensbereichen teilhaben können, sodass sich eine Integration im Sinne eines nachträglichen Hineinführens einer bisher außerhalb stehenden Person letztendlich erübrigt.

2.6. Das Konzept eines selbstbestimmten Lebens behinderter Menschen

Dieses Konzept wurde von behinderten Menschen selbst anhand ihrer Alltagserfahrungen und der intensiven Auseinandersetzung mit ihren Möglichkeiten und Grenzen entwickelt und ist Ausdruck der Emanzipation von der Bevormundung durch Institutionen und nicht behinderte "Experten".

Anfang der Sechzigerjahre erkämpften sich an mehreren US-amerikanischen Universitäten schwer behinderte Menschen den Zugang zum Studium und die Möglichkeit, anstatt in Behindertenheimen in den auf dem Campus befindlichen Studentenwohnheimen zu leben. Dazu musste der Bedarf an Assistenz bei der Alltagsbewältigung und im Studium geklärt und organisiert werden. Aus diesen Studentengruppen entwickelte sich die Independent-Living-Bewegung, deren Ziel ein selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen außerhalb von Institutionen und die volle gesellschaftliche Teilhabe ist. Im Unterschied zum gängigen Wohlfahrtsschema sah sich die Independent-Living-Bewegung immer als Bürgerrechtsbewegung und wurde in den USA auch sehr bald als solche wahrgenommen. Durch intensive politische Arbeit und zahlreiche Protestaktionen erkämpfte die Independent-Living-Bewegung mehrere Gesetze, die Diskriminierungen aufgrund einer Behinderung unterbinden und behinderten Menschen einklagbare Rechte im öffentlichen Leben sichern. Aus Programmen, die die erforderlichen Dienstleistungen für behinderte Studierende anboten, entwickelten sich gemeindenahe Zentren, die Beratung und Dienstleistungen für ein Leben behinderter Menschen außerhalb von Institutionen anboten - Centres for Independent Living. (Vgl. Miles-Paul, 1992, S. 28 ff)

Parallel dazu entwickelte sich Anfang der Siebzigerjahre in Deutschland aus dem Protest gegen das bevormundende Hilfesystem eine Emanzipationsbewegung behinderter Menschen, deren vorrangiges Ziel die Schaffung von institutionsunabhängigen Hilfeleistungssystemen und daraus folgend die Selbstbestimmung behinderter Menschen war. Die zunächst voneinander unabhängigen Entwicklungen in den USA und Deutschland führten in den Achtzigerjahren zu einem weitgehend übereinstimmenden Selbstbestimmt-Leben-Konzept. (Vgl. Steiner, 1999)

Im Gegensatz zu den Begriffen unabhängig und selbständig, mit denen im Zusammenhang mit Behinderung oft die Ausübung von physischen Aktivitäten ohne fremde Hilfe verbunden werden, konzentriert sich der Begriff Independent Living bzw. Selbstbestimmtes Leben vorwiegend auf den Entscheidungsprozess. Miles-Paul zitiert dazu Judith Heumann, eine der Begründerinnen der Independent-Living-Bewegung: "Für uns bedeutet Independent Living nicht die eigenständige Ausübung von physischen Tätigkeiten. Es bedeutet, in der Lage zu sein, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. Es ist ein Denkprozess, unabhängig von einem ´normalen Körper´." (Miles-Paul, 1992, S. 18) Dementsprechend steht nicht die Quantität der Tätigkeiten, die behinderte Menschen ohne Hilfe ausführen können, sondern die Qualität des Lebens, das behinderte Menschen mit persönlicher Assistenz führen, im Vordergrund. The Institute for Rehabilitation and Research in Houston, Texas, veröffentlichte 1979 folgende Definition: Danach bedeutet selbstbestimmtes Leben "Kontrolle über das eigene Leben [ ...]. Dies umfaßt die Regelung der eigenen Angelegenheiten, die Teilnahme am täglichen Leben in der Gemeinde, die Ausübung einer Reihe von sozialen Rollen, das Treffen von Entscheidungen, die zur Selbstbestimmung führen und die Minimierung von physischen Abhängigkeiten von Anderen" (The Institute for Rehabilitation and Research, 1979, S. 5; zit. nach Miles-Paul, 1992, S. 19/20)

Ein wesentlicher Bestandteil des Selbstbestimmt-Leben-Konzeptes ist Peer Support bzw. Peer Counseling. Darunter wird die Beratung behinderter Menschen durch behinderte Menschen verstanden: "Peer Support ist Hilfe, die von einer behinderten Person zur Verfügung gestellt wird, die über behinderungsbedingte Erfahrungen und Kenntnisse sowie über Fähigkeiten, mit der eigenen Behinderung umzugehen, verfügt. Sie assistiert anderen behinderten Individuen und entscheidenden anderen Personen im Umgang mit ihren behinderungsspezifischen Erfahrungen." (Study Group on Peer Counseling as a Rehabilitation Ressource, 1981, S. 1; zit. nach ebd., S. 22) Behinderte Menschen geben als Experten in eigener Sache ihr Wissen und ihre Erfahrungen an andere Betroffene weiter. Als wichtigste Themen im Peer Support nennt Miles-Paul die Auseinandersetzung mit der eigenen Behinderung, das Erlernen von sozialen Fähigkeiten, Selbstbehauptung, die Erfüllung der Grundbedürfnisse, die Organisation der persönlichen Assistenz, Behinderung und Familie sowie Sexualität und Partnerschaft. (Vgl. ebd., S. 39)

"Im Peer Support wird also den behinderten Personen anstatt einer relativ passiven und Anweisungen folgenden Rolle eine aktive Rolle zugeschrieben, in der sie selbstverantwortlich Entscheidungen treffen und die Rechte und Pflichten, die mit dieser Rolle einhergehen in den Vordergrund gestellt werden. Auf diese Weise wird vielen KundInnen zum ersten Mal bewusst, dass sie für sich selbst verantwortlich sind, zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen und ihr Leben selbst in die Hand bzw. den Fuß nehmen können." (Ebd., S. 61/62)

Bis dies in der Praxis möglich ist, müssen behinderte Menschen jedoch häufig einen langen Lernprozess durchlaufen. Viele behinderte Menschen haben bedingt durch Überbehütung in der Familie oder ein Leben in Institutionen mit nur geringen Kontakten zur Außenwelt nicht die Möglichkeit, grundlegende soziale Fähigkeiten zu erlernen. Auch Personen, deren Behinderung erst im Erwachsenenalter eingetreten ist, erleben große Schwierigkeiten in Sozialkontakten. Behinderte Menschen, denen grundlegende soziale Fähigkeiten fehlen und die ein sehr negatives Selbstbild haben, sind jedoch nicht in der Lage, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Deshalb finden Betroffene emotionale und praktische Unterstützung in Peer-Support-Gruppen, in denen ein positives Selbstbild entwickelt, der Umgang mit der eigenen Behinderung sowie die kompetente Vermittlung der eigenen Bedürfnisse erlernt werden. Geleitet werden diese Gruppen immer von behinderten Personen, die über Erfahrungen in der Praxis einer selbstbestimmten Lebensführung verfügen und somit auch als positive Rollenvorbilder dienen.

Auch die politische Selbstvertretung behinderter Menschen ist ein zentrales Merkmal des Selbstbestimmt-Leben-Konzepts (Vgl. ebd., S. 67 ff.).

Die Unterschiede zwischen dem traditionellen Rehabilitationsparadigma und dem Selbstbestimmt-Leben-Paradigma fasst Dejong wie folgt zusammen:

Im Rehabilitationsparadigma ist das Problem in der körperlichen Einschränkung und den daraus folgenden verringerten Berufsmöglichkeiten definiert, und die Ursache dieses Problems liegt bei der behinderten Person. Die Lösung des Problems erfolgt mittels medizinischer und therapeutischer Maßnahmen, mit dem Ziel größtmöglicher selbständiger Durchführung von Alltagstätigkeiten durch den behinderten Menschen sowie Berufstätigkeit. Der behinderte Mensch befindet sich in der Rolle des Patienten und steht tonangebenden Fachprofis gegenüber.

Das Selbstbestimmt-Leben-Paradigma definiert das Problem in der Abhängigkeit des behinderten Menschen von anderen Personen (Angehörigen, Fachleuten usw.) und sieht die Ursachen in Umweltbedingungen und dem Rehabilitationsprozess. Die Problemlösung erfolgt über Beratung durch ebenfalls behinderte Personen, Rechtsbeistand, Selbsthilfe, Erlangung eigener Kontrolle über persönliche Angelegenheiten und Abbau von Umweltbarrieren. Ziel ist die Führung eines selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lebens. Der behinderte Mensch befindet sich in der Rolle des Kunden und gibt selbst den Ton an (Vgl. Dejong, 1982, zit. nach Miles-Paul, 1992, S. 69).

Für diese Arbeit bzw. die Analyse der sozialen Situation von Müttern mit Behinderungen sind folgende Aspekte des Gesamtkonzeptes besonders wichtig: Eigenverantwortung, Beratung durch ebenfalls betroffene Personen und die Möglichkeit, mit Hilfe von persönlicher Assistenz unabhängig von körperlichen Fähigkeiten in allen Lebensbereichen kompetent zu agieren.

Unter persönlicher Assistenz für behinderte Menschen werden Hilfeleistungen verstanden, die unabhängig von Institutionen und "fremdbestimmender, entmündigender Hilfe durch die sogenannte Fachlichkeit von Helferinnen" organisiert werden. Der bzw. die Hilfeabhängige sucht sich die Assistenten und Assistentinnen selbst aus, leitet sie an, setzt sie entsprechend seinen bzw. ihren individuellen Bedürfnissen ein und bezahlt sie auch (Vgl. Steiner, 1999).

"Aus den sogenannten Pflegeabhängigen und Pflegefällen werden selbstbestimmte behinderte ArbeitgeberInnen und aus den sogenannten HelferInnen werden persönliche AssistentInnen, die von ihren ArbeitgeberInnen angestellt, bezahlt und versichert, angeleitet und zur Not auch gekündigt werden. Entgegen den Praktiken vieler ambulanter Hilfsdienste entscheiden bei diesem Modell der Pflegeorganisation Behinderte selbst, wann, wo, wie und von wem die Assistenzleistungen ausgeführt werden." (Miles-Paul, 1992, S. 120/121)

Miles-Paul beschreibt hier die Idealform einer persönlichen Assistenz. Inwieweit sich dies in der Praxis verwirklichen lässt, hängt von zahlreichen - vor allem aber finanziellen - Rahmenbedingungen ab, und soll im Hinblick auf die Bedürfnisse behinderter Mütter in dieser Arbeit noch dargestellt werden.

Zu den wesentlichen Forderungen des Selbstbestimmt-Leben-Konzeptes zählt des Weiteren die barrierefreie Gestaltung der Umwelt. Dazu zählt der Abbau von baulichen Barrieren und Barrieren im Kommunikationsbereich ebenso wie die Beseitigung von Diskriminierungen auf Gesetzesebene.

Zusammenfassend ergeben sich folgende zentrale Kriterien für ein selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen:

  1. Behinderte Menschen sind Experten und Expertinnen für ihre individuelle Lebenssituation und individuellen Bedürfnisse.

  2. Umweltbedingungen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen müssen so gestaltet sein, dass behinderten Menschen die volle Teilhabe in der Gesellschaft und die Übernahme aller gesellschaftlichen Rollen prinzipiell möglich ist.

  3. Im Gegensatz zu den Begriffen unabhängig und selbständig, mit denen im Zusammenhang mit Behinderung oft die Ausübung von physischen Aktivitäten ohne fremde Hilfe verbunden werden, bedeutet Selbstbestimmtes Leben die Inanspruchnahme von Hilfe in Form von persönlicher Assistenz bei voller Entscheidungskompetenz des behinderten Menschen.

Diese Kriterien werden mir im Folgenden als Grundlage für die Bewertung der sozialen Situation von Müttern mit sichtbaren Behinderungen dienen.

3. Die spezifische Situation behinderter Frauen

Die allgemeine Vorstellung von Menschen mit Behinderungen wird von einem Stereotyp geprägt, das von markanten Symbolen wie dem Rollstuhl dominiert wird und männlich ist. Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Lebenssituation behinderter Menschen wurden bis vor etwa 20 Jahren weder in der Forschung noch in der öffentlichen Wahrnehmung berücksichtigt. Vor allem aufgrund des Engagements behinderter Frauen entstanden seit den Achtzigerjahren zunächst im angloamerikanischen und später auch im deutschsprachigen Raum zahlreiche Erfahrungsberichte und mehrere Forschungsarbeiten zur spezifischen Situation behinderter Frauen. Doch obwohl nach Niehaus in Westeuropa etwa jede zehnte Frau von einer schweren Behinderung betroffen ist, hat eine breite und vertiefende Diskussion der besonderen Lebenslagen und Bedürfnisse dieser Personengruppe bisher weder in der Öffentlichkeit noch in der Wissenschaft stattgefunden. Die Anstöße für die Auseinandersetzung mit diesen Themen gehen vorwiegend von behinderten Frauen selbst aus (Vgl. Niehaus, 1996, S. 218 ff.).

Im Hinblick darauf, dass die Forschung zur Lebenssituation behinderter Menschen die Perspektive der Betroffenen einbeziehen muss (Vgl. Schönwiese, 1998) und dass entsprechend dem Konzept eines Selbstbestimmten Lebens mit Behinderung behinderte Menschen als Experten und Expertinnen für ihre spezielle Lebenssituation anerkannt werden müssen (Vgl. Kap. 2.6), halte ich letztere Tatsache für sehr wichtig und wünschenswert. Allerdings sollten diese Anstöße und die bisher vor allem durch betroffene Frauen geleisteten Analysen in der wissenschaftlichen Forschung stärker wahrgenommen und - immer unter Einbeziehung der Betroffenen - vertiefend behandelt werden.

In den folgenden Kapiteln möchte ich einen kurzen Überblick darüber geben, welche Auswirkungen das Zusammenspiel geschlechtsspezifischer und behinderungsspezifischer Faktoren auf die Identitätsentwicklung und Lebenssituation von Mädchen und Frauen mit Behinderungen hat. Dabei lege ich - entsprechend dem Thema dieser Arbeit - den Schwerpunkt auf die Bereiche Sexualität, Partnerschaft und Mutterschaft. Ebenso wesentliche Bereiche wie die Ausbildungs- und Berufssituation behinderter Frauen können im Rahmen dieser Arbeit nur am Rande berührt werden.

3.1. Weibliche Identitätsentwicklung unter dem Einfluss der Behinderung

Vorstellungen und Konzepte "typischer" weiblicher und männlicher Eigenschaften sind - unabhängig davon, ob sie übernommen oder abgelehnt werden - in der Sozialisation jedes Kindes und Jugendlichen allgegenwärtig. Im Falle einer Behinderung werden Geschlechtsstereotype jedoch durch das Behindertenstereotyp überlagert. Daraus ergeben sich Widersprüche sowohl zum männlichen als auch zum weiblichen Geschlechtsstereotyp. Das Behidertenstereotyp klammert - oberflächlich betrachtet - Geschlechtlichkeit grundsätzlich aus, ist aber tatsächlich überwiegend durch das Bild des "typischen" behinderten Mannes, also z. B. eines Querschnittgelähmten im Rollstuhl oder eines Blinden mit dunkler Brille und weißem Stock, geprägt. Daher werden die Auswirkungen des Behindertenstereotyps auf die weibliche Identitätsentwicklung und Rollenfindung gravierender eingeschätzt. "Der Behinderung von Frauen und Männern kommt entsprechend der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der gesamtgesellschaftlichen Machtverhältnisse im Leben der Betroffenen ein unterschiedliches Gewicht zu. So werden Frauen in beiden für sie geltenden Arbeits- und Lebensbereichen, der familialen Reproduktionsarbeit und der Erwerbsarbeit, zur Arbeitskraft minderer Güte abgestempelt, während behinderte Männer sich in vielen Fällen ihre Machtposition in der Familie erhalten können, auch wenn sie auf dem Arbeitsmarkt als Arbeitskraft minderer Güte gelten." (Schildmann, 1985, S. 98; zit. nach Meier-Rey, 1994, S. 81)

Nach Meier-Rey ist der Stellenwert, den die Umwelt dem Geschlecht bzw. der Geschlechterdifferenzierung beimisst, für die Entwicklung der Geschlechtsidentität eines Menschen wesentlich. Für behinderte Menschen kann die Entwicklung der Geschlechtsidentität vor allem während der Adoleszenz problematisch werden. Sie entsprechen häufig nicht den geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen und erfahren in dieser Phase zum ersten Mal in der Peergruppe sehr deutlich, dass sie anders sind. In der Kindheit werden zwar die Einschränkungen durch eine Behinderung von den Gleichaltrigen wahrgenommen, wirken sich aber im Umgang miteinander nicht so gravierend aus. Teilweise haben behinderte Kinder - bedingt durch das Aufwachsen in Sondereinrichtungen, oder durch elterliche Überbehütung - aber auch nur wenig Kontakt zu Gleichaltrigen. Besonders für Mädchen, bei denen die Geschlechtsidentität stark über körperliche Attraktivität definiert ist und deren Bedürfnis, sich den Rollenerwartungen anzupassen, stärker ist als das der Burschen, entsteht in der Adoleszenz ein starkes Gefühl des Ausgeschlossenseins.

Auch im Erwachsenenalter stoßen behinderte Menschen beim Versuch der Übernahme einer Geschlechtsrolle auf Schwierigkeiten. Entwicklungsaufgaben des Erwachsenenalters können von behinderten Menschen nur unter erschwerten Bedingungen übernommen werden, weil ihnen die soziale Umwelt die Übernahme dieser Aufgaben gar nicht zugesteht. Da behinderte Menschen - und hier insbesondere behinderte Frauen - häufig als geschlechtslose Wesen angesehen werden, spricht ihnen die Umwelt Partnerschaft und Familiengründung von vornherein ab und von Kindheit an erfolgt eine Fixierung in Richtung solide berufliche Absicherung und ein Leben ohne Partnerschaft (Vgl. Meier-Rey, 1994, S. 15 ff.).

Meier-Rey fasst in ihrer Arbeit zur Identitätsentwicklung behinderter Frauen Forschungsergebnisse zur weiblichen Identitätsbildung zusammen, die besagen, dass weibliche Identität überwiegend über Zuschreibungen von außen und der Orientierung an gesellschaftlichen Normen gebildet wird. Maßgebliche Aspekte für die weibliche Identitätsbildung sind Kinderwunsch und Mutterschaft, Körperbild, aber auch Benachteiligungen im Sozialisationsprozess, wie sie z. B. im Rahmen der schulischen Koedukation stattfinden können, sowie der Aspekt der Berufsrolle (Vgl. ebd., S. 51 ff.).

3.1.1. Körperbild und Schönheitsideal

Die Körperidentität einer erwachsenen Person bildet sich aus bisherigen Erfahrungen, über Berührung, Zuwendung und Körperkontakte mit Bezugspersonen und den Dingen der Umwelt. Das subjektive eigene Körperbild hat großen Einfluss auf den Selbstwert und das Selbstbewusstsein einer Frau. Frauen neigen generell dazu, den eigenen Körper nicht voll zu akzeptieren, was sich wiederum auf Selbstwert und Identität auswirkt (Vgl. Meier-Rey, 1994, S. 55 u. 151)

Menschen mit körperlichen Behinderungen erleben häufig bereits in der Kindheit, dass mittels zahlreicher medizinischer Eingriffe und therapeutischer Maßnahmen versucht wird, die bestehende Schädigung zu korrigieren. Dies ist mit Schmerzen und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit - z. B. durch Schienen - verbunden. Das Wohlbefinden des Kindes und die Entwicklung von eigenen Kompensationsstrategien werden dem Ziel untergeordnet, das sichtbare Ausmaß der Schädigung zu verringern. Das gesamte Interesse der Umwelt gilt den körperlichen Defiziten, und das Kind erlebt Berührungen oft nur noch in medizinisch-therapeutischen oder pflegerischen Zusammenhängen. Unter diesen Bedingungen ist es unmöglich, ein positives Körperbild zu entwickeln.

Die Tatsache, dass körperliche Attraktivität ein zentraler Bestandteil des weiblichen Rollenbildes ist, wirkt sich in diesem Zusammenhang für behinderte Mädchen dahingehend aus, dass sich medizinische bzw. therapeutische Maßnahmen zur Korrektur einer körperlichen Behinderung häufig stärker am gängigen Schönheitsideal als an einer Verbesserung der körperlichen Funktionen orientieren. Um das Aussehen den allgemeinen ästhetischen Vorstellungen anzupassen, werden behinderten Mädchen und Frauen z. B. Prothesen empfohlen, die für sie keine Hilfe darstellen, sondern ihre Bewegungs- und Aktionsmöglichkeiten eher einschränken bzw. auch gesundheitliche Nachteile mit sich bringen. Bereits Kindern werden solche oder andere Korrekturen - oft gegen ihren Willen - aufgezwungen. Eltern versuchen, die Merkmale der Behinderung durch Kleidung zu verstecken. Behinderte Mädchen und Frauen erhalten - auch von professioneller Seite - immer wieder den Rat, ihre Behinderung möglichst zu vertuschen und z. B. durch Kleidung, Frisur oder Kosmetik die "makellosen" Teile des Körpers zu betonen (Vgl. Ewinkel et al, 1988, S. 45 ff.).

Auch Lux meint, dass auf behinderte Mädchen wesentlich größerer Druck ausgeübt wird, alles zu unternehmen, um der gängigen ästhetischen Norm zu entsprechen, als auf Burschen. Die defizitorientierte Sichtweise diverser Spezialisten wird verinnerlicht, und sowohl dem behinderten Mädchen als auch seiner Familie wird vermittelt, dass man sich nur genügend anstrengen müsse, um alles zu normalisieren. So bleibt immer ein Gefühl des Versagens (Vgl. Lux, 1993, S. 14 f.).

Von vielen behinderten Frauen wird die ausschließliche Orientierung an Defiziten und ästhetischen Normen durch Spezialisten in Medizin und Therapie kritisiert. So berichten Ewinkel et al, dass behinderte Frauen viele der Maßnahmen, die zur Herstellung einer möglichst weitgehenden Normalität durchgeführt wurden, später als Selbstverleugnung empfanden (Vgl. Ewinkel et al, 1988, S. 56 f). Köbsell stellt fest: "Anstatt sie dabei zu unterstützen, ihren etwas anders ausgefallenen Körper zu akzeptieren, ihn schön zu finden und sich darin wohl zu fühlen, wird alles daran gesetzt, die Frauen bzw. Mädchen mit Behinderung von ihrem eigenen Körper zu entfremden und ein negatives Körperbild zu internalisieren." (Köbsell, 1993, S. 37) Und Lux bemerkt dazu: "Ich will Behinderung nicht leugnen oder wegreden, aber ich finde, Anderssein kann auch in Potentialen, Möglichkeiten, Perspektiven beschrieben werden, durch vorhandene Fähigkeiten, die sich wie bei jedem Kind entwickeln können." (Lux, 1993, S. 14)

3.1.2. Ambivalentes Verhalten in der Erziehung

In der Erziehung behinderter Mädchen wird die Behinderung zum alles dominierenden Merkmal, dem das ansonsten dominierende Merkmal des Geschlechts untergeordnet wird. Erwachsene zeigen in der Erziehung häufig ein ambivalentes Verhalten. Einerseits wird großer Wert auf hübsches, mädchenhaftes Aussehen gelegt, um die Schädigung zu vertuschen und der Normalität nach außen hin so nahe wie möglich zu kommen. Gleichzeitig wird jedoch das spätere Frausein negiert. Bei Eltern herrscht die Vorstellung vor, dass die behinderte Tochter nicht in der Lage sein wird, selbständig zu leben und dauerhaft versorgt werden muss. Daher erfolgt keine Erziehung zur Selbständigkeit im häuslichen Bereich. So bleiben behinderte Mädchen in der Erwartung ihres familiären Umfeldes lebenslang zu versorgende "Kinder" und damit auch geschlechtliche Neutren. Von Anfang an wird davon ausgegangen, dass behinderte Mädchen später nicht in einer Partnerschaft leben könnten. Dies wird den Mädchen offen oder unterschwellig vermittelt und dadurch implizit ausgedrückt, dass sie nie eine "richtige Frau" werden könnten (Vgl. Meier-Rey, 1994, S. 82 f.).

Schopmans sieht Ambivalenzen in der Erziehung behinderter Mädchen dadurch gegeben, dass einerseits großer Wert auf Ausbildung und die Vorbereitung auf ein von einem Partner unabhängiges Leben durch berufliche Absicherung gelegt wird, gleichzeitig aber die Vermittlung praktischer "typisch weiblicher" Fähigkeiten im Haushalt, die ebenfalls Voraussetzung für eine selbständige Lebensführung wären, vernachlässigt wird. Während die Eltern von den Mädchen nach außen hin - in der Schule und bei Gleichaltrigen - Selbstbehauptung und Durchsetzungsvermögen verlangen, vermitteln sie ihnen gleichzeitig das Gefühl, innerhalb der Familie eine Belastung darzustellen und sich deshalb mit Forderungen zurückhalten zu müssen (Vgl. Schopmans, 1991, S. 36 ff.).

Im Hinblick auf die Ausbildung behinderter Mädchen beschreiben Eiermann et al als ein Ergebnis ihrer Befragung behinderter Frauen zwei unterschiedliche Verhaltensmuster von Eltern. Einer Gruppe von Frauen wurde eine spätere Berufstätigkeit und selbständige Lebensführung generell nicht zugetraut. Sie erhielten daher auch keine qualifizierte Ausbildung. Dies trifft überwiegend für Frauen der Geburtsjahrgänge bis etwa 1970 zu. - Bei einer zweiten Gruppe meist jüngerer Frauen wurde von den Eltern großer Wert auf eine solide Ausbildung gelegt. Hohe Erwartungen an schulische Leistungen und die selbständige Bewältigung behinderungsbedingter Schwierigkeiten stehen hier im Vordergrund, während eine geschlechtsspezifische Erziehung fehlt. Das von den Eltern vordringlich angestrebte Ziel, die Tochter solle sich später ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und selbständig leben, impliziert die Annahme der Partnerlosigkeit (Vgl. Eiermann et al, 2000, S. 220 ff.).

Zu den Auswirkungen dieser Erziehungsziele auf die behinderten Mädchen und jungen Frauen stellen Eiermann et al fest: "Insgesamt scheint die Erziehung zu Selbständigkeit und Leistung zusammen mit dem Fehlen einer geschlechtsspezifischen Erziehung die Familienperspektive und das Vertrauen in eine familiäre Zukunft nicht zu stärken." (Ebd., S. 221)

Bruner meint zu den Ergebnissen der Studie von Eiermann et al, dass sich darin ein sozialer Wandel abzeichnet, in dem Integration und Selbständigkeit als Prinzipien in der Sozialisation behinderter Mädchen an Bedeutung gewinnen. Sie vermutet allerdings auch, dass diese Veränderungen nicht allen behinderten Mädchen in gleicher Weise zugute kommen, sondern in Zusammenhang mit der jeweiligen sozialen Gesamtsituation einer Familie Unterschiede im Erziehungsstil bestehen (Vgl. Bruner, 2000).

Behinderten Mädchen mangelt es auch an Vorbildern und Identifikationsmöglichkeiten. Meier-Rey beschreibt die Schwierigkeiten in der wechselseitigen Identifikation zwischen Müttern und behinderten Töchtern aufgrund der wechselseitig erlebten Andersartigkeit. In der Schule ist Behinderung in den Unterrichtsmaterialien kein Thema, und auch unter den nicht behinderten Lehrerinnen finden sich keine geeigneten Vorbilder. Dies gilt für Sonderschulen in gleicher Weise wie für Regelschulen (Vgl. Meier-Rey, 1994, S. 84).

3.1.3. Spezielle Probleme der Adoleszenz

Während der Pubertät gewinnt der eigene Körper an Bedeutung - damit rücken die Abweichungen stärker ins Bewusstsein. In diesem Alter ist es für Jugendliche generell wichtig, wie die Umgebung auf sie reagiert. Das Selbstbild orientiert sich besonders stark am Fremdbild, das von der Umwelt vermittelt wird. Behinderte Mädchen erleben dabei, dass sie nicht so angenommen werden, wie sie sind. Ihr Körper entspricht nicht den gängigen Schönheitsnormen und wird - wie in Abschnitt 3.1.1. bereits beschrieben - auf verschiedenste Weise "korrigiert", z. B. durch Prothesen, dunkle Brillengläser usw. Dies bewirkt ein negatives Selbstbild. Wiederum erleben die Mädchen die Ambivalenz, dass sie einerseits ihre äußere Attraktivität steigern sollen, indem sie beispielsweise durch Frisur und Make-up die Aufmerksamkeit von der Schädigung weglenken. Gleichzeitig wird ihnen vermittelt, was ihnen später als Frauen alles verwehrt sein wird: Partnerschaft, Kinder, gute Berufschancen, Freizeitmöglichkeiten. Ebenso werden die erwachende Sexualität und das Bedürfnis nach Kontakten zu Burschen von Erwachsenen in Familie bzw. Schule negiert oder sogar regelrecht bekämpft.

Kontakte zu Gleichaltrigen, die in dieser Lebensphase besonders wichtig sind, gestalten sich für behinderte Jugendliche generell schwierig, da sie entweder die meiste Zeit isoliert in Sondereinrichtungen verbringen oder durch die Behinderung in ihrer Mobilität stark eingeschränkt und von Familienangehörigen abhängig sind. Während der Pubertät erleben behinderte Mädchen ihre Andersartigkeit als etwas, das sie von der Gleichaltrigengruppe ausschließt (Vgl. Meier-Rey, 1994, S. 84 f.).

Eiermann et al berichten, dass die meisten Befragten den Unterschied zu Gleichaltrigen in der Kindheit wesentlich weniger gravierend empfanden als im Jugendalter. Auch in diesem Bereich zeigen sich in der Untersuchung Unterschiede in den Erfahrungen älterer und jüngerer behinderter Frauen. Ältere Befragte berichten von überwiegend negativen Sozialisationserfahrungen in der Gleichaltrigengruppe. Ausgrenzung, Hemmungen und Kontaktschwierigkeiten sowie ein negativer Behinderungsbegriff. als ein von außen herangetragenes Stigma prägen die Situation. Das geringe Selbstwertgefühl der behinderten Mädchen hat seinen Ursprung bereits in einer negativen familiären Sozialisation und wird durch die Erfahrungen mit Gleichaltrigen noch verstärkt.

Jüngere Befragte berichten sowohl von selbstverständlicher Integration in der Gleichaltrigengruppe als auch von zeitweiliger Ausgrenzung, Hänseleien und tätlichen Angriffen. Die Unsicherheit im Hinblick auf mögliche negative Reaktionen von Burschen erschwerte das Ausprobieren von Kontakten zum anderen Geschlecht. Dies führt zu einem vergleichsweise späten Beginn der heterosexuellen Probierphase, was die Befragten in eine Sonderrolle gegenüber den gleichaltrigen Freundinnen brachte, für die das ein Lieblingsthema war. Auch bei guter Integration in die Gleichaltrigengruppe entsteht kein positiver Behinderungsbegriff, sondern die Übernahme von Normen der nicht Behinderten erweist sich als Voraussetzung für die Akzeptanz unter Gleichaltrigen. Teilweise bedarf es angesichts Ausgrenzung und Hänseleien großer Anstrengungen, um eine selbstbewusste Identität aufrechtzuerhalten (Vgl. Eiermann, 2000, S. 221 ff.).

Eine spastisch gelähmte junge Frau schildert die Situation behinderter Mädchen in der Pubertät sehr prägnant: "Spätestens in der Pubertät läßt es sich nicht mehr leugnen: Unser Körper ist anders. Wir sind anders. Die Burschen wollen nur reden, die Mädchen sehen in uns keine wirkliche Gefahr im Kampf um die Gunst eines potentiellen Sexualpartners, und die Erwachsenen bemühen sich, dir zu versichern, daß es auf die ´inneren Werte´ ankommt." (Löffler, 2002)

3.1.4. Probleme bei der Übernahme einer Berufsrolle

Da die Bereiche Partnerschaft und Mutterschaft im Folgenden gesondert und ausführlich behandelt werden, möchte ich in diesem Abschnitt nur auf die Berufsrolle als Bestandteil weiblicher Identität im Erwachsenenalter eingehen.

Die Lebensplanung und Ausbildungssituation von Mädchen und jungen Frauen verläuft immer zweigleisig als Berufs- und Familienorientierung. Mädchen wählen daher auch häufig Berufe, die sich auf ihre spätere Familienarbeit beziehen und bevorzugen frauentypische Berufe, die auf Beziehungen ausgerichtet sind (Vgl. Meier-Rey, 1994, S. 68).

Im Falle behinderter Mädchen erfolgt - wie bereits angesprochen - aufgrund der Annahme der späteren Partnerlosigkeit in der Bildungslaufbahn eine starke Ausrichtung auf spätere finanzielle Unabhängigkeit durch eine solide Berufsausbildung sowie eine stärkere Betonung der intellektuellen Fähigkeiten. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist für behinderte Menschen jedoch generell äußerst schwierig. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass behinderte Frauen im Vergleich zu behinderten Männern stärker benachteiligt sind. So ist die Erwerbsbeteiligung behinderter Frauen wesentlich geringer als die behinderter Männer. Unter den erwerbstätigen behinderten Frauen ist der Anteil derjenigen, die nicht ihrer Qualifikation entsprechend beschäftigt sind, höher als der behinderter Männer (Vgl. Niehaus, 1993, S. 119, u. Schön, 1993, S. 41 f.).

Eiermann et al berichten von Diskriminierungen behinderter Frauen im Arbeitsleben wie z. B. diskriminierenden Äußerungen von Arbeitskollegen, Ausschluss innerhalb der Kollegengruppe, Abordnung zu unangemessenen, unqualifizierten Arbeiten, rasche Androhung von Entlassung. Bei Bewerbungen wird die Qualifikation aufgrund der Behinderung häufig gar nicht berücksichtigt. Des Weiteren zeigte sich in dieser Studie, dass behinderte Frauen ein signifikant niedrigeres Einkommen haben als nicht behinderte, und sehr häufig an der Armutsgrenze leben (Vgl. Eiermann, 2000, S. 139 u. S. 246 f) Unter diesen Bedingungen lässt sich eine Identifikation mit der Berufsrolle nur schwer verwirklichen, und es zeigt sich, dass allgemeine Vorurteile gegenüber behinderten Menschen im Arbeitsleben durch die noch immer bestehende Tendenz, Frauen niedriger qualifizierte bzw. schlechter bewertete Tätigkeiten zuzuordnen, negativ verstärkt werden.

Bei Heitkamp berichten blinde Frauen über Probleme mit Kollegen und Kolleginnen am Arbeitsplatz. Diese werden in erster Linie darin gesehen, dass das Frausein von der nicht behinderten Umgebung ignoriert und die Behinderung überbewertet wird. Soziale Kontakte am Arbeitsplatz werden durch die Unsicherheit der nicht behinderten Kolleginnen und Kollegen stark beeinträchtigt, die z. B. annehmen, man könne mit einer blinden Frau über übliche Alltagsthemen wie Mode oder Haushalt nicht sprechen. Die dominierende "Etikette" der Behinderung beeinflusst auch die Wahrnehmung der beruflichen Leistungen durch die nicht behinderte Umgebung, sodass die blinden Frauen von hohem Druck berichten, ihre Fähigkeiten zu beweisen (Vgl. Heitkamp, 1992, S. 178 f.).

3.1.5. Geschlechtsrolle versus Hilfsbedürftigkeit

Ein weiterer Konflikt mit dem weiblichen Rollenbild ergibt sich für behinderte Frauen durch die Notwendigkeit, in verschiedenen Alltagsbereichen Hilfe durch andere Personen in Anspruch zu nehmen. Abhängigkeit und die Notwendigkeit, Hilfe anzunehmen, sind problematische Themen für Frauen mit Behinderungen. Dies hängt damit zusammen, dass Helfen und Versorgen bzw. sich Kümmern um andere ein traditionell Frauen zugeschriebener und auch mit Lust und Macht besetzter Bereich ist. Jede Annahme von Hilfe wird von behinderten Frauen tendenziell als Abhängigkeit und Ohnmacht erlebt. Die meisten von Eiermann et al befragten Frauen geben an, dass es ihnen schwer fällt, um Hilfe zu bitten. Die größte Angst vor Abhängigkeit betrifft den Versorgungsbereich. Ein Aufgeben dieses in einer patriarchalen Welt den Frauen zugeordneten Zuständigkeitsbereiches betrifft die Identität, das Selbstwertgefühl und die Macht der Frauen. Viele Frauen unternehmen große Anstrengungen, um so wenig Hilfe wie möglich zu benötigen. Manchmal löst der Eintritt einer Behinderung sogar besondere Bemühungen aus, sich um andere zu kümmern. Dies erfolgt häufig im Sinne einer Kompensierung, und dafür werden auch große persönliche Anstrengungen in Kauf genommen. Das Gefühl, von der Hilfe anderer abhängig zu sein, löst bei vielen Frauen große Ängste - z. B. vor dem Verlust von Selbstbestimmung, aber auch vor gewalttätigen Übergriffen - aus. Sind die Frauen aus physischen Gründen in der Situation, Hilfe annehmen und die Abhängigkeit von anderen akzeptieren zu müssen, fällt dies leichter auf der Basis eines Selbstvertrauens in die eigene (innere) Selbständigkeit, wenn Gegenseitigkeit von Hilfe möglich ist und wenn die Hilfe von vertrauten Personen kommt (Vgl. Eiermann, 2000, S. 116 f, 201 ff. u. 263 ff.).

Anhand einer vergleichenden Befragung behinderter Männer und Frauen zu deren Lebenssituation zeigen Eiermann et al auf, wie geschlechtstypische Rollenvorstellungen von behinderten Männern und Frauen übernommen werden. Behinderte Frauen erleben vor allem die Abhängigkeit von anderen Menschen als sehr belastend, während für behinderte Männer gesundheitliche Krisen zum Problem werden. Dies entspricht dem traditionellen Rollenstereotyp, wonach Frauen diejenigen sind, die für andere sorgen, während Männern diese Fürsorge zusteht. Daher wird die Abhängigkeit von anderen Personen von Frauen als "weibliches Versagen" besonders belastend empfunden. Von Männern wird Aktivität und Leistung erwartet, daher erfahren behinderte Männer vor allem bei gesundheitlichen Krisen deutlich, dass sie dem herrschenden Männerbild nicht entsprechen. Geschlechtsspezifische Sichtweisen und Bewältigungsstrategien zeigen sich auch beim Umgang mit der eigenen Behinderung. Frauen finden Unterstützung vor allem in psychologischen und lebenspraktischen Ratschlägen, Männer dagegen vor allem in medizinischen und juristischem Fachwissen.

Zusammenfassend stellen Eiermann et al fest, dass die Wahrnehmung und Bewertung der Situation des Behindertseins bei Frauen und Männern offensichtlich unter verschiedenen Gesichtspunkten erfolgt. Daher kritisieren die Autorinnen die gängige geschlechtsneutrale Behandlung des Themas Behinderung in der Fachliteratur und fordern die Einbeziehung geschlechtsspezifischer Aspekte (Vgl. ebd., S. 49 ff.).

3.1.6. Unterstützung bei der Entwicklung eines positiven Selbstbildes

Im Rahmen der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung werden Beratungsangebote für behinderte Mädchen und Frauen mittels Peer Counseling, also durch ebenfalls behinderte Frauen, entwickelt. Je weitreichender eine Behinderung ist, desto weniger können sich behinderte Mädchen und Frauen mit nicht behinderten Frauen identifizieren. Daher gilt es laut Radtke, in der Einzelberatung ebenso wie in der Arbeit in Gruppen eigene Modelle zu entwickeln. Dabei steht die Arbeit an dem meist sehr negativen Selbstbild der Mädchen und Frauen im Vordergrund. Es gilt, die Aufmerksamkeit weg von den Defiziten und hin zu den Stärken und Möglichkeiten der Betroffenen zu lenken. Dazu gehört das Wissen um gesellschaftliche Normen und Zusammenhänge sowie immer wieder kehrende schmerzliche Prozesse, in denen die eigenen Einschränkungen und Verluste akzeptiert und mit ihnen ein positives Selbstbild gesucht werden muss. Ziel dieser Arbeit ist der selbstbewusste Umgang mit den eigenen Möglichkeiten und Grenzen, und eine eigenständige Identität als behinderte Frau (Vgl. Radtke, 2001, S. 55 ff.).

3.2. Tabuthema Sexualität

Die Einstellung nicht Behinderter zur Elternschaft und insbesondere Mutterschaft behinderter Menschen hängt unter anderem mit der Einstellung zur Sexualität dieser Personengruppe zusammen.

"Menschen mit Behinderungen stoßen schnell an Grenzen, wenn sie versuchen, ihre Bedürfnisse nach Liebe und Sexualität zu verwirklichen. Das herrschende Diktat von Jugendlichkeit, Attraktivität und Unversehrtheit verweist sie an den Rand der Gesellschaft. Aber auch wir Behinderte selbst sind in unseren Wünschen, Bedürfnissen und Phantasien geprägt durch unsere nicht-behinderte Umwelt." (Finke, 1996)

Schönwiese spricht in diesem Zusammenhang von einer "Verdoppelung des Tabus" (Schönwiese, 1994, S. 103). Die Verdrängung von Behinderung und die trotz aller oberflächlichen Freizügigkeit weiterhin bestehende Verdrängung von Sexualität wirken hier zusammen. Die geschlechtliche Neutralisierung behinderter Menschen manifestiert sich in zahlreichen gesellschaftlichen Inszenierungen, wie z. B. in folgender Tatsache: Es gibt Männer-WC´s, es gibt Frauen-WC´s und es gibt Behinderten-WC´s.

Partnerschaft und Sexualität sind für behinderte Menschen - wie für die meisten Menschen - dominierende Lebensthemen. Von ihrer Umwelt wird diese Tatsache jedoch häufig negiert. Dies spiegelte sich auch über lange Zeit in der sonderpädagogischen Fachliteratur wieder, indem das Thema Sexualität entweder gänzlich ausgeklammert wurde oder nur insoweit eine Rolle spielte, als Möglichkeiten erörtert wurden, Äußerungen von Sexualität bei behinderten Jugendlichen zu verhindern. Schönwiese kritisiert, dass die am medizinischen Paradigma orientierte Therapie und Sonderpädagogik eine Entfremdung von Körper und Sexualität geradezu provoziert, indem körperliches Wohlbefinden und Bewegungsfreiheit dem Ziel der weitestgehenden Funktionalität des Körpers und der Heilung von Defekten untergeordnet werden (Vgl. ebd., S. 103 f.).

In den Siebzigerjahren kam es zur eigentlichen "Entdeckung" der Sexualität behinderter Menschen und in der Folge zu einem regen Fachdiskurs nichtbehinderter Fachleute zu diesem Thema. Dies rief schließlich den Widerstand zahlreicher behinderter Menschen hervor. Vor allem wehrten sie sich dagegen, dass nichtbehinderte Personen dieses Thema mit dem Selbstverständnis von Fachleuten behandelten und die Personengruppe, über die hier diskutiert und publiziert wurde, vom Diskurs ausschlossen bzw. in eine untergeordnete Klientenrolle verwiesen (Vgl. Schönwiese, 1993, S. 112 ff.).

Born stellt zu diesem Fachdiskurs fest, dass er sich fast ausschließlich auf die Situation behinderter Männer bezieht, deren Probleme im Bereich Sexualität und mögliche Lösungen ausführlich diskutiert werden. Behinderte Frauen werden fast ausschließlich in Zusammenhang mit der Thematik Schwangerschaft bzw. deren Verhütung erwähnt. Eine eigenständige Sexualität behinderter Frauen wurde in Fachpublikationen zur Sexualität behinderter Menschen weitgehend negiert (Vgl. Born, 1992, S. 54 f.).

Wie hartnäckig die Heil- und Sonderpädagogik an der Überzeugung festhielt, dass Partnerschaft und Sexualität behinderter Menschen nur nach einer quasi fachlichen Unbedenklichkeitserklärung toleriert werden könnten, zeigt der 1977 erstmals erschienene und in den Jahren 1988, 1995 und 2000 in unveränderter Form neu aufgelegte Sammelband "Sollen, können, dürfen Behinderte heiraten?" (Vgl. Kluge/Sparty, 1977, 1988, 1995, 2000 u. Kap. 3.3.).

In den Neunzigerjahren scheint das eigenständige Recht behinderter Menschen auf Sexualität und Partnerschaft in der sonderpädagogischen Literatur jedoch schließlich ebenso unumstritten zu sein wie die Tatsache, dass Bewegungs- und Sinnesbehinderungen keine unmittelbare Auswirkung auf die psychosexuelle Entwicklung behinderter Kinder und Jugendlicher haben. Nun wurden vor allem Fragen zur Sexualität geistig behinderter Menschen behandelt. Behinderte Menschen traten mit ihren Forderungen nach Anerkennung ihrer Rechte verstärkt an die Öffentlichkeit und zeigten bislang kaum thematisierte Probleme wie sexuelle Gewalt gegen behinderte Frauen und die Praktiken der Verhinderung von Partnerschaft und Sexualität in Institutionen auf.

Zahlreiche Erfahrungsberichte zeigen, dass im Alltag Eltern und Pädagogen immer noch große Schwierigkeiten damit haben, behinderte Menschen als geschlechtliche Wesen anzuerkennen und dass in Institutionen die Möglichkeiten, Partnerschaften zu leben, weiterhin häufig stark eingeschränkt werden.

Hermes beschreibt die Schwierigkeiten, die Eltern behinderter Mädchen haben, ihr Kind auch als geschlechtliches Wesen zu sehen. Schon von früher Kindheit an wird den Mädchen vermittelt, dass sie geschlechtliche Neutren seien. Das Erwachen ihrer Sexualität und die körperliche Entwicklung zur Frau werden ignoriert. "Sexualität wird totgeschwiegen, in der Hoffnung, dass die Mädchen dieses Thema auch vergessen." (Hermes, 2001, S. 42) Die Auswirkungen dieses Verhaltens der Eltern zeigen sich in einem generellen Defizit behinderter Jugendlicher im faktischen Sexualwissen und in der konkreten Erfahrung. Somit haben Bewegungs- und/oder Sinnesbehinderungen zwar keine unmittelbaren Auswirkungen auf die psychosexuelle Entwicklung, sehr wohl aber mittelbar durch die aufgrund von Überbehütung und Kontrolle stark eingeschränkten Möglichkeiten zu Autonomie und dem Sammeln von Erfahrungen (Vgl. ebd., S. 41 f.).

Ebenso dürfte sich die gesamtgesellschaftliche Haltung zur Sexualität behinderter Menschen nur wenig verändert haben.

Vom Hofe zitiert den Psychologen Lothar Sandfort, der die verbreiteten Vorurteile zur Sexualität behinderter Menschen auflistet: "Behinderte haben entweder gar keine Sexualität oder eine triebhaft überspannte. Behinderte würden nie auf die Idee kommen, sich in mich zu verlieben. Wer Beziehungen mit Behinderten eingeht, muss dies für immer tun, denn Behinderte darf Mensch nicht mehr verlassen, ihnen darf Mensch kein Leid zufügen. Behinderte können nicht Mutter oder Vater werden bzw. sein. Behinderte machen auch beim Sex nur Probleme und bleiben immer Sorgenkinder". (Vom Hofe, 2001)

Behinderte Menschen gelten entweder als asexuell oder es wird angenommen, dass es eine andersgeartete "Sexualität der Behinderten" gäbe. Born meint dazu: "Wenn der Begriff. Sexualität nicht im engsten Sinne ... gebraucht wird, sondern ... die Ganzheitlichkeit des Menschen umfasst, wird deutlich, daß sich die Sexualität von Menschen mit unterschiedlichsten Wesensarten, Persönlichkeiten oder Körpermerkmalen nicht grundsätzlich voneinander unterscheidet. Was sich unterscheidet, ist also keinesfalls die Sexualität an sich, sondern die jeweils individuelle Angepaßtheit bzw. Nicht-Angepaßtheit, sei es aus äußeren oder auch persönlichen Gründen, an die von der jeweiligen Gesellschaft aufgestellten Normen und Werte." (Born, 1992, S. 56 f)

Die hier angesprochene ganzheitliche Sicht von Sexualität ist im Verständnis der Allgemeinheit jedoch so gut wie nicht gegeben. Die Fixierung auf die genitale Sexualität ist die eigentliche Behinderung für Menschen mit weitreichenden körperlichen Einschränkungen, Sexualität in der ihrer individuellen Situation entsprechenden Weise zu leben. Insbesondere für behinderte Frauen wird der sich in den letzten Jahren noch verstärkende Zwang zum makellosen Körper zu einem unüberwindlich scheinenden Hindernis im Streben nach erfüllter Sexualität und Partnerschaft. "Der Blick auf die lahmen Beine, den gekrümmten Rücken, das entstellte Gesicht hat ihren Leib zerlegt, in akzeptable und inakzeptable Teile, in vorzeigbare und zu versteckende Partien." (Vom Hofe, 2001)

Nach Meinung von Radtke wirken sich die gesteigerten Schönheitsnormen auf behinderte Frauen bereits gravierender aus als die Tabuisierung von Sexualität an sich: "Meines Erachtens nach liegen heute die Schwierigkeiten behinderter Frauen weniger darin, daß ihnen Sexualität nicht zugestanden würde oder daß sie sich ihrer eigenen sexuellen Bedürfnisse nicht bewußt wären, sondern viel eher darin, angesichts herrschender Normen und Idealvorstellungen diese nicht realisieren zu können. Es dauert lange, um ein gespaltenes Körperbewußtsein zu überwinden und den Körper als Ganzheit zu begreifen." (Radtke, 1996)

Nach Finke beeinflusst in den letzten Jahren die Diskussion um lebenswertes oder unlebenswertes Leben in der Bioethik auch die Einstellung zur Sexualität behinderter Menschen bzw. deren Elternschaft. So wächst der Druck zu Abtreibung und Sterilisation auf behinderte Frauen (Vgl. Finke 1996).

Dieses Thema wird in dieser Arbeit noch eingehend erörtert werden.

3.3. Partnerfindung und Partnerschaft

Behinderte Mädchen werden in ihrer Sozialisation immer wieder direkt oder indirekt darauf hingewiesen, dass sie für die meisten Männer als potentielle Partnerin nicht in Frage kommen. Diese Vorhersage bestätigt sich dann häufig durch Erfahrungen, die behinderte Frauen machen. Teilweise werden sie gänzlich ignoriert, teilweise wollen Männer zwar freundschaftliche Kontakte mit einer behinderten Frau, ziehen sich aber sehr rasch zurück, wenn die Frau zu verstehen gibt, dass sie verliebt ist. Der an Äußerlichkeiten orientierte "Beziehungsmarkt" schließt viele behinderte Frauen, die dem gängigen Schönheitsideal nicht entsprechen, von vorn herein aus. Hinzu kommt auch, dass der Aktionsradius behinderter Frauen häufig sehr eingeschränkt ist und sie daher nur wenig Möglichkeiten haben, Kontakte zu knüpfen. Angesichts eines negativen Selbstbildes und der Angst, abgelehnt zu werden, entwickeln sich bei behinderten Frauen auch persönliche Barrieren im Hinblick auf den Kontakt zu Männern (Vgl. Schopmans, 1991, S. 42 f.).

Für sehbehinderte und blinde Frauen stellt sich in der Kontaktaufnahme vor allem das Problem des fehlenden Blickkontaktes. Den betroffenen Frauen fehlen jene Informationen, die durch Körpersprache und Blickkontakt vermittelt werden. Dies kann in vielen sozialen Situationen nicht mit Hilfe anderer Sinne ausgeglichen werden. Bei Krause schildern mehrere sehbehinderte bzw. blinde Frauen, dass es ihnen in vielen Situationen nicht möglich ist, auf andere zuzugehen, weil sie nicht wissen, wer in einem Raum anwesend ist bzw. es ihnen auch teilweise nicht möglich ist, jemanden wiederzuerkennen. Sie sind daher darauf angewiesen, dass andere auf sie zukommen oder dritte einen Kontakt herstellen. Dies bewirkt bei den Frauen häufig ein Gefühl der Ausgeschlossenheit und vor allem im Hinblick auf Kontakte zu Männern große Verunsicherung. Sie fühlen sich gegenüber sehenden Frauen stark benachteiligt. Umgekehrt kann es auch bei einem Mann Verunsicherung auslösen, wenn eine Frau auf körpersprachliche Signale oder Blickkontakt nicht in "gewohnter" Weise reagiert (Vgl. Krause, 1992, S. 217 ff.).

Die Einschätzung von Schopmans, dass behinderten Frauen aufgrund der Tatsache, dass sie als geschlechtslos gelten und den gängigen Schönheitsnormen nicht entsprechen, plumpe Annäherungsversuche von Männern erspart bleiben (Vgl. Schopmans, 1991, S. 37), kann ich aufgrund meiner persönlichen Erfahrung und verschiedenen Berichten nicht teilen. Vielmehr scheinen manche Männer anzunehmen, dass eine behinderte Frau für jede Form der Annäherung "dankbar" sein müsse.

In der Studie von Eiermann et al gaben etwa 22 % der Befragten Erfahrungen mit sexueller Gewalt oder sexueller Belästigung an. Dieser Wert unterscheidet sich nicht signifikant von Werten in der Gesamtbevölkerung. Die Autorinnen der Studie verweisen jedoch darauf, dass an ihrer Untersuchung fast ausschließlich Frauen teilnahmen, die in Privathaushalten leben, und dass nach einer Untersuchung unter Bewohnerinnen von Institutionen (Zemp/Pircher, 1996) dort mehr als 50 % der Frauen betroffen sind. Des Weiteren ergaben die Interviews bei Eiermann et al, dass ein Teil der Befragten die gesellschaftliche Einschätzung, behinderte Frauen seien aufgrund der Tatsache, dass sie als geschlechtslos gelten, vor sexuellen Übergriffen geschützt, selbst übernehmen. Die Autorinnen bemerken dazu, dass diese Fehleinschätzung fatale Folgen für die Frauen haben kann (Vgl. Eiermann et al, 2000, S. 114 f. u. 254 ff.)

Aus der durch die Umwelt immer wieder vermittelten Einschätzung, behinderte Frauen seien keine "richtigen Frauen" und könnten den gesellschaftlichen Erwartungen nicht entsprechen, kann für die Betroffenen ein enormer Leistungsdruck entstehen, sich den gegebenen Schönheits- und Leistungsnormen anzupassen. So berichten bei Krause mehrere der befragten sehbehinderten und blinden Frauen, dass sie befürchten, in einer Partnerschaft mit einem nicht behinderten Mann überfordert zu sein und den Erwartungen des Partners nicht entsprechen zu können. Sie bevorzugen daher eine Partnerschaft zu einem Mann mit einer gleichartigen oder ähnlichen Behinderung (Vgl. Krause, 1992, S. 222 ff.).

Zahlreiche Autorinnen verweisen auf den Unterschied in der gesellschaftlichen Einschätzung "gemischter" Partnerschaften zwischen behinderten und nicht behinderten Personen: Ein behinderter Mann erfährt durch die Partnerschaft mit einer nicht behinderten Frau eine gesellschaftliche Aufwertung. Die Rolle des berufstätigen Familienerhalters kann von vielen behinderten Männern erfüllt werden, und sie entsprechen somit voll den männlichen Rollenerwartungen. Da Pflege und Versorgung impliziter Bestandteil des weiblichen Rollenbildes sind, entspricht auch die Frau in einer solchen Partnerschaft den gesellschaftlichen Erwartungen. Geht ein nicht behinderter Mann eine Partnerschaft mit einer behinderten Frau ein, erfährt er von seiner Umwelt zumindest Verwunderung und Skepsis, häufig aber auch echte Geringschätzung, weil er "nichts Besseres" bekommen habe. Die behinderte Partnerin gilt als wenig attraktiv und ihr wird nicht zugetraut, dass sie ihre Aufgaben in Haushalt und Familie erfüllen kann. Für sie kann dies zu erhöhtem Leistungsdruck führen, um zu beweisen, dass auch sie eine "gute" Frau sein kann. Außerdem wird von der Umwelt unterstellt, sie müsse sehr "dankbar" für eine solche Partnerschaft sein und sich daher den Wünschen des nicht behinderten Partners in jedem Fall unterordnen (Vgl. Schopmans, 1991, S. 44 f. u. Krause, 1992, S. 223 ff)

Eigene Erfahrungen sowie verschiedene Berichte behinderter Frauen zeigen, dass derartige Vorurteile und Zuschreibungen auch durch die real bestehenden Änderungen in der Aufgabenverteilung zwischen Frauen und Männern nicht aufgebrochen werden. In der Praxis werden in gemischten Partnerschaften ein großer Teil der notwendigen Hilfeleistungen für die behinderten Partner durch die nicht behinderten Partner übernommen. Dies gilt laut der Studie von Eiermann auch für Partnerschaften zwischen behinderten Frauen und nicht behinderten Männern (Vgl. Eiermann et al, 2000, S. 99).

Das Problem der Hilfe- bzw. Pflegeabhängigkeit kann in einer "gemischten" Partnerschaft generell zu einer großen Belastung werden. Allerdings entspricht eine pflegende Frau genau ihrem gesellschaftlichen Rollenbild, während dies für Männer vielfach einen Bruch mit der Geschlechtsrolle bedeutet. Bruner verweist dazu darauf, dass behinderte Frauen große Ängste haben, den nicht behinderten Partner zu überfordern, während behinderte Männer die Hilfe ihrer Partnerin wesentlich selbstverständlicher in Anspruch nehmen (Vgl. Bruner, 2000).

Heitkamp berichtet von einer Umfrage unter nicht behinderten Personen zur Situation blinder Frauen. Als Vorbehalte gegenüber einer Partnerschaft mit einer blinden Frau wurden dabei von Männern aufgeführt, dass der Mann seiner Partnerin zahlreiche Hilfestellungen geben müsse und dadurch auch große Macht ausüben könne, dass die Freizeitgestaltung eingeschränkt sei, dass die Gesellschaft eine blinde Frau als Makel für den Mann ansehen könnte, dass die Erziehung von Kindern problematisch sein könne, dass fehlende Gestik und Mimik die Kommunikation erschweren und optische Eindrücke nicht miteinander geteilt werden könnten. Jüngere nicht behinderte Frauen sehen vor allem in der Abhängigkeit der blinden Frau vom sehenden Partner und in Minderwertigkeitsgefühlen der Frau mögliche Probleme. Ältere Frauen führen vor allem an, dass eine blinde Frau den Haushalt nicht selbständig führen und Kinder nicht allein versorgen könne und dass es für einen Partner nicht zumutbar wäre, neben seiner Berufstätigkeit auch noch diese Aufgaben zu übernehmen. In diesen Aussagen werden die Unterschiede im Rollenverständnis zwischen den Generationen deutlich (Vgl. Heitkamp, 1992 f.).

Von Seiten der Behindertenpädagogik konnte ich keine aktuellen Veröffentlichungen zum Thema "Partnerschaft von Menschen mit Bewegungs- oder Sinnesbehinderungen" finden. Das Thema "Partnerschaft und Sexualität" wird gegenwärtig fast ausschließlich in Bezug auf Menschen mit geistiger Behinderung behandelt. 2000 wurde der Sammelband "Sollen, können, dürfen Behinderte heiraten?" von Kluge und Sparty (Hg.), der erstmals im Jahr 1977 erschien, zum vierten Mal aufgelegt (Vgl. Kap. 3.2). Bereits der Titel erscheint aus heutiger Sicht nicht mehr zeitgemäß. Das Buch wurde bereits bei seinem ersten Erscheinen von behinderten Menschen, aber auch von einigen Behindertenpädagogen, heftig kritisiert (Vgl. Klee, 1996). Der Band enthält Beiträge von Fachleuten unterschiedlicher Gebiete zu Partnerschaft und Sexualität von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen. Hauptkritikpunkt an diesem Sammelband war und ist, dass nicht behinderte Personen Urteile darüber abgeben, welche behinderten Menschen unter welchen Bedingungen Partnerschaften eingehen sollen, können oder dürfen. Die einzelnen Autoren und Autorinnen vertreten dabei meiner Ansicht nach durchaus unterschiedliche Standpunkte. In einigen Beiträgen werden Ansichten geäussert, die bereits zum Zeitpunkt des ersten Erscheinens 1977 vielen betroffenen Menschen und auch einigen Fachleuten als überkommen gelten mussten. Andere Autoren machen sehr differenzierte und für die Situation vor mehr als 25 Jahren sicher sehr fortschrittliche Aussagen. Trotzdem überrascht es, dass dieses Buch, das sich laut Information des Verlages als Ratgeber versteht, 1995 in unveränderter Form neu aufgelegt wurde. Meiner Ansicht nach wurden in den letzten Jahren zu diesem Themenbereich nur noch wenige wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, weil angesichts der Integrationsbewegung und sicher auch durch die bewusstseinsbildende Arbeit behinderter Menschen in der Selbstbestimmt-leben-Bewegung auch bei Fachleuten überwiegend die Auffassung besteht, dass es nicht legitim ist, zu beurteilen, welche behinderten Menschen Partnerschaften eingehen können oder dürfen, sondern dass es darum gehen muss, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, und behinderte Kinder und Jugendliche so zu fördern, dass sie ihr Leben als Erwachsene weitgehend selbstbestimmt gestalten können.

Gemeinsam ist fast allen Beiträgen in "Sollen, können, dürfen Behinderte heiraten?", dass kaum zwischen der Situation von behinderten Frauen und Männern differenziert wird. Meist ist von "dem Behinderten" die Rede, worunter überwiegend der behinderte Mann verstanden wird. Auch in den Erfahrungsberichten behinderter Menschen kommen ausschließlich Männer zu Wort (Vgl. Kluge/Sparty, 1995, S. 11 ff.). Dort, wo behinderte Frauen explizit erwähnt werden, wird ein von männlichen Rollenvorstellungen dominiertes Bild vermittelt. Die meisten Beiträge in diesem Buch wurden von Männern verfasst. So bezeichnet Schade Behinderung als einen "Fehler", der Konzessionen bei der Partnerwahl notwendig mache, und meint weiter: "Fehler können aber auch ausgeglichen werden bei Frauen durch Charme, Schönheit, Freundlichkeit, beim Mann durch Intelligenz, Männlichkeit und nicht weniger durch Charme." (Schade, 1995, S. 240) Benesch berichtet in seinem Beitrag über die Situation blinder und hochgradig sehbehinderter Menschen, dass blinde Frauen wesentlich seltener mit einem sehenden Partner verheiratet sind, als blinde Männer mit einer sehenden Partnerin. Er begründet dies damit, dass bei blinden Frauen der Trend zur freiwilligen Isolation besonders groß sei und sie dadurch nur wenig Gelegenheit zu Kontakten hätten. Des Weiteren meint Benesch zu Ehen zwischen blinden Frauen und sehenden Männern, diese würden zu einem beträchtlichen Teil aus Mitleid geschlossen, da die blinde Frau in der Haushaltsführung stark auf die Hilfe ihres sehenden Partners angewiesen sei. "Versteht nun die hochgradig sehgeschädigte Frau es nicht, ihren Mann echt an sich zu fesseln, so kann es zu einer tiefgreifenden Entfremdung kommen, die letztlich in die Auflösung der Ehe mündet. - Gerade dieses ´An-Sich-Fesseln-Können´ bedarf aber großen Einfühlungsvermögens von Seiten der sehgeschädigten Frau." (Benesch, 1995, S. 157)

Heitkamp stellt dazu fest, dass diese Beurteilung Beneschs - auch im Wortlaut - an Aussagen von Blindenpädagogen am Ende des 18. Jahrhunderts erinnert (Vgl. Heitkamp, 1992, S. 166).

Eine völlig andere Einschätzung vertritt - ebenfalls im Buch von Kluge und Sparty - Hessmer, wenn er die Tatsache, dass generell wesentlich weniger blinde Frauen verheiratet sind als blinde Männer, mit unterschiedlichen Motiven bei sehenden Männern und Frauen, eine Ehe mit einem blinden Menschen einzugehen, begründet: "Männern ist offenbar die äußerliche Attraktivität ihrer Partnerin entscheidend wichtig. Die aber ist bei Blinden immer mehr oder weniger beeinträchtigt, und sei es durch die Blicklosigkeit der Augen und die Verarmung des Mienenspiels. Ein Mann gewinnt Ansehen durch die Schönheit seiner Frau, eine Frau durch den sozialen Rang ihres Mannes. Eine Frau kann aber auch aus ihrer Aufopferung für ihren - z. B. blinden - Mann hohes Ansehen gewinnen. Die Rolle des mütterlichen Umhegens gilt bei der Mehrzahl in unserer Gesellschaft als der Frau angemessen. Das wiederum trifft sich mit dem Image des Blinden, nach dem er hilflos und schutzbedürftig sei." (Hessmer, 1995, S. 162) Des Weiteren stellt Hessmer fest, dass die Haushaltsführung angesichts moderner technischer Hilfen jedem blinden Menschen selbstverständlich zumutbar sei, und dass für Tätigkeiten die er oder sie nicht selbst ausführen könne, vom Blindengeld eine Haushaltshilfe bezahlt werden könne (Vgl. ebd., S. 164).

Vor allem letzterer Hinweis ist eine deutliche Abkehr von den ansonsten in der Blindenpädagogik vertretenen Normen, wonach blinde Menschen das äußerst mögliche Maß an Unabhängigkeit von der Hilfe sehender Menschen erreichen müssten. Hier wurde in Blindenschulen häufig hoher moralischer Druck auf die Kinder und Jugendlichen und hier insbesondere auf Mädchen ausgeübt. Die Intention, dass blinde Menschen nicht in allzu große Abhängigkeit von sehenden Personen geraten sollten, ist verständlich. Allerdings wurden von vielen blinden Menschen dabei meiner Meinung nach überhöhte Ansprüche internalisiert, was teilweise dazu führt, dass sie sich physisch und psychisch überfordern oder auf Aktivitäten verzichten, um möglichst wenig Hilfe annehmen zu müssen, weil sie dadurch ihren Selbstwert gefährdet sehen. Dies wirkt sich, wie ich später noch zeigen möchte, vor allem für blinde Mütter in zusätzlichen Belastungen aus.

Heitkamp berichtet dazu, dass einige blinde Frauen auch großen inneren Widerstand gegen die in einer Blindenschule erlernten Methoden der Alltagsorganisation entwickeln. Sie meint, dass es teilweise für die Nichtbeachtung erlernter Regeln in den Internaten sehr harte Strafen gegeben haben muss, sodass die blinden Frauen später in ihren eigenen Haushalten nicht mehr an diese Zeit erinnert werden wollen (Vgl. Heitkamp, 1992, S. 176).

Ich möchte hier betonen, dass das Wissen über Hilfsmittel und Techniken, mit denen behinderungsbedingte Einschränkungen ausgeglichen werden können, für die Alltagsbewältigung große Bedeutung hat. Allerdings besteht bei Behindertenpädagogen und - pädagoginnen die Tendenz, betroffene Menschen mit Hilfe dieser Möglichkeiten vor allem weitgehend an die Normalität anzupassen, sodass deren eigentlicher Sinn, nämlich die Entlastung, in den Hintergrund rückt. Schopmans verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass nicht nur der Umgang mit diesen Techniken und Hilfsmitteln vermittelt werden muss. Behinderte Menschen sollten auch lernen zu unterscheiden, wann sie diese Möglichkeiten nutzen und in welchen Situationen es - je nach persönlicher Tagesverfassung, sowie abhängig von den momentanen familiären und/oder beruflichen Anforderungen - entlastend sein kann, bezahlte oder unbezahlte Hilfe in Anspruch zu nehmen (Vgl. Schopmans, 2001, S. 59).

Eiermann et al erhoben in ihrer Studie, wie viele Frauen mit Körper- und/oder Sinnesbehinderungen in festen Partnerschaften leben. Die Ergebnisse liegen deutlich höher als in vorangegangenen Erhebungen. Dies wird darauf zurückgeführt, dass in diesen Studien die Verheiratungsquote als Indikator für Partnerschaften von behinderten Frauen herangezogen wurde, während bei Eiermann et al auch nach festen Partnerschaften unabhängig von Verheiratung und gemeinsamem Haushalt gefragt wurde. Drei Viertel der Teilnehmerinnen an der quantitativen Erhebung leben in einer festen Partnerschaft. Bei einem Viertel der Frauen, die in einer festen Partnerschaft leben, ist der Partner ebenfalls behindert. Etwas mehr als zwei Drittel aller Frauen mit Behinderung leben mit dem Partner in einem gemeinsamen Haushalt zusammen. Obwohl also der größte Teil der in einer Partnerschaft lebenden behinderten Frauen mit einem nicht behinderten Partner zusammenlebt, wurde allgemein häufig über negative Vorurteile von Männern gegenüber behinderten Frauen berichtet. Im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung bestehen keine signifikanten Unterschiede in der Häufigkeit von Partnerschaften. Allerdings sind die behinderten Frauen etwas seltener verheiratet und in der mittleren Altersgruppe etwas häufiger geschieden als nicht behinderte. Diese Ergebnisse müssen immer unter dem Gesichtspunkt gesehen werden, dass in der Studie von Eiermann et al fast ausschließlich Frauen erfasst wurden, die in Privathaushalten leben, und damit ein beträchtlicher Teil behinderter Frauen, die in Institutionen leben, nicht erfasst werden konnte (Vgl. Eiermann et al, 2000, S. 19 ff.).

In den qualitativen Interviews berichteten die Frauen überwiegend, dass ihnen Partnerschaft besonders wichtig sei. Sie ist ein wesentlicher Teil der angestrebten Normalität. Vor allem die von Kindheit an behinderten Frauen berichten aus ihrer Jugend von großen Zweifeln, ob sie einen Partner bekommen würden bzw. ob sie nicht eine "Zumutung" für einen Partner wären. Partnerlosigkeit wird überwiegend auf die Behinderung zurückgeführt. Einige Frauen gehen von eingeschränkten Wahlmöglichkeiten aus und geben an, dass sie deshalb Konzessionen im Hinblick auf die Erwartungen an einen zukünftigen Partner machen müssten. An den Interviews nahmen sowohl Frauen teil, die bereits zu Beginn ihrer Partnerschaft behindert waren, als auch solche, bei denen die Behinderung erst im Verlauf der Partnerschaft eintrat. Für beide Konstellationen gilt, das eine Partnerschaft zwischen einem nicht behinderten Mann und einer behinderten Frau allgemein für unwahrscheinlich gehalten wird. Dies äußert sich z. B. darin, dass der nicht behinderte Mann von Außenstehenden für den Pfleger der behinderten Frau, nicht aber für ihren Partner gehalten wird. Teilweise werden die nicht behinderten Männer bewundert. Die Partnerschaft mit einem nicht behinderten Mann wird auch von einigen der behinderten Frauen für etwas Außergewöhnliches gehalten. Tritt eine Behinderung der Frau erst während einer bestehenden Partnerschaft ein, so führt dies gehäuft zu Trennungen. Bei einigen Frauen wurde der Partner aber auch zum wichtigsten Unterstützer bei der Bewältigung der neuen Situation, und übernahm auch pflegerische Aufgaben. Insgesamt sind für viele Frauen Partnerschaft und Familie der wichtigste Rückhalt bei der Lebensbewältigung. Für viele behinderte Frauen haben Partnerschaft und Familie aber auch große Bedeutung im Hinblick auf ihre soziale Absicherung, wenn sie aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen aus dem Arbeitsprozess herausfallen (Vgl. ebd., 231 ff.).

Radtke sieht viele Schwierigkeiten, die behinderte Frauen in Partnerschaften erleben, in einem sehr negativen Selbstbild und einer Überhöhung des (potentiellen) Partners begründet. Sie berichtet, dass viele behinderte Frauen aus dem Gefühl heraus, ihre Weiblichkeit beweisen zu müssen, Partnerschaften eingehen, in denen sie ausgebeutet oder missbraucht werden. Manche erhalten diese Partnerschaften jedoch trotzdem aufrecht, weil sie sich so minderwertig fühlen, dass sie glauben, keine besseren Chancen zu haben. Radtke plädiert dafür, behinderte Mädchen und Frauen mit Hilfe des Peer Counseling darin zu unterstützen, sich von traditionellen Schönheits- und Leistungsmaßstäben zu lösen und andere Wertmaßstäbe in Hinblick auf Partnerschaft und Sexualität zu entwickeln (Vgl. Radtke, 2001, S. 71 f.).

3.4. Behinderte Frauen und die Frauenbewegung

Auf den ersten Blick erscheint es naheliegend, dass zahlreiche behinderte Frauen - angesichts ihrer Lebenssituation und Erfahrungen - in der feministischen Bewegung beheimatet sind und deren Forderungen und Ziele mittragen bzw. die Anliegen und Ziele behinderter Frauen in der Frauenbewegung Unterstützung finden. Tatsächlich gestaltet sich das Verhältnis beiderseits eher problematisch.

Abgesehen von wenigen Ausnahmen, findet die spezifische Problematik behinderter Frauen in der Frauenliteratur keine Beachtung. Lorber sieht dies unter anderem dadurch begründet, dass in der Frauenliteratur ebenso wie in Frauengruppen die eigene subjektive Problembewältigung im Vordergrund steht, was nur wenig Raum für die Auseinandersetzung mit Minderheiten lässt. Behinderte Frauen, die häufig in Heimen oder Familien isoliert leben, können sich innerhalb der Frauenbewegung nicht genügend artikulieren. Menschen mit Behinderungen gehören zum überwiegenden Teil unteren sozialen Schichten an, während sich die Frauenbewegung größtenteils aus Angehörigen der Mittelschicht mit höherer Bildung zusammensetzt, was ebenfalls zu Verständigungsschwierigkeiten führt. Darüber hinaus verhindert die Sozialisation behinderter Frauen häufig die Entwicklung eines Problembewusstseins und entsprechenden Selbstbewusstseins (Vgl. Lorber, 1988, S. 18 ff.).

Born stellte in Gesprächen mit behinderten Frauen fest, dass viele von ihnen feministischem Gedankengut eher ablehnend gegenüberstehen. Sie führt dies darauf zurück, dass die Auseinandersetzung mit feministischem Gedankengut häufig eine Neuorientierung im eigenen Lebensstil und einen Verlust von Sicherheit bedeutet und dass ein selbstbestimmtes Leben gleichzeitig mehr Energie und persönlichen Einsatz erfordert sowie auch mehr Frustrationen mit sich bringt. Für behinderte Frauen sei es, laut Born, aufgrund ihrer Sozialisation und ihrer Lebenssituation häufig noch wesentlich schwieriger als für nichtbehinderte, diesen Sprung zu wagen (Vgl. Born, 1992, S. 80 f.).

