Inklusives Wohnen

Einschätzung von Beteiligten und konzeptionelle Überlegungen

Themenbereiche: Lebensraum
Textsorte: Masterarbeit
Releaseinfo: Masterarbeit an der Universität Leipzig; Erziehungswissenschaftliche Fakultät; Institut für Förderpädagogik; Erstgutachter: Prof. Dr. Andreas Hinz, Zweitgutachterin: Prof. Dr. Kerstin Popp; eingereicht am: 24.03.2015
Copyright: © Nico Leonhardt und Christina König 2015

1 Einleitung

Und letztendlich kommt es doch immer auf dasselbe an, wenn wir über Menschenrechte sprechen. Es geht um die Plätze nah am Haus. So nah und so klein, daß sie auf keiner Weltkarte wiederzufinden sind. Doch ist genau dies die Welt eines jeden Individuums; die Nachbarschaft, in der wir wohnen; die Schule, in die wir gehen; die Fabrik, der Bauernhof oder das Büro, wo wir arbeiten. Das ist der Ort, wo jeder Mann, jede Frau oder jedes Kind die gleichen Rechte sucht, gleiche Chancen, Gleichbehandlung ohne Diskriminierung. Wenn diese Rechte dort nichts bedeuten, dann bedeuten sie auch anderswo nichts. Ohne gezieltes Handeln von jedem, der sich dem verbunden fühlt, dieses im Nahbereich zu verwirklichen, hat es wenig Sinn, nach einem derartigen Fortschritt für den Rest der Welt zu streben.

Eleanor Roosevelt

Im Leben gib es sicherlich viele Momente und Bereiche, die sich im Gedächtnis verankern. So wird sich wohl auch jede*r[1] an die unterschiedlichen Wohnungen oder Häuser erinnern, in denen er*sie im Laufe seines*ihres Lebens gelebt hat. Sei es das sogenannte Elternhaus, die erste eigene Wohnung, die Wohngemeinschaft mit der man viel feiert, die Wohnung in der die eigenen Kinder aufwachsen oder aufgewachsen sind, der Ort an dem man als Paar fast das gesamte Leben verbracht hat oder vieles mehr. Die Erfahrungen innerhalb dieser „Vier Wände“ beziehungsweise die positiven und negativen Erlebnisse, die man damit verbindet, sind sicherlich für jede*n persönlich sehr verschieden. Fest steht, dass sie fest mit den Erinnerungen verhaftet sind und somit einen wichtigen Teil unseres Lebens ausmachen. Obgleich dieser Bereich emotional eine große Bedeutung in sich trägt, bleibt doch die Frage, inwieweit alle Menschen gleichermaßen Zugang zu solch vielfältigen Wohnformen erhalten. Wie gestaltet sich die von Eleanor Roosevelt beschriebe Suche nach den gleichen Rechten, Chancen und der Gleichberechtigung ohne Diskriminierung, wenn diese von Fremdbestimmung überschattet wird? Was passiert, wenn dieser Lebensbereich aus unterschiedlichen Motiven zu einem abgesonderten Schutzraum verkommt? Mit dem Blick auf Menschen mit Behinderungserfahrungen verweist Lüpkte (1994, 12) auf „die Verwirklichung einfacher, alltäglicher, gemeinschaftlicher Menschlichkeit“, denn wenn „wir stattdessen Behindertenarbeit, Dienstleistung, Therapie und Förderung in den Vordergrund stellen, dann machen wir daraus immer wieder etwas Besonderes und damit zugleich etwas Aussonderndes“. Diese Aussonderung, die gleichsam zu einer Vereinsamung führen kann und Menschen aufgrund ihrer Behinderungserfahrungen in Sondereinrichtungen landen lässt, lässt die Menschlichkeit im Zusammenleben zu etwas Besonderem werden und „schleichend breitet sich Unmenschlichkeit aus“. (ebd., 12f.)

Ein Konzept, das sich der Aussonderung entgegenstellt ist die Inklusion. Ein Begriff der im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs wohl kaum unterschiedlicher ausgelegt werden könnte. Die Vorstellungen zur Inklusion führen momentan zu einen sehr kontrovers geführten Diskurs, der sich vor allem auf den schulischen Bereich bezieht. Besonders im Bildungsbereich kann beobachtet werden, dass die Neuorientierung des Begriffes dazuführt, dass Inklusion als konturloser Modebegriff „inzwischen nahezu alles [...] deklariert [...], was sich positiv und fortschrittlich darstellen möchte“ (Hinz 2013). Meist folgt dem Begriff die sofortige Erklärung, dass damit die Integration von Menschen mit Behinderungserfahrungen gemeint sein. Doch lässt sich dieses Konzept wirklich darauf beschränken? Während einige darin den Kern der Sache sehen, betrachten andere in dieser Darstellung eine gefährliche Verwässerung des eigentlichen Sinns. So ist der Inklusionsansatz im pädagogischen Bereich inzwischen zum Politikum geworden und „scheint zurzeit tendenziell fast zwischen finanzpolitischen Setzungen der Kostenneutralität, mangelhaften bis fehlenden Innovationsstrategien von Ministerien und bei allen beteiligten Professionen und Gruppierungen vorhandenen Ängsten beziehungsweise Polemiken und Vorwürfen zerrieben zu werden“ (ebd.). Die Spannweite reicht von purer Euphorie bis hin zur polemischen Ablehnung von sogenannter „radikaler“ Inklusion. So deklariert beispielsweise Mathias Brodkorb, der Kultusminister in Mecklenburg-Vorpommern, die „totale“ Inklusion sei der Kommunismus der Schule und erläutert dazu:

Karl Marx kämpfte für die völlige Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt und bei der Reichtumsverteilung, die radikalen Inklusionisten setzen sich für eine völlig gerechte Schule ein. Völlige Gerechtigkeit gibt es auf Erden nicht und es kann sie niemals geben. (Brodkorb 2013)

Inwieweit dieser Vergleich tatsächlich zu einer konstruktiven Diskussion beiträgt sei an dieser Stelle dahingestellt, aber es zeigt welches Ausmaß von Polemik die Diskussion bereits erreicht hat.[2] Auch der Bereich Inklusion in der Arbeitswelt gewinnt zunehmend an Bedeutung und wird sicherlich nicht weniger kontrovers diskutiert.

Doch wie stellt sich die Situation im Bereich des Wohnens dar, einem wie bereits erwähnt so elementaren Lebensbereich? Nach oberflächlicher Recherche finden sich alleine im Internet verschiedene Projekte, die sich selbst mit dem Thema inklusives Wohnen verbinden. Auch in diesem Bereich stellen Menschen, die von Ausgrenzung bedroht sind, klar: „Wir wollen nicht an den Stadtrand, wir wollen nicht an den Rand der Gesellschaft, sondern mittendrin leben.“ (Zink 2014) Es bleibt dabei allerdings die Frage, welche konzeptionellen Überlegungen sich hinter diesen Projekten inklusiven Zusammenlebens verbergen. Ist es der Versuch Menschen mit Behinderungserfahrungen Teilhabe im Bereich des Wohnens zu ermöglichen oder versteckt sich dahinter gar ein breiteres Verständnis von Inklusion?

Die Forschungsliteratur gibt bei diesem Thema ein weitaus geringeres Spektrum an Publikationen vor als es beispielsweise im schulischen Bereich der Fall ist. Monika Seifert und Prof. Dr. Georg Theunissen können exemplarisch an dieser Stelle genannt werden, als Vertreter*innen, die sich diesem Feld wissenschaftlich nähern. Auch Klaus von Lüpke nimmt sich dieses Themas an und warnt dabei vor der „Beschränkung auf ein Zusammenleben mit (relativ) Gleichen, zum Beispiel in monotonen, monokulturellen Vororten, sei es im Luxusgewand von Villen oder im Einheitsgewand von Massenquartieren“, da dieser Irrweg seiner Ansicht nach zu einer zunehmenden seelischen Verarmung und „zu immer mehr sozialen Konflikten führt“ (Lüpke 1994, 13). Doch was kann dieser Beschränkung entgegengestellt werden und welche Rolle spielen dabei die sogenannten inklusiven Wohngemeinschaften[3]? Untersuchungen zu den Wohnvorstellungen von Menschen mit Behinderungserfahrungen geben zumindest Aufschluss, darüber was von den Beteiligten an Wünschen bestehen.[4]

Die vorliegende Arbeit versucht sich diesem Feld anzunähern und im Sinne des Ansatzes „Nichts ohne uns über uns“ soll, mit dem Fokus auf zwei ausgewählte WGs der folgenden Fragestellung auf den nächsten Seiten nachgegangen werden:

Inwieweit werden die Wohngemeinschaften, gemessen an den Einschätzungen Beteiligter, einem Konzept inklusiven Zusammenlebens gerecht?

Die Untersuchung folgt dabei keinem normativen Ansatz und versucht nicht allgemeingültige Aussagen zu generieren. Allein die Beschränkung auf zwei Beispiele einer Wohnform verbietet eine Verallgemeinerung. Vielmehr soll ein Einblick gewährt werden in mögliche Versuche inklusiven Zusammenlebens. Die vorliegende Arbeit bietet dabei keinen abgeschlossenen Erkenntnisstand, vielmehr stellt sie einen Diskussions- und Entwicklungsbeitrag dar. Im Fokus dieser Forschungsarbeit stehen dabei diejenigen, die diese Wohnprojekte ausmachen und gestalten.

Um sich dem Bereich des inklusiven Wohnens theoretisch und konzeptionell zu nähern und um die Objektivität der Analyse zu sichern, geht der eigentlichen Analyse ein umfangreicher Theorieblock voraus. In diesen Überlegungen sollen die vielfältigen Begriffe und beteiligten Konzepte theoretisch fundiert eingefangen werden. So wird in einem ersten Schritt auf die Begriffe Inklusion, Wohnen und Behinderung eingegangen. Dabei soll geklärt werden, welches Inklusionsverständnis der Arbeit zugrunde liegt, welche Begrifflichkeiten sich für das Phänomen Behinderung finden lassen und welche Bedeutung Wohnen in unserer Gesellschaft zugeschrieben wird. Dem folgen einige gesetzliche Bezüge, die aufgrund ihrer Bedeutung für das Thema einer Erläuterung bedürfen. In einem nächsten Schritt sollen Ansätze und Leitideen inklusiven Lebens beschrieben werden. Dabei wird auf den Empowerment-Ansatz, den Begriff Partizipation, das Normalisierungsprinzip, den Ansatz der Sozialraumorientierung und das Konzept des Community Care inhaltlich eingegangen. In einem letzten Teil der theoretischen Betrachtungen soll zum einen mit Blick auf Menschen mit Behinderungserfahrung ein historischer Abriss über deren Wohnsituation beschrieben und aktuelle Unterbringungstendenzen beleuchtet werden. Zum anderen soll eine Beschreibung gewagt werden dessen, was unter inklusiven Wohnen direkt verstanden werden kann. Um der Vielfalt dieser Wohnformen ansatzweise Raum zu geben, sollen diesbezüglich einzelne Beispiele aktueller Wohnformen dargestellt werden, welche sich dem Konzept der Inklusion zuordnen. Einer kurzen Zusammenfassung des theoretischen Teils folgen dann die Erläuterungen zur Methodik und zum Forschungsgegenstand. An dieser Stelle sollen die gewählten WGs vorgestellt, die Erstellung des Interviewleitfadens dargestellt, die Durchführung erläutert und die Auswertungsmethode der qualitativen Inhaltsanalyse begründet werden. Im Hauptteil der vorliegenden Arbeit werden in Form von Kategorien die Ergebnisse dargestellt, interpretiert und zusammenführend diskutiert. Zum Schluss wird die Forschungsarbeit mit einem reflexiven Rück- und Ausblick abgerundet.



[1] In dieser Arbeit soll die sogenannte Gender Gap, symbolisiert durch das Sternchen (*) zwischen den Wortformen, ihre Anwendung finden, um „existierende Geschlechter, die bisher unsichtbar gemacht wurden, sichtbar“ zu machen. (Fischer/ Wolf 2009, 5) Ausnahmen beziehungsweise abweichende Schriftformen befinden sich im Text, wenn direkt zitiert wurde.

[2] Ein Überblick über die Entwicklung der letzten 10 Jahre im Bereich der schulische Inklusion findet sich bei Hinz (2013)

[3] Unter Wohngemeinschaft wird ein „Gruppe von Personen [verstanden], die als Gemeinschaft (mit gemeinsamem Haushalt) ein Haus oder eine Wohnung bewohnen“ (Duden 2013) Im Folgenden wird für den Begriff unter anderem auch die Abkürzung WG verwendet.

[4] Als Beispiele können an dieser Stelle exemplarisch die Kundenstudie (Seifert/ Harms 2010) und die Kölner Lebensqualität-Studie (Seifert 2006a) genannt werden.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Begrifflichkeiten

2.1.1 Behinderung als soziale Konstruktion

Wenn ich einem "behinderten" Menschen begegne, ihn anschaue und denke, wie er denn sein könnte, beschreibe ich mich selbst - meine Wahrnehmung des anderen. Ob ich die daraus entstehende Chance nutze, mich selbst zu erkennen, steht auf einem anderen Blatt .... !

(Feuser 1996)

Der Behinderungsbegriff lässt sich bis zum heutigen Tage nicht eindeutig definieren. Grund dafür ist, dass er Teilgebiet verschiedener Disziplinen ist, die ihn aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten und verwenden. Zudem ist das Bedeutungsspektrum recht weit, so dass der gemeinsame Nenner lediglich zu sein scheint, „dass etwas entgegen einer vorhandenen Erwartung nicht geht“ (Weisser 2005 zit. nach Dederich 2009, 15). Auffällig ist jedoch die Negativkonnotation, die der Begriff mit sich bringt. Dederich (2009, 17f.) verweist auf das generelle Dilemma, dass die Benennung des Behinderungsbegriffs mit sich bringt: einerseits sollen bestimmte Phänomene betitelt werden, andererseits steht diese Betitelung selbst oftmals im Zentrum der Kritik. Eine häufig zitierte Definition ist die des Sozialgesetzbuchs, neuntes Buch, Paragraph zwei (SGB, 2015):

Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.

Behinderung wird hier ausgehend von einem medizinisch-biologischen Merkmal interpretiert und an einer gesellschaftlichen Norm gemessen, die als Naturzustand festgelegt ist. Ein weiterer, neuerer Versuch stützt sich auf die von der Welthandelsorganistation (WHO) entwickelte „International Classification of functions“ (ICF). Die in der 1980 verfassten Ausgabe verwendeten Begriffe ‘impairment’, ‘disability‘ und ‘handicap‘ wurden in einer überarbeiteten Ausführung durch die Begriffe ‘impairment‘, ‘activity‘ und ‘participation‘ ersetzt. Im Vergleich zur Begriffsannäherung des SGB IX lenkt die ICF den Fokus mehr auf die gesellschaftliche Komponente von Behinderung. Sie formuliert eine Differenzierung zwischen dem körperlichen Aspekt von Behinderung (impairment), dem Maß der persönlichen Verwirklichung (‘activity‘) und der gesellschaftlichen Teilhabe (‘participation‘) (Dederich 2009, 16). Dennoch wird auch hier die „körperliche Schädigung als Ausgangspunkt und Ursprung für die Behinderung angesetzt“ (ebd., 23) und im Sinne einer Kausalität angenommen. Bendel (1999, 302) beschreibt diese Zweideutigkeit als „Doppelnatur in Form einer biologisch-medizinischen und einer soziologischen Perspektive“. Dieser Ansatz wird im wissenschaftlichen Diskurs häufig als „Minimalkonsens“ (Dederich 2009, 16) aufgeführt. Die zuvor beschriebene Perspektive auf das Phänomen Behinderung nimmt die körperliche Schädigung als Ursprung für darauf folgende funktionelle Einschränkungen und soziale Benachteiligung an (Bendel 1999, 302f.) und rückt somit einen medizinisch-biologischen Aspekt in den Fokus.

Wenn das die Annahme von Behinderung ist, geht damit auch eine defizitäre Sichtweise auf die Personen einher, denen dieser Begriff zugeschrieben wird. Für diese Arbeit soll jedoch ein anderes Verständnis von Behinderung zugrunde gelegt werden. Auf dem 11. Österreichischen Symposium für die Integration behinderter Menschen zum Thema „Es ist normal verschieden zu sein“, hielt Georg Feuser ein Referat mit dem provokanten Titel: „Geistigbehinderte gibt es nicht!“ (Feuser 1996). Er hieb hervor, dass es lediglich Menschen gibt die „WIR aufgrund UNSERER Wahrnehmung (...) einem Personenkreis zuordnen, den WIR als ‘geistigbehindert‘ bezeichnen“ (ebd.). Bei dieser Zuordnung handelt sich also eher um einen klassifikatorischen Zuschreibungsprozess, den wir wiederum mit einer gewissen Bedeutung belegen. Die Gesellschaft tritt in die Rolle des Beobachters und konstruiert sich auf diese Weise ihre Realität. Behinderung kann also nicht als beobachterunabhängiger und objektiver Sachverhalt verstanden werden, sondern als eine soziale Konstruktion, die auf Beobachtung, Unterscheidung und Kommunikation basiert (Palmowski 1997, zit. nach Dederich 2009, 27). Auf das Modell der WHO übertragen bedeutet das, dass zwar eine Schädigung im Sinne eines ‘impairment‘ vorliegen kann, aber daraus keine Behinderung resultiert. „Behinderung ist eine Kategorie des Beobachters“ (ebd.). Sie bezeichnet keine medizinisch-biologische, vermeintlich objektive Gegebenheit, sondern ein „im Rahmen kultureller Wissenssysteme hervorgebrachtes Konstrukt“ (Bendel 1999, 303). Behinderung entsteht nicht im Menschen, sondern außerhalb des Individuums, das es zu definieren gilt, und beschreibt nicht eine „personale Eigenschaft, sondern eine soziale Beziehung“ (Bendel 1999, 303f.). Nicht ein Mensch ist behindert, sondern er wird durch ihm entgegengebrachte Zuschreibungen behindert. Diese Zuschreibungen sagen daher mehr über denjenigen aus, der sie trifft, als über den der getroffen werden soll.

2.1.2 Die Bedeutung des Wohnens für den Menschen

Eine Wohnung bezeichnet eine „feste Behausung, in der einzelne oder mehrere Menschen ihren dauerhaften Lebensmittelpunkt haben“ (Klauß 2008, 13). Die Bedeutung des Wohnens für den Menschen geht jedoch weit über diese Dimension hinaus. Als Wohnen bezeichnet Bollnow (1984, 123) die Weise, wie der Mensch in seinem Haus lebt. Er sieht das Wohnen als die Grundverfassung des menschlichen Lebens. Das Bedürfnis nach einem Wohnraum gehört zu den existenzsichernden menschlichen Bedürfnissen. Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert (§ 13, 1 GG). Klauß (2008, 9) beschreibt Wohnen daraus resultierend als Menschenrecht. Wohnen bedeutet jedoch mehr als das. So ist die Wohnung „Zentrum des privaten Lebens“ (Häußermann/ Siebe 1996, 44). Sie bietet dem Menschen einen Ort der Verwurzlung, einen Bezugspunkt, eine Basis die er verlassen und an die er wieder zurückkehren kann. Der Mensch eignet sich einen Raum an, den er zum Mittelpunkt seiner Welt, zu seiner Heimat macht. So ist der Wohnraum eng damit verbunden ein Zuhause und einen Halt im Leben zu haben (Thesing 2009, 28f.). Das kann für das Kind das Elternhaus bedeuten. Für den jungen Erwachsenen beinhaltet der Einzug in eine eigene Wohnung auch eine Art Initiationsritus. „Eine Wohnung zu beziehen ist ein entscheidender Schritt in die persönliche Selbstständigkeit“ (Häußermann/ Siebe 1996, 44). Auf den eigenen Wohnraum werden diverse Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen projiziert. Anditzky und Selle (1987 zit. nach Thesing 2009, 31) beschreiben die wesentlichen Grundbedürfnisse des Wohnens als „Streben nach Sicherheit, Schutz und Geborgenheit , Wunsch nach Beständigkeit und Vertrautheit, Suche nach einem räumlichen Rahmen, der die Möglichkeit der Selbstverwirklichung bietet, Bedürfnis nach Kommunikation, der Wunsch nach Selbstdarstellung (Demonstration von sozialem Status)“. Thesing (2009, 32) hebt die Ähnlichkeit zu der von Maslow aufgestellten Bedürfnispyramide hervor. Diese Dimensionen sollen im Folgenden kurz erläutert werden:

Die Wohnung als Raum für Geborgenheit, Schutz und Sicherheit

Eine Wohnung hat für den Menschen in erster Linie eine lebenssichernde Komponente. Sie bietet den Rahmen, in denen wir unseren menschlichen Bedürfnissen nach „Schlaf, Nahrung, Wärme und gesunder Umgebung“ (Klauß 2008, 13) ohne Bedrängnis nachkommen können. Sie bietet Schutz vor Witterung. Wir können die Tür öffnen und schließen wie wir wollen und erlangen so ein Stück Autonomie. Die Wohnung gewährleistet soziale Kontrolle und ermöglicht somit Privatheit und Intimität (Klauß 2008, 13).

Die Wohnung als Raum für Beständigkeit und Vertrauen

Menschen erleben eine Wohnung dann als wohnlich, wenn sie sich mit Dingen umgeben können, die ihnen vertraut sind. So entsteht eine Verbundenheit mit einem Ort, die ihn zur Heimat macht (Thesing 2009, 35f.). Häußermann und Siebel (1996, 44) sehen in der Wohnung einen „Ort des Erinnerns, in dem vergangene Zeit vergegenwärtigt ist“. Persönliche Dinge, die sich in der Wohnung ansammeln, schreiben die eigene Geschichte und Identität (ebd.). Gemäß Bollnow (1984, 152) trägt alles was in der Wohnung Geschichte hat zu einem Gefühl der sicheren Stetigkeit bei. Er sieht den schrittweisen Aufbau einer solchen Wohnung als Ausdruck der eigenen Lebensgeschichte und betont den Mehrwert einer solchen „wahren Wohnung“ (ebd.) gegenüber einer künstlich geschaffenen.

Die Wohnung als Raum für Selbstverwirklichung und Selbstverfügung

Die eigene Wohnung ist etwas sehr Individuelles. Sie ist „vermutlich der Ort, der am stärksten individuell gestaltet wird“ (Thesing 2009, 15). Menschen gestalten sich ihre Wohnung nach ihrem eigenen Geschmack, ihren Wünschen und Vorlieben und schaffen sich so ihre eigene kleine Welt. Sie wird von ihnen aktiv bewohnt und spiegelt einen Teil der Identität ihrer Bewohner*innen wieder. Sie ist auf ihre Bedürfnisse ausgerichtet und lädt zum Wohlfühlen ein. (Klauß 2008, 14f.)

Die Wohnung als Raum für Kommunikation und Zusammenleben

Klauß (2008, 16) beschreibt den „Ort, an dem man wohnt, [als] eine Basis für die gesellschaftliche Teilhabe“. Neben Rückzug und Schutz benötigt der Mensch auch den sozialen Austausch. Die Wohnung bietet den Raum soziale Kontakte weitgehend selbst zu steuern. In dieser Freiheit liegt ein wesentliches Element persönlicher Autonomie (ebd.). Des Weiteren sieht er die Wohnung als möglichen Ausgangspunkt kommunikative Beziehungen zu den Nachbarn zu pflegen. Darin bestünden Potenziale für ein Leben in der Gemeinschaft (ebd.)

Die Wohnung als Raum für Selbstdarstellung und Demonstration von sozialem Status

Neben der eigenen Verwirklichung eines Menschen hat die persönliche Gestaltung des Wohnraums auch eine selbstdarstellende Komponente. Sie verdeutlicht, wie wir uns vor anderen präsentieren wollen, wie wir uns selber sehen und gesehen werden wollen. Die Wohnung wird zum Statussymbol (Thesing 2009, 41); sie präsentiert die eigene Person nach außen. Häußermann und Siebel (1996, 44) beschreiben es folgendermaßen: „Die Wohnung und ihre Einrichtung sind also immer auch eine Form der sozialen Distinktion (Bourdieu 1983). Sie sind auch Ausdruck und Mittel individueller Distinktion, der Besonderheit eines unverwechselbaren Ichs (...), Symbol der Individualität“.

2.1.3 Inklusion und Integration – Eine diskursive Erläuterung

Der Begriff „Inklusion“ scheint derzeit in aller Munde zu sein. Die deutsche UNESCO- Kommission (DUK) definiert ihn als Prozess, „bei dem auf die verschiedenen Bedürfnisse von allen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen eingegangen wird. Erreicht wird dies durch verstärkte Partizipation an Lernprozessen, Kultur und Gemeinwesen, sowie durch Reduzierung und Abschaffung von Exklusion in der Bildung.“ (DUK 2014, 9). Die Verwendung des Begriffs der Inklusion ist keineswegs so eindeutig wie es zunächst scheinen mag. Schon die Definition der DUK wirft verschiedene Fragen auf. Was bedeutet verstärkte Partizipation? Woran genau? Und geht es tatsächlich nur um eine Abschaffung von Exklusion oder doch um viel mehr? Die Forderung nach Inklusion an sich macht deutlich, dass die bisherigen Ideen im Umgang mit den Menschen, „die den modernen Anforderungen der entstehenden kapitalistisch orientierten Leistungsgesellschaft nicht entsprechen konnten“ (Stein 2008, 74) nicht gerecht wird. Um sich dem Begriff und dem für diese Arbeit zugrunde liegenden Verständnis des solchen anzunähern, bedarf es einer kurzen historischen Rückschau hinsichtlich seiner Entstehung. Gemäß Bürli (1997 zit. nach Schwalb/ Theunissen 2012, 11f.) lassen sich seit dem 19. Jahrhundert begriffsgeschichtlich in der Arbeit mit behinderten Menschen vier Phasen beschreiben: Die erste Phase bezeichnet er als Phase der Exklusion. Menschen mit Behinderung waren hier von der Gesellschaft ausgeschlossen. Dies betraf sowohl die Bildung als auch andere Regelsysteme, wie zum Beispiel die Unterbringung. In der zweiten Phase, als Segregation benannt, galten Menschen mit Behinderung weiterhin als „krank, behandlungs- und versorgungsbedürftig“ (Schwalb/ Theunissen 2012, 11). Mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann eine Zeit forcierter Institutionalisierung von Menschen mit Behinderungen. Unter dem Gedanken der Fürsorge wurden gesonderte „Sozialisationseinrichtungen“ (ebd.) geschaffen, in denen diese Menschen gefördert werden sollten. Motive waren unter anderem Nächstenliebe oder Erziehung zur ‘Brauchbarkeit‘ (ebd.). Diese Entwicklung setzte sich zunächst auch im 20. Jahrhundert fort. Auf Bildungsebene erhielten die Sonderschulen großen Zulauf. Es wird sich bemüht, möglichst homogene Lerner*innengruppen zu schaffen. So wird sich dieser betroffenen Menschen nun zwar angenommen, allerdings sind sie nicht wirklich Teil der Gesellschaft. Vielmehr formieren sich zwei parallel nebeneinander stehende Gruppen, wobei die eine von der Fürsorge und dem Wohlwollen der anderen abhängig ist. Ein gleichberechtigtes Miteinander findet nicht statt. Diese Phase der Segregation datiert Sanders, der ein ähnliches Phasenmodell entwickelt hat, bezogen auf das deutsche Bildungssystem schwerpunktmäßig auf die 60er bis 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Er fügt jedoch hinzu, dass es weiterhin bis heute relevant ist (Frühauf 2012,14).

Die dritte Phase wird als Phase der Integration bezeichnet, Theunissen und Schwalb (2012, 12) beschreiben sie als Stunde der heilpädagogischen Förderung. Neue Impulse und „programmatische Leitbilder“ (Frühauf 2012, 16) entstehen, die zum einen eine „reformerische Weiterentwicklung segregierender Systeme“ (ebd.) bewirken, zum anderen eine „grundlegende Infragestellung dieser speziellen Lern- und Lebensorte“ (ebd.) ins Rollen bringen. Konzepte wie Normalisierungsprinzip, Selbstbestimmung und Empowerment haben hier ihre Wurzeln. Es scheint sich ein grundlegender Perspektivenwechsel anzubahnen. Die Praxis zeigt sich allerdings meist anders. Auf die Schule bezogen sehen Integrationsmodelle meist so aus, „dass zwei klar definierte und damit unterschiedene Personengruppen gemeinsam in einem Klassenraum unterrichtet wird: Kinder mit und Kinder ohne Behinderung.“ (Frühauf 2012, 19). Diese Modelle bleiben einer äußeren Differenzierung verpflichtet und beruhen in Form und Inhalt weiterhin auf einer ‘Zwei-Gruppen-Theorie‘ (ebd.). Inklusion betitelt die vierte Phase in Bürlis‘ und auch Sanders‘ Modell. Dieses Konzept „verzichtet (...) auf jegliches Etikettieren bestimmter Gruppen und geht von der Heterogenität menschlicher Gemeinschaften als Normalzustand aus,“ (Frühauf 2012, 21). Laut Hinz (2012, 40) hat sich die Inklusionsdebatte in Deutschland in etwa seit den frühen 2000er Jahren entfacht. Allerdings kann als erster Meilenstein bereits die Salamanca-Erklärung der UNESCO von 1994 gelten. Dort ist durchgängig von inclusion die Rede, ebenso in der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) von 2006. Allerdings wird in der deutschen Übersetzung der englische Begriff inclusion durch den deutschen Begriff Integration übersetzt (ebd. 36). Sind diese beiden Begriffe tatsächlich synonym zu verwenden? Über dieses Dilemma der Begriffe herrscht in der Fachwelt eine hitzige Debatte. So beschreibt Frühauf (2012, 11) seinen Eindruck der Begriff Integration habe sich eher in Bezug auf Maßnahmen der gesellschaftlichen Eingliederung von Bürger*innen mit Migrationshintergrund festgesetzt, wogegen sich der Begriff der Inklusion in Zusammenhang mit Menschen mit Behinderung durchsetze. In der Tat wird in der Literatur beklagt, dass auch die Politik und Verwaltung durch inflationäre und ungenaue Verwendung der Begriffe, zum Zwecke ihrer eigenen Interessen, zu einer Verwässerung dieser beitragen (Frühauf 2012, 13). Andreas Hinz (2012, 49f.) fügt dazu an, dass Inklusion „sich immer auf alle Aspekte von Verschiedenheit [bezieht]. Behinderung ist also immer nur ein Subaspekt. Geht es ausschließlich um Behinderung, bleibt der Integrationsbegriff angemessener, denn andernfalls droht die Inflationierung des Inklusionsbegriffes. Geht es um Behinderung im Zusammenhang gesellschaftlicher Marginalisierung insgesamt, ist allerdings der Inklusionsbegriff sinnvoller und angemessen.“

Annedore Stein sieht die „Ablösung des Integrationsbegriffes durch den Begriff der Inklusion“ (Frühauf 2012, 12) sehr kritisch. Sie bemängelt die Verwendung der beiden Begriffe als sich gegenüberstehende Gegensatzpaare, wobei es die Integration zu überwinden und die Inklusion zu erreichen gilt. Sie vertritt die Ansicht, dass das Problem nicht in dem ursprünglichen „aus der kritischen Behindertenpädagogik heraus entwickelten Konzept der Integration“ (ebd.) liegt, sondern auf Fehlern in der praktischen Umsetzung.

Es lässt sich also feststellen, dass es keine trennscharfe Verwendung des Integrationsbegriffes gibt und sich daraus die Debatte um die Notwendigkeit eines neuen Begriffes, Inklusion, entzündet.

Tony Booth nimmt sich dieser Diskussion an, indem er von der assimilatorischen und transformativen Sichtweise auf Integration spricht (Booth 2012, 56). Unter der ersteren versteht er Integration im Sinne einer strukturellen Eingliederung, jedoch nicht einer funktionellen. Von den Menschen wird erwartet, dass sie sich an ihre äußeren Gegebenheiten anpassen. Sollten sie dazu nicht in der Lage sein, verlangt man, dass sie zusätzliche Hilfen in Anspruch nehmen. Bei dieser Auffassung von Integration wird weder der Wille des Individuums mit einbezogen, noch die Potenziale, die sich aus dessen Kontext ergeben. Anstatt sich in einem wirklichen Miteinander aller Menschen zuzuwenden, bleibt das Denken in sich entgegensetzen Kategorien bestehen. Dadurch werden Menschen eher weiter auseinander getrieben als dass sie sich annähern. Hinz (2012, 41) sieht in diesem sonderpädagogisch geprägten Verständnis, das von einem selektiven System mit verschiedenen Integrationsstufen ausgeht, einen massiven Unterschied zum Inklusionsbegriff, oder wie Tony Booth es beschreibt, der transformativen Sichtweise von Integration. Er beschreibt Inklusion als „universelles Anliegen, den Reichtum menschlichen Lebens für alle Menschen erlebbar werden zu lassen“ (Hinz 2012, 40). Hierbei sei betont, dass der Inklusionsbegriff weit über die Dimension der Behinderung hinaus geht. Vielmehr schließt Inklusion alle Gruppen ein, die in irgendeiner Weise von Marginalisierung betroffen sind. Des Weiteren wehrt sich das Konzept generell gegen eine dichotome Weltsicht, die ihre Wahrnehmung stets auf zwei gegensätzliche Gruppen richtet. Hinz (2012, 33) drückt es folgendermaßen aus:

Inklusion bemüht sich, alle Dimensionen von Heterogenität in den Blick zu bekommen und gemeinsam zu betrachten. Dabei kann es um unterschiedliche Fähigkeiten, Geschlechterrollen, ethnische Herkünfte, Nationalitäten, Erstsprachen, Rassen (etwa in den USA), soziale Milieus, Religionen und weltanschauliche Orientierungen, körperliche Bedingungen oder anderes mehr gehen. Charakteristisch ist dabei, das Inklusion sich gegen dichotome Vorstellungen wendet, die jeweils zwei Kategorien konstruieren: Deutsch und Ausländer, Männer und Frauen, Behinderte und Nicht-Behinderte, Reiche und Arme und so weiter.

Somit wendet sich Inklusion der Vielfalt das menschlichen Daseins zu und befürwortet eine Gesellschaft, in der jede*r so wertgeschätzt wird, wie er*sie ist und als zugehörig betrachtet wird. Anstatt sich auf vermeintliche Defizite zu berufen, liegt der Inklusion ein positives Menschenbild zugrunde, welches für die Erschließung und Nutzung individueller und sozialer Ressourcen plädiert (Schwalb/ Theunissen/2012, 19). Jeder Mensch sollte ein selbstbestimmtes Leben führen und an allen Aspekten der Gesellschaft teilhaben können. Das heißt nicht, dass Menschen, die in gewissen oder auch allen Aspekten ihres Lebens Unterstützung bedürfen, keine Hilfen in Anspruch nehmen können. Es bedeutet nur, dass jeder Mensch selbst bestimmten darf. Nicht der Hilfe-suchende Mensch soll sich an die Gesellschaft anpassen, sondern der gesellschaftliche Kontext soll so gestaltet sein, dass er allen Menschen zugänglich, barrierefrei, ist (Schwalb/ Theunissen 2012, 18). Auch spezialisierte Helfersysteme sollen bestehen bleiben, aber nicht mehr das Mittel der ersten Wahl sein. Frühauf (2012, 23) betont, dass dem Gemeinwesen im Generellen und der Ebene der Nachbarschaften eine besonderen eine wichtige Rolle zukommt. Im Ganzen betrachtet übersteigt das Konzept der Inklusion deutlich die bloße Integration bestimmter marginalisierter Gruppen. Es geht vielmehr um das Umdenken einer ganzen Gesellschaft, die sich von Diskriminierung und Marginalisierung entfernt. Hinz (2012, 34) schreibt dem Inklusionsgedanken an dieser Stelle eine visionäre Dimension zu, dessen Zustand nie völlig erreicht sein wird. Stattdessen kann er jedoch Orientierung für die nächsten Schritte in eine veränderte Welt geben.

2.2 Gesetzliche Rahmenbedingungen

Die Allgemeinen Menschenrechte geben uns einen äußeren Rahmen, wie wir als Gesellschaft unser Zusammenleben gestalten wollen, indem sie für ALLE ungeteilt und uneingeschränkt gelten. Die in ihnen formulierten Ansprüche auf Selbstbestimmung, Diskriminierungsfreiheit und gleichberechtigte Teilhabe lassen deutlich einen Zusammenhang erkennen zum Ziel eines inklusiven Miteinanders. Die Ansprüche oder Ziele verlieren dabei nicht an ihrer enormen Bedeutung, ob man sie auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene oder auf der Mikroebene des persönlichen Wohnumfeldes betrachtet. Die „Menschenrechtskonventionen dienen dem ,Empowerment' der Menschen“ und geben diesen Regeln des Zusammenlebens weiterhin eine rechtliche Verbindlichkeit. (Bielefeldt 2009, 4)

Die UN-Behindertenrechtskonvention konkretisiert die „bereits bestehende[n] Menschenrechte mit dem Ziel, die gesellschaftliche Chancengleichheit von Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten“ (Bücker 2013, 11). Sie hat damit nicht das Ziel spezielle Rechte für Menschen mit Behinderungserfahrung zu etablieren. Vielmehr stellt die Konvention eine Weiterentwicklung der Allgemeinen Menschenrechte dar, indem sie unter anderem die sehr unterschiedlichen Lebenslagen dieser Menschen, die bis dato zu wenig Beachtung gefunden haben, berücksichtigt (König 2013). Wichtiges Ziel ist dabei die Partizipation an allen gesellschaftlichen Prozessen und die vollständige Inklusion innerhalb der Gesellschaft.

Dabei geht es „um soziale Inklusion auf der Grundlage individueller Autonomie und damit zugleich um eine freiheitliche Gestaltung des Zusammenlebens in Gesellschaft und Gemeinschaften.“ (Bielefeldt 2009, 11) Autonomie und Inklusion müssen im Sinne dieser UN-Konvention zusammen gedacht werden, da sie sich bedingen. Das eine kann ohne das andere nicht erreicht werden. Diesbezüglich werden Inklusion und das Recht auf persönliche Wahl und Entscheidungen miteinander verknüpft, so dass damit die Konvention „nicht nur eine gleichberechtigte Inklusion, sondern gleichfalls eine freiheitliche im Blick“ hat. (Schwalb/ Theunissen 2009, 8)

Die Forderung nach Inklusion erstreckt „sich auf alle Aspekte menschlichen Lebens, auf die verschiedensten Lebensbereiche, Dienstleistungssysteme und gesellschaftlichen Bezugsfelder“ (ebd., 7) und bietet damit auch wichtige Impulse für eine „unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft“ (BMAS 2011, 209). Der so benannte Artikel 19 der Konvention liefert dabei den deutlichsten Bezug, indem in ihm unter anderem gefordert wird, dass:

Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und […] entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben (ebd.)

Inwieweit diese Forderung sich in der Realität in Deutschland widerspiegelt soll im Kapitel „Zur aktuellen Lage des Wohnens“ geklärt werden. Nichtsdestotrotz zeigt sich an dieser Stelle eine wegweisende Forderung, die auch für die Konzeption des inklusiven Zusammenlebens von Bedeutung ist.

Auch Deutschland hat sich durch die Ratifizierung der UN-Konvention im Jahre 2009 an diese Forderung rechtlich gebunden. Dies war der Anstoß, einen Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der Konvention zu erarbeiten. Dieser ist gleichermaßen Bestandsaufnahme und konkreter Plan mit Zielen und Maßnahmen, vorerst für die nächsten zehn Jahre. (BMAS 2011, 23) Dieser Aktionsplan beschreibt in zwölf Handlungsfeldern, ergänzt durch einen Maßnahmenkatalog, welche Ziele sich die Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention setzt. Im Handlungsfeld „Bauen und Wohnen“ werden die Schwerpunkte „Barrierefrei bauen“, „Wohnen“ und „inklusiver Sozialraum“ festgelegt. Mit einem deutlichen Fokus auf den Bereich Barrierefreiheit, sieht die Bundesregierung dennoch „die Notwendigkeit, wohnortnahe Begegnungsstrukturen, eine Vielfalt an Wohnformen und Fachdiensten sowie sozialräumliche Untersützungs-, Netzwerk- und Hilfemix-Strukturen zu etablieren und zu fördern“. (ebd., 71) Die in den Schwerpunkten erläuterten Ziele und Maßnahmen sollen dazu beitragen sich der folgenden Vision aus der Zivilgesellschaft anzunähern:

Behinderte und nichtbehinderte Menschen in Deutschland wohnen und leben gemeinsam selbstbestimmt und barrierefrei in den Städten und Gemeinden, unabhängig von ihrem Hilfebedarf. Es besteht ein vielfältiges Angebot an verschiedenen wählbaren Wohnformen. Alle Menschen haben Zugang zu den gemeindenahen Diensten zur Unterstützung des Lebens in der Gemeinschaft sowie zur Verhinderung von Isolation und Absonderung von der Gemeinschaft. (ebd.)

Der nationale Aktionsplan wird weiterhin ergänzt durch verschiedene Maßnahmenkataloge auf Landes- und Kommunalebene, deren Erläuterung allerdings den Rahmen der vorliegenden Arbeit überschreiten würde. Für eine selbstbestimmte Lebensführung und gleichberechtigte Teilhabe bilden weiterhin das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und die Sozialgesetzbücher (SGB) eine wichtige gesetzliche Basis unter anderem für Menschen mit Behinderungserfahrungen. Das AGG „stellt Benachteiligungen unter Strafe und gewährt den Betroffenen sowohl arbeits- als auch zivilrechtliche Ansprüche“ (Bücker 2013, 10f.). Die SGB IX und XII „stellen für behinderte Menschen die wichtigsten Rechtsgrundlagen dar, um Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Anspruch nehmen zu können“ (ebd., 12). Im SGB XII wird auch deutlich, dass ambulante Leistungen favorisiert werden sollen (König 2013).