Ich sehe einen weiteren wesentlichen Grund für die Distanz vieler behinderter Frauen zu feministischem Gedankengut darin, dass die Ausgangssituation behinderter Frauen allgemein eine völlig andere ist: Ihnen wird das Frau-Sein als solches abgesprochen. Während die Frauenbewegung gegen die Rollenfixierung auf den Bereich der familialen Reproduktion ankämpft, müssen behinderte Frauen vielfach darum kämpfen, geschlechtsspezifische Rollen übernehmen zu können. Daraus folgt häufig die distanzierte Haltung gegenüber feministischen Zielsetzungen. Es macht in den Augen vieler Betroffener einfach wenig Sinn, z. B. gegen sexistische Verhaltensweisen zu kämpfen, wenn es für sie zunächst darum geht, als Person und vor allem als Frau ernst genommen zu werden. Diese Situation illustriert die Journalistin Sigrid Arnade, die erst ab dem Alter von etwa 30 Jahren von einer sichtbaren körperlichen Behinderung betroffen war, sehr deutlich: "Als ich feststellte, daß mich niemand mehr mit den Blicken halb auszog, niemand mir hinterherpfiff. oder versuchte, Po und Brüste anzugrapschen, freute mich das. Als ich dann feststellte, daß man mir statt dessen über den Kopf strich und mitleidig fragte: 'Na, wie geht's uns denn heute?', wich meine Freude wachsender Wut." (Arnade, 1992, S. 7)

Heitkamp berichtet, dass unter blinden Frauen in Deutschland ab Mitte der Achtzigerjahre eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Situation einsetzte. Sie sieht dies zwar in Zusammenhang mit der neuen Frauenbewegung, stellt aber gleichzeitig fest, dass die Themen der blinden Frauen sich vielfach sehr von denen nicht behinderter Frauen unterscheiden. Neben dem Thema Berufstätigkeit werden unter blinden Frauen vor allem die Bereiche Partnerschaft und Mutterschaft thematisiert. "Während sehende Frauen nach neuen Rollen suchen, die losgelöst sind von der Festschreibung auf diese beiden Bereiche, werden sie unter blinden Frauen, für die Partner- und Mutterschaft noch bis vor kurzem eher als Tabu oder wenigstens heikel galten, zum Diskussionspunkt." (Heitkamp, 1992, S. 173)

Nach Ansicht von Wienhues haben behinderte Frauen an der weiblichen Emanzipation nicht teil. Das Aufzeigen von Problemen behinderter Frauen dient Feministinnen als Vehikel zur Erkenntnis allgemeiner weiblicher Unterdrückung, während die besondere Situation behinderter Frauen dabei keine Berücksichtigung findet (Vgl. Wienhues, 1988, S. 7).

Lux beschreibt, dass Frauen mit Behinderungen, die aktiv in der feministischen Bewegung mitarbeiten, dort häufig ebenfalls mit ausgrenzenden Denkweisen und Strukturen konfrontiert sind. Auch in Frauenzusammenhängen haben sich Normen und Schönheitsideale herausgebildet, die Frauen mit einer Behinderung diskriminieren und verletzen können: Stärke, Unabhängigkeit, Sportlichkeit, Flexibilität (Vgl. Lux, 1993, S. 17 ff.).

Eine schwierige Auseinandersetzung zwischen behinderten und nichtbehinderten Frauen dreht sich um das Thema Abtreibung: Behinderte Frauen unterstützen grundsätzlich die Forderung nach straffreier Abtreibung in Form einer Fristenlösung, wenden sich aber entschieden gegen selektive Abtreibung aufgrund von Qualitätskriterien des Fetus. Dies ist dann der Fall, wenn mittels Pränataldiagnostik eine voraussichtliche Behinderung des Kindes festgestellt wurde. Die Frauenbewegung sieht jedoch in der Forderung nach einer Abschaffung der sogenannten "eugenischen Indikation", die z. B. im österreichischen Strafrecht eine straffreie Abtreibung eines voraussichtlich behinderten Kindes bis zum Zeitpunkt der Geburt vorsieht, eine Gefährdung der Fristenlösung insgesamt (Vgl. Rütter, 1993, S. 30, und Primich-Eisner, 2002).

3.5. Die Wahrnehmung behinderter Frauen in der sozialpädagogischen Literatur

Die allgemeine Tendenz zur Schaffung von "Sonderbereichen" für behinderte Menschen spiegelt sich in der Pädagogik wider. Die Beschäftigung mit Behinderung bzw. behinderten Menschen fand bis vor wenigen Jahren fast ausschließlich in der Heil- und Sonderpädagogik bzw. Behindertenpädagogik statt. Der Grund dafür liegt in der ausschließlichen Fokussierung auf Schädigungen und Defizite. Behinderung als soziales Phänomen und damit auch als Thema von Sozialpädagogik und Sozialarbeit wird im wissenschaftlichen Diskurs erst allmählich wahrgenommen. Diese Entwicklung verläuft parallel mit der Abkehr von der institutionellen Betreuung behinderter Menschen und Bestrebungen, die notwendigen Rahmenbedingungen für ein möglichst selbstbestimmtes Leben im eigenen Wohnumfeld zu schaffen. Eine Differenzierung zwischen behinderten Männern und Frauen findet dabei jedoch nur selten statt.

In den Jahren 2001 und 2002 wurden in Deutschland mit dem Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) und dem Gleichstellungsgesetz für behinderte Menschen zwei Gesetze erlassen, die die Selbstbestimmung und Partizipation behinderter Menschen in allen Lebens- und Entscheidungsbereichen und den rechtlichen Schutz vor Diskriminierungen zum Ziel haben. Die Auswirkungen dieser Gesetze wurden in mehreren Beiträgen in sozialpädagogischen Fachzeitschriften erörtert. Auf die spezifische Situation behinderter Mädchen und Frauen wird dabei jedoch nur in zwei Beiträgen kurz Bezug genommen. Wilmerstadt und Liebig beschreiben einige Vorgaben des SGB IX, die sich speziell auf Lebenslagen behinderter Mädchen und Frauen beziehen, wie die Einbeziehung behinderter Frauen in Beratungsangebote, flexiblere Gestaltung von Rehabilitationsangeboten, die z. B. auf die Wahrnehmung von Familienaufgaben durch Frauen Rücksicht nehmen, sowie spezielle Angebote zur Stärkung des Selbstbewusstseins für behinderte Mädchen im Rehabilitationssport (Selbstverteidigungstrainings) (Vgl. Wilmerstadt/Liebig, 2002, S. 370).

Weinmann bezieht sich ebenfalls auf die Zielsetzung des deutschen SGB IX, die Gleichstellung und die besonderen Lebenslagen behinderter Frauen besonders zu berücksichtigen. Des Weiteren beschreibt sie das Konzept des Selbstbestimmten Lebens mit Persönlicher Assistenz im Hinblick auf sich daraus ergebende neue Handlungskonzepte für die Sozialarbeit. Als geschlechtsspezifische Aspekte persönlicher Assistenz werden dabei Mutterschaft und Selbstbestimmung, Assistenzbedarf zur Versorgung der Kinder und der Gestaltung des Familienalltags, sexualisierte Gewalterfahrungen durch Männer, Prävention sexueller Gewalt durch persönliche Assistenz, Forderungen von Maßnahmen zum Schutz behinderter Frauen und Mädchen beschrieben. Weinmann fordert, dass die von behinderten Expertinnen und Experten entwickelten Konzepte und Schulungsgrundlagen zum Selbstbestimmten Leben mit Persönlicher Assistenz in Studium und Praxis der Sozialarbeit implementiert werden, weil sie eine sozialwissenschaftliche und feministische Perspektive der Kategorie Behinderung vorgeben und auf Selbstbestimmung, Teilhabe und Integration fokussieren (Vgl. Weinmann, 2003, S. 30 ff.).

Kuhne beschäftigt sich in einem Beitrag (1996) mit der Wahrnehmung von Mädchen und Frauen mit Behinderungen durch die feministisch orientierte Sozialarbeit. Sie stellt dazu fest, dass behinderte Mädchen und Frauen von den Angeboten feministisch orientierter Sozialarbeit weitgehend ausgeschlossen werden. Sie begründet dies unter anderem damit, dass die Konfrontation mit behinderten Frauen auch bei vielen Fachfrauen in der feministisch orientierten Sozialarbeit tiefliegende Ängste hervorruft und die Tendenz besteht, Behinderung als individuelles Problem des betroffenen Mädchens bzw. der betroffenen Frau zu sehen. In diesem Zusammenhang kritisiert Kuhne, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Sozialarbeit behinderte Menschen gesondert behandeln, wodurch behinderte Kinder und Jugendliche von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe weitgehend ausgeschlossen werden. Da im Behindertenbereich kaum zwischen den Geschlechtern differenziert werde, fehlt es vielfach an spezifischen Angeboten für behinderte Mädchen, wie sie in der Kinder- und Jugendhilfe gegeben sind. Weitere Ursachen dafür, dass behinderte Mädchen und Frauen in der feministisch orientierten Sozialarbeit kaum angesprochen werden, sieht Kuhne in kommunikativen und baulichen Barrieren sowie der eingeschränkten Mobilität der Mädchen und Frauen, wodurch sie vielfach keinen Zugang zu entsprechenden Zentren und Treffpunkten haben. Schließlich berichtet Kuhne, dass behinderte Fachfrauen beim Versuch, sich mit nicht behinderten Fachfrauen in der feministischen Sozialarbeit zu vernetzen, auf zahlreiche Probleme stoßen. Ein gleichberechtigter Austausch sei vielfach nicht möglich, da die behinderten Frauen von nicht behinderten Kolleginnen leicht in die Klientinnenrolle gedrängt würden. Um die parteiliche feministische Sozialarbeit für Mädchen und junge Frauen mit Behinderungen zu öffnen, sei es aber unerlässlich, behinderte Frauen auf der fachlichen Ebene einzubeziehen. Sie bringen nicht nur umfangreiches Expertinnenwissen ein, sondern haben auch als Identifikationsfiguren eine wichtige Rolle bei der Selbstfindung von behinderten Mädchen und jungen Frauen (Vgl. Kuhne, 1996, S. 187 ff.).

Die vom Hessischen Koordinationsbüro für behinderte Frauen herausgegebene Bibliographie zum Thema "Frauen mit Behinderungen" weist eine relativ große Anzahl von Diplomarbeiten zu unterschiedlichen Aspekten dieses Themenbereiches auf (Vgl. Schopmans, 2001b). Größer angelegte Studien bzw. weitreichendere wissenschaftliche Auseinandersetzungen finden sich jedoch nur wenige, so bei Niehaus (Vgl. Niehaus, 1993, 1996 u. 2002) sowie die österreichische Studie zur sexuellen Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen in Institutionen von Zemp und Pircher (Vgl. Zemp/Pircher 1996) und die Studie zur Lebenssituation von Frauen mit Behinderungen in Deutschland von Eiermann et al, die rund 1.000 Personen erfasste (Vgl. Eiermann et al, 2000).

3.6. Frauen mit Behinderungen in Österreich

Im Bericht der Bundesregierung über die Lage der behinderten Menschen in Österreich 2003 wird festgestellt, dass es aufgrund des Fehlens einer eindeutigen Definition von Behinderung keine genauen Daten über die Anzahl behinderter Menschen in Österreich allgemein und somit auch nicht über den Anteil behinderter Frauen gibt. Nach den Daten des Mikrozensus 1995 übersteigt der Anteil körperlich beeinträchtigter Frauen an der Gesamtbevölkerung den der Männer um etwa 3 %. Dies wird vor allem auf die höhere Lebenserwartung von Frauen und das mit höherem Alter deutlich ansteigende Ausmaß körperlicher Beeinträchtigungen zurückgeführt (Vgl. Bundesministerium für Soziales, Generationen und Konsumentenschutz, 2003, S. 66).

Der Bericht nimmt vor allem auf die wirtschaftliche Situation von Frauen mit Behinderungen Bezug und stellt fest, dass die generelle Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und beim Einkommen durch eine Behinderung noch verschärft wird und behinderte Frauen daher nachweislich besonders armutsgefährdet sind. So sind laut Mikrozensus 1995 45,5 % der Männer mit körperlichen Beeinträchtigungen erwerbstätig und 42 % in Pension. Bei den Frauen mit körperlichen Beeinträchtigungen beträgt der Anteil der Erwerbstätigen nur 26,5 %, und 48 % sind in Pension. Das durchschnittlich niedrigere Erwerbseinkommen von Frauen spiegelt sich in der Höhe von Invaliditäts- bzw. Erwerbs- und Berufsunfähigkeitspensionen wider. So betrug 2001 die durchschnittliche Bruttoleistung aus diesen Pensionsformen für Männer rund 900 €, die für Frauen nur rund 500 €. Ein ähnliches Bild zeigt sich im Bereich der Arbeitslosenversicherung. Die durchschnittliche Höhe von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe für behinderte Frauen lag im Jahr 2000 monatlich mit 438 € rund 50 € unter der nicht behinderter Frauen und rund 130 € unter der behinderter Männer (Vgl. ebd., S. 66 ff.).

Im Auftrag des Bundesministeriums für Soziales, Generationen und Konsumentenschutz wurde 2003 das Projekt "Frau sein - barrierefrei" durchgeführt, dass sich vor allem mit der Situation behinderter Frauen auf dem Arbeitsmarkt, ihren Bildungs-, Weiterbildungs- und Karrierechancen beschäftigt (Vgl. Götzinger et al, 2004). Im Rahmen dieses Projektes fand eine österreichweite Fragebogenerhebung unter Frauen mit Behinderungen statt, bei der auch Fragen zur allgemeinen Lebenssituation von Frauen mit Behinderungen gestellt wurden. Diese allgemeinen Angaben z. B. zur Einkommens- oder Familiensituation wurden jedoch leider nicht in die Veröffentlichung aufgenommen.

Ebenso wie bei der Studie zur Lebenssituation behinderter Frauen in Deutschland (Vgl. Eiermann et al, 2000) machten auch die Autorinnen der österreichischen Erhebung die Erfahrung, dass mit derartigen Befragungen vor allem Frauen erreicht werden können, die in Privathaushalten leben. Um auch Frauen in Institutionen zu erreichen, müsste ein anderer Zugang gewählt werden (Vgl. Götzinger et al, 2004 S. 19).

92 % der Teilnehmerinnen an der Befragung waren zwischen 15 und 60 Jahre alt, 54,4 % gaben an, berufstätig zu sein. Karrierechancen werden von den befragten Frauen nicht gesehen. Generell sind die Chancen, einen ausbildungsadäquaten Arbeitsplatz mit der Möglichkeit der beruflichen Weiterentwicklung zu bekommen, sehr gering. Weiters wird dokumentiert, dass sich behinderte Frauen Assistenz für Beruf und Freizeit in hohem Ausmaß privat und individuell organisieren. Die Möglichkeiten, Assistenz über verschiedene Institutionen zu erhalten sind zwar bekannt, werden aber nur wenig genutzt. Dadurch entsteht eine hohe Abhängigkeit vom sozialen Umfeld. Auf die Frage nach notwendigen Maßnahmen für eine Verbesserung ihrer Situation wurden von den befragten Frauen sowohl behindertenpolitische Forderungen (barrierefreies Bauen, weibliche Assistenz, Gleichstellungsgesetz) als auch frauenpolitische Forderungen (gleicher Lohn für gleiche Arbeit, flächendeckende Kinderbetreuung) gestellt. Die Autorinnen sehen dies als Ausdruck der doppelten Diskriminierung von Frauen mit Behinderungen (Vgl. ebd., S. 19f. u. 30 ff.).

Bei einem Vergleich zwischen Österreich und Deutschland fällt auf, dass in Deutschland bereits seit dem Ende der Achtzigerjahre eine starke Vernetzung behinderter Frauen stattfand, während es in Österreich keine derartigen Zusammenschlüsse gab. So entstanden in Deutschland zahlreiche regionale und überregionale Gruppen und Initiativen von Frauen mit Behinderungen, die bewirkten, dass ihre Themen vor allem in der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung sehr präsent waren und sind. Diese Gruppen formulierten klare politische Forderungen, die sich auf die spezifische Situation von Frauen mit Behinderungen bezogen und auch Eingang in die neuen deutschen Sozial- und Gleichstellungsgesetze fanden.

In der österreichischen Behindertenbewegung wurden die spezifischen Probleme von Frauen mit Behinderungen bislang nur wenig thematisiert, obwohl insbesondere in Selbstbestimmt-Leben-Initiativen zahlreiche behinderte Frauen aktiv mitarbeiten. Erst im Jahr 2003 wurde mit dem Aufbau eines österreichischen Netzwerkes von und für Frauen mit Behinderungen begonnen.

3.7. Zusammenfassung: Die "doppelte Diskriminierung" von Frauen mit Behinderungen

Der Begriff der "doppelten Diskriminierung" wurde in den Achtzigerjahren von behinderten Frauen geprägt. Er beschreibt die Tatsache, dass behinderte Frauen gesellschaftliche Diskriminierung sowohl aufgrund ihres Frauseins als auch aufgrund ihres Behindertseins erfahren. Dieses Zusammenwirken bedingt nach Lorber, dass behinderte Frauen von der Gesellschaft als doppelt minderwertig, als Menschen dritter Klasse, angesehen werden (Vgl. Lorber, 1988, S. 50 f.).

Wienhues stellt fest: "Behinderte Frauen unterliegen sowohl dem Behindertenklischee als auch dem Geschlechtsrollenklischee. Die Negativwirkungen potenzieren sich, da sie oft weibliche Attribute (Attraktivität, Mütterlichkeit) zur Verbesserung ihrer Situation nicht einsetzen können. Die doppelte Benachteiligung lässt sie häufig im Vergleich zu gleichaltrigen Frauen oder gleich schwer behinderten Männern eine inferiore Stellung einnehmen." (Wienhues, 1988, S. 11) Im Folgenden nennt Wienhues einige Beispiele: Im Vergleich zu Männern, bei denen äußerliche Attraktivität keine so wesentliche Rolle spielt, ist es für Frauen kaum möglich, eine ausgeprägte Abweichung vom Schönheitsideal zu kompensieren. Ebenso wie durch die mangelnde Attraktivität für potentielle Partner wird das Selbstwertgefühl behinderter Frauen auch durch die nicht vorhandene Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Frauen beeinträchtigt. Diese bewirkt bei nicht behinderten Frauen ein besonderes Verhalten gegenüber behinderten Frauen, nämlich ein allgemeines Nicht-ernst-nehmen und die Behandlung als geschlechtsloses Wesen. In anderen Zusammenhängen werden behinderte Frauen mit übergroßen Erwartungen hinsichtlich ihrer weiblichen Tugenden konfrontiert, nach dem Muster "wenn schon nicht attraktiv, dann wenigstens extrem fleißig, intelligent, sauber, freundlich, tüchtig, hilfsbereit, zugleich aber bescheiden und zurückhaltend". Dabei wird auf behinderungsbedingte Einschränkungen wenig Rücksicht genommen. Im Gegenteil wird - wie in Kap. 3.3. beschrieben - von behinderten Frauen z. B. in der Haushaltsführung besonderer Perfektionismus verlangt. Im Bereich der Kontaktaufnahme und Kommunikation bewirken Einschränkungen im Wahrnehmungsbereich bzw. in der Mimik und Gestik häufig aus der Sicht einer nicht behinderten Person inadäquate Reaktionen und daraus folgend Missverständnisse. Für behinderte Frauen sind die Auswirkungen solcher Kommunikationsschwierigkeiten im sozialen Umfeld gravierender, da das weibliche Erziehungsideal in Richtung fein, zierlich, gewählt, differenziert, wohlproportioniert und harmonisch geht, während bei Männern plumpes, ungeschicktes oder grobes Verhalten eher toleriert wird. Differenzierte Ausdrucks- und Wahrnehmungsfähigkeit, uneingeschränkte Kommunikationsfähigkeit, besonders im Bereich der Gefühle und Stimmungen, gelten als Vorraussetzung und Anzeichen von Weiblichkeit und Mütterlichkeit. Auch geringe Beeinträchtigungen können dabei zu erheblichen Störungen und zur Ausgrenzung der Betroffenen führen (Vgl. ebd., S. 11 ff.).

Behinderte Frauen stellen innerhalb der Gesamtheit behinderter Menschen eine spezifische Gruppe dar, die sich in vielen Bereichen deutlich von der Gruppe der behinderten Männer unterscheidet. Niehaus nennt in diesem Zusammenhang Merkmale der Behinderung, des Familienstandes und der Erwerbsbeteiligung. Aus einem Vergleich der sozialen Situation behinderter Frauen mit behinderten Männern bzw. behinderter Frauen mit nicht behinderten Frauen zieht Niehaus den Schluss, dass die sozialen Partizipationsmöglichkeiten behinderter Frauen besonders eingeschränkt sind. So liegt die Erwerbsbeteiligung behinderter Frauen deutlich unter der behinderter Männer und nicht behinderter Frauen. Behinderte Frauen sind häufiger geschieden bzw. alleinstehend als nicht behinderte Frauen oder behinderte Männer, und speziell für alleinstehende, nicht erwerbstätige behinderte Frauen ist es schwierig, die behinderungsbedingt erforderliche Unterstützung bei der Alltagsbewältigung zu erhalten. Niehaus spricht vom doppelten Handicap behinderter Frauen, das nicht nur zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen trennt, sondern auch zwischen behinderten Frauen und behinderten Männern (Vgl. Niehaus, 1993, S. 119 ff.).

Betrachtet man Behinderung unter dem Gesichtspunkt der Isolation, so ergeben sich für behinderte Frauen doppelte Isolationstendenzen. Einerseits besteht die Tendenz zur Ausgrenzung von Frauen aus verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, andererseits erfahren behinderte Frauen auch Ausgrenzungen, weil sie von der weiblichen Normalität - z. B. in ihrer Attraktivität oder der Fähigkeit zur familialen Reproduktionsarbeit - abweichen (Vgl. Meier-Rey, 1994, S. 81).

Die Forderung nach attraktivem Äußeren und weiblich angepasstem Verhalten sind Ausdruck des patriarchalen Gesellschaftssystems und beziehen sich - nach Bruner - zunächst in gleicher Weise auf nicht behinderte wie auf behinderte Frauen. Für behinderte Frauen sind diese Forderungen jedoch unerfüllbar. Aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen können behinderte Frauen dem geforderten Rollenschema vielfach nicht nahe kommen. Sie entsprechen nicht dem gängigen Schönheitsideal und können in einer Partnerschaft die fürsorgende Rolle nur eingeschränkt oder gar nicht übernehmen, sind im Gegenteil in vielen Bereichen selbst auf Hilfe angewiesen. Deshalb ist für die meisten Männer eine Partnerschaft mit einer behinderten Frau nicht vorstellbar (Vgl. Bruner, 2000).

Nach Wienhues wird auch von behinderten Männern "weibliches", also zurückhaltendes und angepasstes Verhalten erwartet. Für behinderte Frauen erhöht sich dadurch der Druck, besonders weiblich zu sein (Vgl. Wienhues, 1988, S. 9 f.).

In der Literatur zur Situation behinderter Frauen finden sich - wie sich auch in diesem Abschnitt gezeigt hat - zwei einander auf den ersten Blick widersprechende Thesen: die eine These besagt, dass behinderten Frauen Geschlechtslosigkeit zugeschrieben werde, die andere, dass sie besonders weibliches Verhalten zeigen müssten. Cloerkes meint dazu, dass beide Thesen Gültigkeit haben, sich aber auf unterschiedliche Formen von Behinderungen bei Frauen beziehen: Für weniger sichtbar behinderte Frauen oder für Frauen mit Intelligenzdefiziten können gesteigerte sexuelle Attraktivität und betont weibliches Rollenverhalten zu einer funktionierenden Kompensationsstrategie werden, während für deutlich sichtbar und schwerer behinderte Frauen geschlechtsloses Verhalten gesellschaftlich erwartet und akzeptiert wird (Vgl. Cloerkes, 1994, S. 172 f.).

Strahl sieht den Begriff. "doppelte Diskriminierung" als politischen Arbeitsbegriff, mit dem behinderte Frauen ihre spezifischen Probleme an die Öffentlichkeit brachten. Tatsächlich zeigt eine Durchsicht der Bibliographie "Literatur von für über Frauen mit Behinderung" (Vgl. Schopmans, 2001b), dass seit dem Ende der Achtzigerjahre in Deutschland zahlreiche Veranstaltungen zu diesem Thema stattfanden und das Thema auch in Zeitschriften, Diplomarbeiten und Veröffentlichungen von Ministerien und anderen öffentlichen Stellen verstärkt präsent ist. Das - zumindest in Deutschland - gesteigerte öffentliche Interesse an diesem Thema dürfe - nach Strahl - jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, "dass eine spezifische geschlechtsdifferenzierte Betrachtung der realen gesamten Lebenswelt behinderter Mädchen und Frauen im Schul-, Ausbildungs- und Rehabilitationsbereich, in Wissenschaft und Forschung und in der pädagogisch-therapeutischen Praxis nach wie vor wenig Beachtung findet." (Strahl, 2001, S. 8)

Die folgende Feststellung von Lorber aus dem Jahr 1988 hat daher ihre Gültigkeit bis heute behalten: "Für behinderte Frauen ist es also besonders wichtig, dass ihre spezielle Problematik in das gesellschaftliche Bewusstsein eindringt und dass die Rollen sowohl von Frauen als auch von Behinderten neu definiert werden, um ihnen ein gleichberechtigtes Dasein zu ermöglichen. Dies sollte eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein, da die Betroffenen meist nicht in der Lage sind, sich allein durchzusetzen." (Lorber, 1988, S. 56)

4. Die Mutterrolle im sozialen Kontext

Die Rolle der Mutter unterliegt - ebenso wie die Behindertenrolle (Vgl. Kap. 2.3.) - einer besonders ausgeprägten gesellschaftlichen Normierung. In diesem Abschnitt möchte ich die Entwicklung der Mutterrolle in den vergangenen zweihundert Jahren und die gegenwärtige soziale Position von Müttern allgemein skizzieren. Im darauffolgenden Abschnitt werde ich dann unter anderem zeigen, wie sich die gegensätzlichen Implikationen von Mutterrolle und Behindertenrolle auf die soziale Situation und den Alltag von Müttern mit Behinderungen auswirken.

Kortendiek unterscheidet zwischen der eindeutig definierten biologischen Mutterschaft und der sozialen Mutterschaft. Letztere schließt sich in der Regel der biologischen Mutterschaft an, ist aber grundsätzlich nicht naturgegeben, sondern abhängig von der spezifischen Gesellschaftssituation (Vgl. Kortendiek, 1996; zit. nach Unterlercher, 2002, S. 7). Hinzu kommen noch individuelle Rahmenbedingungen, die - wie z. B. im Fall der Adoption - bewirken, dass biologische und soziale Mutterschaft nicht von derselben Frau übernommen werden.

Von dem Zeitpunkt an, ab dem die Rolle der Mutter mit weitreichenden gesellschaftlichen Anforderungen besetzt wurde (etwa ab Mitte des 18. Jahrhunderts), richteten sich diese ausschließlich an die soziale Mutterrolle. Mit den biomedizinischen Erkenntnissen der jüngeren Vergangenheit werden Frauen auch in ihrer biologischen Mutterrolle mit zahlreichen Erwartungen und neuen Normierungen konfrontiert. Insgesamt zeigt sich eine permanente Verschiebung der Verantwortung für das Aufwachsen und die Entwicklung von Kindern von der Gesamtgesellschaft hin zu den Eltern und hier vor allem zu den Müttern, die zum Kristallisationspunkt von Idealisierungen und Schuldzuschreibungen werden.

4.1. Die Entwicklung der Mutterrolle im 19. und 20. Jahrhundert

Im Folgenden möchte ich einen kurzen Überblick darüber geben, wie sich die gesellschaftlichen Erwartungen an Mütter, die Zuschreibungen von Aufgaben und Verantwortlichkeiten in den letzten beiden Jahrhunderten entwickelt haben. Dabei fällt auf, dass alle Anforderungen an Mütter, die sich aus gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Wertmaßstäben ebenso wie aus wissenschaftlichen Erkenntnissen entwickelten, immer unter den Begriff "Mutterliebe" subsumiert wurden. Eine gute, das heißt liebende Mutter ist nur diejenige, die den an sie gerichteten Erwartungen, die im Laufe dieses Zeitraumes durchaus unterschiedlich sind, entspricht. Schütze, auf deren Arbeit ich mich in diesem Kapitel überwiegend beziehe, spricht in diesem Zusammenhang vom "Konstrukt Mutterliebe" (Vgl. Schütze, 1986, S. 5).

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts rückte die Mutter-Kind-Beziehung zunehmend ins Interesse der pädagogischen Literatur. Zu dieser Zeit entstanden die ersten Ratgeber, die sich direkt an die Mütter wendeten. Sie wurden von Ärzten verfasst und beschäftigten sich mit der richtigen Kinderpflege. Die Autoren gingen dabei davon aus, dass Mutterliebe als ein der Frau angeborenes Gefühl reichlich vorhanden sei, dass es aber den Müttern am notwendigen Wissen fehle, um die körperliche Entwicklung und Gesundheit ihrer Kinder bestmöglich zu fördern. Erfolge im Bereich der moralisch-sittlichen Entwicklung würden sich quasi von selbst einstellen, wenn die Mütter ausreichende Kenntnisse über die Bedürfnisse des Körpers hätten. In dieser Phase wirkte das Rousseausche Erziehungsideal der behutsamen Förderung noch stark in den Auffassungen über den richtigen Umgang mit Kindern in der gebildeten Oberschicht.

Im Zuge der Industrialisierung entwickelten sich jedoch Erziehungsnormen, die Disziplin und Gehorsam in den Vordergrund stellten. Die Forderung nach Pflichterfüllung wurde nun auch auf die Mütter gerichtet. Gleichzeitig wurde der Frau aber ein Geschlechtscharakter zugeschrieben, dem Pflichterfüllung und eiserne Disziplin gegenüber sich selbst und gegenüber dem Kind eigentlich fremd seien. Dem Vater komme daher die Aufgabe zu, disziplinierend einzugreifen, wo die Mutter aufgrund ihrer zu großen "Zärtlichkeitsgefühle" dem Kind gegenüber bei der Disziplinierung "versagt". Insgesamt kam im 19. Jahrhundert und am Anfang des 20. Jahrhunderts der Mutter die Verantwortung für die körperliche Entwicklung des Kindes und für dessen gesellschaftliche Brauchbarkeit zu (Vgl. Schütze, 1986, S. 171 ff.).

Es gehörte zur Normalbiographie einer Frau, Kinder zu haben. Allerdings war die Annahme, dass ihre Kinder und ihre Aufgaben als Mutter den absoluten Lebensmittelpunkt der Frauen darstellen sollten, das Produkt einer Entwicklung, die sich ab dem 18. Jahrhundert vollzog. Damit verbunden war vor allem in den gehobenen Schichten auch eine Aufwertung der Position der Frau in der Familie. Die Rolle des Vaters wurde zunehmend auf die einer Autorität im Hintergrund beschränkt. Die Aufgaben des Mannes verlagerten sich zunehmend in den Bereich der Außenwelt, während die Innenwelt der Familie und des Hausstandes der Frau unterstand. Dies bedeutete allerdings nicht, dass sich die Mütter des 18., 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts ausschließlich mit ihren Kindern befassten. In den Großfamilien bzw. den Haushalten mit Personal der gehobenen Schichten wurde die Betreuung und Versorgung der Kinder immer von mehreren Personen wahrgenommen (Vgl. Schenk, 1998, S. 177 ff.).

Nach dem Ersten Weltkrieg entdeckte die Psychologie die kindliche Seele und damit einen neuen zusätzlichen Verantwortungsbereich der Mütter. Hierbei entstanden anfangs im englischsprachigen Raum aufgrund dieser Erkenntnisse andere Erziehungsideale als im deutschsprachigen, wo zunächst der Einfluss der nationalsozialistischen Ideologie dominierte und auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges weiter wirkte.

Mit Watson kam erstmals zu dem Anspruch an die Mütter, allein verantwortlich für die körperliche Gesundheit und die den gesellschaftlichen Normen entsprechenden Verhaltensweisen der Kinder zu sein, der Anspruch hinzu, dass Kinder glücklich sein müssten. Jede seelische Beeinträchtigung des Kindes war nach Watson alleinig dem mütterlichen Unvermögen zuzuschreiben. "Damit eskaliert die Verantwortung der Mutter um eine weitere Stufe." (Schütze, 1986, S. 81) Kritiker von Watson wendeten sich zwar gegen die von ihm angeordnete strenge Reglementierung des Umganges mit Kindern, beließen die Verantwortung für die optimale seelische Entwicklung des Kindes aber ebenfalls bei der Mutter (Vgl. ebd., S. 87 ff.).

In den Vierzigerjahren erschienen etwa zeitgleich in England Bücher von Winnicott und Bowlby. Beide kamen anhand unterschiedlicher Erfahrungen zu dem Schluss, dass eine Mutter nicht nur Tag und Nacht für ihr Kind da zu sein habe, um seine Bedürfnisse sensibel zu erraten und zu befriedigen, sondern dass sie aus dieser Hingebung an das Kind auch persönliche Bereicherung und Freude zu gewinnen habe. Damit wurde der Anspruch an die Mütter nochmals gesteigert. "Die Mutter der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann ihre Pflichten bis zur Erschöpfung ausüben, trotzdem macht sie sich schuldig, wenn das Gefühl persönlicher Bereicherung ausbleibt und gar unbewusste negative Empfindungen existieren." (Ebd., S. 92) So stellt bei Winnicott jede negative Gemütstimmung, jedes nicht planvolle Handeln und jegliches Interesse, das sich nicht auf das Kind bezieht, eine Abweichung von der "normal hingebungsvollen Mütterlichkeit" dar. Fast gleichzeitig beschrieb Spitz die "überfürsorgliche Mutter", die durch ihre übertriebene Zuwendung an das Kind unbewusste negative Gefühle abwehrt und durch ihre Überfürsorglichkeit das Kind lebensuntüchtig macht (Vgl. ebd., S. 93 ff.). "Die 'normale, hingebungsvolle Mutter' wandert auf einem schmalen Grat zwischen Vernachlässigung und Überfürsorglichkeit." (Ebd., S. 95) Der Ausschluss des Vaters aus der frühen Mutter-Kind-Symbiose, wie er seit den Anfängen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Mutter-Kind-Beziehung im 19. Jahrhundert in einschlägigen Publikationen dargestellt wurde, wurde auch von Winnicott und Bowlby fortgeschrieben. Aufgabe des Vaters ist die materielle Absicherung der Familie sowie die moralische und psychische Unterstützung der Mutter. Erst im fortgeschrittenen Kindesalter erhält er eine direkte Aufgabe in der Kindererziehung, indem er die Verbindung zur Außenwelt herstellt (Vgl. ebd., S. 98 ff.).

Infolge der Erkenntnisse Piagets und speziell in den USA als Folge des Sputnik-Schocks rückte in den Sechzigerjahren die kognitive Förderung von Kindern in den Vordergrund. Es wurde nun zur Aufgabe der Mütter, ihre Kinder bereits im Säuglingsalter optimal kognitiv zu stimulieren (Vgl. ebd., S. 103 f.).

Im deutschen Sprachraum verlief die Entwicklung des Mutterbildes nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst anders als im angloamerikanischen. Hier wurden die Werke von Winnicott, Bowlby und Spitz erst in den Sechziger- und Siebzigerjahren übersetzt und fanden erst zu dieser Zeit Eingang in die allgemeine Diskussion über die Mutter-Kind-Beziehung. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurden pädagogische Werke aus der Zeit des Nationalsozialismus und solche Werke aus den Zwanzigerjahren, die die Ideologie des Nationalsozialismus vorwegnahmen, in entnazifizierter Form mehrfach neu aufgelegt. Darin wurde vieles aus dem Gedankengut der Vererbungs- und Rassentheorien fortgeschrieben. So wurde in Auflagen bis in die Siebzigerjahre hinein empfohlen, bei der Wahl des Partners bzw. der Partnerin darauf zu achten, dass sie den zukünftigen Kindern gute Erbanlagen mitgeben werden (Vgl. ebd., S. 80 ff. u. 93).

In den Fünfziger- und Sechzigerjahren drehte sich in Deutschland die Diskussion der Mutterrolle vor allem um die Frage nach der Berufstätigkeit der Frau. Schütze widerspricht der Annahme, dass dies vor allem deshalb geschah, weil Männer um ihre Arbeitsplätze fürchteten. Zu dieser Zeit herrschte kein Mangel an Arbeitsplätzen. Es handelte sich nach Schütze vielmehr um den Versuch, einer zunehmenden Versachlichung des gesellschaftlichen Lebens weibliche Komplementärtugenden entgegenzusetzen. So wurde von mehreren Autoren davor gewarnt, dass die Sachzwänge einer Berufstätigkeit zur Verkümmerung spezifisch weiblicher Eigenschaften und hier vor allem der Mütterlichkeit führen würden. Mehrere Autoren versuchten, durch Untersuchungen zu belegen, dass sich eine Erwerbstätigkeit der Mutter schädigend auf die Kinder auswirken würde. Von diesen Autoren wurde die Berufstätigkeit einer Mutter nur bei Vorliegen einer wirtschaftlichen Notlage toleriert. Jede außerhäusliche Tätigkeit aus persönlichem Interesse wurde als Egoismus der Frauen und Vernachlässigung ihrer "eigentlichen" Verpflichtungen bewertet. Wie tief diese Ansichten zu dieser Zeit auch in der Bevölkerung verwurzelt waren, zeigte eine repräsentative Umfrage in Deutschland aus dem Jahr 1961, bei der sich eine große Mehrheit der Befragten für ein gesetzliches Berufsverbot für Frauen mit Kindern bis zu 10 Jahren aussprach (Vgl. ebd., S. 106 ff.).

Sowohl dieser Diskussion als auch dem durch Winnicott und Bowlby geprägten Verständnis der Mutterrolle im angloamerikanischen Raum lag die Überzeugung zugrunde: "Eine Frau kann nicht Mutter und noch etwas anderes zugleich sein. Eine Mutter, die noch andere Interessen hat, als das Wohl ihrer Kinder (und ihres Mannes), die nicht ihre ganze Erfüllung in der Mutterliebe findet, ist egoistisch und eine schlechte Mutter." (Schenk, 1998, S. 184) Schenk charakterisiert damit das Mutterbild des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Eine Fortschreibung dieser Auffassung nach dem Zweiten Weltkrieg kommt einer Verweigerung gesellschaftlicher Realitäten gleich. Trotzdem hält sich dieses Bild der "guten Mutter" hartnäckig, erfährt - wie ich im Folgenden noch kurz beschreiben werde - in der "neuen Mütterlichkeit" eine neue Hochblüte und bestimmt zumindest in Deutschland und Österreich auch gegenwärtig sozialpolitische Entscheidungen.

Zwar gab es bereits in den Fünfziger- und Sechzigerjahren zahlreiche Arbeiten, die keinerlei negative Auswirkungen einer Berufstätigkeit der Mutter auf die Entwicklung der Kinder feststellten, doch fanden diese Ergebnisse offenbar keine große Resonanz. Erst in den Siebzigerjahren setzten sich diese Erkenntnisse in der Forschung insgesamt durch. Mehrere Untersuchungen aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren wurden auf methodische Mängel und ideologische Verfremdung untersucht und zum Teil diesbezüglich scharf kritisiert. In den Achtzigerjahren schließlich wurde zur Frage der Auswirkungen der Berufstätigkeit von Müttern sowohl in Deutschland als auch in den USA in wissenschaftlichen Arbeiten eine den Auffassungen der Fünfzigerjahre entgegengesetzte Meinung vertreten. Gerade eine für eine Frau bereichernde Tätigkeit wirke sich positiv auf die Entwicklung der Kinder aus, weil die Frau an Selbstsicherheit und Zufriedenheit gewinne und dies an ihre Kinder weitergäbe. Eine Erwerbsarbeit rein aus wirtschaftlichen Zwängen löse dagegen bei Müttern große Schuldgefühle den Kindern gegenüber aus, was sich negativ auf das Erziehungsverhalten auswirke (Vgl. Schütze, 1986, S. 116 f.).

Anfang der Siebzigerjahre veränderten sich auch in Deutschland die Werthaltungen in Hinblick auf die Erziehung und Entwicklung von Kindern. Die Werke von Bowlby und Winnicott wurden übersetzt, und es entstanden zahlreiche Erziehungsratgeber deutscher Autoren, die diese Theorien fortführten. Gemeinsam ist den meisten, dass sie sich ebenfalls fast ausschließlich an Mütter wendeten und hohen moralischen Druck im Hinblick auf die Auswirkungen bewusster und unbewusster psychischer Zustände der Mutter auf das Kind vermitteln. Für alle Probleme und Störungen eines Kindes finden sich Ursachen in der inneren Haltung der Mutter (Vgl. ebd., S. 120 ff.). Dahinter steht wiederum eine stark normative Vorstellung darüber, wie Kinder sich zu entwickeln haben: "Die sogenannte individuelle Entfaltung ist kaum weniger zwingend festgelegt als die des disziplinorientierten Kindes der Jahrhundertwende: sozial und kognitiv kompetent, angstfrei, lebhaft und glücklich." (Ebd., S. 124)

Mitte der Siebzigerjahre traten Klaus und Kenelly mit ihrer These des Bondings an die Öffentlichkeit. Diese besagt, dass in der ersten Stunde nach der Geburt die Grundlage für die spätere Mutter-Kind-Beziehung gelegt wird. Kann die Mutter in dieser Phase und auch in den Tagen nach der Geburt keinen intensiven Kontakt zu ihrem Kind aufnehmen, so wirkt sich dies nicht nur auf die Beziehung zwischen Mutter und Kind, sondern auch auf die gesamte Entwicklung des Kindes aus. Diese These revolutionierte den Umgang mit Müttern und deren Neugeborenen in den Spitälern und führte zur Einführung des Rooming-in. Sie wurde aber sehr bald von anderen Wissenschaftern kritisiert, unter anderem mit dem Verweis, dass dadurch auf die Eltern von Kindern, die zu früh, krank oder mittels Kaiserschnitt zur Welt gekommen waren, ein zusätzlicher Druck entstehe und Schuldgefühle produziere. Claus und Kenelly widerriefen ihre These auch nach einigen Jahren. Im allgemeinen Bewusstsein blieb Bonding jedoch verankert und neben dem positiven Effekt, dass in Spitälern nun stärker auf die Bedürfnisse von Müttern und Neugeborenen eingegangen wird, leiden Mütter, die sich aus unterschiedlichen Gründen nicht sofort nach der Geburt um ihre Neugeborenen kümmern können, unter Schuldgefühlen, bzw. erfahren Mütter, die sich bewusst gegen Rooming-in entscheiden, unter Umständen negative Reaktionen ihrer Umwelt (Vgl. ebd., S. 127 ff.).

Dieser Fall bewirkte in der Wissenschaft jedoch auch eine Auseinandersetzung mit der Situation der Mütter und führte unter Anderem Anfang der Achtzigerjahre zu der selbstkritischen Feststellung des Psychologen Kessen, dass die bisherige Kinderpsychologie vor allem in der Beschimpfung der Mütter bestanden habe. In weiterer Folge veränderte sich allmählich die Ratgeberliteratur. Man versuchte, die Mütter darin zu bestärken, selbst herauszufinden, was ihnen und der Beziehung zu ihren Kindern gut tue. Außerdem wurde der Zusammenhang zwischen Mutter-Kind-Beziehung und Entwicklung des Kindes als weit weniger groß eingeschätzt und zunehmend auch andere Einflussfaktoren erforscht, wie z. B. die Rolle des Vaters. Als viele Männer begannen, ihre Vaterrolle anders als frühere Generationen wahrzunehmen und sich aktiv und intensiv mit ihren Säuglingen und Kleinkindern beschäftigten, stellte die Wissenschaft fest, dass sich Mütter und Väter im Umgang mit kleinen Kindern wesentlich weniger unterscheiden als bis dahin angenommen. Des Weiteren wurden Forschungsarbeiten veröffentlicht, die zeigen, dass ein Neugeborenes seiner Umwelt keineswegs passiv gegenübersteht. So werden hier die ersten Wochen nach der Geburt als eine Phase der wechselseitigen Anpassung zwischen Mutter und Kind beschrieben, in der Störungen auch jederzeit wieder ausgeglichen werden können (gl. ebd., S. 130 ff.).

Diesen für Mütter entlastenden Thesen am Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre stand jedoch bereits wieder eine Gegenbewegung gegenüber, die geeignet war, Mütter wiederum mit Schuldgefühlen zu überhäufen. Sie kam aus der damals neuen Disziplin der Pränatalpsychologie. Deren Forschungsergebnisse zum Einfluss des Verhaltens, vor allem aber auch der bewussten und unbewussten Einstellung einer Schwangeren zu ihrem Kind, wurden in Magazinen unreflektiert und ohne Rezeption möglicher abweichender Forschungsergebnisse wiedergegeben. Es werden Forschungsarbeiten zitiert, die werdende Mütter in Gruppen mit Bezeichnungen wie "ideal", "kühl", "ambivalent" und "katastrophal" einteilen und einen Zusammenhang zwischen der Einstellung der Mutter zu ihrem Kind und dem Verlauf von Schwangerschaft und Geburt sowie dem Verhalten und der Entwicklung der Kinder herstellen (Vgl. ebd., S. 138 ff.).

Schenk stellt dazu fest, dass sich seit den Achtzigerjahren der Druck auf schwangere Frauen enorm erhöht hat. Vorsorgeuntersuchungen geraten vielfach zu einem Instrument normativer Kontrolle, durch das der Frau vermittelt wird, dass jede ihrer Handlungen ebenso wie ihre Einstellung zur Schwangerschaft unmittelbare Folgen für die körperliche und seelische Entwicklung ihres Kindes vor und nach der Geburt haben. Somit werden Frauen bereits während der Schwangerschaft mit der gesellschaftlichen Erwartung konfrontiert, dass sich ab sofort alle ihre Interessen auf das Kind zu richten haben (Vgl. Schenk, 1998, S. 191 f.).

In den Achtzigerjahren entstand als eine Strömung in der Frauenbewegung auch die Bewegung der "neuen Mütterlichkeit". Zu Beginn der neuen Frauenbewegung der Siebzigerjahre sahen die Frauen die Problematik der Mutterrolle vor allem darin, das von Müttern die vollständige Aufgabe eigener Interessen verlangt wurde. Die Frauen gingen davon aus, dass dieses von einer patriarchal geprägten Gesellschaft aufgezwungene Mutterbild abgelegt werden müsse. Dann entstand der Trend, anstatt des Zieles einer weitestgehenden Angleichung der Lebensentwürfe von Männern und Frauen Weiblichkeit gezielt als positiven Gegensatz zu den männlich geprägten Normen zu sehen. Daraus entwickelte sich die "neue Mütterlichkeit" zunächst als eine Aufwertung der physischen Seite der Mutterschaft als ureigenstes weibliches Potential. Später erfolgte dann die Aufwertung der Mütterlichkeit insgesamt. Damit verbunden war die Vorstellung, dass diese Erfahrung so intensiv wie möglich gelebt werden solle, das heißt die Mutter sich für längere Zeit ausschließlich dem Kind widmen und seine ausschließliche Bezugsperson sein müsse, während die Väter weitgehend ausgeschlossen wurden. Hinter all diesen Vorstellungen stand das Ideal der Natürlichkeit. Die "neue Mütterlichkeit" beschränkte sich nicht nur auf die feministisch-alternative Szene, sondern erzielte große Breitenwirkung. Viele Frauen gewannen dadurch an Sensibilität und Bewusstsein vor allem für die physischen Vorgänge bei Schwangerschaft, Geburt und Stillphase. Es wurden aber auch neue Normen gesetzt, die Frauen unter hohen Druck setzen können. Die Ratgeberliteratur vermittelt teilweise die Vorstellung, das Gebären sei ein leichter, nur von Euphorie begleiteter Vorgang, wenn die Frau nur die richtige Einstellung zu ihrem Körper und zur Mutterschaft habe. Des Weiteren verschärfte sich im Zuge der "neuen Mütterlichkeit" der gesellschaftliche Konflikt um die Berufstätigkeit von Müttern erneut (Vgl. ebd., S. 208 ff.).

Schütze stellt als Resümee ihrer Analyse der historischen Entwicklung des Mutterbildes bis in die Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts fest: "Seit seiner Entstehung ist das normative Muster 'Mutterliebe' mit der Geschichte der bürgerlichen Familie und der Konstruktion vom Geschlechtscharakter der Frau verkoppelt gewesen." (Schütze, 1986, S. 147) Und Schenk beschreibt das Weiterbestehen dieses Bildes mit der Feststellung, dass hinter der "neuen Mütterlichkeit" ein traditionelles Mutterbild steht, dass ganz ähnlich auch von konservativen oder kirchlichen Kreisen vertreten werden könnte. Ein wesentlicher Unterschied besteht nur darin, dass hier nicht das Modell der bürgerlichen Kleinfamilie vertreten wird, sondern sich die Vorstellungen ausschließlich auf die Mutter-Kind-Diade beziehen (Vgl. Schenk, 1998, S. 210 f.).

Für jene Frauen, die der feministisch-alternativen Szene nicht nahe stehen, sich aber ansonsten von den Idealen der "neuen Mütterlichkeit" angesprochen fühlen, gilt allerdings wohl überwiegend die Kleinfamilie als die erstrebenswerteste Lebensform. Damit schließt sich der Kreis zum bürgerlichen Mutterbild des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

4.2. Mutter sein heute: Einige Aspekte der aktuellen Situation

Bis zur Geburt des ersten Kindes ist die weibliche Biographie heute der männlichen sehr ähnlich. Ausbildung, Beruf und wirtschaftliche Unabhängigkeit stehen im Vordergrund. Sozialkontakte und Freizeit werden individuell gestaltet. Im Gegensatz zu früheren Generationen, in denen es für Frauen vor allem darum ging, sich an wechselnde Lebensumstände, die sie selbst nur wenig beeinflussen konnten, anzupassen, wird von Frauen heute individuelle Lebensplanung erwartet. Dazu gehört auch die Entscheidung, ob die Frau ein oder mehrere Kinder bekommen oder kinderlos bleiben will. Dieser Gewinn an Entscheidungsfreiheit bedeutet gleichzeitig aber auch einen Verlust an Sicherheit, die - bei aller Einengung - durch die Einbettung in eine weibliche Normalbiographie in der Vergangenheit gegeben war. Wenn eine Frau Mutter wird, verändert sich zumindest vorübergehend ihre Orientierung am männlich-individuellen Lebensmuster hin zur traditionellen weiblichen Biographie (Vgl. Schenk, 1998, S. 58 f.).

Beck-Gernsheim bezeichnet Mutter werden als "Biographiewechsel", denn "Die jungen Frauen werden berufstätig und bleiben es auch bis zur Geburt des Kindes. Dann wird die Berufstätigkeit aufgegeben oder stark eingeschränkt, für eine Zwischenphase zumindest. Ein Kind bekommen heißt deshalb nicht eben nur Mutter werden, sondern ... überwechseln zu einem anderen Arbeitsbereich, nämlich für das Kind und im Haushalt." (Beck-Gernsheim, 1992, S. 50)

Dieser Wechsel wird von vielen Frauen sehr ambivalent erlebt: einerseits als Entlastung vom Leistungsdruck der Berufswelt und als große persönliche Bereicherung, andererseits aber auch als starke Einengung und erneuten Druck, eigenen und gesellschaftlichen Ansprüchen zu genügen.

4.2.1. Gewinne

Das in der Gesellschaft vermittelte Bild der "guten (= aufopfernden) Mutter" beinhaltet nur die einseitige und alleinige Orientierung auf das Kind, dem die Mutter völlig uneigennützig alle Energie widmen soll. Dabei wird außer Acht gelassen, welchen persönlichen Gewinn Frauen aus der Mutterschaft ziehen. Neuere Arbeiten der Entwicklungspsychologie sehen es als einen wesentlichen Entwicklungsschritt, die Elternrolle einzunehmen. Die Eltern selbst gewinnen neue Fähigkeiten und erreichen ein neues Stadium in ihrer Entwicklung, indem sie die Verantwortung für die nächste Generation übernehmen (Vgl. Beck-Gernsheim, 1992, S. 46 ff.).

Beck-Gernsheim untersuchte diverse Befragungen von Müttern darauf hin, welche positiven Seiten der Mutterschaft vor allem beschrieben werden und welche Freuden und Belohnungen für Mütter entstehen, die nicht zum Naturzustand Mutter gehören, sondern vor allem ein Ergebnis der neuen Bedingungen in weiblichen Lebenszusammenhängen sind. Dabei zeigt sich, dass Bedürfnisse, die im normalen Alltag der hochindustrialisierten Gesellschaft vielfach zurückgedrängt werden müssen, in der besonderen Beziehung zum Kind wieder Raum erhalten. Darin liegt heute ein wesentlicher Teil dessen, was Mutterglück heißt. Im Gegensatz zu der Anonymität, Unpersönlichkeit und Gefühlsarmut des normalen Alltags dürfen und sollen in der Beziehung zum Kind Gefühle geäußert werden. Viele Frauen fühlen sich überwältigt von der Intensität ihrer Gefühle zu ihrem Kind (Vgl. ebd., S. 29 ff.). Angesichts zunehmend instabiler Paarbeziehungen, die somit auch keine verlässliche Gegenwelt zum unpersönlichen Alltag bieten, wird die Beziehung zum Kind zu etwas Einmaligem, "... weil sie - in den ersten Jahren zumindest - eine stabile, enttäuschungssichere Form der Hingabe erlaubt, wo man sich ausliefern kann, ohne die Angst verletzt und verlassen zu werden." (Ebd., S. 35) Die Tatsache des Gebrauchtwerdens bedeutet nicht nur eine Bestätigung der eigenen Person, sondern diese tritt auch gleichzeitig in den Hintergrund angesichts der Verantwortung und des Daseins für einen anderen Menschen. Dies wird als sehr bereichernd erlebt: "Im Kind ... übernimmt man Verantwortung für ein anderes Leben, ja erfährt - wie manche Frauen es sagen - viel greifbarer, direkter, tiefer auch den Bezug zu Menschen, zur Generationenabfolge, zum Kreislauf des Lebens." (Ebd., S. 39) Der Zuwachs an Entscheidungsspielraum für Frauen in den letzten Jahrzehnten geht auch mit einem Verlust an Sicherheit einher. Die enge und elementare Bindung an das Kind in dessen ersten Lebensjahren kann eine Form von Sicherheit und Geborgenheit geben. In den vielfach instabil gewordenen Partnerschafts- und Sozialbeziehungen wird das Kind für Frauen zum einzigen sicheren Ankerpunkt (Vgl. ebd., S. 40 ff.).

4.2.2. Belastungen

Die am stärksten empfundenen Belastungen der Mutterrolle entstehen aus dem Kontrast zwischen der Lebensgestaltung von Frauen vor und nach der Geburt des ersten Kindes. Indem die Arbeit von Frauen in der Geschichte seit Beginn der Industrialisierung immer familienferner wurde, gewannen Frauen an Freiheiten und Möglichkeiten im Berufsleben. Als Mütter erleben sie dann aber auch umso größer empfundene Einschränkungen in der Lebensgestaltung. Die geringere Einbindung in ein Familiensystem führt zu der Notwendigkeit, sich zumindest für eine gewisse Zeit zwischen Berufswelt und Familienwelt zu entscheiden. Da auch der Beruf ein wichtiger Angelpunkt für Selbstbewusstsein und Lebenssinn sein kann, müssen sich Frauen nun neu orientieren. In gewisser Weise bringt die Mutterschaft eine soziale Nivellierung mit sich, weil das Tätigkeitsfeld und die Verantwortung unabhängig von Ausbildung und beruflicher Qualifikation nun für alle Frauen gleich sind (Vgl. Beck-Gernsheim, 1992, S. 50 ff) "Das Dasein als 'nur Hausfrau', wie es bezeichnend jetzt heißt, rangiert in der Skala der sozialen Wertschätzung unten, bei Außenwelt und Öffentlichkeit, beim Mann, ja mehr noch im eigenen Bewusstsein der Frau." (Ebd., S. 58) Durch die Aufgabe des Berufes wird das Einkommen der gesamten Familie knapper, aber es ist die Frau, die dadurch in ökonomische Abhängigkeit von ihrem Partner gerät (Vgl. ebd., S. 59 f.).

Beck-Gernsheim sieht die Erziehung von Kindern gegenwärtig in eine paradoxe Konstellation eingebunden: Auf der einen Seite soll das Kind in jeder Hinsicht optimal gefördert werden, auf der anderen Seite lässt die Umwelt den unmittelbaren Lebensbedürfnissen von Kindern kaum noch Raum. Um die Konflikte, die sich daraus im Erziehungsalltag ergeben, einigermaßen bewältigen zu können, ist viel mehr Betreuungsaufwand als früher nötig. Da es in den gegenwärtigen Familienkonstellationen kaum noch im Haushalt mit lebende Personen gibt, die zwischendurch ganz selbstverständlich das Kind übernehmen, braucht das Kleinkind die Mutter praktisch rund um die Uhr, und ihr bleibt kaum noch eigene Zeit. Für jede Aktivität ohne Kind muss eine Betreuung organisiert werden (Vgl. ebd., S. 61 f.).

Schenk verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass - im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten - in Deutschland die Überzeugung, dass nur die leibliche Mutter die bestmögliche permanente Betreuung für ein Kind bieten könne und alle außerhäuslichen Betreuungsformen ungünstig für die Kinder seien, besonders tief verwurzelt ist. Dementsprechend unzureichend ist auch das Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen. (Vgl. Schenk, 1998 S. 80 ff.)

Die diesbezügliche Situation in Österreich ist zumindest in größeren Städten sicher günstiger. In der öffentlichen Diskussion um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen wird jedoch ebenso immer wieder argumentiert, dass die beste Lösung vor allem für kleinere Kinder immer noch sei, dass die Mutter beim Kind bleibt.

Schenk bemerkt zu diesem Thema: "Erschöpfende Studien aus zwei Jahrzehnten haben ... keinerlei Beweise für die negativen Folgen von Tagesbetreuung erbracht. Das liegt nicht daran, dass sie sich nicht bemüht hätten." (Schenk, 1998, S. 90)

Zu einem weiteren Belastungsfaktor für Mütter von kleinen Kindern kann die Diskrepanz zwischen dem in der Arbeitswelt erlernten und praktizierten Anspruch, zielgerichtet und effizient zu arbeiten, und dem häufig als chaotisch erlebten Alltag mit dem Kind werden. Das Kleinkind bestimmt den Tagesablauf der Mutter und veranlasst sie immer wieder, begonnene Tätigkeiten zu unterbrechen. Je mehr sich eine Frau bemüht, eine "gute Mutter" nach den Maßstäben diverser Erziehungsratgeber zu sein, umso mehr wird sie in Konflikt mit den erlernten Leistungsnormen geraten. Der Alltag ist nicht mehr planbar. Man ist zwar permanent beschäftigt, sieht aber kaum einen Erfolg (Vgl. Beck-Gernsheim, 1992, S. 63 ff.).

Die isolierte Lebenssituation in der heutigen Kleinfamilie bedingt, dass für Kleinkinder die Mutter während des Tages zur einzigen Bezugsperson wird. Dies führt zum permanenten Anspruch des Kindes an die Aufmerksamkeit und innere Präsenz der Mutter und neben dem Verlust eigener Zeit auch zum Verlust innerer Freiräume. Ein für junge Mütter häufig sehr belastender Faktor ist die Isolation und der Mangel an Sozialkontakten, das Abgeschnittensein von der Außenwelt. Frauen, die nach der Geburt eines Kindes für einige Zeit aus ihrem Beruf aussteigen, fühlen sich häufig nicht nur räumlich, sondern auch sozial und geistig isoliert. Soziale Kontakte dünnen aus, die Bewegungsfreiheit ist stark eingeschränkt, Anregungen aus der "Außenwelt" des eigenen Heimes werden selten. Beck-Gernsheim stellt dazu fest, dass die Diskrepanz zwischen der Berufswelt von Frauen und der Familienwelt nicht berufstätiger Mütter umso größer wird, je besser Frauen ausgebildet sind und je länger sie vor der Geburt des ersten Kindes im Beruf gestanden haben (Vgl. ebd., S. 77 ff). "Als unbeabsichtigte Nebenfolge sozialstruktureller Entwicklungen wie Industrialisierung, Urbanisierung, Säkularisierung usw. hat sich das Sozialnetz des familialen Bereichs zunehmend ausgedünnt. ... Der Haushalt - einst Zentrum des sozialen Lebens - ist zu einem Ort sozialer Isolation geworden." (Ebd., S. 72) Damit geht ein Mangel an informeller, kurzfristig verfügbarer praktischer bzw. psychischer Unterstützung einher. Zur zunehmenden Isolierung der Mütter trägt auch eine Umwelt bei, die nicht auf Kinder eingerichtet ist und daher die Bewegungsmöglichkeiten stark beschränkt. "Die Moderne, dies Ensemble aus Verkehr, Technik, Beton hat Kinder zu 'Außenseitern der Gesellschaft' gemacht und im gleichen Zug auch die Mütter. Das Resultat heißt: Mutter sein bedeutet behindert sein." (Ebd., S. 78) Viele Familien versuchen der kinderfeindlichen Stadtumwelt zu entgehen, indem sie an den Stadtrand ziehen. Dies verschafft zwar den Kindern mehr Bewegungsfreiheit, wird aber durch die größeren Entfernungen und die schlechtere Infrastruktur auch zu einer zusätzlichen Einschränkung des Spielraumes der Mütter (Vgl. ebd., S. 71 ff.).

Die Biographien von Männern und Frauen verlaufen heute bis zur Geburt eines Kindes weitgehend parallel. Der Biographiewechsel, der für die Frau dann stattfindet, hat auch Auswirkungen auf die Beziehung zum Partner. Während viele Lebensgemeinschaften zunächst partnerschaftlich angelegt sind, also die Aufgaben im Haushalt zwischen zwei berufstätigen Partnern aufgeteilt werden, erfolgt mit der Geburt des ersten Kindes und der Aufgabe der Berufstätigkeit durch die Frau ein Wechsel hin zu einem traditionell-patriarchalen Modell, in dem die Frau allein für Haushalt und Kind, der Mann für das Familieneinkommen zuständig ist. Diese Neuzuweisung der Verantwortung ist ein Prozess, der viel Konfliktpotential in sich birgt. Dort wo hochgesteckte Ideale der Erziehung, wie sie in zahlreichen Ratgebern vermittelt werden, dominieren, wird die Partnerschaft der Eltern leicht an den Rand gedrängt. Für viele Eltern wird es äußerst schwierig, einen lebbaren Kompromiss zwischen den Bedürfnissen des Kindes und eigenen Bedürfnissen zu finden (Vgl. ebd., S. 83 ff. u. S. 126 ff.).

4.2.3. Individualisierung der Verantwortung

Beck-Gernsheim beschreibt die Situation heutiger Eltern als zwischen Allmachtsanspruch und Ohnmachtserfahrung zerrissen. Ständig werden neue Bereiche entdeckt, in denen es gilt, das Kind vor Gefahren zu schützen oder in seinen Fähigkeiten zu fördern. Und aus allen diesen Bereichen werden Aufgaben der Eltern, insbesondere der Mütter. Die Ratgeberliteratur vermittelt den Eltern, dass es ausschließlich in ihrer Macht liege, wie sich ihre Kinder körperlich und seelisch entwickeln und ob sie zu glücklichen und erfolgreichen Menschen werden. "Das Gedeihen des Kindes wird als private Aufgabe und persönliche Verantwortung der Eltern - der Mütter - definiert." (Beck-Gernsheim, 1992, S. 119 f.).

Schenk sieht die Ursache für die Individualisierung der Erziehungsaufgaben vor allem in der Tatsache, dass Frauen sich heute bewusst für ein Kind entscheiden. Während in früheren Jahrhunderten die Mutterschaft ein selbstverständlicher Bestandteil der weiblichen Biographie war, auf den die einzelne Frau nur wenig bis gar keinen Einfluss nahm, und ganze Alterskohorten von Frauen etwa gleichzeitig in die Phase der Mutterschaft eintraten, findet sich heute in jeder Generation eine große Anzahl gewollt kinderloser Frauen. Durch diese sogenannte "Wahlfreiheit" ist den Müttern heute viel an gesellschaftlicher, vor allem weiblicher Solidarität und an Rückhalt verlorengegangen. Denn - so die weit verbreitete Auffassung - eine Frau, die sich frei für ein Kind entschieden hat, muss auch die Konsequenzen selbst tragen (Vgl. Schenk, 1998, S. 80 f.).

Gleichzeitig wird die Ohnmacht der Eltern von Tag zu Tag größer, denn die Umweltbedingungen der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation sind keineswegs kinderfreundlich. Wo die Kinder aufgrund dieser Umweltbedingungen wichtige Erfahrungen nicht mehr selbständig machen können, weicht man auf organisierte Aktivitäten aus, was vor allem den permanenten Einsatz der Mütter erfordert, um ihre Kinder zu den einzelnen Terminen zu bringen. Dieser Dauereinsatz für das Kind lässt kaum noch Raum für eigene Bedürfnisse (Vgl. Beck-Gernsheim, 1992, S. 119 ff.).

Etwa ab den Achtzigerjahren kamen zunehmend auch aus der Biologie und Medizin Forderungen an Frauen im Hinblick auf die Mutterschaft. Das zunehmende Wissen über alle Vorgänge und Einflussfaktoren während der Schwangerschaft, gepaart mit dem wachsenden Bewusstsein für Umweltverschmutzung, führte wiederum zu starken Reglementierungen. Adressatinnen waren und sind ausschließlich Mütter. Teilweise schon vor dem Beginn einer Schwangerschaft wird eine möglichst gesunde Lebensweise verlangt. Beck-Gernsheim stellt nicht grundsätzlich in Frage, dass eine schwangere Frau in ihrer Lebensweise Einflüsse auf ihr Kind berücksichtigen muss. Sie kritisiert aber, dass sich alle Forderungen nach Selbstkontrolle und nach Ausrichtung auf das Kind ausschließlich an Frauen richten. Zum Einen können die Anforderungen an eine gesunde Lebensweise im Sinne diverser Ratgeber nur von Frauen der Mittelschicht erfüllt werden, während Frauen aus unteren sozialen Schichten schon aus finanziellen Gründen hierbei benachteiligt sind. Zum Anderen wird Schwangerschaft und damit auch die schwangere Frau aus der normalen Lebenswelt der Moderne quasi herausgehoben. Die rapide Entwicklung pränataler Diagnose- und Behandlungsverfahren eröffnet zwar bisher nicht gekannte Möglichkeiten. Dabei wird die schwangere Frau als Person jedoch oft kaum noch wahrgenommen. Sie wird auf einen "wandelnden Brutkasten" reduziert. Ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit wird in manchen Diskussionen gegen ein Recht des ungeborenen Kindes auf optimale medizinische Versorgung abgewogen - und hintangestellt (Vgl. ebd., S. 139 ff.).

Dem ist noch hinzuzufügen, dass die Möglichkeiten pränataler Diagnoseverfahren vielfach die Erwartung geweckt haben, angeborene gesundheitliche Beeinträchtigungen bzw. Behinderungen bei Kindern könnten verhindert werden, indem eine Schwangerschaft, bei der eine Beeinträchtigung des Fetus festgestellt wird, abgebrochen wird. Dies bringt schwangere Frauen unter Druck, alle zur Verfügung stehenden Diagnoseverfahren auszuschöpfen und - im Falle einer festgestellten Beeinträchtigung des Kindes - einem Schwangerschaftsabbruch zuzustimmen. Gleichzeitig gewinnen sie dadurch jedoch nicht an Sicherheit, sondern die grundsätzlich natürlichen Ängste schwangerer Frauen, ein krankes oder behindertes Kind zur Welt zu bringen, haben sich durch die vermeintliche Machbarkeit eher verstärkt.

4.2.4. Zusammenfassung

Zusammenfassend zieht Beck-Gernsheim aus der Literatur zur Mutterschaft heute und aus Erfahrungsberichten den Schluss, dass Mutterschaft sowohl durch Bereicherungen als auch durch Einschränkungen des Lebens der Frau geprägt ist. Die beiden von vielen Frauen so ambivalent erlebten Erfahrungsbereiche sind einerseits das Kind und die Beziehung zum Kind und andererseits gleichzeitig das, was sich nach den gesellschaftlichen Vorgaben damit verbindet, nämlich die Rolle der Hausfrau und Mutter. Beck-Gernsheim verweist darauf, dass diese beiden Erfahrungsbereiche nicht naturgegeben zusammengehören, sondern in anderen Epochen und Gesellschaften Mutterschaft auch andere Formen annimmt. Es ist vor allem die zweite, gesellschaftlich geformte Seite, die viele Mütter heute als sehr belastend empfinden. Im Gegensatz zur Frau des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, deren Lebensweg zu Mutterschaft und Familie vorgezeichnet war, wird von jungen Frauen heute eigenständiges Denken, Handeln und Planen erwartet und praktiziert. Mit der Geburt des ersten Kindes wird die Frau plötzlich auf ein Dasein für Familie und Kind verwiesen. Damit sind Veränderungen verbunden, die nicht nur Tätigkeiten betreffen, sondern die ganze Person. Das Kind wird so zum Gegensatz zu den Anforderungen der Zeit: Freiheit, Unabhängigkeit und Selbständigkeit (Vgl. Beck-Gernsheim, 1992, S. 102 ff) Das, was die Mutterrolle ausmacht, besteht zu einem wesentlichen Teil aus der Arbeit der Kindererziehung und -versorgung. "Und diese wiederum ist nicht vorgegeben qua Natur und Menschheitsgeschichte, sondern zu einem guten Teil abhängig von der Definition des Kindes, von pädagogischen Leitbildern und Maßstäben, die sich im Lauf der Jahrhunderte ändern." (Ebd., S. 110)

5. Behinderte Frauen und Mutterschaft

5.1. Kinderwunsch

Mehrere Befragungen behinderter Mütter ergaben, dass sich die meisten von ihnen vor der ersten Schwangerschaft sehr intensiv mit ihrem Kinderwunsch auseinandergesetzt hatten. Viele bemühten sich bereits im Vorfeld medizinische Fragen zu klären. Sie suchten Kontakt zu Frauen mit ähnlichen Behinderungen, die bereits Kinder hatten, um sich über mögliche Probleme in der Alltagsbewältigung mit Kind und Behinderung zu informieren (Vgl. Becker, 1997, S. 88 f.).

Die meisten nicht behinderten Frauen erleben auch bei einem starken Kinderwunsch immer wieder Phasen der Unsicherheit vor bzw. während der ersten Schwangerschaft, in denen sie sich fragen, ob sie überhaupt in der Lage sein werden, ihrem Kind eine gute Mutter zu sein. Die hohen gesellschaftlichen Erwartungen an Mütter produzieren immer wieder Versagensängste. Bei behinderten Frauen stehen diese Ängste meist in Zusammenhang mit der Behinderung. Den Frauen wurde in der Kindheit und Jugend direkt und indirekt vermittelt, dass Partnerschaft und Familie für sie nicht in Frage kämen. In Sonderschulen für behinderte Kinder fehlt Sexualunterricht oft gänzlich, und wenn er stattfindet, wird das Thema Schwangerschaft nur am Rande behandelt. Viele Frauen haben die defizitorientierte Sichtweise ihrer Umwelt verinnerlicht. Sie trauen sich deshalb nicht zu, die an eine Mutter gestellten Anforderungen erfüllen zu können (Vgl. Hermes, 1998, S. 14 f.).

Einige behinderte Frauen berichten auch, dass sie bereits bei der Entscheidung für eigene Kinder den Druck ihrer Umgebung fühlten, für alle später eventuell auftretenden Probleme Lösungen parat haben zu müssen: "Wie ist das bei nichtbehinderten Eltern, müssen die ihren Problemlösungs-Fahrplan auch lückenlos fertig haben, bevor sie sich für eigene Kinder entscheiden?" (Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern, 2003, S. 8)

Bei Behrendt, der überwiegend Contergan-behinderte Eltern befragte, berichten die meisten Frauen, dass Kinder für sie ein selbstverständlicher Teil ihrer Lebensplanung waren. Für einige war es sehr wichtig, dass die Rahmenbedingungen - Partnerschaft, finanzielle Situation der Familie - möglichst gut sein sollten. Aber nur wenige der Befragten hatten Bedenken bezüglich einer Mutterschaft, die in Zusammenhang mit ihrer Behinderung standen. Diejenigen Befragten, die sich zunächst nicht vorstellen konnten Mutter zu werden, führten dies vor allem auf die Erziehung im Elternhaus zurück, wo das Thema Partnerschaft und Mutterschaft vollständig ausgeklammert wurde (Vgl. Behrendt, 1998, S. 70 ff.).

Manchmal werden behinderte Frauen, die einen Kinderwunsch äußern, von ihrer Umwelt mit dem Vorwurf egoistisch zu sein konfrontiert. Für manche nicht behinderte Menschen ist es unverständlich und empörend, dass eine Frau, die selbst auf Hilfe anderer angewiesen ist, Kinder möchte. Becker, die unter anderem die Einstellung nicht behinderter Personen zur Mutterschaft körperbehinderter Frauen erhob, berichtet, dass mehr als ein Drittel der Befragten es als nicht verantwortungsvoll bezeichnet, wenn eine behinderte Frau ein Kind bekommt (Vgl. Becker, 1997, S. 70 u. 87 f.). Hierbei kommt die häufig vorkommende Einstellung zum Ausdruck, dass eine Person, die Unterstützung ihrer Umwelt benötigt, eigene Wünsche zurückstellen und sich den Erwartungen der anderen anpassen muss.