2.3 Leitideen Inklusiven Lebens

2.3.1 Normalisierungsprinzip

Ein aus der Integrationsbewegung der 70er und 80er Jahre hervorgegangenes Konzept zur Veränderung der Situation von Menschen mit Behinderungen war das Normalisierungsprinzip. Es lässt sich laut Frühauf (2008, 16) mit dem Satz „Ein Leben so normal wie möglich auch für Menschen mit einer geistigen Behinderung“ zusammenfassen. Es wurde von dem dänischen Juristen Bank-Mikkelsen geprägt und von dem Psychologen Bengt Nirje weiterentwickelt und konkretisiert. Es stellte eine völlig neue Sichtweise auf das Thema ‘Behinderung‘ dar. Bank-Mikkelsen hob hervor, dass Menschen mit Beeinträchtigungen Menschen wie alle anderen auch sind – mit den gleichen Rechten und Pflichten. Sie seien ein „natürlicher Teil einer Bevölkerung“ (Bank-Mikkelsen 2005, 52). In der Fachwelt sorgte das Konzept für eine hitzige Debatte. Normalisierung darf hier nicht missverstanden werden. Ziel war es weder Menschen mit Beeinträchtigungen in ‘normale‘ Menschen zu verwandeln (ebd.), noch ihre „soziale Anpassung an gesellschaftliche Bedingungen“ (Theunissen 2010, 62) zu erreichen, wie es aus heilpädagogischer Perspektive oft interpretiert wurde (ebd.). Vielmehr sollte ein Leben in gleichen Verhältnissen ermöglicht werden. Für eine bessere Umsetzbarkeit formulierte Bengt Nirje spezielle Forderungen:

  1. Normaler Tagesrhythmus

  2. Trennung von Arbeit-Freizeit-Wohnen

  3. Normaler Jahresrhythmus

  4. Normaler Lebenslauf

  5. Respektierung von Bedürfnissen

  6. Angemessene Kontakte zwischen den Geschlechtern

  7. Normaler wirtschaftlicher Stand

  8. Standards von Einrichtungen in Hinblick auf Größe, Lage und Ausstattung

(Thesing 2009, 46f.)

Diese Forderungen legen ein völlig neues Menschenbild zugrunde und richten sich gegen die derzeit gängigen Großeinrichtungen, normierten Tagesabläufe und Missachtung persönlicher Bedürfnisse. Sie sind nicht nur als Teil des wissenschaftlichen Diskurs zu verstehen, sondern haben einen normativen Charakter, dessen Umsetzung zu bedeutsamen Veränderung führt (Thesing 2009, 47). Wenn auch die Umsetzung des Prinzips in Deutschland schleppend verlief, stellte es doch einen bedeutsamen Schritt in die richtige Richtung dar.

2.3.2 Empowerment

Das sich hinter dem Begriff Empowerment verbergende Konzept zu beschreiben fällt nicht leicht. Wenn auch im wissenschaftlichen und politischen Diskurs oftmals verwendet, beinhaltet es doch verschiedene, komplexe Bedeutungsebenen, die nicht so einfach zu greifen sind. Übersetzt werden könnte der Begriff mit ‘Selbstbefähigung‘, ‘Selbstbemächtigung‘ oder auch ‘Selbstermächtigung‘. Laut Georg Theunissen (2009, 27) greift eine derartige bloße Übersetzung jedoch zu kurz und wird der gesamten Bedeutsamkeit des Begriffes nicht gerecht. Vielmehr beinhaltet er eine „Philosophie, theoretische Annahmen und Leitideen wie aber auch Prozesse, Programme, Konzepte und Ansätze“ (ebd.), die sich damit beschäftigen, Menschen in gesellschaftlich marginalen Positionen „die Möglichkeiten zu erweitern, ihr Leben zu bestimmen“ (Rappapport 1985 zit. nach Schlummer 2011, 33). Dabei geht es jedoch nicht darum, für andere zu entscheiden, ihnen etwas aufzuzwängen, geschehe dies auch in ‘guten Absichten‘, sondern vielmehr sie dabei zu unterstützen, selbst für ihre Belange einzutreten. Empowerment ist als „aktive Gestaltung von Veränderungen durch ‘betroffene Menschen‘“(Schlummer 2011, 33) zu begreifen. Auf diese Weise betrachtet, liegt dem Ansatz immer auch ein auf Handlung ausgerichtetes Moment zugrunde. Ebenso wird die enge Verknüpfung von Empowerment und Mitbestimmung deutlich. So obliegt dem Konzept auch eine politische und emanzipatorische Komponente (ebd. 32f.). Nicht zuletzt taucht der Begriff erstmalig in Verbindung mit der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung Ende der 1950er Jahre auf und ist seitdem aus der sozialen Arbeit und Heilpädagogik nicht mehr wegzudenken. Zugleich wird deutlich, dass sich das Konzept nicht auf eine bestimmte Gruppe, zum Beispiel auf Menschen mit Behinderungserfahrung bezieht, sondern auf alle von Marginalisierung bedrohten Gruppen und sogar darüber hinaus auf alle Bereiche in denen Menschen Selbstermächtigung erfahren können (ebd. 32.). Theunissen (2009, 27ff.) skizziert für die Heilpädagogik vier Dimensionen aufgrund deren Empowerment interpretiert werden kann: lebensweltlich, politisch, reflexiv und transitiv.

So verweist der Begriff zum einen auf die Selbstverfügungskräfte eines*r jeden Einzelnen. Damit sind die Ressourcen und Stärken eines Individuums gemeint, die es ihm*ihr ermöglichen Probleme, Krisen, Konflikte und so weiter aus eigener Kraft zu bewältigen. Es geht um Vertrauen in genau diese Stärken eines marginalisierten Menschen und die Überzeugung, dass sie ihre Ressourcen und Fähigkeiten für mehr Lebenssouveränität erkennen und nutzen.

Des Weiteren wird Empowerment mit einer politisch ausgerichteten Durchsetzungskraft verbunden, um für die eigenen Belange einzutreten und sich aus einer Position der relativen Ohnmacht und Unterdrückung zu befreien. Empowerment hat somit auch einen emanzipatorischen Charakter.

Auf einer reflexiven Ebene versteht sich das Konzept als Prozess, in dem gesellschaftlich marginalisierte Gruppen ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen und sich das dazu nötige Wissen und die nötige Handlungskompetenz aneignen. Zentral ist hier sie selbstbestimmte und eigenverantwortliche Gestaltung des eigenen Lebens.

Im transitiven Sinne bedeutet Empowerment, dass Einzelne oder Gruppen befähigt oder in die Lage versetzt werden sollen, ihre Ressourcen zu erkennen und für ein selbstbestimmtes Leben zu nutzen. Hier taucht auch der Begriff ‘enabling‘ auf. Insgesamt stößt diese Lesart von Empowerment auf die meisten Widersprüche, da sie oft so interpretiert wird, dass eine Person zu etwas ermächtigt werden soll oder einen Menschen zu einer „empowered person“ (ebd., 29) zu machen. Darum geht es jedoch laut Theunissen (2009, 29) nicht. Er betont, dass Empowerment nicht von professionellen Helfern hergestellt oder vermittelt werden kann, vielmehr ginge es darum diesen Prozess zu ermöglichen. So gesehen steht der Begriff schon für eine professionelle Praxis, in der es jedoch darum geht, eine hierarchisch organisierte Bevormundung zu verabschieden und sich auf neue Prozesse des gemeinsamen Suchen und Entdeckens einzulassen (ebd.).

2.3.3 Selbstbestimmung

Selbstbestimmung und Autonomie haben sich seit den 1990er Jahren zu einem Leitprinzip der Behindertenhilfe entwickelt. Als Konzept wurde es beeinflusst durch die Independent-Living-Bewegung der 1960er und 70er Jahre in den USA, als sich vor allem Menschen mit Körper- und Sinneseinschränkungen zusammenschlossen und organisierten, um für ein unabhängiges, selbstbestimmtes Leben einzutreten. Seit den 1980er Jahren begannen auch in Deutschland Männer und Frauen mit Behinderungserfahrung für ein selbstbestimmtes Leben mit persönlicher Assistenz und ohne institutionelle Unterbringung zu kämpfen. Der Duisburger Lebenshilfekongress im Jahr 1994 mit dem Motto „Ich weiß doch selbst, was ich will!“ rückte dann auch Menschen mit einer zugeschriebenen geistigen Behinderung in den Fokus, die sich später in der Selbsthilfeorganisation ‘People First‘ organisierten (Fornefeld 2009, 183). Die Begriffsgeschichte des Wortes ‘Selbstbestimmung‘ ist relativ jung und wurzelt in der Aufklärung und frühen Moderne im 18.Jahrhundert. Sie verweist auf „ein einzelnes Wesen, das sich erkennt, indem es sich definiert und sich selbst gestaltet“ (ebd., 184). Bis heute ist die Auffassung von Selbstbestimmung eng an die Aufklärungsphilosophie und besonders Kants Kritik der praktischen Vernunft gebunden. Der vernünftige Wille gilt bei Kant als Voraussetzung dafür, dass ein Mensch sein Handeln unabhängig von der unmittelbaren Anschauung an rationalen Gesichtspunkten ausrichten kann (ebd.). Die ‘praktische Vernunft‘ ist hier von zentraler Bedeutung. Sie „zeichnet den Menschen allgemein aus und macht ihn zu einem rational handelnden Subjekt“ (Waldschmidt 2003, 15 zit. nach Fornefeld 2009, 184). So erschuf die Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts die Basis für die moralische Vorstellung eines autonomen Subjekts. Problematisch ist das jedoch, wenn Personen diese praktische Vernunft abgesprochen wird. Wenngleich gemäß Kant der Mensch in der Lage ist mit Hilfe dieser Vernunft auch belastende Lebensereignisse wie Krankheit zu überstehen, so trifft dies jedoch nicht auf Menschen mit Behinderungserfahrungen, schweren psychischen Störungen oder Demenz zu (Theunissen 2012b, 41). Man ging davon aus, dass sie unvernünftig seien und nicht rational handeln könnten. So wurde ihre Selbstbestimmung in Frage gestellt. Dieser Kerngedanke des Vernunftvermögens führte in Bezug auf die Einordnung und Bewertung von Menschen mit Behinderungserfahrung zu einer „fundamentalen Grenzziehung“ (Fornefeld 2009, 185) und zeigte sich im historischen Verlauf in der Exklusion, Segregation, Institutionalisierung und nicht zuletzt auch Vernichtung dieser Menschen. Heute gilt Selbstbestimmung als zentraler Grundsatz der Menschenrechte und ist im Grundgesetz verankert. Dort heißt es im Art. 2, Abs. 1, dass jeder Mensch Recht „auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit [hat], soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“ (BMVJ 2015). Die Diskussion um ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben setzt sich jedoch bis heute fort und wird auf verschiedenen Ebenen geführt. Aus anthropologischer Sicht ist Selbstbestimmung immer an gewisse Grenzen gebunden, da der Mensch in einem sozialen Gefüge lebt. Als soziales Wesen unterliegt er von Natur aus einer gewissen Abhängigkeit vom Anderen sowie auch der Notwendigkeit dessen Anerkennung (Moosecker 2004 zit. nach Fornefeld 2009, 185). Aus einer pädagogischen Perspektive geht es bei dem Konzept der Selbstbestimmung vor allem darum, dass Menschen mit Behinderungserfahrung nicht länger zu Objekten pädagogischer Bemühungen gemacht werden, sondern sie als Subjekte ihrer eigenen Entwicklung zu erkennen (Fornefeld 2009, 185). Darauf basierend kam es auf sozialpolitischer Ebene zu Veränderungen, indem der Gedanke der Selbstbestimmung 2001 in die Sozialgesetzgebung aufgenommen und im SGB IX verankert wurde. Daraus ergeben sich für „behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen“ (Fornefeld 2009, 185) Leistungen, um „ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern“ (ebd.).

2.3.4 Partizipation

Der Begriff der Partizipation leitet sich von dem lateinischen Begriff ‘particeps‘ ab. Seine beiden Bedeutungsteile pars (Teil) und capere (ergreifen, nehmen) verweisen auf die deutsche Übersetzung des international gebräuchlichen Terminus ‘participation‘: Teilhabe (Hanslmeier-Prockl 2009, 62). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO 2001 zit. nach Grampp et. al. 2013, 17) beschreibt Teilhabe als „Einbezogensein in eine Lebenssituation“. Eine genaue Definition ist jedoch schwierig, da es sich um ein sehr vielschichtiges Konzept handelt. Eine wichtige Unterscheidung sei jedoch angemerkt: Der Begriff der Partizipation beinhaltet nicht nur die bloße Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft, sondern eine Teilhabe, „bei der Betroffene als Konsumenten oder Mitbürger*innen eines Sozialraums durch aktive Beteiligung, kollaborative Mitwirkung, Anhörung und Mitbestimmung auf Aktivitäten, Bereiche und Entwicklungen im gesellschaftlichen Lebensraum Einfluss nehmen“ (Schwalb/Theunissen 2012, 28). Teilhabe „beschreibt das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft beziehungsweise zum Staat“ (Hanslmeier-Prockl 2009, 63) und bezieht sich auf alle Bereiche des Lebens. So ist bei Wacker/ Wansing/ Schäfers (2005, 21 zit. nach Hanslmeier-Prockl 2009, 63) von einer politischen materiellen, kulturellen und sozialen Ebene die Rede. Biewer (2010, 142) unterscheidet zwischen einer lebensweltorientierten und einer stärker politisch geprägten Sichtweise von Partizipation. So kann sich der Begriff unter anderem auf eine Teilhabe an Bildung, Arbeitsleben, Mobilität, sozialen Beziehungen, Freizeitgestaltung, kulturellen Angeboten, Informationsaustausch, dem häuslichen oder staatsbürgerlichen Leben beziehen (ebd.). Verstehen wir Behinderung als Einschränkung der Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben, so gilt es diese in Anlehnung an die Menschen- und Bürgerrechte aufzuheben. Dazu gilt es Lebenswelten zu schaffen, die allen Menschen einen Zugang ermöglicht. Das Teilhabekonzept ist damit nicht auf Anpassung des Menschen an seine Umwelt ausgerichtet, sondern versteht sich verhältnisorientiert, indem sich Strukturen an den Bedürfnissen der Bewohner*innen orientieren. Ein wichtiger Aspekt wäre daher Barrierefreiheit auf verschiedenen Ebenen (Hanslmeier-Prockl 2009, 65). Ebenso wie Empowerment enthält auch der Begriff ‘Partizipation‘ eine handlungsorientierte Konnotation. Es geht daher nicht darum, dass betroffenen Personen Lösungswege im Sinne einer Top-down Partizipation vorgesetzt werden, sondern schließt eine aktive Mitwirkung an Entscheidungsprozessen mit ein (Schwalb/ Theunissen 2012, 27f.). Menschen die nicht im Sinne einer ‘empowered person‘ für sich selber sprechen können sollen assistierende Hilfen und Bildungsprogramme erhalten. So ist die Forderung nach Teilhabe auch in der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen festgehalten. Die Verwirklichung von Teilhabe erfolgt auf rechtsstaatlicher Ebene und ist im SGB IX verankert. Partizipation gehört somit zu den Grundrechten und bezieht sich vor allem auf die Unantastbarkeit der Menschenwürde, dem Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung sowie dem Gleichheitsgrundsatz (Hanslmeier-Prockl 2009, 64).

2.3.5 Sozialraumorientierung

Das Konzept der Sozialraumorientierung hat seine Wurzeln in der US-amerikanischen Sozialarbeit. In Deutschland entsprang es der Kritik an der Gemeinwesenarbeit und wurde in den 1960er und 70er Jahren bekannt. Es sieht sich in der Tradition von Empowerment und der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit (Theunissen 2012b, 111). Ziel von Sozialraumorientierung ist es, die Lebenssituation marginalisierter Menschen zu verbessern und die Möglichkeiten der Teilhabe zu erhöhen. Ein zentraler Aspekt dabei ist es, den Blick auf die Interessenlage des Individuums oder der Gruppe zu lenken, unter der Berücksichtigung des sozialen Nahraums. So steht immer der Wille des Adressaten im Fokus und nicht beispielsweise die Vorstellungen von Trägern der Behindertenhilfe (ebd., 117). Ebenso dazu gehört das Eingebundensein betroffener Menschen in ein Gemeinwesen, Beteiligungskultur, die Nutzung von Stärken und informellen Unterstützungsressourcen. Im Sinne von Empowerment sollen Eigeninitiative und Selbsthilfe unterstützt werden (Theunissen 2012b, 118). Das Konzept löst sich von einer individuumszentrierten, entkontextualisierten „Fallarbeit“ und begibt sich hin zum „Fall im Feld“ (Hinte 2001 zit. nach Theunissen 2012b, 111). Hinte (2014, 16) beschreibt den Ansatz als einerseits „hochgradig personenbezogen“ und andererseits als „sozialökologisch“ und „auf die Veränderung von Verhältnissen zielend“. Die begriffliche Ausrichtung ist daher, anders als es zunächst anmuten mag, nicht ausschließlich auf eine geographisch-territoriale Komponente gerichtet, sondern bezieht auch soziale Beziehungen und Strukturen mit ein. Sozialraumorientierung bedeutet daher nicht, dass sich der Lebensraum nur auf ein abgestecktes Gebiet beziehen soll. Allerdings stellt Merchel (zit. nach Theunissen 2012b, 112) auch fest, dass die Lebenswelt und der Sozialraum tendenziell stärker übereinstimmen je geringer die Mobilität oder materiellen Ressourcen sind. Davon sind beispielsweise Kinder und alte Menschen, Frauen mit Kindern, Menschen mit Behinderungserfahrung sowie Familien in Armut und sozialer Benachteiligung besonders betroffen (ebd., 112f.; Seifert 2008, 169). Sozialraumorientierung verfolgt das Ziel einer inklusiven, barrierefreien Gesellschaft und versucht dies auf einer konkreten, lokalen Ebene umzusetzen. Es basiert dabei auf dem Prinzip einer solidarischen Gemeinschaft (Seifert 2009, 164). Seifert (2011, 80f.; 2009, 166f.) unterstreicht dazu die Bedeutung von Nachbarschaften, auch im Sinne von entlokalisierten Nachbarschaften, die sich über das direkte Lebensumfeld hinaus erstrecken sowie dem bürgerschaftlichen Engagement. Auf diese Weise lassen sich wichtige soziale Ressourcen erschließen und Vorurteile gegenüber marginalisierten Gruppen abbauen (Seifert 2011, 81). Die Perspektive ist folglich immer eine „Zielgruppen- und bereichsübergreifende“ (Theunissen 2012b), da immer alle Menschen eines Sozialraums mit einbezogen sind. Die Nutzung informeller Unterstützungsressourcen soll zu einer Entprofessionalisierung beitragen, jedoch eine professionelle Betreuung nicht gänzlich ersetzen, sondern eher ergänzen (Seifert 2011, 81). Vernetzung und Kooperationen erhalten in diesem Konzept insgesamt eine besondere Bedeutung.

2.3.6 Community Care – Eine Gemeinde für Alle

Community Care ist als Konzept eng an den Ansatz der Sozialraumorientierung geknüpft und kann gewissermaßen als eine Form der Umsetzung dessen verstanden werden (Theunissen 2012b, 113; Lindmeier 2008, 96). Schablon (2009, 295) nimmt in seiner Dissertation den Versuch einer Definition vor:

Communtiy Care beschreibt primär den Wechselbezug einer Vielfaltsgemeinschaft innerhalb einer Quartiersnachbarschaft. Menschen (mit geistiger Behinderung) leben in der örtlichen Gesellschaft, wohnen, arbeiten und erholen sich dort und bekommen dabei von der örtlichen Gesellschaft die benötigte Unterstützung. Veränderungen erfolgen hierbei im Sinne einer „Grassroots-Bewegung“, was sich unter anderem durch den politischen Einfluss aller Akteure ausdrückt. Community Care benötigt Subsidiarität staatlichen Handelns, die aber gleichzeitig die Lebensqualität absichert und integrative Kristallisationspunkte ermöglicht. Community Care beinhaltet eine Reduktion beziehungsweise Auflösung großer Institutionen und ein durch Interdependenzen gekennzeichnetes Leben in der Gemeinde. Seitens der Bürger und der professionellen Mitarbeiter bedarf es dazu der Implementation einer Ethik der Achtsamkeit, Anerkennung und der Gerechtigkeit gegenüber Menschen in marginalisierten Positionen.

Community Care zeichnet sich dadurch aus, dass ausgehend von einer inklusiven, solidarischen Gesellschaft, alle Menschen, auch Menschen mit Behinderungserfahrungen oder in anderen marginalisierten Positionen, als Teil der Gemeinde in der sie leben angenommen und unterstützt werden. Das Konzept unterscheidet sich von einem bloßen Leben in der Gemeinde, was noch keine wirkliche Teilhabe beinhaltet und oftmals wiederum den Ausschluss bestimmter Personengruppen, zum Beispiel Menschen mit schwereren Beeinträchtigungen, zur Folge hat (Lindmeier 2008, 92ff.). Die Nachbarschaft, soziale Beziehung im direkten Umfeld, gegenseitige Unterstützung, Vernetzung und Kooperation spielen eine zentrale Rolle. Community Care beinhaltet eine Deinstitutionalisierung und Entprofessionalisierung. Dafür gewinnen Selbsthilfe und bürgerschaftliches Engagement an Wichtigkeit. Professionelle Begleitung soll erst dann greifen, wenn informelle Unterstützungssysteme nicht zur Verfügung stehen. Personenorientierte, passgenaue Hilfen, Ambulantisierung oder persönliches Budget haben zwar eine Berechtigung, Lindmeier (2008, 94) weißt jedoch darauf hin, dass diese Konzepte zu kurz greifen, wenn sie „bloße Organisationsmethoden von Unterstützungsleistungen von Individuen bleiben“ und nicht auf der Grundlage einer gesellschaftlichen Verpflichtung basieren. Eine Gemeindeentwicklung im Sinne von Communtiy Care bedeutet, dass die vorhandene Infrastruktur für alle Menschen zugänglich ist. Das beinhaltet Barrierefreiheit, aber auch den Zugang zum regulären Wohnungsmarkt, dem Vorhandensein von Freizeit- und Bildungsangeboten und Einkaufsmöglichkeiten vor Ort sowie beispielsweise Sicherheit im Straßenverkehr und Schutz vor Kriminalität (ebd., 97). Insgesamt zeichnet Community Care das Bild einer heterogenen Gesellschaft, die sich auf lokaler Ebene als solidarische Gemeinschaft in Form von Gemeinden und Nachbarschaften versteht. Eine Gemeinschaft, die niemanden ausschließt und für einander sorgt. Eine Gemeinde für alle.