Die Frage der Vererbbarkeit der eigenen Behinderung spielt in der Auseinandersetzung mit dem Kinderwunsch bei den meisten Frauen eine große Rolle. Besteht die Möglichkeit einer Vererbung, haben viele von ihnen schon früh erfahren, dass eine Schwangerschaft in ihrem Fall als unerwünscht gilt. Für einige Frauen ist es wichtig, die Frage der Vererbbarkeit der eigenen Behinderung vor Beginn der ersten Schwangerschaft zu klären. Dies gilt offensichtlich insbesondere für sehbehinderte oder blinde Frauen bzw. Paare, wobei hier vermutet wird, dass oft ein gewisser Druck des Umfeldes dazu führt, dass die Betroffenen eine genetische Beratung aufsuchen. Die Bedeutung, die dem Ergebnis einer entsprechenden genetischen Beratung beigemessen wird, ist jedoch sehr unterschiedlich und hängt von eigenen Erfahrungen mit der Behinderung ab. So berichtet eine sehbehinderte Frau bei Finding, sie habe sich erst für eine Schwangerschaft entschieden, als ihr von ärztlicher Seite versichert wurde, dass keine Vererbung ihrer Sehbehinderung möglich sei. Sie wollte nicht, dass ihr Kind ähnlich negative Erfahrungen mit Gleichaltrigen machen würde wie sie. Andere von Finding befragte Frauen berichten, dass sie sich zwar über die Vererbbarkeit ihrer Sehbehinderung informiert hatten und hofften, ihre Kinder würden keine Behinderung haben, dass sie sich aber ebenso für eigene Kinder entschieden hätten, wenn diese die Behinderung geerbt hätten (Vgl. Finding, 1999, S. 88 f.).

In der Untersuchung von Behrendt nahmen alle bewegungsbehinderten Frauen, die eine vererbbare Behinderung hatten, genetische Beratung in Anspruch. Sie berichten ausnahmslos, dass in der Beratung alle Informationen über die Vererbbarkeit vermittelt wurden. Gleichzeitig wurde aber klar zum Ausdruck gebracht, dass die Entscheidung, Kinder zu bekommen, ausschließlich bei der betroffenen Frau bzw. dem Paar liege. Dies wurde von den Befragten als sehr positiv erlebt (Vgl. Behrendt, 1998, S. 76 f.). Ich selbst habe bei einer genetischen Beratung ähnliche Erfahrungen gemacht. Bei Becker berichten einige Frauen aber auch, dass sie durch die Beratung eher verunsichert wurden und ihr Kinderwunsch auf Unverständnis und Ablehnung stieß. Ähnliche Erfahrungen machten mehrere Frauen auch, als sie vor einer Schwangerschaft versuchten abzuklären, wie sich diese auf ihre Körperbehinderung bzw. umgekehrt auswirken würde. Sie berichten von großer Unsicherheit vieler Ärzte und Ärztinnen, von widersprüchlichen Informationen und von offener Ablehnung. Einer Frau, die eine Fruchtbarkeitsbehandlung wünschte, wurde diese aufgrund ihrer Behinderung verweigert (Vgl. Becker, 1997, S. 88 f.).

Behrendt berichtet, dass keine der von ihm befragten Frauen angab, sie hätte eine Schwangerschaft abgebrochen, wenn das Kind dieselbe Behinderung gehabt hätte, wie sie selbst. "Bei schwerwiegenderen Behinderungen, vorwiegend bei geistigen Behinderungen, wäre ein Schwangerschaftsabbruch für einen Teil der Frauen in Frage gekommen .... 41% der Frauen hätten auf keinen Fall einen Abbruch vornehmen lassen, egal wie stark die Behinderung des Kindes gewesen wäre. Bei ihnen überwogen, unabhängig von einer möglichen Behinderung des Kindes, die Motive, sich für das Kind entschieden zu haben, in der Überzeugung, mit Behinderungen ein reiches und ausgefülltes Leben führen zu können." (Behrendt, 1998, S. 107)

Hermes berichtet auch von behinderten Frauen, die wussten, dass ihre Behinderung mit großer Wahrscheinlichkeit vererbbar war und sich sehr bewusst für Kinder entschieden. Dies geschah nach einer besonders intensiven Auseinandersetzung mit der eigenen Situation und teilweise auch nach ausführlichen Kontakten zu anderen Familien mit ähnlich gelagerten Konstellationen (Vgl. Hermes, 1998, S. 17 f.). Hermes zieht den Schluss: "Auch wenn alle Informationen über die mögliche Vererbbarkeit einer Behinderung und die Auswirkungen auf die Gesundheit durch eine Schwangerschaft zur Verfügung stehen: jedes Elternpaar muß die letztendliche Entscheidung für oder gegen ein Kind, ob behindert oder nicht, selbst treffen. Dabei kann jemand, der selbst die Erfahrung mit dem praktischen und dem emotionalen Umgang mit einer Behinderung hat und der darüber hinaus nicht die Vorurteile, ein behindertes Kind erst einmal zu akzeptieren, bewältigen muß, möglicherweise besser mit einem behinderten Kind umgehen als ein nichtbehinderter Elternteil." (Ebd., S. 19)

Viele behinderte Frauen machen aber auch die Erfahrung, dass Ärzte und Ärztinnen mit Schwangerschaft, Geburt und den Bedürfnislagen von Frauen mit Behinderungen überhaupt nicht vertraut sind und - unabhängig von einer möglichen Vererbbarkeit der Behinderung - rasch zu einer Abtreibung bzw. Sterilisation raten. Die Studie von Eiermann et al ergab, dass Frauen mit Körper- und Sinnesbehinderungen in Deutschland zehn Mal häufiger sterilisiert sind als nicht behinderte Frauen (Vgl. Eiermann et al, 2000, S. 13 f.).

Bei einigen Behinderungsformen stellen Schwangerschaft und Geburt ein gesundheitliches Risiko für die Mutter dar. Manche Paare entscheiden sich daher für Adoptiv- oder Pflegekinder, stoßen bei den zuständigen Behörden aber häufig auf Ablehnung, weil auch dort die gängigen Vorurteile gegenüber der Mutterschaft von behinderten Frauen herrschen (Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2000, S. 6).

Hermes berichtet, dass Frauen, deren Behinderung erst im Jugend- bzw. Erwachsenenalter - z. B. durch Unfall - eintrat, nicht mit denselben Zweifeln bezüglich möglicher Mutterschaft konfrontiert werden, wie von Geburt oder früher Kindheit an behinderte Frauen. Vielmehr berichten spätbehinderte Frauen, dass sie von Ärzten und Ärztinnen darin bestätigt wurden, trotz ihrer Behinderung Kinder bekommen zu können. Dies erlebten sie als wichtige Bestätigung ihres Frauseins. Als Mütter werden diese Frauen jedoch mit denselben Vorurteilen konfrontiert wie andere behinderte Frauen (Vgl. Hermes, 1998, S. 20).

5.2. Schwangerschaft

5.2.1. Erleben der Schwangerschaft im Bezug zur Behinderung

Wie in Kap. 3.1. erläutert, ist für viele behinderte Frauen die Entwicklung eines weiblichen Selbstverständnisses aufgrund der Rahmenbedingungen ihres Aufwachsens und der Haltung ihrer Umwelt problematisch. Daher kann eine Schwangerschaft für eine behinderte Frau im Hinblick auf ihre weibliche Identität wesentlich bedeutsamer sein, als für nicht behinderte Frauen. Die Schwangerschaft wird quasi als endgültiger Beweis dafür, eine vollwertige Frau zu sein, erlebt. Hinzu kommt, dass sich das Verhalten vieler Mitmenschen ebenfalls in einer für die Frauen positiv empfundenen Weise verändert. "... also in dem Moment, wo ich so Kinder hatte, war ich also von meinen eigenen Geschlechtsgenossinnen viel mehr anerkannt als ohne. ... Es war als ob die so gedacht haben: ´Scheinbar kann sie ja doch Frau sein, Kinder kriegen kann sie ja.´" (Papke, 1993, S. 89)

So berichtet eine körperbehinderte Frau bei Papke, dass sie in ihrer Schwangerschaft das Gefühl besonders genoss, sich nun nicht von anderen Frauen zu unterscheiden: "Man kriegte einen Stuhl angeboten, nicht, weil ich humpelte, sondern weil ich nu schwanger bin." (Ebd., S. 42) Eine weitere, ebenfalls körperbehinderte Frau erlebte ihre Schwangerschaft als Aufwertung ihres Frauseins: "Wenn ich ganz ehrlich bin und offen bin, dann bin ich irre stolz darauf, dass ich - trotz Behinderung - eine normal verlaufene Schwangerschaft hatte. So ´ne Schwangerschaft gehört zu ´ner Frau ... und eine halbwegs komplikationslose Geburt, also, dass ich´s geschafft habe, ... das hat mir sehr viel, sehr viel gegeben. ... alles lief trotz der Behinderung relativ normal und ohne Komplikationen und ich hab´s auch gepackt. Das war für mich wie so´n Leistungsbeweis." (Ebd., S. 59/60) Papke befragte vier körperbehinderte Frauen und stellt fest, dass Schwangerschaft und Mutterschaft bei allen dazu führten, sich als Frau vollwertiger zu fühlen. Dieses Gefühl allein bewirkte zwar bei keiner der Befragten eine größere Akzeptanz ihrer Behinderung, allerdings begannen zwei der Frauen bewusst mittels Psychotherapie bzw. Erfahrungsaustausch mit anderen Betroffenen an einer besseren Akzeptanz zu arbeiten, um ihren Kindern ein möglichst positives Selbstbild vermitteln zu können (Vgl. ebd., S. 104 ff.).

Neben diesen positiven Empfindungen während der Schwangerschaft stehen auch Gefühle der Angst und des Zweifels behinderter Frauen, ob sie der vor ihnen liegenden Aufgabe gewachsen sein werden. Seipelt-Holtmann berichtet dazu, dass für sie in dieser Situation das Gespräch mit einer anderen behinderten Frau, die bereits Kinder hatte und ihr Mut machte, besonders wichtig war (Vgl. Seipelt-Holtmann, 1993, S. 21).

Finger beschreibt den Wunsch, der defizitorientierten Sicht auf den behinderten Körper durch eine komplikationsfreie Schwangerschaft und Geburt entgegenzutreten: "Ich hatte gewollt, dass mein Körper etwas Perfektes hervorbringt. Mein ganzes Leben musste ich um alles kämpfen. ... Ich wollte, dass etwas einfach kommt. Es sollte nicht schwer gehen." (Finger, 1991, S. 163)

5.2.2. Physische Herausforderungen im Zusammenwirken von Schwangerschaft und Behinderung

Inwieweit die körperlichen Veränderungen während einer Schwangerschaft das Wohlbefinden und die Belastbarkeit einer Frau beeinflussen, ist von vielen physischen und psychischen Faktoren und den Lebensbedingungen der Frau abhängig und individuell sehr unterschiedlich. Im Fall einer körperlichen Behinderung der Schwangeren kommen zu den genannten Faktoren möglicherweise noch behinderungsspezifische hinzu. Dies ist wiederum von der Art und dem Schweregrad der Behinderung abhängig und ebenfalls individuell völlig unterschiedlich. Dies zeigen im Folgenden einige Erfahrungsberichte:

"Meine Schwangerschaft verlief unproblematisch. Ich habe bis zur Mutterschutzfrist gearbeitet und konnte noch bis zum Schluß an meinen Gehhilfen laufen." (Seipelt-Holtmann, 1993, S.21)

"Als Post-Polio-Patientin schwanger zu sein bedeutete gleichzeitig die Unannehmlichkeiten einer Schwangerschaft und Altersbeschwerden auszuhalten ... Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich meine Behinderung als körperliche Wirklichkeit und nicht nur als soziale Bedingung." (Finger, 1992, S. 80)

Eine Contergan-behinderte Frau mit stark verkürzten Armen berichtet: "In der Schwangerschaft war in der letzten Zeit das Ankleiden ein größeres Problem für mich, weil ich einfach nicht mehr so beweglich war mit dem dicken Bauch. Dazu waren meine Arme einfach zu kurz." (Behrend, 1998, S. 92)

Becker meint dazu: "Auch wenn es durchaus positive Schwangerschafts- und Geburtsverläufe behinderter Frauen gibt, so fühlen sich behinderte Frauen häufiger und in größerem Umfang auf die Leistungs- und Belastungsfähigkeit ihres Körpers zurückgeworfen - und sie sind ebenfalls psychischen Belastungen in weitaus größerem Maße ausgesetzt als nichtbehinderte Frauen." (Becker, 1997, S. 46)

5.2.3. Reaktionen der Umwelt auf die Schwangerschaft

Entscheiden sich behinderte Menschen für ein Kind, so sind die Reaktionen der Umwelt gegenüber werdenden behinderten Vätern überwiegend positiv.

Behinderte Frauen, die schwanger werden, erfahren jedoch häufig zumindest zurückhaltende Reaktionen, manchmal sogar offene Ablehnung, nur in seltenen Fällen die freudigen Reaktionen, die meist auf die Schwangerschaft einer nicht behinderten Frau erfolgen. Hauptgrund für die Skepsis vieler Menschen ist die Vorstellung, eine behinderte Frau könne ihr Kind nicht ausreichend versorgen, sei den Aufgaben der Mutterrolle insgesamt nicht gewachsen. Weiters wird angeführt, die Kinder würden unter der Behinderung der Mutter leiden, sich dafür schämen oder gehänselt und ausgegrenzt werden.

Eine sehr weit verbreitete Annahme ist, dass eine behinderte Frau ihre Behinderung an ihr Kind weitervererben würde. Etwa ein Viertel der von Becker befragten nicht behinderten Personen vertraten die Auffassung, eine körperbehinderte Frau würde ihre Behinderung an ihr Kind weitervererben (Vgl. Becker 1997, S. 86 f.).

Dabei spielt die Ursache der Behinderung keine Rolle. So wird bei Hermes berichtet, dass Frauen mit einer Conterganbehinderung immer wieder überraschte Reaktionen erleben, weil ihre Kinder vollständige Gliedmaßen haben (Vgl. Hermes, 1998, S. 35 f.).

Auch bei Unterlercher berichten mehrere behinderte Frauen, dass sie während ihrer Schwangerschaft mit dem Vorurteil konfrontiert wurden, dass eine behinderte Frau zwangsläufig ein behindertes Kind zur Welt bringen würde und dass diese Haltung ihrer Umwelt sehr belastend für die Betroffenen war (Vgl. Unterlercher, 2002, S. 49 f., 56 ff. u. 75 f.).

Skeptische oder ablehnende Reaktionen auf eine Schwangerschaft erfahren behinderte Frauen nicht nur von Menschen, die mit ihrer Behinderung und Lebenssituation wenig oder gar nicht vertraut sind, sondern auch aus dem engsten Familien- und Freundeskreis. Bei nahen Angehörigen oder engen Freunden und Freundinnen besteht oft die Sorge, durch zusätzliche Unterstützungsleistungen mehr belastet zu werden. Die Fähigkeiten der behinderten Frau werden auch hier oft unterschätzt. Es gibt aber auch das ganz grundsätzliche Vorurteil, eine behinderte Frau solle keine Kinder bekommen. So berichtet eine behinderte Mutter bei Hermes: "Als sie von meiner Schwangerschaft hörte, sagte meine Schwester, daß man mich hätte sterilisieren sollen bevor ich 18 war, denn offensichtlich hätte ich meine eigene Fruchtbarkeit nicht unter Kontrolle und ich sollte keine Kinder bekommen. Von dem Tag an bis zu dem 4. Lebenstag meines Babys sprach sie nicht mehr mit mir." (Tates, 1997; zit. nach Hermes, 1998, S. 38)

Eine blinde Frau berichtet, dass ihre Eltern die Sexualität der Tochter auch noch verdrängten, als diese schon in einer festen Partnerschaft lebte, die die Eltern scheinbar als reine Versorgungsbeziehung betrachteten. Als die Sexualität der Tochter durch eine Schwangerschaft quasi manifest wurde, reagierten die Eltern mit großer Ablehnung sowohl dem Partner als auch dem Kind gegenüber (Vgl. Prugg, 2001).

Freyjer berichtet von Vorurteilen, "... die gipfelten in Bemerkungen, wie: ´Du als behinderte Frau kannst kein Kind erziehen, dein Kind wird sicher verhaltensgestört.´" (Freyjer, 1994, S. 72)

Die Bandbreite der Reaktionen auf eine Schwangerschaft in den Familien behinderter Frauen ist sehr groß und reicht von offener Ablehnung über abwartende Skepsis bis zu echter Freude. In einigen Fällen berichten Frauen darüber, dass die unterschwellige Ablehnung ihrer Behinderung durch Familienangehörige anlässlich der Schwangerschaft erstmals offen zutage trat. Hermes meint dazu, dass sich manche negativen Reaktionen der Familienangehörigen behinderter Frauen dadurch erklären, dass ihnen - wie den betroffenen Frauen selbst und der Gesellschaft insgesamt - positive Rollenvorbilder behinderter Mütter fehlen (Vgl. Hermes, 1998, S. 38 ff.).

Becker stellt fest, dass häufig gerade die Mütter behinderter Frauen besonders ablehnend auf eine Schwangerschaft reagieren. Sie sieht dies dadurch begründet, dass gerade den Eltern durch die Defektorientierung in Medizin, Therapie und Behindertenpädagogik die Defizite ihres Kindes wesentlich stärker bewusst sind als dessen Stärken (Vgl. Becker, 1997, S. 56 f.).

Behrendt berichtet, dass in seiner Befragung alle behinderten Frauen ausführlich über die Reaktionen ihrer Umwelt auf die Schwangerschaft sprachen, und schließt daraus, dass die Haltung der Umwelt zur Schwangerschaft für die Frauen große Bedeutung hat. 60 % der Befragten berichten von - mit Ausnahme des Partners - zumindest zurückhaltenden Reaktionen auf ihre Schwangerschaft bis hin zur offenen Ablehnung. Ursache dafür ist meist die Annahme, die behinderte Frau werde ihr Kind nicht versorgen können (Vgl. Behrendt, 1998, S. 100 ff.).

Diese Begründung verweist auf das Rollenbild der Mutter, wonach ihr die alleinige Zuständigkeit für alle das Kind betreffenden Tätigkeiten und Belange zugeordnet wird. Jede Hilfeleistung von anderen Personen, vor allem solchen, die nicht zur Familie gehören, gilt als Zeichen für die Unfähigkeit der Frau, ihre Rolle zufriedenstellend auszufüllen. Die Möglichkeit, dass eine Frau verschiedenste Tätigkeiten des Alltags an andere Personen abgeben und dabei als Mutter voll kompetent und verantwortlich agieren kann, ist im gegenwärtigen Rollenverständnis der Mutterschaft nicht vorgesehen.

5.2.4. Erfahrungen mit Medizin und Beratung während der Schwangerschaft

Eine bewegungsbehinderte Frau schildert ihre Situation während ihrer Schwangerschaft: "In der Zeit der Entscheidungsfindung fehlte mir ein Beratungsangebot für behinderte Mütter. Ich hatte den Eindruck, etwas völlig Ungewöhnliches und Exotisches zu tun, das vor mir in unserer Stadt niemand getan hatte. Die Beratungsangebote für nichtbehinderte Frauen, Schwangerschaftsgymnastik etc. waren für Rollstuhlfahrende nicht zu erreichen. In Eigeninitiative habe ich mir eine behinderte Mutter gesucht, die mich eingehend und sehr offen beraten hat. Ohne sie hätte ich wahrscheinlich nicht den Mut gefunden, mein Kind zu bekommen." (Freyjer, 1994, S. 71)

Viele behinderte Frauen machen während der Schwangerschaft die Erfahrung, dass weder das professionelle Beratungs- und Unterstützungsangebot für Schwangere, noch das für behinderte Menschen ihren Bedürfnissen gerecht wird. Bei der medizinischen Betreuung während der Schwangerschaft stellt sich für viele, vor allem bewegungsbehinderte Frauen zunächst einmal das Problem, einen Gynäkologen oder eine Gynäkologin zu finden, deren Praxis für sie zugänglich ist. Abgesehen von baulichen Barrieren stellen auch die Behandlungsstühle bzw. -tische häufig ein fast unüberwindliches Hindernis dar, da viele so konstruiert sind, dass z. B. ein Überwechseln aus einem Rollstuhl kaum möglich ist. Somit besteht für viele behinderte Frauen keine freie Arzt- und Ärztinnenwahl und sie können sich nicht den Arzt oder die Ärztin aussuchen, zu dem oder der sie das größte Vertrauen haben. Sondern die Frauen müssen denjenigen oder diejenige wählen, der oder die für sie zugänglich ist (Vgl. Hermes, 1998, S. 52 f.).

Die meisten Gynäkologen und Gynäkologinnen haben keine Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit behinderten Frauen. In der Gynäkologieausbildung kommen behinderte Frauen als Schwangere und Gebärende nicht vor und somit besteht bei Professionellen häufig große Verunsicherung und daraus folgend eine grundsätzliche Skepsis oder Ablehnung gegenüber der Schwangerschaft der behinderten Frau. Viele behinderte Frauen berichten, dass ihnen Gynäkologen und Gynäkologinnen nach der Feststellung der Schwangerschaft ungefragt einen Abbruch anboten oder nahe legten. Insbesondere wenn sich herausstellte, dass das Kind ebenfalls eine Behinderung haben würde, wurden einige Frauen unter massiven Druck gesetzt, die Schwangerschaft abzubrechen (Vgl. ebd., S. 53 f.). Köbsell stellt dazu fest: "Was Informationen über Schwangerschaftsverlauf und Geburt bei Frauen mit Behinderung angeht, ist der gesamte deutschsprachige Raum ein regelrecht ‚unterentwickeltes' Gebiet. Es gibt nur wenige ÄrztInnen, von denen bekannt ist, daß sie sich in dem Bereich auskennen und noch weniger, die ihre Erfahrungen veröffentlichen." (Köbsell, 1996; zit. nach Hermes, 1998, S. 53)

Viele behinderte Frauen bekommen auf ihre Fragen zu den Auswirkungen ihrer Behinderung auf Schwangerschaft und Geburtsverlauf keine adäquaten Antworten. Dies hinterlässt ein Gefühl der Unsicherheit und stellt eine zusätzliche Belastung dar. Betroffene Frauen wünschen sich daher während der Schwangerschaft Kontakt zu Müttern mit einer gleichartigen oder ähnlichen Behinderung. Dies ist aber nicht immer möglich (Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2000, S. 8).

In letzter Zeit machen behinderte Frauen aber auch zunehmend positive Erfahrungen mit Professionellen. So berichten drei Viertel der von Behrendt befragten Frauen von überwiegend guten Erfahrungen in der medizinischen Betreuung während der Schwangerschaft. In vielen Fällen bemühten sich die behandelnden Ärztinnen und Ärzte, obwohl sie keine Erfahrungen mit behinderten Frauen hatten, besonders auf die spezifischen Bedürfnisse der behinderten Schwangeren einzugehen (Vgl. Behrendt, 1998, S. 93 ff.). Wesentliche Faktoren für ein gutes Gelingen der Zusammenarbeit sind nach Hermes die generelle Einstellung der Fachleute zu behinderten Menschen sowie Flexibilität und Aufgeschlossenheit. Wichtig ist in jedem Fall, dass eine Vertrauensbeziehung hergestellt werden kann (Vgl. Hermes, 1998, S. 54).

Auch bei der Teilnahme an Geburtsvorbereitungskursen stoßen behinderte Frauen auf zahlreiche Schwierigkeiten. Für bewegungsbehinderte Frauen stellt sich auch hier häufig das Problem, dass die Räumlichkeiten, in denen solche Kurse angeboten werden, für sie nicht zugänglich sind. Weiters werden viele Übungen auf am Boden liegenden Matten durchgeführt. Für Rollstuhlbenutzerinnen wäre es notwendig, eine erhöhte Liege zur Verfügung zu haben, auf die sie vom Rollstuhl aus leicht überwechseln können. Bewegungsbehinderte Frauen benötigen eventuell auch zusätzliche Unterstützung, um die Übungen ausführen zu können. Für blinde und sehbehinderte Frauen stellt sich in Geburtsvorbereitungskursen häufig das Problem der Vermittlung von Informationen. Viele Übungen werden vorgezeigt, Abläufe anhand von Bildern beschrieben. Nicht immer sind die Kursleiterinnen bereit oder in der Lage, das Vorgezeigte verbal so zu beschreiben, dass es für blinde bzw. sehbehinderte Frauen nachvollziehbar ist. Ähnliche Probleme ergeben sich auch in Säuglingspflegekursen (Vgl. Hermes, 1998, S. 54 f. und Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2000, S. 9).

Einige behinderte Frauen fühlen sich während der Schwangerschaft sehr isoliert. Oft besteht kein Kontakt zu Frauen mit ähnlichen Behinderungen, die Kinder haben oder erwarten, sodass kein unmittelbarer Erfahrungsaustausch möglich ist. Im Kreis nicht behinderter Schwangerer fühlen sich behinderte Frauen nicht wirklich zugehörig, da dort wiederum eher die Behinderung im Vordergrund steht und sich die nicht behinderten Frauen unsicher und eher distanziert verhalten (Vgl. Behrend, 1998, S. 262).

Bei Beratungsstellen für behinderte Menschen erleben sich werdende Mütter ebenfalls als "Ausnahmefälle", für deren Bedürfnisse vor allem im Hilfsmittelbereich keine adäquaten Lösungen entwickelt wurden. Somit bleibt es den betroffenen Frauen selbst überlassen, gemeinsam mit ihren Partner geeignete Hilfsmittel - z. B. für die Säuglingspflege oder den Transport - selbst zu finden oder zu entwickeln (Vgl. Seipelt-Holtmann, 1993, S. 20).

In einigen europäischen Ländern, den USA und Kanada bestehen mittlerweile Organisationen behinderter Eltern, in deren Beratungsarbeit die Information über geeignete Behelfe oder Adaptierungen von auf dem Markt befindlichen Artikeln eine wichtige Rolle spielt (Vgl. Kap. 6.2.).

5.2.5. Pränataldiagnostik

Die Entwicklung pränataler Diagnoseverfahren hat die Wahrnehmung von Schwangerschaft allgemein verändert. Während es früher als schicksalhaftes Ereignis galt, ob man ein gesundes, ein krankes oder ein behindertes Baby zur Welt brachte, wird dies nunmehr als reine Frage der entsprechenden vorgeburtlichen Kontrolle angesehen. Werdende Eltern müssen sich bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft entscheiden, welche Untersuchungen sie vornehmen lassen wollen und welche Konsequenzen sie aus den Ergebnissen solcher Untersuchungen ziehen werden. In der Folge werden Eltern, und vor allem Mütter, vielfach unmittelbar dafür verantwortlich gemacht, wenn ein Kind mit einer Behinderung zur Welt kommt. Dementsprechend hoch ist der Druck, alle Diagnosemöglichkeiten auszuschöpfen. Im Falle einer festgestellten oder wahrscheinlichen Behinderung des Kindes wird selbstverständlich angenommen, dass die Schwangerschaft abgebrochen wird.

Nicht behinderten Frauen bleibt in diesem Fall nach Hermes meist gar keine andere Wahl, da sie keine realistischen Vorstellungen vom Leben mit einem behinderten Kind haben. Die Informationen, die sie zum Zeitpunkt der Feststellung der Behinderung des Kindes von ihrer Umwelt und Medizinern und Medizinerinnen erhalten, zeigen meist Horrorszenarien. Positive Perspektiven werden kaum vermittelt. Besteht bei Menschen mit Behinderungen eine reale Wahrscheinlichkeit der Weitervererbung, gilt eine Pränataldiagnose für deren Umwelt als selbstverständliche Notwendigkeit. Anders als nicht behinderte Menschen haben behinderte jedoch eine klare Vorstellung vom Leben mit einer Behinderung. Sie kennen die Grenzen und Möglichkeiten und empfinden ihre eigene Situation meist keineswegs als schrecklich, sondern als etwas Selbstverständliches. Gleichzeitig unterliegen auch behinderte Menschen den Einflüssen des allgemeinen Gesundheits- und Leistungsdenkens. Behinderte Frauen fühlen sich unter Umständen unter dem Druck zu beweisen, dass sie - entgegen der weit verbreiteten Annahme - doch ein nicht behindertes Kind bekommen (Vgl. Hermes, 1998, S. 41 f.).

Der Druck, pränataldiagnostische Untersuchungen durchführen zu lassen, ist bei schwangeren Frauen mit Behinderung besonders groß. Ärzte und Ärztinnen raten zu derartigen Untersuchungen häufig auch dann, wenn kein medizinischer Grund vorliegt bzw. ohne genaues Wissen über Art und Ursache der Behinderung der Frau. Seipelt-Holtmann, die eine Gehbehinderung aufgrund einer spastischen Lähmung hat, berichtet von der ersten gynäkologischen Untersuchung in ihrer Schwangerschaft: "Als alles soweit okay war, fragte uns meine Ärztin, ob wir die Möglichkeit einer humangenetischen Beratung in Anspruch nehmen wollten. Danach könnte man noch eine Abtreibung bis zur 22. Woche vornehmen. Ich war wie vor den Kopf geschlagen und fragte sie, welche Gründe dafür sprechen würden ich wäre unter dreißig, meine Behinderung sei während der Geburt passiert und nach der heutigen Untersuchung gäbe es auch keinen Grund dafür. Mit einer solchen Untersuchung würde ich das Risiko einer Cerebralparese nur noch vergrößern ... Die Ärztin sagte nur noch: ´Stimmt´." (Seipelt-Holtmann, 1993, S. 21)

Eine blinde Frau berichtet vom ersten Zusammentreffen mit einem Arzt im Krankenhaus: "Also ging ich - ungefähr in der zwanzigsten Schwangerschaftswoche - ... zur Untersuchung. ... Er sah an meiner Armschleife, dass ich ´behindert´ bin und fragte mich, ob schon eine Fruchtwasser-Punktion gemacht wurde und ich musste verneinen. Darauf sagte der Arzt: ´Naja, wir werden Sie jetzt einmal untersuchen und wenn etwas nicht stimmen sollte, müssen wir etwas unternehmen.´ Ich bekam es mit der Angst zu tun und erwiderte: ´Ich will auf alle Fälle mein Kind behalten und zur Welt bringen.´" (Prugg, 2001)

Viele behinderte Menschen stehen der Pränataldiagnostik grundsätzlich kritisch gegenüber, weil sie mit der daraus folgenden Selektion auch ihr eigenes Lebensrecht in Frage gestellt sehen. Mit der Möglichkeit, einzelne behinderte Menschen zu verhindern, verändern sich auch die Lebensbedingungen behinderter Menschen (Vgl. Blochberger, 2001).

Hermes zeigt auf, dass eine genetische Beratung und auch Pränataldiagnostik nicht immer selektiv sein müssen. Sie können für Menschen mit Behinderungen, die sich Kinder wünschen, eine wichtige Unterstützung sein, um zunächst überhaupt zu erfahren, inwieweit ihre eigene Behinderung weiter vererbt werden kann. In der Folge können sie sich darauf einstellen, ein behindertes Kind zu bekommen. Manchmal ist das Wissen über die Behinderung des Kindes auch notwendig, um die Geburt entsprechend planen zu können, wie Hermes am Beispiel einer Frau zeigt, deren Behinderung auf die sogenannte Glasknochenkrankheit zurückgeht. Ihr Kind, das diese Krankheit geerbt hatte, musste mit Kaiserschnitt entbunden werden, weil die Knochen dem Druck einer Spontangeburt möglicherweise nicht standgehalten hätten. Entscheiden sich behinderte Frauen nach der Diagnose einer Behinderung des Kindes für die Fortsetzung der Schwangerschaft, stoßen sie jedoch auf großes Unverständnis bei ihrer Umwelt. Vielfach werden sie unter Druck gesetzt, die Schwangerschaft abzubrechen. Weiters werden sie mit Folgeuntersuchungen regelrecht überschüttet, die nicht immer sinnvoll sind und teilweise auch unklare bzw. falsche zusätzliche Diagnosen erbringen (Vgl. Hermes 1998, S. 43 f.).

Mir sind persönlich Frauen bekannt, die eine Pränataldiagnose vornehmen ließen, weil sie sich aufgrund ihrer eigenen Behinderung mit einem ebenfalls behinderten Kind überfordert fühlten. Andere entscheiden sich aber auch ganz bewusst dafür, ein möglicherweise behindertes Kind zu bekommen, lehnen eine pränataldiagnostische Abklärung ab bzw. setzen die Schwangerschaft, auch nachdem eine Behinderung des Kindes festgestellt wurde, fort.

Hermes spricht sich dagegen aus, ohne konkreten Anlass prinzipiell alle Diagnose- und Kontrollmöglichkeiten in der Schwangerschaft auszunutzen, zumal es kaum Einflussmöglichkeiten auf die Entwicklung des Fetus gibt. Dem Argument, eine Schwangere handle nur verantwortungsvoll, wenn sie alles über die Gesundheit ihres ungeborenen Kindes wisse, begegnet Hermes mit der Feststellung: "Sie übersehen dabei, daß die Entscheidung, nicht alles wissen zu wollen, eine Entscheidung aus Verantwortung für sich und das zu erwartende Kind ist. Frauen, die nicht ´alles´ getan haben, was möglich ist, haben sich dennoch entschieden, Verantwortung zu übernehmen." (Hermes, 1998, S. 44)

5.3. Geburt und Wochenbett

In der Frühphase der Schwangerschaft erfahren behinderte Frauen teilweise, dass ihre Schwangerschaft von Professionellen grundsätzlich abgelehnt wird. Ist die Schwangerschaft weiter fortgeschritten, also zur unabänderlichen Tatsache geworden, treten Probleme in den Vordergrund, die aus dem mangelnden Wissen von Ärzten, Ärztinnen und Hebammen über die Auswirkungen einer Behinderung auf Schwangerschaft und Geburt entstehen. Viele Frauen berichten, dass sie sich mit ihren Fragen allein gelassen fühlten, dass Ärztinnen und Ärzte es vermieden, ihnen konkrete Informationen zu geben und dass dadurch bei den Frauen große Verunsicherung entstand. Besonders deutlich wirkt sich dieses Unwissen der Mediziner und Medizinerinnen bei der Planung der Geburt bei bewegungsbehinderten Frauen aus. Hermes berichtet, dass überdurchschnittlich viele bewegungsbehinderte Frauen ihre Kinder per Kaiserschnitt zur Welt bringen. Sie führt dies darauf zurück, dass viele Ärzte und Ärztinnen aus Unsicherheit diese Entbindungsform vorschlagen und die betroffenen Frauen aus Angst vor Komplikationen bei der Geburt und deren Folgen für das Kind zustimmen. Hermes kritisiert diese Tendenz, da ein Kaiserschnitt ein massiver operativer Eingriff. mit entsprechenden Risiken ist. Frauen werden dadurch um das Erlebnis einer natürlichen Geburt gebracht. Bei manchen der Frauen bewirkt dies das Gefühl, versagt zu haben (Vgl. Hermes, 1998, S. 56 ff.).

In der Studie von Behrendt erfolgten bei 31 % der befragten bewegungsbehinderten Frauen die Erstlingsgeburten per Kaiserschnitt. Dies ist gegenüber dem durchschnittlichen Prozentsatz von 17 % Kaiserschnittgeburten ein wesentlich höherer Anteil. Behrendt verweist darauf, dass weiterführende Fallanalysen notwendig wären, um deutlich zu machen, wo die Gründe hierfür liegen (Vgl. Behrend, 1998, S.129 f.).

Sowohl bei Hermes als auch bei Behrendt finden sich aber auch Berichte von behinderten Müttern, die sehr positive Erfahrungen gemacht haben. Wenn das Personal einer Klinik bereit ist, Unsicherheiten zuzugeben und gemeinsam mit der Schwangeren nach Lösungen zu suchen, kann die Zusammenarbeit sehr erfolgreich verlaufen. So berichtet eine bewegungsbehinderte Frau, dass sie vor der Geburt ihres ersten Kindes eine Woche zum "Probeliegen" in der Entbindungsstation aufgenommen wurde. Dieser Aufenthalt hatte den Zweck, dass alle Ärzte und Ärztinnen und das gesamte Personal sie kennen lernten und mit ihr gemeinsam bereits vor der Geburt alle notwendigen zusätzlichen Hilfen planen konnten (Vgl. Hermes, 1998, S. 58). Einige von Behrendt interviewte Frauen berichten, dass sie aufgrund negativer Erfahrungen, die sie im Laufe ihres Lebens mit Ärztinnen und Ärzten gemacht hatten, auch bei der Geburt die Zusammenarbeit problematisch und von starken Ängsten begleitet erlebten (Vgl. Behrend, 1998, S. 126 ff.).

Bei Papke berichtet eine körperbehinderte Frau, dass sie die Haltung des Krankenhauspersonals ihr gegenüber als geringschätzig erlebte, weil sich Ärzte und Krankenschwestern nicht vorstellen konnten, wie sie ihr Kind versorgen würde und sie deshalb für verantwortungslos hielten (Vgl. Papke, 1993, S. 92.).

Bei den von Becker befragten Frauen fällt auf, dass mehrere berichten, sie seien bei der Geburt ihres ersten Kindes im Krankenhaus sehr positiv aufgenommen worden, während beim zweiten Kind Ablehnung und Unverständnis vorherrschten: "Musste das denn auch noch sein?" (Vgl. Becker, 1997, S. 90)

Insgesamt bleiben die Bedürfnisse behinderter Frauen im geburtsmedizinischen Alltag weitgehend unberücksichtigt. Wie gut die konkrete Situation jeweils bewältigt werden kann, hängt sehr von der Flexibilität des Personals ab. Erschwerend ist der permanente Personalwechsel im Klinikalltag. So ist es im Fall behinderter Frauen besonders wichtig, dass die betreuende Hebamme die Frau bereits vor der Geburt kennen lernt und Besonderheiten aufgrund der Behinderung besprochen werden können. Einige behinderte Frauen wählen für die Geburt daher eher kleine Geburtshäuser oder eine Hausgeburt, sodass der persönliche Kontakt zur Hebamme bzw. dem Betreuungspersonal gesichert ist (Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2000, S. 10).

Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der Geburt und dem Wochenbett ist die Tatsache, dass auf Entbindungsstationen die Einrichtung nicht den Bedürfnissen behinderter Frauen entspricht. Das Personal hat zudem meist keine diesbezüglichen Erfahrungen und Informationen. So gibt es keine rollstuhlgerechten WCs, Wickeltische und Badewannen sind nicht unterfahrbar, die Babybettchen sind zu hoch, um das Baby vom Rollstuhl aus selbst herausheben zu können. Das Personal ist mit behinderungsbedingten Hilfestellungen vielfach überfordert. Köbsell stellt dazu fest: "Wie oft bleibt uns nichts anderes, als uns bei Krankenhausaufenthalten mit behindernden und oft auch entwürdigenden Gegebenheiten abzufinden, die uns viel von der Selbständigkeit, die wir zu Hause haben, wieder nehmen, und uns dem Personal entsprechend ihren Vorurteilen präsentieren: hilflos und abhängig." (Köbsell, 1996; zit. nach Hermes, 1998, S. 58/59)

Freyjer berichtet dazu: "Die Universitätsklinik, in der ich entbinden wollte, war auf behinderte Mütter nicht eingestellt. Die Möglichkeit, schon während des Krankenhausaufenthaltes den Säugling im eigenen Zimmer selbst zu betreuen, das sogenannte ´Rooming-in´, wurde mir verwehrt mit der Begründung das Zimmer sei zu klein für Rollstuhl und Kinderbett. Eine wichtige Lern- und Trainingsphase unmittelbar nach der Geburt ist mir dadurch entgangen." (Freyjer, 1994, S. 73)

Manchmal verhindern aber auch die Zweifel des Krankenhauspersonals an den Fähigkeiten der behinderten Mutter, dass diese ihr Kind während des Krankenhausaufenthalts selbst betreuen kann. So berichtet eine blinde Mutter bei Krause: "Nach drei Tagen wollte ich mit meiner Zimmernachbarin zusammen Rooming-in machen und habe das dem Chefarzt gesagt. Dann ging das Theater los. Dann kam die Oberschwester rein und meinte, daß das nicht ginge. 'Wir wissen ja gar nicht, wieviel Sie sehen. Und wenn Sie nun das Kind neben den Wickeltisch legen?' Es ging um versicherungstechnische Gründe dabei. Ich habe dem Arzt gesagt, daß ich das zu Hause auch machen müßte und das Rooming-in auch deshalb gewählt hätte, um es hier zu üben. ... Dann kamen sie an: 'Können Sie sehen, wenn das Kind blau anläuft?' So waren immer meine Zimmermitbewohnerin oder eine andere Mutter dabei." (Krause, 1992, S. 230) Eine andere blinde Frau schildert ähnliche Erfahrungen im Krankenhaus: "Und dann nachher in der Klinik, da waren die Schwestern, die wollten erst einmal sehen. Da haben sie erst eine Puppe gebracht, weil sie erst Angst hatten. Dann haben sie mir auch den Sohn gebracht, weil sie sehen wollten, ob ich das auch kann." (ebd. S. 228)

Gerade in einer Phase, die der Erholung von der Geburt und dem Kräftesammeln für den Alltag mit dem Kind dienen sollte, müssen behinderte Frauen in solchen Situationen sehr belastende Kämpfe mit dem Klinikpersonal austragen.

Insgesamt wird deutlich, dass für behinderte Frauen die Rahmenbedingungen der Geburt und der Wochenbettphase im Vorfeld genau geplant werden sollten. Dies bleibt bislang jedoch meist den Frauen selbst überlassen, wie der Erfahrungsbericht einer bewegungsbehinderten Frau nochmals deutlich macht: "Ich informierte mich bei verschiedenen FachärztInnen über die unterschiedlichen Entbindungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung meiner Behinderung. So lernte ich die ÄrztInnen in der Entbindungsklinik meiner Wahl kennen und schaffte es, bereits vorher ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, indem ich sie genau über meine Angst und evtl. Spasmen bei großen Schmerzen im unteren Bereich aufklärte. Am Tag der Geburt kam mir dieses zugute, denn obwohl ich mich eigentlich vorher schon damit abgefunden hatte, daß eine natürliche Geburt eventuell nicht möglich ist und wahrscheinlich ein Kaiserschnitt gemacht werden muß, waren die Werte dann so gut, daß mich der Arzt darin bestärkte, den natürlichen Geburtsweg zu versuchen. ... Ich wollte mein Kind auf meinem Zimmer haben, konnte es allerdings - wenn mein Mann nicht da war - noch nicht ganz allein versorgen, da die Einrichtung u.a. nicht behindertengerecht war. Dieser Umstand stieß anfänglich auf heftige Widerstände seitens des Personals im Kindersaal. ... Ich bot an, Marius unter Anleitung im Kindersaal zu wickeln, weil es für mich sehr wichtig war, das An- und Ausziehen zu lernen und zu trainieren. Nach zwei Tagen waren die Schwestern dann doch bereit, mich bei der Pflege von Marius auf meinem Zimmer zu unterstützen." (Seipelt-Holtmann, 1993 S. 21/22)

5.4. Mutterschaft

5.4.1. Einstellung und Reaktionen der Umwelt

Allgemein wird von behinderten Frauen nicht angenommen, dass sie eigene Kinder haben. Daher zählen Umweltreaktionen, wie die im Folgenden beschriebene, zu den am häufigsten berichteten: "Am allerwenigsten haben die Leute vermutet, dass ich die Mutter bin. Mein Sohn wurde immer gefragt, wo ist denn deine Mutter und ich sagte immer die steht doch hier und dann wurde auch noch gefragt, wo denn."(Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern e.V., 2000)

Becker befragte 210 nicht behinderte Personen mittels Fragebogenerhebung zu ihrer Einstellung zu körperbehinderten Müttern. Dabei stellte sie zunächst die Frage, ob eine körperbehinderte Frau verantwortungsvoll handle, wenn sie eigene Kinder bekäme. Weiters fragte sie, ob sich die befragte Person im Falle einer eigenen Körperbehinderung vorstellen könne, eigene Kinder zu haben. Bei beiden Fragen war die Zustimmung mit 59 bzw. 52 % ähnlich hoch. Auffallend ist dabei aber, dass ein großer Teil der Personen (37,4 %), die der Ansicht waren, eine körperbehinderte Frau handle nicht verantwortungsvoll, wenn sie eigene Kinder bekäme, der zweiten Frage zustimmten. Sie gaben also an, dass sie im Fall einer eigenen Behinderung Kinder wollen würden (Vgl. Becker, 1997, S. 93 f.). Becker meint dazu, dass dieses Ergebnis das Spannungsfeld zwischen der Situation und Einstellung von betroffenen und nicht betroffenen Personen verdeutlicht: "Die Rechte und Möglichkeiten, die man als Betroffener für sich selbst als selbstverständlich voraussetzt und als ´Normalität´ erwartet, gesteht man als Nichtbetroffener einer betroffenen Minderheit nicht ohne weiteres zu, bzw. steht ihnen mit Skepsis und Vorurteilen gegenüber und ist nicht bereit, die Situation Betroffener als eine ´andere´ Normalität zu akzeptieren." (Ebd., S. 94)

In Erfahrungsberichten von behinderten Müttern wird immer wieder das Vorurteil seitens nicht behinderter Personen erwähnt, dass eine behinderte Mutter ihrem Kind kein Vorbild sein könne. Dieses Vorurteil hat sich in der Befragung von Becker nicht bestätigt. Hier waren mehr als 95 % der Befragten der Ansicht, dass eine behinderte Mutter ihrem Kind ein Vorbild sein könne. Becker merkt dazu an, dass ihre Erhebung insofern nicht als repräsentativ gelten kann, da sie vor allem Personen mit mittlerem und höherem Bildungsniveau erreicht habe. Gleichzeitig zeigt Beckers Befragung von behinderten Müttern, dass diese mit solchen Vorurteilen vereinzelt auch von Ärzten und Ärztinnen konfrontiert waren (Vgl. ebd., S. 94 f.).

Im Hinblick auf die Akzeptanz behinderter Mütter ergab sich bei Becker ein überwiegend positives Bild. Die Mehrheit der nicht behinderten Befragten zeigte eine grundsätzliche Akzeptanz für behinderte Mütter und die behinderten Frauen fühlten sich in ihrer Rolle als Mutter auch überwiegend von ihrer Umwelt akzeptiert. Dieses Gesamtbild hat jedoch auch Brüche. So berichten die behinderten Frauen durchgehend von einzelnen Erfahrungen, in denen ihnen offen vermittelt wurde, dass sie als Mutter nicht akzeptiert wurden. Fast alle berichten von Begegnungen in denen angezweifelt wurde, dass das Kind in ihrer Begleitung ihr eigenes sei. Einige erfuhren über dritte von negativen Äußerungen. Mehrere Frauen berichten, dass sie sich von ihrer Umgebung sehr stark beobachtet fühlen und immer wieder erklären müssen, wie sie "das" schaffen. Insgesamt scheinen nach Becker behinderte Mütter ihre Fähigkeiten zunächst unter Beweis stellen zu müssen. Gelingt ihnen dies, werden sie größtenteils in ihrer Rolle akzeptiert (Vgl. ebd., S. 98 f.).

Hermes berichtet von Reaktionen der Umwelt auf die Mutterschaft behinderter Frauen, die von ungläubigem Erstaunen - "Ist das etwa ihr Kind?" bis zu übertriebener Bewunderung reichen, insgesamt aber als überwiegend positiv beschrieben werden. So berichten einige behinderte Frauen, dass die Umwelt wesentlich freundlicher und entgegenkommender auf sie reagiert, wenn sie mit ihrem Kind zusammen unterwegs sind (Vgl. Hermes, 1998, S. 62 f.). Becker begründet dies damit, dass eine behinderte Frau die - entgegen aller gesellschaftlichen Erwartungen - einen Partner findet und eigene Kinder hat, nicht mehr als "asexuelle Behinderte", sondern stärker als Frau wahrgenommen wird. Für die behinderte Frau selbst wird durch die Erfahrung der Mutterschaft ebenfalls der Stellenwert ihrer Behinderung geringer (Vgl. Becker, 1997, S. 70).

Hermes merkt dazu an, dass übertriebene Bewunderung durch nicht behinderte Menschen auch ein Ausdruck der negativ gefärbten Grundeinstellung gegenüber behinderten Menschen generell ist: "Da nicht behinderte Menschen sich unseren Alltag schon ohne Kinder extrem anstrengend, schwierig und traurig vorstellen, scheint ihnen unvorstellbar, daß wir in dieser Situation auch noch Kinder versorgen können. Alle Eltern erleben, daß der Alltag mit Kindern zeitweise sehr anstrengend sein kann, kennen Überforderung und die Erfahrung, häufig an die eigenen Grenzen zu stoßen. Die Kombination von Behinderung und Elternschaft scheint unserer Umwelt unmöglich. Wenn nicht behinderte Menschen dann aber auf behinderte Eltern treffen, die ihren Alltag nach außen hin scheinbar mühelos bewältigen, werden diese zu HeldInnen erhoben." (Hermes, 1998, S. 63) Sie sieht es als problematisch, dass behinderte Eltern es vermeiden, ihre Probleme und Schwierigkeiten nach außen zu kommunizieren, um den gängigen Vorurteilen möglichst nicht nahe zu kommen. Andererseits schlagen die Reaktionen der Umwelt rasch in offene Bemitleidung um, wenn behinderte Mütter deutlich machen, dass sie Probleme haben. Missbilligung erfahren behinderte Mütter sehr rasch, wenn die Familiensituation von der Norm abweicht, also wenn sie Alleinerzieherinnen sind und wenn sie Hilfe von außen in Anspruch nehmen. So berichtet eine bewegungsbehinderte Frau bei Hermes, dass die Betreuung ihrer Tochter bei einer Tagesmutter von ihrer Umwelt nicht mit ihrer Berufstätigkeit, sondern ausschließlich mit ihrer Behinderung in Zusammenhang gebracht wurde (Vgl. ebd., S. 63 f.).

Nach Porr-Griffaton hängen Reaktionen der Umwelt auf Mütter mit einer Behinderung auch vom Ausmaß und der Sichtbarkeit der Behinderung ab. Negative Reaktionen treten dann häufiger auf, wenn eine Behinderung als schwerwiegend eingeschätzt wird. Porr-Griffaton befragte 21 sehbehinderte und blinde Mütter zu ihren Erfahrungen mit Diskriminierungen. Am stärksten fühlten sich die Befragten durch Reaktionen der Umwelt benachteiligt. Etwa die Hälfte berichtet von diskriminierenden Erfahrungen durch abwertende oder ärgerliche Reaktionen in alltäglichen Interaktionen z. B. beim Einkaufen oder im Straßenverkehr. Als Beispiel berichtet Porr-Griffaton, dass eine blinde Mutter von einer Passantin gefragt wurde, warum sie ihr Kind nicht in ein Heim gebe, denn sie könne es doch nicht erziehen, und in weiterer Folge, ob sie denn nicht hätte "anständig" verhüten können (Vgl. Porr-Griffaton, 1993, S. 16 ff.).

Porr-Griffaton verweist ebenfalls darauf, dass solche Reaktionen behinderte Mütter unter hohen Druck setzen, ihre Fähigkeiten zu beweisen. So unterstellen sehbehinderte und blinde Frauen der Umwelt häufig eine allgegenwärtige Aufmerksamkeit gegenüber ihren Kindern. Sie erachten es oft als nötig darauf hinzuweisen, dass ihre Kinder ebenso glücklich aufwachsen und sich altersgemäß entwickeln, wie die Kinder sehender Mütter. Schwierigkeiten oder die Notwendigkeit, Hilfe von sehenden Personen in Anspruch zu nehmen, werden auch von den sehbehinderten und blinden Frauen selbst als Zeichen ihrer mangelnden Fähigkeiten gesehen. So berichtet eine blinde Mutter, dass es ihr besonders peinlich sei, wenn sie eines ihrer Kinder beim Einkaufen nicht gleich wiederfinde, eine Situation, die wahrscheinlich alle Eltern irgendwann erleben. In diesem Zusammenhang verweist auch Porr-Griffaton darauf, dass - wie bereits in Kap. 3.3. beschrieben - in der Erziehung blinder und sehbehinderter Mädchen in Blindenschulen und Internaten der völligen Unabhängigkeit von sehender Hilfe übergroßer Stellenwert beigemessen wird und dies auch in der Rolle als Mutter dazu führen kann, dass sich die Frauen überfordern, um diesem Anspruch gerecht zu werden (Vgl. ebd.).

Insgesamt erleben viele behinderte Mütter die extreme Bewunderung ebenso wie die rasche Missbilligung jedes normabweichenden Verhaltens als Ausdruck der Distanz, die nicht behinderte Menschen zu ihnen aufrechterhalten wollen. "Für viele behinderte Eltern entsteht so ein schwer zu durchbrechender Kreislauf: Da jedes Verhalten und jede Entscheidung mit der Behinderung in Zusammenhang gebracht wird, wollen sie möglichst wenig auffallen. Um nicht aufzufallen, nehmen sie kaum Hilfe von Außen in Anspruch und zeigen sich stets gut gelaunt und gut organisiert und werden dafür bewundert. Ohne gut funktionierende Unterstützungssysteme überfordern sich behinderte Eltern jedoch permanent selbst. Wenn sie aber fremde Hilfe in Anspruch nehmen, fallen sie negativ auf und ihnen wird gleich wieder Unfähigkeit unterstellt." (Hermes, 1998, S. 64)

Es gibt vereinzelt auch Beispiele dafür, dass behinderte Mütter seitens der Jugendämter kontrolliert werden, wie die beiden folgenden Erfahrungsberichte zeigen: "Auch die Fürsorge ließ nicht lange auf sich warten. Es war eine ältere Dame und wollte nachsehen, ob alles in Ordnung sei. Sie war sehr freundlich und zeigte sich sehr interessiert. Sie sah mir beim Füttern und Wickeln zu und staunte, dass alles so gut funktionierte. Sie ging und kam nie wieder." (Prugg, 2001)

"Am ersten Tag nach der Geburt kam eine Frau an mein Bett und sagte: ´Wir nehmen ihn gleich mit, denn gepflegt kann er bei uns auch werden.´ Ich kannte mich nicht aus, und fragte, wer gepflegt werden solle. Zur Antwort bekam ich, dass ich mein Kind sowieso nicht pflegen könne, und dass es die Fürsorge deshalb gleich mitnehmen könne. Wie vom Blitz getroffen rannte ich ins Babyzimmer und holte meinen Sohn. Zum Glück fiel mir der Vorwand ein, dass meine Mutter mir bei der Pflege hilft. ... Erst nach Rücksprache mit meiner Mutter gab die Fürsorgerin nach und ließ sich diesbezüglich nie wieder blicken." (Hafner, 2000)

Behrendt berichtet auch über spezifische Reaktionen von Familienangehörigen - vor allem Eltern und Schwiegereltern - seiner Interviewpartnerinnen. Hier zeigte sich, dass den Frauen ein gewisses Maß an Unterstützung wichtig war, sowohl in praktischen Dingen als auch seelischer Rückhalt. So wurde einfühlsame Unterstützung von Familienangehörigen als sehr positiv hervorgehoben und andererseits, dort wo Eltern oder Schwiegereltern keine Unterstützung geben wollten oder konnten, dies als Mangel empfunden. Einige Frauen berichten aber auch, dass ihnen von Eltern oder Schwiegereltern Unterstützung geleistet wurde, die aber die Bedürfnisse und Möglichkeiten der behinderten Mutter nicht berücksichtigte und daher von dieser als Bevormundung und Einmischung erlebt wurde. Mehrere Frauen schildern auch offene Konflikte, weil Eltern oder Schwiegereltern ihre individuelle Art, entsprechend ihren Möglichkeiten mit ihrem Kind umzugehen, nicht akzeptieren konnten (Vgl. Behrendt, 1998, S. 172 ff.).

Die Annahme, dass eine behinderte Mutter ihr Kind nicht selbst versorgen könne, spiegelt sich auch häufig in Reaktionen gegenüber dem nicht behinderten Partner wider. Seipelt-Holtmann berichtet von mitleidigen Blicken und Bemerkungen wie: "Da haben sie sich aber eine Last aufgeladen." Oder "Das ist aber toll, dass sie das gemacht haben." (Vgl. Seipelt-Holtmann, 1993, S. 22).

Die Situation alleinerziehender Mütter mit Behinderungen müsste laut einer Expertise im Auftrag des deutschen Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend genauer untersucht werden. Anzunehmen ist aber, dass sie neben den Alltagsbelastungen ihrer Lebenssituation einem erhöhten Druck ihre Fähigkeiten zu beweisen, ausgesetzt sind. Berichte zeigen, dass ihre "Erziehungsfähigkeit" von Behörden schnell angezweifelt wird. Es liegen aber bisher keine Daten darüber vor, ob sie auf besondere Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche, bei der Ausübung eines Berufes oder bei der Kinderbetreuung stoßen (Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2000, S. 12).

Im Falle von Sorgerechtsstreitigkeiten sind behinderte Frauen sicherlich in einer sehr ungünstigen Position, wie die Erfahrung einer blinden Mutter zeigt: "Für den Scheidungsrichter war sonnenklar, dass nur mein Mann für die Obsorge in Frage kam. Ich war mit den Nerven so am Boden, dass ich alles über mich ergehen ließ. Etwas später dann realisierte ich erst, was das für mich bedeutete." (Prugg, 2001)

Ebenso wie in Umweltreaktionen auf Kinderwunsch und Schwangerschaft einer behinderten Frau werden auch in Reaktionen gegenüber behinderten Müttern häufig Zweifel an ihren Fähigkeiten, die Alltagsanforderungen von Pflege und Beaufsichtigung ihres Kindes erfüllen zu können, deutlich. Im Folgenden möchte ich nun darstellen, wo konkret Probleme bestehen und welche Lösungsmöglichkeiten behinderte Frauen für sich und ihre Kinder entwickeln.

5.4.2. Probleme im Alltag

Hermes teilt die Hauptschwierigkeiten, die alle behinderten Eltern mehr oder weniger betreffen, in drei Gruppen ein:

  • Umweltbarrieren und Einschränkungen der Mobilität, die die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und Aktivitäten mit Kind erschweren,

  • Arbeit zu finden und eine gute finanzielle Absicherung zu haben,

  • fehlende Hilfsmittel und Unterstützungssysteme zur Versorgung der Kinder (Vgl. Hermes, 1998, S. 79).

Wie alle behinderten Menschen stoßen auch behinderte Eltern in ihrer Umwelt ständig auf bauliche Barrieren. Dies beginnt bereits bei der Suche nach einer geeigneten Familienwohnung. Reguläre Wohnungen sind für viele bewegungsbehinderte Menschen entweder überhaupt nicht zugänglich oder aufgrund zu kleiner Räume, zu schmaler Türen und nicht behindertengerecht gestalteter Sanitärräume nicht nutzbar. Spezielle behindertengerecht gebaute Wohnungen entsprechen zwar den Bedürfnissen bewegungsbehinderter Menschen, sind aber in ihrer Raumaufteilung nicht für Familien konzipiert. Daher müssen immer wieder Kompromisse zwischen Behindertengerechtigkeit und Familiengerechtigkeit eingegangen werden. Hermes berichtet, dass viele Familien mit bewegungsbehinderten Eltern in zu kleinen Wohnungen leben oder dass kostspielige Umbauten vorgenommen werden müssen (Vgl. ebd., S. 83 f.).

Behörden, Schulen, Kindergärten oder Freizeiteinrichtungen sind nur über Stufen erreichbar. Meist fehlen behindertengerechte Toiletten, was z. B. eine Mutter, die einen Rollstuhl benutzt, daran hindert, ihr kleines Kind, das gerade dabei ist "sauber" zu werden, zu einer Toilette zu begleiten. Kindergarten, Schule oder andere Betreuungseinrichtungen müssen von bewegungsbehinderten Eltern vor allem aufgrund ihrer Zugänglichkeit und nicht aufgrund ihrer pädagogischen Qualität ausgewählt werden. Da die Aufsichtspflicht einer Kindergärtnerin erst ab der persönlichen Übergabe des Kindes gegeben ist, muss die behinderte Mutter in den Kindergarten kommen können oder eine Assistenzperson beauftragen, ihr Kind in den Kindergarten zu bringen und abzuholen. Bauliche Barrieren erschweren auch den persönlichen Kontakt zwischen behinderten Eltern und Kindergärtnerinnen bzw. Lehrpersonal sowie die Teilnahme der Eltern an Elterninitiativen.

Von vielen behinderten Eltern werden die durch Umweltbarrieren gegebenen Einschränkungen im Freizeitbereich als besonders gravierend empfunden. Spontane Aktivitäten sind kaum möglich und von vielen Bereichen sind die behinderten Eltern überhaupt ausgeschlossen. So beklagt sich z. B. eine bewegungsbehinderte Mutter bei Hermes, dass in Schwimmbädern und Sportstadien die Besucherplätze nur auf Galerien untergebracht sind, wodurch es ihr extrem erschwert wird, ihren Kindern bei Sportwettkämpfen zuzusehen. Somit sind von solchen Ausgrenzungen nicht nur die behinderten Eltern, sondern auch die nicht behinderten Familienmitglieder betroffen, weil viele Aktivitäten gar nicht oder nur ohne die Beteiligung der behinderten Eltern möglich sind. Eine besondere Herausforderung wird der gemeinsame Urlaub, weil die Informationen über Barrierefreiheit am Urlaubsort meist sehr dürftig und nicht immer zuverlässig sind (Vgl. ebd., S. 82 f.).

"Das Fehlen von Hilfsmitteln, wie Autos für Körperbehinderte und mangelnde Zugänglichkeit kann eine Isolation behinderter Eltern mit ihren Kindern zur Folge haben. Natürlich können auch hier andere Faktoren, wie die Persönlichkeit der Eltern und das Wohnumfeld eine Rolle spielen. Wenn aber jeder Gang zum Spielplatz für die Mutter oder den Vater an den Stufen desselben endet, ist es für alle Beteiligten bald kein Vergnügen mehr, sondern eine Erfahrung der Ausgrenzung, die zur Isolation beiträgt." (Schultes, 1998; zit. nach Hermes, 1998, S. 85)

Die von Becker befragten Frauen schildern die Hauptschwierigkeiten im Umgang mit ihren Kindern in der Säuglings- und Kleinkindphase. Dabei ist es bei den körperbehinderten Frauen vor allem das Heben und Tragen, das die meisten Probleme bereitet. Bei der Frage nach Einschränkungen bei gemeinsamen Aktivitäten nennen die Mütter überwiegend sportliche Aktivitäten außer Haus, die dann vom nicht behinderten Partner oder Freundinnen und Freunden übernommen werden, während sich die behinderten Mütter auf Aktivitäten konzentrieren, die sie selbst mit dem Kind machen können. Immer wieder betonen die Befragten auch bei Becker, wie sehr sie durch bauliche Barrieren daran gehindert werden, mit ihren Kindern etwas zu unternehmen oder an den Aktivitäten der Kinder in Kindergarten oder Schule teilzuhaben (Vgl. Becker, 1997, S. 104 ff.).

Für sehbehinderte und blinde Eltern stellt sich in der Freizeitgestaltung das Problem, ihre Kinder bei Veranstaltungen oder z. B. im Schwimmbad nicht zu verlieren bzw. wiederzufinden. Gerade bei großem Umgebungslärm ist es schwierig, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Mit größeren Kindern werden daher Abmachungen getroffen, dass sie sich immer wieder bei den Eltern melden müssen. Häufig wird für solche Aktivitäten aber auch eine sehende Begleitung gesucht (Vgl. Finding, 1999, S. 91 f.).

Im Urlaub ergibt sich für sehbehinderte und blinde Menschen die Schwierigkeit der Orientierung in einem unbekannten Umfeld. Auch hier ist die Wahl eines geeigneten Urlaubsortes eine große Herausforderung. Es müssen sowohl die Bedürfnisse der Kinder berücksichtigt werden, als auch die Bewältigbarkeit des Umfeldes für eine sehbehinderte oder blinde Person. Ebenso muss gewährleistet sein, dass gegebenenfalls Hilfe zur Verfügung steht. Auch der fehlende Zugang zu optisch angebotenen Informationen stellt hierbei eine große Einschränkung dar (Vgl. Hermes 1998, S. 79 ff. ).

Letzteres ist für sehbehinderte und blinde Eltern auch ein Hauptproblem in Kindergarten und Schule. Mitteilungen für die Eltern werden grundsätzlich durch Aushänge oder Eintragungen in ein Mitteilungsheft weitergegeben. Auch wenn man als blinde oder stark sehbehinderte Mutter immer wieder nachfragt und darum ersucht, solche Informationen mündlich mitgeteilt zu bekommen, kann man nie völlig sicher sein, dass dies nicht doch einmal vergessen wird.

Bei Finding berichten sehbehinderte Mütter, dass sie vor allem im Straßenverkehr große Ängste hatten und die Teilung der Aufmerksamkeit zwischen den Kindern, der Verkehrssituation und möglichen Hindernissen auf dem Weg eine große Anstrengung bedeutet (Vgl. Finding, 1999, S. 90).

Die Arbeitslosenquote unter behinderten Menschen ist überdurchschnittlich hoch. Der Verdienst behinderter Menschen, die einen Arbeitsplatz haben, liegt unter dem nicht behinderter. Insgesamt ist die Einkommenssituation behinderter Menschen wesentlich schlechter als die nicht behinderter.

Zu den allgemeinen zusätzlichen finanziellen Belastungen für Familien mit Kindern kommen für behinderte Eltern noch Zusatzkosten, die im Zusammenhang mit der Behinderung stehen, wie z. B. spezielle Adaptierungen von Hilfsmitteln, Umbauten in der Wohnung oder am Auto und die Kosten für Assistenz bei der Familienarbeit.

Zuschüsse und Förderungen für spezielle Hilfsmittel oder behindertengerechte Adaptierungen sind meist an die Berufstätigkeit der behinderten Person gekoppelt. Das Förderungssystem orientiert sich an der männlichen Erwerbsbiographie und grenzt damit insbesondere Frauen, die Familienarbeit leisten aus. Auf die konkrete Situation und die gesetzlichen Rahmenbedingungen in der Steiermark werde ich in Kap. 6.1. eingehen.

Die notwendigen Hilfsmittel für die Pflege und Versorgung vor allem von Babys und Kleinkindern, wie Wickeltische, Badewannen, Babytragen, Kinderwägen und Hochstühle sind für behinderte Menschen vielfach nur mit großen Schwierigkeiten oder gar nicht handhabbar. So entwickeln und entwerfen viele behinderte Eltern oftmals selbst z. B. mit dem Rollstuhl unterfahrbare Wickeltische oder Badewannen, Kinderwägen, die mit einem Rollstuhl kombiniert werden oder von einer blinden Person, die einen Langstock benutzt, hinterhergezogen werden können, passende Bauch- oder Rückentragen u. v. m.

Für blinde und stark sehbehinderte Mütter ist es außerdem wichtig, tastbare Bilderbücher bzw. adaptierte Gesellschaftsspiele, die blinde und sehende Familienmitglieder gemeinsam spielen können, zur Verfügung zu haben. Weiters legen behinderte Eltern besonderen Wert auf umfassende Maßnahmen zur Kindersicherheit im Haushalt, weil sie nicht so rasch eingreifen können wie nicht behinderte bzw. auch nicht in der Lage sind, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun oder zu überwachen (Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2000, S. 13).

Alle diese Adaptierungen sind häufig mit zusätzlichem finanziellen Aufwand verbunden.

Manchmal finden behinderte Eltern aber keine wirklich brauchbaren Lösungen oder können die notwendigen Adaptierungen nicht finanzieren. Hermes berichtet in diesem Zusammenhang, dass es dadurch zu andauernder Überforderung, Fehlbelastungen und daraus folgenden Schmerzen kommen kann (Vgl. Hermes, 1998, S. 84).

Der Alltag mit einem Säugling oder Kleinkind ist häufig für alle Mütter sehr anstrengend und kräftezehrend. Eine Behinderung bedingt, dass bestimmte Alltagstätigkeiten nur mit wesentlich größerer körperlicher Anstrengung bzw. wesentlich langsamer ausgeführt werden können. Finger beschreibt dies: "Mutter sein heißt erschöpft sein und sich hilflos fühlen. ... Am meisten fällt mir auf, wie langsam ich bin. Ich gehe halb so schnell wie andere Leute (außer, wenn ich müde bin, dann gehe ich noch langsamer). Das bedeutet, dass jede Tätigkeit im Haushalt - einkaufen, aufräumen - etwa zweimal so lange dauert (außer, wenn ich müde bin, dann dauert es dreimal so lange)." (Finger, 1991, S. 168)

Zwar gilt es gegenwärtig vielfach als soziale Tugend, alle Lebensbereiche selbständig und ohne Hilfe zu regeln, und Eltern gelten dann als besonders kompetent, wenn sie ohne fremde Hilfe auskommen. In der Praxis werden jedoch Eltern immer wieder auf Hilfe anderer angewiesen sein, um den Familienalltag oder spezielle Problemsituationen zu bewältigen bzw. sich auch persönliche Freiräume zu schaffen. Unter nicht behinderten Eltern wird Unterstützung meistens auf informeller Basis im Freundeskreis oder von Familienangehörigen gegeben. Eltern unterstützen einander wechselseitig, indem die Kinder einer befreundeten Familie mitbetreut werden und man bemüht sich um ein etwa ausgeglichenes Verhältnis der gegenseitigen Hilfeleistung. Hermes meint, dass behinderte Eltern in Notsituationen kaum jemals ohne Hilfe von Freunden oder Familienangehörigen dastehen. Es fällt ihnen aber im Alltag vielfach schwer, Hilfe anzunehmen. Einerseits wissen sie, dass sie keine angemessene Gegenleistung anbieten können und fühlen sich in der Rolle der überwiegend Nehmenden als Belastung. Andererseits haben sie - und hier insbesondere die Mütter - die gesellschaftliche Erwartung, ihre Rolle nicht kompetent ausfüllen zu können, selbst verinnerlicht. Sie fürchten daher, dass sie durch die Annahme von Hilfe diese Erwartung bestätigen. Hermes vermutet, dass behinderte Mütter sich nur in seltenen Fällen bezahlte Babysitterdienste leisten können und dass viele daher eher auf persönliche Freiräume verzichten oder sich generell überfordern, weil sie informelle Hilfe ungern annehmen. Sie bezeichnet es als eine der größten Herausforderungen für behinderte Mütter, die Balance zwischen der eigenen Unabhängigkeit und ihrer Abhängigkeit zu finden und sowohl angemessene Hilfe in Anspruch zu nehmen als auch die grundsätzliche Kontrolle zu behalten. Da informelle Hilfeleistungen, z. B. durch Verwandte, auf Dauer die Selbstbestimmung einer behinderten Frau beschränken können, plädiert Hermes für die zumindest teilweise Inanspruchnahme bezahlter Assistenz. Die Finanzierung dieser Assistenzleistungen für Mütter mit Behinderungen ist in den diversen Finanzierungssystemen der Behindertenhilfe bislang jedoch nicht vorgesehen (Vgl. ebd., S. 114 ff.).

Es ist anzunehmen, dass die Probleme, mit denen alleinerziehende Mütter generell konfrontiert sind, durch eine Behinderung eher verschärft werden.

Freyjer verweist in diesem Zusammenhang besonders auf die generell schwierige finanzielle Situation alleinerziehender Mütter und die oben bereits beschriebenen zusätzlichen Belastungen im Falle einer Behinderung. Da in Partnerschaften meist ein großer Teil der Assistenzleistungen vom Partner übernommen wird, wirken sich alltägliche Barrieren für alleinerziehende Mütter wesentlich gravierender aus. Dies bedingt einen höheren Bedarf an Assistenzleistungen von anderen Personen. Freyjer kommt daher zu dem Schluss, dass es für alleinerziehende Mütter mit Behinderungen besonders wichtig ist, sich ein großes und stabiles Netzwerk von Freunden aufzubauen, die sie bei Bedarf unterstützen können (Vgl. Freyjer, 1994, S. 71 ff.).

Weiters muss auch die generell schlechte Arbeitsmarktsituation sowohl für behinderte Frauen allgemein als auch für Alleinerzieherinnen allgemein in Betracht gezogen werden, sodass anzunehmen ist, dass beide Faktoren einander negativ verstärken.

Abschließend möchte ich hier noch kurz auf die Situation von Frauen hinweisen, deren Behinderung nach der Geburt ihrer Kinder aufgrund von Unfall oder Erkrankung eintritt. In Österreich bestehen aufgrund der unterschiedlichen Versicherungsleistungen für Rehabilitation nach einem sogenannten Arbeitsunfall und einem Freizeitunfall zwei Klassen von Rehabilitanden. Aufgrund der Ressourcen der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) sind Personen nach einem Arbeitsunfall sowohl in der Rehabilitation als auch bei finanziellen Unterstützungen bzw. Finanzierung von Hilfsmitteln wesentlich besser gestellt. Unfälle in Ausübung der Familienarbeit gelten nicht als Arbeitsunfall im Sinne der Versicherungsleistungen der AUVA. Das Rehabilitationssystem als solches und die dafür zuständigen Einrichtungen sind am männlichen Rollen- und Berufsbild ausgerichtet. Das heißt, umfassende Rehabilitation wird in Zentren angeboten, und eine lang andauernde Trennung von der Familie wäre notwendig. Hier wäre eine eingehende Analyse des Zugangs von Frauen generell und insbesondere von Frauen mit Kindern zum Rehabilitationssystem wünschenswert. Die Vermutung liegt nahe, dass die derzeitigen Rahmenbedingungen Frauen den Zugang zur bestmöglichen Rehabilitation nach einem Unfall zumindest erschweren oder sogar verunmöglichen.

Bei einer Tagung zum Thema Behinderung und Mutterschaft wurde ebenfalls die besondere Problemsituation von Familien angesprochen, wenn die Behinderung der Mutter erst nach der Geburt der Kinder durch Unfall oder Krankheit eintritt. In solchen Situationen fehlt eine professionelle Unterstützung der nicht behinderten Familienmitglieder, was in vielen Fällen negative Auswirkungen auf die Mutter-Kind-Beziehung hat und auch dazu führen kann, dass der Partner die Beziehung abbricht (Vgl. FIMITIC, 1996, S. 35 f.).

5.4.3. Individuelle Lösungen

Die häufigsten Schwierigkeiten im Alltag entstehen für behinderte Mütter in den ersten Lebensjahren der Kinder, in denen diese körperlich sehr abhängig sind bzw. sehr intensiv beaufsichtigt werden müssen. Behinderte Frauen machen jedoch vielfach die Erfahrung, dass sich für Schwierigkeiten, die auf den ersten Blick unüberwindlich scheinen, doch immer wieder Problemlösungen finden. Wichtig ist nach Hermes, dass behinderte Menschen sich nicht an gängigen Ablaufschemata nicht behinderter orientieren, sondern individuell die ihren Grenzen und Möglichkeiten entsprechenden Methoden entwickeln. Dabei erweist sich, dass die einfachsten Hilfsmittel oft die effektivsten sind. Manche Gebrauchsgegenstände können mittels kreativer Zweckentfremdung zum Hilfsmittel umfunktioniert werden.

Hermes nennt als Beispiele u. a. einen zum Wickeltisch umgebauten, niedrigen und mit dem Rollstuhl unterfahrbaren Tisch, auf dem Rollstuhlbenutzerinnen ihr Baby problemlos wickeln können. Ein solcher Tisch muss hingegen für eine Frau, die nur einen Arm hat, besonders hoch sein, damit sie z. B. auch Mund und Kinn bei der Babypflege einsetzen kann. Anstatt in einer Wanne können Rollstuhlbenutzerinnen ihr Baby z. B. im unterfahrbaren Waschbecken baden. Blinden Frauen wird oftmals nicht zugetraut, dass sie ihr Baby optimal säubern oder Hautrötungen erkennen können. Doch dies lässt sich ohne Schwierigkeiten ertasten, da sich an den betroffenen Stellen die Temperatur und Struktur der Haut verändert (Vgl. Hermes, 1998, S. 86 ff.).

Hermes betont, dass behinderte Menschen als Eltern besonders gefordert sind, gängige Normen zu hinterfragen und dass individuelle Lösungen den gängigen gleichwertig sind: "Zwar wird uns immer wieder von allen Seiten vorgeführt, daß das Baby beim Füttern im Arm der Mutter oder des Vaters liegen muß; es kann aber genauso gut in einem Babysitz liegen, wenn sich die Mutter dabei sicherer fühlt." (Ebd., S. 90)

Behrendt zeigt beim Thema Stillen deutlich, wie individuell unterschiedlich die Möglichkeiten und Lösungen von Frauen auch mit ähnlichen Behinderungen sein können. Er befragte überwiegend Contergan-geschädigte Frauen, von denen einige berichteten, dass aufgrund der starken Verkürzung ihrer Arme das Stillen für sie wesentlich leichter gewesen sei, als das Hantieren mit Fläschchen. Andere Frauen meinten wiederum, dass sie aufgrund der fehlenden Arme ihr Baby beim Stillen nicht entsprechend halten konnten und daher das Füttern mit dem Fläschchen die bessere Lösung gewesen sei (Vgl. Behrendt, 1998, S. 152 ff.).

Für blinde Menschen ist das Füttern eines Babys mit dem Löffel eine große Herausforderung. Man muss praktisch zur gleichen Zeit feststellen, in welche Richtung das Baby gerade schaut, um den Löffel zu dessen Mund führen zu können und verhindern, dass das Baby mit den Händen in die Nahrung greift oder den Löffel zum Kippen bringt. Hierbei berichten blinde Mütter von unterschiedlichen Lösungen, die sie meist selbst finden und die vom Temperament des Kindes und den Vorlieben der Mutter abhängen. Manche bevorzugen es, das Baby auf dem Schoß zu halten. So halten sie mit einer Hand die Hände des Babys unter Kontrolle, mit der anderen Hand den Löffel. Gleichzeitig fühlen sie, in welche Richtung das Kind den Kopf gerade dreht. Andere bevorzugen einen Kinderstuhl und finden eine Möglichkeit, mit einer Hand sowohl die Hände des Babys zu kontrollieren, als auch dessen Blickrichtung zu ertasten. In einer E-mail-Diskussionsliste für blinde Eltern berichtet eine blinde Mutter, dass sie ihrem Kind zum Füttern jeweils ein großes T-Shirt anzog, unter dem die Hände des Kindes quasi "gesichert" waren (Vgl. Link, 2002).

Hermes beschreibt, dass viele blinde Eltern insbesondere befürchten, dass beim Füttern oder wenn das Kind beginnt selbständig zu essen, sehr viel Nahrung verschmiert wird. Sie könnten sich vielfach nicht vorstellen, dass dies auch bei den Kindern sehender Eltern der Fall sei (Vgl. Hermes, 1998, S. 91). Hinzu kommt allerdings noch, dass es für blinde Menschen erheblich schwieriger ist, z. B. die Spuren eines im hohen Bogen vom Tisch geworfenen Karottenbreies im Raum aufzufinden und zu beseitigen. Es zeigt sich aber auch, dass sich die meisten Kinder sehr rasch auf die Möglichkeiten der Eltern einstellen und dem herangeführten Löffel selbst entgegenkommen. "Eine Freundin bewunderte uns einmal beim Füttern, weil sie meinte, meine Kinder würden immer so schön den Mund aufmachen und auf den Löffel zukommen, was ihr Kind überhaupt nicht täte." (Paul, 1990, S. 357)

Für bewegungsbehinderte Menschen stellt das Heben und Transportieren eines Babys bzw. Kleinkindes häufig ein Problem dar. Hermes zählt als Lösungsmöglichkeiten das Anbringen eines Kleinkindersitzes seitlich am Rollstuhl oder für den Wohnungsbereich einen Babysitz, der auf einem Teewagen befestigt oder auf andere Weise mit Rollen versehen wird, vor (Vgl. Hermes, 1998, S. 92).

Als weiteres Beispiel für individuell an die jeweilige Behinderung angepasste Lösungen beschreibt Behrendt, dass viele Contergan-geschädigte Mütter mit stark verkürzten Armen beim Kauf von Baby- und Kinderkleidung darauf achteten, dass diese möglichst nicht mit Knöpfen versehen war oder vorhandene Knöpfe durch Klettverschlüsse oder Reißverschlüsse ersetzen ließen, mit denen sie leichter umgehen konnten (Vgl. Behrendt, 1998, S. 159 f.).

Um für die Sicherheit von Kleinkindern im Wohnbereich zu sorgen, werden nach Hermes grundsätzlich die gleichen Vorkehrungen getroffen wie in Familien mit nicht behinderten Eltern. Zusätzliche Gefahrenquellen können sich ergeben, wenn z. B. für Rollstuhlbenutzerinnen in der Küche Herd und Arbeitsflächen niedriger angebracht sind oder wenn sich ein elektrischer Treppenlift im Haus befindet. Hier müssen zusätzliche Vorkehrungen getroffen werden. Für blinde und stark sehbehinderte Menschen stellt sich das Problem, ihre Kleinkinder bei deren Aktivitäten nicht beobachten zu können. Daher wird von den Eltern hier besonderer Wert auf Sicherheit gelegt. Hermes berichtet dazu, dass Autoren und Autorinnen, die sich mit der Situation blinder und sehbehinderter Eltern beschäftigen, festgestellt haben, dass diese schon aus eigenem Interesse wesentlich aufmerksamer im Auffinden von Gefahrenquellen sind als sehende Personen. Man kann also davon ausgehen, dass ein blindengerechter Haushalt auch ein kindgerechter Haushalt ist. Insgesamt ist nach Hermes die Unfallrate bei Kindern behinderter Eltern nicht höher als bei Kindern nicht behinderter. Sie vermutet, dass behinderte Eltern generell aufmerksamer im Hinblick auf Gefahrenquellen sind, weil sie wissen, dass sie nicht so schnell eingreifen können wie nicht behinderte (Vgl. Hermes, 1998, S. 93 f.).

Auch Finding fand bei ihrer Befragung sehbehinderter Mütter heraus, dass alle großen Wert auf die vorbeugende Entschärfung möglicher Gefahrenquellen legen. Sie ist allerdings der Auffassung, dass in den Haushalten der befragten Frauen nicht mehr Sicherungsmaßnahmen gesetzt wurden, als bei vielen sehenden Eltern (Vgl. Finding, 1999, S. 96 f.).

Während sich die meisten behinderten Mütter in ihrem eigenen Wohnbereich mit ihren Kindern sehr sicher und kaum eingeschränkt fühlen, stellt die Mobilität außer Haus ein großes Problem dar. Für bewegungsbehinderte Menschen kommt zur Frage, wie das Baby oder Kleinkind transportiert werden kann, noch das Problem baulicher Barrieren, die sie von vielen Gebäuden, Spielplätzen usw. ausschließen. Hermes berichtet davon, dass angesichts dieser Probleme manche bewegungsbehinderte Mütter darauf verzichten, allein mit ihren Kindern außer Haus zu gehen, was soziale Isolation zur Folge haben kann. Für den Transport von Babys oder Kleinkindern mit dem Rollstuhl werden entweder Bauchtragesäcke oder Gurte verwendet, um das Kind auf dem Schoß der Mutter zu sichern. Bei manchen Gehbehinderungen ist es möglich, einen Kinderwagen so umzubauen, dass sich die Mutter auch darauf stützen kann. Blinde und sehbehinderte Eltern verzichten überwiegend auf den Gebrauch eines Kinderwagens, sondern benutzen handelsübliche Tragetücher, Tragesäcke oder Rückentragen. Da wo blinde Eltern einen Kinderwagen verwenden, wird er meist hinterhergezogen. Sobald die Kinder selbst mobil werden, stellt sich für alle behinderten Eltern das Problem der Sicherheit außer Haus. Sowohl für bewegungsbehinderte als auch für blinde und sehbehinderte Mütter gilt, dass sich das Kind außer Haus leicht ihrem Einflussbereich entziehen kann, weil sie es gar nicht oder zumindest nicht schnell genug erreichen können, wenn es wegläuft. In dem Alter, in dem der Drang nach Autonomie der Kinder groß ist, sie aber gleichzeitig Erklärungen und Warnungen noch nicht verstehen bzw. Gefahren nicht selbst einschätzen können, müssen die Eltern Möglichkeiten finden, die ein hohes Maß an Sicherheit gewährleisten, das Kind aber gleichzeitig nicht zu stark in seiner Bewegungsfreiheit einschränken. Einige Mütter verwenden lange Laufleinen. Hermes berichtet aber, dass manche Betroffene einen starken Widerwillen dagegen haben, dieses Hilfsmittel in der Öffentlichkeit zu verwenden. Sie befürchten bzw. haben erlebt, dass dies mit der Handhabung eines Hundes verglichen wird und sie von Passanten und Passantinnen beschimpft werden. Andere Mütter disziplinieren ihre Kinder auf der Straße mit Worten, sodass sie z.B. auf einen bestimmten Zuruf verlässlich stehen bleiben. Es hängt insgesamt vom Temperament des Kindes ab, welche Methode angewandt werden kann. Blinde Frauen berichten häufig, dass sie einige Zeit nur in Begleitung Sehender mit ihren Kindern außer Haus gehen. Dies geschieht solange, bis die Kinder Argumenten ihrer Mütter zugänglich sind und die Mütter den Eindruck haben, dass sie sich auf ihre Kinder verlassen können (Vgl. Hermes 1998, S. 93 ff.). Als sehr schwierig wird auch das Einkaufen mit Kind empfunden. Hermes berichtet hier vor allem von den Problemen blinder Frauen, mit Langstock, Kindern und Einkäufen im Straßenverkehr zurechtzukommen bzw. von der Sorge, die Kinder in einem Kaufhaus nicht mehr wiederzufinden (Vgl. ebd., S. 97 f.). Ich gehe aber davon aus, dass das Handling von Kindern und Einkäufen in Verbindung mit der Benutzung eines Rollstuhles oder Krücken ebenso mühsam ist.

Für blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen ist es wichtig, mit ihren Kindern Bilderbücher ansehen zu können oder gängige Gesellschaftsspiele zu spielen. Hierfür gibt es zahlreiche adaptierte Produkte, die aber meist sehr teuer sind. Die Vermittlung von Kulturtechniken wie Malen und Schreiben wird in jedem Fall durch Sehende erfolgen müssen. Dies geschieht jedoch in Kindergarten und Schule ganz selbstverständlich, sodass lediglich für die Hilfe bei Hausaufgaben bzw. deren Kontrolle zusätzliche Unterstützung anderer Personen erforderlich ist (Vgl. ebd., S. 98).

Finding beschreibt, dass sich in Partnerschaften einer sehbehinderten Frau mit einem nicht behinderten Mann die Aufgabenverteilung zwischen den Eltern teilweise an den Möglichkeiten bzw. Grenzen der sehbehinderten Mutter orientiert. So ist die Mutter insbesondere in der Säuglings- und Kleinkindphase die primäre Bezugsperson für das Kind, der Vater übernimmt aber dort, wo die sehbehinderte Mutter überfordert ist, verstärkt die Beaufsichtigung. Auch die Unterstützung beim Zeichnen, Basteln oder den Hausaufgaben ist überwiegend Aufgabe der Väter (Vgl. Finding, 1999, S. 99).

Behinderte Mütter weisen immer wieder darauf hin, dass es seitens der Hersteller von Hilfsmitteln keinerlei Angebote für sie gibt, sodass sie Adaptierungen und Hilfsmittel selbst entwickeln müssen, die dann vom Partner oder anderen Personen umgesetzt werden. "Zum Glück habe ich einen technisch begabten Schwager, der bei einem sehr stabilen Kinderwagen, der mein Gewicht auch aushält, eine Handbremse (Fahrradbremse) anbrachte, die auch als Geschwindigkeitsdosierung bei Gefälle funktioniert." (Seipelt-Holtmann, 1993, S. 20) Der Informationsaustausch über Hilfsmittel ist daher ein zentrales Thema in Foren und Organisationen behinderter Eltern. Der Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern e.V. in Deutschland hat eine Tagung zu diesem Thema veranstaltet, einen Ratgeber herausgegeben und einen Ideenwettbewerb für barrierefreie Baby- und Kindermöbel ausgeschrieben (Vgl. Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern, 2001 B, 2002 u. 2004 A).

5.4.4. Erziehung

Die Behinderung einer Mutter spielt in der Kindererziehung insofern eine Rolle, als Forderungen an die Kinder bzw. Regeln und Grenzen teilweise in Zusammenhang mit den behinderungsbedingten Einschränkungen der Mutter stehen. Eine Mutter, die ihrem Kind behinderungsbedingt nicht überall hin folgen kann, muss zum Schutz des Kindes dessen Bewegungsradius durch bestimmte Regeln oder andere Maßnahmen anders begrenzen als eine nicht behinderte Mutter. Vor allem im Kleinkindalter, wo das Kind verbalen Argumenten noch nicht zugänglich ist, sowie in Konfliktsituationen, müssen behinderte Mütter häufig andere Möglichkeiten suchen, um das Kind dazu zu bringen zu kooperieren. Kleinkinder loten grundsätzlich die Möglichkeiten und Grenzen der Eltern aus, und da behinderte Mütter weniger Möglichkeiten haben, aktiv in eine Situation einzugreifen als nicht behinderte, müssen sie entweder durch Kreativität oder gezielte Disziplinierung verhindern, in eine Situation zu geraten, in der sie "ohnmächtig" sind. Hermes nennt als Beispiel das Weglaufen des Kindes und beschreibt unterschiedliche Möglichkeiten damit umzugehen: Da Kinder das Weglaufen eher als Spiel betrachten, ist es möglich sie zu animieren, die Mutter zu fangen. Manchmal kann sich die Mutter aus dem Sichtfeld des Kindes begeben und es so dazu bringen, zu ihr zu kommen. Manchmal kann sie die Aufmerksamkeit des Kindes auf etwas anderes lenken. Ab dem Alter von etwa drei Jahren kann vieles bereits ausgehandelt und verbal vermittelt werden. Einige Eltern berichten bei Hermes, dass sie den Entzug von Annehmlichkeiten gezielt als Druckmittel einsetzen. In jedem Fall setzt das verbale Aushandeln von Konfliktsituationen mit den Kindern bei bewegungsbehinderten und blinden bzw. sehbehinderten Eltern wahrscheinlich früher ein als bei nicht behinderten Eltern.

Außerhalb der Wohnung kann es für behinderte Mütter sehr schwierig werden, die Kontrolle über ihr Kleinkind zu behalten. Dabei bringt die gesteigerte Aufmerksamkeit der Umwelt manche Mütter noch zusätzlich unter Druck. Einige Mütter berichten bei Hermes, dass sie zur Vermeidung größerer Konflikte in der Öffentlichkeit manchmal schneller auf die Wünsche ihrer Kinder eingehen (Vgl. Hermes, 1998, S. 104 ff.).

Bei Behrendt berichten bewegungsbehinderte Mütter, dass ihr Erziehungsstil sehr verbal orientiert ist. So spricht eine Mutter von "Kasernenhofton", der in Konfliktsituationen meist zum Erfolg führe. Andere schildern, dass sie mit ihren Kindern sehr viel aushandeln bzw. sich um ein möglichst partnerschaftliches Verhältnis bemühen (Vgl. Behrendt, 1998, S. 219 ff.).

Die von Becker befragten körperbehinderten Mütter sind überwiegend der Ansicht, dass sie sich in ihrem Erziehungsstil nicht wesentlich von nicht behinderten Müttern unterscheiden. Sie führen aber an, dass sie aufgrund der Rahmenbedingungen möglicherweise mehr Wert auf Selbständigkeit und Toleranz gegenüber Minderheiten legen. Einige meinen, sie seien vergleichsweise überbehütend (Vgl. Becker, 1997, S. 100 ff.).

Die Mithilfe und Selbständigkeit der Kinder ist für viele behinderte Mütter ein Thema, das mit sehr ambivalenten Gefühlen verbunden ist. Auf der einen Seite entwickeln Kinder behinderter Mütter vor allem in den Bereichen, in denen die Mutter durch ihre Behinderung eingeschränkt ist, vergleichsweise früh große Selbständigkeit. In bestimmten Entwicklungsphasen sind Kinder auch sehr stolz darauf, ihrer Mutter zu helfen. Auf der anderen Seite befürchten viele der Mütter, dass ihre Kinder dadurch überfordert würden und haben die Sorge, die Kinder als Helfer zu "missbrauchen". Diese Befürchtung wird auch dadurch verstärkt, dass von Außenstehenden oft die Annahme geäußert wird, die Kinder würden den Müttern ständig helfen. Ich kenne diese Situationen aus vielfacher eigener Erfahrung. Auch bei Hermes berichten behinderte Frauen, dass ihren Kindern bereits im Kleinkindalter von anderen Personen durch Äußerungen wie "Pass gut auf deine Mama auf." oder "Da haben Sie ja eine Hilfe." quasi Verantwortung für die Mutter auferlegt wird. Eine blinde Mutter beschreibt ihre Gefühle in solchen Situationen: "Dann kam noch dazu, dass immer wieder Leute auf der Straße sagten: ´Warten Sie nur, sobald die Kinder ein bisschen größer sind, werden sie eine große Hilfe für Sie sein!´ Das hat mich jedes Mal bedrückt, denn ich habe meine Kinder sehr lieb, und möchte sie nie und nimmer durch meine Behinderung belasten." (Hafner, 2000)

Als Folge versuchen manche behinderte Mütter, ihre Kinder so wenig wie möglich in Alltagsarbeiten einzubeziehen. Dies kann dazu führen, dass die Kinder nicht lernen, dass in einer Familie jeder bestimmte Aufgaben übernehmen sollte und mit großem Widerwillen reagieren, wenn Hilfe von ihnen verlangt wird. Viele Kinder sind aber auch sehr stolz auf ihre Selbständigkeit und darauf, den Müttern in gewissen Situationen helfen zu können. So berichtet bei Hermes eine blinde Mutter, dass ihr Sohn bereits sehr früh Farben benennen konnte, weil seine Aufmerksamkeit durch die Fragen der Mutter immer wieder darauf gelenkt wurde. Weiters lernte er mit Hilfe seines Adventkalenders, schon im vierten Lebensjahr die Zahlen zu erkennen, und las seiner Mutter dann mit großem Eifer Hausnummern vor (Vgl. Hermes, 1998, S. 107 ff.). Dieser Bericht deckt sich mit Erfahrungen, die ich selbst gemacht habe.

Auch bei der Befragung von Becker wird bei der Frage, inwieweit die Kinder den Müttern Hilfestellungen im Alltag geben, bei einigen Antworten die Sorge der behinderten Mütter deutlich, dass die Kinder aufgrund der Behinderung überfordert würden. Sie betonen deshalb, dass sie ihre Kinder so wenig wie möglich um Hilfeleistungen bitten. Andere berichten von Hilfestellungen im Haushalt, merken dazu aber an, dass sie dies als für Kinder des entsprechenden Alters normale Mithilfe in der Familie ansehen (Vgl. Becker, 1997, S. 109 f.).

Bei Finding fällt auf, dass die von ihr befragten Frauen von zahlreichen Hilfestellungen ihrer Kinder berichten, dabei aber stets betonen, dass diese ausschließlich freiwillig erfolgen (Vgl. Finding, 1999, S. 100 f.). Dies muss insofern bezweifelt werden, da - auch wenn die Mutter Hilfestellungen ihres Kindes nicht direkt einfordert - in manchen Situationen einfach keine Wahlmöglichkeit für das Kind besteht. Ich sehe diese Betonung der Freiwilligkeit auch als Ausdruck der Sorge, die Kinder zu überfordern und gleichzeitig als Versuch, den weit überzogenen Erwartungen der Umwelt im Hinblick auf das Ausmaß der Hilfeleistungen durch die Kinder zu widersprechen.

Hermes plädiert dafür, die Vorteile zu sehen, die Kinder behinderter Eltern aus ihrer etwas anderen Lebenssituation haben können: "Kinder behinderter Eltern können viele Dinge lernen, die sie in der nichtbehinderten Umwelt nur schwer erfahren. Sie können lernen, wie wir mit Schwierigkeiten umgehen, Lösungen finden und wie wir kommunizieren. Sie haben die Möglichkeit, sich Fähigkeiten anzueignen, die die Eltern aufgrund ihrer Behinderung entwickelt haben." (Hermes, 1998, S. 109)

5.4.5. Hilfeleistungen aus der Familie oder persönliche Assistenz?

Wenn eine Mutter aufgrund ihrer Behinderung Hilfeleistungen bei der Familienarbeit oder für sich selbst benötigt, hat dies - abhängig vom Umfang der benötigten Hilfeleistungen - Auswirkungen auf den Alltag und die Rollenverteilung der gesamten Familie.

In den meisten Familien mit behinderten Elternteilen wird der Großteil der Hilfeleistungen von den nicht behinderten Partnern oder anderen Angehörigen erbracht. Hilfeleistungen von Personen außerhalb der Familie und echte persönliche Assistenz werden selten in Anspruch genommen.

Wenn Hilfeleistungen innerhalb der Familie, z. B. vom nicht behinderten Partner, von älteren Kindern oder von Verwandten kommen, hat dies für die behinderte Mutter wie für die gesamte Familie Vor- und Nachteile: Von vielen wird als positiv empfunden, dass keine fremde Person in die Familie kommt und dass Hilfeleistungen kurzfristig nach Bedarf erfolgen können und nicht lange vorgeplant werden müssen. Je nach Familienstruktur kann es aber auch dazu kommen, dass der gesamte Tagesablauf nach der helfenden Person ausgerichtet werden muss. Ist die helfende Person vor allem der nicht behinderte Partner oder die eigene Mutter bzw. Schwiegermutter, kann dies dazu führen, dass eine behinderte Mutter ihren eigenen Erziehungsstil nicht durchsetzen kann. Wenn die behinderte Mutter körperlich sehr stark auf Hilfe angewiesen ist, werden Aufgaben im Haushalt oft ganz nach dem Ermessen des oder der haushaltsführenden Verwandten, nicht aber nach den Bedürfnissen der behinderten Frau durchgeführt. Hinzu kommt die Doppelbelastung der helfenden Person.

Erfolgen Hilfeleistungen im Haushalt und/oder bei der Kinderbetreuung teilweise oder überwiegend durch bezahlte Hilfskräfte, ist dies für die gesamte Familie eine große Herausforderung, denn jede Person, die regelmäßig von außen in die Familie kommt, verändert auch die Familienstruktur. Es ist wichtig, dass die Rollen zwischen behinderter Mutter und Assistenzperson genau getrennt sind. Die Mutter soll Hauptbezugsperson für die Kinder sein, die Assistenzperson ist quasi verlängerter Arm der behinderten Mutter für Tätigkeiten, die sie selbst nicht durchführen kann. Dies erfordert hohe Anleitungskompetenz der behinderten Mutter (Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2000, S. 20 f.).

Auch wenn die Hilfeleistungen bezahlt werden, ist noch nicht gewährleistet, dass die Erziehungskompetenz der behinderten Mutter respektiert wird. Die allgemeine Vorstellung von behinderten Menschen als "Betreuungsfälle" führt leicht zu einem entmündigenden Umgang. Dies passiert oft durch die Annahme, dass die behinderte Mutter die Bedürfnisse des Kindes oder die Notwendigkeiten der aktuellen Situation nicht selbst einschätzen könnte. Diese Haltung, die in traditionellen Hilfs- und Pflegediensten noch weit verbreitet ist, kann zu einer großen Belastung für die Beziehung zwischen Mutter und Kind und die gesamte Familiensituation werden.

Gerade am Beispiel von Müttern bzw. Eltern mit Behinderungen wird daher besonders deutlich, wie sehr persönliche Assistenz dazu beiträgt, eine gesellschaftliche Rolle auch bei großem Hilfebedarf voll kompetent ausfüllen zu können. Persönliche Assistenz in ihrem eigentlichen Sinn ist dann gegeben, wenn die behinderte Person bestimmt, welche Hilfe, wann, wie, wo und durch wen geleistet wird. Im Falle von Müttern mit Behinderungen heißt das:

  • Organisationskompetenz: Die Assistenz erfolgt entsprechend den Bedürfnissen und Gestaltungswünschen der behinderten Mutter.

  • Personalkompetenz: Die behinderte Mutter wählt die Assistenzpersonen selbst aus.

  • Anleitungskompetenz - Erziehungskompetenz: Die Assistenzkraft übernimmt nicht die Betreuung des Kindes, sondern die behinderte Mutter leitet die Assistenzkraft an und bleibt so die Betreuerin.

  • Finanzkompetenz: Die behinderte Mutter ist die Arbeitgeberin ihrer Assistenzpersonen (Vgl. Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern, 2001 A, S. 12 f.).

In der Praxis hängt die Umsetzung dieses Modells vor allem davon ab, ob der behinderten Mutter die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen müssen behinderte Frauen, die Hilfe bei der Familienarbeit benötigen, hier zahlreiche Abstriche machen.

In der Arbeit von Unterlercher, die unter ihren Interviewpartnerinnen mehrere Frauen mit relativ hohem Hilfebedarf hatte, wird deutlich, dass in Österreich kein Modell für die Unterstützung von Müttern mit Behinderungen besteht. Die in ihrer Arbeit beschriebenen Formen der Fremdunterstützung sind Einzelfalllösungen und die betroffenen Frauen mussten teilweise darum kämpfen, Unterstützung zu erhalten. Weiters mangelte es ihnen vielfach an Informationen, welche Unterstützungsmöglichkeiten für Familien grundsätzlich zur Verfügung stehen (Vgl. Unterlercher, 2002, S. 108).

Zwei Frauen berichten, dass ihre Kinder aus Kostengründen eine Krabbelstube besuchen mussten, obwohl die Mütter sie zu Hause betreuen wollten. Beide Frauen benötigten aufgrund ihrer Behinderung für die Versorgung ihrer Kleinkinder Assistenz. Die Finanzierung z. B. von Familienhelferinnen durch öffentliche Stellen wurde jedoch abgelehnt (Vgl. ebd., S. 53 ff. u. S. 77 ff.).

Eine behinderte Mutter, die sich Assistenz aus unterschiedlichen Bereichen organisierte (Studenten, Praktikantinnen einer Schule für Familienhilfe, Sozialhelferin), ist der Meinung, dass solche Assistenzleistungen für Mütter mit Behinderungen nicht von den etablierten Hilfsdiensten für behinderte Menschen (z. B. Mobiler Hilfsdienst) erbracht werden sollten. Sie befürchtet, dass aufgrund der unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser Dienste teilweise noch stark verbreiteten Defizitorientierung die Gefahr besteht, dass zu sehr in die Mutter-Kind-Beziehung eingegriffen würde, und bevorzugt daher Assistenz aus dem Bereich der Familienhilfe (Vgl. ebd., S. 87).

Andere behinderte Mütter berichten allerdings, dass ihnen bei Anträgen auf Hilfeleistungen an Jugendämter rasch die Erziehungskompetenz abgesprochen und mit der Unterbringung der Kinder in einer Pflegefamilie gedroht wurde. Die Angst vor derartigen Eingriffen und die fehlenden Geldmittel, um sich Assistenz selbst zu finanzieren, führen häufig dazu, dass behinderte Mütter versuchen, weitgehend ohne fremde Hilfe auszukommen. Dies kann zu einer dauerhaften Überforderung und daraus folgend zu gesundheitlichen Problemen führen (Vgl. Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern, 2001b).

Generell ist zu beobachten, dass blinde Menschen nur sehr selten Assistenz in Anspruch nehmen. Dies sehe ich einerseits darin begründet, dass bei guter Ausstattung mit Hilfsmitteln und entsprechenden Arbeitstechniken die Behinderung im Alltag in vielen Bereichen relativ gut kompensiert werden kann. Gleichzeitig besteht aber vor allem bei blinden und stark sehbehinderten Menschen, die ihre Schul- und Ausbildungszeit überwiegend in Sondereinrichtungen verbracht haben, aufgrund der dort in der Erziehung vermittelten Werte die starke Tendenz, ihren Selbstwert sehr über die Unabhängigkeit von Hilfe zu definieren und sich dadurch teilweise auch zu überfordern.

Wenn eine behinderte Mutter ihren Alltag mit persönlicher Assistenz bestreitet, ist sie in ihrer Mutterrolle ebenso intensiv gefordert, wie eine nicht behinderte Mutter, wie die Erfahrungen einer Frau mit hohem Hilfebedarf deutlich machen: "Die schwierigsten Momente für mich waren, wenn Jonas weinte und ein Helfer nahm ihn erst umständlich aus der Wiege, passte beim Heben in meinen Mutter-Adleraugen nicht genug aufs Köpfchen auf, bis er ihn mir endlich auf den mit Kissen ausgepolsterten Schoß legte. ... Die anstrengendste Zeit meines Lebens bestand aus Stillen, Helfer beim Wickeln genau beobachten, stundenlang spazieren gehen und nachts dreimal im Bett aufsetzen lassen zum Stillen. ... musste ich zusammen mit dem Helfer, der ja auch immer auf die Order von mir wartete, den Tag minutiös planen, damit wir alles erledigen konnten. Meine Grundpflege, Jonas versorgen, kochen, Wäsche waschen und bügeln, Vier-Zimmer-Wohnung reinigen, Betten beziehen und alles was dazu gehört. ... Und jedes Jahr müssen wieder vier Helfer eingearbeitet werden, die meistens gerade von der Schule kommen, nicht allzu viel Erfahrung mit Hausarbeit haben, pflegetechnisch Neuland betreten und dann mit einer arbeitenden Mutter im Rollstuhl konfrontiert werden. Es steckt viel Organisationsarbeit dahinter, damit unser Familienleben reibungslos funktioniert. Dabei bleibt uns fast keine freie Minute für unsere Partnerschaft, was uns aber schon klar war, als wir uns dazu entschlossen haben, diesen Weg zu gehen." (Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern, 2001a, S. 34-36)

Der hier erwähnte Verlust an Privatsphäre wird von vielen Betroffenen und ihren Partnern als Nachteil persönlicher Assistenz gesehen. Weiters sind spontane Aktivitäten nicht möglich, wenn dazu Assistenz benötigt wird. Aus diesen Gründen und weil eine vollständige Abdeckung des Hilfebedarfs durch persönliche Assistenz nicht finanzierbar ist, besteht bei Müttern mit höherem Assistenzbedarf häufig ein Mischsystem zwischen bezahlter und informeller Hilfe. Behinderte Frauen, die Erfahrungen mit persönlicher Assistenz bei der Familienarbeit gemacht haben, berichten, dass sie diese Form der Hilfeleistung - auch angesichts ihrer Nachteile und des großen finanziellen und organisatorischen Aufwandes - den Hilfeleistungen von Eltern oder Schwiegereltern vorziehen, weil sie so ihre Mutterrolle entsprechend ihren eigenen Vorstellungen gestalten können (Vgl. Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern, 2001b).

Der Einsatz von persönlicher Assistenz bedeutet für viele behinderte Menschen in der Anfangsphase eine große Umstellung. Die genaue Planung und Organisation von Hilfeleistungen und die Rolle als Arbeitgeberin ist für Personen, die Hilfen bisher vor allem aus dem Familienumfeld oder von traditionellen Pflegediensten erhielten, Neuland. Deshalb bieten Selbstbestimmt-Leben-Initiativen hier Unterstützung im Rahmen von Kursen oder durch Peer Counselling (Vgl. Kap. 2.6.) an. Der Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern e.V. in Deutschland hat eine umfassende Informationsbroschüre speziell zur persönlichen Assistenz bei der Familienarbeit zusammengestellt (Vgl. Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern, 2001a).

5.5. Die Situation der Kinder

Von vielen nicht behinderten Menschen wird vorausgesetzt, dass ein Kind unter der Behinderung seiner Mutter leidet. "Ein behindertes Familienmitglied zu haben impliziert die Vorstellung, dass nicht nur die behinderte Person unglücklich sein muss, sondern daß auch alle anderen Familienmitglieder von der Behinderung insofern betroffen sind, als daß sie Entbehrungen auf sich nehmen müssen und unter der Situation leiden. Besonders gravierend muß es wohl sein, wenn ein abhängiges Kind von einer Frau/Mutter aufgezogen wird, die eine Behinderung hat." (Becker, 1997, S. 70)

Für die Kinder behinderter Eltern ist die Behinderung zunächst einmal selbstverständlicher Teil ihres Aufwachsens. Bereits Säuglinge passen sich an die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Eltern an und "helfen" in bestimmten Situationen mit. So berichtet eine spastisch gelähmte Mutter bei Hermes: "Die Kinder haben sich auf meinen Körper eingelassen: Ich habe sie mit rechts hochgenommen und mit links nur ein wenig unterstützt. Von Anfang an haben die Babys gespürt, daß sie mithelfen müssen, und haben sich festgeklammert. In ihren motorischen Fähigkeiten waren meine Kinder weiter entwickelt als Gleichaltrige." (Hermes, 1998, S. 101)

Bei Behrendt berichten behinderte Mütter, dass bereits Säuglinge unterschiedliches Verhalten bei der behinderten Mutter und bei nicht behinderten Personen zeigen. So hielten sich die Säuglinge bei Contergan-geschädigten Frauen mit stark verkürzten Armen beim Tragen selbst fest, was sie bei nicht behinderten Personen nicht taten. Einige Säuglinge verhielten sich auch beim Wickeln und Anziehen durch die behinderte Mutter wesentlich ruhiger als beim nicht behinderten Vater (Vgl. Behrendt, 1998, S. 183 ff.).

"Marius ist insgesamt ruhiger auf meinem Arm, als bei anderen (seine Gleichgewichtsreaktionen sind dabei phantastisch), ... Er weiß, daß er von mir nicht auf dem Arm herumgetragen werden kann und verlangt dieses auch nicht von mir, aber er weiß auch, von wem er getragen werden kann und genießt es dann auch. Manchmal war ich deshalb auf die andere Person eifersüchtig und dachte, daß er sich bei anderen vielleicht wohler fühlt als bei mir - was natürlich völliger Quatsch ist, denn er zeigt mir des öfteren, daß ich seine Mutter bin und er mich braucht." (Seipelt-Holtmann, 1993, S. 21)

Diese Selbstverständlichkeit zeigt sich auch im Nachahmungsverhalten von Kleinkindern. So berichtet eine blinde Mutter bei Hermes, dass ihr dreijähriger Sohn beim Ansehen von Bilderbüchern manchmal mit dem Finger über die Seiten streicht, wie er es von seiner Mutter beim Lesen von Brailleschriftbüchern kennt (Vgl. Hermes, 1998, S. 165). Eine ähnliche Beobachtung habe ich bei meinem Sohn gemacht: Er hatte im zweiten Lebensjahr einige Zeit die Angewohnheit, bevor er heruntergefallene Gegenstände vom Boden aufhob, einige Male mit der Hand über den Boden zu wischen. Damit imitierte er meine Art, heruntergefallene Gegenstände tastend zu suchen.

Auch die Hilfsmittel, die behinderte Menschen im Alltag verwenden, sind für deren Kinder selbstverständlich. Hermes berichtet, dass viele Kinder mit großer Begeisterung mit den Hilfsmitteln der Eltern umgehen, z. B. stolz darauf sind im Rollstuhl mitfahren zu können (Vgl. Hermes, 1998, S. 100 f.). "Außenstehenden erscheinen manche Dinge wie z.B. ein Elektrorollstuhl oder ein Bett-Hebelifter wahrscheinlich sehr fremd - in der Familie, in der das Hilfsmittel benutzt wird, ist es ein vertrautes Teil der Alltagsausstattung. Bei den Kindern ist es meistens ein beliebtes Spielzeug und wird als gewöhnlicher Gegenstand wahrgenommen." (Ebd., S. 67)

Sehr häufig mit dem Eintritt in den Kindergarten, in jedem Fall bei Schuleintritt, realisieren die Kinder behinderter Eltern, dass ihre Eltern anders sind bzw. von anderen anders wahrgenommen werden. Andere Kinder stellen viele Fragen. Dabei gehen Kinder grundsätzlich wertfrei mit einer Behinderung um, manchmal übernehmen sie aber auch bereits Einstellungen ihrer Eltern oder geben deren Meinung zu einer Behinderung wieder. Somit werden die Kinder behinderter Eltern auch mit den Vorurteilen der nicht behinderten Umwelt konfrontiert. Dies belastet sie ebenso wie immer wiederkehrende Fragen zur Behinderung der Eltern (Vgl. ebd., S. 166 f.).

Bei Behrend berichten einige behinderte Mütter, dass ihre Kinder insbesondere in der Schule sehr aggressiv auf Fragen nach der Behinderung der Mutter reagierten. Einige Eltern, deren Kinder in integrative Kindergärten bzw. Schulen gingen, berichten, dass dies für die Kinder sehr entlastend war. Behinderung gehört dort zum Alltag und die behinderten Eltern erregen keine so große Aufmerksamkeit. Eine weitere Strategie einiger Eltern ist es, im Kindergarten bzw. in der Schule gezielt über ihre Behinderung zu informieren und den Kindern dabei die Gelegenheit zu geben, Fragen zu stellen (Vgl. Behrendt, 1998, S. 215 f. u. S. 231 ff.).

Wenn den Kindern die Behinderung ihrer Eltern bewusst wird, beginnen sie auch vermehrt zu fragen. Hermes meint dazu, dass es wichtig sei, den Kindern alle Fragen in einer altersgemäßen Form zu beantworten. Einige der von ihr befragten Mütter, die an einer fortschreitenden Erkrankung leiden, berichten, dass es ihnen teilweise schwer fällt mit ihren Kindern über ihre Behinderung zu sprechen, weil dadurch eigene Ängste sehr stark berührt werden. Auch kann eine wahrheitsgemäße Antwort auf eine Frage im Widerspruch zu dem Wunsch der Mutter stehen, für ihre Kinder stark und unabhängig zu wirken. Grundsätzlich trägt nach Hermes die Akzeptanz der eigenen Situation durch die Mutter sehr dazu bei, dass auch die Kinder diese akzeptieren können (Vgl. Hermes, 1998, s. 168 ff.).

Becker kommt aufgrund ihrer Befragung körperbehinderter Mütter ebenfalls zu dem Schluss, dass die Behinderung der Mutter für die Kinder Normalität ist. Ein Drittel der Befragten gab an, dass ihre Kinder noch nie spezifische Fragen zur Behinderung gestellt hatten. Bei einem weiteren Drittel ergaben sich Fragen der Kinder erst infolge von Reaktionen anderer Personen, z. B. Fragen anderer Kinder auf dem Spielplatz. Bei einem Drittel schließlich stellten die Kinder von sich aus Fragen zur Behinderung der Mutter, vor allem nach der Ursache der Behinderung. Alle Frauen dieser Gruppe berichteten, dass die Kinder vor allem an den Fakten interessiert waren und keinerlei Bewertung stattfand. Weiters stellten die Frauen fest, dass ihre Kinder auch in der Begegnung mit Personen mit anderen Behinderungen wesentlich unbefangener reagierten als Kinder nicht behinderter Eltern. Sie zeigten großes Interesse an der Art und der Ursache der Behinderung und stellten ohne Scheu Fragen. Becker meint dazu, dass mit diesen Ergebnissen die Annahme, die Kinder würden unter der Behinderung der Mutter leiden, widerlegt sei (Vgl. Becker, 1997 S. 110 ff.).

Finding versucht eine Gegenüberstellung möglicher positiver und negativer Auswirkungen der Sehbehinderung von Müttern auf deren Kinder, schränkt aber ein, dass Aussagen zu dieser Frage in der Literatur überwiegend auf Einzelerfahrungsberichten beruhen. Zu den positiven Auswirkungen zählen danach eine frühe Selbständigkeit in einigen Bereichen (z. B. Hausaufgaben), eine hohe Hilfsbereitschaft nicht nur der Mutter gegenüber, wobei die von Finding befragten Mütter hier einschränken, dass dies auch vom Charakter der Kinder abhängig sei, sowie große Offenheit gegenüber Behinderung ganz allgemein. Weiters berichtet eine Mutter bei Finding, dass ihre vollsehenden Kinder Gehör und Tastsinn wesentlich bewusster einsetzen als andere sehende Personen. Zu negativen Auswirkungen zählen die von Finding befragten Mütter ein vorübergehendes Defizit der Kinder beim Benennen von Tieren und Pflanzen bzw. Gegenständen der Umgebung oder auf Bildern, weil die Mütter auf das Hinzeigen nicht mit der entsprechenden Erklärung reagieren konnten. Dies wird jedoch durch andere sehende Bezugspersonen, Kindergarten und Schule bald ausgeglichen. Weiters werden Einschränkungen in der Freizeitgestaltung bzw. bei Urlauben erwähnt. Außerdem äußern einige Mütter die Befürchtung, ihre Kinder könnten sich zu sehr für sie verantwortlich fühlen. Generell stellt Finding fest, dass es für Kinder in bestimmten Situationen und Entwicklungsphasen eine Belastung darstellt, aufgrund der Behinderung ihrer Eltern "aus der Norm zu fallen" (Vgl. Finding, 1999, S. 111 ff.).

Eine Tagung des deutschen Bundesverbandes behinderter und chronisch kranker Eltern widmete sich dem Thema der Auswirkungen der Behinderung von Eltern auf deren Kinder. Nach Einschätzung der Eltern gibt es für die Kinder je nach deren Alter und der Art der Behinderung der Eltern unterschiedliche Einschränkungen und Belastungen:

Für Kleinkinder gibt es möglicherweise Einschränkungen im Körperkontakt und den Verzicht, von der Mutter selbst gepflegt zu werden. Kinder lösen diese Probleme aber häufig selbst durch schnellere körperliche Entwicklung (Kopf halten, frühes Laufen lernen). Die Tatsache, dass die Mutter nicht immer eingreifen kann, ermöglicht manche Entwicklungsschritte des Kindes.

Im Kindergarten- und Vorschulalter sind Kinder möglicherweise traurig darüber, bestimmte Aktivitäten nicht mit der behinderten Mutter machen zu können. Das Bedürfnis nach gemeinsamen Erlebnissen ist in diesem Alter bei Eltern und Kindern groß und es ist wichtig, Bereiche und Aktivitäten zu finden, wo dies möglich ist.

Ab dem Schuleintritt werden Kinder verstärkt mit der Einstellung der Gesellschaft zu behinderten Menschen konfrontiert und nehmen mit zunehmendem Alter spezifische Reaktionen bewusst wahr. Diskriminierende Äußerungen im Hinblick auf Behinderung allgemein oder auf die behinderte Mutter speziell belasten Kinder und sie reagieren entsprechend ihrer Persönlichkeitsstruktur offensiv oder mit Rückzug. In Situationen, wo Kinder behinderter Mütter stellvertretend für die Mutter angesprochen werden, besteht die Gefahr, dass sie in einen Rollentausch verwickelt werden und Verantwortung übernehmen, die sie nicht tragen können. Die Reaktionen der Umwelt können Scham- und Peinlichkeitsgefühle - insbesondere bei Pubertierenden - auslösen. Es ist für die Kinder aber schwierig, dies mit der behinderten Mutter offen zu besprechen, weil sie in einen Loyalitätskonflikt geraten. Ganz allgemein besteht auch die Gefahr, dass der gesellschaftliche Druck zu beweisen, dass eine behinderte Mutter imstande ist ihre Rolle zu erfüllen, indirekt an die Kinder weitergegeben wird, indem sie sich besonders kooperativ und angepasst verhalten sollen (Vgl. Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern, 2003, S. 8 ff.).

Bei dieser Tagung fand ein eigener Workshop für Kinder behinderter Eltern statt, bei dem ihnen die Möglichkeit geboten wurde, sich in einer geschützten Atmosphäre über ihre Situation auszutauschen. Die Wünsche, die von den Kindern dabei formuliert wurden, bezogen sich zum Teil auf ihren persönlichen Alltag (mehr Zeit zum Lesen, draußen Spielen usw.) und zum anderen Teil auf die Rahmenbedingungen für behinderte Menschen (Rampen, breite Gehsteige, Beschriftungen in Brailleschrift, Gebärdensprache, mehr Umsicht der Mitmenschen): "Wenn das Leben für meine Mutter leichter wird, ist es auch für die ganze Familie leichter." (Ebd., S. 21)

Seitens der Eltern wurde diskutiert, wie die Kinder dabei unterstützt werden können, mit Reaktionen der Umwelt umzugehen. Wichtig sind ein offener Umgang mit den Auswirkungen der eigenen Behinderung, das Zulassen negativer Gefühle bei sich selbst und den Kindern und das Bewusstsein, dass viele Reaktionen der Umwelt vor allem auf Unwissenheit und nicht grundsätzlich auf böser Absicht beruhen. Außerdem wünschten sich sowohl Eltern als auch Kinder in Zukunft Angebote für Kinder behinderter Eltern, um sich in eigenen Gruppen zu treffen und auszutauschen (Vgl. ebd., S. 15 ff.).

Bei der Tagung zum Thema "Behinderung + Mutterschaft = Menschenrecht?" 1996 fand ebenfalls ein Workshop für die (teilweise bereits erwachsenen) Kinder der behinderten Teilnehmerinnen statt. Dabei wurde festgestellt, dass die Behinderung der Mutter von den Kindern nicht als solche empfunden wird. Die Tatsache, mit einer behinderten Mutter in gewisser Weise immer im Mittelpunkt zu stehen, und die Reaktionen der Umwelt werden unterschiedlich erlebt. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen dieser Gruppe berichten, dass ihnen Fragen überwiegend willkommen seien. Hilfeleistungen für die Mutter würden manchmal gern, manchmal weniger gern gemacht, aber nicht als Überbelastung empfunden. Wichtig sei es, auch negative Gefühle zeigen zu können. Einflussnahme von Assistenzpersonen auf die Erziehung wurde abgelehnt. Einschränkungen in der Freizeitgestaltung könnten durch andere gemeinsame Erlebnisse ausgeglichen werden. Auch in dieser Gruppe wurde der Wunsch geäußert, in Zukunft Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch für Kinder behinderter Mütter zu schaffen (Vgl. FIMITIC, 1996, S. 45).

Aus den in diesem Abschnitt geschilderten Erfahrungen wird deutlich, dass die Behinderung als solche von den Kindern nur selten als Belastung erlebt wird. Hingegen können aber die Haltungen und die Reaktionen nicht behinderter Mitmenschen und die ungünstigen Rahmenbedingungen für behinderte Eltern zur Belastung für deren Kinder werden. Gleichzeitig können die Kinder behinderter Frauen von ihrer Lebenssituation profitieren. Sie erlangen früh ein hohes Maß an Selbständigkeit. Darüber hinaus stärkt dies ihr Selbstbewusstsein, sie bekommen den individuellen Einsatz von Fähigkeiten und kreative Problemlösungskompetenz vorgelebt und erleben ein breiteres Spektrum von Lebensrealitäten. Dadurch erweitern sie ihren Begriff. von Normalität.

5.6. Resümee: Behindertenrolle versus Mutterrolle

Hermes beschreibt eine häufige Verwechslung: Wenn von behinderten Eltern die Rede ist, wird dies oft so verstanden, als ginge es um nicht behinderte Eltern mit behinderten Kindern. Sie sieht die Ursache dafür unter anderem darin, dass es für die meisten nicht behinderten Menschen unvorstellbar ist, dass behinderte Menschen selbst Eltern sein können.

Das in der Gesellschaft immer noch tief verwurzelte Bild von behinderten Menschen und die Erwartungen an Eltern, vor allem an Mütter, sind so gegensätzlich, dass sie einander ausschließen.

Behinderte Menschen gelten allgemein als abhängig, unselbständig und nicht entscheidungsfähig. Dies resultiert aus der medizinischen Sichtweise von Behinderung, die Behinderung mit Krankheit gleichsetzt. Behinderte Menschen werden damit lebenslang in die passive Patienten- und Patientinnenrolle gedrängt. Sie bedürfen dadurch der Fürsorge anderer und Entscheidungen werden von anderen - möglichst Professionistinnen und Professionisten - für sie getroffen. Weiters besteht die Erwartung, dass behinderte Menschen weniger leistungsfähig seien als nicht behinderte. Die Vorstellung, dass behinderte Menschen Sexualität leben und attraktive Partner und Partnerinnen sein können, gilt als absurd.

Diesem Behindertenbild stehen die Erwartungen an heutige Eltern konträr gegenüber. Vor allem von Müttern wird erwartet, dass sie die gesamte Versorgung der Kinder, die Verantwortung für deren Erziehung und ihre Aufgaben in Haushalt und Beruf allein übernehmen können.

Diese Bilder machen es für nicht behinderte Menschen unvorstellbar, dass behinderte Menschen die Verantwortung für Kinder übernehmen können. Entsprechend dem gängigen Rollenbild betrifft dies vor allem behinderte Frauen. Während nicht behinderte Frauen sich dafür rechtfertigen müssen, wenn sie bewusst ohne Kinder leben wollen, machen behinderte Frauen vielfach die Erfahrung, dass von ihnen erwartet wird, dass sie kinderlos bleiben. Entscheiden sie sich für eigene Kinder, entsteht für sie hoher Rechtfertigungs- und Leistungsdruck. Bei behinderten Frauen wird befürchtet, sie könnten ihre Behinderung an ihre Kinder vererben. Außerdem herrscht die Erwartung, behinderte Frauen könnten ihre Aufgaben als Mutter nur mit Hilfe anderer bewältigen, die von der Öffentlichkeit finanziert werden muss. Hermes stellt fest, dass die Anzahl behinderter Eltern in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Sie werden auch von ihrer Umwelt stärker wahrgenommen, was sich in einem verstärkten Interesse der Medien vor allem an behinderten Müttern zeigt. Dabei folgt die Darstellung dem gängigen Schema: entweder heldenhafte Einzelkämpferin, für die es keine Probleme gibt, oder vom Schicksal geprüfte Leidende.

Behinderte Mütter stehen unter extremem Druck zu beweisen, dass die gängigen Vorurteile gegenüber behinderten Menschen auf sie persönlich nicht zutreffen. Sie versuchen so wenig wie möglich aufzufallen und verzichten oft auf Hilfestellungen, damit niemand ungebeten in ihre Erziehung eingreift. Sie versuchen, dem Elternideal, das schon für nicht behinderte Mütter eine Überforderung darstellt, möglichst nahe zu kommen und fordern, um nicht negativ aufzufallen, kaum offensiv die Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse ein (Vgl. Hermes, 1998, S. 9 ff.).

Die Zweifel der Umwelt an ihren Fähigkeiten als Hausfrau und Mutter und das Gefühl, diese Fähigkeiten beweisen zu müssen, belasten behinderte Mütter teilweise stärker als die Behinderung selbst. Sie erleben, dass sie und ihr Umgang mit ihren Kindern von ihrer Umwelt stark beobachtet werden. Wenn die behinderten Frauen schon von Kindheit an erfahren haben, dass sie an den Maßstäben nicht behinderter Menschen gemessen werden, übernehmen sie diese Haltung möglicherweise selbst. Sie betonen ihre Kompetenzen im Haushalt und der Kindererziehung und nehmen nur dort Hilfe an, wo sie aufgrund der Behinderung unausweichlich ist (Vgl. Becker, 1997, S. 50 f.).

Eine bewegungsbehinderte Frau mit hohem Hilfebedarf berichtet, dass sie sich im Zusammenspiel von eigenen Möglichkeiten und Assistenz sowie teilweise auch Hilfeleistungen durch ihre jugendliche Tochter grundsätzlich als vollwertige Mutter fühlt, sich in Gegenwart von Außenstehenden aber selbst unter Druck setzt. So versucht sie Auswirkungen ihrer Behinderung möglichst zu verbergen, wenn Freundinnen und Freunde ihrer Tochter anwesend sind, und vermeidet es dann auch, ihre Tochter um Hilfe zu bitten. "Dies geschieht immer dann, wenn ich die Normen meiner Umgebung zu meinen eigenen mache und meinen Glauben daran verliere, dass das was ich als Mutter geben kann immer anders sein wird, aber mindestens genauso wertvoll wie andere Mütter und wenn ich vergesse, dass der Begriff von Normalität für meine Kinder immer relativ sein wird." (FIMITIC, 1996, S. 27; aus dem Englischen übersetzt von der Verfasserin)

In Partnerschaften einer behinderten Frau mit einem nicht behinderten Mann kann es bei der Versorgung des Kindes zu Konkurrenzsituationen kommen. Wenn die behinderte Mutter merkt, dass sie schneller an ihre Grenzen stößt als nicht behinderte Frauen, z. B. bestimmte Dinge mit ihrem Kind nicht machen kann, ist das eine schmerzliche Erfahrung. Wenn diese Bereiche dann vom nicht behinderten Partner abgedeckt werden, kann ein Gefühl der Minderwertigkeit und die Angst entstehen, das Kind könnte sich dem nicht behinderten Partner stärker zuwenden (Vgl. Hermes, 1998, S. 114 f.).

In der Rolle der Mutter müssen sich behinderte Frauen oft neu mit ihren Möglichkeiten und Grenzen auseinandersetzen. Dies kann schmerzlich sein, besonders dann, wenn man dem Kind etwas versagen muss. Insgesamt sehen behinderte Eltern ihre Behinderung jedoch selten als echtes Defizit. Sie konzentrieren sich im Umgang mit ihren Kindern auf ihre Stärken und erleben, dass sich viele Schwierigkeiten, die sie während der Schwangerschaft erwartet haben, nicht oder in wesentlich geringerer Form einstellen (Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2000, S. 11).

Wird eine behinderte Frau Mutter, so ist dies ein Bruch mit dem gängigen Behindertenstereotyp. Hermes stellt fest, dass alle ihr bekannten Befragungen behinderter Mütter eine positive Veränderung des Selbstbildes der Frauen durch die Mutterschaft zeigen. Die Frauen erfahren nach der Geburt ihres Kindes viel Anerkennung durch ihre Umwelt. Die Tatsache, ein Kind zur Welt gebracht zu haben und zu versorgen, bedeutet für die Frauen die Bestätigung ihres Frauseins und erfüllt sie vielfach mit großem Stolz. Zusätzlich erleben sie, dass sie von ihrer Umwelt erstmals als Frau und nicht als asexuelle Behinderte wahrgenommen werden. Sie fühlen sich dadurch aufgewertet und der Normalität ein großes Stück näher. Auch der "Beweis", dass man die so häufig angezweifelte Fähigkeit, ein Kind zur Welt zu bringen und voll verantwortlich zu versorgen, doch besitzt, spielt dabei eine große Rolle. Schließlich wird die persönliche Reifung, die Frauen durch die Mutterschaft meist generell erleben, von behinderten Frauen, die bis zu diesem Zeitpunkt oft erlebt haben, von ihrer Umwelt verkindlicht zu werden, als besonders positiv empfunden (Vgl. Hermes, 1998, S. 65 ff.).

6. Rahmenbedingungen für Mütter mit Behinderungen im Vergleich

In den folgenden Kapiteln stelle ich die Rahmenbedingungen für Mütter mit Behinderungen in der Steiermark und beispielhaft aus zwei EU-Staaten - Deutschland und Großbritannien - dar. Dabei geht es mir wiederum vor allem um die Frage, inwieweit die gegebenen Rahmenbedingungen dem Selbstbestimmt-Leben-Konzept und hier vor allem einem möglichen Bedarf an persönlicher Assistenz entsprechen. Ein weiterer Schwerpunkt ist das Beratungsangebot für Mütter bzw. Eltern mit Behinderungen.

6.1. Die aktuelle Situation in der Steiermark

6.1.1. Gesetzliche Rahmenbedingungen

Im Folgenden möchte ich die aus meiner Sicht in Frage kommenden Landesgesetze darauf untersuchen, ob sie Bestimmungen enthalten, die für Frauen mit Behinderungen bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und Mutterschaft relevant werden könnten.

6.1.1.1. Steiermärkisches Pflegegeldgesetz

Das Pflegegeld hat den Zweck, finanzielle Mehraufwendungen für den individuellen Pflegebedarf einer Person teilweise zu finanzieren. Die Einstufung und damit die Höhe des Pflegegeldes wird anhand des monatlichen Stundenausmaßes von Pflegeleistungen über einen Katalog von Maßnahmen bzw. Einschränkungen berechnet. Für einige Personengruppen, z. B. hochgradig sehbehinderte und blinde Menschen oder Personen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, gelten festgesetzte Mindesteinstufungen (Vgl. Gesetz vom 15. Juni 1993, mit dem in der Steiermark ein Pflegegeld eingeführt wird, § 1., § 4. Abs. 2 u. 5. u. § 4 a).

Die Einstufung bezieht sich ausschließlich auf den Pflegebedarf der behinderten Person. Ein Assistenzbedarf z. B. für die Pflege eines Kleinkindes kann daher nicht in die Einstufung einer behinderten Mutter einbezogen werden. Der Stundensatz für eine Pflegestunde nach dem Pflegegeldgesetz entspricht nicht annähernd den tatsächlichen Kosten, sodass von Betroffenen ein erheblicher Eigenanteil getragen wird bzw. notwendige Pflegeleistungen zum Teil unentgeltlich durch Angehörige erfolgen müssen.

6.1.1.2. Steiermärkisches Behindertengesetz

Das im Juni 2004 in Kraft getretene neue Steiermärkische Behindertengesetz hat in seinen Zielsetzungen die Gleichstellung und das selbstbestimmte Leben von Menschen mit Behinderungen verankert: "Ziel dieses Gesetzes ist es, Menschen mit Behinderung zu unterstützen, damit sie an der Gesellschaft in gleicher Weise wie nicht behinderte Menschen teilhaben und ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können. Durch Gesetzesmaßnahmen, Leistungen und Beratung sollen Menschen mit Behinderung altersentsprechend Zugang zu den verschiedenen Lebensbereichen wie Familie, Erziehungs- und Bildungswesen, Arbeit und Beschäftigung, Gesundheitsversorgung sowie Kultur und Freizeit haben, um ihnen - wie nicht behinderten Menschen auch - die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen." (Gesetz vom 10. Februar 2004 über Hilfeleistungen für Menschen mit Behinderung, § 1.). Die Familie ist als Lebensbereich, zu dem Menschen mit Behinderungen durch Maßnahmen des Gesetzes gleichwertiger Zugang ermöglicht werden soll, aufgeführt.

Im Sinne eines selbstbestimmten Lebens mit persönlicher Assistenz für Mütter mit Behinderungen sind die in § 3. Abs. 1. lit. l und m aufgeführten Leistungen der "Hilfe zum Wohnen" und "Entlastung der Familie und Gestaltung der Freizeit" relevant, die nach § 4. Abs. 2. auch als Geldleistungen an Betroffene erfolgen können. In § 3. Abs. 2. wird jedoch festgehalten, dass behinderten Menschen der Rechtsanspruch auf eine konkrete aller aufgeführten möglichen Leistungen nicht zusteht (Vgl. ebd., § 3. u. § 4. Abs. 2.). Im Falle der "Hilfe zum Wohnen" ist für die Entscheidung über Anträge ein Sachverständigengutachten über den individuellen Hilfebedarf durch ein Sachverständigenteam vorgesehen (Vgl. ebd. § 42. Abs. 5.).

Für die Finanzierung von "Entlastung der Familie und Gestaltung der Freizeit" sowie Hilfsmitteln nach diesem Gesetz ist kein Sachverständigengutachten erforderlich (Vgl. ebd., § 3. Abs. 1. u. § 42. Abs. 5.).

Für Hilfsmittel ist ein Kostenzuschuss in maximaler Höhe des vierzigfachen Sozialhilferichtsatzes möglich, wobei in jedem Fall ein Selbstbehalt von 20 % gefordert wird (Vgl. ebd., § 25. Abs. 2. u. 3.).

Über das Steiermärkische Landesbehindertengesetz werden Hilfsmittel vor allem dann gefördert, wenn sie nicht in Zusammenhang mit einer Berufstätigkeit stehen. Die Kosten für Hilfsmittel im Rahmen der beruflichen Rehabilitation werden über das Behinderteneinstellungsgesetz zur Gänze aus den Mitteln des Ausgleichstaxfonds gefördert (Vgl. Behinderteneinstellungsgesetz 1969). Daraus ergibt sich eine Benachteiligung von Frauen mit Behinderungen bei der Familienarbeit. Angesichts der hohen Kosten für die meisten Hilfsmittel und Adaptierungen stellen 20 % Kostenbeteiligung für eine Familie in den meisten Fällen eine erhebliche finanzielle Belastung dar. Daher ist anzunehmen, dass manche Hilfsmittel oder Adaptierungen, die eine Entlastung in der Familienarbeit bringen würden, nicht finanziert werden können.

Inwieweit die Bestimmungen dem Bedarf von Müttern mit Behinderungen nach persönlicher Assistenz bei der Familienarbeit entgegenkommen, wird die Vollzugspraxis der kommenden Jahre zeigen. Es wäre in jedem Fall wünschenswert, bei einer zukünftigen Evaluierung auch diesen Bereich zu berücksichtigen.

Bei der Formulierung des Gesetzestextes wurde grundsätzlich auf nicht diskriminierende Wortwahl geachtet, allerdings fällt auf, dass es mit wenigen Ausnahmen keinerlei geschlechtsspezifische Formulierung gibt und auch nicht - wie in anderen jüngeren Gesetzestexten mittlerweile häufig - ein Paragraph die Geltung aller Formulierungen für jeweils beide Geschlechter festhält. Die durchgehende Verwendung des Begriffes "Menschen mit Behinderungen" impliziert in der Intention beide Geschlechter. Wie in Abschnitt 3 dieser Arbeit beschrieben, werden tatsächlich bei derartigen Formulierungen aber eher Männer assoziiert. Eine interessante Ausnahme sind die Formulierungen im Gesetz, die Ehepartner bzw. -partnerinnen behinderter Menschen betreffen. In § 29 Abs. 2., in dem der Selbstbehalt für die Finanzierung von persönlicher Assistenz geregelt wird, heißt es: "...haben der Mensch mit Behinderung, seine Ehegattin ... im Rahmen der zivilrechtlichen Unterhaltsverpflichtung einen Anteil von 10 % selbst zu tragen." (Ebd. § 29. Abs. 2.). In § 12. Abs. 2., in dem es um Unterhaltsleistungen für Angehörige von in stationären Einrichtungen lebenden behinderten Menschen geht, steht dagegen: "...ist nur der Ehegatte vorhanden, so gilt dieser als alleinstehend Unterstützter ..." (ebd. § 12. Abs. 2.).

Hier scheint sich das stereotype Bild vom behinderten Mann mit nicht behinderter Partnerin in eigener Wohnung und vom nicht behinderten Mann, dem es nicht zumutbar ist, mit einer behinderten bzw. pflegebedürftigen Partnerin zu leben, durchgesetzt zu haben.

6.1.1.3. Steiermärkisches Sozialhilfegesetz

Aus dem Bereich der Sozialhilfe wäre eine Unterstützung durch personelle Hilfen für einen bestimmten Zeitraum als "Hilfe in besonderen Lebenslagen" denkbar. Das Sozialhilfegesetz sieht die Möglichkeit von "wirtschaftlicher oder personeller Hilfe zur Überbrückung außergewöhnlicher Notstände" vor (Vgl. Steiermärkisches Sozialhilfegesetz, 1998, § 15. Abs. 2.). Diese Form der Hilfeleistung ist jedoch nur für einen begrenzten Zeitraum vorgesehen, also eher als Überbrückungsmaßnahme vorstellbar (Vgl. ebd., Abs. 4.). Weiters kann sie an Auflagen geknüpft werden (Vgl. ebd., Abs. 5.). In der Praxis kann dies bedeuten, dass eine behinderte Mutter nicht selbst entscheiden kann, welche Hilfeleistungen bzw. Personen über eine solche Unterstützung finanziert werden.

6.1.1.4. Steiermärkisches Jugendwohlfahrtsgesetz

Die Intention des Jugendwohlfahrtsgesetzes ist es, dort einzusetzen wo seitens von Eltern oder Erziehungsberechtigten Defizite in der Erziehungskompetenz bestehen: "Öffentliche Jugendwohlfahrt ist zu gewähren, wenn und insoweit die Erziehungsberechtigten das Wohl des Minderjährigen nicht gewährleisten." (Gesetz vom 16.Oktober 1990 über die Jugendwohlfahrtspflege in der Steiermark, § 2. Abs. 1.).

Aus dem Gesetzestext scheint eine Differenzierung zwischen der grundsätzlich gegebenen Erziehungs- und Betreuungskompetenz einer Mutter und der Notwendigkeit, aufgrund einer körperlichen oder Sinnesbehinderung für konkrete Alltagshandlungen Hilfe in Anspruch zu nehmen, nicht möglich. Dies wird beim Bereich "Unterstützung der Erziehung" deutlich, deren Zielsetzung es ist, die bestmöglichen Voraussetzungen für eine Erziehung eines Kindes in der eigenen Familie zu schaffen. Die dazu angeführten Maßnahmen orientieren sich an einer angenommenen mangelnden Kompetenz der erziehungsberechtigten Personen (Vgl. ebd., § 36. Abs. 1. u. 2.).

Eine Unterstützung von Müttern mit Behinderungen im Sinne selbstbestimmter persönlicher Assistenz ist daher auf Basis des Jugendwohlfahrtsgesetzes nicht denkbar.

Im Bereich der Pflegeelternschaft enthält das Jugendwohlfahrtsgesetz Bestimmungen, die Frauen und Männer mit Behinderung von einer Pflegebewilligung praktisch ausschließen: "Die Pflegebewilligung ist zu versagen, wenn bei den Bewilligungswerbern oder den mit ihnen im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen folgende Umstände vorliegen:

1. ansteckende, schwere chronische, körperliche, psychische und geistige Erkrankungen, ...

4. sonstige Gründe, die zu Zweifel an der Verlässlichkeit Anlass geben und das Wohl des Kindes gefährdet erscheinen lassen." (Ebd., § 32. Abs. 6.) Im Hinblick auf Menschen mit Behinderungen lässt dieser Text großen Spielraum für vorurteilsgeleitete Begründungen einer Ablehnung.

6.1.2. Zugang zu Angeboten für Schwangere, Gebärende und Mütter

Im Rahmen dieser Arbeit ist nur ein kleiner Einblick in das Gesamtangebot möglich. Ich habe die wichtigsten Anbieter von Beratung für Schwangere und Mütter und Mutter-Kind-Gruppen im Raum Graz sowie die Entbindungsstationen des Landeskrankenhauses und zweier Sanatorien in Graz auf ihre Nutzbarkeit für bewegungsbehinderte und blinde Frauen untersucht. Im Hinblick auf bewegungsbehinderte Frauen recherchierte ich, ob die Räumlichkeiten, in denen Beratung und Veranstaltungen angeboten werden, mit dem Rollstuhl zugänglich sind. Im Hinblick auf blinde Frauen ging es mir darum, ob gedrucktes Informationsmaterial auch in alternativer Form verfügbar ist, z. B. auf einer Internetseite, die für blinde Menschen barrierefrei nutzbar ist, oder ob es auf Anfrage digitalisiert bzw. auf Tonträger gelesen werden kann.

Das Frauengesundheitszentrum Graz ist nach einer Adaptierung für Rollstuhlbenutzerinnen zugänglich, wobei eine Voranmeldung insofern notwendig ist, da für die Benutzung des Rollstuhlliftes die Hilfe einer Mitarbeiterin erforderlich ist. Der gesamte Internetauftritt des Frauengesundheitszentrums ist barrierefrei gestaltet und enthält ein breites Informationsangebot. Seit dem Jahr 2003 hat sich das Frauengesundheitszentrum im Rahmen mehrerer Projekte und Veranstaltungen mit der Lebenssituation von Frauen mit Behinderungen beschäftigt.

Das Eltern-Kind-Zentrum Graz ist für Personen, die einen Rollstuhl benutzen, nicht zugänglich. Informationsmaterialien sind nur in gedruckter Form verfügbar. Wenn blinde Frauen Angebote des Eltern-Kind-Zentrums nutzen wollen, bemühen sich die Mitarbeiterinnen, individuell auf deren Bedürfnisse einzugehen.

Das Beratungszentrum für Schwangere der Caritas in Graz ist für Rollstuhlbenutzerinnen nicht zugänglich. Bei Bedarf besteht lediglich die Möglichkeit, Beratungen im stufenlos zugänglichen Foyer durchzuführen, wobei man sich aber praktisch im öffentlichen Raum befindet. Alle Informationsmaterialien sind auch im Internet verfügbar. Die Internetseite der Schwangerenberatung war allerdings zum Zeitpunkt dieser Untersuchung für sehbehinderte und blinde Menschen nicht barrierefrei.

Die Mitarbeiterinnen des Familienservice der Diözese Graz-Seckau haben konkrete Maßnahmen gesetzt, um das Angebot für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen. Das Büro ist barrierefrei zugänglich. Alle Veranstaltungen im Rahmen der Geburtsvorbereitung und Elternbildung für den Raum Graz finden im Bildungshaus Mariatrost statt, das barrierefrei zugänglich ist. Auf Anfrage werden alle Informationsmaterialien in digitaler Form zur Verfügung gestellt. Weiters vermittelt das Familienservice den Kontakt zu einer Gebärdendolmetscherin, die gehörlose Frauen in der Geburtsvorbereitung und auch während der Geburt begleitet. Im Gespräch erfuhr ich, dass es bislang schwierig ist, behinderte Menschen als Zielgruppe zu erreichen. In diesem Zusammenhang besteht auch der Wunsch, behinderte Frauen für die Geburtsvorbereitung und Elternbildung auszubilden.

Das Amt für Jugend und Familie der Stadt Graz befindet sich in einem größtenteils barrierefrei adaptierten Gebäude. Der Informationsbereich im Erdgeschoss ist allerdings nur über Stufen erreichbar. Mütterberatung wird an insgesamt 15 Stellen im Stadtgebiet - meist in den Bezirksämtern - regelmäßig angeboten. Im Amt für Jugend und Familie gibt es allerdings keine Informationen darüber, ob und welche dieser Mütterberatungsstellen barrierefrei zugänglich sind. Der gesamte Internetauftritt der Stadt Graz ist weitgehend barrierefrei gestaltet, und hier finden sich auch zahlreiche Informationen des Amtes für Jugend und Familie. Zum Zeitpunkt meiner Recherche, im Dezember 2004, wurde im Rahmen eines Projekts an einem barrierefreien Zugang zum E-Government, dem elektronischen Durchführen von Behördenwegen, für den Bereich der Stadt Graz gearbeitet.

Die Entbindungsstationen im Landeskrankenhaus Graz, in der Privatklinik Ragnitz und dem Sanatorium St. Leonhard sind barrierefrei erreichbar, haben aber keine rollstuhlgerechten Sanitärräume. Babymöbel, wie Wickeltische oder Bettchen, sind für Rollstuhlbenutzerinnen ebenfalls nicht geeignet.

Das Sanatorium St. Leonhard stellt seine Informationsbroschüre für Eltern eines Neugeborenen auf Anfrage auf Audiokassette gelesen zur Verfügung.

6.1.3. Spezielle Angebote für Menschen mit Behinderungen

In ganz Österreich gibt es derzeit weder Zusammenschlüsse noch Informationsplattformen von bzw. für Eltern mit Behinderungen. Ende der Neunzigerjahre versuchte eine behinderte Mutter mit Unterstützung des Vereins Integration:Österreich eine Müttergruppe aufzubauen. Die Idee stieß zwar auf große Zustimmung. Ein geplantes erstes Treffen kam jedoch nicht zustande.

In Graz hat die Beratungsstelle "Bunte Rampe" Informationen für bewegungsbehinderte Menschen zu den Themen Kinderwunsch, Schwangerschaft und Elternschaft gesammelt. Darüber hinaus ist mir in der Steiermark keine Beratungsstelle oder Betroffenenorganisation bekannt, die diese Themen aufgegriffen hat.

Die Suche nach geeigneten persönlichen Assistenten und Assistentinnen gestaltet sich für viele Menschen mit Behinderungen generell schwierig. In Wien und Innsbruck sind im Rahmen der Selbstbestimmt-Leben-Initiativen Modelle entstanden, die sowohl für die Kundinnen und Kunden mit Behinderungen als auch für die Assistenten und Assistentinnen gute Rahmenbedingungen schaffen und von Familien mit behinderten Elternteilen bevorzugt in Anspruch genommen werden. Die Wiener Assistenzgenossenschaft (WAG) und Selbstbestimmt Leben Innsbruck (SLI) werden von selbst betroffenen Personen geleitet und vermitteln Assistenten und Assistentinnen, die bei diesen Organisationen angestellt sind. Die Abrechnung nach einem festgesetzten Stundensatz erfolgt sowohl für die Kundinnen und Kunden als auch für Assistentinnen und Assistenten mit der Organisation. Die Assistenten und Assistentinnen erhalten eine Einschulung. Auch die behinderten Kundinnen und Kunden können Beratungen und Schulungen für die Planung ihres Assistenzbedarfes sowie die Auswahl und Anleitung der Assistenzpersonen in Anspruch nehmen.

Da die meisten behinderten Menschen ihren Assistenzbedarf nicht über das Pflegegeld abdecken können, sind solche Modelle nur dort möglich, wo Landesgesetze die Finanzierung von persönlicher Assistenz zumindest teilweise gewährleisten. Mit dem neuen Steiermärkischen Behindertengesetz wären diese Voraussetzungen grundsätzlich gegeben. Ob auch in der Steiermark eine Organisation nach Wiener bzw. Innsbrucker Vorbild entstehen kann, wird von den Erfahrungen mit Anträgen auf persönliche Assistenz nach dem Steiermärkischen Behindertengesetz, die behinderte Menschen in der Anfangsphase machen, abhängen.