2.4 Wohnformen für Menschen mit Behinderungserfahrung – Damals und Heute

2.4.1 Exklusion und Separation

Der Weg in eine inklusive Gesellschaft zeigt sich als langer, steiniger Weg. Im Mittelalter galten Menschen mit Beeinträchtigung als verhext oder vom Teufel besessen (Thesing 2009, 69). Für geraume Zeit waren sie völlig aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Die Unterbringung erfolgte entweder in der Familie oder in speziellen Anstalten. Da im Rahmen der Industrialisierung die bäuerliche Großfamilie immer weiter zerfiel, nahm der Bedarf an außerfamiliärer Unterbringung rasant zu (Thesing 2009, 70). Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es daher zu zahlreichen Heim- und Anstaltsgründungen. Es war die Zeit forcierter Institutionalisierung (Schwalb/ Theunissen 2012, 11). Die entstandenen Anstalten befanden sich zu einem Großteil in christlicher Trägerschaft. Beweggründe waren hier zum einen Fürsorge und Nächstenliebe, zum anderen aber auch die Heilung und Brauchbarmachung für die Gesellschaft (ebd.). Charakteristisch für diese Institutionen war die Herausbildung eines „Zwei-Klassen-Systems“ (Theunissen 2012, 39), in dem Abteilungen für „bildbare“ und „bildungs- und erziehungsunfähige“ (ebd.) Personen unterschieden wurden. Legitimiert wurde diese Form der stationären Unterbringung durch das „traditionelle medizinisch-psychiatrische Modell“ (Theunissen 2010, 60), welches die gängige Perspektive auf sämtliche Formen von Behinderung darstellte. Die Vorstellung von Behinderung als Krankheit setzte sich seit Ende des 19. Jahrhunderts mehr und mehr durch (Hanslmeier-Prockl 2009, 38). Das führte dazu, dass Menschen, denen eine Behinderung zugeschrieben wurde, vermehrt auch in psychiatrischen Krankenhäusern Unterbringung erfuhren (ebd.). Psychiatrische und sonstige Anstalten entwickelten sich zur einzig anerkannten außerfamiliären Unterbringungsform (ebd., 37). Gemäß Gurkenbiehl (1993, zit. nach Theunissen 2010, 60) zeichnen sich Anstalten oder Institutionen dadurch aus, dass sie einer Leitidee folgen, Regeln und Normen manifestieren, mit einem Personalbestand fungieren und einen materiellen Apparat im Sinne von Gegenständen und Räumen beherbergen. Institutionen können daher zum einen Schutz, Ordnung und Halt bieten, zum anderen aber auch eine enorme Begrenzung der persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten darstellen (ebd). Gesellschaftlich gesehen erfüllten die genannten Heil- und Pflegeanstalten neben den karitativen Motiven auch die Funktion, die „eigentlich Leistungsunfähigen zu nützlichen Gliedern der Gesellschaft zu machen“ (Hanslmeier-Prockl 2009, 38). Zugleich erhoffte man sich eine Produktivitätssteigerung dadurch, dass für betroffene Familien die Pflege ihrer Angehörigen entfiel und dadurch mehr Kapazitäten für den Produktionsprozess zur Verfügung standen (ebd.). Durch die zunehmende Heim- und Anstaltsunterbringung verschwanden Menschen mit Behinderungen weitgehend aus dem Alltagsbild, sie wurden sozusagen unsichtbar. Die Tatsache, dass auch diese Menschen individuelle Bedürfnisse haben, wurde weder wahrgenommen, noch respektiert. Die Wohnbedingungen in Anstalten waren alles andere als auf Individualität ausgerichtet. Das Leben war geprägt von den äußeren, durch die Institution vorgegebenen Regeln. Den Bewohner*innen fehlte es an persönlicher Kleidung, Möglichkeiten der Beschäftigung, des Rückzugs, Ausbildung eines eigenen Geschmacks oder der Mitsprache in allen Belangen ihres Lebens. Wohnen fand in Form von Massenunterbringung statt, in dem die Bedürfnisse eines Einzelnen keinen Platz fanden (ebd., 38f.). Oftmals befanden sich in einem Schlafsaal mehr als zwanzig Betten (ebd., 37). Die medizinisch geprägte Auffassung von Behinderung wurzelte in einem defizitären Menschenbild und kennzeichnete den Umgang. Der Mensch war hier kein Mensch, sondern Patient, den es zu behandeln galt. Personen mit schwereren Beeinträchtigung galten als Pflegefall. Sie verbrachten ihr Dasein in der Regel im Bett und durften auch zu den Mahlzeiten den Schlafsaal nicht verlassen (Hähner 1997, 26). Die Aussonderung aus der Gesellschaft wurde dadurch unterstützt, dass die Heime und Anstalten oftmals auch räumlich durch weite Entfernungen, natürliche Barrieren wie Hecken und Bäume oder auch Klostermauern abgegrenzt waren (Hanslmeier-Prockl 2009, 37). Diese Entwicklung der sozialen Ausgrenzung und Institutionalisierung setzte sich auch im 20. Jahrhundert weiter fort und fand im Nationalsozialismus unter dem Deckmantel der Euthanasie seinen traurigen Höhepunkt.

2.4.2 Erving Goffman und die „Totale Institution“

Nach der Tötung und grausamen Behandlung behinderter Menschen kam es nach 1945 dennoch nicht zu einer prinzipiellen Umorientierung. Auch die Unterbringung in spezialisierten Anstalten wurde nicht in Frage gestellt. Erst ab den 50er Jahren regte sich ein erster Widerspruch in der Gesellschaft. Vehemente Kritik erfuhr das Anstaltswesen durch Erving Goffmans Publikation „Asyle“ aus dem Jahr 1961. In seinem Werk setzt er sich mit den Zuständen in den bestehenden (vor allem psychiatrischen) Anstalten auseinander. Er bezeichnet sie als „totale Institutionen“ und stellt sie Gefängnissen gleich (Hanslmeier-Prockl 2009, 39). „Eine totale Institution lässt sich als Wohn- und Arbeitsstätte einer Vielzahl ähnlich gestellter Individuen definieren, die für längere Zeit von der übrigen Gesellschaft abgeschnitten sind und miteinander ein abgeschlossenes, formal reglementiertes Leben führen“ (Goffman 1995,11). Goffman formuliert vier zentrale Merkmale totaler Institutionen:

  1. Alle Angelegenheiten des Lebens finden an ein und derselben Stelle, unter ein und derselben Autorität statt.

  2. Die Mitglieder der Institution führen alle Phasen ihrer täglichen Arbeit in unmittelbarer Gesellschaft einer großen Gruppe von Schicksalsgenossen aus, wobei allen die gleiche Behandlung zuteil wird und alle die gleiche Tätigkeit gemeinsam verrichten müssen.

  3. Alle Phasen des Arbeitstages sind exakt geplant, eine geht zu einem vorher bestimmten Zeitpunkt in die nächste über, und die ganze Folge der Tätigkeiten wird von oben durch ein System expliziter formaler Regeln und durch einen Stab von Funktionären vorgeschrieben.

  4. Die verschiedenen erzwungenen Tätigkeiten werden in einem einzigen rationalen Plan vereinigt, der angeblich dazu dient, die offiziellen Ziele der Institution zu erreichen. (ebd., 17)

Damit besteht ein bedeutender Unterschied zur grundlegenden sozialen Ordnung der restlichen Gesellschaft, „nach der der einzelne an verschiedenen Orten schläft, spielt, arbeitet - und dies mit wechselnden Partnern, unter verschiedenen Autoritäten und ohne einen umfassenden rationalen Plan“ (ebd.).

Goffmans scharfe Analyse sozialer Einrichtungen mit totalem Charakter decken die herrschenden Missstände auf und setzen eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Thema der strukturellen und institutionellen Gewalt in Gang (Theunissen 2010, 61).

2.4.3 Deinstitutionalisierung und Paradigmenwechsel

Die Auseinandersetzung mit der Institutionalisierung von Menschen mit Behinderungserfahrung und den zuvor beschriebenen Zuständen in den staatlichen Anstalten führte langsam zu einem Umdenken in der Gesellschaft. Normalisierung und Deinstitutionalisierung wurden in den 70er Jahren zu Leitbegriffen der aus der Debatte entfachten Protestbewegungen. Der Forderung nach einer Auflösung der traditionellen Großeinrichtungen zugunsten der Schaffung kleinerer, gemeindeintegrierter Wohnformen kamen zuerst die nordeuropäischen Länder sowie die USA nach. Die Umsetzung des Normalisierungsprinzips verlief in Deutschland etwas langsamer. Die Kritik an der Institutionalisierung war in Westdeutschland zunächst verhaltener. Ein Großteil der Anstalten und Heime lagen in kirchlicher Trägerschaft, die sich durch ihre „christlich geprägte Philosophie von den staatlichen Institutionen“ (Theunissen 2012, 39) abzugrenzen versuchten. Zum einen waren sie von der Richtigkeit ihrer Einrichtungen überzeugt, galten Menschen mit Behinderungen doch als Defizitwesen, die ihrer Hilfe und Fürsorge bedurften. Zum anderen verursachte ihnen die Auflösung ihrer Institutionen Unbehagen, da sie Einbußen in Macht und gesellschaftspolitischem Einfluss befürchteten (ebd.). Das Normalisierungsprinzip wurde folglich in Deutschland inkonsequent umgesetzt. Das zeigte sich in verschiedenen Punkten: So wurden Anstalten nicht komplett aufgelöst, sondern unterliefen einer „Humanisierung der Lebensbedingungen“ (ebd.).

Gemeindenahe Wohnangebote fanden fast ausschließlich in Form neuer Wohnheime statt. Betroffene wurden in die Normalisierung ihrer Lebensbedingungen nur selten mit einbezogen und Normalisierung insgesamt oft missinterpretiert als „Normierung der Lebenswelt“ oder „Normal-Machen“ (ebd., 40), im Sinne einer Anpassung an eine normale Gesellschaft. Das traditionelle defizitorientierte Behindertenbild wurde kaum hinterfragt (ebd.).

In der DDR verlief diese Entwicklung ähnlich. So standen die Wohnsysteme für Menschen mit Beeinträchtigungen zunächst weiter im Zeichen der „totalen Institutionalisierung“. Gegen Ende der 80er Jahre kam es jedoch zur Schaffung einiger Wohnheime für „so genannte ‘förderungsfähige‘ geistig und lernbehinderte Menschen“ (Theunissen 2010, 62), was zu einer gewissen Auflockerung des bestehenden Institutionswesens führte.

Tatsächlich wurde die institutionelle Versorgung kaum in Frage gestellt und wenn, dann für Menschen denen ein relativ großes Maß an Selbständigkeit zugeschrieben wurde. Personen mit einem höheren Unterstützungsbedarf sah man im Heim am besten untergebracht (Theunissen 2012, 41). Das seit der Industrialisierung immanente Zwei-Klassen-Prinzip setzt sich hier weiter fort. Dennoch ist die Deinstitutionalisierung und Normalisierung nicht völlig fehlgeschlagen. Mit der Zeit entwickelte sich eine veränderte Sicht auf Menschen mit Behinderungen. Unter dem Stichwort der Integration waren es in den 80er Jahren „Eltern behinderter Kinder und Fachleute einer sich kritisch verstehenden Sonderpädagogik“ (Frühauf 2008, 16), die mit großem Engagement einen Wandel ins Rollen brachten. Nach und nach entstanden für Menschen mit Beeinträchtigungen Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Orten zum Wohnen und auch Lernen. Im Sinne von Empowerment waren kurz darauf vor allem Betroffene selber, die sich zu Gruppen zusammenschlossen und ihre Belange laut werden ließen. Ihre Kritik richtete sich gegen den Missbrauch des Normalisierungsprinzips, die Institutionalisierung, Eigeninteressen der Kostenträger, Wohlfahrtsverbände und anderen Organisationen der Behindertenhilfe sowie das bestehende Verständnis von Behinderung (Theunissen 2012, 40). Der Wunsch bei Entscheidung ihr Leben betreffend mit einbezogen zu werden, oder sie gar selbst treffen zu können, führte zu einem neuen Leitbild in der Integrationsbewegung: dem Selbstbestimmungsparadigma (Frühauf 2008, 17).

2.4.4 Zur aktuellen Lage des Wohnens

Taylor et. al. (1992, zit. nach Lindmeier 2008, 91) beschreiben die Entwicklung des Wohnens und Lebens in der Gemeinde für Menschen mit Behinderungserfahrung seit 1960 in drei Phasen:

  1. Von den großen Institutionen zum gemeindenahen Leben und Wohnen

  2. Leben in der Gemeinde

  3. Teil der Gemeinde sein

Bei dem Versuch den heutigen Entwicklungsstand von Wohnformen für Menschen mit Behinderungserfahrung in Deutschland einer der drei Phasen zuzuordnen, fällt auf, dass dies nicht trennscharf möglich ist. Vielmehr existieren heutzutage eine Vielzahl verschiedener Wohnmöglichkeiten parallel. Während sich einige im Bereich des ‘Lebens in der Gemeinde befinden‘, existieren dennoch weiterhin auch Großformen institutionalisierter Unterbringung. Gleichzeitig wird die Debatte um die Frage nach einer echten Teilhabe innerhalb der Gemeinde laut.

Betrachtet man die für Menschen mit Behinderungserfahrungen zugänglichen Wohnformen besteht zunächst einmal die Unterscheidung des Wohnens im eigenen Elternhaus oder davon losgelöst. Ein nicht unerheblicher Anteil von Menschen mit Behinderungserfahrung lebt auch im Erwachsenenalter weiterhin bei den Eltern (Thesing 2009, 75). Die Frage, ob das Elternhaus für Erwachsene Menschen mit Behinderungserfahrung die richtige Wohnform darstellt, wird in der politischen und Fachwelt sehr kontrovers diskutiert und stellt die Frage nach Überbehütung und -versorgung und damit einhergehend einer Einschränkung der Entwicklung in den Raum (Thesing 2009, 75). Geht man von einer Wohnform außerhalb des eigenen Elternhauses aus, lässt sich grundsätzlich die Unterscheidung zwischen stationären und ambulanten Wohnformen treffen. Zu den stationären Wohnformen gehören:

  • große Wohnheime, im Sinne einer Komplexeinrichtung. Sie ähneln in ihrer Organisationsstruktur den Anstalten seit Mitte des 19. Jahrhunderts, indem sie zentral organisiert sind und eine Komplettversorgung bieten aus Wohnen, Arbeit und Ausbildung, Schule, therapeutischen Fachdiensten, Fachkrankenhäusern und Freizeiteinrichtungen (Thesing 2009, 79). Diesem Konzept ähnlich sind auch sogenannte Dorfgemeinschaften, die sich bemühen, alle notwendigen Hilfen auf einem Gelände anzubieten.

  • gruppengegliederte Wohnheime, die in der Regel kleiner und dezentral organisiert sind. Meist sind sie ein einem Ort oder Stadtteil angesiedelt und an eine Werkstatt für Menschen mit Beeinträchtigungen angeschlossen. Meist gibt es dort heutzutage ein differenzierteres System von Wohnformen mit kleineren Außenwohngruppen, Einzelwohnbereichen oder Paarwohnen (Hanslmeier-Prockl 2009, 29; Thesing 2009, 77f.).

  • Pflegeheime, beziehungsweise Einrichtungen nach SGB XI, die konzeptionell eigentlich nicht auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungserfahrung ausgerichtet sind, sondern die medizinisch-pflegerische Versorgung, besonders älterer Menschen, fokussieren.

Ambulante Leistungen in Bezug auf das Wohnen werden als „Ambulant Betreutes Wohnen“ oder „Betreutes Wohnen“ bezeichnet. In der Regel richtet sich diese Form des Wohnens eher an Menschen, die über einen hohen Grad an Selbständigkeit verfügen. Das Leben findet in einer eigenen Wohnung statt – entweder alleine, mit Angehörigen, als Paar oder in einer Wohngemeinschaft. Dazu erhalten Betroffene spezielle Hilfen, die ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen sollen (Thesing 2009, 86f.).

Laut dem statistischen Bundesamt (DESTATIS 2015) lebten im Jahr 2013 etwa 7,5 Millionen schwerbehinderte Menschen in Deutschland. Die Zahl ist seit den Vorjahren stetig gestiegen. Als schwerbehindert gelten alle Menschen mit einem Behinderungsgrad höher als 50 Prozent. Die aktuellste Statistik bezüglich des Wohnens von Menschen mit Behinderungserfahrung stammt aus dem Jahr 2003. Gemäß des ersten Berichts über die Situation der Heime und die Betreuung der Bewohner* innen (BMFSFJ 2006, 1) gab es in diesem Jahr circa 5100 Heime mit knapp 179.000 Plätzen. Die Anzahl der Heimplätze ist den Jahren von 2000 bis 2004 stetig, wenn auch in geringem Maß gestiegen. Im Mittel fielen im Jahr 2000 2,35 Plätze auf 1000 Einwohner*innen, wogegen es 2004 2,48 Plätze waren. Zur Größe der Einrichtungen ist zu sagen, dass etwa drei Viertel der Einrichtungen zu den kleineren Einrichtungen mit weniger als 50 Bewohner*innen gehören. Ungefähr 20 Prozent der Einrichtungen verfügen über 50 bis 150 Plätze und 5 Prozent mehr als 150 Plätze. In der letzten Gruppe gibt es mitunter einige sehr große Einrichtungen mit mehr als 500 Bewohner*innen. Laut BMFSFJ (ebd.) kann davon ausgegangen werden, dass „der größte Teil der behinderten Menschen in Einrichtungen mit mehr als 24 Plätzen lebt“. Jedoch bestehe ein stetiger Trend zu kleineren Wohneinrichtungen. Mit einem Blick auf die Behinderungsart fällt auf, dass circa 60 Prozent der seitens der Behindertenhilfe organisierten Wohneinrichtungen Einrichtungen für Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung sind. 15 Prozent der Einrichtungen nehmen Menschen mit geistigen und körperlichen Einschränkungen auf und 16 Prozent der Menschen mit psychisch-seelischen Behinderungen. In Bezug auf die Verteilung von Bewohner*innen in verschiedenen Wohnformen wird deutlich, dass weiterhin überwiegend Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung in stationären Einrichtungen leben, während ambulante betreute Wohnformen eher von Menschen mit seelischer Beeinträchtigung in Anspruch genommen werden. So bilden die Menschen mit geistigen oder mehrfachen Beeinträchtigungen mit 65 Prozent die größte Gruppe der Leistungsempfänger*innen mit Eingliederungshilfe in stationären Wohnformen. Bei Menschen mit seelischer Beeinträchtigung sind es knapp 25 Prozent und bei körperlicher Beeinträchtigung 10 Prozent. Das BMFSFJ (ebd., 2) gibt an, dass die größte Gruppe im ambulant betreuten Wohnen seelisch beeinträchtigte und suchtkranke Menschen seien, dieser Wohnbereich jedoch von den meistens überörtlichen Sozialhilfeträgern für Menschen mit geistiger und mehrfachen Beeinträchtigung ausgebaut würde. Dennoch geht es davon aus, dass sich die Zahl stationärer Unterbringung von Menschen mit Behinderungserfahrung weiterhin erhöhen wird.

2.5 Inklusives Wohnen

Wohnen ist für jede*n Einzelne*n ein sehr sensibler und aus individuellen Bedürfnissen heraus wichtiger Bereich der Lebensgestaltung (Kapitel 2.1.2 „Die Bedeutung des Wohnens für den Menschen, 10ff.). Doch was kann genau unter inklusiven Wohnen verstanden werden? Ein auf Heterogenität abzielender Begriff, wie „Inklusion“ kann sich nicht auf eine bestimmte Wohnform begrenzen lassen, sondern muss ein vielfältiges Spektrum umfassen ohne sich zu beschränken. Vielmehr muss es um die individuellen Bedürfnisse der jeweiligen Personen gehen, die sie im Bereich des Wohnens entfalten können sollten.