6.2. Beispiele aus der Europäischen Union (EU)

6.2.1. Deutschland

Im Jahr 2000 wurde in Deutschland der Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern (bbe e.V.) von betroffenen Personen gegründet. Seine Aufgaben sieht der Verband in der Interessenvertretung, in Beratung und Service für Menschen mit Behinderungen, die Eltern werden wollen, Eltern werden oder Eltern sind. Dabei geht es vor allem um die Verwirklichung einer selbstbestimmten Elternschaft für Menschen mit Behinderungen (Vgl. Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern e.V., 2004 b).

Zu den Angeboten des Vereins zählt die Informationsweitergabe zu den Themen Zeugung, Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft im Zusammenhang mit unterschiedlichen Behinderungen sowohl an Menschen mit Behinderungen als auch an Fachpersonen im medizinischen und geburtshilflichen Bereich. Weiters werden Kontakte hergestellt zwischen behinderten Menschen und Fachpersonen in Medizin und Geburtshilfe, die bereits Erfahrungen mit Behinderungen haben. Zusammen mit den entsprechenden Fachleuten werden Möglichkeiten entwickelt, Angebote im Bereich der Geburtsvorbereitung, Geburtshilfe bzw. für Eltern barrierefrei zu gestalten. Der Verband veranstaltet jährlich ein Seminar für Eltern mit Behinderungen und gibt mehrere Dokumentationen und Ratgeber zu Hilfsmitteln und zur persönlichen Assistenz bei der Familienarbeit heraus (Vgl. ebd., 2001, 2002 u. 2004 A). Die Vernetzung behinderter Eltern und die Bildung regionaler Gruppen wird ebenfalls durch den Verband unterstützt (Ebd., 2004 B).

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Finanzierung von Assistenz bei der Familienarbeit für Frauen mit Behinderungen sind teilweise den für die Steiermark beschriebenen vergleichbar (siehe vorhergehender Abschnitt). So kann eine finanzielle Förderung im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe unter dem Titel "Hilfe zur Erziehung" oder im Rahmen der Sozialhilfe als "Hilfe in besonderen Lebenslagen" gewährt werden. Weiters besteht die Möglichkeit der vorübergehenden Finanzierung einer Haushaltshilfe über die gesetzlichen Krankenkassen. Diese wird allerdings nicht gewährt, wenn die betroffene Frau Leistungen aus der Pflegeversicherung erhält (Vgl. Rischer, 2002).

Einen wesentlichen Unterschied in der Gesetzgebung stellt das Sozialgesetzbuch IX - SGB IX - dar. Dieses ist seit 2001 als Bundesgesetz in Deutschland in Kraft und regelt die Gewährung von Leistungen für behinderte Menschen in den Bereichen Arbeit, Medizin und Teilhabe an der Gemeinschaft. Hier sind explizit Leistungen für Mütter mit Behinderungen vorgesehen. So können Hilfsmittel für die Versorgung von Babys und Kleinkindern finanziert werden. Behinderte Mütter, die sich in einer beruflichen oder medizinischen Rehabilitation befinden, haben Anspruch auf eine Haushaltshilfe sowie Unterstützung bei der Kinderbetreuung. Für gehörlose Mütter werden die Kosten für Gebärdensprachdolmetschung bei Kinderarzt oder -ärztin, in Kindergarten und Schule oder bei der Beantragung von Sozialleistungen übernommen (Vgl. ebd., 2002).

6.2.2. Großbritannien

In Großbritannien bestehen zwei Organisationen von Eltern mit Behinderungen: Disability, Pregnancy & Parenthood International (DPPI) und Disabled Parents Network (DPN). Beide Organisationen werden von Betroffenen geleitet und betreiben gemeinsam das National Centre for Disabled Parents.

Disability, Pregnancy & Parenthood International (DPPI) setzt seine Schwerpunkte in der Beratung und Information von Menschen mit Behinderungen sowie Professionellen im Gesundheits- und Sozialbereich. Die Organisation gibt vierteljährlich eine Zeitschrift - DPPI-Journal - heraus. Weiters bietet DPPI ein Informationsservice zum Thema Behinderung und Elternschaft. Dieses umfasst sowohl persönliche Beratung für Menschen mit Behinderungen und Professionellen im Gesundheits- und Sozialbereich als auch eine Reihe von Informationsblättern und -broschüren zu den verschiedensten Themenbereichen im Zusammenhang mit Behinderung und Elternschaft. So gibt es praktische Ratgeber für die Alltagsbewältigung mit unterschiedlichen Behinderungen, Informationen über geeignete Hilfsmittel sowie die Verwendbarkeit von allgemein im Handel erhältlicher Ausstattung bei verschiedenen Einschränkungen und Informationen über öffentliche und private Unterstützungsangebote. Alle schriftlichen Informationen sind auch in alternativen Formaten für sehbehinderte und blinde Menschen erhältlich. DPPI veranstaltet auch Schulungen für Professionelle im Gesundheits- und Sozialbereich und ist teilweise auch in deren Ausbildung involviert (Vgl. Disability, Pregnancy & Parenthood International, 2004).

Disabled Parents Network (DPN) hat seine Schwerpunkte in der Vernetzung von Eltern mit Behinderungen, der allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit und der politischen Arbeit für die Gleichstellung von Eltern mit Behinderungen. Das Netzwerk umfasst ca. 500 Personen, die auf freiwilliger Basis Peer Support - Beratung von Betroffenen durch gleich oder ähnlich Betroffene - leisten. Dazu wurde eine Telefon-Helpline eingerichtet, über die Eltern mit Behinderungen miteinander in Kontakt treten können. Weiters unterstützt DPN die Bildung von lokalen Netzwerken und Gruppen behinderter Eltern in verschiedenen Regionen.

Das National Centre for Disabled Parents in London besteht seit 2001 und wurde gegründet, um die Ressourcen der beiden Organisationen zusammenzuführen. Es bietet Informationsmaterial in verschiedener Form, eine Informationsdatenbank und eine kleine Auswahl von Hilfsmitteln zum Testen. Neben der Informationsvermittlung leistet eine Mitarbeiterin des Centres individuelle Unterstützung für Eltern mit Behinderungen auch an deren Wohnort, z. B. bei der Suche nach individuellen Problemlösungen, bei Konflikten mit Behörden usw.

Sowohl das National Centre for Disabled Parents als auch DPPI und DPN werden zu einem Teil über staatliche Förderungen und darüber hinaus über Projekte und private Spenden finanziert (Vgl. Disabled Parents Network, 2004).

Ein wichtiger Aspekt für die Selbstbestimmung von Eltern mit Behinderungen ist die seit dem Jahr 2004 bestehende gesetzliche Verpflichtung für Kommunen, Sozialleistungen für behinderte Menschen auf deren Wunsch als so genannte "Direct Payments" direkt an die Betroffenen auszuzahlen. Davor konnten behinderte Menschen persönliche Unterstützung vielfach nur über die von den Kommunen betriebenen sozialen Dienste erhalten, deren Angebote insbesondere bei der Unterstützung in der Familienarbeit nicht den Bedürfnissen der Betroffenen entsprachen. Nunmehr haben Eltern mit Behinderungen die Möglichkeit, zwischen öffentlichen und privaten Anbietern von Hilfeleistungen zu wählen, und die Anbieter von sozialen Diensten müssen ihre Angebote stärker an die Bedürfnisse ihrer Kunden und Kundinnen anpassen (Vgl. Disability Pregnancy & Parenthood International, 2004).

7. Darstellung der Untersuchung

7.1. Beschreibung der Untersuchungsmethode und des Auswertungsverfahrens

7.1.1. Wahl eines qualitativen Zuganges

Im theoretischen Teil wird dargestellt, wie die soziale Situation von Frauen mit Behinderungen, die Mutter werden oder Mutter sind, in der Literatur beschrieben wird.

In diesem Teil will ich die Ergebnisse der empirischen Arbeit darstellen, in der ich die Erfahrungen von Müttern mit Seh- und Bewegungsbehinderungen in der Steiermark erhoben habe.

Mein Ziel ist es, deren Erfahrungen mit den in der Literatur geschilderten zu vergleichen. Weiters möchte ich herausarbeiten, wie Mütter mit Behinderungen in der Steiermark die gegebenen Rahmenbedingungen erleben und ob bzw. welche Maßnahmen zu einer Verbesserung ihrer sozialen Situation getroffen werden sollten.

Aus dieser Zielsetzung sowie der Tatsache, dass die von mir untersuchte Personengruppe sehr klein ist, folgte für mich die Wahl einer qualitativen Untersuchungsmethode.

"Qualitative Sozialforschung benutzt nichtstandardisierte Methoden der Datenerhebung und interpretative Methoden der Datenauswertung, wobei sich die Interpretation nicht nur, wie (meist) bei den quantitativen Methoden, auf Generalisierungen und Schlussfolgerungen beziehen, sondern auch auf die Einzelfälle." (Oswald, 1997, S. 74) Dazu gehört nach Terhart, dass dem Forschungsgegenstand keine vorab formulierten Theoriemodelle übergestülpt werden, sondern dass Verallgemeinerungen, Modelle und Strukturen direkt aus dem Forschungsprozess gewonnen werden und soziale Wirklichkeit "aus erster Hand" erfahren wird (Vgl. Terhart, 1997, S. 30).

Nach Oswald sind qualitative Methoden unter anderem dann sinnvoll, wenn es um die "Entdeckung und Beschreibung fremder Welten" geht (Oswald, 1997, S. 79). Dies trifft auf die von mir untersuchte Personengruppe insofern zu, da der allgemeine Informationsstand über den konkreten Alltag behinderter Menschen insgesamt und besonders von Müttern mit Behinderungen äußerst gering ist. Ihre Lebenswelt wird häufig mit Vorstellungen von Fremdartigkeit verknüpft.

7.1.2. Das problemzentrierte Interview

Friebertshäuser definiert das Interview allgemein als verabredete Zusammenkunft und direkte Interaktion zwischen meist zwei Personen, die sich aufgrund vorher getroffener Vereinbarungen und einer daraus resultierenden Rollenzuordnung als Interviewerin bzw. Interviewer und Befragte bzw. Befragter begegnen. Die Techniken, die der/die Interviewende dabei einsetzt, dienen der Erhebung verbaler Daten, zu deren Gewinnung der/die Befragte zu Erzählungen und Auskünften angeregt werden soll (Vgl. Friebertshäuser, 1997, S. 374).

In der qualitativen Forschung unterscheidet Friebertshäuser zwischen zwei Gruppen von Interviewtechniken: Leitfaden-Interviews und erzählgenerierende Interviews. Sie merkt dazu an, dass diese Bezeichnungen insofern nicht völlig zutreffend sind, als auch Leitfaden-Interviews vielfach das Ziel haben, Erzählungen zu generieren (Vgl. ebd., S. 372). Lamnek spricht von halb-standardisierten und nicht-standardisierten Interviews. Bei der halb-standardisierten Form ist dem Interviewer/der Interviewerin zwar ein Leitfaden vorgegeben, es bleibt ihm/ihr aber im Wesentlichen selbst überlassen, in welcher Reihenfolge er/sie Fragen stellt und wie er/sie diese formuliert. Nicht-standardisierte Interviews werden über ein bestimmtes Rahmenthema, aber ohne vorgegebenes Frageschema durchgeführt. Die Aufgabe des/der Interviewers/Interviewerin ist es dabei vor allem, den Erzählfluss in Gang zu halten und durch Nachfragen Klarheit herzustellen (Vgl. Lamnek, 1995b, S. 43 ff.).

Für Friebertshäuser sind erzählgenerierende bzw. nicht-standardisierte Interviews vor allem dadurch charakterisiert, dass die Befragten dazu angeregt werden, etwas aus ihrem Leben zu erzählen und dabei die für sie relevanten Themen weitgehend selbst auszuwählen (Vgl. Friebertshäuser, 1997, S. 373).

Bei Leitfaden-Interviews richtet sich das Erkenntnisinteresse auf bereits vorab formulierte Themen- bzw. Fragestellungen. Diese setzen ein Vorverständnis des Themas bei den Forschenden voraus, und werden aus bereits vorliegenden Untersuchungserkenntnissen, Theorien, eigenen Vorüberlegungen oder eigener Kenntnis des Feldes der Forschenden abgeleitet. Durch die vorformulierten Fragen im Leitfaden geben die Forschenden die Themenbereiche vor. Der Leitfaden dient auch dazu, eine gewisse Vergleichbarkeit der Ergebnisse mehrerer Interviews zu ermöglichen. Im Interview selbst muss die Reihenfolge der Fragen nicht strikt eingehalten werden, sondern sie kann je nach Verlauf des Gesprächs variiert werden. Die Fragen zu einzelnen Themenbereichen können auch offene Erzählaufforderungen beinhalten, die die Interviewten dazu anregen sollen, ihre subjektiven Erfahrungen und Einschätzungen anhand von konkreten Beispielen und Erzählungen darzustellen (Vgl. ebd., S. 375 f.).

Das problemzentrierte Interview nach Witzel ist eine Variante des Leitfaden-Interviews. In dieser Form sind die verschiedenen Elemente einer leitfadenorientierten und teilweise offenen Befragung zusammengefasst. "Das Adjektiv ´problemzentriert´ kennzeichnet den Ausgangspunkt einer vom Forscher wahrgenommenen gesellschaftlichen Problemstellung, deren individuelle und kollektive Bedingungsfaktoren mit diesem Forschungsdesign ergründet werden sollen." (Ebd., S. 379) Für die Vorgangsweise gelten drei Kriterien:

  • Problemzentrierung: Sie bezieht sich sowohl auf die vom Forscher/der Forscherin ermittelte Problemstellung und deren Kriterien als auch auf die Betonung der Sichtweise der Befragten.

  • Gegenstandsorientierung: Die Methoden werden am Gegenstand entwickelt und modifiziert.

  • Prozessorientierung: Die Datengewinnung erfolgt schrittweise, wobei das theoretische Konzept für Modifizierungen durch Erkenntnisse aus dem Forschungsprozess offen gehalten wird (Vgl. ebd., S. 379 f.).

Dieser Ansatz entspricht meinem Wunsch, in dieser Arbeit die Erfahrungen und Sichtweisen von Frauen mit unterschiedlichen Behinderungen als Expertinnen in eigener Sache hervorzuheben. Im theoretischen Teil erfolgte eine allgemeine Darstellung des Problems der sozialen Situation von Müttern mit Behinderungen. Anhand der Erhebung soll die Problemstellung konkretisiert und regionale - für die Steiermark gegebene - Aspekte sollen spezifiziert werden.

Witzel zählt vier Instrumente zur Durchführung problemzentrierter Interviews auf:

  • Der Kurzfragebogen: Er dient zur Erhebung demographischer Daten und entlastet das nachfolgende Interview von denjenigen Bereichen, die als Frage-Antwort-Schema aufgebaut sind. Weiters erleichtert er - in Kombination mit einer offenen Frage - den Gesprächseinstieg.

  • Die Tonträgeraufzeichnung: Sie erlaubt die authentische und präzise Erfassung des Kommunikationsprozesses und sollte anschließend vollständig transkribiert werden. Der Interviewer/die Interviewerin kann sich somit ganz auf den Gesprächsverlauf konzentrieren.

  • Der Leitfaden: Er dient als Orientierungsrahmen und Gedächtnisstütze für den Interviewer/die Interviewerin und sichert die Vergleichbarkeit der Interviews. Eine Frage zur Einleitung ist meist vorformuliert, weitere Fragen können Themenbereiche einleiten.

  • Das Postskriptum: Hier werden unmittelbar nach dem Interview Beobachtungen zu nonverbalen und situativen Aspekten des Gesprächsverlaufes festgehalten. Weiters können spontane thematische Auffälligkeiten und Interpretationsideen, die Anregungen für die Auswertung geben, notiert werden (Vgl. Witzel, 2000). Das Postskriptum trägt der Tatsache Rechnung, dass der Interviewer/die Interviewerin und die Interviewsituation einen wesentlichen Einfluss auf die zustande gekommenen Daten ausüben (Vgl. Friebertshäuser, 1997, S. 381).

"Das PZI ist ein ´diskursiv-dialogisches Verfahren´, ... das ... die Befragten als Experten ihrer Orientierungen und Handlungen begreift, die im Gespräch die Möglichkeit zunehmender Selbstvergewisserung mit allen Freiheiten der Korrektur eigener oder der Intervieweraussagen wahrnehmen können." (Witzel, 2000)

Dabei wird die unmittelbare Kontaktaufnahme bereits als Teil des Interviewverlaufes angesehen. Neben der Erklärung der Untersuchungsform und der Zusicherung der Anonymisierung der Gesprächsprotokolle erfolgt hier die Erläuterung der Untersuchungsfrage. Dabei soll der Interviewer/die Interviewerin dem/der Befragten vermitteln, dass sein Erkenntnisinteresse den individuellen Vorstellungen und Meinungen des Befragten gilt.

In der Gestaltung des Gespräches setzt der Interviewer/die Interviewerin erzählgenerierende Kommunikationsstrategien - Gesprächseinstieg, allgemeine Sondierungen und Ad-hoc-Fragen - sowie verständnisgenerierende Strategien - Zurückspiegelungen, Verständnisfragen und Konfrontationen - ein (Vgl. ebd.).

7.1.3. Die Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring

Friebertshäuser bezeichnet die Qualitative Inhaltsanalyse als besonders geeignetes Anschlussverfahren für die Auswertung problemzentrierter Interviews (Vgl. Friebertshäuser, 1997, S. 381).

Mayring charakterisiert die Inhaltsanalyse als sozialwissenschaftliche Methode in sechs Punkten:

  1. Gegenstand der Inhaltsanalyse ist Kommunikation in unterschiedlicher Form.

  2. Die Kommunikation liegt protokolliert, d. h. als fixierte Kommunikation vor.

  3. Inhaltsanalyse geht systematisch vor.

  4. Inhaltsanalyse läuft nach expliziten Regeln ab.

  5. Inhaltsanalyse geht theoriegeleitet, d. h. nach einer theoretisch ausgewiesenen Fragestellung vor.

  6. Inhaltsanalyse hat das Ziel, Rückschlüsse auf bestimmte Aspekte der Kommunikation zu ziehen (Vgl. Mayring, 2003, S. 12).

Für Mayring ist die Inhaltsanalyse eine Auswertungstechnik, die sowohl einer subjektorientierten offenen Forschungsmethode entspricht als auch den Standards eines methodisch kontrollierten Vorgehens genügt (Vgl. ebd. S. 116).

Drei Grundformen des Interpretierens von Texten werden für ihre Anwendung in der qualitativen Inhaltsanalyse von Mayring dargestellt:

  • Zusammenfassung: Das Material wird reduziert und durch Abstraktion überschaubar, wobei die wesentlichen Teile erhalten bleiben.

  • Explikation: Zu einzelnen Textteilen wird zusätzliches Material herangetragen, mit dem Ziel der Erläuterung bzw. Erweiterung des Verständnisses für die fraglichen Textstellen. Innerhalb der Explikation wird zwischen enger und weiter Textanalyse unterschieden.

  • Strukturierung: Aufgrund vorher festgelegter Kriterien werden bestimmte Teile des Materials herausgefiltert und zugeordnet. Dabei werden vier Formen - formale, inhaltliche, typisierende oder skalierende Strukturierung - unterschieden (Vgl. ebd. S. 55 ff.)

Der gesamte Vorgang der Analyse beginnt bei der Festlegung des Ausgangsmaterials. Gegenstand von Inhaltsanalyse ist ein geschriebener Text. Dies bedeutet im Fall von gesprochener Sprache in Interviews, dass diese nach der Tonaufzeichnung transkribiert wird. In die Transkription können auch nicht verbale Bestandteile des Interviews, wie z. B. Anmerkungen zur Interviewsituation oder andere Beobachtungen des Interviewers/der Interviewerin einfließen. Da die Transkription das Ursprungsmaterial bereits verändert, müssen Transkriptionsregeln festgelegt werden, um eine einheitliche Darstellung zu gewährleisten (Vgl. ebd. S. 45 ff.).

Als nächster Schritt muss die Fragestellung definiert werden. "Begreift man ... Theorie als System allgemeiner Sätze über den zu untersuchenden Gegenstand, so stellt sie nichts anderes als die geronnenen Erfahrungen anderer über diesen Gegenstand dar. Theoriegeleitetheit heißt nun, an diese Erfahrungen anzuknüpfen, um einen Erkenntnisfortschritt zu erreichen.

Das bedeutet nun konkret, daß die Fragestellung der Analyse vorab genau geklärt sein muß, theoretisch an die bisherige Forschung über den Gegenstand angebunden und in aller Regel in Unterfragestellungen differenziert werden muß." (Ebd. S. 52)

Für die Auswertung der von mir geführten Interviews habe ich die Analysetechnik der Zusammenfassung verwendet und dabei auch eine inhaltliche Strukturierung vorgenommen: "Ziel inhaltlicher Strukturierungen ist es, bestimmte Themen, Inhalte, Aspekte aus dem Material herauszufiltern und zusammenzufassen. Welche Inhalte aus dem Material extrahiert werden sollen, wird durch theoriegeleitet entwickelte Kategorien und (sofern notwendig) Unterkategorien bezeichnet." (Mayring, 2003, S. 89) Anhand der Ergebnisse des theoretischen Teils meiner Arbeit habe ich meine Forschungsfragen präzisiert und darauf basierend die thematischen Kategorien entwickelt (Vgl. Kap. 7.2.1.).

Im Textmaterial müssen zunächst Analyseeinheiten festgelegt werden. Der kleinste Textbestandteil, der unter eine Kategorie fallen kann, ist eine Kodiereinheit. Danach werden die einzelnen Kodiereinheiten paraphrasiert, d. h. in eine knappe, nur auf den Inhalt beschränkte Form umgeschrieben. Danach erfolgt die erste Reduktion, indem in der Generalisierung Paraphrasen auf ein festgelegtes Abstraktionsniveau verallgemeinert werden. Dadurch ergeben sich inhaltsgleiche Paraphrasen, die ebenso wie unwichtige bzw. nichts sagende Paraphrasen weggelassen werden. Als zweiter Reduktionsschritt werden Paraphrasen, die sich aufeinander beziehen, zusammengefasst - gebündelt - und durch neue Aussagen ersetzt. Bei großen Textmengen können die Schritte der Paraphrasierung, Generalisierung und Bündelung auch zusammengefasst werden. Am Schluss steht eine Rücküberprüfung der Zusammenfassung am Ausgangsmaterial (Vgl. ebd. S. 60 f.).

Von den speziellen Gütekriterien für qualitative Inhaltsanalyse, die Mayring darstellt, erscheint für meine Untersuchung die kommunikative Validierung als am besten geeignet. "Der Grundgedanke dabei ist, eine Einigung bzw. Übereinstimmung über die Ergebnisse der Analyse zwischen Forschern und Beforschten diskursiv herzustellen." (Ebd. S. 113)

Lamnek beschreibt die kommunikative Validierung als Versuch, sich mittels erneuter Befragung der Interviewten der Interpretationsergebnisse zu vergewissern (Vgl. Lamnek, 1995a, S 166).

7.2. Durchführung der Untersuchung

7.2.1. Präzisierung der Forschungsfragen und Bildung der Kategorien für die Inhaltsanalyse

Anhand der im theoretischen Teil dieser Arbeit geschilderten Aspekte der gesellschaftlichen Situation von Frauen mit Behinderungen allgemein und von Müttern mit Behinderungen im Speziellen möchte ich die am Beginn dieser Arbeit formulierten Forschungsfragen im Folgenden konkretisieren. In weiterer Folge werde ich daraus die Kategorien für die Auswertung der Interviews mit acht Müttern mit Behinderungen entwickeln.

1. Welche Reaktionen erfahren behinderte Frauen bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und Mutterschaft allgemein?

Frauen mit Behinderung entsprechen, sowohl was ihre Attraktivität als auch ihre Leistungsfähigkeit betrifft, nicht dem weiblichen "Normbild". Sie werden in erster Linie als behinderte Person und nur selten als Frau wahrgenommen (Vgl. Kap. 3.1.). Daraus ergibt sich die Frage, wie die Entwicklung zur Mutterschaft bei Frauen mit Behinderungen im Wechselspiel zwischen eigenem Erleben, eigenen Vorstellungen und Lebensplänen und den Vorstellungen und Erwartungen der Umwelt verläuft.

2. Welche Reaktionen erfahren diese Frauen insbesondere von Personen, die professionell in der Beratung, Betreuung und Unterstützung von Schwangeren, Gebärenden und jungen Müttern tätig sind, sowie von Personen, die professionell in der Beratung und Unterstützung von behinderten Menschen tätig sind?

Frauen mit Behinderungen als Schwangere, Gebärende und Mütter wurden bisher im deutschsprachigen Raum sowohl in der Medizin und Sozialpädagogik als auch der Behindertenpädagogik nicht wahrgenommen (Vgl. Kap. 3.5. u. Kap. 5.2.4.). Jede behinderte Frau wird daher in diesen Zusammenhängen in verstärkter Form zum "Sonderfall". Reaktionen und Handlungsweisen, die aus dieser Konstellation entstehen, sollen auf ihre Auswirkungen für die behinderten Frauen überprüft werden.

3. Welchen Zugang haben behinderte Frauen zu Informationen, Beratung und sonstigen Angeboten im Bereich Kinderwunsch, Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft allgemein und in Bezug auf ihre jeweilige Behinderung?

Aus der im vorangehenden Punkt beschriebenen Situation folgt, dass behinderte Frauen beim Versuch, Angebote in diesem Bereich für sich in Anspruch zu nehmen, mit zahlreichen Barrieren konfrontiert sind (Vgl. Kap. 6.1.). Dabei stellt sich nicht nur die Frage, inwieweit allgemeine Angebote für Schwangere, Gebärende und Mütter für behinderte Frauen zugänglich sind, sondern es muss auch Bedacht darauf genommen werden, inwieweit die gegebenen Unterstützungsmöglichkeiten für behinderte Menschen den Bedürfnissen behinderter Mütter entsprechen.

4. Welche Auswirkungen haben Reaktionen, die behinderte Frauen bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und Mutterschaft erfahren, auf ihre Lebenssituation und ihren Zugang zu Angeboten für Schwangere, Gebärende und junge Mütter?

Behinderte Frauen, die Mütter werden, befinden sich im Spannungsfeld zwischen den gesellschaftlichen Erwartungen an eine "gute Mutter" und dem Bild, das von behinderten Menschen allgemein vorherrscht. Die Reaktionen der Umwelt reichen von übertriebener Bewunderung bis zu völliger Ablehnung. Ein selbstverständlicher Umgang findet nur selten statt. Dies bringt behinderte Mütter unter Druck nach außen ein möglichst problemfreies Bild ihrer Situation und ihres Alltags zu vermitteln (Vgl. Kap. 5.6.). Es soll daher herausgearbeitet werden, wie sich diese Situation auf den persönlichen Zugang behinderter Mütter zu Angeboten und Hilfeleistungen auswirkt.

5. Welche Strategien der Lebens- und Alltagsbewältigung entwickeln Mütter mit Behinderungen?

Es gilt hier zunächst festzuhalten, welche Probleme im Alltag in Zusammenhang mit der Behinderung der Mutter stehen (Vgl. Kap. 5.4.2.) und in weiterer Folge Lösungsstrategien aufzuzeigen, die von betroffenen Frauen angewandt werden (Vgl. Kap. 5.4.3.).

6. Welche Ressourcen stehen betroffenen Frauen derzeit zur Verfügung und inwieweit entsprechen diese den tatsächlichen Bedürfnissen?

Aus der Gegenüberstellung von derzeitigen Möglichkeiten (Vgl. Kap. 6.1.) und den Bedürfnissen der betroffenen Frauen sollen Vorschläge für Veränderungen entwickelt werden.

Kategorien

K1: Entwicklung zur Mutterschaft

K1.1.: Eigene Vorstellungen und eigenes Erleben

K1.2.: Erwartungen und Reaktionen der Umwelt

K2: Erfahrungen behinderter Mütter im professionellen Bereich

K2.1.: Erfahrungen in medizinischen Zusammenhängen

K2.2.: Erfahrungen in Beratungs- und sozialarbeiterischen Zusammenhängen

K3: Zugang zu Angeboten

K3.1. Zugang zu Angeboten und Informationen für Schwangere, Gebärende und Mütter

K3.2. Zugang zu Angeboten und Informationen für behinderte Menschen

K4. Umweltreaktionen und deren Auswirkungen auf behinderte Mütter

K4.1. Erfahrungen und persönlicher Umgang mit Umweltreaktionen auf die Mutterschaft

K4.2. Inanspruchnahme und persönlicher Umgang mit Unterstützung und Hilfeleistungen

K5. Probleme und Lösungsstrategien im Alltag im Zusammenhang mit der Behinderung

K6: Bedürfnisse und Wünsche für eine Verbesserung der aktuellen Situation

KO: Offene Kategorie für weitere relevante Themen

7.2.2. Durchführung der Interviews

Für meine Untersuchung führte ich problemzentrierte Interviews mit insgesamt acht behinderten Frauen, die in der Steiermark leben. Mir war wichtig, eine gleich große Anzahl von bewegungsbehinderten und blinden Frauen zu interviewen, um eventuell Vergleiche der beiden Gruppen zu ermöglichen. Frauen mit Hörbehinderungen habe ich bewusst ausgenommen (siehe Kap. 1.4.).

Die Suche nach Interviewpartnerinnen, insbesondere nach Müttern mit Bewegungsbehinderungen, gestaltete sich sehr schwierig. Um Kontakt zu blinden Frauen herzustellen, konnte ich größtenteils auf persönliche Kontakte zurückgreifen. Bei der Suche nach bewegungsbehinderten Interviewpartnerinnen kontaktierte ich mehrere Selbsthilfeorganisationen, Internetforen und Beratungsstellen und erhielt auch die Möglichkeit, einen Aufruf am Sozialserver des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung zu veröffentlichen.

Die erste Kontaktaufnahme mit meinen Interviewpartnerinnen erfolgte auf unterschiedliche Weise. Drei Frauen kontaktierte ich telefonisch, drei brieflich, eine per E-mail. Eine Frau meldete sich nach einem Aufruf einer Beratungsstelle bei mir. Im ersten Gespräch bzw. brieflichen Kontakt beschrieb ich jeweils kurz das Thema meiner Diplomarbeit und erklärte den Ablauf der Interviews. Alle von mir schriftlich kontaktierten Frauen meldeten sich daraufhin telefonisch bei mir. Rückblickend fällt dabei auf, dass sehr viele meiner späteren Interviewpartnerinnen im ersten Gespräch sagten, sie glaubten, dass sie nicht als Interviewpartnerin geeignet seien, denn sie hätten eigentlich keine Probleme. Ich erklärte ihnen daraufhin jeweils, dass mir ihre erfolgreiche Alltagsbewältigung ebenso wichtig sei wie eventuelle Schwierigkeiten. Daraufhin waren alle zu einem Interview bereit. Bei der Vereinbarung von Ort und Zeit überließ ich meinen Interviewpartnerinnen die Wahl des Ortes.

Die acht Interviews fanden in der Zeit zwischen dem 12.6.2003 und 20.3.2004 statt. Fünf Interviews führte ich in den Wohnungen der Interviewpartnerinnen, eines in der Wohnung der Eltern der Interviewpartnerin, wo diese zum Zeitpunkt des Interviews mit ihrem Kind überwiegend lebte. Zwei Interviews fanden in Gaststätten statt. Die Dauer der Interviews betrug zwischen 30 Minuten für das kürzeste und 2 Stunden für das längste, bei den meisten rund 60 Minuten.

Am Beginn jedes Interviews erklärte ich noch einmal Thema und Ziel meiner Arbeit, beschrieb die Weiterverarbeitung der Tonaufzeichnung und die Anonymisierung der Daten. Das gesamte Interview wurde mit einem Minidisk-Rekorder aufgezeichnet.

Vor dem eigentlichen Interview - bereits als Teil der Tonaufzeichnung - stand ein Kurzfragebogen (siehe Anhang 9.1.), dessen Fragen ich mündlich stellte. Im Interview orientierte ich mich an meinem vorher erarbeiteten Leitfaden (siehe Anhang 9.2.), wobei die Fragen und deren Reihenfolge entsprechend dem Gesprächsverlauf variierten. Nach dem Interview entwickelten sich häufig Gespräche mit meinen Interviewpartnerinnen, in denen diese viel Interesse an den Ergebnissen meiner Arbeit sowie an meinen eigenen Erfahrungen zeigten, sodass sich mehrmals ein sehr interessanter Austausch ergab. Zum Abschluss bat ich meine Interviewpartnerinnen, nach der Auswertung noch einmal mit ihnen Kontakt aufnehmen zu dürfen, um die Ergebnisse zu überprüfen (kommunikative Validierung). Alle Frauen waren dazu bereit.

Nach den Treffen mit meinen Interviewpartnerinnen verfasste ich jeweils ein Postskriptum, in dem ich die Interviewsituation, Störungen bzw. Unterbrechungen und persönliche Eindrücke der Gesprächssituation festhielt. Danach erfolgte - wenn möglich gleich im Anschluss - die Transkription. Dabei wurden alle persönlichen Angaben anonymisiert. Die Transkripte umfassen 8 Textseiten für das kürzeste, 26 Textseiten für das längste Interview, meist etwa 15 Seiten.

7.2.3. Auswertung der Interviews

7.2.3.1. Exkurs: Blindenspezifische Aspekte des Arbeitens mit schriftlichem Material

Der konkrete Ablauf meiner Auswertung weicht - bedingt durch meine Blindheit - von der am Institut für Erziehungswissenschaft üblichen und geforderten Form für Diplomarbeiten ab. Deshalb möchte ich hier zunächst einige allgemeine Informationen zu den Möglichkeiten und Grenzen des Umganges mit schriftlichem Material für blinde Menschen geben, bevor ich die Auswertung selbst beschreibe.

Um schriftliches Material für blinde Menschen lesbar zu machen, muss es entweder in taktile Form - Brailleschrift - oder akustische Form - Sprache - umgesetzt werden. In beiden Fällen unterscheidet sich die Art der Wahrnehmung von der optischen unter anderem dadurch, dass nur ein geringer Ausschnitt eines Textes unmittelbar wahrgenommen wird. Das eben jeweils gesprochene Wort ist unmittelbar präsent. Die Finger, die über die Brailleschrift gleiten, können maximal drei Zeichen gleichzeitig erfassen. Das "Gesamtbild" z. B. einer Textseite entsteht in der Erinnerung. Dies führt dazu, dass z. B. das Erfassen von schematischen oder tabellarischen Darstellungen je nach deren Komplexität sehr aufwendig und fehleranfällig werden kann. Darüber hinaus ist es nicht möglich, den Inhalt einer Textseite mit einem raschen Überblick grob zu erfassen. Will man sicher gehen, dass man nichts Wesentliches "übersehen" hat, muss man den gesamten Text Wort für Wort lesen.

Der Einsatz des Computers hat für blinde Menschen einen Quantensprung im Zugang zu Informationen und der Arbeit mit schriftlichem Material gebracht und ist mittlerweile Standard in Bildung und Beruf. Es gibt dabei allerdings auch Grenzen.

Für blinde Benutzer und Benutzerinnen werden Standard-PCs mit zusätzlicher spezieller Hard- und Software versehen. Der Bildschirminhalt kann auf einem so genannten Braille-Display in Brailleschrift dargestellt werden, wobei - je nach Ausführung - 40 bis 80 Zeichen gleichzeitig dargestellt werden können und die Benutzerinnen/Benutzer mittels Steuerungstasten den Bildschirm auslesen. Weiters besteht die Möglichkeit, den Bildschirminhalt in künstliche Sprache umzuwandeln. Die Benutzer und Benutzerinnen steuern wiederum über bestimmte Tastenkombinationen, welche Textteile des Bildschirminhaltes vorgelesen werden. Beide Systeme können wahlweise oder parallel eingesetzt werden. Der Einsatz der PC-Maus ist für blinde Benutzer und Benutzerinnen nicht möglich, da dafür die Augen-Hand-Koordination erforderlich ist. Die Bewegung über den Bildschirm erfolgt daher mit Hilfe der Pfeiltasten zeilen- oder spaltenweise. Die Umsetzung des optisch dargestellten Inhaltes in Brailleschrift oder Sprache erfolgt mittels einer speziellen Software, die gleichsam über die Standard-Anwenderprogramme gelegt wird. Diese Software kann jedoch nur Text, nicht aber Graphik umsetzen. Das bedeutet, dass alle Informationen oder Dateiformate, die als Graphik aufgebaut sind, für blinde Menschen nicht zugänglich sind. Derartige Barrieren finden sich häufig im Internet, aber auch in unterschiedlichen Verarbeitungsprogrammen. Zu diesen graphisch aufgebauten Programmen zählen auch die Auswertungsprogramme für Inhaltsanalysen.

Aus diesem Grund und den zuvor beschriebenen Spezifika des Lesens entwickelte ich für meine Auswertung mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring die im Folgenden beschriebene Vorgangsweise.

7.2.3.2. Ablauf der Auswertung

Ich führte die gesamte Auswertung mit dem Textverarbeitungsprogramm meines PC durch.

Aus dem Transkript jedes Interviews wurden Paraphrasen in ein neues Dokument geschrieben oder kopiert. Die Anordnung erfolgte als durchnummerierte Liste - eine Paraphrase pro Zeile.

Als nächster Schritt erfolgte parallel die Generalisierung und Zuordnung zu den einzelnen Kategorien. Alle von mir entwickelten Kategorien und Unterkategorien (Vgl. Kap. 7.2.1.) ergaben insgesamt elf Zuordnungsmöglichkeiten. Eine Tabelle mit Textteilen in diesem Umfang zu bearbeiten wäre für mich aus den oben genannten Gründen nur mit großer Fehleranfälligkeit möglich gewesen. Daher erstellte ich für jedes Interview pro Kategorie ein eigenes Dokument. Mit Hilfe von Kurztastenbefehlen war es mir möglich, inklusive der Paraphrasen 12 Dokumente gleichzeitig geöffnet zu haben und zwischen ihnen hin und her zu springen. Nach dieser Zuordnung nahm ich innerhalb jedes Kategorien-Dokumentes zunächst die Selektion und in einem weiteren Schritt die Zusammenfassung vor.

Für den Quervergleich der Ergebnisse erstellte ich wiederum 11 Kategorien-Dokumente, in die ich die 8 Zusammenfassungen der jeweils entsprechenden Kategorien der Einzelauswertungen kopierte.

7.2.3.3. Kommunikative Validierung

Nach dem Abschluss meiner Auswertung erhielten meine Interviewpartnerinnen den Ergebnistext ihres Interviews als Brief - in Schwarz- oder Brailleschrift - oder E-mail zugesandt. Etwa eine Woche später kontaktierte ich die Frauen telefonisch und sie teilten mir ihre Meinung mit bzw. wir besprachen Unklarheiten. In einigen Fällen ersuchten mich meine Interviewpartnerinnen um Korrekturen, die ich unmittelbar nach dem Gespräch in das Ergebnis einarbeitete.

7.2.4. Kritische Reflexion der Untersuchung

Die Schwierigkeiten bei meiner Suche nach Interviewpartnerinnen führten dazu, dass der zeitliche Abstand zwischen einigen Interviews sehr groß war. Rückblickend habe ich den Eindruck, dass sich dies nachteilig auf meine Interviewführung auswirkte, da kein ausreichender Übungseffekt möglich wurde. Beim späteren Durchgehen der Interviews hatte ich den Eindruck, dass solche, die relativ kurz nacheinander erfolgten, besser gelangen.

Als sehr wichtige Unterstützung erwies sich in der Reflexion der Interviews das Postskriptum. Insbesondere ein Interview erschien mir bereits während des Interviewverlaufes als größtenteils misslungen. Die Interviewpartnerin war nicht allein und machte den Eindruck, unter großem Zeitdruck zu stehen. An dem Ort, den sie für das Interview gewählt hatte, herrschte großer Umgebungslärm. Beim Anfertigen des Postskriptums - frei vom Stress dieser unbefriedigenden Interviewsituation - und dem Vergleich mit den Aussagen kam ich zum Schluss, dass dieser Verlauf des Gesprächs für die Interviewpartnerin auch dazu gedient haben könnte, ein tieferes Eindringen in ihre Lebenssituation und eventuelle Probleme zu verhindern.

In diesem Zusammenhang ist auch zu hinterfragen, welche Auswirkungen meine eigene Betroffenheit als selbst behinderte Mutter auf den Verlauf der Interviews hatte. Nach Reinecke kann es als gesichert gelten, dass sichtbare Merkmale des Interviewers/der Interviewerin eine Antwortverzerrung auslösen, wenn die Befragten eine Zuordnung zwischen dem Thema der Befragung und dem Merkmal des Interviewers/der Interviewerin sehen. Die Wirkung von Einstellungen und Erwartungen ist aber in so unterschiedlichem Ausmaß festgestellt worden, das eine zufrieden stellende Kontrollmöglichkeit bis jetzt nicht gegeben ist (Vgl. Reinecke, 1991, S. 27 f.). Nach meiner Einschätzung hatte meine eigene Betroffenheit als Interviewerin bei der überwiegenden Anzahl meiner Interviewpartnerinnen zur Folge, dass bei mir ein gewisses Vorverständnis bestimmter Problemsituationen - z. B. Verhalten gegenüber behinderten Menschen - vorausgesetzt wurde und die Frauen deshalb sehr offen über ihre Gefühle sprachen. Bei zumindest einer blinden Frau entstand für mich aber der Eindruck, dass sie sich sehr bemühte, ihre Lebenssituation als problemfrei darzustellen. In diesem Fall halte ich es für möglich, dass der in Institutionen quasi anerzogene Leistungsdruck zu völliger Selbständigkeit und Unabhängigkeit von Hilfe, bei gleichzeitig perfekter Lebensbewältigung (Vgl. Kap. 3.3.), der häufig auch ein gewisses Konkurrenzverhalten unter blinden Frauen nach sich zieht, bei dieser Frau dazu führte, dass sie ein möglichst perfektes Bild bieten wollte.

7.3. Darstellung der Ergebnisse

7.3.1. Überblick über die Interviewpartnerinnen

Ich führte Interviews mit acht behinderten Frauen. Sechs von ihnen haben ein Kind, zwei haben zwei Kinder. Zum Zeitpunkt des Interviews ist das jüngste Kind 2 ½, das älteste 15 Jahre alt. Keines der insgesamt zehn Kinder hat eine Behinderung.

Fünf Frauen leben in Partnerschaft mit dem Vater ihrer Kinder. Drei Frauen leben vom Vater getrennt und sind Alleinerzieherinnen. Von den acht Vätern haben drei eine Behinderung.

Sieben Frauen leben mit ihren Kindern bzw. Partner und Kindern im eigenen gemeinsamen Haushalt. Eine alleinerziehende Mutter lebt zum Zeitpunkt des Interviews im Haushalt ihrer Eltern.

Tabelle 1: Familienbezogene Daten der acht Interviewpartnerinnen

Nr.

Anzahl d. Kinder

Alter d. Kinder

Familiensituation

1

1

5

Alleinerzieherin, im eigenen Haushalt

2

2

12, 15

Alleinerzieherin im eigenen Haushalt

3

1

2 ½

Alleinerzieherin im elterlichen Haushalt

4

1

13

Partnerschaft im gemeinsamen Haushalt

5

1

8

Partnerschaft im gemeinsamen Haushalt

6

1

12

Partnerschaft im gemeinsamen Haushalt

7

1

13

Partnerschaft im gemeinsamen Haushalt

8

2

4, 7

Partnerschaft im gemeinsamen Haushalt

Vier meiner Interviewpartnerinnen sind bewegungsbehindert, vier blind. Eine der blinden Frauen hat zudem eine Stoffwechselerkrankung.

Bei fünf meiner Interviewpartnerinnen ist die Behinderung angeboren, bei drei von ihnen mit progressivem Verlauf. Drei Frauen haben ihre Behinderung als Folge eines Unfalles im Jugend- bzw. Erwachsenenalter.

Bei allen acht Frauen bestand die Behinderung bereits mehrere Jahre vor Beginn der ersten Schwangerschaft.

Drei der bewegungsbehinderten Frauen benutzen einen Rollstuhl.

Sechs Frauen haben eine Einstufung nach dem Behinderteneinstellungsgesetz mit einem Grad der Behinderung von 100 %, eine Frau ist mit 65 % eingestuft, einer Frau ist nicht bekannt, ob sie eingestuft ist.

Alle Frauen erhalten Pflegegeld, sechs Frauen in der Stufe 4 und je eine in der Stufe 3 und 1. Zwei Frauen beziehen eine Unfallrente, eine von ihnen erhält zusätzlich eine Pension. Zwei Frauen erhalten eine Halbwaisenpension aufgrund ihrer Behinderung. Vier Frauen erhalten neben dem Pflegegeld keine behinderungsbezogenen Geldleistungen.

Auf die Frage nach ihrer persönlichen Erfahrung, inwieweit ihre Behinderung für Außenstehende erkennbar ist, gaben vier Frauen an, dass ihre Behinderung meist sofort wahrgenommen wird. Vier Frauen meinen, dass ihre Behinderung in den meisten Fällen erst "auf den zweiten Blick", d. h. in konkreten Interaktionen wahrgenommen wird.

Tabelle 2: Behinderungsbezogene Daten

Nr.

Behinderung

Ursache

Erkennbarkeit der Behind.

Grad der Behind.

Pflegegeld Stufe

Sonstige Geldleistungen

1

Bewegungsbehind.

Angeboren

In Interaktionen

65 %

1

-

2

Blind

Angeboren

In Interaktionen

100 %

4

Halbwaisenrente

3

Blind, Stoffwechselerkr.

Angeboren

Sofort

-

4

-

4

Blind

Angeboren

In Interaktionen

100 %

4

-

5

Bewegungsbehind.

Unfall

Sofort

100 %

3

-

6

Blind

Angeboren

In Interaktionen

100 %

4

Halbwaisenrente

7

Bewegungsbehind.

Unfall

Sofort

100 %

4

Unfallrente Pension

8

Bewegungsbehind.

Unfall

Sofort

100 %

4

Unfallrente

Zum Zeitpunkt des Interviews ist die jüngste meiner Interviewpartnerinnen 32, die älteste 49 Jahre alt.

Vier Frauen leben in Graz, drei in Gemeinden mit zwischen 4.500 und 6.000 EinwohnerInnen, eine in einer Gemeinde mit weniger als 1.000 EinwohnerInnen. Die Wohnorte dieser vier Frauen liegen in den Bezirken Feldbach, Graz Umgebung, Leoben und Liezen.

Eine Frau ist mit Vollzeit berufstätig, drei Frauen mit Teilzeit. Eine Frau ist geringfügig beschäftigt, zwei sind Hausfrauen, eine ist im Karenzurlaub.

Tabelle 3: Demographische Daten

Nr.

Alter

EinwohnerInnen/Wohnort

Berufstätigkeit

1

39

200.000

Teilzeit

2

37

200.000

Hausfrau

3

32

6.000

Karenz

4

45

Unter 1.000

Vollzeit

5

46

4.500

Hausfrau

6

49

200.000

Geringfügig

7

45

200.000

Teilzeit

8

33

6.000

Teilzeit

7.3.2. Ergebnisse der Interviews

Zur Anonymisierung der Interviews wurden alle Namen geändert und Ortsbezeichnungen weitgehend weggelassen.

7.3.2.1. Anna

Anna ist zum Zeitpunkt des Interviews 39 Jahre alt. Sie hat einen Sohn im Alter von 5 Jahren. Anna ist aufgrund einer Muskelerkrankung - Spinale Muskelartrophie - von Kindheit an bewegungsbehindert. Nach ihrer Erfahrung ist ihre Behinderung meist nicht auf den ersten Blick sichtbar, sondern nur bei Bewegungen. In manchen Situationen muss sie auch darauf hinweisen. Der Vater ihres Sohnes, von dem sie getrennt lebt, hat keine Behinderung. Anna lebt als Alleinerzieherin mit ihrem Sohn im gemeinsamen Haushalt. Sie ist mit Teilzeit berufstätig und erhält Pflegegeld der Stufe 1.

Anna wurde von ihrer Mutter schon sehr früh vermittelt, dass sie keine Kinder bekommen solle. Daher setzte sie sich sehr lange nicht mit diesem Thema auseinander, während Partnerschaft für sie immer sehr wichtig war. Erst im Verlauf einer bereits länger bestehenden Partnerschaft begann sie sich mit der Frage eigener Kinder auseinander zu setzen. Sie nahm eine genetische Beratung in Anspruch, um das Vererbungsrisiko grundsätzlich zu klären.

Die Schwangerschaft kam erst mehrere Jahre später für Anna eher überraschend. Sie nahm sich zunächst einige Zeit, um alle Aspekte abzuwägen und entschied sich dann klar für das Kind. Weiters suchte sie ein zweites Mal die genetische Beratung auf. Dort schätzte man das Risiko einer Weitervererbung ihrer Erkrankung gering ein. Weiters erfuhr Anna, dass die Erkrankung mittels Pränataldiagnose beim Kind nicht feststellbar sei. Sie erlebte die Beratung als sehr unterstützend und fühlte sich in ihrer Entscheidung für das Kind bestärkt.

Anna informierte ihr Umfeld erst über die Schwangerschaft, als sie für sich klar entschieden hatte, dass sie das Kind wollte. Ihre Familie reagierte überwiegend positiv. Ihre Mutter freute sich von Anfang an sehr. Ihr Vater reagierte zunächst skeptisch, bald überwog aber auch bei ihm die Freude über das Kind. Lediglich der Großvater äußerte sich sehr ablehnend. Annas Partner wollte eigentlich kein Kind, weil er bereits ein Kind aus einer früheren Partnerschaft hatte, akzeptierte aber ihre Entscheidung.

Annas Muskelerkrankung ist sehr selten und noch wenig erforscht. Sie machte immer wieder die Erfahrung, dass Ärzte ihr wenig über den Verlauf der Krankheit oder Auswirkungen bestimmter Einflüsse sagen konnten. Sie musste daher ihre eigenen Erfahrungen sammeln. Auch in einer Selbsthilfegruppe wurde sie darin bestärkt, selbst Expertin für ihren Körper zu sein. Sie suchte daher nicht nach Informationen, wie sich die Schwangerschaft auf ihre körperliche Verfassung auswirken könnte, sondern beobachtete sich sehr genau, um gegebenenfalls auf Symptome zu reagieren. Anna nahm bis wenige Wochen vor der Geburt Physiotherapie in Anspruch und erlebte diese als sehr hilfreich im Umgang mit der Gewichtszunahme.

Ihr Frauenarzt reagierte mit großer Selbstverständlichkeit auf ihre Schwangerschaft und sie fühlte sich von ihm sehr gut unterstützt.

Anna ging davon aus, dass ihr Kind per Kaiserschnitt entbunden werden würde. Gegen Ende der Schwangerschaft meinte ihr Arzt aber, dass eine Spontangeburt möglich sei. Sie besuchte daraufhin noch rasch einen Geburtsvorbereitungskurs und erhielt zusätzlich einige Stunden Einzelbetreuung zur Vorbereitung auf die Geburt.

Für Anna war klar, dass der Umgang mit dem Baby aufgrund ihrer Bewegungseinschränkungen teilweise schwierig werden würde. Sie traf aber während der Schwangerschaft noch keine speziellen Vorkehrungen. Sie entschied sich zunächst abzuwarten, wo sich die Schwierigkeiten tatsächlich zeigen würden und dann entsprechend zu reagieren. Sie vertraute auch auf die Unterstützung ihres familiären Umfeldes.

Insgesamt erlebte Anna die Schwangerschaft als sehr schöne Zeit, geprägt von der Vorfreude auf ihr Kind. Sie war überrascht, dass es ihr körperlich überwiegend gut ging: "... und es haben mich auch irrsinnig viele Leute von verschiedensten Seiten doch wahnsinnig gut unterstützt und mir eben Hände gereicht und mich weitergereicht."

Für Anna war klar, dass sie ihr Kind im Landeskrankenhaus (LKH) zur Welt bringen wollte. Aufgrund ihrer besonderen Situation war es ihr wichtig, dass gegebenenfalls alle medizinischen Möglichkeiten zur Verfügung stünden. Durch ihren Arzt und den Geburtsvorbereitungskurs war sie bereits avisiert und es wurde vor der Geburt noch abgeklärt, ob ihre Muskelerkrankung das Herz betrifft bzw. ob im Falle einer Narkose irgendwelche Vorkehrungen zu treffen seien. Anna hatte den Eindruck, dass man sich gut auf sie vorbereitete.

Die Betreuung während der Geburt beschreibt sie als sehr gut und liebevoll. Sie wurde von zwei Hebammen betreut. Die Geburt gestaltete sich sehr langwierig und schwierig, aber Anna hatte immer großes Vertrauen zum Personal: "Ich habe schon das Gefühl gehabt, dass sie alles im Griff haben." Sie hat die Geburt insgesamt in positiver Erinnerung.

Durch die langwierige Geburt war Anna extrem geschwächt. Sie stellt nachträglich fest, dass die Nachwirkungen der Geburt in Zusammenhang mit ihrer Muskelerkrankung mehrere Jahre spürbar waren und dass sie erst mehr als vier Jahre später wieder in derselben körperlichen Verfassung wie am Beginn ihrer Schwangerschaft war.

Anna hatte sich schon vor der Geburt gegen Rooming-in entschieden, weil sie erwartete, dass sie zunächst eine intensivere Erholungsphase benötigen würde. Auf der Station, auf der sie untergebracht war, waren die Zweibettzimmer nicht mit eigenem Bad und WC ausgestattet, und der Weg dorthin erwies sich aufgrund ihres geschwächten Zustandes als zu weit. Nachdem sie beim ersten Versuch, das WC zu erreichen, einen Zusammenbruch erlitt, wurde Anna in ein Einzelzimmer verlegt, das mit eigenem Sanitärraum ausgestattet war. Ihr Sohn wurde von den Säuglingsschwestern versorgt. Sie konnte ihn aber ansonsten während des Tages ständig bei sich haben und genoss das Zusammensein sehr. Die Betreuung auf der Station beschreibt sie als sehr aufmerksam und wäre gerne einige Tage länger im Krankenhaus geblieben, konnte aber den Aufenthalt nur um einen Tag auf fünf Tage verlängern.

Insgesamt erlebte Anna die Zeit nach der Geburt überwiegend positiv. Sie war sich der Tatsache bewusst, dass sie viel Unterstützung benötigen würde, nahm ihre schlechte körperliche Verfassung als Gegebenheit an und war zuversichtlich, für alle anstehenden Probleme eine Lösung zu finden.

In der ersten Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt konnte Anna ihren Sohn weder heben noch tragen. Tragen und Heben sind für sie aufgrund ihrer Muskelerkrankung grundsätzlich problematisch. Aufgrund der Nachwirkungen der Geburt war sie nun für einige Zeit zu gar nichts in der Lage: "Ich habe mich selbst kaum schleppen können und mit dem Andreas war das dann ganz unmöglich." Zunächst übernahm ihr Partner überwiegend die Pflege des Babys. Nach einiger Zeit war es Anna dann möglich, ihren Sohn in einem Stubenwagen oder Gitterbett mit Rollen durch die Wohnung zu schieben und selbst z. B. auf den Wickeltisch zu heben. Sie berichtet, dass es für ihren Sohn dabei ganz selbstverständlich war, dass sie ihn anders anfasste und hielt als andere Personen. Für viele Tätigkeiten benötigte sie aber Unterstützung. So war es ihr auch nicht möglich, das Kind von der Wohnung zum Auto zu tragen oder einen Kinderwagen ins Auto zu heben. In solchen Situationen halfen Nachbarinnen oder Freundinnen, die sie auch teilweise zu Terminen z. B. zum Kinderarzt begleiteten.

Einige Monate nach der Geburt ihres Sohnes kam es zur Trennung vom Partner. Anna organisierte für sich ein Hilfesystem, das ihren Bedürfnissen entsprach. Ihre Familie wohnte relativ weit entfernt und konnte sie daher nur punktuell unterstützen. Für Anna war sehr bald klar, dass sie den größten Teil ihrer Unterstützung über bezahlte Assistenz organisieren wollte: "... weil ich nicht nur mit Leuten arbeiten wollte, die einfach das nur aus Freundschaft und Nachbarschaft und gutem Willen machen, sondern ich wollte einfach auch das so machen, damit das ganz klar ist, dass ich auch sagen kann, was ich nicht möchte oder was ich möchte und damit ich mir auch die Leute aussuchen kann." Weiters war ihr wichtig, dass die Assistenzpersonen jeweils für einen längeren Zeitraum zur Verfügung standen, damit ihr Sohn keine zu häufigen Wechsel erlebte. Sie setzte bewusst auch Männer als Babysitter oder für die Pflege des Kindes ein, damit ihr Sohn immer ausreichende Kontakte zu beiden Geschlechtern hatte. Assistenzpersonen fand Anna über die Caritas-Schule und über das Projekt "Wohnen für Hilfe" des Generationenreferates der Hochschülerschaft.

Als ihr Sohn Laufen lernte, stellte sich für Anna das Problem einer Beaufsichtigung außer Haus. Sie kann zwar ohne Hilfsmittel gehen, dies aber nur relativ langsam. Anna hat generell Probleme mit bewegungsintensiven Aktivitäten, und sie hätte ihrem Sohn nicht nachlaufen können. In einem Gespräch mit einem Sozialarbeiter erfuhr Anna, dass sie vom Sozialamt des Magistrates einen finanziellen Zuschuss für eine Assistenzperson für ihren Sohn erhalten könne. Anna bezieht diesen Zuschuss auch zum Zeitpunkt des Interviews noch und deckt damit teilweise die Kosten für eine Assistentin, die - seit ihr Sohn laufen kann - vor allem Aktivitäten außer Haus mit ihm unternimmt und zu der er eine sehr enge Beziehung entwickelt hat.

Insgesamt berichtet Anna, dass die Kosten für ihre Assistenz sehr hoch waren und in der intensivsten Zeit bis zu 580,-- Euro monatlich betrugen. Etwa ein Drittel davon wurde durch den Zuschuss des Sozialamtes abgedeckt, ein Teil durch die Alimente, den Rest brachte sie selbst auf. Sie sagt, dass ihre finanzielle Situation dadurch zeitweise schwierig war: "... aber das war mir auch klar, wenn ich Qualität will und wenn ich dafür zahlen muss, dann kostet das eine Zeitlang was ... Aber das wird dann immer weniger, je selbständiger der Andreas wird und je weniger Assistenz wir dann brauchen."

Anna kann sich an keine speziellen Reaktionen der Umwelt darauf erinnern, dass sie als behinderte Frau ein Kind hat. Sie führt dies darauf zurück, dass ihre Behinderung nicht so offensichtlich ist und dass sie außer Haus sehr häufig mit Assistenz unterwegs war.

Wenn sie mit ihrem Sohn und einer Begleitperson Termine z. B. beim Kinderarzt wahrnahm oder ins Krankenhaus musste, fühlte sich Anna als Mutter immer voll akzeptiert.

Allgemein ist sie aber der Ansicht, dass die Einstellung zu behinderten Frauen als Partnerin oder Mutter eher negativ ist.

Rückblickend meint Anna, dass sie sehr viel Eigeninitiative entwickeln und viel Organisationsarbeit leisten musste, um ein funktionierendes Unterstützungssystem aufzubauen und aufrecht zu erhalten. Ein geordneteres Angebot von Assistenzleistungen bzw. -personen wäre für sie hilfreich gewesen. Weiters wäre eine größere finanzielle Unterstützung für ihren hohen Assistenzbedarf aufgrund ihrer Mutterschaft notwendig.

Insgesamt meint sie, dass die Lebensbedingungen für behinderte Menschen in einer großen Stadt, noch dazu mit einer großen Anzahl von Studierenden, in jedem Fall besser sind, als z.B. im ländlichen Raum. In der Stadt werde generell mehr für behinderte Menschen getan und es sei leichter, Assistenzpersonen zu finden. Davon habe auch sie sehr profitiert.

Sie meint auch, dass Mütter beim ersten Kind generell viel Unterstützung haben sollten und Mütter mit einer Behinderung noch verstärkt. Dabei müssen aber die Bedürfnisse von Mutter und Kind im Vordergrund stehen und die Unterstützung darf nicht zur Einmischung führen.

Abschließend sagt Anna, dass ihr immer bewusst gewesen sei, dass es für sie nicht einfach sein würde, ein Kind großzuziehen, und dass sie sich ganz bewusst dafür entschieden habe: "... und ich würd auch sagen, es geht schon, also auf alle Fälle."

7.3.2.2. Birgit

Birgit ist zum Zeitpunkt des Interviews 37 Jahre alt. Sie hat zwei Kinder, einen Sohn im Alter von 15 und eine Tochter im Alter von 12 Jahren. Birgit ist von Geburt an blind. Der Vater der Kinder, von dem sie seit mehreren Jahren getrennt lebt, ist ebenfalls blind. Sie ist Alleinerzieherin und lebt mit ihren Kindern in gemeinsamem Haushalt. Birgit ist zum Zeitpunkt des Interviews Hausfrau. Aufgrund ihrer Behinderung erhält sie nach dem Tod ihres Vaters eine Halbwaisenrente von der Betriebskrankenkasse des Unternehmens, in dem ihr Vater beschäftigt war. Weiters erhält sie Pflegegeld der Stufe 4.

Birgit hatte bereits als Jugendliche den starken Wunsch nach einer eigenen Familie und mehreren Kindern und war auch immer zuversichtlich, dieser Aufgabe gewachsen zu sein. Sie sprach darüber nur im Freundeskreis, wurde dort jedoch nicht ernst genommen. Dies führt sie aber darauf zurück, dass sie ihren Kinderwunsch nach außen hin immer eher scherzhaft formulierte. In ihrer Familie und in den Sonderschulen, die sie besuchte, wurde das Thema nie direkt angesprochen.

Die erste Schwangerschaft kam ungeplant, und Birgit erlebte die Feststellung zunächst als Schock. Sie befand sich in einer Ausbildung und bezeichnet sich und ihren Partner zu diesem Zeitpunkt als noch nicht reif für eine eigene Familie. Eine Abtreibung kam für sie jedoch nie in Frage, und der Schock wurde sehr schnell von großer Vorfreude auf das Kind abgelöst. Ihre Gefühle während der ersten Schwangerschaft beschreibt Birgit als vor allem stolz und vorfreudig.

Birgits Mutter reagierte zunächst ebenfalls schockiert auf die Mitteilung, akzeptierte aber dann die Entscheidung für das Kind und unterstützte die Tochter in der Folge vor allem nach der Geburt des Kindes.

Über Reaktionen auf ihre erste Schwangerschaft berichtet Birgit vor allem von Passantinnen oder Passanten, die überwiegend negative Bemerkungen machten. Allerdings wurde sie nie direkt angesprochen, sondern hörte jeweils, wie über sie gesprochen wurde. Sie führt diese Reaktionen darauf zurück, dass sie wesentlich jünger wirkte, als sie zu diesem Zeitpunkt war und dass die Kombination von jugendlichem Aussehen, Blindheit und sichtbarer Schwangerschaft zu mehr Reaktionen führte. Über ihre Empfindungen sagt sie, dass ihre Vorfreude auf das Kind so groß war, dass solche Negativreaktionen sie kaum berührten.

Direkte Ablehnung erlebte Birgit anlässlich ihrer zweiten Schwangerschaft. Eine Bankangestellte forderte sie während der Abwicklung ihrer Geldangelegenheiten am Schalter wiederholt auf, das Kind abzutreiben. Dies wurde für Birgit so belastend, dass sie die Bankfiliale wechselte. Auch eine nähere Bekannte reagierte auf die zweite Schwangerschaft ablehnend. In beiden Fällen wurden die Reaktionen damit begründet, dass Birgits Lebenssituation bereits mit einem Kind schwierig sei. Birgit meint dazu, dass alltägliche Schwierigkeiten, wie sie in ähnlicher Form wahrscheinlich alle Mütter mit ihren Kindern haben, in ihrem Fall überbewertet wurden. So wurde die Tatsache, dass sich ihr Sohn zeitweise dagegen wehrte, durch einen Laufgurt am Weglaufen gehindert zu werden, während Birgit ihre Geldangelegenheiten erledigte, von der Bankangestellten dahingehend gedeutet, dass das Kind unter der Behinderung der Mutter leide.

Birgit übersiedelte während der ersten Schwangerschaft an den Wohnort ihres Partners und lebte dort mit ihm zusammen. Ihr Partner hatte zwar eine abgeschlossene Ausbildung, fand aber keine Arbeitsstelle. Die finanzielle Situation der Familie war immer schwierig. Birgit erhielt nach dem Tod ihres Vaters eine Halbwaisenrente. Diese reichte aber nicht für den Lebensunterhalt aus, sodass auch das Pflegegeld zur Deckung der Lebenshaltungskosten herangezogen werden musste. Birgits Partner unterstützte sie im Alltag kaum, wodurch sie in der Bewältigung aller familiären Aufgaben und in allen Entscheidungen überwiegend auf sich allein gestellt war. Unmittelbar nach der Geburt des zweiten Kindes kam es zur Trennung.

Birgit erlebte die Betreuung während ihrer beiden Schwangerschaften sehr unterschiedlich. Der Gynäkologe, der ihre erste Schwangerschaft feststellte, bot ihr zunächst - angesichts ihrer offensichtlich schockierten Reaktion - eine Abtreibung an. Als Birgit dies entschieden ablehnte, unterstützte er ihre Entscheidung und ging auch während der Untersuchungen gut auf sie ein. Er beschrieb die Ultraschallbilder genau und ließ sie die Herztöne des Kindes hören. Birgit meint dazu, dass sie diese Untersuchungen sehr genossen habe und deshalb von der Betreuung während ihrer zweiten Schwangerschaft eher enttäuscht gewesen sei. Der betreuende Gynäkologe ging nicht näher auf ihre Bedürfnisse ein und beschränkte sich bei den Untersuchungen auf die Feststellung, dass alles in Ordnung sei.

Die Ursache von Birgits Erblindung ist medizinisch nicht vollständig geklärt; eine genetische Ursache wird vermutet und eine Wahrscheinlichkeit einer Weitervererbung von 50 % wurde nur geschätzt. Eine pränataldiagnostische Untersuchung wurde ihr von keinem der betreuenden Gynäkologen nahe gelegt.

Birgit hatte bereits vor ihrer ersten Schwangerschaft Erfahrungen im Umgang mit Säuglingen und fühlte sich daher im Hinblick auf die Versorgung ihres Kindes sicher. Während der ersten Schwangerschaft nahm sie keine Angebote für Schwangere in Anspruch.

Während der zweiten Schwangerschaft besuchte sie eine Gymnastik- und Schwimmgruppe für Schwangere, die von der Hebamme betreut wurde, die später die Geburt des zweiten Kindes begleitete. Birgit benötigte dabei teilweise zusätzliche Erklärungen und Anleitung für die Übungen. Diese erhielt sie sowohl von der Hebamme als auch von anderen Teilnehmerinnen und sie fühlte sich in der Gruppe gut integriert.

Vor der Geburt ihres ersten Kindes hatte Birgit nur zu einer ebenfalls blinden Mutter Kontakt. Diese gab ihr einige Hinweise, vor allem zur Zubereitung von Flaschennahrung. Ansonsten suchte Birgit keine speziellen Informationen zur Alltagsorganisation als blinde Mutter.

Zur Geburt des ersten Kindes ging Birgit in die Frauenklinik des Landeskrankenhauses. Sie nahm an, dass dies die einzige Möglichkeit für sie sei, da sie keine private Krankenversicherung hatte. Vor der Geburt hatte sie keinen Kontakt zur Klinik, wusste auch nichts über die Möglichkeit der Voranmeldung für Rooming-in. Birgit meint dazu, dass sie während ihrer ersten Schwangerschaft durch den Umzug an den Wohnort ihres Partners so in Anspruch genommen wurde, dass ihr nur wenig Freiraum blieb, sich auf die Geburt und die Zeit mit dem Kind vorzubereiten.

Die Erfahrungen während der Geburt des ersten Kindes bezeichnet Birgit als traumatisch. Sie fühlte sich im Kreißsaal durch die häufig wechselnden Personen, die sie nicht zuordnen konnte, weil die Begegnungen zu kurz waren, um sich die Stimmen einzuprägen, stark verunsichert: "Die Hebamme stellt sich einmal kurz vor und dann kommen immer verschiedene Leute. Ich habe nie gewusst, wer ist wer." Da die Geburt zunächst nicht in Gang kam, verbrachte Birgit relativ lange Zeit mit nur geringen Wehen im Kreißsaal. Sie erlebte es als sehr belastend, in dieser Zeit andere Geburten mit anzuhören und berichtet von ständig wachsender Angst. Um den Geburtsverlauf zu beschleunigen, wurde schließlich gegen Birgits Willen die Fruchtblase geöffnet. Danach wurden die Wehen überstark, Birgit lehnte wehenhemmende Medikamente aber ab. Nach der Geburt kam es zu einer schwerwiegenden Komplikation aufgrund eines Blutsturzes. Birgits Hinweis auf die starke Blutung wurde von der Person, an die sie ihn richtete - "Ich glaube es war eine Schwester." - zunächst nicht ernst genommen. Als sie das Personal auf sich aufmerksam machen konnte, war die Situation bereits lebensbedrohlich.

Im Vergleich zur Situation im Kreißsaal erlebte Birgit die Betreuung auf der Neugeborenenstation wesentlich positiver. Die meisten Schwestern waren bereit, auf ihre speziellen Bedürfnisse einzugehen. Birgit empfand es als natürlich, ihre Bedürfnisse mitzuteilen und dem Personal teilweise zu erklären, wie sie am besten unterstützt werden kann. Sie litt allerdings sehr unter der Trennung von ihrem Kind, da auf dieser Station die Neugeborenen den Müttern nur zum Stillen gebracht wurden. Lediglich vor der Entlassung wurden die Mütter jeweils einmal zum Baden und Wickeln ins Kinderzimmer gerufen. Birgit wurde aufgrund ihrer Blindheit mehrmals gerufen. Die Säuglingsschwester gab ihr aber nicht die Möglichkeit, ihr Kind unter Aufsicht selbst zu versorgen, sondern Birgit stand nur dabei, während die Säuglingsschwester ihr Kind badete und wickelte. Da Birgit sich in diesen Tätigkeiten aufgrund von Vorerfahrungen sicher fühlte und zudem wusste, dass ihre Mutter in den ersten Wochen nach der Entlassung bei ihr sein würde, unternahm sie nichts gegen diese Vorgangsweise.

Die Zeit nach der Entlassung aus dem Krankenhaus war zunächst von Birgits körperlicher Schwäche aufgrund der Komplikationen nach der Geburt geprägt. So verlor sie in den ersten Wochen während des Stillens mehrmals das Bewusstsein. Birgits Mutter blieb drei Monate bei ihr.

Aufgrund ihrer Erfahrungen im Krankenhaus entschied sich Birgit bei ihrem zweiten Kind für eine Hausgeburt. Sie nahm schon früh Kontakt zur betreuenden Hebamme auf. Sie beschreibt ihr Verhältnis zur Hebamme als sehr vertrauensvoll und die zweite Geburt als überwiegend positive Erfahrung. Die Hebamme zeigte sich bereits vor der Geburt sehr interessiert daran, wie Birgit ihren Alltag organisierte. Birgit meint, dass die Hebamme dadurch auch in der Nachbetreuung sehr gut auf ihre Bedürfnisse und Möglichkeiten eingehen konnte.

Nach der Geburt des zweiten Kindes war Birgits Mutter für zehn Tage bei ihr und übernahm alle Tätigkeiten im Haushalt. Birgits älterer Sohn war für einige Tage bei einer Bekannten untergebracht. Birgit berichtet, dass sie aufgrund dieser Entlastung die ersten Tage mit ihrem Neugeborenen sehr intensiv genießen konnte. Da es ihr aber sehr wichtig war, zum Zeitpunkt der Abreise ihrer Mutter wieder "alles im Griff" zu haben, forderte sie diese nach einigen Tagen auf, ihr den Haushalt allmählich wieder zu überlassen.

Im Hinblick auf weitere Erfahrungen im medizinischen Bereich berichtet Birgit von einer guten Gesprächsbasis mit dem Kinderarzt. Sie fühlte sich als Mutter ernst genommen und erlebte, dass ihr der Arzt viel Anerkennung zeigte für ihre Bemühungen, auch angesichts einer schwierigen Familiensituation und ihrer Behinderung zurechtzukommen.

Als Birgit bei einer Erkrankung ihrer Kinder einmal nachts einen Notarzt benötigte, war dieser mit der Situation, eine blinde alleinerziehende Mutter vor sich zu haben, völlig überfordert. In der Folge entstand eine Art Dreieckskommunikation. Der Arzt wandte sich ausschließlich an Birgits damals dreieinhalbjährigen Sohn, während Birgit jeweils antwortete bzw. Fragen stellte. Birgit erlebte diese Situation als sehr unangenehm: "ich bin mir total blöd vorgekommen." Sie fand aber keine Möglichkeit, den Notarzt dazu zu bewegen, direkt mit ihr zu sprechen.

Birgit besuchte mit beiden Kindern regelmäßig die Mütterberatung. Ihr war dabei besonders wichtig, sich zu versichern, dass sich die Kinder gut entwickelten und dass keine Krankheitssymptome vorlagen, die nur optisch erkennbar gewesen wären.

Beim ersten Kind kam es mit der Mütterberaterin zu einem Konflikt über den Zeitpunkt des Abstillens. Als Birgit auf ihrem Standpunkt, ihr Kind noch länger zu stillen beharrte, machte die Mütterberaterin eine Meldung beim Jugendamt. Daraufhin hielten zwei Mitarbeiterinnen des Jugendamtes Nachschau. Birgit berichtet über diesen Besuch, dass die Jugendamtsmitarbeiterinnen zu ihr kamen, als sie ihren Sohn gerade badete. Die beiden beobachteten sie und zeigten sich sehr verwundert. Als Birgit nachfragte, erklärten sie, ihnen sei gemeldet worden, dass das Kind unterernährt sei und schlecht gepflegt werde. Ihrer Ansicht nach treffe aber beides nicht zu. Birgit schilderte den Konflikt mit der Mütterberaterin und die Jugendamtsmitarbeiterinnen konstatierten, dass es sich hier wohl um einen Machtkampf gehandelt haben dürfte. Es kam auch später zu keiner weiteren Kontrolle.

Mit ihrem zweiten Kind besuchte Birgit eine Gruppe für Mütter mit Kleinkindern. Von der Gruppenleiterin wurde Birgits Teilnahme sehr begrüßt: sie meinte, unterschiedliche Lebens- und Sichtweisen einzubringen, sei ein Gewinn für die ganze Gruppe. Teilweise unterstützte die Leiterin selbst Birgit bei Bewegungsspielen mit den Kindern, teilweise nahmen andere Mütter Birgits Tochter mit und übernahmen oft auch selbstverständlich die Beaufsichtigung. Ein Teil der anderen Teilnehmerinnen ging sehr unbefangen auf Birgit zu, einige verhielten sich sehr distanziert. Schwierigkeiten hatte Birgit in Situationen, wo die Kinder frei spielten und die Mütter sich unterhielten. Sie konnte ihr Kind im allgemeinen Lärm nicht hören und war sich nicht sicher, ob andere Mütter ihr Kind mit beaufsichtigten. Birgit fühlte sich aber insgesamt gut in dieser Gruppe integriert.

Im Alltag verwendete Birgit einige wenige blindenspezifische Hilfsmittel. Sie benutzte ein Fieberthermometer mit tastbarer Anzeige und eine sprechende Personenwaage, auf die sie sich einmal mit und einmal ohne Baby stellte, um die Gewichtszunahme zu kontrollieren.

Schwierigkeiten bereitete ihr die richtige Dosierung von Medikamenten, vor allem flüssiger Antibiotika. Die meist in den Verpackungen enthaltenen Messlöffel sind sehr flach und daher für blinde Menschen schwer zu handhaben. Birgit suchte daher zunächst nach passenden kleinen Gefäßen, bis sie die Idee hatte, die notwendige Menge in einer passenden Einwegspritze aufzuziehen.

Um Kinderkleidung farblich auseinander halten zu können, hatte Birgit ein fixes Ordnungssystem. Sie berichtet aber auch, dass ihre Kinder sehr früh Farben benennen konnten und ihr dann die Farbe von Kleidungsstücken sagten.

Bilderbücher ließ sich Birgit jeweils von sehenden Personen beschreiben und kennzeichnete sie dann mit Brailleschriftvermerken.

Ein großes Problem war für Birgit die Beaufsichtigung ihrer Kinder außerhalb der Wohnung. Bis zum Alter von etwa zweieinhalb Jahren führte sie ihre Kinder an der Hand oder mit Hilfe eines Laufgurtes. Da es Birgit sehr schwer fiel, am Spielplatz andere Mütter zu bitten, ihre Kinder mit zu beaufsichtigen, und sie es auch dort nicht wagte ihre Kinder loszulassen, ging sie mit ihnen auf alle Spielgeräte. Eine gewisse Entlastung brachte die Idee, kleine Glöckchen an der Kleidung der Kinder zu befestigen. Trotzdem kostete es Birgit große Überwindung, ihre Kinder loszulassen. Birgit ist der Meinung, dass ihre Kinder nicht sonderlich darunter litten, lange an der Hand bzw. am Laufgurt gehalten zu werden, weil sie dies gewohnt waren. Außenstehende aber meinten manchmal, dass die Kinder darunter leiden müssten. Birgit ging schließlich dazu über, ihren Kindern jeweils die Situation und mögliche Gefahrenquellen zu erklären und Regeln aufzustellen, wie weit sie sich entfernen durften, bevor sie sie gehen ließ. Während ihr Sohn diese Regeln weitgehend befolgte, lief die jüngere Tochter häufig weg und aus Birgits Schilderung wird deutlich, dass diese Situationen für sie sehr schwierig und mit großen Ängsten verbunden waren. Trotzdem bat sie nur dann um Hilfe, wenn sie die Situation wirklich nicht mehr selbst bewältigen konnte.

Ein weiteres großes Problem - angesichts der angespannten finanziellen Situation der Familie - war für Birgit, bei Einkäufen keine Preisvergleiche anstellen zu können und bei der Wahl zwischen preislich unterschiedlichen Produkten von den Informationen des Verkaufspersonals abhängig zu sein. Sie hatte häufig den Eindruck, dass man ihr bewusst teurere Artikel gab.

Spezielle Angebote für behinderte Menschen konnte Birgit nur sehr eingeschränkt nutzen. So wusste sie zwar von der Möglichkeit einer Urlaubsbegleitung, konnte diese aber nicht finanzieren. Teilweise nutzte sie einen speziellen Taxidienst für behinderte Menschen. Für die Erfordernisse einer Familie mit kleinen Kindern, wie z. B. kurzfristig notwendige Arztbesuche, war dieser Dienst jedoch zu wenig flexibel, da jede Fahrt mehrere Tage im Voraus angemeldet werden musste.

Birgit hatte sehr gute Kontakte zu anderen Familien mit gleichaltrigen Kindern in ihrer Nachbarschaft. Sie konnte sich an mehrere Nachbarinnen um Hilfe - z. B. beim Verabreichen von Medikamenten oder beim Vorlesen von Poststücken - wenden. Für Birgit war es gut möglich, auch die Kinder der Nachbarinnen in ihrer Wohnung zu beaufsichtigen. Das Gefühl, nicht nur die Empfängerin von Hilfeleistungen zu sein, war für sie sehr wichtig. Vereinzelt kam es auch zu gemeinsamen Freizeitaktivitäten.

Zu Familien mit ebenfalls blinden Elternteilen hatte Birgit nur wenig Kontakt. Sie bedauert vor allem, keine blinde Mutter in einer ähnlichen Lebenssituation als Alleinerzieherin gekannt zu haben.

Allgemein erlebte Birgit Umweltreaktionen auf ihre Mutterschaft überwiegend als bewundernd. Negativreaktionen sieht sie persönlich eher als Einzelfälle. Sie beobachtete aber auch, dass sie z. B. bei Behörden nur dann wirklich für voll genommen wurde, wenn sie ohne sehende Begleitung dort war.

In einem Medienbericht wurde Birgit als "Alltagsheldin" dargestellt. Diese Darstellung und die darauf folgenden Reaktionen erlebte sie als belastend, weil sie nicht mit ihrer eigenen Sicht ihrer Lebenssituation übereinstimmten. Über ihre Einschätzung der generellen Haltung der Umwelt zur Mutterschaft behinderter Frauen sagt Birgit, es sei gesellschaftlich nicht erwünscht, werde aber toleriert, wenn die behinderte Frau ihren Alltag bewältige.

Birgit hatte immer große Schwierigkeiten, auf andere zuzugehen und um Hilfe zu bitten. Sie befürchtete, anderen zur Last zu fallen und in der Folge die Unterstützung zu verlieren, vor allem, wenn sie sich häufiger an dieselbe Person wenden musste. Rückblickend stellt sie fest, dass sie sich damit häufig überfordert hat. Es wäre in vielen Situationen besser gewesen, frühzeitig um Hilfe zu bitten, anstatt erst zu einem Zeitpunkt, wo sie selbst keinen Ausweg mehr sah.

Birgit hatte keine adäquaten Informationen über Unterstützungsmöglichkeiten öffentlicher Stellen. Sie ging auch grundsätzlich davon aus, dass Hilfe von außen für sie nicht finanzierbar sei und suchte daher auch nicht gezielt nach Informationen.

In der Beziehung zu ihren Kindern ist für Birgit besonders wichtig, dass diese durch ihre Blindheit möglichst wenige Einschränkungen erleben. Sie zieht ihre Kinder deshalb so wenig wie möglich zu Hilfeleistungen heran. Auch Urlaubsreisen unternahm sie bereits, als ihre Kinder noch relativ klein waren, und beschreibt derartige Aktivitäten als für sie teilweise abenteuerlich.

Als Wünsche für eine Verbesserung ihrer Situation nennt Birgit die Möglichkeit von Begleitdiensten und weitreichendere Finanzierung von Hilfsmitteln durch öffentliche Stellen auch für nicht Berufstätige. So hätte ein für blinde Benutzer adaptierter PC mit der Möglichkeit, gedruckte Texte zu scannen und in Brailleschrift oder Sprache umzusetzen, für sie eine erhebliche Erleichterung beim Umgang mit Poststücken bedeutet und auch ihren Zugang zu Informationen verbessert.

Weiters hätte sich Birgit Kontakte zu blinden Frauen in einer ähnlichen Lebenssituation gewünscht.

Insgesamt beurteilt Birgit ihre Lebenssituation als blinde Mutter als eher schwierig. Allgemein ist sie der Auffassung, dass eine intakte Partnerbeziehung und ein gut organisiertes Hilfesystem sehr wichtig sind, damit eine blinde Frau die Anforderungen der Mutterrolle bewältigen kann.

7.3.2.3. Carmen

Carmen ist zum Zeitpunkt des Interviews 32 Jahre alt. Sie hat einen Sohn im Alter von zweieinhalb Jahren. Carmen ist von Geburt an blind und leidet zusätzlich an einer Stoffwechselstörung, von der vor allem Haut, Haare, Nägel und Schleimhäute betroffen sind. Der Vater ihres Sohnes, von dem sie getrennt lebt, ist ebenfalls blind. Carmen ist Alleinerzieherin, hat eine eigene Wohnung, lebt zum Zeitpunkt des Interviews mit ihrem Sohn aber überwiegend im Haus ihrer Eltern. Sie ist zu dieser Zeit noch in Karenz, steht aber wenige Wochen vor dem Wiedereinstieg in ihren Beruf. Sie erhält Pflegegeld der Stufe 4.

Carmen hatte als Jugendliche den starken Wunsch nach einer Familie und eigenen Kindern. Sie tauschte sich mit Freundinnen häufig darüber aus und erhielt dort viel Zustimmung. Ihre Familie, vor allem ihre Mutter, sprach sich immer dagegen aus. Ihre Mutter begründete dies mit der Angst vor einer möglichen Behinderung des Kindes, da die Ursache von Carmens Behinderung nicht geklärt war und eine Wahrscheinlichkeit der Vererbung von 50 % geschätzt wurde.

Als Carmen den Verdacht hatte, schwanger zu sein, befand sie sich gerade in der Trennungsphase von ihrem Partner. Sie wollte die Schwangerschaft zunächst nicht wahrhaben und zögerte die Feststellung lange hinaus. Als die Schwangerschaft dann festgestellt wurde, freute Carmen sich zwar auf das Kind, fürchtete aber die Reaktion ihrer Familie. Diese fiel zunächst auch tatsächlich sehr ablehnend aus. Carmens Mutter drängte auf eine Abtreibung. Carmen berichtet dazu, dass sie von Beginn an überzeugt war, ihr Kind behalten zu wollen und dass sie sich auch intensiv mit der Möglichkeit der Weitervererbung ihrer Behinderung auseinandergesetzt habe. Sie entschied für sich, dass sie eine Behinderung des Kindes akzeptieren würde, und lehnte eine Abtreibung klar ab. Auch die Aussicht auf ein Leben als Alleinerzieherin beunruhigte sie nicht sehr. Ihre Familie akzeptierte diese Entscheidung und im Verlauf der Schwangerschaft überwog zunehmend die Vorfreude auf das Kind.

Carmens Freundeskreis nahm die Schwangerschaft durchwegs sehr positiv auf. Insbesondere ein sehbehinderter Freund, der selbst Vater ist, bemühte sich, Carmen in der Auseinandersetzung mit ihrer Familie zu unterstützen.

Carmens Arbeitskolleginnen äußerten vor allem Zweifel, wie sie ein Kind versorgen und beaufsichtigen könne. Carmen meint dazu, dass es für ihre Kolleginnen generell schwierig war sich vorzustellen, wie man als blinde Frau den Alltag bewältigt, z. B. seinen Haushalt führt.

Carmen besuchte keinen Geburtsvorbereitungskurs. Sie hatte mit ihren jüngeren Geschwistern bereits Erfahrungen in der Säuglingspflege gesammelt und fühlte sich darin sicher. Da auch relativ bald während der Schwangerschaft feststand, dass das Kind mit Kaiserschnitt entbunden werden sollte, schien Schwangerengymnastik nicht sinnvoll. Auf Anraten ihres Arztes ging Carmen regelmäßig in ein Thermalbad schwimmen.

Sie hatte in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis mehrere Familien mit blinden oder sehbehinderten Elternteilen und informierte sich bei ihnen über spezielle Hilfen und Techniken beim Umgang mit ihrem Kind.

Da sich Carmen schon immer für alles interessiert hatte, was im Zusammenhang mit Schwangerschaft, Geburt und Kindern steht, fühlte sie sich zu diesen Themen schon sehr gut informiert.

Carmen hatte mehrere Jahre vor ihrer Schwangerschaft eine genetische Beratung in Anspruch genommen. Da die Ursache ihrer Behinderung dabei nicht festgestellt werden konnte, wurde eine Wahrscheinlichkeit der Weitervererbung von 50 % lediglich geschätzt.

Die Betreuung während der Schwangerschaft durch ihren Gynäkologen erlebte Carmen sehr positiv. Er unterstützte ihre Entscheidung für das Kind und bestärkte sie auch darin, ihren Standpunkt gegenüber ihrer Mutter zu vertreten. Während der Untersuchungen beschrieb er ihr die Ultraschallbilder genau. Er lehnte eine pränataldiagnostische Untersuchung, die Carmens Mutter vorgeschlagen hatte, ab, da er anhand der Vorsorgeuntersuchungen keinen Anlass dafür sah.

Im letzten Drittel der Schwangerschaft nahmen die durch Carmens Stoffwechselstörung bedingten Entzündungen von Haut und Schleimhäuten stark zu. Ihr Arzt befürchtete deshalb Komplikationen bei einer Spontangeburt und plädierte für einen geplanten Kaiserschnitt.

Der Arzt bereitete auch das Personal der Entbindungsstation auf Carmens Kommen vor und sie konnte die Station vor der Entbindung besichtigen.

Carmen war es sehr wichtig, die Geburt ihres Kindes - trotz Kaiserschnitt - so intensiv wie möglich mitzuerleben, und sie entschied sich daher für eine Lokalanästhesie. Ihre Mutter begleitete sie zur Entbindung und beschrieb ihr alle Vorgänge.

Auf der Entbindungsstation fühlte sich Carmen ebenfalls sehr gut betreut. Sie erhielt ein Zimmer gegenüber dem Kinderzimmer, sodass sie auf der Station keine weiten Wege zurücklegen musste. Sie hatte ihr Kind tagsüber immer bei sich. Auf dieser Entbindungsstation versorgen die Mütter ihre Kinder nach anfänglicher Anleitung durch die Säuglingsschwester weitgehend selbst. Carmen erklärte der Säuglingsschwester, dass sie ihren Sohn beim ersten Mal gleich selbst, aber unter deren Aufsicht baden wollte, da ihr das Zuschauen nichts bringe. Aufgrund Carmens Vorerfahrungen stellte die Schwester rasch fest, dass sie weder Hilfe noch Beaufsichtigung brauche. Sie versorgte ihren Sohn ab dem zweiten Tag nach der Entbindung selbständig.

Die Reaktionen auf ihre Mutterschaft hat Carmen als überwiegend positiv erlebt. Sie fühlt sich beim Kinderarzt und bei Behördenwegen auch dann als Mutter ernst genommen, wenn sie in Begleitung sehender Personen dort ist. Sie stellt aber auch fest, dass bei vielen Menschen großer Erklärungsbedarf besteht, wie sie ihren Alltag als Mutter bewältigt.

Carmen lebte seit der Geburt ihres Sohnes überwiegend im Haus ihrer Eltern und erhielt benötigte Hilfestellungen ausschließlich von Familienmitgliedern. Dazu zählten das Abmessen von Mengen für die Zubereitung von Flaschennahrung und Brei, Verabreichen von Medikamenten und Fingernägel schneiden, außerdem Begleitung bei ÄrztInnenbesuchen oder Behördenwegen.

Sie besuchte keine speziellen Angebote für Mütter mit Kleinkindern und hat zum Zeitpunkt des Interviews noch keine Kontakte mit Familien mit Kindern im gleichen Alter und nicht behinderten Eltern. Da sich das Haus ihrer Eltern im ländlichen Raum befindet, sieht sie keine Notwendigkeit, gezielt Spielplätze zu besuchen. Außerdem ist sie bei Unternehmungen jeweils darauf angewiesen, von Familienmitgliedern im Auto mitgenommen zu werden. Ab dem zum Zeitpunkt des Interviews kurz bevorstehenden Wiedereinstieg in ihren Beruf wird Carmen mit ihrem Sohn wieder in ihrer eigenen Wohnung in der Bezirkshauptstadt, in der sie ihre Arbeitsstelle hat, leben. Ihr Sohn wird bei einer Tagesmutter betreut und sie rechnet damit, dass sich dann auch Kontakte zu anderen Familien mit Kindern in ihrem Wohnumfeld entwickeln werden.

In ihrem Freundeskreis hat Carmen mehrere Familien mit sehbehinderten oder blinden Elternteilen. Da diese alle weiter entfernt wohnen, läuft der Kontakt über wechselseitige Besuche.

Carmen hat ihre Wohnumgebung so gestaltet, dass ihr Sohn nichts erreichen kann, was er nicht haben soll. Sie achtet außerdem sehr darauf, dass ihr Sohn während des Essens beim Tisch bleibt, um sicher zu gehen, dass keine Essensreste in der Wohnung verstreut werden, die sie dann nicht leicht finden würde.

In der Umgebung ihres Elternhauses konnte Carmen auf Feldwegen mit dem Kinderwagen selbständig spazieren gehen. Seit ihr Sohn laufen kann, sichert sie ihn im Straßenbereich mit einem Laufgurt.

An technischen Hilfsmitteln verwendet sie ein Fieberthermometer mit Sprachausgabe und einen akustischen Tropfenzähler zur Dosierung von Medikamenten. Außerdem hat sie eine für blinde Benutzer adaptierte PC-Ausstattung, mit deren Hilfe sie sich auch gedruckte Texte zugänglich machen kann.

Carmen meint, dass sie von den Erfahrungen ihrer sehbehinderten und blinden Freundinnen zum Teil profitiert habe, dass manche Problemlösungen aber individuell gefunden werden müssen, weil manches von den Neigungen bzw. dem Temperament des Kindes abhängt.

Carmen ist mit ihrer aktuellen Lebenssituation sehr zufrieden und sieht zum Zeitpunkt des Interviews keine Notwendigkeit für Verbesserungen.

Ein wichtiges Thema ist für sie die Auswirkung ihrer Behinderung auf die Beziehung zu ihrem Kind. Sie betont, dass es sehr wichtig sei, dass sich das nicht behinderte Kind niemals zum Helfen verpflichtet fühlen dürfe. Außerdem vermutet sie, dass es möglicherweise gerade für eine behinderte Mutter besonders schwierig sei, ihr Kind allmählich loszulassen. Es sei daher wichtig, sich dieser Tatsache bewusst zu sein und als Mutter darauf zu achten, dass man seine Selbständigkeit nicht im Vertrauen auf die Hilfe des Kindes teilweise aufgebe.

7.3.2.4. Daniela

Daniela ist zum Zeitpunkt des Interviews 45 Jahre alt. Sie hat einen Sohn im Alter von 13 Jahren. Sie war von Geburt an sehbehindert, ihr Sehvermögen hat sich im Laufe der Zeit verschlechtert und sie bezeichnet sich heute als blind. Ihr Mann und Vater ihres Sohnes hat keine Behinderung. Sie lebt mit ihm und ihrem Sohn im gemeinsamen Haushalt in einer kleinen Gemeinde. Daniela ist voll berufstätig. Sie erhält Pflegegeld der Stufe 4.

Daniela wünschte sich bereits als Jugendliche eine Familie und eigene Kinder. Sie nahm aber an, dass sie aufgrund ihrer Behinderung keinen Partner finden würde: "Ich habe gesagt, ... ich werde sicher einmal keinen Freund kriegen, weil wer will denn schon eine nehmen, die nicht sieht." Eine Nachbarin, die für Daniela während der Pubertät eine Art mütterliche Freundin wurde, bestärkte sie in ihren Plänen und bemühte sich insgesamt sehr, ihr Selbstvertrauen zu stärken.

Als Daniela ihren jetzigen Partner kennen lernte, reagierten ihre Eltern sehr ablehnend. Es kam zu zahlreichen heftigen Auseinandersetzungen, insbesondere als sich das Paar zur Heirat entschloss, bis die Eltern die Partnerschaft akzeptierten.

Daniela und ihr Mann entschieden sich zunächst einige Jahre zu warten. bevor sie Kinder wollten. Danielas Mann war selbständig erwerbstätig und befürchtete, zu wenig Zeit für die Familie zu haben. Daniela hatte bis zu ihrer Schwangerschaft keine Informationen über die Möglichkeit der Weitervererbung ihrer Augenerkrankung, deren Ursache nicht gänzlich geklärt ist, eingeholt. Anlässlich einer Augenuntersuchung während der Schwangerschaft stellte ein Grazer Augenarzt die Vermutung auf, die Wahrscheinlichkeit der Vererbung hänge vom Geschlecht des Kindes ab und sei bei einem Mädchen höher als bei einem Buben. Ein anderer Augenarzt im Allgemeinen Krankenhaus (AKH) Wien, bei dem Daniela einige Monate später zu einer weiteren Augenuntersuchung war, widersprach dieser Aussage und meinte, es bestünde kein Vererbungsrisiko. Eine gewisse Unsicherheit bezüglich der Vererbung blieb bei Daniela jedoch bestehen. Aus diesem Grund und angesichts einer schwierigen finanziellen Situation nach dem Ende der selbständigen Erwerbstätigkeit entschieden sie und ihr Mann nach der Geburt ihres Sohnes, auf weitere Kinder zu verzichten.

Als Daniela schwanger wurde befürchtete sie, dass vor allem ihre Mutter ablehnend reagieren würde. Tatsächlich war es aber ihr Vater, der zunächst negativ reagierte, während sich ihre Mutter gleich auf das Kind freute. Ihr Vater begründete seine anfängliche Ablehnung mit Danielas Blindheit und der schwierigen finanziellen Situation des Paares. Im weiteren Verlauf der Schwangerschaft überwog aber auch bei ihm die Vorfreude auf das Enkelkind. Ansonsten reagierte Danielas Umgebung mit großer Selbstverständlichkeit auf die Schwangerschaft.

Daniela besuchte einen Kurs für Schwangerengymnastik in ihrer Heimatgemeinde. Da sie zu dieser Zeit noch kein Orientierungs- und Mobilitätstraining gemacht hatte, war sie allein nur sehr eingeschränkt mobil und konnte den Kursort nicht selbständig erreichen. Sie besprach dieses Problem mit der Hebamme, die den Kurs leitete und vereinbarte mit ihr, dass sie bis zu einem Punkt des Weges, den sie selbständig finden konnte, gehen würde und die Hebamme sie dort abholte. Während des Kurses erklärte und zeigte die Hebamme Daniela die einzelnen Übungen meist direkt. Sie konnte auf diese Weise alle Übungen gut nachvollziehen. Wenn sich die Teilnehmerinnen im Raum bewegen sollten, führten eine andere Teilnehmerin oder die Hebamme Daniela. Einige andere Kursteilnehmerinnen stellten Daniela Fragen, wie sie die Säuglingspflege und die Beaufsichtigung ihres Kindes bewältigen würde. Daniela empfand diese Fragen als ganz natürlich, erklärte manches, meinte aber auch, dass sie sich manches zu diesem Zeitpunkt selbst noch nicht vorstellen konnte. Insgesamt fühlte sie sich in diesem Kurs gut integriert.

Daniela suchte während ihrer Schwangerschaft Informationen zur Alltagsorganisation mit Kind. Vor allem beschäftigte sie die Frage, wie sie die Mengen für Flaschen- bzw. Breinahrung abmessen könnte. Sie suchte Kontakt zu anderen blinden Müttern in ihrem Bekanntenkreis, erhielt von diesen aber keine zufriedenstellenden Informationen: "Ich hab nur die Antwort gekriegt: ´Es geht eh.´"

Daniela arbeitet in einem Krankenhaus und ging zu den Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft in das dortige Ambulatorium. Ihr Mann begleitete sie jeweils und beschrieb ihr die Ultraschallbilder. Daniela wurde eine Fruchtwasseruntersuchung angeboten. Sie lehnte dies ab, weil sie und ihr Mann der Meinung waren, dass sie anhand der Ultraschallbilder ausreichende Informationen über eine mögliche Behinderung des Kindes bekämen. Daniela sagt dazu, dass sie die Schwangerschaft abgebrochen hätte, wenn sich im Ultraschall eine gravierende Behinderung des Kindes gezeigt hätte.

Zur Geburt ging Daniela ebenfalls in das Krankenhaus, in dem sie arbeitet. Sie berichtet, dass sie in der Anfangsphase der Geburt gerne auf und ab gegangen wäre, weil sie das Gefühl hatte, in der Bewegung besser mit den Wehen umgehen zu können. Weil sie die Räumlichkeiten nicht kannte, war ihr dies aber nicht möglich. Ansonsten verlief die Geburt problemlos.

Die Zeit unmittelbar nach der Geburt war bei Daniela von großen Ängsten vor den Anforderungen des Alltags mit dem Kind geprägt. Sie erlebte aber vor allem die Anleitung zum Stillen, die sie auf der Entbindungsstation erhielt, als sehr hilfreich und gewann bald an Sicherheit. Auf dieser Station wurden die Babys von den Säuglingsschwestern gewickelt und gebadet. Die Mütter erhielten lediglich vor der Entlassung eine einmalige Anleitung. Daniela fragte mehrmals, ob sie ihr Kind auch schon während des Aufenthaltes unter Anleitung baden und wickeln könne. Dies war aber nicht möglich. Daniela meint dazu, dass das Personal überlastet gewesen sei. Die Anleitung, die sie vor der Entlassung erhielt, beschreibt sie als sehr gut und hilfreich. Da ihr Sohn eine leichte Anomalie der Hüftgelenke aufwies, musste sie ihn auf eine spezielle Weise wickeln, und das Personal nahm sich deshalb viel Zeit für sie. Sie meint allerdings, dass sie sich unter Beobachtung der Säuglingsschwestern etwas befangen fühlte und zu Hause dann sicherer war.

Zu Hause suchten Daniela und ihr Mann gemeinsam nach der für Daniela besten Gestaltung des Umfeldes. Zusammen mit einer sehenden Freundin fand Daniela heraus, wie sie mit kleinen Gefäßen die Mengen für die Nahrungszubereitung richtig dosieren konnte.

In Danielas Wohnort gab es eine regelmäßige Mütterberatung. Für Daniela stellte sich hier wieder das Problem, diese zu erreichen. Sie vereinbarte schließlich mit einigen Müttern, die sie von der Schwangerengymnastik her kannte, einen Treffpunkt, den sie selbst erreichen konnte. Von dort ging sie dann in Begleitung der anderen weiter. Bei der Mütterberatung selbst war Daniela dann jeweils allein und erlebte die Kommunikation als unkompliziert. Wegen der Hüftgelenksanomalie musste Danielas Sohn zu regelmäßigen Kontrolluntersuchungen ins Krankenhaus. Dorthin fuhr Daniela jeweils in Begleitung ihres Mannes. Sie fühlte sich auch dort als Mutter voll akzeptiert und berichtet, dass das Krankenhauspersonal zwischen ihr und ihrem nicht behinderten Mann keinen Unterschied gemacht habe.

Allgemein erlebte Daniela direkte Reaktionen auf ihre Mutterschaft überwiegend bewundernd. Schwierig gestalteten sich allerdings die Kontakte zu Familien mit gleichaltrigen Kindern in ihrem Wohnort. Daniela berichtet, dass ihr andere Mütter zwar zwischendurch Hilfestellungen gaben, sich ansonsten aber eher distanziert verhielten: "Sie reden wohl mit einem, aber irgendwie können sie oft mit einem nichts anfangen, der nichts sieht." Bei gemeinsamen Aktivitäten, wie z. B. Fußballspielen der Kinder, fühlte sie sich ausgegrenzt. Sie vermeidet es daher mittlerweile, an solchen Aktivitäten teilzunehmen, wenn ihr Mann nicht auch dabei sein kann.

Besonders schmerzlich empfindet Daniela die Tatsache, dass ihre Nachbarn, die einen Sohn im gleichen Alter wie sie haben, keinen Kontakt zwischen den Kindern zuließen: "Er hat nicht dürfen mitspielen. Er hat immer zuschauen müssen, wie die Kinder spielen." Ein Grund dafür wurde Daniela oder ihrem Mann gegenüber nicht genannt.

Zu anderen Familien mit sehbehinderten oder blinden Elternteilen besteht kein regelmäßiger Kontakt.

Hilfestellungen im Alltag erhielt Daniela fast ausschließlich von ihrem Mann. Diese bezogen sich vor allem auf das Verabreichen von Medikamenten, Nägel schneiden und Begleitung zu Einkäufen und Spaziergängen. Allein konnte Daniela keine größeren Spaziergänge mit ihrem Sohn machen und auch den Spielplatz nicht erreichen, da sie die Wege nicht gut genug kannte. Außerdem gibt es in ihrer Wohnumgebung keine ausreichenden Gehsteige, sodass sie sich mit dem Kind auf der Straße nicht sicher fühlte. Auf den Wegen, die sie auch allein ging, benutzte sie zunächst einen Kinderwagen. Als ihr Sohn dann laufen konnte, führte sie ihn entweder an der Hand oder er saß auf einem Spielzeugtraktor, den Daniela hinter sich herzog.

Ansonsten konnte Daniela die Pflege und Beaufsichtigung ihres Sohnes weitgehend selbst durchführen. Das Füttern mit dem Löffel war zwar möglich, sie erlebte es aber als relativ mühsam, gleichzeitig die Hände ihres Kindes zu kontrollieren und nach seinem Mund zu tasten. Wenn die Möglichkeit dazu bestand, überließ sie dies gern anderen.

Als Daniela nach einem Karenzjahr ihre Berufstätigkeit wieder aufnehmen wollte, stellte sich für sie das Problem, eine Kinderbetreuung zu finden, die sie selbständig erreichen konnte. Sie pendelt täglich eine Stunde mit dem Bus in die Bezirkshauptstadt, in deren Krankenhaus sie arbeitet. In ihrem Wohnort gab es weder eine Betreuungseinrichtung für Kleinkinder noch Tagesmütter. Angesichts der spärlichen öffentlichen Verkehrsverbindungen war es Daniela nicht möglich, ihren Sohn in einen Nachbarort zu bringen. Ihr Mann arbeitete im Schichtdienst und konnte den Sohn ebenfalls nicht regelmäßig zu einer Betreuung bringen. Die Lösung dieses Problems fand sich in einer Bekannten, die bereit war, Danielas Sohn tagsüber zu betreuen. Sie lebte in einem Ort, der auf der Strecke lag, die Daniela täglich auf ihrer Fahrt von und zur Arbeit mit dem Bus zurücklegte. Die Bekannte holte Danielas Sohn täglich morgens vom Bus ab und übergab ihn Daniela auf der Heimfahrt wieder in den Bus.

Daniela spricht sehr ausführlich über den Umgang ihres Sohnes mit ihrer Behinderung. Sie berichtet, dass sich das Kind bereits im Krabbelalter ihr gegenüber anders verhielt als gegenüber ihrem sehenden Mann. So machte er sich bei ihr immer akustisch bemerkbar, wenn sie rief, bei ihrem Mann dagegen nicht. Außerdem bestand ihr Sohn immer darauf, dass sie alle Gegenstände, auf die er sie aufmerksam machen wollte, in die Hand nahm. Er begann bald, nachdem er angefangen hatte, an der Hand zu gehen, Daniela auf Hindernisse aufmerksam zu machen und sie zur Seite zu ziehen, allerdings nur dann, wenn ihr Mann nicht dabei war. Danielas Sohn entwickelte früh ein ausgeprägtes Bewusstsein für Gefahrenquellen für seine Mutter. Daniela schildert einen Vorfall, bei dem der damals Vierjährige den Fahrer eines Traktors darauf hinwies, dass er mit dem Anfahren warten müsse, bis Daniela an ihm vorbeigegangen sei. "Dann hat der Bub zu mir gesagt: ´Jetzt gehst du da vorbei.´ Dann hat er zu dem Herrn gesagt: ´Und jetzt kannst fahren, weil jetzt sind wir vorbei.´" Auch im Alltag erhält Daniela kleine Hilfestellungen durch ihren Sohn. Diese Hilfsbereitschaft war und ist für sie auch ein wichtiges Erziehungsziel.

Insgesamt beurteilt Daniela ihre Lebenssituation positiv. Sie kann sich für sich keine Maßnahmen zu einer Verbesserung vorstellen, meint aber, dass sie anderen blinden Frauen gerne Informationen geben würde, wie sie ihren Alltag mit Kind organisiert hat.

In einem Resümee stellt sie fest, dass sich viele ihrer Ängste nachträglich als unbegründet herausstellten und dass sich viele Problemlösungen im Alltag fast selbstverständlich ergeben hätten: "... weil es kommt ganz anders, als die Angst, die man hat."

7.3.2.5. Eva

Eva ist zum Zeitpunkt des Interviews 46 Jahre alt. Sie hat eine Tochter im Alter von 8 Jahren. Aufgrund eines Sportunfalls hat Eva seit ihrem 23. Lebensjahr eine Querschnittlähmung von der Hüfte abwärts - Paraplegie. Da sie einen Rollstuhl benutzt, ist ihre Behinderung für andere auf den ersten Blick sichtbar. Evas Mann und Vater ihrer Tochter hat keine Behinderung. Sie lebt mit ihm und ihrer Tochter im gemeinsamen Haushalt im Raum Graz Umgebung. Eva ist Hausfrau, sie erhält Pflegegeld der Stufe 3.

In Evas Zukunftsplanung als Jugendliche spielten Kinder eine zentrale Rolle. Sie begann eine Ausbildung zur Hebamme und wünschte sich später eine Familie mit mehreren Kindern. Kurz vor dem Abschluss ihrer Ausbildung erlitt sie bei einem Sportunfall einen zweifachen Wirbelbruch und wurde in der Folge querschnittgelähmt. Sie erlebte dieses Ereignis als vollkommenen Bruch in ihrem Leben: "Ich hab gewusst, es hat ein Leben vor dem Unfall gegeben und es gibt jetzt eines, mit dem ich zurecht kommen soll." Es folgte eine lange Phase, in der sich Eva sehr zurückzog, sich auch nicht mehr als Frau fühlte. Sie absolvierte eine Umschulung zur Bürokraft und begann auf der Frühgeburtenstation im Landeskrankenhaus (LKH) zu arbeiten. Die Arbeit wurde für sie sehr wichtig, weil ihre Leistungen dort anerkannt wurden und sie sich als Mitarbeiterin voll akzeptiert fühlte. Allmählich begann Eva auch außerhalb ihres Berufes ihre Möglichkeiten auszuloten. Über sportliche Aktivitäten und vor allem den Rollstuhltanz gelang es ihr schließlich, ihre Krise zu überwinden. Beim Rollstuhltanz lernte sie auch ihren späteren Mann kennen.

In der Partnerschaft begann sich Eva wieder mit ihrem Kinderwunsch auseinander zu setzen. Sie war sich darüber im Klaren, dass sie sich ihren Wunsch nach einer Familie mit mehreren Kindern aufgrund ihrer Behinderung nicht erfüllen konnte, traute sich aber durchaus ein Kind zu. An ihrem Arbeitsplatz hatte Eva die Möglichkeit, mit einem Gynäkologen über ihren Kinderwunsch zu sprechen. Dieser hatte aus medizinischer Sicht keine Bedenken gegen eine Schwangerschaft. Somit entschieden sich Eva und ihr Mann für ein eigenes Kind.

Über ihre Gefühle während der Schwangerschaft berichtet Eva, dass sie überglücklich und stolz gewesen sei. Sorgen und Ängste vor der Geburt und ob das Kind gesund sein werde beschreibt sie als im normalen Ausmaß, wie sie jede schwangere Frau erlebt.

Evas Umgebung reagierte unterschiedlich auf ihre Schwangerschaft. Ihre Mutter war sehr überrascht. Sie freute sich zwar, hatte aber auch Bedenken. Einerseits, ob Eva dem Alltag mit dem Kind und vor allem der Beaufsichtigung gewachsen sein werde. Andererseits, ob sie selbst in der Lage sein werde, Eva entsprechend zu unterstützen. An Evas Arbeitsplatz reichten die Reaktionen von großer Freude bis zu Entsetzen und der Frage, wie das denn gehen solle. Sie meint, dass sich einige Personen in ihrer Umgebung bereits Gedanken über praktische Probleme machten, die erst viel später auftreten würden, wie z. B. dass sie ihrem Kind nicht würde nachlaufen können. Eva und ihr Mann hingegen konzentrierten sich vor allem auf die Planung der nächsten Schritte und waren zuversichtlich, für jedes auftretende Problem eine Lösung zu finden. Eva berichtet auch, dass ihr häufig die Frage gestellt wurde, ob das Kind mittels künstlicher Befruchtung gezeugt worden sei und dass die Verneinung dieser Frage von einigen Personen mit Verwunderung aufgenommen wurde.

Eva besuchte gemeinsam mit ihrem Mann einen Geburtsvorbereitungskurs im LKH. Für Übungen, die die anderen Teilnehmerinnen auf dem Boden liegend ausführten, bekam sie eine Rollliege zur Verfügung gestellt, auf die sie vom Rollstuhl aus leicht überwechseln konnte. Eva konnte alle Angebote des Kurses wahrnehmen, fühlte sich in der Gruppe aber nicht voll integriert. Gespräche liefen häufig über ihren Mann. Ihm wurden Fragen über Evas Behinderung gestellt und ihm wurde versichert, er werde das schon schaffen.

Über ihre sportlichen Aktivitäten kannte Eva bereits mehrere Mütter und Väter mit einer Querschnittlähmung. Sie berichtet, dass deren Vorbild ihr Ängste nahm und die Gewissheit gab, dass sie den Anforderungen der Mutterschaft gewachsen sei.

Gemeinsam mit ihrem Mann plante Eva während der Schwangerschaft die notwendigen Veränderungen in der Wohnung. Sie entwarfen auch einen Wickeltisch in geeigneter Höhe. Allgemeine Informationen z. B. über Hilfsmittel für Eltern mit Behinderungen hatte Eva nicht. Sie wusste auch keine geeignete Anlaufstelle, wo sie solche Informationen hätte bekommen können. Als ihre Tochter bereits einige Monate alt war, fand in Graz eine internationale Konferenz mit dem Titel "Behinderung + Mutterschaft = Menschenrecht" statt. Dort sah Eva erstmals Informationsmaterial aus anderen Ländern und erhielt auch einige Tipps für die Alltagsbewältigung mit dem Kind.

Von ärztlicher Seite fühlte sich Eva während ihrer Schwangerschaft überwiegend gut betreut. Aufgrund ihrer Lähmung kam es zu einigen Harnwegsinfekten, ansonsten verlief die Schwangerschaft aber problemlos. Für Eva war vor allem wichtig, bereits während der Schwangerschaft zu klären, ob für die Entbindung ein Kaiserschnitt notwendig sein würde oder ob eine Spontangeburt möglich sei. Ihr Gynäkologe, mit dem sie bereits ihren Kinderwunsch besprochen hatte, holte genaue Informationen ein und meinte, dass ihre Situation mit der einer Frau vergleichbar sei, die während der Geburt zur Schmerzlinderung eine Lokalanästhesie mit Kreuzstich bekäme. Er sprach sich für eine Spontangeburt aus, weil er Eva eine möglichst natürliche Geburt ermöglichen wollte.

Ein Arzt, der ihren betreuenden Gynäkologen bei einer Untersuchung vertrat, stellte Eva indirekt die Frage, ob sie nicht doch lieber abtreiben wolle.

Aufgrund ihres Alters wurde eine Amniozenthese durchgeführt. Dabei wurde Eva nahe gelegt, im Fall einer Behinderung des Kindes die Schwangerschaft unbedingt abzubrechen, denn angesichts ihrer eigenen Behinderung sei ein behindertes Kind eine zu hohe Belastung. Eva meint dazu, dass diese Aussage sie sehr betroffen gemacht habe und dass sie den Eindruck hatte, ihre Umgebung stehe auf dem Standpunkt, eine Behinderung in der Familie genüge. Sie hätte die Schwangerschaft auch bei einer nachgewiesenen Behinderung des Kindes nicht abgebrochen.

Für Eva war klar, dass sie im LKH entbinden würde. Sie fragte eine Freundin, die mit ihr zusammen die Hebammenausbildung gemacht hatte, ob sie sie bei der Geburt betreuen würde. Diese traute sich das aber nicht zu.

Als Eva zur Geburt ins LKH kam, war ihr betreuender Gynäkologe nicht erreichbar. Der diensthabende Assistenzarzt war zunächst unsicher, ob eine Spontangeburt versucht werden sollte und wollte die Meinung des Oberarztes einholen. Dieser stimmte einer Spontangeburt zu. Die Hebamme, die Eva während der Geburt betreute, kannte sie bereits aus dem Geburtsvorbereitungskurs und hatte auch keine Bedenken wegen der Behinderung. Sie suchte mit Eva die bestmögliche Position, und Eva brachte ihre Tochter in Seitenlage zur Welt. Ihr Mann war bei der Geburt dabei und Eva beschreibt die Geburt als Bilderbuchgeburt: "Für uns war das sicher der Höhepunkt unseres Lebens."

Durch ihre Arbeit an der Frauenklinik kannte Eva das Personal der Entbindungsstation und konnte bereits vor der Geburt abklären, welches Zimmer im Rooming-in-Bereich für sie geeignet war, sodass sie sich mit dem Rollstuhl darin bewegen konnte. Da es auf der Station keine rollstuhlgerechten Toiletten gab, brauchte sie mehr Unterstützung durch das Pflegepersonal. Auch das war bereits im Vorfeld abgeklärt worden, und Eva erlebte die Betreuung als sehr umsichtig. Da der Wickeltisch zu hoch und mit dem Rollstuhl nicht unterfahrbar war, wurde ein Schreibtisch mit einer Wickelauflage in ihr Zimmer gestellt. Das Baden des Babys überließ Eva den Säuglingsschwestern. Sie meint, dass es für sie zwar möglich gewesen wäre, sie aber noch eine gewisse Scheu davor hatte und zunächst lieber zusah. Enttäuschend war für Eva, dass auch auf der Entbindungsstation sehr viel über ihren Mann kommuniziert wurde. Dieser fühlte sich mit den Anweisungen, welche Vorkehrungen zu Hause noch zu treffen seien, teilweise überfordert. Eva meinte, dass sie schon aufgrund ihrer früheren Ausbildung die kompetente Ansprechperson gewesen wäre.

Zu Hause übernahm Eva von Anfang an die Hauptversorgung ihrer Tochter. Die Wohnung war so gestaltet, dass sie alles selbständig machen konnte. Sie beschreibt die erste Zeit als aufregend, aber auch als sehr anstrengend. Eva beschränkte ihre Haushaltstätigkeiten auf das Nötigste, um sich immer wieder Ruhephasen zu ermöglichen.

Da Eva keinen Kinderwagen verwenden konnte, nähte ihre Schwiegermutter für sie einen speziellen Tragegurt. Mit diesem konnte sie ihre Tochter im Rollstuhl auf ihrem Schoß sicher transportieren und hatte dabei die Hände zum Antreiben des Rollstuhls frei. Eva berichtet, dass diese Transportmöglichkeit für sie und ihre Tochter sehr angenehm war. Allerdings war es auch körperlich anstrengend, sich selbst, das Kind und eventuell auch noch Einkäufe im Rollstuhl fortzubewegen.

Eine weitere Schwierigkeit war für Eva, ihre Tochter vom Boden hochzuheben, als diese noch nicht stehen konnte. Sie hatte die Idee, das Baby an den Trägern der Latzhose hochzuheben, und dies funktionierte sehr gut. Evas Tochter stellte sich sehr schnell auf diese Methode ein und machte bald einen runden Rücken, wenn sie hochgehoben werden sollte. Sobald die Tochter selbst stehen konnte, stellte sie sich auf das Fußbrett des Rollstuhls. Von dort konnte Eva sie an den Armen zu sich heben. Nach unten konnte sie ihre Tochter über ihre Beine wie über eine Rutsche gleiten lassen.

Aktivitäten außer Haus plante Eva immer sehr genau. Da sie ihrer Tochter mit dem Rollstuhl nicht überall hin folgen konnte, versuchte sie Gefahrenquellen möglichst zu vermeiden. So ging sie nicht allein in große Kaufhäuser. Sie befürchtete, dass das Kind auf die Rolltreppe steigen oder zwischen Kleiderständern verschwinden könnte, zwischen denen sie selbst mit dem Rollstuhl nicht hindurch käme. Der Schlosspark Eggenberg in Graz erwies sich als ideal für Spaziergänge und Spielplatzbesuche, weil er durch eine Mauer vom Straßenverkehr abgegrenzt ist.

Eva besuchte mit ihrer Tochter keine Mutter-Kind-Angebote, weil sie befürchtete, dass es für sie zu schwierig sein könnte, dort hinzukommen und ihre Tochter zu beaufsichtigen. Sie lud häufig Freundinnen mit Kindern im selben Alter wie ihre Tochter zu sich ein. Sie hat regelmäßigen guten Kontakt zu Familien mit nicht behinderten Eltern. Kontakte zu Familien mit behinderten Elternteilen bestehen ebenfalls, sind aber nicht regelmäßig.

Schwierig war die Suche nach einem Kinderarzt/einer Kinderärztin, dessen/deren Praxis für Eva zugänglich war. Schließlich fand sie einen Arzt in Graz, dessen Praxis über einen Aufzug barrierefrei erreichbar ist. Wenn es möglich war, machte sie die Besuche beim Kinderarzt in Begleitung ihrer Mutter oder einer Freundin. Sie fühlte sich dabei als Mutter immer voll akzeptiert. Der Kinderarzt ging sehr selbstverständlich auf die Besonderheiten aufgrund Evas Behinderung ein.

Bauliche Barrieren behindern Eva auch in anderen Bereichen des Alltags. So war der Kindergarten, den ihre Tochter besuchte, nur über Stufen erreichbar. Eva musste sich bereits vor der Tür von ihrer Tochter verabschieden. Es belastete sie sehr, dass ihre Tochter danach ganz auf sich gestellt war, während die anderen Mütter ihre Kinder begleiteten, ihnen beim Umziehen halfen und sie persönlich der Kindergärtnerin übergaben. Eva meint, dass durch diese Hindernisse häufig auch an das Kind sehr hohe Anforderungen gestellt werden. Eine ähnliche Problematik erlebt Eva nun auch mit der Schule. Die baulichen Barrieren des Schulgebäudes hindern sie am Kontakt mit den Lehrerinnen und Lehrern ihrer Tochter. Zu den Elternsprechtagen geht jeweils ihr Mann.

Aktivitäten außer Haus mit ihrer Tochter, für die Eva Begleitung benötigte musste sie sehr genau vorplanen. Unterstützung erhielt sie vor allem von Freundinnen und aus ihrer Familie. Bezahlte Hilfen nahm sie nicht in Anspruch. Es fiel Eva nicht schwer, z. B. am Spielplatz andere Eltern anzusprechen und um Hilfe zu bitten, wenn ihre Tochter weglief oder von einem Klettergerät nicht allein herunterkonnte. Sie beobachtete dabei, dass Väter auf solche Bitten sehr unkompliziert reagierten, während Mütter häufiger Hemmungen zeigten.

Eva berichtet von zahlreichen Umweltreaktionen auf ihre Mutterschaft, die sie belasteten. So entwickelte sich in den ersten Monaten nach der Geburt ein Konflikt mit ihrer Schwiegermutter. Diese wollte nicht in Evas Wohnung kommen, um ihr Enkelkind zu sehen, sondern sie erwartete, dass Eva ihr das Kind häufig bringen sollte und sie dann die Mutterrolle übernehmen würde. Sie vermittelte Eva das Gefühl, dass sie der Mutterrolle nicht gewachsen sei und dass es für das Kind besser wäre in einem "normalen" Umfeld aufzuwachsen. Dagegen wehrte sich Eva sehr, denn sie war der Überzeugung, dass ihre Behinderung keine Belastung für das Aufwachsen ihr Kind sei.

Von Passantinnen oder Passanten wurden Eva und ihr Mann häufig gefragt, ob das Kind ihr eigenes sei, bzw. ob es ein Adoptivkind sei. Sie meint, dass sich viele Menschen offenbar nicht vorstellen könnten, dass sie selbst ein Kind geboren habe. Sie empfindet manchmal Zorn darüber, sich immer wieder rechtfertigen zu müssen.

Eva bemerkte auch immer wieder, dass ihre Tochter mitleidig betrachtet wird und hörte auch einmal die Bemerkung, dass das Kind arm sei. Auf ihre Nachfrage, warum die Sprecherin das glaube, erhielt sie keine befriedigende Antwort.

Manchmal wird auch Evas Mann besonders für seine Tüchtigkeit gelobt.

Eva erlebte aber auch selbst viele anerkennende Reaktionen. Sie ist darüber sehr stolz und hat das starke Bedürfnis ihrer Umwelt zu beweisen, dass sie ihrer Mutterrolle und allen Anforderungen des Alltags gewachsen ist. Sie versucht daher auch so viel wie möglich selbst und ohne fremde Hilfe zu machen.

Insgesamt meint Eva, dass es bei der allgemeinen Einstellung zu Müttern mit einer Behinderung Unterschiede zwischen den Generationen gibt. Jüngere Menschen vertreten häufig den Standpunkt, dass jede Frau selbst entscheiden könne, was für sie möglich sei. Die ältere Generation betont hingegen oft, dass eine behinderte Frau nur Kinder haben sollte, wenn sie einen "guten Mann" hat, worunter allgemein verstanden wird, dass der Partner die meisten Aufgaben übernimmt. Eva bedauert, dass nicht behinderte Personen nur selten von vorn herein selbstverständlich mit ihr umgehen. Sie meint, dass sich häufig die behinderten Menschen darum bemühen müssen, den nicht behinderten Normalität zu vermitteln, und dass Hemmungen oft erst bei näherem Kennen lernen abgebaut werden.

Eva hätte sich nach der Geburt ihrer Tochter eine Stelle oder Person gewünscht, die ihr gesammelt alle wichtigen Informationen gegeben hätte. Es war für sie teilweise mühsam, sich alles selbst zusammensuchen zu müssen. Außerdem wünscht sie sich generell einen anderen Umgang der Gesellschaft mit behinderten Menschen, bei dem zuerst die Person und nicht die Behinderung gesehen wird.

Insgesamt bezeichnet Eva die Mutterschaft als das größte Glück ihres Lebens. Sie hält es für sehr wichtig, sich über die eigenen Möglichkeiten und Grenzen im Klaren zu sein und ein verlässliches Umfeld von Familie und Freundeskreis zu haben. Eine Behinderung als solches ist nach ihrer Ansicht kein Grund, auf eigene Kinder zu verzichten.

7.3.2.6. Flora

Flora ist zum Zeitpunkt des Interviews 49 Jahre alt. Sie hat eine Tochter im Alter von 12 Jahren. Flora war von früher Kindheit an sehbehindert. Ihre Augenerkrankung - Retinopathia Pigmentosa - führte zur allmählichen Erblindung. Flora kann heute noch Licht erkennen und bezeichnet sich selbst als vollblind. Sie berichtet, dass ihre Behinderung im Allgemeinen für andere auf den ersten Blick ersichtlich ist, weil sie einen Langstock benutzt. Lediglich an ihrem früheren Arbeitsplatz, wo sie den Stock nicht benötigte, gab es Situationen, wo Außenstehende dies erst später bemerkten. Floras Ehemann und Vater ihrer Tochter hat keine Behinderung. Sie lebt mit ihm und ihrer Tochter im gemeinsamen Haushalt. Sie ist geringfügig beschäftigt, erhält Pflegegeld der Stufe 4 und aufgrund ihrer Behinderung eine Halbwaisenrente.

Flora wünschte sich als Jugendliche zwar einen sozialen Beruf, in dem sie mit Kindern arbeiten würde. Aufgrund ihrer Erfahrungen im Elternhaus erschien ihr eine eigene Partnerschaft und Familie lange Zeit nicht erstrebenswert. Sie meint auch, dass es für eine blinde Frau wesentlich schwieriger sei einen Partner zu finden, als für einen blinden Mann, und sieht darin einen weiteren Grund für ihre relativ späte Heirat.

Vor der Heirat besuchte sie gemeinsam mit ihrem Partner eine genetische Beratung. Beiden war es wichtig, abzuklären, wie hoch das Risiko einer Weitervererbung von Floras Augenkrankheit wäre. Bei einem hohen Vererbungsrisiko hätte das Paar auf eigene Kinder verzichtet. In der Beratung erfuhren Flora und ihr Partner, dass die Wahrscheinlichkeit einer Behinderung eines Kindes in ihrem Fall nicht höher sei als im allgemeinen Durchschnitt.

Als Flora schwanger wurde, reagierten sowohl ihre Eltern als auch die Eltern ihres Mannes sehr erfreut. Floras Schwiegereltern hatten nicht damit gerechnet, ein Enkelkind zu bekommen. An Floras Arbeitsplatz wurde die Nachricht ebenfalls erfreut und mit großer Selbstverständlichkeit aufgenommen.

Flora besuchte keinen Geburtsvorbereitungskurs. Sie informierte sich über die Geburt, Stillen und Erziehungsfragen aus Büchern, die auf Tonkassetten aufgelesen wurden. Über ihre Arbeitsstelle im Landeskrankenhaus (LKH) bekam sie Kontakt zu einer Physiotherapeutin auf der Frauenklinik. Mit ihr machte sie in Einzelbetreuung die Übungen zur Geburtsvorbereitung. Sie beschreibt die Zusammenarbeit als sehr gut und angenehm. Nach der Geburt ihrer Tochter ging sie für die Rückbildungsübungen noch einige Zeit zu dieser Therapeutin.

Flora kannte zum Zeitpunkt ihrer Schwangerschaft nur eine blinde Mutter, zu der sie aber keinen regelmäßigen Kontakt hatte. Aufgrund einiger Erzählungen dieser Bekannten überlegte sie sich eigene Strategien und beschloss z. B., keinen Kinderwagen zu verwenden. Sie hatte regelmäßigen Kontakt zu einigen sehenden Freundinnen, die selbst schon Kinder hatten. Durch sie hatte Eva auch schon die Gelegenheit ein Baby zu wickeln.

Da Flora im LKH arbeitete, wollte sie die Untersuchungen während der Schwangerschaft nicht bei ihrem niedergelassenen Frauenarzt, sondern im Ambulatorium der Frauenklinik durchführen lassen. Bei der ersten Untersuchung traf sie auf einen Arzt, dessen Verhalten ihr gegenüber sie heute als unverschämt beschreibt. Er fragte gleich zu Beginn, ob sie eine Abtreibung wolle, spielte dabei auch auf ihr Alter von damals 37 Jahren an und machte während der ganzen Untersuchung abfällige Bemerkungen, die Flora so zusammenfasst: "... für was ich überhaupt ein Kind krieg - blind und so alt." Flora war über diese Behandlung zutiefst schockiert und machte alle weiteren Untersuchungen bei ihrem niedergelassenen Frauenarzt.

Bei ihm fühlte sie sich sehr gut betreut. Er teilte ihre Freude über die Schwangerschaft, bemühte sich, ihr die Ultraschallbilder so gut wie möglich zu beschreiben und ließ sie auch immer die Herztöne des Kindes hören. Aufgrund ihres Alters wollte er auch eine Fruchtwasserpunktion durchführen lassen. Flora lehnte dies aber ab. Der Arzt akzeptierte ihre Entscheidung, machte aber einen entsprechenden Vermerk im Mutter-Kind-Pass.

Flora wollte zunächst nicht im LKH entbinden bzw. höchstens eine ambulante Geburt dort machen. Sie befürchtete, dort wieder auf den Arzt zu treffen, mit dem sie am Beginn ihrer Schwangerschaft so schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Ihr Arzt plädierte aufgrund ihres Alters aber sehr für eine Entbindung im LKH mit anschließendem stationären Aufenthalt. Flora folgte schließlich seiner Empfehlung, allerdings mit der Einschränkung, dass sie nur dann auf der Entbindungsstation bleiben würde, wenn sie ein Zimmer im Rooming-in-Bereich bekäme. Sie besuchte vor der Geburt die Entbindungsstation und plante zusammen mit der Physiotherapeutin, die sie betreute, auch noch einen Besuch im Kreißsaal. Dazu kam es jedoch nicht mehr, weil Floras Tochter eine Woche vor dem errechneten Termin zur Welt kam.

Die Geburt erlebte Flora sehr positiv. Sie kannte den Arzt, der sie im Kreißsaal betreute, von ihrer Arbeitsstelle, wodurch gleich eine Vertrauensbasis da war. Auch die Zusammenarbeit mit der Hebamme beschreibt sie als sehr gut. Sie fühlte sich durch die Physiotherapie gut auf die Geburt vorbereitet und konnte gut mit den Wehen umgehen.

Auf der Entbindungsstation bekam Flora mit ihrer Tochter ein Bett im Rooming-in-Bereich. Die Schwestern zeigten ihr das Wickeln und wo alles, was sie benötigte, zu finden war. Flora versorgte ihre Tochter überwiegend selbst. Eine Schwester zeigte übertriebene Bewunderung dafür, dass Flora trotz ihrer Blindheit ihr Kind ganz selbständig versorgte. Sie stellte Flora als Vorbild für die anderen Frauen dar, was Flora als übertrieben und unangenehm empfand. Jener Arzt, mit dem Flora am Beginn ihrer Schwangerschaft schlechte Erfahrungen gemacht hatte, kam einmal zur Visite. Sie hatte dabei den Eindruck, dass er den Kontakt mit ihr gezielt vermied.

Flora wurde während ihres Aufenthaltes auf der Entbindungsstation auf die Möglichkeit hingewiesen, dass sie über die Caritas eine Unterstützung für die Zeit nach dem Spitalsaufenthalt bekommen könne. Sie lehnte dies ab, denn für sie war es sehr wichtig, ihr Kind selbst zu versorgen. Flora war sich auch sicher, dass sie dies weitgehend ohne Hilfe tun konnte. Sie hat die ersten Wochen nach der Geburt in sehr positiver Erinnerung, nahm sich viel Zeit für ihr Kind und genoss das intensive Zusammensein.

Flora hatte sich entschieden, ihre Tochter möglichst lange voll zu stillen. Daher stellte sich das Problem der Zubereitung von Flaschennahrung und des Abmessens der entsprechenden Mengen nicht. Sie verwendete keinen Kinderwagen, sondern trug ihre Tochter zunächst einige Monate im Tragetuch und später - bis die Tochter Laufen lernte - in einem Tragesack. Sie empfand diese Methode für sich als wesentlich angenehmer, als einen Kinderwagen hinter sich herzuziehen. Vor allem war es so für sie völlig unkompliziert, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Als ihre Tochter Laufen lernte, verwendete Flora einen Laufgurt, den ihre Tochter wesentlich besser akzeptierte als an der Hand geführt zu werden.

Flora benötigte im Alltag bei der Versorgung ihrer Tochter keine spezielle Hilfe. Tätigkeiten, wie z. B. das Nägelschneiden, die sie selbst nicht machen konnte und die ihr Mann übernahm, erlebte sie nicht als Hilfeleistung, sondern als natürliche Aufgabenteilung in der Elternschaft.

Die Termine bei einer Kinderärztin nahm Flora immer allein mit ihrer Tochter war. Sie fühlte sich dort als Mutter voll akzeptiert und gut unterstützt. So wies die Ärztin Flora einmal darauf hin, dass ihre Tochter den Kopf nur auf eine Seite drehte, etwas, das Flora selbst nicht hätte feststellen können. Die Ärztin sprach die Frage an, ob Floras Tochter an den Augen dahingehend untersucht werden sollte, ob sie die Erkrankung der Mutter geerbt habe. Da die Untersuchung auf Retinopathia Pigmentosa sehr unangenehm und schmerzhaft ist, wollte Flora dies ihrem Kind nicht zumuten, solange keine merklichen Anzeichen einer Sehbehinderung auftraten. Die Kinderärztin stimmte ihr darin zu.

Als Floras Tochter etwa ein Jahr alt war, übersiedelte die Familie in einen anderen Stadtbezirk. Dort kamen Nachbarinnen, die Kinder im selben Alter hatten, sehr rasch auf Flora zu und luden sie ein, an ihren regelmäßigen Treffen teilzunehmen. Diese Treffen fanden abwechselnd in den Wohnungen der einzelnen Familien statt. Flora fühlte sich in dieser Nachbarschaftsgemeinschaft voll integriert und meint, dass der Kontakt mit den anderen Kindern für ihre Tochter sehr wichtig war.

In ihrer Kirchengemeinde leitete Flora über mehrere Jahre selbst einen Mutter-Kind-Kreis. Nach einem gemeinsamen Frühstück wurden dort jeweils die Kinder in einem angrenzenden Raum betreut, während die Mütter in einer Gesprächsrunde Erfahrungen austauschten und sich mit Erziehungsthemen beschäftigten.

Flora erlebte sowohl positive als auch negative Reaktionen ihrer Umwelt auf ihre Mutterschaft. Auf ihren regelmäßigen Spaziergängen mit ihrem Baby im Tragesack erlebte sie viele positive Reaktionen und schöne Begegnungen mit anderen Spaziergängern. Wenn sie mit ihrer Tochter in der Stadt unterwegs war, hörte sie manchmal hinter sich Bemerkungen wie "Das arme Kind!" oder Passantinnen bzw. Passanten äußerten sich abfällig über den Laufgurt und verglichen ihn mit einer Hundeleine. Es kam auch immer wieder vor, dass Passantinnen bzw. Passanten zu Floras Tochter sagten, sie solle ihre Mama schön führen.

Allgemein ist Flora der Meinung, dass die Umweltreaktionen auf eine behinderte Mutter stark von dem Gesamteindruck abhängen, den diese vermittelt. Strahlt sie Sicherheit aus, sind die Reaktionen eher positiv bzw. hält sich die Umgebung mit negativen Reaktionen zurück. Werden Schwierigkeiten sichtbar, so werden diese rasch auf die Behinderung der Mutter zurückgeführt.

Über ihre Tochter berichtet Flora, dass sie sich bereits sehr früh auf die Möglichkeiten ihrer Mutter einstellte. Wenn sie ihren Schnuller verloren hatte, schob sie die Hand der Mutter in die Richtung, in der der Schnuller lag. Beim Aufheben von Gegenständen imitierte Floras Tochter lange Zeit das Tasten ihrer Mutter.

Bevor ihre Tochter in den Kindergarten kam, hatte Flora Bedenken, dass sie im visuellen Bereich zu wenig gefördert worden sein könnte und daher z. B. beim Malen nicht mithalten könnte. Es zeigten sich aber weder im Kindergarten noch später in der Schule irgendwelche Defizite in diesem Bereich.

Für eine Verbesserung ihrer Lebenssituation wünscht sich Flora vor allem mehr Akzeptanz durch die Umwelt und einen natürlichen Umgang. Zu übertrieben bewundernden Reaktionen meint sie: "Das Überbewundern ist zwar manchmal recht angenehm, aber mir zeigt es immer, dass noch keine natürliche Beziehung vorhanden ist." Auf der anderen Seite stehen abwertende Reaktionen, die bei Flora Aggression auslösen. Normalität im Umgang entwickelt sich nach ihrer Erfahrung oft erst bei näherem Kennen lernen. Sie macht sich Gedanken darüber, wie sie ihrer Umwelt auf kurze und einfache Weise klar machen kann, dass ihre Lebenssituation für sie Normalität ist und sie daher auch einen normalen Umgang will.

7.3.2.7. Gunda

Gunda ist zum Zeitpunkt des Interviews 45 Jahre alt. Sie hat eine Tochter im Alter von 13 Jahren. Seit ihrem 26. Lebensjahr hat sie eine Querschnittlähmung - Paraplegie - aufgrund einer Rückenmarksverletzung im Brustwirbelbereich. Da sie einen Rollstuhl benutzt, ist ihre Behinderung auf den ersten Blick sichtbar. Gundas Mann und Vater ihrer Tochter ist nicht behindert. Sie lebt mit ihm und ihrer Tochter im gemeinsamen Haushalt. Gunda ist mit Teilzeit berufstätig. Sie erhält Pflegegeld der Stufe 4, eine Unfallrente und eine Pension.

Gunda hatte als Jugendliche den Wunsch nach einer Familie. Da sich aber keine passende Partnerschaft entwickelte, stellte sie das Thema damals vorläufig zurück. Nach ihrer Verletzung schien die Familienperspektive für sie zunächst nicht realistisch. Als Gunda drei Jahre nach ihrer Verletzung ihren jetzigen Mann kennen lernte und sich eine stabile Partnerschaft entwickelte, begannen sich beide mit der Frage eigener Kinder zu beschäftigen.

Im Rehabilitationszentrum besprach Gunda ihren Kinderwunsch mit einem Gynäkologen, der Erfahrungen mit Frauen mit Querschnittlähmungen hatte. Dieser sah aus medizinischer Sicht keine Probleme bei einer Schwangerschaft.

Für Gunda war die Möglichkeit, ein Kind weitgehend selbständig zu versorgen, eine wichtige Voraussetzung für die Mutterschaft. Aus diesem Grund entschied sie sich auch für nur ein Kind. Sie meint, dass ein weiteres Kind in relativ kurzem zeitlichem Abstand ihre Möglichkeiten überschritten hätte und ein großer Altersunterschied zweier Kinder erschien ihr nicht günstig.

Als Gunda schwanger wurde, kannte sie keine andere Frau mit Querschnittlähmung, die Kinder hatte und ihr etwas über die Auswirkungen der Schwangerschaft auf die Behinderung hätte sagen können. Sie achtete darauf, nicht zuviel an Gewicht zuzunehmen, um beweglich zu bleiben. Sie spielte vor ihrer Schwangerschaft Rollstuhl-Basketball und betrieb diesen Sport in den ersten Schwangerschaftsmonaten weiter. Während der gesamten Schwangerschaft ging sie regelmäßig im Rehabilitationszentrum schwimmen. Dort waren die Gegebenheiten für sie ideal. Gunda besuchte keinen Geburtsvorbereitungskurs, weil sie davon ausging, die meisten Übungen nicht mitmachen zu können.

Sie wohnte zusammen mit ihrem Mann in einer behindertengerechten, aber sehr kleinen Wohnung. Erst wenige Wochen vor der Geburt ihrer Tochter fand sie eine behindertengerechte Wohnung in geeigneter Größe für eine Familie. Diese Wohnung musste noch renoviert werden, und Gunda beteiligte sich so weit wie möglich an den Arbeiten. Informationen über Hilfsmittel für die Versorgung eines Kindes hatte Gunda nicht, sodass sie alle notwendigen Vorkehrungen gemeinsam mit ihrem Mann plante.

Die Reaktionen auf ihre Schwangerschaft beschreibt Gunda als geteilt: FreundInnen reagierten mit großer Freude, die ältere Generation eher mit Besorgnis. Gundas Schwiegereltern beschäftigte zunächst vor allem die Frage, ob Gunda die Anforderungen der Mutterrolle bewältigen könne. Aufgrund der weitgehend problemlosen Schwangerschaft und der klaren Vorstellungen, die Gunda und ihr Mann von der Alltagsbewältigung hatten, überwog aber auch bei den Schwiegereltern bald die Vorfreude auf das Enkelkind. Direkt ablehnende Reaktionen auf ihre Schwangerschaft erlebte Gunda nicht. Eine Nachbarin in ihrer neuen Wohnumgebung erzählte ihr, nachdem ihre Tochter bereits geboren war, dass sie, als sie Gunda in der Schwangerschaft gesehen hatte, erschrocken darüber gewesen sei, dass eine Frau im Rollstuhl auch noch so dick war. Sie habe sich nicht vorstellen können, dass Gunda schwanger sei und war überrascht, sie einige Wochen später mit ihrem Baby zu sehen.

Insgesamt beschreibt Gunda ihre Schwangerschaft als sehr schöne und entspannte Zeit, geprägt von der Vorfreude auf das Kind. Manchmal überkamen sie Ängste, ob sie den Anforderungen wirklich gewachsen sein werde und ob das Kind sie später mit ihrer Behinderung akzeptieren würde. Aber diese Ängste waren nur vorübergehend und beeinträchtigten die positive Grundstimmung nicht.

Der Gynäkologe, bei dem sich Gunda bereits im Vorfeld informiert hatte, betreute sie auch während der Schwangerschaft. Es war ihr sehr wichtig, von jemandem betreut zu werden, der mit den besonderen Rahmenbedingungen einer Querschnittlähmung vertraut war. Gunda spürte zwar die Bewegungen des Kindes, ihre Sensibilität im Beckenbereich ist aber eingeschränkt. Deshalb wurden mehr Ultraschallkontrollen vorgenommen als im Mutter-Kind-Pass vorgesehen sind. Eine pränataldiagnostische Untersuchung wurde nicht durchgeführt.

Da weder Gunda noch ihr Gynäkologe einschätzen konnten, ob Gunda die Wehen spüren würde bzw. wie sie sich bei ihr äußern würden, empfahl der Arzt zur Sicherheit eine stationäre Aufnahme bereits vier Wochen vor dem errechneten Geburtstermin. Die Station an der Frauenklinik, auf der Gunda aufgenommen wurde, verfügte über behindertengerechte Sanitärräume, sodass sie dort weitgehend unabhängig war.

Gunda bemerkte den Beginn der Geburt und das Einsetzen der Wehen nicht durch Schmerzen, sondern durch die Verhärtung ihres Bauches in regelmäßigen Abständen. Dies wurde zunächst aber vom Personal noch nicht ernst genommen. Ihr betreuender Gynäkologe war zu diesem Zeitpunkt nicht erreichbar. Erst als etwa 12 Stunden nach Beginn der Wehen die Fruchtblase platzte, wurde Gunda untersucht und festgestellt, dass die Geburt bereits in vollem Gang war. Sie fuhr daraufhin selbständig mit dem Rollstuhl in den Kreißsaal. Den weiteren Verlauf der Geburt beschreibt Gunda als relativ schnell aber sehr entspannt. Da Gunda nicht spüren konnte, wann sie in den Presswehen mitpressen sollte, unterstützte die Hebamme sie durch Druck auf den Bauch.

Auf der Entbindungsstation war im Rooming-in-Bereich kein Bett frei. Gunda erlebte es als Schock, als ihre Tochter weggebracht wurde, und litt während des gesamten Aufenthaltes sehr unter der Trennung. Die Bedingungen auf der Entbindungsstation waren für sie sehr ungünstig. Es gab keine höhenverstellbaren Betten, sodass der Höhenunterschied zwischen ihrem Bett und dem Rollstuhl sehr groß und für Gunda nur schwer zu bewältigen war. Sie hatte eine Dammnaht und fürchtete bei jedem Transfer, dass diese aufreißen könnte, was sie nicht spüren konnte. Es gab auf der Entbindungsstation keine behindertengerechten Sanitärräume, sodass Gunda vor der Alternative stand, entweder eine weite Fahrt durch das Gebäude zu einem behindertengerechten WC zu machen oder auf der Station die Tür des zu engen WCs offen stehen lassen zu müssen. Die Kinderbettchen waren so hoch, dass Gunda ihre Tochter nicht selbst aus dem Bett heben konnte und dazu Hilfe des Personals benötigte. Manchmal wurde ihr ihre Tochter auch gebracht, sodass Gunda ihr Bett nicht so oft verlassen musste. Insgesamt hatte sie den Eindruck, dass das Personal mit ihren Bedürfnissen überfordert war und ihr auch nicht zutraute, ihre Tochter selbst versorgen zu können. Sie hatte deshalb den Wunsch, so schnell wie möglich nach Hause zu gehen, wo die Bedingungen ihren Bedürfnissen entsprachen. Da das Stillen Probleme bereitete, teilte eine Schwester Gunda mit, dass sie nicht entlassen werden könne. Dies war ein weiterer Schock für sie. Schließlich organisierte sie für zu Hause eine elektrische Milchpumpe und erreichte ihre Entlassung: "Ich war richtig glücklich, wie ich das Haus dort verlassen hab können."

Die ersten Tage zu Hause erlebte Gunda als etwas chaotisch. Viele Besucher kamen und boten teilweise auch Hilfe an. Ihre Schwiegermutter blieb einige Tage bei ihr, um sie vom Haushalt zu entlasten. Der Alltag mit dem Baby spielte sich sehr bald ein und Gunda genoss das Zusammensein sehr.

Gundas Mann hatte für sie einen Wickeltisch gebaut, der mit dem Rollstuhl unterfahrbar war und die für sie richtige Höhe hatte. Der Tisch war seitlich mit Regalen versehen, in denen alles, was zum Wickeln gebraucht wurde, in Griffweite aufbewahrt war. Für den Transport des Babys verwendete Gunda zunächst eine Tragetasche, später eine Baby-Transportschale, die sie sich jeweils auf den Schoß stellte und mit einem Gurt am eigenen Körper fixierte. Als ihre Tochter auf dem Schoß sitzen konnte, band sie ein Tragetuch um sich und das Kind.

Für Gunda stellte sich auch die Frage, wie sie ihr Kind vom Boden hochheben könnte. Sie muss sich beim Vorbeugen immer mit einer Hand am Rollstuhl festhalten. Von einer Bekannten, die ebenfalls eine Querschnittlähmung hat und als Großmutter ein Kleinkind betreute, bekam sie den Hinweis, das Kind an den Trägern der Latzhose hochzuheben. Diese Methode erwies sich als sehr praktikabel, und Gunda bezeichnete sie als "den heißesten Tipp der Kleinkinderzeit".

Die Wohnsiedlung, in der Gunda mit ihrer Familie wohnte, hatte einen Spielplatz, der sehr gut vom Straßenverkehr abgegrenzt war. Gunda ging mit ihrer Tochter ab Beginn des Krabbelns regelmäßig dort hin und traf immer mit anderen Müttern zusammen. Ihre Tochter kletterte sehr gern. Gunda ließ sie jeweils so hoch klettern, wie sie das Kind noch erreichen konnte und signalisierte ihr dann, dass sie zurückkommen müsse. Ihre Tochter stellte sich sehr schnell darauf ein, wusste bald wie hoch sie klettern durfte und kam selbst wieder herunter. Gunda berichtet auch, dass ihre Tochter nie weglief, sondern meist selbst darauf achtete, dass sie in Gundas Nähe blieb.

Gunda besuchte mit ihrer Tochter keine Mutter-Kind-Angebote, weil sie in ihrer Wohnsiedlung regelmäßigen und sehr guten Kontakt zu anderen Familien mit gleichaltrigen Kindern hatte.

Die Tochter besuchte einen integrativen Kindergarten, und Gunda betont, dass dies auch für sie viele Vorteile hatte. Der Kindergarten ist barrierefrei gestaltet und hat einen eigenen, rollstuhltauglichen Bus. So konnte Gunda uneingeschränkt an allen Aktivitäten im Kindergarten teilnehmen und auch als Begleitperson auf Ausflüge mitfahren.