Wie schwierig dies bei der Wohnsituation von Menschen mit Behinderungserfahrungen ist, wurde bereits im vorangegangenen Kapitel dargestellt (Kapitel 2.4 „Wohnformen für Menschen mit Behinderungserfahrung – damals und heute, 27- 34). Ausschlaggebend ist bei diesen Menschen häufig der Grad des Unterstützungsbedarfes, ebenso wie die Außenperspektive von Familienangehörigen und den professionellen Helfer*innen meist eine entscheidende Rolle spielt. Im Gegensatz zu Menschen ohne Behinderungserfahrung, bei denen meist sehr individuelle und persönliche Motive oder Überlegungen bei der Entscheidung für oder gegen eine Wohnsituation ausschlaggebend sind (zum Beispiel Verfügbarkeit, finanzielle Ressourcen, Familien- und Zukunftsplanung etc.), werden die „[p]ersönliche[n] Vorstellungen von Menschen mit Behinderung, wie sie wohnen möchten“ häufig nicht berücksichtigt. (Rauscher 2005, 145)

Diese Situation verhält sich gegensätzlich zum Konzept Inklusion, denn dies bedeutet auch im Bereich des Wohnens, jedem Individuum die Wohnsituation zu ermöglichen, die ihm oder ihr die Möglichkeit gibt ein auf Selbstbestimmung ausgerichtetes Leben zu führen. Dabei geht es nicht um die Fokussierung auf Menschen mit Behinderungserfahrungen, allerdings zeigt sich, dass dieser Personenkreis von Ausgrenzung und Diskriminierung auf sehr umfangreiche Weise betroffen ist. Im Bereich des inklusiven Wohnens sollen auch sie zu „Akteure[n] im Kontext ihrer Lebensplanung und Alltagsgestaltung" werden (Seifert 2006b, 99). Verschiedene Befragungen zu Wohnvorstellungen haben gezeigt, dass sich keine wirklichen Unterschiede zwischen Menschen mit oder ohne Behinderungserfahrungen konstruieren lassen. (Beispielsweise Seifert/ Harms 2010). Wichtig ist den Befragten dabei so selbstbestimmt und autonom wie möglich zu wohnen beziehungsweise zu leben, sei es mit einer eigenen Familie, mit der*dem Lebenspartner*in oder mit Freund*innen in einer Wohngemeinschaft. (Rauscher 2005, 156)

Das Leben in diesen „normalen“ Wohnsituationen innerhalb einer Gemeinde ist ein wichtiger Teil des inklusiven Wohnens. Allerdings haben „Erfahrungen im gemeindeintegrierten Wohnen zeigen (können), dass diese Wohnform die Chance zur Teilhabe am allgemeinen Leben [...] zwar erhöht, aber kein Garant für soziale und gesellschaftliche Integration ist“. (Seifert 2006b, 99) An dieser Stelle zeigt sich der große Unterschied „in“ oder „als Teil“ einer Gemeinde zu leben:

Being in the community points only to physical presence; being part of the community means having the opportunity to interact and form relationships with other community members. Today, this is referred to as inclusion. (Bogdan/ Taylor, 191)

Inklusion ist demnach, auch im Bereich des Wohnens, „Ausdruck einer Philosophie der Gleichwertigkeit jedes Menschen, der Anerkennung von Verschiedenheit, der Solidarität der Gemeinschaft und der Vielfalt von Lebensformen“. (Seifert 2006b, 100) So beschreibt Wansing den Kern des Ganzen wenn sie schreibt:

'Mittendrin in der Gesellschaft zu leben' setzt voraus, in einem Wohnumfeld beziehungsweise in einer Wohnung zu leben, die Ausgangspunkt für soziale Kontakte und Partizipation und Ort der Privatheit zugleich ist und Chancen eröffnet, einen eigenen Lebensstil zu entwickeln und zum Ausdruck zu bringen. (Wansing 2005, 143)

Sozialräumliches Denken und Netzwerkbildung sind für ein inklusives Miteinander somit von großer Bedeutung, unter anderem auch deshalb, weil soziale Beziehungen „für die menschliche Entwicklung, Zugehörigkeit und Alltagsbewältigung unverzichtbar und tragend“ (Windisch/ Schachler 2013; 105) sind und auch deshalb, weil Netzwerkbildung „soziale Integration und das Ansehen behinderter Menschen in Nachbarschaft und Gemeinde“ fördert. (Seifert 2006b, 102) Darüber hinaus wird die Bereitschaft für bürgerschaftliches Engangement geweckt - „eine notwendige Voraussetzung für Community Care“ (Seifert 2006b, 102).

Inklusives Wohnen kann in diesem bisher beschriebenen Sinne nicht in einer Definition zusammengefasst werden oder an einem bestimmten Wohnprojekt festgemacht werden. Allerdings ergeben sich verschiedene Rahmenbedingungen oder Bausteine, die den Prozess hin zu einem inklusiven Zusammenleben unterstützen können. Für Seifert (2006, 101–104) sind diesbezüglich Empowerment/ das Stärken individueller Ressourcen, das Knüpfen sozialer Netzwerke, die Unterstützung nachbarschaftlichen Zusammenlebens und das Erschließen von Ressourcen im Umfeld wichtige Kategorien, die ein inklusives Miteinander befördern. Zusätzlich dazu nennt Rauscher (2005, 156) in diesem Kontext noch die individuelle Zukunftsplanung, die Trennung von Wohnen und Unterstützung und das Bilden von Unterstützerkreise aus Laien und Professionellen als wichtige Eckpunkte.

Für den Personenkreis von Menschen mit Behinderungserfahrungen spielen Assistenzkräfte eine sehr wichtige Rolle und damit auch im Konzept eines inklusiven Miteinanders. Die Lebensqualität von Bewohner*innen ist auch gekoppelt an die Arbeitszufriedenheit und den professionellen Umgang der Mitarbeiter*innen mit den Bewohner*innen. „Die Diskrepanzen zwischen dem professionellen Anspruch und der Umsetzung im Alltag sind den meisten Mitarbeiter(*inne)n bewusst und werden von ihnen als belastend erlebt." (Seifert 2012, 118) Wichtig sind demnach strukturelle und situative Bedingungen, die es den Assistenzkräften ermöglicht, Menschen unabhängig vom Unterstützungsbedarf ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Bedeutsam ist dabei auch das Selbstverständnis der Assistenzkraft beziehungsweise die Rolle, die diese einnimmt. Seifert (2006, 101) beschreibt sie als "Brückenbauer in die Gemeinde", da ihre wesentlichen Aufgaben darin liegen individuelle Ressourcen zu stärken, Netzwerke zu knüpfen, nachbarschaftliches Zusammenleben zu ermöglichen und Ressourcen im Umfeld zu erschließen.

Wohnen im Sinne der Inklusion nimmt also die Lebensqualität und Selbstbestimmung aller Bewohner*innen oder Mieter*innen in den Blick. Da es in der derzeitigen Entwicklung aber nachwievor vor allem die Menschen mit Unterstützungsbedarf sind, deren Wohn- und Lebenssituationen häufig noch nicht den Ansprüchen einer wahren Teilhabe entsprechen, sollen abschließend für dieses Kapitel anhand der folgenden Tabelle die Unterschiede zwischen bisherigen Wohnformen für Menschen mit Behinderungserfahrung und dem selbstbestimmten Wohnen aufgezeigt werden:

Tabelle 1: Merkmale des Unterschieds

Fremdbestimmtes Wohnen in Anstalten, Heimen, Wohnstätten und auch in ambulanten Abhängigkeitsverhältnissen

Selbstbestimmtes Wohnen mit persönlichen Assistenzdiensten

Bewohner, Insasse

Mieter oder Untermieter

Unterbringung auf einem freiwerdenden Platz

Auswahl der Wohnung

Raumprogramme ("Aufenthaltsräume" statt Wohnzimmer und so weiter) und "Gruppenzusammensetzung" oder "Belegung" durch die Institution

Gestaltung der Wohnung als Privatraum: mit Eigentum, mit Möglichkeiten für Rückzug und Ruhe, mit Freiheit, Gäste zu haben und Wohngemeinschaftspartner auszuwählen

Pflegling oder Klient, entmündigtes Objekt von Personal, Alibi - Funktion von Bewohnerbeiräten oder ähnliches

Arbeitgeber oder Kunde/Käufer der Assistenzdienste, Auswahl und Veto - Recht im Hinblick auf Assistenten

Einpassen der individuellen Bedürfnisse in die vom Pflegesatz und Personalschlüssel bestimmten Möglichkeiten

Ausstattung der Dienste nachdem jeweiligen Bedarf, mit individuellen Aufgaben-, Zeiteinteilungs- und Stundenplänen

Verunselbständigung, "Versorgung" (Über- und Unterversorgungsgefahren)

Selbstständigkeitsförderung, Beanspruchung von Selbstständigkeit, Beteiligung an Haushaltsaktivitäten und so weiter

Verlegung" bei Veränderungen des Hilfebedarfs, Einheitscharakter und Starrheit von Dienstleistungspaketen

Mobilität der Dienste, Vielfalt und Flexibilität+ der Hilfen

Sonderangebote zur Freizeitgestaltung, binnenorieniertes Eigenleben der Bewohner/ innengemeinschaft, "tagesstrukturierende Maßnahmen"

Dazugehörigkeit im normalen Wohnumfeld als Nachbar, Mitbürger und Teilnehmer an allgemeinen Freizeit- und Kulturangeboten sowie am öffentlichen Leben

Entpflichtung des normalen Gemeinwesens von Rücksicht und Schutzleistungen, "Entsorgung" durch Sondergemeinwesen oder Schutz- und Fürsorgesysteme

Beanspruchung der Mitverantwortlichkeit des normalen Gemeinwesens für Schutz gegenüber allen möglichen Gefährdungen

Ausprägung eines negativen Wahrnehmungsmusters und Nichtzuständigkeitsklischees bei Nichtbehinderten

Ausprägung eines positiven Wahrnehmungsmusters und mitmenschlichen Interesses bei Nachbarn und Mitbürgern

(Lüpke 1994, 61f.)

Inklusives Wohnen wird nicht alles aus der rechten Spalte erfüllen müssen, um als solches zu gelten. Dennoch stellen diese Punkte einen guten Leitfaden dar beziehungsweise benennen sie wichtige Indikatoren.

2.6 „Inklusive“ Wohnformen in Deutschland

Auch in Deutschland haben zeitgemäße Wohnformen ihren Platz gefunden, "[o]b es jedoch bei uns zu einem flächendeckenden Netz an kleinen, gemeindeintegrierten und häuslichen Wohnformen kommen wird, ist eine völlig offene Frage." (Theunissen 2010, 66) Auch wenn es inzwischen einige zeitgemäße Wohnformen in Deutschland gibt, zeigen sich auch "gleichfalls Tendenzen, die völlig gegenläufig sind". Hinzu kommt, dass dem "Anschein nach [...] finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten, die seit Anfang des Jahres 2003 Aktion Mensch zur Weiterentwicklung von Großeinrichtungen zugunsten der Schaffung regionaler, dezentraler, gemeindeintegrierter Wohnformen und sozialer Netzwerke anbietet, noch viel zu wenig genutzt" werden. (ebd.) An dieser Stelle zeigt sich, dass Deutschland noch am Anfang steht, was den Auf- und Ausbau von inklusiven Wohnformen betrifft. Nichtsdestotrotz haben sich einige Menschen in den Prozess hineinbegeben, solche Wohnprojekte aufzubauen. Im Folgenden sollen einige Beispiele beschrieben werden, die sich selbst im Kontext von Inklusion sehen. Bei der Darstellung wurden auch Projekte ausgewählt, die nicht direkt oder nicht umfassend dem Verständnis eines inklusiven Zusammenlebens folgen. Die einzelnen Projekte wurden deshalb ausgewählt, weil sie unter den gängigen Diskurs zu diesem Thema fallen beziehungsweise sich selber als Teil von diesem begreifen. Die einzelnen Wohnformen stehen auch beispielhaft für viele andere Projekte und es soll bei der folgenden Auswahl weder um eine Wertung noch um Vollständigkeit gehen. Vielmehr soll aufgezeigt werden, wie heterogen sich der Bereich des inklusiven Wohnens in Deutschland darstellt und wie gleichfalls heterogen das Verständnis von Inklusion und inklusivem Wohnen ist.

Schammatdorf – Ein Wohnprojekt in Trier

Im Süden von Trier befindet sich eines der ältesten gemeinschaftlichen Wohnprojekte, das Schammatdorf. Auf dem Gelände eines Benedikterklosters entstand Ende der 1970er Jahre, durch das Engagement der Mönche selber, dieses Projekt, welches einen inklusiven Ansatz verfolgt. Hier „wohnen junge und alte Menschen, Familien und Singles, Menschen mit und ohne Behinderung in einer aktiven Nachbarschaft zusammen“. Berühmtheit erlangte dieses Wohnprojekt auch dadurch, dass die momentane Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, Teil dieser Gemeinschaft ist. In insgesamt 144 Wohnungen, welche auf elf Höfe verteilt sind, leben ungefähr 260 Menschen. Damit alle ganz einfach miteinander in Kontakt treten können, wurde beim Bau des Dorfes auf eine „kommunikationsfördernde Architektur“ geachtet. (Homepage Aktion Mensch o.J.)

Lebensgemeinschaften mit Menschen mit geistiger Beeinträchtigung (Arche)

In den Lebensgemeinschaften der Arche wohnen Menschen mit Behinderungserfahrungen und Assistenzkräfte zusammen. Sie teilen sich Ihren Lebensraum als gleichwertige Partner. Die Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung werden durch diese Assistenzkräfte im Alltag unterstützt. Ziel ist es aber auch, dass beide Personengruppen durch ein gleichwertiges Miteinader voneinander lernen. Die erste Lebensgemeinschaft der Arche entstand 1964 durch die Initiative eines katholischen Philosophiedozenten. Inzwischen gibt es in 36 Ländern diese besonderen Wohn-/ Lebensgemeinschaften. (Bastar, Thomas o.J.)

Integrative WGs Freiburg

Durch eine Kooperation des Studentenwerks Freiburg und der Lebenshilfe Breisgau e.V. entstand 2008 das Projekt „Gemeinsam Wohnen“. Dabei handelt es sich um integrative Wohngemeinschaften, in denen Mensche mit und ohne Behinderungserfahrungen zusammen wohnen. Besonders ist auch, dass es sich um sehr kleine Wohngemeinschaften mit zwei oder drei Mieter*innen handelt. In der WG werden die Personen mit Behinderungserfahrungen bei notwendigen lebenspraktischen Tätigkeiten von den anderen Mitbewohner*innen unterstützt. Dazu gehören Aufgaben wie Einkaufen, Kochen, Begleitungen zu Terminen und so weiter. Diese Übernahme von Unterstützungsleistungen werden von der Lebenshilfe „als Aufwandsentschädigung mit der Miete verrechnet“. Weiterhin werden die Mieter*innen durch professionell pädagogisches Personal unterstützt. (Studierendenwerk Freiburg-Schwarzwald o.J.)[5]

Lebens(t)raum e.V. Halle

Dieser Elternverein hat eine Wohngemeinschaft gegründet für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf. Sie werden dabei von einem Pflegedienst und Betreuungsdienst in ihrem Lebensalltag unterstützt. In diesem Projekt wird ein inklusives Zusammenleben nicht durch ein direktes miteinander Wohnen initiiert. Vielmehr werden Begegnungen geschaffen, indem Studenten des Schlesischen Konvikts als unmittelbare Nachbarn im selben Haus wohnen. Sie teilen sich einen gemeinsamen Garten und planen gemeinsame Feste.[6] [7]

Wohngemeinschaften in Berlin

An dieser Stelle sollen zwei Wohngemeinschaften vorgestellt werden, die sich beide im Kontext von Inklusion sehen und doch unterschiedliche Ansätze dabei verfolgen. Zum einen hat der Zugabe e.V. eine WG gegründet in der Menschen mit und ohne Behinderungserfahrungen integrativ zusammenleben. Der Verein versucht dabei den Mieter*innen ein Wohnumfeld zu schaffen, welches an den Bedürfnissen dieser ausgerichtet ist und ihnen ein hohes Maß an Selbstbestimmung und Autonomie sichern soll. Es besteht rund um die Uhr die Möglichkeit Assistenz in Anspruch zu nehmen. Auch hier übernehmen, wie in den WGs in Freiburg, zum Teil die Mitbewohner*innen ohne Behinderungserfahrung Unterstützungsleistungen. Diese Wohngemeinschaft „kann dabei ein lebenslanges Zuhause sein, aber auch einen begleiteten Übergang zum Betreuten Einzelwohnen bedeuten.“ (Zugabe Verein o.J.)

Zum anderen gibt es seit 2012 in Berlin das sogenannte inklusive Verbundwohnen des Zukunftssicherung Berlin e.V., ein Wohnprojekt das als Mehrfamilienhaus von 23 Menschen im Alter zwischen 18 und 56 bewohnt wird. Das sogenannte inklusive Verbundwohnen versucht Menschen mit unterschiedlichen Assistenzbedarfen im Bereich der geistigen Entwicklung in mehreren Wohnungen nach ihren individuellen Bedürfnissen zu betreuen und zu versorgen. Als inklusiv wird dabei zum einen das Vorhandensein von unterschiedlichen Behinderungserfahrungen betrachtet, aber auch die Tatsache, dass die Mieter*innen ein „ganz normales Haus in einer ganz normalen Straße in Berlin-Zehlendorf“ bewohnen. (Zukunftssicherung o.J.)[8]

Inklusive Wohngemeinschaften in München

“Es gibt keinen Weg, der nicht irgendwann nach Hause führt.” Unter diesem Motto hat sich der Verein „Gemeinsam Leben Lernen e.V.“ schon sehr früh auf den Weg gemacht inklusive Wohnprojekte zu initiieren. Bereits vor über 25 Jahren wurde in einer 20e-Jahre-Villa die erste Wohngemeinschaft des Vereins gegründet. Seitdem wohnen in der WG Neuhausen Menschen mit und ohne Behinderungserfahrungen zusammen. „Ob bei einem ausgedehnten Frühstück, beim Sonnen im schönen Garten oder beim Couching im Wintergarten – Gemütlichkeit wird […] [hier] groß geschrieben.“ Dabei legt die WG auch großen Wert darauf innerhalb des Viertels Kontakte aufzubauen und zu pflegen. Über die Jahre „sind [so] liebevolle, tragfähige Beziehungen zu den kleinen Läden und der Nachbarschaft entstanden“.

Beispielsweise werden die Mieter*innen mit Brötchen und Kuchen von einem benachbarten Café versorgt. Weiterhin findet jährlich ein Sommerfest im Garten der Wohngemeinschaft statt. (Gemeinsam Leben Lernen 2014a)[9]

Ein weiteres besonderes Projekt des Vereins ist die Mehrgenerationen-Wohngemeinschaft im Stadtteil Riem, welche sich 2006 gründete. „Hier leben sechs älter gewordene Menschen mit geistiger Behinderung und vier jüngere, nichtbehinderte Bewohner unter einem Dach.“ Unterstützt werden die Mieter*innen von professionellen Fachkräften unter anderem bei der Gestaltung von Freizeitaktivitäten. (Gemeinsam Leben Lernen 2014b)

Immer wieder gründet der Verein ähnliche Wohnprojekte innerhalb von München. Über die Jahre entstanden so noch die WG am Hart (2005), die WG Gräfelfing (2014), die WG Gröbenzell (2010) und die WG Großhadern. (Gemeinsam Leben Lernen 2014c)

Für Februar 2015 ist bereits das nächste Wohnprojekt geplant. Hier sollen Menschen leben, „die nicht mehr Vollzeit arbeiten wollen oder können“. Insgesamt werden hier acht Menschen mit und fünf Menschen ohne Behinderungserfahrungen wohnen. Geplant ist dabei eine integrative Wohngemeinschaft und drei selbst angemietete Appartements in direkter Nachbarschaft. Gedacht sind die Appartements für Menschen mit Behinderungserfahrungen, die gerne allein oder mit dem*der Partner*in leben möchten. Die Mieter*innen sollen sich gleich „in die Nachbarschaft einbringen können, sei es im Nachbarschaftstreff im gleichen Haus, im nahe gelegenen Wohncafé des evangelischen Pflegedienstes oder in einem der vielen anderen Angebote innerhalb des Quartiers“. (Gemeinsam Leben Lernen 2014d)[10]

Integratives Studierendenwohnheim in Marburg

Im Konrad-Biesalski-Haus wohnen Studierende mit und ohne Behinderungserfahrung. Dabei ist das Wohnheim vordergründig darauf ausgerichtet Menschen mit Unterstützungsbedarf im Bereich der körperlich-motorische Entwicklung zu integrieren. Aufgrund dieses Ansatzes wurde das Haus in die „Landkarte der inklusiven Beispiele“ aufgenommen. 77 der 78 Zimmer wurden barrierefrei gestaltet, so dass „viele Tätigkeiten darin ohne fremde Hilfe möglich sind [beziehungsweise] erforderliche Hilfe jederzeit herbeigerufen werden kann“. Im Haus können verschiedene therapeutische Maßnahmen in Anspruch genommen werden und Fahrten zur Universität oder ähnliches kann durch einen hauseigenen Fahrtdienst organisiert werden. (Studentenwerk Marburg 2014)

Lebensweltorientierte Integrative Wohngemeinschaften in Reutlingen

Vor bereits 19 Jahren wurde aus einer Elterninitiative mit Unterstützung der Bruderhilfe (Diakonie) die erste integrative WG in Reutlingen gegründet. Inzwischen wurden noch zwei weitere dieser lebensweltorientierten Wohngemeinschaften ins Leben gerufen. Hier wohnen jeweils vier Menschen mit und vier ohne Behinderungserfahrungen zusammen und gestalten gemeinsam ihren Lebensalltag. Alle gehen einem Beruf, einer Ausbildung oder einer tagesstrukturierenden Maßnahme nach. (Bruderhaus Diakonie o.J.)