Hilfe benötigte Gunda vor allem in der Zeit, bevor ihre Tochter Laufen lernte. Bei schwierigen Umfeldbedingungen war es zu riskant, das Baby im Rollstuhl zu transportieren, und sie benötigte deshalb Begleitung. Diese Hilfen kamen aus dem Familien- und Freundeskreis. So begleitete Gundas Mann sie meist zu den Terminen beim Kinderarzt. Gunda kannte den Arzt bereits vor der Geburt ihrer Tochter. Sie fühlte sich von ihm als Mutter voll akzeptiert und gut unterstützt.

Über Reaktionen ihrer Umwelt berichtet Gunda, dass die Geburt ihrer Tochter von FreundInnen und Verwandten mit großer Freude aufgenommen wurde. Auch sonst erlebte sie Reaktionen auf ihre Mutterschaft überwiegend positiv. Sie wurde mehrfach gefragt, ob das Kind ihr eigenes sei und wie sie den Alltag bewältigen könne. Sie empfand solche Fragen aber eher als Ausdruck von Interesse und nicht von Geringschätzung.

Allgemein meint Gunda, dass behinderten Frauen die Mutterrolle vielfach nicht zugetraut wird. Nicht behinderte Menschen können sich nicht vorstellen, wie man mit einer Behinderung die Anforderungen bewältigen kann. Außerdem ist nach ihrer Erfahrung die Vorstellung weit verbreitet, dass das Kind einer behinderten Frau selbst eine Behinderung haben werde.

Rückblickend stellt Gunda fest, sie hätte sich nach der Geburt ihrer Tochter bessere Bedingungen auf der Entbindungsstation gewünscht, vor allem keine Trennung vom Kind. Außerdem meint sie, sie hätte mehr Unterstützung in Anspruch nehmen können, um etwas mehr Zeit für sich selbst zu haben. Allgemein wünscht sie sich von der Gesellschaft gegenüber behinderten Menschen mehr Akzeptanz dafür, dass diese selbst entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten wollen.

Insgesamt beurteilt Gunda ihre Mutterschaft sehr positiv. Sie ist der Meinung, dass man die Anforderungen der Mutterrolle bewältigen kann, wenn man grundsätzlich mit der eigenen Situation zurechtkommt und würde Frauen mit einer ähnlichen Behinderung auch dazu raten.

7.3.2.8. Hanna

Hanna ist zum Zeitpunkt des Interviews 33 Jahre alt. Sie hat eine Tochter im Alter von sieben und einen Sohn im Alter von vier Jahren. Aufgrund eines Unfalles hat sie seit ihrem 13. Lebensjahr eine Querschnittlähmung. Hannas Mann und Vater ihrer Kinder hat keine Behinderung. Sie lebt mit ihm und ihren Kindern im gemeinsamen Haushalt in einer Stadt mit ca. 6.000 Einwohnern. Hanna ist mit Teilzeit berufstätig. Sie erhält eine Unfallrente und Pflegegeld der Stufe 4.

Hanna stammt selbst aus einer großen Familie, daher war eine eigene Familie für sie immer ein fixer Bestandteil ihrer Zukunftsplanung. Als Jugendliche stellte sie sich zwar zeitweise die Frage, ob es aufgrund ihrer Behinderung für sie schwierig sein werde, einen Partner zu finden, hatte aber dann keinerlei Kontaktschwierigkeiten.

Hanna nimmt als Rollstuhl-Tennisspielerin an zahlreichen internationalen Turnieren teil und lernte dort andere Spielerinnen mit Querschnittlähmung kennen, die ihre Kinder zu den Turnieren mitnahmen. Bei ihnen holte sie sich erste Informationen. Außerdem kannte Hanna eine Frau mit Querschnittlähmung, die in ihrer Nähe lebte und bereits Kinder hatte. Aufgrund der Erfahrungen dieser Bekannten erwartete sich Hanna, als sie schwanger wurde, keine besonderen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit ihrer Behinderung. Sie spielte noch bis zum siebenten Schwangerschaftsmonat Tennis und achtete insgesamt darauf, nicht zuviel Gewicht zuzunehmen, um möglichst beweglich zu bleiben. Sie besuchte keinen Geburtsvorbereitungskurs.

Hanna erlebte überwiegend positive Reaktionen auf ihre Schwangerschaft. Sie kann sich zwar vorstellen, dass es auch ablehnende Meinungen dazu gab, wurde damit aber selbst nie konfrontiert. Im Verwandtenkreis wurde mehrfach die Frage gestellt, wie sie ihr Kind versorgen und beaufsichtigen werde. Hanna lebte zu diesem Zeitpunkt noch in ihrem Elternhaus und vermutet, dass die meisten Menschen in ihrer Familie annahmen, ihre Mutter werde sie unterstützen. Insgesamt erlebte Hanna ihre beiden Schwangerschaften als überwiegend problemlos und bezeichnet sie als Vorzeigeschwangerschaften.

Hannas niedergelassene Gynäkologin hatte keine Erfahrungen mit den Auswirkungen einer Querschnittlähmung auf Schwangerschaft und Geburt. Es wurden keine speziellen Vorkehrungen getroffen oder Untersuchungen gemacht, sondern nur die im Mutter-Kind-Pass vorgesehenen. Eine pränataldiagnostische Untersuchung stand ebenfalls nicht zur Diskussion. Es blieb Hanna selbst überlassen, Informationen zu ihrer speziellen Situation einzuholen.

Hanna arbeitet im örtlichen Krankenhaus, in dem sie auch ihre Kinder zur Welt brachte. Der dortige Primararzt legte ihr für die erste Entbindung einen geplanten Kaiserschnitt nahe, da er den Einfluss von Hannas Lähmung auf eine Spontangeburt nicht einschätzen konnte. Beim zweiten Kind schlug er vor, eine Spontangeburt zu versuchen. Hanna wollte aber auch für die zweite Entbindung einen geplanten Kaiserschnitt, der dann auch durchgeführt wurde.

Auf der Entbindungsstation ging das Personal gut auf Hannas Bedürfnisse ein. Da der Wickeltisch für sie zu hoch gewesen wäre, bekam sie einen normalen Tisch mit einer Wickelauflage in ihr Zimmer und konnte ihre Kinder so selbst wickeln. Das Baden überließ sie den Säuglingsschwestern. Hanna meint, dass sie nicht anders behandelt worden sei wie jede andere Mutter. Sie glaubt aber auch, dass die Tatsache, dass sie durch ihre Arbeit im Krankenhaus gut bekannt war, hilfreich gewesen sei.

Hanna lebte nach der Geburt ihrer Tochter noch in ihrem Elternhaus. Da dies ein altes Bauernhaus ist, waren nicht viele Adaptierungen möglich, und sie improvisierte für sich geeignete Behelfe. Zum Baden des Babys stellte sie eine Babybadewanne auf einen Stuhl. Um eine Wickelauflage in geeigneter Höhe zu haben, legte sie eine feste Unterlage mit Wickelpolster über die große Badewanne.

Als ihre Kinder noch nicht sitzen konnten, transportierte Hanna sie meist in einer Baby-Trageschale, die sie sich auf den Schoß stellte. Später saßen die Kinder direkt auf ihrem Schoß und fuhren so mit. Hanna meint, dass Unternehmungen - insbesondere die Transfers aus dem und ins Auto - mühsam, aber für sie immer machbar gewesen seien.

Sie legte in der Erziehung ihrer Kinder großen Wert darauf, ihnen klar zu machen, dass sie außer Haus in ihrer Nähe bleiben müssten. Bei Straßenüberquerungen oder in anderen Situationen, die Hanna als gefährlich einstufte, nahm sie ihre Kinder auf den Schoß. Ansonsten blieben sie von sich aus in ihrer Nähe und Hanna berichtet, dass ihre Kinder nie weggelaufen seien. Als insgesamt schwierigste Zeit bezeichnet sie das Krabbelalter der Kinder.

Die größten Probleme ergaben sich in jedem Alter der Kinder für Hanna aber durch bauliche Barrieren. Es gibt in ihrem Umfeld keine barrierefreie Arzt- oder Ärztinnenpraxis. Ihre Hausärztin kommt zu ihr und ihren Kindern in die Wohnung, für Besuche beim Kinderarzt benötigt sie jeweils eine Begleitung. Auch die meisten Geschäfte und Freizeiteinrichtungen - Schwimmbad, Spielplatz, Tierpark - sind mit dem Rollstuhl nicht ohne fremde Hilfe zugänglich. Hanna bezeichnet sich daher als ständige Managerin von Hilfen für Unternehmungen mit ihren Kindern. Besonders problematisch ist für sie, dass auch der Kindergarten und die Schule für sie nicht zugänglich sind. So war ihre Tochter beim Schuleintritt völlig auf sich gestellt, während alle anderen Mütter ihre Kinder begleiten und ihnen helfen konnten, sich im Schulhaus zurechtzufinden.

Hanna merkt an den Blicken ihrer Mitmenschen, dass sie als Mutter im Rollstuhl viel Aufmerksamkeit erregt. Da sie in einer ländlichen Umgebung lebt und gut bekannt ist, ist es für sie selbstverständlich, häufig angesprochen und befragt zu werden. Die Frage, die ihr dabei am häufigsten gestellt wird ist, was sie macht, wenn ihr ihre Kinder davonlaufen.

Insgesamt meint Hanna, dass im ländlichen Raum die Einstellung ihr gegenüber bzw. generell behinderten Menschen gegenüber unkomplizierter ist als in einem städtischen Umfeld: "Die meisten schauen halt, wie du zurechtkommst und dann helfen sie dir halt einmal."

Dies gilt auch für Situationen, in denen Hanna z. B. am Spielplatz andere Eltern bittet, ihr oder ihren Kindern zu helfen. Hanna hat gute und regelmäßige Kontakte sowohl zu Familien mit behinderten als auch mit nicht behinderten Elternteilen.

Die meiste Hilfe erhält Hanna von Familienangehörigen und Freundeskreis. Während der Kleinkinderzeit unterstützten sie vor allem ihre Mutter und ihre Schwester auch zu Hause. Mittlerweile bezieht sich die Hilfe vor allem auf Begleitung zu Unternehmungen oder Terminen außer Haus.

Für Hanna ist es sehr wichtig, dass ihre Kinder durch die Behinderung der Mutter keine Einschränkungen erleben. Sie nimmt sie häufig auf ihre Reisen zu Tennisturnieren mit und betreibt auch mit ihnen Sport. Sie spricht sehr offen mit ihnen über ihre Möglichkeiten und Grenzen, und die Kinder stellen sich selbstverständlich darauf ein. Hilfsmittel, wie z. B. ein Treppenlift im Haus, sind für Hannas Kinder selbstverständliche Gegenstände des Alltags, während andere Kinder großes Interesse daran zeigen. Hanna beobachtet, dass ihre Kinder in vielen Bereichen selbständiger sind als Gleichaltrige und bekommt auch entsprechende Rückmeldungen von anderen Eltern. Sie führt dies darauf zurück, dass ihre Kinder in manchen Situationen mehr auf sich gestellt sind.

Hannas wichtigstes Anliegen für eine Verbesserung ihrer Situation ist die Beseitigung von baulichen Barrieren. Sie betont, dass nicht ihre Behinderung sie bei Aktivitäten mit ihren Kindern einschränkt, sondern die Umweltbedingungen. Vor allem im Kontakt mit der Schule ihrer Tochter fühlt sie sich durch die Unzugänglichkeit des Gebäudes in der Erfüllung ihrer Mutterrolle eingeschränkt.

Insgesamt sieht Hanna ihre Situation überwiegend positiv. Sie ist der Überzeugung, dass eine Behinderung - auch beider Partner - kein Hindernis für die Mutterschaft ist und würde ihre Erfahrungen auch jederzeit anderen weitergeben: "Ich kann es nur weiterempfehlen."

7.3.3. Vergleich der Ergebnisse anhand der Kategorien

7.3.3.1. Entwicklung zur Mutterschaft

Bei der Entwicklung der Familienperspektive besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen denjenigen Interviewpartnerinnen, die ihre Behinderung von Geburt an hatten (1 2 3 4 6), und denjenigen, bei denen die Behinderung aufgrund eines Unfalles im Jugend- bzw. Erwachsenenalter eintrat (5 7 8). Ein derartiges Ereignis stellt in jedem Fall einen Bruch in der Biographie dar und erfordert eine völlige Neuorientierung. Dies betrifft in hohem Maß die Selbstwahrnehmung als Frau und die Erwartungen hinsichtlich Partnerschaft und Mutterschaft, nicht zuletzt auch aufgrund des veränderten Verhaltens der Umwelt. Die drei Frauen, deren Behinderungsursache ein Unfall ist, erlebten danach Zweifel, ob sie als Partnerin attraktiv sein könnten, bis hin zu dem Gefühl, ihre weibliche Identität insgesamt verloren zu haben. Eine Perspektive von Partnerschaft und Familie entwickelte sich erst wieder mit dem Kennenlernen des späteren Partners. Zwei der Frauen (5 7) berichten von einem sehr starken Kinderwunsch und dessen Verwirklichung als Erfüllung eines für unmöglich gehaltenen Wunschtraumes.

Von den fünf Frauen, die von Geburt an behindert sind, berichten drei (1 3 4), dass ihnen von ihren Familien - vor allem jeweils von der Mutter - bereits von Kindheit an vermittelt wurde, sie sollten keine Kinder bekommen bzw. partnerlos bleiben. Bei den blinden Frauen fällt auf, dass bei drei der Befragten (2 3 4) die Ursache der Erblindung medizinisch nicht geklärt ist und von ärztlicher Seite vage Schätzungen eines Vererbungsrisikos der Behinderung - z. B. von 50 % - gemacht wurden. Eine Frau (4) berichtet, dass sie und ihr Partner sich aufgrund dieser Unsicherheit gegen ein zweites Kind entschieden. Bei einer zweiten Interviewpartnerin (3) war diese Schätzung die Ursache für die anfängliche Ablehnung ihrer Schwangerschaft durch ihre Familie.

Drei der fünf von Geburt an behinderten Frauen (1 3 6) haben eine genetische Beratung in Anspruch genommen. Jene beiden Frauen, deren Behinderungsursache geklärt ist (1 6), beschreiben die Beratung als wichtige Unterstützung in der Entscheidung für ein Kind.

Alle blinden Interviewpartnerinnen (2 3 4 6) verbrachten einen Teil ihrer Schul- und Ausbildungszeit in Sonderinstitutionen. Keine von ihnen berichtet, dass Partnerschaft und Familie dort speziell thematisiert wurden.

Wie der Eintritt der ersten Schwangerschaft von den Frauen erlebt wurde, steht sowohl in Zusammenhang mit der jeweiligen Behinderung als auch mit der aktuellen Lebens- und Partnerschaftssituation und ist sehr individuell. Für drei der Frauen (1 2 3) kam die erste Schwangerschaft ungeplant. Alle entschieden sich sehr schnell für das Kind und vertraten diese Entscheidung auch klar gegenüber ihrer Umwelt.

Alle Frauen berichten von spezifischen Reaktionen von Familienangehörigen auf ihre Schwangerschaft, die von Überraschung über Besorgnis bis hin zu zumindest vorübergehender Ablehnung reichten. Teilweise wurden konkrete Befürchtungen geäußert, dass das Kind ebenfalls eine Behinderung haben könnte oder dass die behinderte Frau den Anforderungen der Mutterrolle nicht gewachsen sein könnte. Die Schilderungen mancher Reaktionen erwecken aber auch den Eindruck, dass bei einer behinderten Frau ein Kind grundsätzlich nicht erwartet wurde. Im Freundes- und Bekanntenkreis erlebten die Frauen überwiegend positive Reaktionen auf ihre Schwangerschaft. Am Arbeitsplatz fielen die Reaktionen unterschiedlich aus. Eine Frau mit Querschnittlähmung (5) wurde gefragt, ob das Kind mittels künstlicher Befruchtung gezeugt worden sei. Häufig wurden den behinderten Frauen bereits während der Schwangerschaft Fragen gestellt, wie sie bestimmte Situationen mit dem Kind würden bewältigen können. Die Beaufsichtigung eines Kleinkindes wurde besonders oft thematisiert. Den drei Frauen, die einen Rollstuhl benutzen (5 7 8), wurde z. B. die Frage gestellt, was sie tun würden, wenn ihr Kind wegliefe. Eine blinde Frau (3) wurde gefragt, wie sie verhindern könnte, dass ihr Kind Schränke und Schubladen ausräume. Nur zwei Frauen (2 7) berichten über Reaktionen von Passantinnen bzw. Passanten bereits während der Schwangerschaft, die überwiegend negativ waren. Eine Frau (2) schildert insbesondere negative Reaktionen auf ihre zweite Schwangerschaft.

Die meisten bewegungsbehinderten Frauen hatten keine Informationen darüber, welche Auswirkungen die Schwangerschaft auf ihre Behinderung haben könnte. Lediglich eine Frau (8) mit Querschnittlähmung kannte einige Mütter mit einer ähnlichen Behinderung, die ihre Erfahrungen weitergaben. Alle bewegungsbehinderten Frauen bemühten sich während der Schwangerschaft, ihre Gewichtszunahme unter Kontrolle zu halten und durch Sport bzw. Physiotherapie in guter körperlicher Verfassung zu bleiben.

Nur eine blinde Frau (3), die zusätzlich zu ihrer Behinderung eine Stoffwechselerkrankung hat, berichtet über eine wesentliche Verschlimmerung dieser Beeinträchtigung während der Schwangerschaft. Die Symptome gingen unmittelbar nach der Geburt wieder zurück. Bei den anderen Frauen hatte die Schwangerschaft keinerlei spezifische Auswirkungen auf die Behinderung. Bei einer Frau mit einer Muskelerkrankung (1) führte die Geburt zu einer lang andauernden Verschlechterung ihrer Beeinträchtigung.

Insgesamt beschreiben alle Frauen ihre Schwangerschaft als überwiegend schöne Zeit. Eine Frau (3), bei der die Behinderungsursache ungeklärt ist, setzte sich sehr intensiv mit einer möglichen Behinderung ihres Kindes auseinander. Eine Frau (7) beschäftigte zeitweise die Frage, ob ihr Kind ihre Behinderung würde akzeptieren können. Zwei Frauen (5 7) berichten von vorübergehenden Ängsten, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein, meinen aber, dass diese vermutlich nicht größer waren als bei schwangeren Frauen allgemein. Nur eine Frau (4) meint, dass sie übergroße Ängste hatte, ob sie angesichts ihrer Behinderung der Aufgabe gewachsen sein würde, dass sich ihre Ängste vor Schwierigkeiten im Alltag mit dem Kind aber nachträglich als übertrieben erwiesen hätten. Die überwiegenden Gefühle während der Schwangerschaft werden von allen Frauen als Zuversicht und Vorfreude auf das Kind beschrieben. Drei Frauen (2 5 7) berichten, dass sie sehr stolz darauf gewesen seien, Mutter zu werden.

7.3.3.2 Erfahrungen im professionellen Zusammenhängen

7.3.3.2.1. Medizinischer Bereich

Aus den Schilderungen der Frauen geht hervor, dass die Betreuung durch den Gynäkologen bzw. die Gynäkologin während der Schwangerschaft dann besonders positiv erlebt wurde, wenn die Frau den Arzt oder die Ärztin bereits vor der Schwangerschaft konsultiert hatte (1 5 6 7). Ablehnende Reaktionen auf ihre Schwangerschaft erlebten zwei Frauen (5 6) durch Ärzte, die sie zum ersten Mal konsultierten.

Für die blinden Frauen war im Rahmen der Untersuchungen während der Schwangerschaft sehr wichtig, vom Arzt oder der Ärztin möglichst viele Informationen zu bekommen. Eine detaillierte Beschreibung der Ultraschallbilder und die Möglichkeit, die Herztöne des Kindes hören zu können, wurden hier als besonders positiv erlebt. Drei blinde Frauen berichten, dass ihr Arzt die Ultraschallbilder beschrieb (2 3 6), bei einer Frau übernahm dies der Partner (4). Eine Frau (2) wurde während einer ihrer beiden Schwangerschaften von einem Gynäkologen betreut, der ihr keine ausreichenden Informationen gab. Sie bedauerte dies sehr.

Von den bewegungsbehinderten Frauen hatten sich zwei Frauen mit Querschnittlähmung (5 7) vor ihrer Schwangerschaft bei ihrem Gynäkologen darüber informiert, ob es für sie grundsätzlich möglich sei, eigene Kinder zu bekommen. Bei allen bewegungsbehinderten Frauen war eine zentrale Frage in der Schwangerschaft, ob sie ihr Kind mittels Spontangeburt oder Kaiserschnitt zur Welt bringen sollten. Bei drei von ihnen (1 5 7) plädierten die betreuenden Gynäkologen, aufgrund von Informationen, die sie eingeholt hatten, bzw. aufgrund des Verlaufes der Schwangerschaft für eine Spontangeburt. Eine Frau mit Querschnittlähmung (7) wurde bereits etwa vier Wochen vor dem errechneten Geburtstermin stationär aufgenommen, da nicht eingeschätzt werden konnte, ob sie beginnende Wehen spüren würde. Einer Frau (8) wurde für die Geburt des ersten Kindes ein geplanter Kaiserschnitt empfohlen. Für die Geburt des zweiten Kindes entschied sie sich selbst für einen weiteren geplanten Kaiserschnitt. Drei der bewegungsbehinderten Frauen berichten (1 5 7), dass ihre betreuenden Gynäkologen speziell auf ihre Situation eingingen, Informationen einholten oder häufiger als im Mutter-Kind-Pass vorgesehen Ultraschalluntersuchungen durchführten. Eine Frau (8) meint, dass es ihr selbst überlassen blieb, spezielle Informationen einzuholen. Zwei Frauen, die einen Rollstuhl benutzen (5 7), suchten ihre Ärzte im LKH bzw. in einem Rehabilitationszentrum, also in einem weitgehend barrierefrei zugänglichen Umfeld, auf.

Insgesamt drei Frauen (4 5 6) wurde während der Schwangerschaft eine pränataldiagnostische Untersuchung mittels Amniozenthese angeboten. Zwei von ihnen waren zu diesem Zeitpunkt älter als 35 Jahre. Zwei Frauen lehnten die Untersuchung ab. Die dritte Frau berichtet, dass ihr für den Fall einer Behinderung des Kindes ein Schwangerschaftsabbruch mit der Begründung nahe gelegt wurde, dass angesichts ihrer eigenen Behinderung ein behindertes Kind eine Überforderung sei. Sie selbst hatte den Eindruck, dass es auch grundsätzlich darum ging, Behinderung zu verhindern.

Von den insgesamt 10 Geburten fanden fünf im Landeskrankenhaus Graz, vier in Bezirks-Landeskrankenhäusern und eine als Hausgeburt statt. Drei Geburten erfolgten mittels geplantem Kaiserschnitt.

Dort wo die Frauen durch ihren betreuenden Gynäkologen bereits avisiert oder durch einen Geburtsvorbereitungskurs bzw. ihre Berufstätigkeit beim Personal bereits bekannt waren (1 3 5 6 8), wurde dies in den Erzählungen als besonders positiver Faktor hervorgehoben. Bei einer bewegungsbehinderten Frau mit einer Muskelerkrankung (1) wurden vor der Geburt zusätzliche Untersuchungen durchgeführt, und sie wurde speziell von zwei Hebammen betreut. Bei zwei Frauen mit Querschnittlähmung (5 7) war das Personal im Kreißsaal anfänglich unsicher, ob eine Spontangeburt wirklich möglich sei bzw. wie die Geburt am besten unterstützt werden könnte. In beiden Fällen entwickelte sich die Zusammenarbeit aber bald sehr gut. Vier Frauen betonen in ihren Schilderungen vor allem die gute Unterstützung durch die jeweils betreuenden Hebammen (1 2 5 7).

Eine blinde Frau (2) beschreibt die Geburt ihres ersten Kindes als sehr negative Erfahrung. Als besonders belastend erlebte sie dabei die häufig wechselnden Personen, die sie nicht zuordnen konnte, sodass keine Vertrauensbasis entstand, und das Mitanhören anderer Geburten. Auch wurden gegen ihren Willen Maßnahmen zur Beschleunigung der Geburt getroffen. Die Tatsache, dass auf die behinderungsbedingt spezielle Situation dieser Frau keine Rücksicht genommen wurde, führte nach ihrer Einschätzung auch dazu, dass eine Komplikation nach der Geburt ein lebensbedrohliches Ausmaß annahm. Aufgrund dieser Erfahrungen entschied sich die betroffene Frau bei ihrem zweiten Kind für eine Hausgeburt. Mit der Betreuung vor, während und nach der Geburt war sie sehr zufrieden. Die betreuende Hebamme interessierte sich bereits in der Geburtsvorbereitung dafür, wie die Mutter ihren Alltag organisiert und konnte dadurch speziell in der Nachbetreuung gut auf ihre Bedürfnisse eingehen.

Eine blinde Frau (3), die ihr Kind mittels geplantem Kaiserschnitt zur Welt brachte, wollte die Geburt trotzdem möglichst unmittelbar miterleben und entschied sich daher für eine Lokalanästhesie. Sie schildert, dass es ihr sehr wichtig war, dass ihr alle Vorgänge während des Eingriffs genau beschrieben wurden.

In der Wochenbettzeit auf der Entbindungsstation entstanden für die bewegungsbehinderten Frauen Probleme vor allem aufgrund der räumlichen Gegebenheiten und Barrieren: Die Krankenzimmer hatten keine direkt angeschlossenen bzw. keine rollstuhlgerechten Sanitärräume. Dadurch mussten entweder weite Wege zurückgelegt werden, oder Hilfe war notwendig. Betten waren nicht höhenverstellbar, was zu Problemen beim Überwechseln zwischen Bett und Rollstuhl führte. Kinderbettchen waren zu hoch, um ein Baby vom Rollstuhl aus herausheben zu können, Wickeltische ebenfalls zu hoch und mit dem Rollstuhl nicht unterfahrbar. Das Personal auf den Entbindungsstationen ging in unterschiedlicher Weise auf diese Probleme ein. Zwei Frauen (5 8) waren vor der Geburt ihrer Kinder in demselben Krankenhaus bzw. einer angrenzenden Station berufstätig. Sie kannten daher das Personal und hatten die Bedingungen und ihre daraus folgenden Bedürfnisse bereits im Vorfeld abgeklärt. Beide bekamen einen niedrigeren Tisch in ihr Zimmer, sodass sie ihre Babys selbständig wickeln konnten. Sie beschreiben die Betreuung und Unterstützung insgesamt als sehr gut. Bei einer Frau (1) stellte sich das Personal nach anfänglichen Schwierigkeiten sehr rasch auf die besondere Situation ein, und auch sie beschreibt die Betreuung insgesamt als sehr aufmerksam und gut. Eine Frau (7) schildert, dass sie auf der Entbindungsstation wenig Verständnis für ihre Bedürfnisse und Schwierigkeiten aufgrund der räumlichen Bedingungen erlebte. Sie hatte auch das Gefühl, dass ihr das Personal nicht zutraute, ihr Kind selbst zu versorgen.

Von den blinden Frauen waren zwei (3 6) nach der Geburt auf einer Rooming-in-Station. Beide hatten die Station bereits vor der Geburt besichtigt. Bei beiden Frauen unterstützte das Pflegepersonal den Wunsch, die Kinder selbständig zu versorgen. Die beiden anderen blinden Frauen verbrachten die Wochenbettzeit auf Stationen, wo es üblich war, die Mütter erst kurz vor der Entlassung beim Baden und Wickeln der Säuglinge anzuleiten. Beide Frauen (2 4) berichten von Problemen mit dieser Anleitung. Eine von ihnen wurde zwar aufgrund ihrer Blindheit mehrmals zum Wickeln und Baden gerufen, durfte ihr Kind dann aber nicht selbst versorgen, sondern nur dabeistehen, während die Säuglingsschwester dies tat. Die zweite Frau bat mehrfach darum das Wickeln mehrmals unter Aufsicht üben zu dürfen, bekam aber keine Möglichkeit dazu.

Alle Interviewpartnerinnen berichten über ein gutes Verhältnis zum jeweiligen Kinderarzt/zur jeweiligen Kinderärztin. Sie fühlten sich immer als die Hauptansprechpartnerin, auch dann, wenn sie in Begleitung dort waren. Die bewegungsbehinderten Frauen thematisierten hier wiederum das Problem baulicher Barrieren. Diese führten dazu, dass sie eine relativ weite Anreise zu Kinderärztinnen/Kinderärzten in Kauf nahmen, um die Praxis selbst erreichen zu können, bzw. Besuche bei Kinderärztinnen/Kinderärzten nur mit Unterstützung anderer Personen möglich waren.

Eine blinde Frau (2) berichtet von einem Notarzt, den sie zu ihren Kindern rufen musste, der nicht bereit oder in der Lage war sie als Ansprechpartnerin zu akzeptieren, sondern sich permanent an ihren dreieinhalbjährigen Sohn wandte.

7.3.3.2.2. Sozialarbeiterischer Bereich

Nur zwei meiner Interviewpartnerinnen berichten über Erfahrungen im sozialarbeiterischen Umfeld. Eine blinde Mutter (2) beschreibt einen Konflikt über Ernährungsfragen mit der Mitarbeiterin einer Mütterberatungsstelle, aufgrund dessen diese eine Nachschau des Jugendamtes veranlasste. Dabei wurde aber nichts beanstandet.

Eine bewegungsbehinderte Mutter (1) erhielt von dem für ihren Bezirk zuständigen Mitarbeiter des Sozialamtes der Stadt Graz wichtige Informationen über einen Zuschuss zu den Kosten für persönliche Assistenz bei der Betreuung ihres Kindes.

Die anderen Frauen geben an, dass sie keinerlei öffentliche Beratungs- oder Unterstützungsangebote in Anspruch genommen haben.

7.3.3.3. Zugang zu Angeboten

Einen Kurs für Geburtsvorbereitung bzw. Schwangerengymnastik besuchten vier meiner Interviewpartnerinnen (1 2 4 5). Alle berichten, dass ihre speziellen Bedürfnisse im Kurs berücksichtigt wurden. So wurden den blinden Frauen Bewegungsübungen gesondert erklärt und gezeigt. Eine Frau, die einen Rollstuhl benutzt, erhielt für Übungen, die im Liegen ausgeführt wurden, eine Rollliege, auf die sie vom Rollstuhl leicht überwechseln konnte. Die meisten der Frauen fühlten sich in ihren Kursen gut in die Gruppe integriert. Lediglich eine Frau (5), die zusammen mit ihrem nicht behinderten Partner am Geburtsvorbereitungskurs teilnahm, berichtet, dass wenig mit ihr direkt gesprochen, sondern mehr über ihren Partner kommuniziert wurde.

Eine bewegungsbehinderte Frau (1) nahm neben dem Geburtsvorbereitungskurs während der gesamten Schwangerschaft Physiotherapie in Anspruch, um besser mit der Gewichtszunahme umgehen zu können. Eine blinde Frau (6) besuchte Physiotherapie in Einzelbetreuung zur direkten Geburtsvorbereitung anstatt eines Kurses.

Fast alle Frauen suchten während der Schwangerschaft gezielt nach Informationen zu Fragen der Alltagsorganisation in Zusammenhang mit ihrer Behinderung. Dabei spielten Kontakte zu Frauen mit einer ähnlichen Behinderung, die bereits Kinder hatten, die Hauptrolle. Nur eine Frau (5) erhielt, als ihr Kind schon einige Monate alt war, anlässlich eines internationalen Kongresses von Müttern mit Behinderungen spezielles Informationsmaterial aus dem Ausland. Keine der Frauen gab an, bei einer österreichischen Beratungsstelle oder Organisation spezielle Informationen gesucht oder erhalten zu haben. Nicht alle Frauen hatten ausreichenden Kontakt zu anderen behinderten Müttern. Vier Frauen (2 4 6 7) geben an, sie hätten sich während ihrer Schwangerschaft mehr Informationen und Kontakte gewünscht.

Zwei blinde Frauen (2 4) besuchten mit ihren Babys Mütterberatungsstellen. Für beide war dabei vor allem wichtig, sicherzustellen, dass keine Krankheitssymptome vorlagen, die nur optisch feststellbar gewesen wären und dass sich ihre Kinder insgesamt gut entwickelten.

Zwei blinde Frauen (2 6) besuchten mit ihren Kleinkindern Mutter-Kind-Gruppen. Eine von ihnen leitete den Müttergesprächskreis in ihrer Gemeinde und fühlte sich dementsprechend auch vollständig integriert. Die andere fühlte sich überwiegend gut integriert, berichtet aber, dass einige der anderen Mütter sich ihr gegenüber distanziert verhielten. Eine Schwierigkeit für diese Mutter war, dass sie ihr Kind beim freien Spiel nicht beaufsichtigen konnte und nicht immer klar war, ob andere Mütter dies für sie übernahmen.

Drei bewegungsbehinderte Frauen (1 5 7) gaben an, sie hätten deshalb keine Mutter-Kind-Angebote in Anspruch genommen, weil der Aufwand dort hin zu kommen und die erwarteten Probleme mit baulichen Barrieren sie davon abgehalten hätten. Sie sorgten dafür, dass ihre Kinder in der Wohnumgebung ausreichend Kontakt zu anderen Kindern bekamen.

Nur eine Frau (2) berichtet, dass sie versucht habe, Angebote für behinderte Menschen für ihre Familie zu nutzen. Diese entsprachen aber nicht ihren Bedürfnissen, weil sie entweder zu kostspielig oder zu wenig flexibel waren.

7.3.3.4. Umweltreaktionen und deren Auswirkungen auf behinderte Mütter

7.3.3.4.1. Erfahrungen und persönlicher Umgang mit Umweltreaktionen auf die Mutterschaft

Aus allen Berichten geht hervor, dass eine offensichtlich behinderte Frau mit einem Kind in jedem Fall besondere Aufmerksamkeit erregt. In der Folge werden den behinderten Müttern häufig Fragen gestellt. Zwei Frauen, die einen Rollstuhl benutzen, berichten, dass sie gefragt wurden, ob das Kind in ihrer Begleitung wirklich ihr eigenes sei (5 7). Ansonsten beziehen sich die Fragen meistens auf konkrete Alltagssituationen: Was macht die bewegungsbehinderte Mutter, wenn ihr Kind wegläuft? Wie kann die blinde Mutter feststellen, ob ihr Kind Schubladen ausräumt? Wie kann sie überhaupt ihren Haushalt führen? - usw. Die meisten Frauen empfanden solche Fragen als natürliches Interesse ihrer Umwelt. Eine Frau berichtet, dass solche Fragen bei ihr das Gefühl auslösten, sich rechtfertigen zu müssen und dass sie darüber zeitweise Wut empfand (5).

Fast alle Frauen berichten über bewundernde Reaktionen der Umwelt. Diese Bewunderung wurde von einigen als eher belastend erlebt (2 6), einerseits weil sie mit der eigenen Wahrnehmung nicht übereinstimmte bzw. weil sie den Frauen zeigte, dass keine normale Beziehungsebene bestand. Eine Frau berichtet, dass sie die Bewunderung der Umwelt zusätzlich anspornte zu beweisen, dass sie "es" allein schaffen konnte (5).

Negativreaktionen wurden meist nicht direkt an die behinderten Frauen gerichtet, sondern erfolgten durch Bemerkungen im Vorübergehen oder Blicke. Die Frauen berichten mehrfach, dass bei solchen Bemerkungen das Kind bedauert wurde (2 5 6). Eine Frau beschäftigt die Frage stark, wie sie adäquat auf diese Bemerkungen reagieren könnte (6). Eine andere berichtet, dass sie die betreffenden Personen manchmal auf deren Aussagen ansprach (5), worauf sich diese meist peinlich berührt rasch zurückzogen.

Bei diesem Thema beschreiben meine Interviewpartnerinnen vor allem Reaktionen von Passanten und Passantinnen oder von anderen einmaligen Begegnungen. Aus der eigenen Familie bzw. von Freunden und Freundinnen werden nach der Geburt des Kindes nur wenige spezifische Reaktionen beschrieben. Nur eine bewegungsbehinderte Frau berichtet über einen Konflikt mit ihrer Schwiegermutter (5). Diese war der Ansicht, dass das Kind besser in einer nicht behinderten Umgebung aufwachsen solle.

Fast alle Frauen hatten in der Nachbarschaft oder im Freundeskreis gute und regelmäßige Kontakte zu anderen Familien mit meist nicht behinderten Elternteilen. Lediglich eine blinde Frau fühlt sich von nicht behinderten Eltern ausgegrenzt (4).

Auf meine Frage, wie sie die generelle Einstellung der Gesellschaft zu behinderten Müttern einschätzen, antworten alle Interviewpartnerinnen, dass die Grundhaltung eher ablehnend sei. Mehrere Frauen meinen, dass bei jüngeren Menschen größere Akzeptanz besteht als bei der älteren Generation. Häufig beruht die Skepsis auf der Annahme, dass die behinderte Frau bestimmte Anforderungen nicht bewältigen kann. Auch die Vorstellung, dass eine behinderte Frau auch ein behindertes Kind zur Welt bringen werde, spielt nach Einschätzung mehrerer Interviewpartnerinnen eine wichtige Rolle. Drei Frauen (5 6 8) weisen darauf hin, dass der Eindruck, den die behinderte Mutter bei ihrer Umgebung erweckt, eine wichtige Rolle spiele. Wirkt sie selbstsicher und vermittelt den Eindruck, alles im Griff. zu haben, wird sie überwiegend bewundert, zeigen sich allerdings Probleme, werden diese vor allem der Behinderung der Mutter zugeschrieben.

7.3.3.4.2. Inanspruchnahme und persönlicher Umgang mit Hilfeleistungen

Der von mir vermutete und in der Literatur beschriebene Zusammenhang zwischen dem Erleben von Umweltreaktionen auf die Mutterschaft und der Inanspruchnahme von Hilfeleistungen und Unterstützungsangeboten lässt sich nur aus den Aussagen von zwei meiner Interviewpartnerinnen schließen.

Eine blinde Frau (2) berichtet, dass es ihr große Schwierigkeiten bereitete, um Hilfe zu bitten. Sie fürchtete, abgewiesen zu werden oder anderen zur Last zu fallen. Diese zweifache Mutter schildert einige Erfahrungen von besonders direkter Ablehnung und eine zumindest nicht direkt nachvollziehbare Nachschau durch das Jugendamt. Auf der anderen Seite wurde sie in einem Medienbericht als Alltagsheldin dargestellt. Rückblickend ist sie der Ansicht, dass sie sich häufig überfordert hat.

Eine bewegungsbehinderte Frau (5) schildert, dass die Reaktionen ihrer Umwelt, insbesondere die bewundernden, sie dazu anspornten, nicht um Hilfe zu bitten und auch dann, wenn dies mit großen Anstrengungen verbunden war, zu beweisen, dass sie allein zurechtkam.

Nur eine meiner Interviewpartnerinnen (1) deckte den größten Teil ihres Hilfebedarfs über bezahlte Assistenz. Alle anderen Frauen bekamen Unterstützung ausschließlich von Freunden oder aus der Familie. Auf Nachfrage meinten die meisten Frauen, sie hätten eigentlich nie erwogen, bezahlte Hilfe in Anspruch zu nehmen. Lediglich die oben erwähnte blinde Frau meinte, sie hätte gerne öffentliche Unterstützungsangebote genützt, hatte aber keine Informationen darüber.

7.3.3.5. Probleme und Lösungsstrategien im Alltag

Eine meiner Interviewpartnerinnen (8) bezeichnet sich selbst als "ständige Managerin". Diese Beschreibung gilt für alle acht Frauen. Sie mussten Aktivitäten, bei denen sie Hilfe benötigten, entsprechend vorplanen, damit eine Hilfsperson zur Verfügung stand. Bei Aktivitäten außer Haus, z. B. Spielplatzbesuchen, legten alle Frauen großen Wert darauf, dass die Umgebung möglichst frei von Gefahrenquellen war, weil sie ihren Kindern nicht ohne weiteres folgen konnten. Daher mussten sie bereits vorher abklären, wie die Umgebung beschaffen war.

Aktivitäten außer Haus stellten insgesamt besondere Anforderungen an die behinderten Mütter. Solange die Kinder im Säuglingsalter waren, musste eine geeignete Möglichkeit gefunden werden, sie zu transportieren. Die Frauen, die einen Rollstuhl benutzen (5 7 8), fanden unterschiedliche - auch von Alter der Kinder abhängige - Möglichkeiten, ihre Babys im Rollstuhl zu transportieren: in einer Tragetasche oder Auto-Babyschale, die am eigenen Körper befestigt wurde, auf dem Schoß sitzend und mit einem Gurt oder Tuch am eigenen Körper gesichert. Von den blinden Frauen verzichtete eine gänzlich auf den Gebrauch des Kinderwagens und trug ihr Baby in einem Tragesack (6). Eine andere zog den Kinderwagen hinter sich her (2). Zwei Frauen benutzten den Kinderwagen nur auf kurzen Strecken, die sie gut kannten, und gingen ansonsten nur in Begleitung mit dem Baby außer Haus (3 4). Eine Frau mit einer Muskelerkrankung (1) musste sich für alle Situationen in denen das Baby getragen werden musste, Hilfe organisieren.

Sobald die Kinder selbständig laufen konnten, stellte sich für alle Frauen die Frage der Beaufsichtigung im Freien. Die Kinder der Rollstuhlbenutzerinnen fuhren auch dann noch häufig bei ihren Müttern mit. Die blinden Frauen führten ihre Kinder im Straßenverkehr entweder an der Hand oder mit Hilfe eines Laufgurtes. Ein Kind saß häufig auf einem Spielzeugtraktor, den die Mutter (4) hinter sich herzog. Eine blinde Frau (2) befestigte ihren Kindern, wenn sie sich frei bewegten, Glöckchen an der Kleidung. Alle Frauen achteten, wie bereits erwähnt, darauf, dass sich die Kinder in einem sicheren Umfeld frei bewegen konnten. Dabei fällt auf, dass sich die bewegungsbehinderten Frauen für Aktivitäten außer Haus häufig gezielt Hilfe organisierten. Die blinden Frauen planten Aktivitäten mit ihren Kindern so, dass sie ohne fremde Hilfe auskamen bzw. dass Hilfe bei Bedarf unmittelbar z. B. durch andere Mütter am Spielplatz geleistet werden konnte. Mehrere Frauen (4 6 7 8) weisen darauf hin, dass ihre Kinder sich nie weit von ihnen entfernten, sodass sich das Problem des Nicht-nachlaufen- Könnens erst gar nicht stellte. Lediglich eine blinde Frau (2) berichtet, dass eines ihrer beiden Kinder häufig weglief und sich auch stärker gegen den Laufgurt wehrte als das andere.

Alle bewegungsbehinderten Frauen verweisen auf das Problem der baulichen Barrieren, die sie an vielen Aktivitäten mit ihren Kindern hindern und ihnen den Zugang zum Kindergarten oder zur Schule ihrer Kinder verunmöglichen. Dadurch wird der Kontakt zu Kindergärtnerinnen und LehrerInnen erschwert. Dies hat auch direkte Auswirkungen auf die Kinder, wenn die Mutter im Kindergarten sie nicht beim Aus- und Anziehen unterstützen kann oder ein Kind am ersten Schultag als einziges allein in die Schule gehen muss. Häufig gibt es auch keine barrierefreie Arztpraxen, oder es müssen lange Anfahrtswege in Kauf genommen werden.

Im eigenen Wohnbereich nahmen die meisten Frauen keine speziellen Hilfeleistungen in Anspruch. Bei einigen Frauen wurden Tätigkeiten, die ihnen selbst schwer oder gar nicht möglich waren, vom Partner im Rahmen der elterlichen Aufgabenteilung übernommen. Lediglich eine bewegungsbehinderte alleinerziehende Mutter (1) nahm auch in der eigenen Wohnung Unterstützung überwiegend durch bezahlte Assistenz in Anspruch.

Alle Frauen bemühten sich, ihre Wohnumgebung entsprechend ihren Bedürfnissen bei der Versorgung ihrer Kinder zu gestalten. Dabei konnte keine auf bereits vorhandene spezielle Hilfsmittel für Eltern mit Behinderungen zurückgreifen. Vielmehr entwickelten sie selbst - gemeinsam mit dem Partner oder aufgrund von Erfahrungen anderer Betroffener - entsprechende Anpassungen. Für zwei bewegungsbehinderte Frauen (5 7) konstruierte jeweils der Partner einen mit dem Rollstuhl unterfahrbaren Wickeltisch. Alle bewegungsbehinderten Frauen berichteten, dass das Krabbelalter ihrer Kinder insofern eine besonders schwierige Phase für sie war, weil es ihnen nur schwer möglich war, ihre Kinder vom Boden hochzuheben. Eine Methode, die sich für die Frauen, die einen Rollstuhl benutzen, als praktikabel erwies, war die Kinder an den Trägern der Latzhose hochzuheben.

Alle blinden Frauen berichten, dass sie Möglichkeiten finden mussten, kleine Mengen z. B. für Flaschennahrung oder beim Verabreichen von Medikamenten abzumessen. Eine weitere Herausforderung war das Füttern mit dem Löffel. Die Schwierigkeit dabei war, bei den sich ständig bewegenden Kleinkindern gleichzeitig den Mund zu ertasten und zu verhindern, dass das Kind nach dem herangeführten Löffel oder in den Teller griff. Eine blinde Mutter (4) meint, sie habe das Füttern mit dem Löffel nach Möglichkeit anderen überlassen. Eine andere (2) berichtet, dass sie zunächst die Hände ihrer Kinder festhielt, diese aber bald lernten, dass sie nicht in den Teller greifen sollten.

Die meisten blinden Frauen suchten nach Möglichkeiten, ihren Kindern Bilder zu vermitteln und kennzeichneten Bilderbücher mit Brailleschrifthinweisen.

7.3.3.6. Bedürfnisse und Wünsche für eine Verbesserung der aktuellen Situation

Von meinen acht Interviewpartnerinnen meint nur eine (3), dass sie sich zur Zeit keine konkreten Verbesserungsmöglichkeiten ihrer Situation vorstellen könne.

Die anderen Frauen wünschen sich

  • bessere Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch mit anderen behinderten Müttern (1 2 4 5 7)

  • besseren Zugang zu Informationen über Hilfsmittel, personelle Unterstützung und finanzielle Förderungen (1 2 5 7)

  • mehr finanzielle Förderungen für Hilfsmittel für die Familienarbeit und Freizeitaktivitäten (2)

  • größeres und geordnetes Angebot an personeller Unterstützung - z. B. Begleitdienste bzw. persönliche Assistenz -, wobei die Bedürfnisse der Mutter im Vordergrund stehen müssen und es zu keiner Einmischung kommen darf (1 2)

  • umfangreichere Finanzierungsmöglichkeiten für persönliche Assistenz bei der Familienarbeit (1)

  • Abbau baulicher Barrieren (1 5 7 8)

  • Berücksichtigung der Bedürfnisse behinderter Frauen auf Entbindungsstationen (2 4 7)

  • Offenere Einstellung der Gesellschaft gegenüber den eigenständigen Lebensentscheidungen behinderter Menschen (1 2 5 6 7)

7.3.3.7. Aussagen über die Kinder

Im Leitfaden zu meinen Interviews hatte ich keine Fragen zu den Kindern der Interviewpartnerinnen vorgesehen. Alle Frauen berichteten im Interview über ihre Kinder, und diese Aussagen wurden in der Auswertung der Interviews in einer offenen Kategorie zusammengefasst.

Alle Interviewpartnerinnen thematisieren den Umgang ihrer Kinder mit der Behinderung. Anhand zahlreicher Beispiele wurde dabei deutlich, dass sich die Kinder selbstverständlich an die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Mütter anpassen. So berichtet eine blinde Mutter (6), dass ihr Kind, wenn es seinen Schnuller verloren hatte, die Hand der Mutter in die Richtung schob, wo der Schnuller lag. Eine andere blinde Frau (4) beschreibt, dass sich ihr Kind bereits im Krabbelalter bei ihr anders verhielt als bei ihrem sehenden Partner. Ihr gegenüber machte sich das Kind immer akustisch bemerkbar und gab ihr Gegenstände immer in die Hand, während es sie dem Vater zeigte. Eine bewegungsbehinderte Mutter (5) schildert, dass ihr Kind, wenn sie es an den Trägern der Latzhose hochheben wollte, eine Körperhaltung einnahm, in der sie die Träger gut greifen konnte. Das Kind einer anderen bewegungsbehinderten Frau (7) konnte nach kurzer Zeit genau einschätzen, wie hoch es klettern durfte, damit die Mutter es vom Rollstuhl aus erreichen konnte. Die Kinder der blinden Frauen machten schon im Kleinkindalter ihre Mütter auf Hindernisse aufmerksam. Spezielle Hilfsmittel, wie z. B. einen Treppenlift für Rollstuhlbenutzerinnen, betrachteten die Kinder als selbstverständliche Alltagsgegenstände, denen keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

Zwei meiner Interviewpartnerinnen (5 8) sind der Ansicht, dass ihre Kinder aufgrund der Behinderung der Mutter im Vergleich zu Gleichaltrigen selbständiger seien. Mehrere Frauen betonen, dass ihre Kinder durch die Behinderung der Mutter keine Einschränkungen erfahren sollen und sie sich deshalb besonders bemühen, möglichst viel mit ihnen gemeinsam zu unternehmen.

Drei der blinden Interviewpartnerinnen (2 3 4) sprachen das Thema der Hilfestellungen durch ihre Kinder an, wobei die Auffassungen dazu unterschiedlich sind. Zwei Frauen (2 3) versuchen, ihre Kinder so wenig wie möglich zu behinderungsbedingten Hilfeleistungen heranzuziehen. Für eine Mutter (4) ist es ein wesentliches Erziehungsziel, dass ihr Kind auch bereit ist, ihr zu helfen.

7.3.3.8. Gesamtbeurteilung der Situation

Sieben Frauen beurteilen ihre Lebenssituation trotz behinderungsbedingter Schwierigkeiten und zusätzlicher Belastungen insgesamt überwiegend positiv. Mehrere Frauen verweisen darauf, dass es wichtig sei, die Behinderung zu akzeptieren und seine Möglichkeiten und Grenzen zu kennen. Ein verlässliches Umfeld von Familie und FreundInnen wird als sehr wichtig angesehen.

Eine Frau beurteilt ihre Situation rückblickend eher negativ. Sie begründet dies damit, dass sie durch die Situation als Alleinerzieherin und finanzielle Schwierigkeiten zusätzlich zu ihrer Behinderung überfordert gewesen sei.

Übereinstimmend sind alle acht Frauen der Ansicht, dass eine Behinderung - auch beider Partner - kein Grund sei, auf eigene Kinder zu verzichten, und dass sie Frauen mit einer ähnlichen Behinderung auch zur Mutterschaft ermutigen würden: "Ich kann´s nur weiterempfehlen!" (4)

7.4. Schlussfolgerungen

Im Folgenden werde ich anhand der Forschungsfragen die Ergebnisse meiner Untersuchung zusammenfassen. Weiters werde ich aufzeigen, in welchen Bereichen aufgrund dieser Ergebnisse aus meiner Sicht Veränderungen notwendig sind, um die Lebenssituation und die Rahmenbedingungen für Frauen mit Bewegungs- oder Sehbehinderungen zu verbessern.

1. Welche Reaktionen erfahren behinderte Frauen bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und Mutterschaft allgemein?

Bei Frauen mit Behinderungen wird die Mutterschaft nicht als normaler Bestandteil des Lebenslaufes betrachtet. Wird eine offensichtlich behinderte Frau schwanger oder tritt sie als Mutter auf, wird sie für ihre Umwelt zur "außergewöhnlichen Erscheinung" und zieht in jedem Fall erhöhte Aufmerksamkeit auf sich. Diese Grundhaltung gilt sowohl für das enge Familienumfeld der behinderten Frauen als auch für das weitere Umfeld bzw. Außenstehende.

Beim Thema Kinderwunsch zeigt sich, dass bei Frauen, die von Geburt oder früher Kindheit an behindert sind, in der Familie, und hier vor allem durch die Mütter, vermittelt wird, dass sie keine Kinder bekommen sollten. Institutionen wie Sonderschulen spielen - nach meiner Untersuchung - keine oder höchstens eine indirekte Rolle, da das Thema dort offenbar ausgespart wird.

Bei Frauen, deren Behinderung erst im Jugend- oder Erwachsenenalter - z.B. durch Unfall - eintritt, scheint das Thema Partnerschaft und Familie von nahen Angehörigen möglichst vermieden zu werden. Bei diesen Frauen gibt es nach dem Eintritt ihrer Behinderung auch Phasen, in denen sie selbst der Meinung sind, dass eine Partnerschaft oder eigene Kinder für sie nicht mehr möglich sind. Bei ihnen entwickelt sich ein Bewusstsein dafür, auch mit ihrer Behinderung als Frau und Partnerin attraktiv zu sein, häufig durch die Bestätigung einer beginnenden Partnerschaft. Darauf folgt eine sehr bewusste Auseinandersetzung mit dem Kinderwunsch und die Entscheidung für ein Kind. Wie auch in der Literatur beschrieben, (Vgl. Papke, 1993) wird die Schwangerschaft bzw. Mutterschaft auch als eine Art Beweis dafür erlebt, dass man trotz Behinderung noch eine vollwertige Frau ist.

Die von Geburt an behinderten Frauen gehen sehr unterschiedlich mit den durch ihre Umwelt vermittelten Erwartungen um. In dieser Untersuchung wurde von großen Selbstzweifeln ebenso berichtet, wie von einer klaren Abgrenzung von den Erwartungen der Familie und dem bewussten Ausloten der eigenen Möglichkeiten und Grenzen. In manchen Fällen scheint die persönliche Auseinandersetzung mit dem Wunsch nach Partnerschaft und Familie aber auch vermieden zu werden. Sie setzt erst aus Anlass der ersten, ungeplanten Schwangerschaft ein.

Tritt die erste Schwangerschaft ein, erfolgen ungeteilt freudige Reaktionen darauf nur aus dem jeweiligen Freundeskreis der Frauen. In der eigenen Familie bzw. der Familie des Partners gibt es zwar auch freudige Reaktionen, allerdings geht damit auch eine gewisse Besorgnis einher. Oft herrscht auch Überraschung vor. Aber auch die heftigsten Ablehnungsreaktionen auf die Schwangerschaft kamen überwiegend aus dem unmittelbaren Familienumfeld der behinderten Frauen.

Diese Ergebnisse entsprechen den Berichten in der Literatur (Vgl. Kap. 5.2.3. d. A.). Danach ist gerade in den Familien behinderter Frauen die Wahrnehmung der Defizite oft stärker ausgeprägt, als die der Fähigkeiten. Stereotype Einstellungen zu behinderten Menschen sind auch bei deren nächsten Angehörigen latent gegeben und treten anlässlich einer Schwangerschaft offen zutage.

Im weiteren Umfeld der Frauen erfolgen spezifische Reaktionen auf die Schwangerschaft vor allem jeweils am Arbeitsplatz. Sie sind gekennzeichnet vom geringen Wissen über die konkrete Alltagsorganisation und die Fähigkeiten der behinderten Frauen. Dabei fällt auf, dass auch dann, wenn die Frau an ihrem Arbeitsplatz als kompetent und leistungsfähig anerkannt wird, Zweifel an ihren Fähigkeiten, die Anforderungen der Mutterrolle zu erfüllen, bestehen.

Häufige spezifische Umweltreaktionen erleben behinderte Frauen, wenn sie mit ihren Kindern in der Öffentlichkeit auftreten. Diese Reaktionen reichen von übertriebener Bewunderung über ungläubiges Staunen und Fragen nach der konkreten Alltagsbewältigung bis zu direkt ablehnenden Reaktionen, wobei häufig die Kinder bedauert werden. Diese Umweltreaktionen - auch die übertrieben positiven - werden von den Frauen häufig als sehr belastend empfunden. In ihnen drücken sich Vorurteile und Unwissenheit direkt aus. Im familiären Umfeld ändert sich die Haltung meist schon im Verlauf der Schwangerschaft, sodass spätestens bei der Geburt des Kindes die Freude überwiegt. Auch spätere Konflikte um die Erziehungskompetenz der behinderten Mutter traten in meiner Untersuchung nur als Einzelfall auf.

Eine generelle Einstellungsänderung gegenüber behinderten Menschen insgesamt und Müttern mit Behinderungen im Besonderen gehört zu den am häufigsten geäußerten Wünschen meiner Interviewpartnerinnen für eine Verbesserung ihrer Lebenssituation. Dazu wird auch häufig angeführt, dass unter jüngeren Menschen eine größere Offenheit zu beobachten ist. Hier zeigt sich, dass Veränderungen der letzten zwei Jahrzehnte, wie z.B. schulische Integration behinderter Kinder und verstärkte politische Arbeit einer emanzipatorischen Behindertenbewegung, die Grundeinstellung vieler Menschen zu behinderten Menschen durchaus beeinflussen. Darüber hinaus müsste aber auch die mediale Darstellung von Menschen mit Behinderungen umfassend verändert werden. Diese folgt noch überwiegend den beiden Extrembildern "Helden oder Hascherl" und trägt kaum zu einer realistischen Sichtweise der Lebenslagen behinderter Menschen bei.

2. Welche Reaktionen erfahren behinderte Frauen insbesondere von Personen, die professionell in der Beratung, Betreuung und Unterstützung von Schwangeren, Gebärenden und jungen Müttern tätig sind sowie von Personen, die professionell in der Beratung und Unterstützung von behinderten Menschen tätig sind?

Behinderte Frauen als Schwangere oder Gebärende sind auch im medizinischen Bereich "Ausnahmefälle". Wie sich die Betreuung während der Schwangerschaft, der Geburt und der Wochenbettphase gestaltet, hängt sehr vom persönlichen Engagement der jeweiligen Fachpersonen ab. Insgesamt zeigt sich, dass die Betreuung von den behinderten Frauen dann als sehr gut und ihren Bedürfnissen entsprechend erlebt wurde, wenn sie die betreuenden Ärzte oder Ärztinnen bereits vor der Schwangerschaft konsultiert hatten bzw. wenn sie bereits vor der Geburt persönlichen Kontakt zu Ärzten oder Ärztinnen und Pflegepersonal des betreffenden Krankenhauses gehabt hatten. Negative Erfahrungen machten Frauen mit Ärzten oder Ärztinnen, die sie zum ersten Mal konsultierten. Dabei kam es zu klar diskriminierenden Äußerungen von Ärzten.

Informationen über den Einfluss der Behinderungen auf Schwangerschaft und Geburtsverlauf holten die betreuenden Gynäkologen und Gynäkologinnen meist von sich aus ein. Bei Bewegungsbehinderungen kann aber offenbar häufig nicht vorhergesagt werden, wie sich die Behinderung auf den Geburtsverlauf auswirken wird, z. B. ob die Frau Wehenschmerz empfinden wird. Eine ausgeprägte Tendenz, deshalb die Geburt mittels geplantem Kaiserschnitt durchzuführen, wie dies in der Literatur beschrieben wird (Vgl. Kap. 5.3. d. A.), ist in meiner Untersuchung nicht erkennbar.

Im medizinischen Bereich zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Problemen und Bedürfnissen der bewegungsbehinderten und der blinden Frauen. Bei den bewegungsbehinderten Frauen stehen neben den körperlichen Herausforderungen Umweltbarrieren im Vordergrund. Vor allem die Gestaltung der Entbindungsstationen führte hier zu Problemen. Es waren keine rollstuhlgerechten Sanitärräume vorhanden, und die Einrichtung der Kranken- und Babyzimmer war für bewegungsbehinderte Frauen ebenfalls nicht geeignet.

Bei blinden Frauen liegen die Bedürfnisse und Schwierigkeiten meist im kommunikativen Bereich. Es ist sehr wichtig, dass optische Informationen - wie z.B. Ultraschallbilder - beschrieben werden. Der häufige Wechsel von möglichen Ansprechpersonen im Krankenhaus kann zu einer großen Belastung werden. Auch das Zeigen von Abläufen, z. B. beim Wickeln oder Baden des Neugeborenen, gelingt nicht, wenn die Säuglingsschwester nicht bereit ist, die blinde Mutter diese Tätigkeiten unter Anleitung selbst machen zu lassen.

Aufgrund der kleinen Gruppe ist es nicht möglich generelle Aussagen über die Bedingungen in einzelnen Krankenhäusern zu machen. Aus den Berichten wird aber deutlich, dass die Bereitschaft auf spezielle Bedürfnisse der behinderten Frauen einzugehen, auf Rooming-in-Stationen größer war.

Insgesamt wird auch in meiner Untersuchung deutlich, dass ein guter Informationsstand über die speziellen Aspekte von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett bei Frauen mit Behinderungen auch die Einstellung aller Beteiligten zu den Frauen positiv beeinflusst. Diese Informationen sollten für alle Berufsgruppen im geburtshilflichen Bereich jederzeit zur Verfügung stehen und möglichst bereits in deren Ausbildung einfließen.

Ähnlich zeigt sich auch beim Kontakt zu Kinderärzten, dass Ärzte, die regelmäßig aufgesucht werden und über die Möglichkeiten der behinderten Mutter Bescheid wissen, diese auch in jedem Fall als erste Ansprechpartnerin betrachten.

Genetische Beratung zur Abklärung der Wahrscheinlichkeit einer Weitervererbung der Behinderung wird dann als gute Unterstützung bei der Entscheidung für ein Kind erlebt, wenn die Ursache der Behinderung klar ist und daher konkrete Aussagen über die Vererbungswahrscheinlichkeit gemacht werden können. Schwieriger ist die Situation offensichtlich dann, wenn die Behinderungsursache unklar ist. Hier zeigt sich in meiner Untersuchung eine Tendenz zu 50:50-Schätzungen, sowohl durch die genetische Beratung als auch durch behandelnde Ärzte oder Ärztinnen. Angesichts des Einflusses, den solche Aussagen auf Entscheidungen einer behinderten Frau im Hinblick auf eigene Kinder bzw. auf die Haltung ihrer Umwelt haben, erscheint es mir problematisch, einer Frau zu vermitteln, dass eines von zwei Kindern, die sie zur Welt bringt, ihre Behinderung erben würde, wenn die Ursache der Behinderung nicht bekannt ist. Es wäre wünschenswert, dass den Frauen in solchen Fällen offen gesagt wird, dass keine Aussage getroffen werden kann.

Nur zwei meiner Interviewpartnerinnen haben Erfahrungen mit Fachpersonen im sozialarbeiterischen Bereich gemacht. Diese Erfahrungen waren völlig konträr. In einem Fall war die Handlungsweise einer Sozialarbeiterin offenbar stark vorurteilsgeleitet, im anderen erhielt die behinderte Mutter wichtige Unterstützung.

Keinerlei Erfahrungen gab es in meiner Untersuchung mit dem professionellen Beratungs- und Unterstützungsangebot für behinderte Menschen.

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass sich vor allem Frauen bereit fanden, mir Interviews zu geben, die ihre Lebenssituation größtenteils positiv empfinden und keine professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Ich sehe dies als Ausdruck der allgemeinen gesellschaftlichen Tendenz, Probleme im familiären Bereich möglichst nicht nach außen zu kommunizieren.

3. Welchen Zugang haben behinderte Frauen zu Informationen, Beratung und sonstigen Angeboten im Bereich Kinderwunsch, Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft allgemein und im Bezug auf ihre jeweilige Behinderung?

Bei der Suche nach Informationen zu Auswirkungen der Behinderung auf die Schwangerschaft bzw. zur Alltagsorganisation mit dem Kind stehen persönliche Kontakte zu Müttern mit einer vergleichbaren Behinderung im Mittelpunkt. Es bestehen ein starkes Bedürfnis nach solchen Kontakten und der Wunsch, von den Erfahrungen anderer Mütter in einer vergleichbaren Situation zu lernen. Öffentliche Beratungsangebote für behinderte Menschen bzw. Betroffenen- oder Selbsthilfeorganisationen spielen bei der Suche nach spezifischen Informationen keine Rolle. Es scheint, dass behinderte Frauen sich von diesen Stellen keine adäquaten Informationen erwarten. Tatsächlich hat sich meines Wissens bisher nur eine Beratungsstelle in der Steiermark konkret mit Fragen von Behinderung und Elternschaft beschäftigt (Vgl. Kap. 6.1.3. d. A.).

Die überwiegende Ausrichtung des Österreichischen Rehabilitationswesens und der entsprechenden Fördermittel auf den beruflichen Bereich wirkt sich auf das Informations- und Unterstützungsangebot der zuständigen Behördenstellen, aber auch der aus öffentlichen Mitteln geförderten sonstigen Beratungseinrichtungen aus. In der allgemeinen Wahrnehmung ist die Frage der Alltagsorganisation einer Familie dem rein privaten Bereich zugeordnet und wird nur bei scheinbaren oder tatsächlichen Problemen aus diesem herausgehoben. Aus vielen Reaktionen auf eine Schwangerschaft bzw. Mutterschaft einer behinderten Frau geht hervor, dass die Umwelt hier fast selbstverständlich Probleme erwartet. Um diese Erwartungshaltung nicht noch zu verstärken, wenden sich behinderte Frauen möglicherweise nicht an öffentliche Stellen, um Informationen zu erhalten, sondern sie bevorzugen informelle Kontakte mit ähnlich betroffenen Frauen, bei denen sie eine positive und unterstützende Grundhaltung voraussetzen können.

Behinderte Menschen sind Experten und Expertinnen für ihre Lebenssituation. Daher ist der Erfahrungsaustausch von Frauen mit Behinderungen zu Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft wünschenswert. Allerdings muss gewährleistet sein, dass der Zugang zu diesen Erfahrungen allen Frauen in gleicher Weise möglich ist und nicht vom Bestehen persönlicher Netzwerke abhängt. In diesem Sinn wäre eine Vernetzung und Selbstorganisation von Eltern mit Behinderungen - z.B. nach dem Vorbild des deutschen Bundesverbandes behinderter und chronisch kranker Eltern e.V. (Vgl. Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern e.V., 2004) - auch in Österreich anzustreben.

Allgemeine Angebote zur Geburtsvorbereitung wurden in meiner Untersuchung von der Hälfte der Frauen genutzt. Auch individuelle Vorbereitung mittels Physiotherapie wurde in Anspruch genommen. In der allgemeinen Geburtsvorbereitung wurden die speziellen Bedürfnisse der Frauen meist zufriedenstellend berücksichtigt. Dies gilt auch für Mutter-Kind-Gruppen, an denen zwei behinderte Frauen teilnahmen. In fast allen Gruppen gelang auch die Integration in die Gesamtgruppe überwiegend gut. Die Anwesenheit des nicht behinderten Partners bewirkte allerdings, dass mit der behinderten Frau nur wenig kommuniziert wurde und sie sich ausgegrenzt fühlte.

Die Frauen, die keine derartigen Angebote in Anspruch nahmen, begründeten dies vor allem mit Zugangsbarrieren und mangelnder Information. Hier besteht der Wunsch, dass Anbieter von Geburtsvorbereitung, Mutter-Kind-Aktivitäten oder Informationen und Beratung für Schwangere und Mütter ihre Räumlichkeiten und ihr Informationsangebot barrierefrei zugänglich machen.

4. Welche Auswirkungen haben Reaktionen, die behinderte Frauen bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und Mutterschaft erfahren, auf ihre Lebenssituation und ihren Zugang zu Angeboten für Schwangere, Gebärende und junge Mütter?

Ein Zusammenhang zwischen Umweltreaktionen und Einstellungen im Hinblick auf die Mutterschaft behinderter Frauen lässt sich dort vermuten, wo es um individuelle Beratung und Unterstützung im Alltag geht. Dazu gehört die oben beschriebene Bevorzugung informeller Kontakte, um Informationen zu erhalten. Auch die Tatsache, dass nur eine meiner Interviewpartnerinnen bezahlte Assistenz in Anspruch nahm, während dies für die meisten anderen überhaupt nicht zur Diskussion stand, weist meiner Ansicht nach darauf hin, dass Hilfeleistungen, die nicht aus dem persönlichen Umfeld einer Familie kommen, mit dem Etikett "Problemfamilie" behaftet sind. Genau diesen Eindruck wollen Mütter mit Behinderungen aber besonders vermeiden, weil sie wissen, dass sie in ihrer Rolle nicht selbstverständlich akzeptiert sind. Vielfach fehlt offensichtlich auch das Wissen um Assistenz im Sinne der Selbstbestimmt-Leben-Idee.

Auch hier könnte eine Vernetzung von Eltern mit Behinderungen eine wichtige Unterstützung für einzelne behinderte Frauen sein und dazu beitragen, dass sie ihre Bedürfnisse selbstbewusst nach außen tragen und die notwendige Unterstützung in Anerkennung ihrer Kompetenz als Mutter einfordern.

5. Welche Strategien der Lebens- und Alltagsbewältigung entwickeln Mütter mit Behinderungen?

Hier zeigen sich wieder deutliche Unterschiede zwischen bewegungsbehinderten und blinden Frauen.

Für bewegungsbehinderte Frauen stellen bauliche Barrieren die häufigste Schwierigkeit im Alltag dar. Für sie unzugängliche Kindergärten, Schulen, Arztpraxen oder Freizeiteinrichtungen grenzen die Mütter von wichtigen Kontakten oder gemeinsamen Aktivitäten aus. Dies hat auch direkte negative Folgen für die Kinder. In den meisten Fällen gibt es für diese Situationen keine adäquate Problemlösung. Manchmal werden weite Anfahrtswege in Kauf genommen, um z.B. eine barrierefreie Kinderarztpraxis aufzusuchen. Häufig bedingen die baulichen Barrieren, dass sich die Mutter Hilfe organisieren muss.

Hier ist ein konsequentes Umdenken in der Planung von Neu- und Umbauten gefordert. Schulen, Kinderbetreuungseinrichtungen und Freizeiteinrichtungen müssen entsprechend den bestehenden Normen barrierefrei zugänglich gemacht werden. Für Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft müsste die Barrierefreiheit zum Standard erhoben werden. Für private Träger sollten über Förderungen finanzielle Anreize in größerem Ausmaß als bisher geschaffen werden. Mittelfristig wird jedoch nur eine gesetzliche Verankerung der Barrierefreiheit im öffentlichen Raum weitreichende Veränderungen bewirken.

Das eigene Wohnumfeld gestalten die bewegungsbehinderten Frauen weitgehend ihren Bedürfnissen entsprechend. Dabei können sie nicht auf vorhandene Hilfsmittel oder angepasste Möbelstücke für die Babypflege zurückgreifen, sondern suchen und entwickeln gemeinsam mit dem Partner eigene Lösungen.

Blinde Frauen entwickeln individuelle Lösungen vor allem aufgrund der für sie nicht nutzbaren Messhilfen, z.B. bei der Verabreichung von Medikamenten oder der Zubereitung von Babynahrung. Ebenso werden eigene Ordnungssysteme entwickelt, um z.B. Kinderkleidung farblich zu unterscheiden.

Gemeinsam ist allen Frauen, dass sie für den Transport ihrer Babys und Kleinkinder außerhalb der Wohnung eigene Lösungen finden müssen. Hier gibt es verschiedene Varianten, ein Baby im Rollstuhl mitzunehmen: eine Tragetasche oder Auto-Babyschale mit einem Gurt am Körper der Mutter befestigt, ein Kind sitzend mit einem Tragetuch oder einem selbstgenähten Gurt am Körper der Mutter gesichert. Blinde Frauen können einen Kinderwagen oder ein Spielfahrzeug hinter sich herziehen oder ganz auf "Fahrzeuge" verzichten und ihr Kind im Tragetuch oder einer Rückentrage transportieren.

Eine weitere Herausforderung für alle Frauen ist die Beaufsichtigung ihrer Kinder außerhalb der Wohnung. Hier legen alle großen Wert auf Sicherheit. So werden nach Möglichkeit Spielplätze gewählt, die gut vom Straßenverkehr abgegrenzt sind. In der Erziehung bemühen sich die Frauen, ihren Kindern frühzeitig zu vermitteln, wo Gefahrenquellen liegen und wie sie sich verhalten sollen. Dazu berichten die meisten Frauen, dass ihre Kinder dabei sehr gut kooperieren und sich z.B. nie weit von der Mutter entfernen. Für viele Aktivitäten organisieren sich die Frauen aber auch Begleitung, um eventuell notwendige Unterstützung sicher zur Verfügung zu haben.

Als schwierigste Phase bezeichnen die bewegungsbehinderten Frauen das Krabbelalter ihrer Kinder, weil sie Probleme haben, die Kinder vom Boden hochzuheben. Eine praktikable Lösung dafür ist, das Kind an den Trägern seiner Hose hochzuheben.

Für blinde Frauen ist jene Zeit am schwierigsten, in der ihre Kinder bereits laufen, einen großen Bewegungsdrang entwickeln, aber verbale Aufforderungen noch nicht weitgehend verlässlich befolgen. Außerhalb der Wohnung werden ein Laufgurt oder Glöckchen an der Kleidung verwendet, um das Kind zu sichern bzw. für die Mutter immer hörbar zu machen. Einige Frauen gehen in dieser Phase nach Möglichkeit nur in Begleitung Sehender mit ihrem Kind außer Haus.

Alle Frauen leisten sehr viel Organisationsarbeit, um ihren Alltag möglichst reibungslos zu gestalten und die benötigte Hilfe zu erhalten. Viele Aktivitäten und Termine müssen frühzeitig und genau vorgeplant werden.

Einen wichtigen Stellenwert in der Alltagsbewältigung hat die Tatsache, dass sich die Kinder vielfach sehr früh an die Möglichkeiten und Grenzen durch die Behinderung ihrer Mutter anpassen. Sie erlangen in verschiedenen Bereichen früh Selbständigkeit und geben ihren Müttern auch Hilfestellungen. Dies wird von den Frauen ambivalent erlebt. Neben dem Stolz über diese besonderen Fähigkeiten der Kinder, kommt immer wieder die Sorge zum Ausdruck, die Kinder könnten überfordert werden oder unter der Behinderung der Mutter leiden.

6. Welche Ressourcen stehen betroffenen Frauen derzeit zur Verfügung und inwieweit entsprechen diese den tatsächlichen Bedürfnissen?

Die meisten Frauen erhalten persönliche Unterstützung ausschließlich aus ihrem persönlichen Umfeld - Familie und Freundeskreis. Nur eine Frau nimmt überwiegend bezahlte Assistenz in Anspruch. An ihr wird deutlich, dass die Finanzierung von Assistenz für die Familienarbeit bei größerem Hilfebedarf derzeit ungenügend ist. Hier wäre es wünschenswert, dass im Rahmen des Steiermärkischen Behindertengesetzes die Möglichkeiten zur Finanzierung von persönlicher Assistenz als direkte Geldleistung an Assistenznehmerinnen wahrgenommen und bei Bedarf erweitert werden. In diesem Zusammenhang sollte behinderten Menschen auch Unterstützung bei der Suche nach geeigneten Assistenten und Assistentinnen - z.B. in der Form einer Assistenzgenossenschaft (Vgl. Kap. 6.1.3. d. A.) - zur Verfügung stehen. Dabei muss die Möglichkeit gewährleistet sein, die persönliche Assistenz selbst zu wählen.

Im Hinblick auf Hilfsmittel besteht sowohl Bedarf an Informationen über geeignete Hilfsmittel für die Familienarbeit als auch an einem auf die Bedürfnisse behinderter Mütter abgestimmten Angebot. Bei finanziellen Förderungen für die Anschaffung von Hilfsmitteln sollte die Familienarbeit der beruflichen Erwerbstätigkeit gleichgestellt werden.

Eine wichtige Ressource für Familien allgemein sind gute Kontakte zu anderen Familien. In diesem Bereich äußern in meiner Untersuchung blinde Frauen häufiger Probleme als bewegungsbehinderte. Möglicherweise fällt es bewegungsbehinderten Frauen leichter, auf andere zuzugehen und eventuelle Unsicherheiten eigeninitiativ abzubauen. Blinde Frauen scheinen aufgrund des fehlenden Blickkontaktes hier mehr Schwierigkeiten zu haben.

Wie bereits oben beschrieben, zeigte sich in meiner Untersuchung ein großer Bedarf der behinderten Mütter an spezifischen Informationen und Erfahrungsaustausch. Es wurde aber auch deutlich, dass es ebenso für Professionelle in der Geburtshilfe schwierig ist, die gewünschten Informationen für die Betreuung der behinderten Frauen zu erhalten. Dies verdeutlicht noch einmal den Bedarf an einem Informations- und Wissenspool zu allen Fragen im Zusammenhang mit Behinderung und Elternschaft. Dieser Pool sollte - nach deutschem bzw. britischem Vorbild (Vgl. Kap. 6.2. d. A.) - von behinderten Eltern entwickelt werden und neben der Informationsvermittlung auch Beratung und Unterstützung für behinderte Menschen, die Eltern werden oder Eltern sind, im Sinne eines Peer Counsellings bieten.

Abschließend kann gesagt werden, dass die von mir befragten Frauen in vielfältiger Weise zeigen, wie behinderte Frauen die Mutterrolle voll kompetent ausfüllen. Nur wenige der im Alltag auftretenden Probleme hängen ursächlich mit der Behinderung der Frauen zusammen. Der weitaus größere Teil beruht auf Umweltbarrieren, unbefriedigenden Rahmenbedingungen, der Konfrontation mit Unwissenheit und Vorurteilen und der Tatsache, dass Frauen mit Behinderungen als Mütter "nicht vorgesehen" sind.

Neben den bereits von mir aufgezählten Maßnahmen halte ich die Stärkung des Selbstbewusstseins behinderter Mädchen und junger Frauen durch gezielte Mädchenarbeit für bedeutungsvoll. Der Kontakt mit behinderten Frauen, die positive Rollenvorbilder repräsentieren, wäre ein wichtiger Beitrag dazu, dass behinderte Frauen auch als Mütter ihre Bedürfnisse selbstbewusst vertreten. Darüber hinaus wünsche ich mir aber auch ein gesamtgesellschaftliches Umdenken in zwei Bereichen:

Behinderung sollte als eine von vielen Eigenschaften einer Person betrachtet werden und damit die Person mit ihren individuellen Fähigkeiten im Zentrum stehen.

Kinder aufzuziehen sollte nicht als "Privatvergnügen" ihrer Eltern, sondern als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen werden, für deren Gelingen die Gesellschaft insgesamt Verantwortung trägt.

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Schopmans, Birgit: Hören und Fühlen. Blitzlichter aus dem Alltag einer blinden Mutter. In: Zusammen Nr. 3/2000, S. 30/31.

Schopmans, Birgit: Literatur von für über Frauen mit Behinderung. Eine Bibliographie. Kassel: Hessisches Koordinationsbüro für behinderte Frauen 2001.

Schütze, Yvonne: Die gute Mutter. Zur Geschichte des normativen Musters "Mutterliebe". Bielefeld: Kleine-Verlag 1986.

Seipelt-Holtmann, Claudia: Behinderte Mütter - gibt es sie wirklich? Ein Alltag zwischen Diskriminierung, Lebensbejahung und Selbstverständlichkeit. In: Die Randschau 1993/5 (Schwerpunkt-Heft "Ungleiche Schwestern"), S. 20-22.

Steiner, Gusti: Selbstbestimmung und Assistenz. In: Gemeinsam leben. Nr. 3 1999. bidok -http://bidok.uibk.ac.at/library/gl3-99-selbstbestimmung.html%20 (Stand: 18.10.2005, Link aktualisiert durch bidok)

Strahl, Monika: Die parteiliche Beratung von/für Frauen mit Behinderung. In: Hermes, Gisela; Faber, Brigitte (Hg.): Mit Stock, Tick und Prothese. Das Grundlagenbuch zur Beratung behinderter Frauen. Kassel: bifos e.V. 2001 (bifos-Schriftenreihe zum selbstbestimmten Leben Behinderter), S. 3-11.

Terhart, Ewald: Entwicklung und Situation des qualitativen Forschungsansatzes in der Erziehungswissenschaft. In: Friebertshäuser, Barbara; Prengel, Annedore (Hg.): Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft. Weinheim, München: Juventa Verlag 1997, S. 27-42.

Unterlercher, Carmen: Zur Lebenssituation von Müttern mit Behinderung in Österreich: Erste Einblicke aus der Sicht der Betroffenen. Diplomarbeit, Universität Wien 2002.

Vom Hofe, Jutta: Bin ich schön? Über Körper, Körpererfahrung und Sexualität. In: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 1/2001. bidok - Behindertenintegration - Dokumentation http://bidok.uibk.ac.at/library/beh1-01-hofe-schoen.html (Stand: 18.10.2005, Link aktualisiert durch bidok)

Weinmann, Ute: Handlungskonzepte für die Sozialarbeit mit behinderten Frauen und Männern. In: Sozialmagazin 2003/1. S. 30-37.

Wienhues, Jens (HG.): Behinderte Frauen in unserer Gesellschaft. Lebensbedingungen und Probleme einer wenig beachteten Minderheit. Mit Beiträgen von Karin Barzen u. a. Bonn - Bad Godesberg: Reha-Verlag 1988.

Wilmerstadt, Rainer; Liebig, Olaf: Der Wandel in der Politik für behinderte Menschen. In: Soziale Arbeit. Nr. 10/11/2002. S. 370-381.

Witzel, Andreas: Das problemzentrierte Interview. Forum Qualitative Sozialforschung, Vol. 1/1 2000. http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/1-00/1-00witzel-d.htm Stand: 30.5.2003.

Zemp, Aiha; Pircher, Erika: Weil das alles weh tut mit Gewalt. Sexuelle Ausbeutung von Mädchen und Frauen mit Behinderung. Bundeskanzleramt 1996 (Schriftenreihe der Frauenministerin Bd. 10).

9. Anhang

9.1. Kurzfragebogen

  1. Wann sind Sie geboren?

  2. Wann ist Ihr Kind/sind Ihre Kinder geboren?

  3. Wer lebt in Ihrem Haushalt?

  4. Hat Ihr Partner/Vater der Kinder eine Behinderung?

  5. Bitte beschreiben Sie Ihre Behinderung.

  6. Ist Ihre Behinderung nach Ihrer Erfahrung für Außenstehende

sofort erkennbar

in konkreten Interaktionen erkennbar

nur wenn Sie darauf hinweisen erkennbar?

  1. Haben Sie eine Einstufung des Grades Ihrer Behinderung nach dem Behinderteneinstellungsgesetz?

  2. Erhalten Sie Pflegegeld? Wenn Ja, in welcher Stufe?

  3. Erhalten Sie aufgrund Ihrer Behinderung eine sonstige Geldleistung (z. B. Unfallrente, Pension)?

  4. Wie viele Einwohner hat in etwa Ihr Wohnort?

  5. Sind Sie berufstätig? Wenn Ja, in welchem Ausmaß?

9.2. Interviewleitfaden

Anmerkung: Die mit a), b) usw. gekennzeichneten Fragen sind optional, für den Fall, dass die Interviewpartnerin diese Punkte nicht von sich aus anspricht.

1. Was bedeutet es für Sie persönlich, eine gute Mutter zu sein?

2. Wenn Sie sich an die Zeit als Jugendliche erinnern, welche Wünsche und Pläne hatten Sie damals für Ihre Zukunft? Gehörten eine Familie bzw. eigene Kinder zu haben dazu?

a) Haben Sie damals mit anderen über diese Pläne und Wünsche gesprochen?

b) Wenn ja, wie haben Sie diese Gespräche erlebt?

c) Wenn nein, aus welchem Grund nicht?

3. Haben Sie mit Ihrem Gynäkologen/ihrer Gynäkologin vor der ersten Schwangerschaft über Ihren Kinderwunsch gesprochen?

a) Wenn ja, wie haben Sie dieses Gespräch erlebt?

b) Was war für Sie hilfreich?

c) Was haben Sie vermisst?

4. Haben Sie sich vor oder während Ihrer ersten Schwangerschaft über den Einfluss, den Ihre Behinderung haben wird informiert? (z. B. eine genetische Beratung, Auswirkungen der Gewichtszunahme, mögliche Probleme bei der Entbindung usw.)

a) Wenn ja, Bei welchen Personen bzw. Stellen haben Sie Informationen gesucht und wie sind diese Kontakte verlaufen?

b) Fühlten Sie sich ausreichend informiert?

c) Was haben Sie vermisst?

5. Haben Sie versucht, Angebote zur Vorbereitung auf die Geburt und das Leben mit dem Kind zu nutzen? (z. B. Geburtsvorbereitungskurs, Säuglingspflegekurs, Schwangerengymnastik/Schwimmen, Informationsmaterialien usw.)

a) Welche Angebote waren für Sie zugänglich?

b) Benötigten/Erhielten Sie Unterstützung, um die Angebote nutzen zu können? Wenn ja, von wem?

c) Hatten Sie das Gefühl, sich ausreichend informieren zu können?

d) Wie fühlten Sie sich bei diesen Kontakten wahrgenommen?

6. Haben Sie versucht Informationen zu erhalten, die speziell besondere Anforderungen aufgrund Ihrer Behinderung bei der Versorgung Ihres Kindes betreffen? (z. B. Hilfsmittel, Adaptierungen in der Wohnung usw.)

a) Haben Sie Informationen erhalten?

b) Wenn ja, von wem?

c) Waren die Informationen für Sie zufriedenstellend?

7. Wenn Sie sich an den Beginn Ihrer ersten Schwangerschaft erinnern, können Sie beschreiben, wie Sie diese Zeit erlebt haben?

a) An welche Gefühle erinnern Sie sich?

b) Welche Erwartungen hatten Sie?

8. Wie hat Ihre Umwelt auf Ihre Schwangerschaft(en) reagiert? Erinnern Sie sich an spezielle Reaktionen darauf, dass Sie eine Behinderung haben und ein Kind erwarten? Z. B.

a) Familienumfeld

b) weiteres Umfeld bekannter Personen: Freunde, Arbeitskollegen/Arbeitskolleginnen, Nachbarn usw.

c) Ärzte/Ärztinnen, Therapeuten/Therapeutinnen

d) unbekannte Personen: Personen bei Behörden, PassantInnen usw.

9. Wurde Ihnen von irgendeiner Seite ein Schwangerschaftsabbruch nahegelegt?

a) Wenn ja, von wem und mit welcher Begründung?

10. Wurde Ihnen eine pränataldiagnostische Untersuchung nahegelegt? (z. B. Fruchtwasseruntersuchung, Gewebeentnahme)

a) Wenn ja, von wem und mit welcher Begründung?

11. Hatte die Schwangerschaft Auswirkungen auf Ihre Behinderung, sodass zusätzliche medizinische oder therapeutische Maßnahmen notwendig wurden?

a) Wenn ja, welche?

12. Wie haben Sie die Betreuung durch Ihren Gynäkologen/ihre Gynäkologin bzw. durch andere Mediziner/Medizinerinnen und Therapeuten/Therapeutinnen während der Schwangerschaft(en) erlebt?

a) Was war hilfreich?

b) Was haben Sie vermisst?

13. Haben Sie sich für die Geburt(en) eine bestimmte Klinik oder ein bestimmtes Sanatorium bzw. Hausgeburt gezielt ausgesucht?

a) Wenn ja, warum haben Sie sich für diese Einrichtung bzw. Hausgeburt entschieden?

b) Haben Sie mit dieser Einrichtung vor der Entbindung Kontakt aufgenommen?

c) Wenn ja, wie ist dieser Erstkontakt verlaufen?

d) Bei Hausgeburt: Wie haben Sie die ersten Kontakte mit der betreuenden Hebamme erlebt?

14. Wie haben Sie die Betreuung während der Geburt(en) erlebt?

a) Konnten Sie die Geburt(en) entsprechend Ihren (behinderungsbedingten) Bedürfnissen mit-

gestalten?

b) Mussten bei der Planung der Geburt(en) Erfordernisse aufgrund Ihrer Behinderung berücksichtigt werden? (z. B. geplanter Kaiserschnitt)

c) Was war für Sie hilfreich?

d) Was haben Sie vermisst?

e) Traten Situationen ein, mit denen vorher so nicht gerechnet worden war?

15. Wenn Sie an die Zeit nach der Geburt zurückdenken, wie haben Sie die Betreuung erlebt?

a) Wie haben Sie den Umgang des Personals in der Klinik/im Sanatorium mit Ihren behinderungsbedingten Bedürfnissen erlebt?

b) Bei Hausgeburt: ... die Nachbetreuung der Hebamme im Hinblick auf Ihre behinderungsbedingten Bedürfnisse erlebt?

c) Was war für Sie hilfreich?

d) Was haben Sie vermisst?

16. Hatten Sie die Möglichkeit Ihr Kind in der Klinik/im Sanatorium selbst zu versorgen? (wickeln, baden usw.)

a) Wenn ja, benötigten Sie dabei Unterstützung?

b) Wenn ja, von wem erhielten Sie diese Unterstützung und wie haben Sie sie erlebt?

c) Bei Hausgeburt: Benötigten Sie Unterstützung bei der Versorgung Ihres Kindes in der Wochenbettphase?

d) Wenn ja, von wem erhielten Sie diese Unterstützung und wie haben Sie sie erlebt?

17. Wenn Sie an die ersten Tage nach der Geburt ihres Kindes/Ihrer Kinder zurückdenken, wie würden Sie Ihre Situation insgesamt beschreiben?

a) An welche Gefühle erinnern Sie sich?

18. Wenn Sie an die ersten Wochen mit ihrem neugeborenen Kind zu Hause zurückdenken, wie würden Sie Ihre Situation da insgesamt beschreiben?

a) An welche Gefühle erinnern Sie sich?

19. Wie fühlen/fühlten Sie sich z. B. bei Kinderarztbesuchen, Behörden, Kinderbetreuungseinrichtungen usw. in Ihrer Rolle als Mutter wahrgenommen?

20. Erinnern Sie sich an (sonstige) spezielle Reaktionen Ihrer Umwelt darauf, dass Sie als behinderte Frau ein Kind/Kinder haben?

a) Familienumfeld

b) weiteres Umfeld bekannter Personen: Freunde, Arbeitskollegen/Arbeitskolleginnen, Nachbarn usw.

c) Ärzte/Ärztinnen, Therapeuten/Therapeutinnen

d) unbekannte Personen: Personen bei Behörden, PassantInnen usw.

21. Haben Sie versucht, Angebote für Mütter und Säuglinge bzw. Kleinkinder und allgemeine Informationsangebote zu nutzen? Z. B. Mütterberatung, Stillberatung, Krabbelgruppe, Broschüren usw.

a) Waren diese Angebote für sie zugänglich?

b) Benötigten/Erhielten Sie Unterstützung bei der Nutzung dieser Angebote? Wenn ja, von wem?

c) Wie fühlten Sie sich dort wahrgenommen?

22. Wie häufig bzw. intensiv sind Ihre Kontakte zu anderen Müttern/Familien?

a) Wie fühlen Sie sich bei diesen Kontakten wahrgenommen?

b) Bestehen auch Kontakte zu Müttern mit Behinderungen?

c) Was tun Sie, um Kontakte aufzubauen?

d) Was tun andere, um Kontakte mit Ihnen aufzubauen?

23. Wenn Sie an die ersten (drei) Lebensjahre Ihres Kindes/Ihrer Kinder zurückdenken, gab/ gibt es Tätigkeiten für die Sie aufgrund Ihrer Behinderung "alternative Methoden" finden mussten?

a) Wenn ja, welche Tätigkeiten sind das?

b) Wie haben Sie diese Alternativen gefunden?

c) Gab es bereits Informationen oder Erfahrungen auf die Sie zurückgreifen konnten?

d) Inwieweit waren/sind diese Alternativen adäquat?

e) Gab/gibt es Einbußen?

24. Gab/gibt es in dieser Phase Tätigkeiten, die Sie aufgrund Ihrer Behinderung gar nicht oder nur mit Unterstützung durchführen konnten/können?

a) Wenn ja, von wem erhielten/erhalten Sie diese Unterstützung?

b) Wie haben Sie sie erlebt?

c) Wie fühlen Sie sich, wenn Sie Hilfe anderer bei der Versorgung ihres Kindes/ihrer Kinder annehmen?

25. Haben Sie aufgrund Ihrer behinderungsbedingten Bedürfnisse als Mutter finanzielle Mehrbelastungen?

a) Wenn ja, wofür fallen diese Mehrbelastungen an?

b) In welcher Höhe fallen sie an und wie werden diese aufgebracht?

26. Bitte, stellen Sie sich vor, wie eine für Sie optimale Situation als Mutter aussehen sollte.

a) Unterscheidet sich diese Idealvorstellung von Ihrer derzeitigen Situation?

b) Wenn ja, was sollte sich ändern?

27. Was glauben Sie, wie werden behinderte Frauen, die sich Kinder wünschen oder schon Kinder haben, von der Allgemeinheit eingeschätzt?

28. Was würden Sie einer Frau, die eine gleichartige oder ähnliche Behinderung hat wie Sie selbst, und sich Kinder wünscht, raten?

29. Möchten Sie zu diesem Thema noch etwas anmerken, das Ihnen wichtig ist und bis jetzt noch nicht angesprochen wurde?

9.3. Transkript - Interview 1

Zeichenerklärung:

M = Mutter

I = Interviewerin

... = Auslassung

(...) = Gesprächsunterbrechung

- - = längere Pause

In runden Klammern erfolgen Beschreibungen nonverbaler Ausdrucksformen, wie Lachen, Seufzen usw.

I: Was macht für dich eine gute Mutter aus. Oder was ist für dich wichtig, damit du dich als gute Mutter fühlst?

M: Für mich ist es wichtig - - - das ist gut - - ah ich glaub einmal, also als erstes fällt mir ein, genug Zeit zu haben, genug Zeit und genug Ruhe und auch genug Geduld zu haben für das Kind und auf die Bedürfnisse halt einzugehen. Aber auch jetzt halt, jetzt sind es eher weniger schon diese körperlichen Bedürfnisse, weil er doch schon älter ist, sondern einfach auch seine Bedürfnisse auch mit diskutieren und ja, was er halt so braucht jetzt, auf das einzugehen.

I: Als Jugendliche, wenn du Zukunftspläne gemacht hast, war da Familie und Kind für dich ein Ziel?

M: Meine Mutter hat mir relativ bald gesagt, dass ich keine Kinder kriegen darf oder soll. Also ich hab, wie ich dann in dem Alter war, also jugendlich - also ich hab dann eigentlich immer Freundschaften gehabt. Aber da war Familie eigentlich nicht das Thema, weil ich einfach mit dem - das hab ich eigentlich im Kopf gehabt, dass mir meine Mutter gesagt hat ich soll nicht oder ich darf nicht. Also es war auch nie ein Ziel, also es war für mich schon klar, dass ich mit jemandem zusammen sein möchte. Aber es ist dann erst einfach später die Frage aufgetaucht. Wie ich dann mit jemandem schon länger zusammen war, Kind oder nicht. Wir haben uns dann einen Hund angeschafft, sag ich einmal - (lacht). Naja, wie man so tut, wir haben beide studiert und da war das sowieso nicht so. Das durften wir uns gar nicht stellen, die Frage. Da sind wir auf einen Hund ausgewichen. Je älter ich dann geworden bin um so mehr habe ich mich dann schon mit der Frage auseinandergesetzt, Kind oder nicht. Ich war dann eben auch einmal bei der genetischen Beratungsstelle, um das einmal grundsätzlich abklären zu lassen, weil ich mir gedacht habe, ich will es einfach doch wissen. Aber da war ich dann schon wirklich 28, 29, wie ich das einfach auch so abgeklärt habe.

I: Als du dich dann selbst damit auseinandergesetzt hast und vielleicht auch mit anderen darüber geredet hast, kannst du dich dann - abgesehen von deiner Mutter - an spezielle Reaktionen erinnern, auch von ärztlicher Seite?

M: Nein. Ich meine, wenn ich es diskutiert hab oder überlegt hab, dann hab ich es wirklich mit dem jeweiligen Partner überlegt und sonst mit jemandem anderen eher nicht. Also mit Ärzten sowieso nicht, außer einmal mit jemandem bei dem Gespräch bei der genetischen Beratungsstelle. Aber sonst nicht wirklich. Und von meiner Familie - wir haben das eigentlich auch nicht diskutiert. Das war nicht die Frage.

I: Abgesehen von der genetischen Beratung, hast du sonst irgendwo Informationen bekommen können bzw. versucht zu bekommen, wie es sich z. B. auf deine Behinderung auswirkt, wenn du schwanger wirst? Hast du da Informationen gesucht?

M: Nein, habe ich auch nicht gemacht. Weil gerade bei der Behinderungsart hörst du dann immer wieder, wenn du ein bisschen rumfragst eben mit Betroffenen, ähnlich Betroffenen, dann heißt es oft, du bist wirklich dein eigener Experte oder deine eigene Expertin und Ärzte können es oft nicht so einschätzen, wie sich irgendetwas auswirken könnte. Sie können dir Ratschläge geben und du musst es halt auch oft ausprobieren ob irgendetwas vielleicht dir dann gut tut oder eben dann nicht so gut tut.

I: Hast du die Erfahrung mit Ärzten gemacht, dass sie dein Expertentum auch anerkennen?

M: Also indirekt glaube ich schon. Bis zur Schwangerschaft habe ich mich eigentlich, also das war so ein Motto: mich bloß nicht erwischen lassen. Ja, es ist mir so weit gut gegangen. Es war nie irgendetwas, wo ich mir gedacht habe, da ist irgendetwas so chronisch, dass ich mich in irgendeine Behandlung begeben müsste. Und ich hab dann einfach versucht mich auch selbst, so weit es halt geht, fit zu halten. Und ich habe eigentlich nie Ärzte irgendwie aufsuchen müssen aus irgendwelchen Gründen. Erst dann ist es eben ein bisschen mehr akut geworden. Und ich weiß aber jetzt noch, so im Nachhinein, also die letzten fünf sechs Jahre - die Erfahrung hab ich dann schon machen können, dass die Ärzte einfach bei mir schon ein bisschen vorsichtig sind und gewisse Dinge dann gar nicht irgendwie weiter untersuchen oder auch nicht zu viel anrühren, weil sie einfach selbst unsicher sind oder einfach nicht wissen, wie sie damit umgehen müssen.

I: Also das heißt, du hast schon mit anderen Betroffenen darüber geredet, wie das vielleicht sein könnte, wenn du schwanger bist?

M: Nein, das auch nicht. Ich bin in einer Selbsthilfegruppe, wo sich Menschen mit Muskelerkrankungen treffen und auch Eltern mit betroffenen Kindern. Aber da war auch Schwangerschaft eigentlich nicht wirklich das Thema. Aber dieses Expertentum, oder Experte für deinen eigenen Körper sein, das ist schon so immer wieder angesprochen worden.

I: Als es dann soweit war, dass du schwanger geworden bist, kannst du dich an spezielle Reaktionen aus deiner Umwelt erinnern?

M: Hm (überlegt, lacht) Ich meine bei mir war es so - es war eine ungeplante Schwangerschaft, also gänzlich überraschend, absolut überraschend. Und ich habe mir nur damals gedacht, ich möchte das Kind haben, unter gewissen Voraussetzungen. Und ich habe das dann - naja wie ich es dann anderen Leuten erzählt habe und meiner Familie oder so, war ich mir dann auch sehr sicher, dass ich das Kind, wenn es irgendwie geht, also wenn es einfach unter diesen normalen Umständen, die in jeder Schwangerschaft inkludiert sind, also wenn ich das Kind krieg, (mit Nachdruck) ich steh dazu, ich will das Kind einfach haben. Das war für mich einfach so. Für mich ist es klar, die Entscheidung habe ich für mich einfach getroffen, also und das ist ganz klar.

Ah - meine Familie, also meine engste Familie hat sehr positiv reagiert. Die haben sich wahnsinnig gefreut. ... Also meine Eltern haben es wirklich schon aufgegeben gehabt, dass sie irgendwann Enkel kriegen. Und meine Mutter war - - ja, absolut positiv und hat sich sehr gefreut dann auch. Mein Vater hat dann nur das gesagt, was sich alle anderen gedacht haben, oder - der hat dann gesagt: "Muss das sein?" Ja, das war so. Mein Großvater hat mich auch ganz schief angeschossen, also das war sowieso - also der war absolut dagegen, - was soll er machen. Und der Vater des Kindes, der wollte grundsätzlich kein Kind, der wollte sowieso kein Kind. Das war schon sein zweites, und - und ja, der wollte überhaupt kein Kind. Unabhängig jetzt von meiner Behinderung oder so, der wollte sowieso kein Kind. Ja, mittlerweile steht er auch dazu, aber also gezwungenermaßen mehr oder weniger halt.

I: Wie hast du die Betreuung vom Frauenarzt bzw. Frauenärztin erlebt?

M: Also das war sehr, also mir entgegenkommend, sage ich einmal so. Weil mein Frauenarzt ist ein älterer, ich schätze einmal erfahrener Arzt. Der hat das einfach so unkommentiert hingenommen, dass ich schwanger bin und hat mich aber sehr sehr gut betreut. Es war dadurch, dass die Schwangerschaft völlig unkompliziert und komplikationslos war und ich mich wirklich tadellos gefühlt habe, hat es auch von der Seite keine Probleme gegeben und - ja, - - der hat das eigentlich völlig locker irgendwie, also für mich einfach gut so mitgetragen.

I: Hatte die Schwangerschaft irgendwelche Auswirkungen auf deine Behinderung bzw. Erkrankung?

M: In der Schwangerschaft eigentlich fast nicht. Zum Schluss dann ist es schon mühsam geworden. Ich meine, ich habe einfach Probleme gehabt mit dem Kreislauf. Das war auch so ein heißer Sommer etc. und mein Kreislauf - also der war halt etwas angegriffener als normal. Also ich bin dann regelmäßig in irgendwelchen Ordinationen umgekippt und so. Also ich bin schon öfter umgekippt, aber das habe ich dann auch in den Griff. gekriegt. Und das einzige, was dann ein kleines Problem war mehr oder weniger - ich bin dann einfach sehr schwer geworden. Und zum Schluss dann die letzten Wochen sind einfach ein bisschen mühsam geworden, aber da geht es glaube ich auch jeder Frau ähnlich. Also, so direkt bis zur Geburt war es eigentlich nicht so schlimm. Da habe ich die Schwangerschaft wirklich gut in Erinnerung, ganz gut, das würde ich sofort wieder machen (lacht).

I: Hast du Angebote wie Geburtsvorbereitung, Schwangerenturnen, Schwangerenschwimmen oder so genützt?

M: Ich hab Geburtsvorbereitung (überlegt), ja, bin ich dann schon gegangen. Ich habe mir ja zuerst gedacht, wir werden das Kind mit Kaiserschnitt holen, bis dann eben mein Arzt gesagt hat: "Probieren wir es so." Das war dann wirklich so eine relativ kurzfristige Änderung. Dann bin ich wirklich noch schnell in einen Kurs gegangen. Und habe aber dann durch verschiedene Verbindungen eine Einzelbetreuung gehabt eigentlich oder Einzelvorbereitung. Was ich auch noch extra gemacht habe war, ich bin dann doch noch Physiotherapie gegangen. Das war glaube ich das erste Mal in meinem Leben, dass ich echt Physiotherapie gegangen bin. Und die hat mich auch sehr gut unterstützt, die ganze Zeit einfach bis zu den letzten Wochen vor der Geburt. Da haben wir dann aufgehört, aber bis dahin hat sie mich sehr gut unterstützt und hat mir einfach auch gewisse Sachen und Tricks gezeigt, wie ich mich einfach besser bewegen kann. Also das war eine absolut gute Unterstützung. Das war auch echt eine Zeit wo ich keine Kreuzschmerzen z. B. gehabt habe.

I: Hast du dir erwartet für den Umgang mit dem Baby besondere Vorkehrungen treffen zu müssen und dafür vorher schon Informationen eingeholt?

M: Du meinst im Bezug auf meine Einschränkungen?

I: Ja, genau.

M: (überlegt) Ich weiß jetzt nicht, wie ich das gemacht habe. Ich hab nur gewusst, es wird schon ein bisschen mühsam werden. Es wird auch anders werden als bei anderen, also bei Frauen, die nicht körperlich beeinträchtigt sind, dass ich einfach das Kind nicht so tragen werde können. Ich hab aber keine besonderen Vorkehrungen getroffen oder irgendetwas organisiert. Ich habe mir einfach gedacht, ich schaue einmal. Ich habe natürlich gewusst, ich kann schon auf das familiäre Netz zurückgreifen. Also auf das habe ich mich schon verlassen können. Aber ich wusste es einfach wirklich nicht. Ich habe auch nicht gewusst, ob ich bis zum Schluss gehen kann von der Schwangerschaft, wie weit es wirklich mein Körper aushält. Die ganze Sache habe ich dann schon auch etwas als Austesten oder als Experiment betrachtet. Und ich habe gewusst, ich muss dann einfach auf das Reagieren, wie die Situation es erforderlich macht.

I: Ist dir Pränataldiagnose empfohlen worden bzw. hast du eine gemacht?

M: Nein, erstens ich hab keine gemacht. Und ich meine, ich war damals eben 34 und da musste man - also da ist es einem nicht wirklich ans Herz gelegt worden. Und im Bezug auf die Muskelerkrankung, also das hätte man sowieso nicht feststellen können. Das war eindeutig. Das einzige was ich dann ganz am Anfang der Schwangerschaft einfach noch einmal gemacht habe, war wirklich ein zweites Mal zur genetischen Beratungsstelle gehen. Und - ja, das wollte ich einfach da abgeklärt haben und diese Ärztin hat natürlich dort auch gesagt, man könnte, aber es bringt eben nichts diese Pränataldiagnose. Und ja, das war's dann eigentlich. Die Ärztin hat mir dort gesagt, dass die Wahrscheinlichkeit in meinem Alter höher ist ein Kind mit Down-Syndrom zu kriegen als dass das Kind wirklich - ah - meine Erkrankung vererbt bekommt. Und das war für mich o.k. dann. Die hat gesagt, und wenn das Kind etwas hat, dann hat sie auch gesagt: "Ist es so schlimm, damit zu leben?" Und ja, sie hat mich eigentlich sehr positiv unterstützt. Also ich hab schon um das Risiko gewusst, aber ich - ich bin es eingegangen. Weil ich mir gedacht habe, das ist wirklich ganz gering. Und Tatsache ist schon, dass der Andreas, wenn er es nicht wirklich hat, diese ganzen Anzeichen oder Beeinträchtigungen, dass er trotzdem immer noch ein Überträger sein kann dieser Krankheit. Das ist schon ganz klar, aber ja - - - Das war also wirklich noch das Einzige, was ich gemacht habe im Bezug auf Behinderung.

I: Hat dir irgendjemand direkt oder indirekt einmal einen Schwangerschaftsabbruch nahegelegt?

M: Nein.

I: Wenn du dich an die gesamte Schwangerschaft zurückerinnerst, welchen Eindruck hast du da nachträglich, wie war da deine Situation und Gefühlslage?

M: Ich sag immer wieder, ich würd's echt noch einmal machen. Dadurch, dass ich mich so bewusst für das Kind entschieden habe und mich einfach so gefreut habe. Ich mein, es ist mir einfach dabei gut gegangen und es war erstaunlich wie gut es mir gegangen ist. Und das dürfte ich vielleicht auch vermittelt haben, dass das überhaupt keine Frage und keine Diskussion ist, und das ist so. Und es haben mich auch irrsinnig viele Leute, auch von verschiedensten Seiten doch wahnsinnig gut unterstützt und mir eben Hände gereicht und mich weitergereicht. Es war einfach ganz, ganz - wirklich eine gute Zeit. Also, es war nichts Negatives, außer von den Personen, wo man es auch erwarten hat können, dass sie eigentlich das für nicht so gut halten. Aber das war nichts Dramatisches.

I: Du hast gesagt, dass dein Arzt relativ kurzfristig von geplantem Kaiserschnitt auf Spontangeburt umgeschwenkt hat. Hast du dir gezielt ausgesucht, wohin du zur Entbindung gehen möchtest?

M: Ich war im LKH, ja. Ich habe mir nur gedacht, LKH - Graz ist eine Uni-Stadt und ein großes Krankenhaus. Für mich war das gar keine Frage einfach dort hinzugehen. Weil ich mir gedacht habe, da ist wirklich alles da, wenn irgendetwas wäre. Ich habe es einfach von der medizinischen Versorgung her so entschieden, dass ich mir gedacht habe, da sind genug Leute, die sind erfahren genug, sollte man meinen, Ja. Und auch mein Frauenarzt ist irgendwie dort auch in sehr enger Verbindung. Und ich habe mir gedacht, das Sanatorium ist mir einfach zu unsicher. Die sind einfach überfordert mit einem Fall wie mit mir.

I: Hast du dir das vorher anschauen können, die Räumlichkeiten usw.?

M: Ja, ich war im Rahmen dieses Geburtsvorbereitungskurses natürlich auch dort und habe mir das alles angeschaut und ja, war einmal dort zum Durchschauen.

I: Hat es, nachdem der Kaiserschnitt nicht mehr in Diskussion war, irgendwelche speziellen Vorkehrungen gegeben?

M: (Pause) Ich muss einmal dazu sagen, obwohl ich's lesen kann (schmunzelt), ich habe außer dem Geburtsvorbereitungskurs, ich habe eigentlich relativ wenig über Schwangerschaft und Geburt gelesen. Ich hab versucht einfach das nicht zu lesen um einfach irgendwie - Ängste zu vermeiden. Ich habe mir gedacht, ich probiere das einfach einmal aus. Was ich wissen musste oder wollte, das habe ich dann auch erfahren. Und im Krankenhaus war ich schon avisiert, eben auch durch den Geburtsvorbereitungskurs und habe dort einfach auch eine Verbindung hin gehabt. Und sie haben mich zuerst - meine Hausärztin hat mich auch gut unterstützt - und sie haben zuerst auch mein Herz untersuchen wollen. Das war schon ein Abchecken, wie es auch ausschaut mit Herz, wie weit eben die Muskeln dann auch betroffen sind. Und sie wollten dann eben auch wissen mit Narkose und so. Sie haben sich dann doch ein bisschen schlau gemacht. Und ich bin auch - ja, wie gesagt ein bisschen avisiert worden. Ja, sie haben gewusst, dass ich komme und ich nehme einmal an, es haben sich manche Leute mit so einem Fall wie mir grundsätzlich ein bisschen mehr auseinandergesetzt.

I: Wie hast du die Betreuung während der Geburt erlebt?

M: Ja, Es hat dann ziemlich lang gedauert, aber es waren alle irrsinnig lieb. Ich glaube es waren sogar zwei Hebammen da. Ich bin sehr gut betreut worden und sehr liebevoll, und ja, ich habe schon das Gefühl gehabt, dass sie - dass sie erstens alles im Griff. haben und dass sie, sie waren wirklich sehr nett. Und - es ist einfach so, mir ist dann mehr oder weniger der Film gerissen irgendwie. Ich war zwar da, konnte reden und es sind dann immer wieder Leute aufgetaucht und haben sich vorgestellt und haben irgend etwas gemacht, aber es hat einfach so lange gedauert und irgendwann - ah - habe ich dann nicht mehr so viel mitgekriegt. Das war es einfach. Aber ich habe so einfach ein irrsinnig positives Gefühl von der Geburt selber. ...

I: Und dann nach der Geburt, der Aufenthalt im Krankenhaus, wie hast du da so die Betreuung erlebt?

M: Ich meine, dann ist es mir echt schlecht gegangen, eben, weil das so lange gedauert hat und ich war dann einfach wirklich sehr, sehr schwach. Sie haben mich dann zuerst einmal in ein Zweibettzimmer reingelegt. Ich war extra nicht in dem Rooming-in, weil ich mir gedacht habe, ich brauche ein bisschen Zeit zum Schnaufen. Das habe ich schon vorher gewusst, dass ich das brauche, und so. Aber der Andreas war dann trotzdem die ganze Zeit bei mir, eigentlich. Außer in der Nacht haben sie ihn ein bisserl geholt, aber sonst war er eigentlich die ganze Zeit bei mir. Also das war so eine andere Geschichte. Sie wollten dann - also im LKH, das sind ja Räumlichkeiten die wirklich schon etwas altertümlich sind. Und in diesem Zweibettzimmer war dann auch keine Dusche, kein WC drinnen. Dann haben sie mich in der Früh, dann nach der Geburt aufs Klo geschleppt. Da bin ich ihnen dann voll zusammengeklappt. Und da haben sie dann - ja, da sind sie dann ein bisschen nervös geworden und haben dann gesehen, das ist für mich nicht so wirklich machbar, so weit. Es war eigentlich nicht weit, aber es waren eben weite Strecken für mich in meinem Zustand. Da haben sie mich dann, weil sie es einfach frei gehabt haben, in ein Einzelzimmer gelegt, das wirklich komfortabler ausgestattet war. Dadurch habe ich einfach Glück gehabt. Insofern sind sie schon auf meine Bedürfnisse eingegangen. Und es war dann auch - ich war alleine im Zimmer, aber es war dann oft jemand da, einfach um zu schauen, ob es auch passt. Also sie haben dann schon ein bisserl mehr geschaut, als vielleicht auf andere Frauen, die gleich fit waren oder fitter sind nach der Geburt. Also auch insofern gut, sehr gut betreut.

I: Hast du, nachdem du eben sehr schwach warst, die Versorgung vom Andreas, also Wickeln und Baden, bewusst abgegeben oder war es auf dieser Station ohnedies üblich, dass man das nicht selbst gemacht hat?

M: Nein, das hat man sowieso nicht selbst gemacht und das wäre auch für mich gar nicht möglich gewesen. Nein, das war gar keine Frage eigentlich. Wie gesagt, er war die ganze Zeit eigentlich während des Tages bei mir und wir haben das sehr genossen und - also das war wirklich ganz schön, also den ganzen Tag zu kuscheln. Und in der Nacht ist er eben auch immer wieder gekommen dann. Nein, aber damit habe ich auch überhaupt kein Problem gehabt, weil ich gewusst habe, ich würde es sowieso nicht schaffen, weil ich nicht einmal gescheit wirklich habe gehen können. Also das war wirklich im Krankenhaus sehr mühsam.

I: Bist du dann auch etwas länger drinnen geblieben, um dich besser erholen zu können, oder auch nach den üblichen vier Tagen nach Hause gegangen?

M: Also ich bin am Montag in der früh hinein und am Samstag raus, also ich hab einen Tag, glaube ich, noch herausgeschunden, weil ich, ja, weil es einfach für mich gepasst hat. Aber dann habe ich mir gedacht: O.k., dann gehe ich halt. (lacht und dann ironisch:) Sie wollen mich nicht mehr.

I: Wie war so dein Gesamtgefühl in den ersten Tagen nach der Geburt, wenn du dich da zurückerinnerst?

M: Ich meine, abgesehen davon, dass ich mich einfach nicht gescheit habe rühren können und mir einfach wirklich mit meinem Körper sehr schwer getan habe, aber sonst, sonst habe ich mich echt gut gefühlt. Also ich habe auch keine irgendwelchen Blues-Geschichten gehabt oder sonst etwas, also mir ist es echt gut gegangen. Ich wusste zwar auch nicht, wie ich weiter tue, aber grundsätzlich, ja ich habe mir gedacht, das weiß ich, dass es dann auch geht. Das wusste ich einfach und das ist so meine Einstellung, irgendwie geht es dann auch und mir wird dann schon etwas einfallen. Nein, also sonst ist es echt gut gegangen.

I: Und jetzt das nach Hause Kommen und dann plötzlich auf sich gestellt sein mit allen Anforderungen, wie war da die erste Zeit?

M: Ich glaub es war eher mühsam. Ich meine der Papa vom Andreas war Gott sei Dank schon babyerfahren, weil es eben schon sein zweites Kind war. Und der wusste dann auch gleich, wie man das macht mit Wickeln und Baden und so und der hat das auch gern übernommen. Und mit dem Stillen war das auch nie ein Problem. Ich meine, ich habe einfach sehr viel Unterstützung gebraucht und habe dann später, wie es mir dann besser gegangen ist, auch eigene Sachen erfunden, wie ich das machen könnte. Aber - es war sehr mühsam. Der Andreas war sehr klein, sehr leicht und sehr klein. Aber ich habe ihn trotzdem nicht heben können. Das war also ganz schwierig.

I: War das ein grundsätzliches Problem aufgrund deiner Behinderung oder war es in der Zeit nach der Geburt, weil du noch so geschwächt warst?

M: Ja. Ich meine momentan - also der Andreas hat echt 2,86 gehabt, also nicht so schwer. Momentan, nicht nach einer Geburt kann ich es mir vorstellen, dass es leichter gehen würde. Ich tu mir grundsätzlich schwer beim Tragen oder Heben, aber nach der Geburt war das wirklich - das war auch lang ein Problem, weil ich mich selber kaum schleppen habe können oder schwer tragen habe können. Und da war das mit dem Andreas sowieso eine unmögliche Geschichte.

I: Wie lange hat das ungefähr angedauert, die Erholungszeit, die du gebraucht hast?

M: (seufzt) Das hat schon lange gedauert. Und jetzt im Nachhinein - ich meine der Andreas wird jetzt fünf - jetzt im Frühjahr habe ich mir dann gedacht: Jetzt habe ich mich so richtig erfangen.

I: Ah war das doch so langwierig, so gravierend.

M: Ja, schon. Also im Frühjahr heuer habe ich mich dann wieder wirklich so gefühlt, dass ich mir gedacht habe: Ja, jetzt geht es wirklich wieder gut. Aber, ich meine, ich hab es einfach so angenommen, wie es einfach war diese ganzen Jahre, aber im Frühjahr ist es mir dann bewusst worden, dass es wirklich so lange gedauert hat. Es war nicht schwierig, aber ich habe einfach gewusst, wie es vorher war und eben nachher dann. Weil, wie ich schwanger geworden bin, da war ich wirklich ganz gut beinander, wirklich fit und deswegen habe ich auch die Schwangerschaft, denke ich, leichter überstehen können. Ja, es hat schon gezehrt. Dann habe ich den Andreas so lange gestillt. Das hat dann auch noch einmal doch Kräfte gekostet.

I: Du hast schon gesagt, du hast deine eigenen Tricks entwickelt. Was waren da zum Beispiel Tricks und für welche Dinge?

M: Meine Wohnung ist relativ klein. Der Andreas ist relativ klein. Ich habe ihn lange in einem - zuerst, so lange es halt gegangen ist, in einem Stubenwagen gehabt mit Rädern, den ich mir dann einfach mitgeschoben habe, den Stubenwagen. Und ich habe ihn dann später auch in einem Gitterbett gehabt mit Rädern, eigentlich in zwei Gitterbetten, die dann so mitgewachsen sind. Die haben auch Räder gehabt und das hat es dann schon leichter gemacht, wenn ich dann einfach das Kind statt dem Tragen da drinnen gehabt habe und dann dorthin geschoben habe mit dem Bett, wo ich ihn einfach gebraucht habe. Und rausheben und zum Wickeln wo rauflegen, das ist schon gegangen. Wie er dann auch gestanden ist und so. Also das ist dann alles leichter gegangen, aber - ja und auch wieder zurück. Oder auch wo runterheben, solche Geschichten sind dann schon gegangen Aber eben über eine Distanz halt tragen, das ist nicht gegangen. Und deswegen habe ich mir das so erfunden. Und ich habe ihn auch anders angegriffen natürlich als andere Leute. Aber er war das auch gewöhnt. Und für ihn war das ganz o.k., dass er einfach von mir anders genommen wird.

I: Hat es Dinge gegeben, die du selbst wirklich nicht machen konntest, wo du Hilfe gebraucht hast?

M: Problematisch ist es dann schon geworden, wenn - ich war dann allein mit dem Andreas, weil der Papa dann gegangen ist. Und wenn ich dann irgendwo hinfahren wollte mit dem Kind, dann war es schon schwierig einfach auch von der Wohnung zum Auto zu kommen. Und da habe ich mir dann auch, ja da habe ich auch sehr kreativ sein müssen und versuchen müssen, dass mir jemand einfach das Maxi-Cosy mit dem Baby ins Auto trägt und nachher mich wieder holt. Also das war auch so eine unmögliche Sache. Oder auch einen Kinderwagen ins Auto tun. Das musste ich auch gut planen, dass das wer anderer übernimmt. Ich mein später ist es dann noch einmal ein bisschen mühsam worden, wie der Andreas dann auch zum Gehen angefangen hat. Ich meine, Kinder müssen raus und ja, da habe ich auch gewusst, da brauche ich einfach auch jemanden, der dann mit ihm rausgeht und ihm auch nachgeht und ihm nachläuft und solche Sachen.

I: Also, du bist einfach nicht so schnell, dass du ihm nachkommst, wenn er wirklich einmal wegsaust.

M: Nein, nein und sie werden erst später etwas folgsamer. Also für eine Zeit habe ich schon gewusst, dass ich da sehr viel Assistenz einfach in Anspruch nehmen muss.

I: Und von wem hast du dann die Hilfe bekommen, die du da gebraucht hast?

M: Ich meine, das hat irgendwie - es hat einfach gewechselt, weil einfach die Ansprüche immer anders geworden sind. Es waren teilweise einfach ein paar Nachbarn oder ein Nachbarmädchen. Dann waren es auch drei Freundinnen von mir. Eine, die sehr nahe gewohnt hat, die war sehr oft da und hat auch diverse Termine mit mir einfach wahrgenommen. Dann war's meine Familie, wenn's irgendwie gegangen ist. Ich meine, meine ganze Verwandtschaft wohnt eigentlich in Oberösterreich, also sehr weit weg. Aber ab und zu habe ich es mir dann einfach organisiert oder ich bin dann einfach hinaufgefahren und war dort eine Zeitlang, einfach ein paar Tage um dort wieder ein bisschen Unterstützung zu kriegen. Und wie der Andreas - ich kann mich schon so schlecht erinnern - ich habe auf jeden Fall mit sehr viel verschiedenen Leuten gearbeitet. Ich habe auch zwei Jahre mit Caritas-Schülerinnen gearbeitet.

I: Also auch bezahlte Assistenz.

M: Absolut, ja. Also das mit der Caritasschule, das habe ich irgendwie gefunden und das hat irgendwie sehr gut gepasst. Also, das habe ich zwei Jahre lang so gemacht. Und dann habe ich auch zwei Burschen gehabt über "Wohnen für Hilfe" ...

I: Vom Generationenreferat.

M: Ja, da habe ich auch zwei Burschen gehabt. Und ich habe dann auch immer geschaut, wenn ich Hilfe habe, dass das einfach nicht eine kurzfristige Geschichte ist, sondern wirklich auch wegen dem Andreas doch wenn's irgendwie geht langfristig ist, damit er nicht so viel Wechsel hat. Und diese zwei Burschen, die habe ich auch so hintereinander eben gehabt. Das war mir auch wichtig, also ich habe kein Problem einfach damit gehabt, die also auch als Babysitter einzusetzen und mit Männern zu arbeiten, also mit jungen Männern zu arbeiten, weil ich mir gedacht habe, der Andreas braucht auch eine männliche Betreuung. Das war also eine ganz bewusste Entscheidung. Also, der erste hat dann gesagt, er hat keine Erfahrung mit Babys und ich hab ihm gesagt: Ich auch nicht, wir probieren's gemeinsam. Das hat aber gepasst, das hat wirklich gut gepasst. Ja, und später dann habe ich einen Partner gehabt und der hat dann auch ein bisschen etwas abgenommen, wenn es irgendwie gegangen ist.

I: Hast du Mutter-Kind-Angebote, wie z. B. Spielgruppen mit dem Andreas gemeinsam gemacht?

M: Habe ich eigentlich nicht gemacht. Da habe ich gar nichts gemacht. Ich meine, ich bin dann wieder arbeiten gegangen mit anderthalb und habe ihn dann zur Tagesmutter gegeben. Ich habe dann halbtags gearbeitet und habe mir auch meine Arbeitszeit einteilen können und habe dann einfach die ganze Geschichte unseren Bedürfnissen angepasst, also meine Arbeitszeit und die Betreuungszeit bei der Tagesmutter. Dadurch war - ja , dadurch habe ich mir gedacht, da ist genug Spielangebot und so. Das habe ich eigentlich nicht gemacht.

I: Bei quasi offiziellen Terminen mit dem Kind, also Kinderarzt, Behörden usw. hast du da manchmal Assistenz gebraucht dafür?

M: Da habe ich eigentlich immer jemanden mit gehabt. Da habe ich lange wen mitgehabt. Da war der Andreas schon recht groß, wie wir das dann schon alleine haben machen können. Es war einfach notwendig, dass jemand mitgeht entweder zum Tragen oder zum auch mich begleiten und auch mich unterstützen. Und dann auch unterstützen beim Kind Ausziehen oder Anziehen oder Festhalten oder sonst irgendetwas. Das habe ich sehr lange mit Begleitung oder Assistenz gemacht.

I: Hast du in solchen Situationen das Gefühl gehabt, dass die diversen Ansprechpartner, eben z. B. Arzt oder so dich als Mutter voll akzeptieren und als die Hauptansprechpartnerin sieht?

M: Ja.

I: Also es war wirklich klar, wer ist die Mutter und wer ist die Assistenz.

M: Ja, das war ganz klar. Also, das stimmt, ja eigentlich, das war immer ganz klar. Also, beim Kinderarzt, da habe ich auch mehr oder weniger ein Glück gehabt, weil das auch so ein älterer erfahrener ist, der auch alles so ein bisschen relativ sieht und einfach nicht irgendwie Angst macht und so. Für den war's auch ganz klar und ja. Und auch sonst, wenn wir auch die Krankenhausbehandlungsgeschichten gehabt haben, diese Unfallgeschichten oder so, war's auch ganz klar. Auch wenn da jemand mitgegangen ist, wer da die Mutter ist und wer da die Ansprechperson ist. Da habe ich eigentlich nie irgendwie das Gefühl gehabt, nein, das war schon ganz klar.

I: Kannst du dich sonst an irgendwelche spezielle Reaktionen darauf erinnern, dass du jetzt als behinderte Frau ein Kind hast?

M: Kann ich mich jetzt nicht erinnern. Ich glaube aber auch nicht, dass irgendetwas war. Dadurch, dass man eben meine Behinderung begrenzt nur so auf den ersten Blick sieht, und ich einfach dann auch entweder mit Assistenz unterwegs war oder so. Also so direkt, dass irgendwer etwas gesagt hätte, nein - oder irgendwelche Reaktion, gar nicht, nein.

I: Hast du aufgrund deiner Behinderung im Bezug auf Andreas besondere Kosten?

M: Ja, schon.

I: Ich vermute einmal für die Assistenz auf jeden Fall.

M: Das war eigentlich relativ schnell dann klar, dass ich eben Assistenz noch zukaufen will. Außerdem war das auch von mir eine ganz bewusste Entscheidung, weil ich nicht mit irgendwelchen - mit Leuten arbeiten wollte, die einfach das nur aus Freundschaft und Nachbarschaft und gutem Willen machen, sondern ich wollte einfach auch das so machen, damit das ganz klar ist, dass ich auch sagen kann, was ich nicht möchte oder was ich möchte und damit ich mir auch die Leute aussuchen kann. Das war also die eine bewusste Entscheidung. Was ich jetzt auch nicht gesagt habe, wie der Andreas ca. ein Jahr war, Haben wir dann auch unsere - jetzt nenne ich sie Kinderfrau - dazubekommen. Das ist einfach eine ganz junge Frau, die ich schon sehr lange gekannt habe und mit der ich zufällig damals telefoniert habe aus einem anderen Grund. Und wo ich dann gewusst habe, sie hat schon Babysitter-Erfahrung. Und ich habe mir gedacht, ich probier es mit der, weil ich einfach noch jemand anderen gebraucht habe, die einfach flexibler bei uns sein kann. Für mich war es einfach auch wichtig, dass ich jemanden hab, der mit dem Andreas später auch Radfahren geht und Sandspielen geht und solche Sachen macht, die - einfach die Sachen, die ich nicht machen kann, und mit ihm in die Stadt geht und einfach ihn bewegt. Und die Sonja ist eben seitdem bei uns und ist für den Andreas sehr wichtig. Er behandelt sie auch ganz schlecht oft, so wie man halt nahe Personen wirklich behandelt. (lacht) Und, ja und die Sonja ist eben - Für die Sonja habe ich dann - Nein, es hat irgendwie anders angefangen. Ich hab damals aus irgendeinem Grund mit dem Sozialarbeiter ein Gespräch gehabt. Ich weiß aber nicht mehr, um was es da gegangen ist. Und dann hat der gemeint, für solche Fälle, wie für mich würde es - es wäre schon möglich auch vom Magistrat eine Unterstützung zu bekommen oder so. Ich weiß jetzt nicht, unter welchem Titel das läuft, Sozialhilfe oder so. Und da kann man sich dann - man kriegt eine finanzielle Unterstützung und je nachdem sucht eben diese Stelle da jemanden, der einfach diese Hilfe dann leistet. Oder man kann sich auch jemanden selber suchen. Und das war dann eben auch der Punkt, wo ich die Sonja damals gefragt habe, ob sie das nicht machen möchte. Und das ist einfach die Unterstützung, die ich momentan auch noch immer krieg vom Sozialamt vom Magistrat.

I: Also, das deckt die Kosten eben für diese eine Person?

M: Nein, überhaupt nicht, überhaupt nicht, nein. Ich mein, es war am Anfang wirklich - sehr teuer. Einfach die ganzen Unterstützungsgeschichten auch zu zahlen, das muss ich schon sagen. Weil bei der Caritas, da war was zum Zahlen, also diese Caritas-Schule. Ja, und dann eben - ja es hat sich ziemlich geläppert. Es ist sich gerade ausgegangen für mich, irgendwie witzigerweise. Aber es - Und was die Sonja - (überlegt) nein, es deckt's überhaupt nicht. Das ist es nicht. Aber das war mir auch klar, dass, wenn ich Qualität will und wenn ich dafür zahlen muss oder so, dann kostet das eine Zeitlang was und irgendwann wird's - es reduziert sich jetzt auch schon ein bisschen. Aber das wird dann halt immer weniger, je selbständiger der Andreas dann auch wird und je weniger Assistenz wir dann auch brauchen.

I: Weißt du noch ungefähr, wie viel du da in der intensivsten Zeit an Kosten für Assistenz gehabt hast?

M: (überlegt) Also, die puren, die reinen Kosten, ohne jetzt irgendetwas an Unterstützung wegzurechnen, das waren sicher - damals - 7.000 bis 8.000 Schilling.

I: Im Monat.

M: Ja, im Monat. War's sicher. Ich meine es ist sich einfach durch diverse Unterstützungen und Zuwendungen ist es sich einfach dann, ist es gegangen. Aber es hat ganz sicher so viel gekostet. Also, eher gegen 8.000, also diese reinen Geschichten.

I: Und wie viel davon hast du dann abgedeckt bekommen über den Magistrat bzw. von anderen öffentliche Töpfen?

M: Da würd' ich sagen, in etwa ein Drittel. Das ist eben vom Magistrat dann übernommen worden, ca. ein gutes Drittel. Das andere ist einfach dann - das habe ich dann so gerechnet, dass einfach die Alimente, die ich bekomme, das habe ich dann so umgelegt irgendwie. Aber sonst - ich hab einfach sehr viel selber gezahlt.

I: Wenn du dir jetzt vorstellst, wie die Idealsituation der Unterstützung für dich hätte sein sollen, wie weit kommt das der Realität nahe, was wäre für dich noch zu verbessern gewesen? - Sowohl finanziell, als auch personell oder organisatorisch.

M: So im Nachhinein gesehen, glaube ich, habe ich das ganz gut gemacht. Ich meine mit der Organisation der Unterstützung und Assistenz. Es war einfach sehr viel Organisationsarbeit und ich hab wirklich ein bisschen kreativ sein müssen und ein bisschen rumschauen und so. Aber das musste ich eigeninitiativ machen und das war das eine, was oft ein bisschen mühsam war, aber -

I: Also ein geordneteres Angebot, wo man sich nicht um alles selber kümmern muss, wäre hilfreich.

M: Ja, ja. Ich mein, dadurch, dass wir einfach da in Graz sitzen weiß man, oder weiß ich, dass man bei gewissen Sachen durchaus auch Studenten ansprechen kann oder Studentinnen ansprechen kann. In einem kleinen Nest, wo ich herkomme oder so, da wäre das Ganze ungleich viel schwieriger gewesen. Und das andere war - ist einfach, dass es wirklich sehr teuer war.

I: Also da wäre mehr finanzielle Unterstützung sinnvoll.

M: Ja. Es hat einfach wirklich viel gekostet. Aber ich habe mir dann halt immer gedacht - o.k., ich wollte das Kind und es war mir auch klar, dass das eine Konsequenz ist, dass das Ganze dann einfach teuer wird. Weil das habe ich schon gewusst, dass ich es alleine nicht schaffen werde. Und eben auch, dadurch dass ich einfach auch alleine leben wollte und nicht zurück zu meinen Eltern ziehen wollte oder so, war's ganz klar, dass ich das einfach anders lösen musste und dass das dann auch etwas kostet. So habe ich es mir dann halt schmackhaft gemacht.

I: Was glaubst du so ganz allgemein, Frauen mit einer Behinderung, die sich Kinder wünschen oder Kinder haben, wie werden die in der Öffentlichkeit eingeschätzt?

M: (Pause) Ich glaube, dass die Allgemeinheit oder die Öffentlichkeit oder die allgemeine Meinung eher dem ganzen Muttersein von behinderten Frauen nicht positiv gegenüber eingestellt ist. Und es ist auch glaube ich gar nicht - die gibt es irgendwie auch gar nicht. Oder Frauen, glaube ich, werden gar nicht so - es wird ihnen gar nicht zugestanden einfach auch Mutter zu sein. Oder ich glaube auch, dass die Öffentlichkeit oder die allgemeine Meinung auch so meint, dass manche Frauen vielleicht auch gar nicht als Partnerin oder als Frau auch attraktiv sein könnten und dann schon gar nicht als Mutter und (ironisch): Die sollten es dann überhaupt lassen, weil das ist ja dann nur mehr schwierig. So denke ich einmal, so ist die allgemeine Meinung.

I: Wenn du dir jetzt vorstellst, eine junge Frau, die dieselbe Erkrankung hat wie du, also auch etwa gleichartig behindert ist, und sich ein Kind wünscht oder ein Baby erwartet, würde dich um Rat fragen. Welche Ratschläge würdest du ihr da geben?

M: Ich würd' ihr sagen - ich sag, ich war zwar noch nie in der Situation, aber ich sag oft zu jungen Frauen oder zu jungen Müttern, sie sollen auf ihr Gefühl horchen. Ich meine, es funktioniert vielleicht nicht bei allen gleich, dass einfach das Gefühl da ist, aber ich würde echt sagen, einmal aufs Gefühl und auf die eigenen Bedürfnisse horchen. Und, und dann auch einfach versuchen kreativ zu sein. Und sich nicht von zu vielen Leuten auch reinpfuschen oder reinreden zu lassen. Und ich würd' auch sagen, es geht schon, also auf alle Fälle.

I: Gibt es noch irgendetwas, was dir wichtig wäre, zu diesem Thema zu sagen, was wir noch nicht angesprochen haben?

M: (Pause) Ich weiß nur, es, war - es war mühsam, wirklich jemanden zu finden und diverse Geschichten wirklich auch aufzustellen und doch auch etwas zu finden. Und ich denke mir - wie gesagt Graz oder eine große Stadt macht es dann ein bisschen leichter, weil ein bisschen ein anderes Angebot auch für behinderte Menschen da ist. Aber ja, es ist echt ein bisserl schwierig. So ganz einfach ist es nicht und dann ist man ja nicht so fit, wie wenn man alleine ist. Man hat dann - ich sag einmal so, man schleppt ja dann ein Kind auch noch mit und das ist dann einfach in den ersten zwei Jahren sehr, sehr intensiv, zeitintensiv, körperlich anstrengend und die ganze Situation. Also es verändert also das Ganze schon sehr schwierig und - ja, man braucht schon sehr viel Unterstützung, denk ich mir. Ich meine, man braucht sowieso glaube ich als Mutter mit einem ersten Kind sehr viel Unterstützung, weil man sich einfach vielleicht doch nicht ganz so sicher ist und in der Situation noch einmal und ja, das muss schon klar sein, dass es einfach nicht ganz einfach ist. Mehr fällt mir dazu jetzt auch nicht ein.

I.: Herzlichen Dank für das Gespräch.

9.4. Darstellung der Interviewauswertung mittels qualitativer Inhaltsanalyse

9.4.1. Paraphrasierung

1 wichtig genug Zeit zu haben, genug Zeit, genug Ruhe und auch genug Geduld für das Kind

2 auf die Bedürfnisse einzugehen

3 jetzt sind es schon weniger die körperlichen Bedürfnisse, weil er halt schon älter ist

4 Bedürfnisse mit Diskutieren und was er halt so braucht jetzt auf das einzugehen

5 Meine Mutter hat mir relativ bald gesagt, dass ich keine Kinder kriegen darf oder soll

6 immer Freundschaften gehabt, aber da war Familie eigentlich nicht das Thema

7 das hab ich eigentlich im Kopf gehabt, dass mir meine Mutter gesagt hat ich soll nicht oder ich darf nicht

8 es war nie ein Ziel

9 war für mich schon klar, dass ich mit jemandem zusammen sein möchte

10 später die Frage aufgetaucht.

11 wie ich dann mit jemandem schon länger zusammen war, Kind oder nicht

12 wir haben uns dann einen Hund angeschafft

13 wir haben beide studiert

14 das durften wir uns gar nicht stellen

15 da sind wir auf einen Hund ausgewichen

16 je älter ich dann geworden bin um so mehr habe ich mich dann schon mit der Frage auseinandergesetzt, Kind oder nicht.

17 Ich war dann eben auch einmal bei der genetischen Beratungsstelle, um das einmal grundsätzlich abklären zu lassen, weil ich mir gedacht habe, ich will es einfach doch wissen.

18 Aber da war ich dann schon wirklich 28, 29, wie ich das einfach auch so abgeklärt habe.

19 wenn ich es diskutiert hab oder überlegt hab, dann hab ich es wirklich mit dem jeweiligen Partner überlegt

20 mit jemandem anderen eher nicht.

21 mit Ärzten sowieso nicht

22 außer einmal mit jemandem bei dem Gespräch bei der genetischen Beratungsstelle.

23 meiner Familie - wir haben das eigentlich auch nicht diskutiert. Das war nicht die Frage.

24 keine Informationen über Auswirkungen der Schwangerschaft auf die Behinderung eingeholt

25 wenn du ein bisschen rumfragst hörst du dann mit ähnlich betroffenen, du bist wirklich dein eigener Experte oder deine eigene Expertin und Ärzte können es oft nicht so einschätzen, wie sich irgendetwas auswirken könnte.

26 Sie können dir Ratschläge geben und du musst es halt auch oft ausprobieren ob irgendetwas vielleicht dir dann gut tut oder eben dann nicht so gut tut.

27 das war so ein Motto: mich bloß nicht erwischen lassen.

28 mir so weit gut gegangen,

39 es war nie irgendetwas, wo ich mir gedacht habe, da ist irgendetwas so chronisch, dass ich mich in irgendeine Behandlung begeben müsste.

30 hab dann einfach versucht mich auch selbst, so weit es halt geht, fit zu halten.

31 eigentlich nie Ärzte irgendwie aufsuchen müssen

32 Erst dann ist es eben ein bisschen mehr akut geworden.

33 Ärzte einfach bei mir schon ein bisschen vorsichtig sind und gewisse Dinge dann gar nicht irgendwie weiter untersuchen oder auch nicht zu viel anrühren,

34 weil sie einfach selbst sich unsicher sind oder einfach nicht wissen, wie sie damit umgehen müssen.

35 bin in einer Selbsthilfegruppe von gleich betroffenen, aber da war auch Schwangerschaft nicht wirklich das Thema

36 Expertin für deinen eigenen Körper sein, das ist schon immer wieder angesprochen worden

37 ungeplante Schwangerschaft

38 gänzlich überraschend, absolut überraschend

39 gedacht, ich möchte das Kind haben unter gewissen Voraussetzungen

40 wie ich es dann anderen Leuten erzählt habe und meiner Familie oder so, war ich mir dann auch sehr sicher,

41 also wenn es einfach unter diesen normalen Umständen, die in jeder Schwangerschaft inkludiert sind,

42ich steh dazu, ich will das Kind einfach haben

43die Entscheidung habe ich für mich einfach getroffen und das ist ganz klar

44 engste Familie hat sehr positiv reagiert

45 haben sich wahnsinnig gefreut

46 Eltern haben es schon aufgegeben gehabt, dass sie irgendwann Enkel kriegen

47 Mutter war absolut positiv und hat sich irrsinnig gefreut

48 Vater hat das gesagt, was sich alle anderen gedacht haben, "Muss das sein."

49 Andreas wirklich sein Lieblings-Enkelkind ist

50 Großvater hat mich ganz schief angeschossen

51 war absolut dagegen

52 aber was soll er machen

53 Vater des Kindes wollte grundsätzlich kein Kind

54 wollte sowieso kein Kind

55 war schon sein zweites

56 unabhängig jetzt von meiner Behinderung

57 der wollte sowieso kein Kind

58 mittlerweile steht er auch dazu, gezwungenermaßen halt

59 Frauenarzt mir entgegenkommend

60 älterer erfahrener Arzt

9.4.2. Generalisierung, Zuordnung und Selektion

Kategorie K1: Entwicklung zur Mutterschaft

Unterkategorien:

K1.1: Persönliches Erleben

K1.2: Erwartungen und Reaktionen der Umwelt

1 K1

 

K1.1

K1.2

in Partnerschaft gelebt, aber Familie kein Thema

Aussagen der Mutter immer im Kopf gehabt

Familie kein Ziel

Partnerschaft immer wichtig

Später Kinderwunsch aufgetaucht

In einer längeren Partnerschaft Kinderwunsch aufgetaucht

Zunächst ein Hund

Beide studiert

Frage durfte sich nicht stellen

Hund als Ersatz

Mit zunehmendem Alter intensivere Auseinandersetzung mit dem Kinderwunsch

Abklärung bei der genetischen Beratungsstelle

Abklärung mit ca. 28 Jahren

Kinderwunsch nur mit dem Partner besprochen

außerdem mit niemandem

mit Ärzten sowieso nicht

außer bei der genetischen Beratungsstelle

in der Familie Kinderwunsch nie besprochen

keine Informationen über Auswirkung der Schwangerschaft auf die Behinderung

Expertin für die eigene Behinderung

Ärzte können die Auswirkungen oft nicht einschätzen

Ärzte können nur Ratschläge geben

Muss selbst herausfinden was mir gut tut

Versucht mich fit zu halten

ungeplante Schwangerschaft

gänzlich überraschend

Vorraussetzungen überlegt

Entscheidung für das Kind

Entscheidung stand fest, als ich andere informierte

Wenn es unter den normalen Begleitumständen möglich ist

Stehe zum Kind

Entscheidung ganz klar für mich getroffen

Mutter hat gesagt, dass ich keine Kinder bekommen soll

Engste Familie hat positiv auf die Schwangerschaft reagiert

Wahnsinnig gefreut

Eltern haben nicht erwartet, dass sie Enkel kriegen

Mutter hat sich sehr gefreut

Vater hat zunächst Bedenken

Andreas ist sein Lieblingsenkelkind

Großvater hat sehr ablehnend reagiert

War absolut dagegen

Partner wollte kein Kind

Wollte grundsätzlich kein Kind

Hatte bereits ein Kind

nicht in Zusammenhang mit der Behinderung

Wollte grundsätzlich kein Kind

Steht mittlerweile dazu

Von keiner Seite ein Schwangerschaftsabbruch nahegelegt

9.4.3. Zusammenfassung

1 K1

 

K1.1

K1.2

Partnerschaft war immer wichtig, aber Familie lange kein Thema, weil die Aussage der Mutter immer im Bewusstsein.

Im Zuge einer langjährigen Partnerschaft erfolgt die erste Auseinandersetzung mit dem Kinderwunsch.

Weil beide Partner studieren, sind die Rahmenbedingungen nicht entsprechend.

Mit zunehmendem Alter wird die Auseinandersetzung mit dem Kinderwunsch intensiver.

Mit etwa 28 Jahren erfolgt die Abklärung des Vererbungsrisikos bei einer genetischen Beratung.

Ärzte können meist wenig klare Aussagen zur Muskelerkrankung machen, daher auch keine Informationen über Auswirkung der Schwangerschaft eingeholt.

Ist gewohnt Expertin in eigener Sache zu sein.

Erste Schwangerschaft kommt ungeplant.

Nach Abwägung aller Aspekte klare Entscheidung für das Kind und erst dann Mitteilung an die Familie.

Mutter hat schon früh vermittelt, dass Anna keine Kinder bekommen soll.

Reaktionen der Familie auf die Schwangerschaft sind überwiegend positiv. Nur der Großvater reagiert ablehnend.

Vater des Kindes möchte grundsätzlich kein Kind mehr, weil er bereits ein Kind hat.

9.4.4. Quervergleich der Ergebnisse

Darstellung anhand der Zusammenfassungen in der Kategorie K1 von vier Interviewpartnerinnen

1 K1

       
 

Anna

Birgit

Carmen

Daniela

K1.1

Partnerschaft war immer wichtig, aber Familie lange kein Thema, weil die Aussage der Mutter immer im Bewusstsein.

Im Zuge einer langjährigen Partnerschaft erfolgt die erste Auseinandersetzung mit dem Kinderwunsch.

Weil beide Partner studieren, sind die Rahmenbedingungen nicht entsprechend.

Mit zunehmendem Alter wird die Auseinandersetzung mit dem Kinderwunsch intensiver.

Mit etwa 28 Jahren erfolgt die Abklärung des Vererbungsrisikos bei einer genetischen Beratung.

Ärzte können meist wenig klare Aussagen zur Muskelerkrankung machen, daher auch keine Informationen über Auswirkung der Schwangerschaft eingeholt.

Ist gewohnt, Expertin in eigener Sache zu sein.

Erste Schwanger-

schaft kommt ungeplant.

Nach Abwägung aller Aspekte klare Entscheidung für das Kind und erst dann Mitteilung an die Familie.

Starker Kinderwunsch und Zuversicht, dass dies auch möglich sei.

Erste Schwangerschaft ungeplant.

Zunächst großer Schock, aber bald vor allem Vorfreude auf das Kind.

Angst nur vor der Reaktion der Großmutter.

Auf negative Reaktionen der Umwelt bei der ersten Schwangerschaft gelassen reagiert.

Seit dem Jugendalter starker Wunsch nach einer Familie. Im Freundeskreis oft besprochen.

Auseinandersetzung mit einer möglichen Weitervererbung der Behinderung. Ungeplante Schwangerschaft in der Trennungsphase vom Partner.

Freude auf das Kind und gleichzeitig Angst vor der Reaktion der Familie.

Lehnt Abtreibung entschieden ab. Hat keine Bedenken als Alleinerzieherin zurecht zu kommen.

Als Jugendliche Wunsch nach eigener Familie, aber Erwartung, als Partnerin nicht attraktiv zu sein. Mütterliche Freundin stärkt ihr Selbstbewusstsein. Wegen eines vermuteten Vererbungsrisikos Entscheidung für nur ein Kind. Angst vor Reaktion der Mutter auf die Schwangerschaft.

K1.2

Mutter hat schon früh vermittelt, dass Anna

keine Kinder bekommen soll.

Reaktionen der Familie auf die Schwangerschaft sind überwiegend positiv. Nur der Großvater reagiert ablehnend.

Vater des Kindes möchte grundsätzlich kein Kind mehr, weil er bereits ein Kind hat.

Kinderwunsch wird im Freundeskreis nicht ernst genommen.

Mutter zwar schokkiert über ungeplante Schwangerschaft, aber insgesamt sehr unterstützend.

Mehrheitlich negative Reaktionen von Passanten auf die sichtbare Schwangerschaft sind auch durch Birgits jugendliches Aussehen bedingt.

Freundeskreis steht positiv zum Kinderwunsch. Familie ist dagegen, weil die Behinderungsursache nicht geklärt ist und eineWeitervererbung befürchtet wird.

Vor allem Mutter lehnt die Schwangerschaft zunächst ab und drängt auf eine Abtreibung. Im Lauf der Schwangerschaft wird die Haltung der Familie positiver. Nur Sorge wegen einer Vererbung der Behinderung wird geäußert.

Großer Widerstand der Mutter gegen Partnerschaft und Heirat. Freude der Mutter über die Schwangerschaft, aber heftige Ablehnung durch den Vater.

Ansonsten überwiegend selbstverständliche Akzeptanz der Schwangerschaft. Mehrfach Fragen zur Alltagsorganisation.

Quelle:

Barbara Levc: "Und wer kümmert sich um das Kind?"

Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra der Philosophie an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Karl - Franzens - Universität Graz, vorgelegt von Barbara Levc am Institut für Erziehungswissenschaft. Begutachter: Univ.-Prof. Dr. Josef Scheipl. Graz, 2005

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Stand: 31.10.2006

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