Die Teilhabe von Menschen mit hohem Assistenzbedarf stellt eine Herausforderung für alle Beteiligten dar, "gleichzeitig gibt es der Wohngemeinschaft einen unverwechselbaren und besonderen Charakter, weil niemand ausgeschlossen wird und immer jemand da sein muss. Gleichzeitig leistet dieser Personenkreis einen wichtigen Beitrag zur Gestaltung der WG und gibt den Mitbewohner*innen sehr viel." (Jerg 2012, 16)

Alle Mieter*innen müssen in den Wohnprojekten Verantwortlichkeiten übernehmen und jede*r hat "sein Päckchen" zu tragen, sodass auch manchmal sogenannte „nichtbehinderte“ auf mehr Assistenzleistungen zurückgreifen als diejenigen mit dem Etikett Behinderung. Es verbindet die Bewohner*innen mehr als das sie trennt. Durch dieses Zusammenleben "wird der Aspekt der 'Behinderung' sekundär". (ebd., 17) Die Wohngemeinschaften versuchen durch ein sozialräumliches Denken sich in die Nachbarschaft einzubringen. Es finden weiterhin aller 14 Tage Besprechungen innerhalb der WGs statt und die Beteiligung der Eltern wird durch sogenannte Eltern-Stammtische ermöglicht. (ebd., 18f.)

2.7 Zusammenfassung

Das vorangegangene Kapitel zeigt Entwicklungen, Bedeutung sowie rechtliche und konzeptionelle Grundlagen einer inklusiven Wohnkultur. Ausgehend von einer solidarischen und Vielfalt anerkennenden inklusiven Gesellschaft und einem auf sozialer Interaktion beruhendem Verständnis von Behinderung wurden zunächst einige gesetzlichen und rechtlichen Meilensteine aufgegriffen, die für die Verbesserung der Situation für Menschen mit Behinderungserfahrung wichtig waren. Die Allgemeinen Menschenrechte bilden eine grundlegende Basis für ein Leben in Selbstbestimmung, Diskriminierungsfreiheit und gleichberechtigter Teilhabe. Durch die Ratifizierung der UN Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 erfolgte eine weitere rechtliche Festlegung zur Umsetzung von Rechten von Menschen mit Behinderungserfahrung. Für den Bereich Wohnen ist besonders der 19. Artikel relevant, indem er Menschen mit Behinderungserfahrung ausdrücklich zuspricht, selbst über den Ort und die Art des Wohnens entscheiden zu können. Der Nationale Aktionsplan gilt gewissermaßen als Bestandsaufnahme und Planungsinstrument für die Umsetzung der Neustrukturierungen. Als weitere wichtige gesetzliche Grundlagen gelten das Allgemeine Gleichstellungsgesetz und das Sozialgesetzbuch IX und XII.

Versucht man sich vorzustellen, wie inklusives Leben aussehen mag, kommt man zu keinem einheitlichen Bild. Die Umsetzungsformen können so vielfältig sein, wie die Mitglieder einer Gesellschaft. Dennoch gibt es einige Konzepte, die zu Leitbildern eines inklusiven Lebens gewachsen sind. Ausgehend von Anerkennung und Wertschätzung aller Mitglieder einer Gesellschaft gelten Selbstbestimmung und Teilhabe als für alle Menschen zu erreichende Grundrechte. Normalisierungsprinzip und Empowerment stellen wegweisende Ansätze dar auf dem Weg zu verbesserten Lebensbedingungen für Menschen in marginalisierten Positionen. Sozialraumorientierung und Community Care befassen sich mit konkreten Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb des direkten Lebensumfeld – der Gemeinde oder dem Stadtteil.

Wohnen bedeutet für den Menschen eine grundlegende Erfahrung und geht über die bloße Bedeutung eine feste Behausung zu haben weit hinaus. Eine Wohnung zu haben bedeutet geschützt zu sein, einen Rückzugsort zu haben, sie gewährt Privatsphäre und bringt Erinnerungen mit sich. Die Wohnbedürfnisse von Menschen mit Behinderungserfahrung unterscheiden sich nicht von denen anderer Menschen. Historisch wurde dies lange Zeit nicht beachtet und führte zu Massenunterbringung und Hospitalisierung beeinträchtigter Menschen unter prekären Bedingungen. Für diese Art von Anstalten prägte Goffman den Begriff der ‘totalen Institution‘. Ab den 1960er und 70er Jahren begannen sich die Umstände langsam zu wandeln. Dieser Wandlungsprozess hält bis heute an. Die Betrachtung von Wohnmöglichkeiten für Menschen mit Unterstützungsbedarf zeigt, dass die Zahl der Heimunterbringungen entgegen integrativer und inklusiver Bemühungen sowie gesetzlicher Grundlagen weiter steigt. Ambulante betreute Wohnformen stehen eher Menschen mit geringem als mit komplexen Unterstützungsbedarf offen. Das widerspricht einem Konzept des inklusiven Wohnens. Auch Inklusion im Wohnbereich zeichnet sich vor allem dadurch aus, eigene Wahlmöglichkeiten zu haben, selbstbestimmt zu leben und sich als Teil einer Gemeinde zu erfahren. Die im letzten Kapitel aufgeführten Wohngemeinschaften stellen Beispiele für ein inklusives Zusammenleben dar.



[5] Weitere Informationen befinden sich im Flyer der Aktion Mensch (2014a, 15)

[6] Informationen stammen aus der persönlichen Korrespondenz mit dem Verein

[7] Weitere Informationen unter http://www.lebenstraum-verein.de/der-verein

3 Methodenteil

3.1 Beschreibung der WGs

An dieser Stelle sollen die Wohnprojekte beschrieben werden, die die Basis für die Beantwortung der Fragestellung bilden. Wie aus dem Kapitel „Beispiele inklusives Wohnen“ deutlich werden konnte, gab es eine Vielzahl von möglichen Anlaufstellen. Die Autor*innen der Arbeit haben sich für die folgenden Beispiele „inklusiven Wohnens“ entschieden, da bei diesen sehr schnell eine Kooperationsbereitschaft signalisiert wurde und weil in beiden Wohngemeinschaften das Konzept der Inklusion die Basis der Konzepte bildet. Beide Wohnprojekte sind aus ähnlichen Situationen heraus entstanden und konnten bereits seit mindestens zwei Jahren Erfahrungen sammeln. Für die Autor*innen war es weiterhin wichtig Projekte einzubeziehen, die nicht an einen Behindertenverband oder ähnliches angebunden sind, um eine zu starke Fokussierung auf die Behinderungserfahrung mancher Mitbewohner*innen zu vermeiden oder zumindest zu minimieren. Es handelt sich um eine Auswahl, die nicht deterministisch festgelegt war. Die ausgesuchten Beispiele scheinen jedoch im Sinne der Beantwortung der Fragestellung gut geeignet.

WG Saarbrücken

Die WG mitten im Nauwieser Viertel, dem „Studentenviertel von Saarbrücken“ ist die erste inklusive Wohngemeinschaft in Saarbrücken. In einem barrierefrei gestalteten Haus wohnen insgesamt elf junge Leute über drei Etagen verteilt, wobei die große Küche und Gemeinschaftsräume zentrale Anlaufpunkte bilden. Fünf der Bewohner*innen haben Behinderungserfahrungen im Bereich der geistigen oder körperlich-motorischen Entwicklung. (Aktion Mensch 2014a, 9)

„Das ist keine normale WG. Und doch eine normale WG“ (ebd., 9) erklärt Ilse Blug, die Geschäftsführerin des Vereins Miteinander Leben Lernen (MLL). Sie gründete zusammen mit anderen Eltern und der Unterstützung des Vereins 2008 die bis dahin in Saarbrücken einzigartige Wohnform. Der Verein MLL existiert bereits seit 30 Jahren und ist ein Zusammenschluss von Eltern und Pädagog*innen. (Aktion Mensch 2014b)

Die Idee für diese Art der Wohngemeinschaft entstand aus dem Wunsch heraus, den eigenen Kindern mit Behinderungserfahrungen die Möglichkeit zu geben, sich ganz normal vom Elternhaus zu lösen. Die Möglichkeiten zum Wohnen, die bis dato bestanden, waren dabei keine Alternative, denn „ambulant reicht(e) nicht aus von der Unterstützungsleistung her und stationär konnte sich keiner von den Eltern vorstellen.“ (Verein2, Anhang, 72) So wurden über die Bundesaktivitäten von „Gemeinsam Leben Gemeinsam Lernen“ Kontakte zur bereits bestehenden inklusiven WG in Reutlingen (Kapitel „'Inklusive' Wohnformen in Deutschland“) aufgebaut, um auf der Basis dieser Erfahrungen ein eigenes Konzept für Saarbrücken zu entwickeln. (Verein2, Anhang, 72f.)

Ziel war und ist es, „eine möglichst vertraute, private Wohnatmosphäre [zu schaffen], die sich an anderen üblichen privaten Wohngemeinschaften orientiert“ und trotzdem einen professionellen „Rahmen [sicherzustellen], der durch eine ambulante sozialpädagogische Fachkraft im Rahmen des [eigenen] Ambulanten Fachdienstes“. (Miteinander Leben Lernen o.J.b, 4)

Die elf Bewohner*innen gehen unterschiedlichen Aktivitäten nach. Fünf arbeiten in verschiedenen Berufen oder erhalten die Grundsicherung und die sechs anderen Mitbewohner*innen studieren in Saarbrücken. „Die sechs Student[*]innen [...] übernehmen hier Verantwortung nach einem geregelten Sechs-Wochen-Plan“ für die Mitbewohner*innen mit Behinderungserfahrung, wodurch sie im Gegenzug keine Kaltmiete bezahlen müssen. (Aktion Mensch 2014, 9) Dabei handelt es sich vorwiegend um Unterstützung bei lebenspraktischen Aufgaben (beim Kochen, beim Einkaufen, bei den Mahlzeiten, bei sonstigen Arbeiten im Haushalt, bei Freizeitaktivitäten). (Miteinander Leben Lernen o.J.a) Pflegerische Aufgaben werden von einem hauptamtlichen Team (aus Heilerziehungspfleger*innen, Pädagog*innen, Krankenpfleger*innen) übernommen, welche gegebenenfalls unterstützt werden durch Praktikant*innen oder FSJler*innen[11]. (Aktion Mensch 2014, 9)

Finanziert wird die Arbeit durch Leistungen der Pflegekasse und durch die Inanspruchnahme des „Persönlichen Budgets“[12] seitens der Mitbewohner*innen mit Unterstützungsbedarf. Die „Miete, den Lebensunterhalt und das Taschengeld finanzieren die Bewohner*innen entweder über ein eigenes Gehalt oder über die Grundsicherung bei dauerhafter Erwerbsminderung (§41 SGB XII).“ (Miteinander Leben Lernen o.J.a)

WG Ludwigshafen

In den Hohenzollern Höfen, mitten im Viertel und unweit entfernt von der Innenstadt, wohnen seit November 2012 insgesamt zehn Menschen über zwei Etagen in der Inklusiven WohnGemeinschaft LUdwigshafen (IGLU). „Die Idee der Gründung einer Inklusiven Wohngemeinschaft ist inspiriert durch die spezielle Lebenssituation eines behinderten Menschen.“ (Integration statt Aussonderung 2014, 3) Bereits 1999 wurde die erste Zukunftsplanung mit einem nicht-sprechendem Menschen durchgeführt um M. ein Leben zu ermöglichen, welches nicht von Aussonderung geprägt ist. (Verein1, Anhang, 4) Unterstützerkreise, Netzwerkbildung, Zukunftsfeste und der damit verbundene Erfahrungsaustausch werden demnach als wichtige Voraussetzungen beziehungsweise Unterstützungen benannt. (Bros-Spähn et. al. 2012, 185) Die Idee für ein inklusives Zusammenleben ist dabei die konsequente Fortführung eines auf Teilhabe ausgelegten Lebensweges. Durch die Arbeit mit dem Verein "Integration statt Aussonderung – Gemeinsam Leben, Gemeinsam Lernen e.V." fanden sich weitere Eltern zusammen, die sich für ihre Kinder eine solche Wohnform wünschten. (Aktion Mensch 2013) Inspirationen holten sich die Eltern aus den Besuchen bereits bestehender inklusiver Wohngemeinschaften in Saarbrücken (siehe Beschreibung WG Saarbrücken) und in Reutlingen (Kapitel „'Inklusive' Wohnformen in Deutschland“). (Verein1, Anhang, 4f.)

Es wurde ein Haus gefunden in dem sich die WG auf eine kleinere und eine größere Wohnung verteilt, wobei die zuletzt genannte in der ersten Etage den Lebensmittelpunkt der Bewohner*innen bildet. Dort wird gemeinsam gekocht und zwei große Gemeinschaftsräume sichern die Möglichkeit gemeinsam Zeit zu verbringen. Die Wohnung ist barrierefrei gestaltet und das „Haus ist in einer U-Form angelegt, mit einem Innenhof für alle Bewohner, in dem gegrillt oder sich gesonnt werden kann“. (Aktion Mensch 2013)

Ein Mitbewohner ist 49 und der Rest ist zwischen 20 und 30 Jahre alt. „Die meisten aus dem IGLU studieren, einige arbeiten. [...] Die unterschiedlichen Einschränkungen der Bewohner mit Behinderung sind kognitiv oder körperlich. Vier Menschen mit und sechs Menschen ohne Handicap wohnen in der inklusiven WG zusammen.“ (ebd.) Mitten in der Wohnung befindet sich auch ein Arbeitsplatz für zwei hauptamtlich Angestellte, die verantwortlich sind „für den Ablauf im Alltag und [...] eine personelle Kontinuität und Professionalität sicherstellen“ sollen. (Integration statt Aussonderung 2014, 8) Weiterhin gibt es Assistenzkräfte, welche direkt bei den Bewohner*innen angestellt sind, die besondere Unterstützung benötigen. Momentan arbeiten die angestellten Assistenzkräfte für M. und übernehmen dabei sowohl lebenspraktische als auch pflegerische Aufgaben. Finanziert werden die Assistenzkräfte dabei durch das „Persönliche Budget“. Die anderen Mitbewohner*innen haben die Möglichkeit, durch die Übernahme von Unterstützungsleistungen, wie beispielsweise Nachtwachen, die Kosten für ihre Miete zu verringern. Weiterhin gibt es unentgeltliche Leistungen, die jede*r Bewohner*in übernimmt (zum Beispiel Kochen für die Gemeinschaft). (ebd.)

Zur Vermeidung von Konflikten wurde die Möglichkeit der Supervision geschaffen, wofür eine außenstehende professionelle Person regelmäßig die Mitbewohner*innen besucht. (ebd., 8f.) Das Projekt IGLU nutzt weiterhin seit Anfang an die Möglichkeit der wissenschaftlichen Beratung und Begleitung. So begleitet Prof. Jo Jerg (FH Reutlingen/ Ludwigsburg) die WG in beratender Funktion und durch Studierende der Universität Landau werden wissenschaftliche Begleitungen durchgeführt (Abschlussarbeiten, Praktika, Projekte und so weiter) (ebd., 3).

3.2 Interview und Erstellung des Interviewleitfadens

Um der Fragestellung, „inwieweit die ausgesuchten Wohngemeinschaften, gemessen an den Einschätzungen Beteiligter, einem Konzept inklusiven Zusammenlebens gerecht werden“ nachzugehen, wurde die Form des Interviews als Forschungsinstrument gewählt. Durch Interviews soll sichergestellt werden, die Sichtweisen der Beteiligten umfassend einzufangen. Gleichzeitig bietet das Interview sowohl die Möglichkeit, auf individuelle Situationen der Befragten intensiver einzugehen als auch die erhobenen Erkenntnisse in qualitativer Form auszuwerten. Für die Durchführung der Interviews wurde ein Leitfaden entwickelt, welcher für die unterschiedlichen Personengruppen angepasst wurden. So entstanden je eine Version des Leitfadens für die Bewohner*innen, die Assistenzkräfte und die Verantwortlichen des angegliederten Vereins. Die Form des Leitfadeninterviews ermöglicht außerdem die Fragen auf den*die jeweilige*n Interviewpartner*in anzupassen und wird so den unterschiedlichen Befragten, die auf verschiedene Weise in die Wohnprojekte eingebunden sind, besser gerecht. Zusätzlich ist es weiterhin mit Blick auf die heterogene Befragtengruppe positiv, dass die Personen, welche für den jeweiligen Verein arbeiten, gleichzeitig involvierte Eltern sind und somit die gestellten Fragen aus zwei Perspektiven beantworten können.

Als Grundlage für die Erstellung des Interviewleitfadens diente vorwiegend der „Kommunale Index für Inklusion“ (Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft 2011). Dieser wurde mit dem Ziel verfasst, bei der Gestaltung eines inklusiven Umfelds zu unterstützen, „das in der Lage ist, auf Vielfalt einzugehen, und zwar so, dass alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen gleichermaßen wertgeschätzt werden, unabhängig von Herkunft, sozialem Status, Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion, Alter sowie körperlichen und geistigen Potentialen und Beeinträchtigungen“ (Lawrenz 2011, 65). Mit diesem ganzheitlichen Verständnis von Inklusion stellt die Montag-Stiftung ein Arbeitsbuch zur Verfügung, welches dabei helfen kann, „Einrichtungen auf Aspekte wie Teilhabe und Vielfalt beziehungsweise Ausgrenzung und Diskriminierung zu überprüfen“ (ebd., 66). Detailliert ausgeführt hilft der Kommunale Index

  • „Formen von Vielfalt zu erkennen, wertzuschätzen und zu nutzen.

  • die Verschiedenheit von Menschen als bereichernde Vielfalt zu verstehen.

  • Teilhabe aller zu ermöglichen und Barrieren für Teilhabe abzubauen.

  • Ressourcen zur Unterstützung von Lernen und Teilhabe aufzuspüren und zu entwickeln.

  • Fähigkeiten zu erkennen, freizusetzen und auszubauen.

  • Selbsterkenntnis und -reflexion zu fördern und so Haltung und Handeln zu verändern.

  • Die Partizipation aller Beteiligten und Betroffenen im Entwicklungsprozess in den Blick zu nehmen und umzusetzen.“ (ebd.)

Diese Ausrichtung macht den Index zu einer wertvollen Grundlage zur Erstellung des Interviewleitfadens. Auch die Möglichkeit, die Fragen und Kategorien individuell anzupassen, bietet ein großes Potenzial bei der Beantwortung der Fragestellung. Der Kommunale Index für Inklusion gliedert sich in die drei Bereiche, „Inklusive Kulturen schaffen“, „Inklusive Strukturen etablieren“ und „Inklusive Praktiken entwickeln“. Diese Bereiche enthalten circa „10-12 Merkmale, die die Bedeutung von inklusiven Denken und Handeln greifbar machen“ und diese Bereiche enthalten wiederum jeweils eine Reihe von Fragen. (ebd., 66f.) Aus diesem Pool von Merkmalen und Fragen wurden jene herausgefiltert, welche bedeutsam für den Bereich des inklusiven Zusammenlebens sind. Dabei wurden die entnommenen Fragen meist so umformuliert, dass sie auf die jeweiligen Interviewpartner*innen ausgerichtet sind. So wurden für den Interviewleitfaden die Themen Wohnen/ Versorgung, Wohlbefinden/ Gemeinschaft, Kultur/ Freizeit, Teilhabe/ Mitbestimmung/ Kommunikation, Kooperation und Inklusive Werte ausgewählt und passende Fragen dazu formuliert. Wie bereits erwähnt wurde weiterhin eine Auswahl getroffen, welche Themenbereiche bei welcher*m Interviewpartner*in angesprochen werden sollen. Die jeweilige Zuordnung kann den individuellen Leitfäden entnommen werden (Anhang, 190-196). Als Rahmen wurden jeweils individuelle Einstiegs- und Abschlussfragen erstellt, auch um einen niedrigschwelligen Zugang zu den Beteiligten zu finden. Bei den Verantwortlichen des Vereins kam weiterhin noch die Abfrage zur Entstehung und Entwicklung des jeweiligen Wohnprojektes hinzu, da diese Personen diesbezüglich ein hohes Maß an Erfahrung mitbringen. Mit den Interviewleitfäden als Gerüst kann bei den Befragungen selbst noch situativ durch ergänzende Nachfragen auf die Beteiligten eingegangen werden.

3.3 Durchführung

Nachdem in einem ersten Schritt eine Auswahl getroffen wurde, welche Wohnprojekte die Basis für die Befragungen bilden sollen, wurde in einem nächsten Schritt ein Interviewleitfaden erarbeitet. Als diese beiden Elemente der Arbeit feststanden, begann die direkte Durchführung der Interviews. Wie bereits bei der Beschreibung des Interviewleitfadens dargestellt, sollten drei beteiligte Parteien des Wohnprojektes befragt werden. Dabei spielte die Reihenfolge bei der Durchführung keine Rolle. Vielmehr war es das Ziel, möglichst alle drei Parteien beziehungsweise alle vier Interviewpartner*innen an einem Tag zu befragen. Die begrenzte Zeit war dabei der Tatsache geschuldet, dass beide WGs nicht in unmittelbarer Nähe der Autor*innen verortet sind und nur mit großem Aufwand mehrfach hätten besucht werden können. Daraus resultierend wurden mit den jeweiligen Wohnprojekten je ein Tag vereinbart an dem alle Interviews durchgeführt wurden. Eine große Unterstützung waren dabei die hauptamtlichen Verantwortlichen, die die Befragung der einzelnen Beteiligten koordinierten, sodass alle Interviews problemlos durchgeführt werden konnten. Die WGs wurden an zwei aufeinanderfolgenden Tagen besucht, wobei der erste Besuch am 26. November 2014 in Saarbrücken stattfand. Die konkrete Auswahl der Interviewpartner*innen wurde dabei von der jeweiligen Hauptamtlichen getroffen. Dabei ergab es sich, dass bei den Bewohner*innen die Wahl auf eine*n Mitbewohner*in mit und eine*n ohne Behinderungserfahrung fiel. Dies war von den Autor*innen nicht intendiert; vielmehr war das Prinzip der Freiwilligkeit Voraussetzung für die Teilnahme. Nach vorheriger Absprache war jeweils eine*r der Autor*innen hauptverantwortlich für die Befragung des*der jeweiligen Interviewpartners*in, während der*die andere Notizen machte und im Anschluss auf Grundlage dieser Notizen noch einige ergänzende Fragen stellte. In Saarbrücken begann der Besuch zunächst mit einer Besichtigung der WG. Es folgte das erste Interview mit Bewohner*in3. Danach fand das zweite Interview in den Räumen des Vereins MLL mit der Vorsitzenden Verein2 statt. Wieder in der WG zurückgekehrt wurden nacheinander Bewohner*in4 und Assistenz2 befragt. Am nächsten Tag folgte der Besuch der inklusiven Wohngemeinschaft Ludwigshafen. Hier wurde wieder zuerst die Wohnung, diesmal durch die Hauptamtliche vorgestellt. Danach wurde die Assistenz1 interviewt und gleich im Anschluss folgte die Befragung von Bewohner*in1. Nach einer längeren Pause wurde dann die Befragung fortgesetzt mit Verein1, der Vertreterin des Vereins und Mitbegründerin des Wohnprojektes. Am Ende wurde dann noch Bewohner*in2 befragt.

Nachdem alle Interviews durchgeführt wurden, wurden diese unter Nutzung der Transkribtionsregeln (Anhang, 3) verschriftlicht und konnten so als Basis für die qualitative Inhaltsanalyse, angelehnt an Mayring (2010), genutzt werden.

3.4 Qualitative Inhaltsanalyse

In diesem Kapitel soll die Methode und das Forschungsdesign der empirisch untersuchten Fragestellung vorgestellt werden. Die Basis bildet dabei die von Philipp Mayring entwickelte Methode der „Qualitativen Inhaltsanalyse“ (Mayring 2010), welche allerdings in der vorliegenden Forschungsarbeit nur teilweise ihre Anwendung findet. Die für diese Arbeit relevanten Techniken werden in diesem Kapitel erläutert und als vereinfachte Graphik im Anhang (2) beigelegt, um eine bessere Transparenz bezüglich der Auswahl der Kategorien zu sichern.

Die von Mayring vorgeschlagene Form der Inhaltsanalyse entwickelte sich aus unterschiedlichen Forschungsbereichen, wie beispielsweise der aus der Kommunikationswissenschaft stammenden „content analysis“, der Hermeneutik als „Kunstlehre der Interpretation“ und der „Qualitativen Sozialforschung“ (ebd., 26–47). Sie ist ebenso aus der Kritik an der quantitativen Forschung heraus entstanden, wobei sie allerdings Vorzüge dieser Forschung übernimmt, wie beispielsweise die systematische Vorgehensweise; es können dementsprechend auch „quantitative“ Elemente enthalten sein (ebd.). Die „Qualitative Inhaltsanalyse“ bietet ein Instrumentarium, um im weitesten Sinne „Kommunikation“ zu analysieren, speziell „fixierte Kommunikation“ (ebd., 13). Das bei einer Qualitativen Inhaltsanalyse zu untersuchende Material liegt in symbolischer Form vor. Dabei können Sprache, aber auch Bilder, Musik und Ähnliches zum Forschungsgegenstand gemacht werden (ebd., 12). Einen Vorteil bietet die „Qualitative Inhaltsanalyse“ vor allem dahingehend, dass sie als Forschungsinstrument die Möglichkeit bietet, bei einer Analyse systematisch, regelgeleitet und theoriegeleitet vorzugehen. Insbesondere diese systematische Vorgehensweise verhindert eine bloße subjektive Interpretation des vorliegenden Materials. Des Weiteren wird das zu untersuchende Material als Teil einer Kommunikationskette gesehen, also auch in den Entstehungs- und Weiterverarbeitungskontext gestellt. Im Zentrum der Analyse stehen Kategorien, die im Zuge der Analyse herausgearbeitet werden (ebd., 47).

Für die vorliegende Analyse gelten folgende Ablaufschritte, die nochmals als Ablaufmodell (Anhang, 2) zu finden sind. Der direkten Analyse gehen die Bestimmung des Ausgangsmaterials und die Fragestellung der Analyse voraus, wie von Mayring vorgeschlagen. Im vorangegangen Kapitel wurde im Sinne der Bestimmung des Ausgangsmaterials festgelegt, welches Material der Analyse zugrunde liegt, einschließlich einer Begründung für die Auswahl genau jenen Materials. Außerdem wurde bei der Beschreibung des Interviewleitfadens die Entstehungssituation näher erläutert, unter Berücksichtigung der Zielgruppe. (Kapitel „Interview und Erstellung des Interviewleitfadens“)

Bei der Darstellung der Fragestellung wird zunächst die Richtung der Analyse geklärt, um dann auf die theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung einzugehen (ebd., 56ff.). In dieser Arbeit wird die von Mayring beschriebene Inhaltsanalyse nicht im vollen Umfang durchgeführt, sondern in einer vereinfachten, abgewandelten Form. Es werden bei dieser Arbeit ausschließlich inhaltliche Punkte analysiert und interpretiert. Zum Herausfiltern bedeutungsvoller Kategorien wird eine Verbindung der qualitativen Techniken der „Zusammenfassung“ und der „inhaltlichen Strukturierung“ genutzt (ebd., 67–85; 92-109). Diese Kategorien leiten sich zum einen aus der Theorie und dem Interviewleitfaden ab, zum anderen ergeben sie sich aus dem erhobenen Material selbst. Zunächst werden die Selektionskriterien beziehungsweise Analyseeinheiten festgelegt; ganz allgemein sind dies in dieser Arbeit die Themenfelder, die der Erarbeitung des Interviewleitfadens zugrunde lagen. Diese Themen wären Wohnen/ Versorgung, Wohlbefinden/ Gemeinschaft, Kultur/ Freizeit, Partizipation, Kooperation und Inklusive Werte. Alle Einheiten der Interviews, die sich auf diese Themen beziehen, werden paraphrasiert. Dabei entfallen bereits nicht relevante Elemente. Aus dem bis dahin gesammelten Material werden in einem zweiten Schritt erste Kategorien gebildet. Dem folgt die Subsumtion der Paraphrasen. Die Zuordnung der Paraphrasen zu den neu gebildeten Kategorien werden in Form einer Tabelle dargestellt (Anhang, 132-189). Diese neu entstandenen Kategorien werden nochmals mit der Fragestellung abgeglichen und, falls doch nicht passend, nach dieser Rücküberprüfung entfernt. Diese Zwischenschritte werden, bis auf die Zuordnung zwar von den Autor*innen durchgeführt, erscheinen allerdings nicht in dieser Arbeit. Die endgültigen Kategorien werden dann hinsichtlich der Fragestellung unter Einbezug beispielhafter Textelemente interpretiert. Es ergaben sich nach diesem Vorgehen die Kategorien Empowerment, Sozialraumorientierung, Anerkennung von Vielfalt, Normalität, Partizipation, Selbstbestimmung, Zukunftsperspektiven, Umgang mit Konflikten, subjektives Inklusionsverständnis, Zufriedenheit und Wohlbefinden sowie Vernetzung, die erläutert und interpretiert werden.



[11] Absolvierende eines Freiwilligen Sozialen Jahres

[12] Eine Erklärung zum „Persönlichen Budget“ findet sich unter: http://www.familienratgeber.de/recht/persoenliches_budget.php

4 Auswertung

4.1 Vernetzung und Kooperation

Für beide WGs hat sich gezeigt, dass sich Kooperationspartner*innen und Vernetzungsmöglichkeiten als unverzichtbar erwiesen haben. Auch wenn sich die Ideen für diese zwei Wohnprojekte aus unterschiedlichen subjektiven Lebensgeschichten heraus entwickelt haben, wird klar, dass bereits in einem sehr frühen Stadium des Entwicklungsprozesses verschiedene Kooperationen von Bedeutung waren. So formuliert Verein2 für Saarbrücken:

Ich glaub, das war so etwa 2005. Aja 2005 wo sich eine Gruppe Eltern zusammen getan hat und es gab praktisch zwei Bereiche, wo die Eltern sagen, da besteht Handlungsbedarf. Das eine, das ist der Bereich Übergang in den Beruf. Und das andere ist Wohnen. Und da haben sich zwei Arbeitsgruppen gebildet und es war dann aber klar der Verein entscheidet sich das Wohnen zunächst mal zu machen, weil Arbeit ist noch viel komplizierter. […] Die andere Gruppe war halt klar. Unsere Söhne und Töchter waren so 17 18 und allen war klar, der Unterstützungsbedarf war sehr hoch und das Angebot im Saarland - es gibt halt ambulant und stationär. [...] Und dann hat sich eine Mutter erinnert, dass 2000 hat hier ein Elternkongress stattgefunden von Gemeinsam Leben Gemeinsam Lernen. Sagt euch das was? […] Und da erinnerte die sich daran, dass bei dem Bundeskongress eine Arbeitsgruppe war, die eine WG vorgestellt hat in Reutlingen und dann haben wir gesagt, naja, dass das wirklich geklappt hat oder dass die immer noch gibt, das ist sehr zweifelhaft, also wir rufen mal an. Und dann sagten die, naja, KLAR, das läuft alles wunderbar. Wir haben inzwischen die zweite WG eröffnet und dann sind wir hingefahren mit allen Eltern und haben uns das angeguckt und das war natürlich für uns ganz toll und inspirierend. Und dann war klar, das ist es, was wir wollen. (Verein2, 72f.)[13]

Hier zeigt sich, dass die ursprüngliche Gründungsgruppe in Saarbrücken bereits aus einer Vernetzung heraus entstanden ist. Es fanden sich über den Verein „Miteinander leben lernen“ Eltern zusammen und gründeten eine Arbeitsgruppe, die für ihre Kinder eine geeignete Wohnform finden beziehungsweise entwickeln wollte. Aus dieser Gruppe konnte durch die Erfahrung einer Mutter eine weitere Vernetzung angestoßen werden. Über einen Bundeskongress eines Netzwerks der Landesarbeitsgemeinschaften „Gemeinsam Leben Gemeinsam Lernen“ konnten Erfahrungen verbreitet und ausgetauscht werden. So fand sich die Verbindung zur bereits bestehenden WG in Reutlingen. Auch in Ludwigshafen entstand auf ähnliche Weise eine erste Vernetzung mit dieser und anderer WGs.

Was ich bis dann über Wohnen mit Behinderten wusste, war eigentlich das kleine Büchlein von dem Jo Jerg. "Kein Wunder" heißt das. [...] Und dieses Büchlein das hab ich dann auch bestellt. Ja, und dann haben wir angefangen zu gucken. Das ist eigentlich die Geburtsstunde von der Wohngemeinschaft. Also die Geburtsstunde vom Wohnen für die M. erst mal. Ja, und wenn man dann rumguckt, hat man gemerkt, gab es in Saarbrücken die I.B. mit (unv.), die auch gleichzeitig am Denken waren. Da gab es ja in Reutlingen schon eine Wohngemeinschaft, die dann schon ein paar Jahre funktionierte. Da gab es auch andere Modelle. Und wir haben einfach mal geguckt und haben angefangen mit einem Konzept. (Verein1, 4f.)

Hier gab es auch bereits Kontakte über die Zusammenarbeit der Landesarbeitsgemeinschaften auf Bundesebene und es wurden verschiedene Modelle für selbstbestimmtes Wohnen gefunden. Für die Konzeptarbeit war es demnach für beide WGs von enormen Vorteil Erfahrungen, bereits bestehender Wohnprojekte für das eigene Vorhaben zu nutzen. In mindestens einem Punkt wurde auch direkt zusammengearbeitet, indem verschiedene Möglichkeiten der Finanzierung durchgerechnet wurden (Verein1, 7). Dies war vor allem von Vorteil, da anscheinend andere Wohnformen skeptisch bis konkurrierend auf die Entwicklungen schauten:

Also die großen Einrichtungen, die werden nichts sagen. Die werden nicht sagen, was es kostet oder eine Unterstützung sein. Wir waren eine Bedrohung für alle anderen. Die waren (unv.) nicht bereit zu sagen, wir haben Leute oder. (Verein1, 7)

Über die anderen WGs hinaus gab es auch weitere Kooperationspartner*innen, die bei der Konzepterarbeitung eine wichtige Rolle gespielt haben. In Ludwigshafen gab es beispielsweise bereits einen gut funktionierenden Unterstützerkreis, der aus einer Zukunftsplanung für M. heraus entstanden ist und in welchem zusammen das Konzept geschrieben wurde (Verein1, 6). Des Weiteren spielte es für beide Wohnprojekte eine große Rolle mit Wohnungsbaugenossenschaften beziehungsweise Wohnungsverwaltungen eng zusammenzuarbeiten, da es für beide Vorhaben schwer war eine geeignete Wohnung oder Haus zu finden. So berichtete zum Beispiel Verein2 für Saarbrücken:

Es ist ja ganz schwierig barrierefreien Wohnraum zu finden, also auf jeden Fall in Saarbrücken ist das ein Riesen Thema. Das gibt es so gut wie nicht. Und wir hatten eine Option von der Saarbrücker Siedlungsgesellschaft, jaja toll, das machen wir. Und das Haus war eigentlich schon klar. Das war aber bewohnt, voll bewohnt. Das waren abgeschlossene Wohnungen. Zum Teil zwei kleine Wohnungen auf einer Etage und die haben ja schon Erfahrung. Und es war auch klar, das Haus muss sowieso total saniert werden. Also da war sowieso was zu tun. Und die Leute mussten sowieso auf jeden Fall für eine gewisse Zeit auch raus. (Verein2, 73)

Durch die Zusammenarbeit mit der Siedlungsgesellschaft ergab sich demnach die Möglichkeit, ein geeignetes Haus barrierefrei gestalten zu lassen. Allerdings verlief diese Kooperation eher schleppend, sodass eine weitere wichtige Unterstützung eingeschaltet wurde, die Presse. Durch die Vernetzung mit der Zeitung entstand mehr Aufmerksamkeit und dadurch auch Druck, um das Bauvorhaben schneller realisieren zu können. Die Strategie war dabei, dass die „Zeitung informiert [wurde], [und] die dann einen Artikel geschrieben [haben] darüber, wie toll diese Siedlungsgesellschaft uns unterstützt. Also das Gegenteil von dem, was war und was das für ein tolles Projekt jetzt ist“ (Verein2, 73). So wurde die Entstehung des Projektes bewusst medial begleitet. Auch in Ludwigshafen spielte die Presse stets eine wichtige Rolle, womit auch hier die Presse eine bedeutende Kooperationspartnerin wurde (Verein1, 9). Diese öffentlichkeitswirksame Zusammenarbeit wird bis heute immer wieder genutzt, um über die Projekte zu informieren und um auch in breiterer Öffentlichkeit über diese Form des Wohnens aufzuklären. Über die letzten Jahre hinweg entstanden verschiedene Zeitungs- Radio oder Fernsehberichte über beide WGs.[14] Durch solche Kooperationen mit der Presse oder anderen Anlaufstellen, wie beispielsweise der Parität, konnten Spenden akquiriert werden, durch die ein Großteil der Wohnungsausstattung finanziert wurde und wird:

Und da haben wir gesagt, ja, es wäre gut, wenn wir zur Parität gingen, wenn es dann mal Probleme gibt. Also es gibt ja immer so Probleme bei den Sachen. Und ja, da sind wir zur Parität gegangen. Da hatten wir da schon mal wieder eine Schiene von Infos. Und dann kam irgendwie, ach ja, Aktion Herzenssache, das ist so ein Kinderprojekt hier. Da kann man Spenden beantragen. Ich hab nichts zu verlieren gehabt, also ich hab das beantragt. Habe den Bonus gekriegt. (Verein1, 6)

Die Nutzung verschiedener Vernetzungs- und Kooperationsmöglichkeiten, aber auch die mediale Aufmerksamkeit führten dazu dass verschiedene Spendengelder für die Ausstattung genutzt werden können, die es ohne diese wohl nicht in diesem Umfang geben würde. Über diese eher praktisch orientierten Zusammenarbeiten hinaus sehen sich die Wohnprojekte auch als Teil eines weiterführenden Prozesses. Dies geschieht zum einen, wie bereits erwähnt, über die Kooperation mit verschiedenen Medien aber auch indem die Erfahrungen anderweitig weitergegeben werden:

Und ich denke, jedes Projekt – ich hab zum Beispiel dann irgendwann mal aus München, da gibt es auch so, den Rudi Sack getroffen, mit noch so Mitarbeiterinnen. [...] Ja, da gibt es immer so Austausch. Oder jetzt geh ich nach Marburg am 8., 9. Dezember, das sind die Heidelberger. Die wollen da – die wollen auch – also es gibt von allen Seiten viele Ideen. Aber was ich so schade finde, ist das von der Umsetzung, da erlebe ich eigentlich ganz wenig. Also die Heidelberger machen einen Index für Inklusion, Index Wohnen. […] Und in Marburg ist jetzt ein erster Austausch, wie weit es ist, was bis jetzt alles inventarisiert wurde. Und ich bin gefragt worden, ob ich eine Arbeitsgruppe mit mache. Ich nehme den D. mit, freue ich mich sehr darauf. Mal gucken, ob ich es durchhalte (lacht). Das kann auch anstrengend sein. Aber der hat gleich gesagt, er geht mit. Das finde ich schön. Also wir werden zusammen einen Arbeitskreis machen und im Februar treffen wir uns dann mit – da gibt es eine Tagung in München. Gleichzeitig geh ich nach Wien und die IGLUs können nach München. Da gibt es auch die Saarbrückener, die Reutlinger und die Münchner. Zwischentöne, Zwischenräume. Ja. (Verein1, 22)

Es zeigt sich gerade an dieser Textpassage, das Ludwigshafen (aber auch Saarbrücken) den Anspruch verfolgen, über die einzelnen Projekte hinaus Vernetzungen aufrechtzuerhalten und auch neue mit aufzubauen. Dabei werden die Bewohner*innen mit einbezogen. Es besteht demnach durchaus der Anspruch, die Erfahrungen in die Breite zu tragen, sodass durch verschiedene Formen der Zusammenarbeit (Tagungen, Arbeitskreise und ähnliches) auch andere an den bisherigen Erfolgen partizipieren können. Beide Wohnprojekte konnten bei der eigenen Entstehung von solchen Vorerfahrungen profitieren und geben diese so weiter. Dennoch bewahren sich WGs die Offenheit sich stets weiterentwickeln zu können und zu wollen. In diesem Rahmen wurden und werden Kooperationen in Form von wissenschaftlichen Begleitungen zugelassen und angestrebt:

Und ich denke, wir sind auch sehr gut vernetzt. Auch mit der Uni Heidelberg, Landau. Ich finde das auch ganz wichtig. Wir begleiten auch Masterstudenten. Ich profitiere davon als Verein, wenn jemand kommt und sagt okay, Sozialraumorientierung brauchen wir jetzt. Sag ich, finde ich wichtig, dass man mal guckt, einfach was ist hier im Viertel. Und Studenten sind begeistert davon und erschaffen einen Teil für mich, dann ist das auch eine Unterstützung für IGLU. (Verein1, 20)

Die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Universitäten wird also zum gegenseitigen Nutzen geführt. Auf der einen Seite können sich Studierende, wie auch an der vorliegenden Arbeit deutlich, zum Themenfeld „inklusives Wohnen“ notwendige Informationen einholen, einen Einblick in die Praxis gewinnen und vieles mehr. Auf der anderen Seite profitieren die WGs von diesen Begleitungen, indem in Abständen Reflexionen des Entwicklungsprozesses erfolgen können.

Die Austausch von Erfahrungen scheint auch für die Bewohner*innen wichtig zu sein, wobei bestimmte öffentliche Veranstaltungen teilweise auch als anstrengend empfunden werden. So formuliert Bewohner*in1 beispielsweise die mediale und wissenschaftliche Begleitung folgendermaßen:

Also ich muss sagen, ich find' das in Ordnung, wenn Leute kommen und sich informieren wollen, so wie ihr. Ich find' das sogar super, dass ihr da eine Masterarbeit drüber schreiben wollt. Mir ist es auch wichtig euch zu unterstützen, weil ich weiß, wie es ist, wenn man keine Informationen bekommt zu einem Thema. Diese ganze Preisverleihung und so, die find' ich teilweise schon nervig. Weil man dann immer sonst wo hinfahren muss und wieder Geld ausgeben muss, um da hinzukommen und irgendwelchen Leuten die Hand schütteln muss. Das find' ich irgendwann sehr sehr anstrengend. Aber jetzt so die Informationen weiter zu geben, vor Ort, das find' ich überhaupt nicht anstrengend. Find' ich sogar wichtig. Weil ich finde ein Ziel sollte es sein, dass es noch mehr Wohnformen wie diese hier gibt. (Bewohner*in1, 42f.)

Insgesamt zeigt sich demnach für beide Wohnprojekte, dass eine Vielzahl von Vernetzungen den Entstehungsprozess angestoßen, unterstützt und beschleunigt haben. Diese Zusammenarbeiten wirken aber auch weit über die Gründungen hinaus, wodurch die Prozesshaftigkeit der Projekte deutlich wird. Inzwischen ist auch bei beiden der Punkt erreicht, an dem auch andere Initiativen von den bisherigen Erfahrungen profitieren können. Die zentrale Rolle von Vernetzungen und Kooperationen zeigt, dass beide WGs auf dieser Ebene im Sinne des Konzeptes von Community Care und des Ansatzes der Sozialraumorientierung handeln. Im folgenden Text soll noch intensiver geschaut werden, inwieweit die Wohnprojekte den Ansatz der Sozialraumorientierung konkret umsetzen.

4.2 Sozialraumorientierung

Bereits im Theorieteil dieser Arbeit wurde erläutert welche zentrale Rolle dem Ansatz der Sozialraumorientierung für inklusives Wohnen zukommt (Kapitel „Leitideen inklusiven Lebens“). Aus diesem Grund wurde in den geführten Interviews ebenfalls darauf eingegangen, inwieweit sich die Wohnprojekte bereits ihren Sozialraum erschlossen haben. Zum Teil wurde bei den Antworten auch deutlich, ob sich die Bewohner*innen bereits als Teil der Gemeinde in der sie leben angenommen und unterstützt fühlen.

Beide Wohnprojekte sind zentral gelegen, was die jeweiligen Bewohner*innen auch in ihren Antworten bestätigen. So erläutert Bewohner*in1 beispielsweise für die WG in Ludwigshafen:

Ja, also es gibt hier den Ebert-Park, das ist ein großer Park. Fünf Minuten grad hinter den Häusern ist der, kann man hinlaufen. Und wenn man quer durchläuft, kommt man auf eine Straße, wo glaub ich vier oder fünf Supermärkte sind. Wenn man hier die Straße ein paar hundert Meter runter läuft, kommt ein Supermarkt. Also, hier ist es ziemlich zentral. Man ist auch in einer viertel Stunde in die Innenstadt gelaufen oder mit der Bahn in zehn Minuten gefahren (Bewohner*in1, 30)

Es befinden sich laut ihrer Aussage dementsprechende vielfältige Einkaufsmöglichkeiten in der direkten Umgebung der WG. Weiterhin liegt die WG in der Nähe der Innenstadt, welche durch die gute Verkehrsanbindung auch schnell erreicht werden kann. Sie berichtet auch weiterhin von einem Kontakt zu einem Nachbarn im Haus, der einen Rollstuhl nutzt und öfter mal in der WG oben zu Besuch ist (Bewohner*in1, 42). Und auf die Frage ob es auch gemeinsame Feste in der Nachbarschaft gibt antwortet sie folgendes:

Wir waren hier in Friesenheim, also hier im Stadtteil, gab es eine (unv.). Da waren wir zu sechst oder so hier aus der WG. Halt die, die da waren. Aber das ist dann eher so Zufall. Da war auch irgendein Ball, wo die alle waren. Das weiß ich gar nicht wie der hieß. Der Jahrhundertball. Aber von was der war, weiß ich jetzt nicht. (Bewohner*in1, 42)

Auch Bewohner*in2 meint, dass es gleich in der Nähe die Möglichkeit zum Einkaufen gibt und verweist auch noch auf die Fußnähe zur Bibliothek, zu welcher er selbstständig geht und in der er viel Zeit verbringt (Bewohner*in3, 46f.). Für die WG in Saarbrücken treffen die befragten Bewohner*innen ähnliche Aussagen. So berichtet Bewohner*in3 folgendes:

Mhh (bejahend). Es gibt hier direkt im Umfeld um zu Fuß hinzugehen. Aber halt für elf Leute ist schon ziemlich viel. Jetzt haben wir auch alle kein Auto, aber über den Verein sind wir angemeldet bei so einem Car-Sharing-Unternehmen und dann kann man sich so praktisch. Heute werde ich zum Beispiel das Auto halt mieten für Samstag. Zwei drei Stunden und dann kann man da einkaufen gehen. Da ist das alles total problemlos eigentlich. (Bewohner*in3, 90)

Er bezieht sich in seiner Aussage hauptsächlich auf die Einkaufsmöglichkeiten, welche fußläufig erreichbar sind, aber aufgrund der Menge mit einem Auto angefahren werden. Bewohner*in4 beschreibt, dass er seinen Freizeitaktivitäten, wie beispielsweise Schwimmen oder ins Kino gehen, nachgehen kann und dass er mit den öffentlichen Verkehrsmitteln alles gut erreichen kann (Bewohner*in3, 106-109). Auch die befragten Assistenzkräfte sind beide der Meinung, dass die jeweiligen Wohnprojekte zentral gelegen sind. Assitenz1 beschreibt dabei vor allem die günstig gelegenen Einkaufsmöglichkeiten (Assistenz1, 63) und in Saarbrücken bezieht die Fachkraft noch weitere Punkte mit ein:

Ja, das ist ja auch Teil des des Konzepts. Mitten im Leben. Nicht irgendwo an den Stadtrand, in ein Gewerbegebiet abgeschoben, wo man eine Stunde in die Stadt braucht, sondern wirklich mitten in der Stadt. Auch kurze Wege, für alles. Das ist ja hier eigentlich ideal. (unv. ) Bäcker, Kneipen, Park ist nicht weit, Basketballfeld hier vorne, ein Fußball da hinten. Also ist schon alles da. Die Location ist schon gut hier, auf jeden Fall. (Assistenz2, 123)

Er begründet die zentrale Lage der WG mit der konzeptionellen Gestaltung des Projektes und nennt dabei verschiedene Anlaufpunkte, die vor allem für die Freizeitgestaltung von Bedeutung sein können. Auch wenn er an dieser Stelle das Konzept mit einbringt, nennt er doch keine speziellen Partnerschaften innerhalb des umliegenden Sozialraums. Für Verein1 stand von Anbeginn des Projektes in Ludwigshafen fest, dass die WG zentral gelegen sein muss, alleine schon, der drohenden Vereinsamung der Menschen mit Behinderungserfahrung entgegenzuwirken. Außerdem betont sie, dass die WG auch attraktiv für die „jungen Leute“ sein soll und deshalb die Nähe zur Stadt und zu Universität unerlässlich für sie sei. (Verein1, 5f.) Sie beschreibt auch weiterhin, dass die Bewohner*innen durchaus die Möglichkeit haben in der Umgebung gemeinsamen Aktivitäten nachzugehen (Verein1, 14) und bezogen auf die Einbindung in das Viertel antwortet sie:

Ja, das ist natürlich eine Frage, wie man das sieht. Zum Beispiel jetzt haben wir so Spendenbriefe einen Haufen geschrieben und Bewohner*in2 hat sie rum verteilt und hat dann gesagt, da können wir noch hin oder da hin. Also die kleinen Händler, die kennen die WG oder kennen Leute aus der WG. Hier im Viertel wird es auch – also es gab so Architektur-Tage im Frühjahr, nee im Sommer war das, wo wir auch mitgenommen wurden von der LuWoGe, also da waren wir mitten drin, haben unsere WG geöffnet. Das sind alles Sachen, das ist schon so hier bekannt. […] Heute kommt zum Beispiel ein Fotograf, von der Wohnungsbaugesellschaft hier. Weil die gesagt haben, oh , wir haben noch keinen Artikel über IGLU in unserer Mieterzeitung. Aber das ist so, die Stadt Ludwigshafen (unv.) noch einen Artikel in der Zeitung. Alle was so mit Politik zu tun hat, war ziemlich schon hier in der WG. Also, da gibt es viele Anfragen, so dass wir dann irgendwann auch gesagt haben Stopp, weil es kommen Leute, die sagen dann, dürfen wir mal kommen und gucken. Ich sag, da gibt es nichts zu gucken, guckt euch die Website an. (Verein1, 20f.)

Sie beschreibt an dieser Stelle, dass es durchaus erste Ansätze zur Einbindung in den Sozialraum gibt und dass die WG inzwischen einen Bekanntheitsgrad erreicht hat. Für Saarbrücken antwortet Verein2, ob es einen Bezug zum Viertel gibt folgendes:

Nee. Nee. Also letztens war zum ersten Mal wurde die Nachbarschaft eingeladen. Es war Nachbarschaftsfest (3) das war so das erste Mal, dass da überhaupt - aber ansonsten mhh (verneinend). [...] Kooperationen das ist das was die Nina eben hat wir haben nur Kooperationen mit einem Sport und Boxklub wo die WG die ganze WG hat jederzeit hingehen kann. Die Geräte nutzen kann. Also das ist dann sowas. Aber das ist nicht im Viertel. Von daher habe ich gesagt also weil (2) ja diese Bezogenheit auf das direkte Umfeld das fehlt da. Das fehlt da. Und das ist auch bisher war eigentlich die WG immer sehr stark mit sich selbst beschäftigt. Und es ist auch alles schwierig. Also diese Dynamik die da immer wieder entsteht - also die da entstand - im Moment ist das ja einfach nicht so - und dann eine gute Waage hinzukriegen zwischen einzugreifen und trotzdem nicht fremdzubestimmen also das ist überhaupt nicht einfach. (Verein2, 82f.)

Sie nennt zwei konkrete Beispiele, sieht aber durchaus den Mangel, den das Wohnprojekt momentan noch hinsichtlich einer Sozialraumorientierung aufweist. Dabei geht sie auch auf die schwierige Rolle des Trägers in dieser Hinsicht ein und es durchaus eine Herausforderung darstellt einzugreifen und trotzdem nicht fremdzubestimmen. Dass die Einbindung in das umliegende Viertel ihrer Meinung nach noch nicht gelungen ist, untermauert Sie im Hinblick auf die WG noch mit einem persönlichen Beispiel, bei dem Ihr Sohn direkt an der Straßenecke eine Panikattacke bekam und von den umgebenen Leuten der Krankenwagen gerufen wurde, ohne das im Nachhinein die WG davon erfuhr. Ihrer Ansicht nach zeigt sich an diesem Beispiel, dass noch nicht von einem inklusiven Sozialraum die Rede sein kann:

Mal ein Beispiel. Y. hatte (2) - wie lange ist das denn jetzt her - letztes Jahr – so ein Jahr lang etwa, und das nach drei Jahren, das Problem, dass er manchmal gegangen ist. Also er ist (3) einmal wo wir abends zurückgekommen sind – wo wir auch in Düsseldorf waren sind abends zurückgekommen. Y. ist dann ins Bett gegangen und dann ist er nochmal aufgestanden. Hat sich angezogen und ist raus. Ist vorne bis zur Ecke gegangen. Und vorne ist ja eine Kneipe. (2) Das war so Mai. Und das war der erste laue Abend und da stehen einfach alle Leute vor der Kneipe. Und dann hat Y. sich auf die andere Seite auch hingestellt und durch irgendwas ist er in Panik geraten. Und hat auch - der wusste auch nicht dass er auf der anderen Seite wohnt. Obwohl der Y. eine unheimlich gute Orientierung hat, aber ich weiß nicht, was da passiert ist. Jedenfalls hat er dann - dann kann es sein, dass er anfängt zu hyperventilieren oder so. Und da haben die Leute den Krankenwagen gerufen. Y. ist ins Krankenhaus gekommen. Am nächsten Morgen um Viertel vor sechs ist der vom Team in sein Zimmer gekommen, das Bett war leer. Das Bett war leer. Niemand wusste wo Y. ist. Und irgendwann hat man dann halt festgestellt, er ist im Krankenhaus. Es war gar nichts. Er war gesund. Da war nichts. Das war eine Situation, wo er Angst hatte. Und das ist zum Beispiel was wo ich denke, also wenn er noch nicht mal bis zur Ecke gehen und Leute klarkommen mit einem bestimmten Verhalten. Also auch in einer Kneipe, wo ja nicht jeden Tag jemand anderes arbeitet, sondern ja auch ein festes Personal ist. Und niemand weiß, aja da: genau da wohnt die WG und da wohnen auch Leute, die bestimmte Probleme haben und vielleicht anders reagieren als andere. Und damit nicht klarkommen. Also das ist zum Beispiel was wo ich denke - wenn so etwas halt so überhaupt nicht ist. (Verein2, 84)

Insgesamt betrachtet versuchen beide Wohnprojekte die Möglichkeiten der Teilhabe der Bewohner*innen zu erhöhen im Sinne der Sozialraumorientierung. So wurde bereits in der konzeptionellen Planung die zentrale Lage mitten in der Stadt als Voraussetzung gesehen. Bei allen Beteiligten wird auch durchaus die zentrale Lage gesehen. Aber in beiden Projekten, wird eine bessere Einbindung in den umliegenden Sozialraum noch als wichtige Herausforderung für die Zukunft begriffen. Es wird Sozialraumorientierung auch nicht nur auf eine geographisch-territoriale Komponente bezogen. Insbesondere die Vertreterinnen der Vereine sehen noch großen Bedarf hinsichtlich der Einbindung in die Nachbarschaft unabhängig von der bloßen Nähe zum nächsten Supermarkt. Seit dem Bestehen der Wohngemeinschaften wurden allerdings auch schon verschiedene Versuche gestartet die dem Ansatz der Sozialraumorientierung entsprechen. So gibt es Kontakte zu Nachbar*innen und in Saarbrücken sogar bereits ein Nachbarschaftsfest. Besonders das Beispiel von Bewohner*in2 zeigt, dass die Einbindung in das Viertel im Entstehen ist. Er macht durch das Verteilen von Spendenbriefen nicht nur auf die WG aufmerksam, sondern erreicht, dass verschiedene Nachbar*innen in Form von Spenden das Projekt und damit auch die Bewohner*innen unterstützen. Weiterhin öffnen die Bewohner*innen in Ludwigshafen ihre Türen, um Einblicke in ihre WG zu ermöglichen. Durch solche Maßnahmen kann im Kleinen erreicht werden, dass die Gemeinschaft im Viertel zusammenwächst. Dies entspricht daher dem Prinzip einer solidarischen Gemeinschaft, wie sie Seifert (2009, 164) beschreibt. Wie im vorherigen Text beschrieben werden auch entlokalisiert verschiedene Vernetzungen und Kooperationen angestrebt und genutzt. Bezogen auf die einzelnen Bewohner*innen kann festgehalten werden, dass sie sich durchaus ihren eigenen Sozialraum erschließen und verschiedene Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung nutzen. Dabei scheint auch im Sinne des Ansatzes der Sozialraumorientierung der Wille des Adressaten im Fokus zu stehen und nicht die Vorstellungen der Träger. Verein2 macht diesbezüglich auf die Schwierigkeit aufmerksam, eine Einbindung in das Viertel zu unterstützen, aber dabei nicht fremdbestimmt einzugreifen. In beiden Projekten sind unter anderem die hauptamtlichen Kräfte dafür zuständig auf ein Angebot an Möglichkeiten aufmerksam zu machen. In Saarbrücken gibt es diesbezüglich beispielsweise eine Partnerschaft mit einem Sportverein und in Ludwigshafen hängt in der WG ein Angebotsplan für die Bewohner*innen aus. Es werden allerdings auch informelle Unterstützungsressourcen genutzt, wie beispielsweise das Internet oder Informationsaustausch via WhatsApp. Dies kann, wie in Bezug auf den Ansatz der Sozialraumorientierung beschrieben (Kapitel „Leitideen inklusiven Lebens“) zur Entprofessionalisierung beitragen, was jedoch die professionelle Betreuung durch die hauptamtlichen Kräfte nicht gänzlich ersetzt. Bedenkt man weiterhin, dass sich die Bewohner*innen, im Gegensatz zu stationären Unterbringungsmöglichkeiten, für oder gegen diese WGs entscheiden können, liegt darin bereits eine Möglichkeit der Bewohner*innen sich selbst ihren Sozialraum auszusuchen.

4.3 Selbstbestimmung

Die Möglichkeit zur Selbstbestimmung wird in allen geführten Interviews thematisiert und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Der Einzug in die Wohngemeinschaft erfolgte bei allen Befragten sofern erkennbar auf freiwilliger Basis. So beschreibt Verein2, dass ihr Sohn das Elternhaus zunächst nicht hätte verlassen wollen, er sich aber nachdem er die anderen Bewohner*innen kennengelernt hatte anders entschieden habe:

Und es war dann auch so, dass das erste Wochenende wo der Y - mein Sohn - dann mitgefahren ist und als er dann zurück kam, hat er gesagt, jap mit denen will ich zusammenziehen. Das war so das Aha-Erlebnis. Weil für ihn - der konnte sich das nicht vorstellen. Also sein Bruder ist jünger als er. Er hat halt kein Vorbild gehabt von jemand der ausgezogen ist und dann die große Freiheit hatte. Das war direkt sein Impuls. Das hat er direkt gesehen. Und das ist ja auch gut so und darum geht es ja auch. (Verein2, 75)

Verein1 erzählt wiederum von einer jungen Frau mit Down-Syndrom, die sich dagegen entschieden hatte in die WG einzuziehen, obwohl ihre Eltern wollten (10). Andersherum kommt es auch vor, dass Bewerber*innen von den der WG abgelehnt werden. Dabei macht es keinen Unterschied, ob sie Behinderungserfahrung haben oder nicht. Die Entscheidung, wer in die Wohngemeinschaft einzieht, treffen die Bewohner*innen selbst. Verein1 berichtet, dass das vor allem bei stationären Einrichtungen, die den Entstehungsprozess der WG mitverfolgt hatten für großes Aufsehen gesorgt hätte.

So, dann haben wir das gehabt und dann gab es einen großen Aufschrei. Das kann nicht sein, dass die Bewohner sagen, wer hier wohnt oder nicht wohnt. Und da haben wir gesagt, doch, das ist genau ein ganz wesentlicher Punkt von unserem Konzept. (Verein1, 9f.)

Die Bewohner*innen beider Wohngemeinschaften gehen unterschiedlichen Beschäftigungen nach. Während ein Teil studiert, sind andere berufstätig - eine Bewohnerin der Ludwigshafener WG sogar im Schichtdienst. Die Befragte des Vereins der WG IGLU betont die Vielfalt der Arbeitsfelder auch in der Gruppe der Bewohner*innen mit Unterstützungsbedarf und merkt an, dass sie eben nicht einfach alle in die selbe Werkstatt gehen.

Und was interessant ist, ist dass die vier Personen - also eine schwerstmehrfachbehinderte Frau, einer der in der Werkstatt, aber im Weinbau, selber dahin geht nach Bad Dürkheim. Einer auf dem ersten Arbeitsmarkt, 50 Prozent. Und einer in der normalen Werkstatt. Also wir haben eigentlich alles mögliche in unserem IGLU drin an behinderten Menschen. Und das fand ich immer auch das Spannende. (Verein1, 10)

Die Unterschiedlichkeiten in den Berufen und Tätigkeiten ergeben auch einen unterschiedlichen Tagesrhythmus der Bewohner*innen. Selbstbestimmung lässt sich neben der Möglichkeit seinen Arbeitsplatz zu wählen auch darin finden, den Tag nach persönlichen Vorstellungen zu strukturieren und individuellen Bedürfnissen nachzugehen. Eine der befragten Assistenzkräfte sieht hinsichtlich der Bewohner*innen mit Behinderungserfahrung gerade darin auch die inklusiven Potentiale der Wohngemeinschaft:

Dass es nicht so alles so getaktet und geregelt ist wie in einem Wohnheim. (.) Ja, dass sie entscheiden können, ich möchte jetzt vielleicht erst um elf Uhr heute frühstücken und nicht weil es Samstags um neun Frühstück gibt, um neun (.) dass da jeder seine Freiräume hat. Dass ist für mich auch irgendwo da in dem Zusammenhang die Inklusion, weil das gerade für die mit Unterstützungsbedarf nicht so normal ist wie für uns vielleicht. Dass jeder machen kann, wo er jetzt vielleicht gerade Lust drauf hat. Ja und dass natürlich einfach schon so diese Unterstützung auch da ist so untereinander. (Assistenz1, 71)

Damit alle Bewohner*innen ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können, sind in beiden Wohngemeinschaften Unterstützungssysteme verankert. Die Struktur dieser Systeme unterscheidet sich jedoch: In Ludwigshafen benötigt vor allem eine der Bewohner*innen eine umfassende Unterstützung, die ihr durch eine persönliche Assistenz gewährleistet wird. Auf diese Weise ist ihr die individuelle Gestaltung ihres Tagesablaufs möglich. Des Weiteren ist unter der Woche eine hauptamtliche Kraft vor Ort, die zum einen für organisatorische Dinge zuständig ist, zum anderen aber auch die Bewohner*innen mit Behinderungserfahrung unterstützt. Außer M., die von ihrer Assistenz begleitet wird, sind jedoch alle weitestgehend selbstständig.

In Saarbrücken erfolgt die Unterstützung von Bewohner*innen mit Behinderungserfahrung über zwei hauptamtliche Assistenzkräfte (eine männliche und eine weibliche), die nicht individuell einer bestimmten Person zugeordnet sind, sondern die Begleitung für alle übernehmen. Die jeweilige Assistenz übernimmt neben der Pflege alle Aufgaben, die nicht von den Bewohner*innen ohne Unterstützungsbedarf, in dem Falle den Studierenden, geleistet werden können.

Die Einbindung der Bewohner*innen in festgelegte WG-Strukturen unterscheidet sich in den Wohngemeinschaften ebenfalls. In Saarbrücken regelt ein Dienstplan sämtliche Aufgaben des WG-Lebens. Dazu gehört das Putzen der Räumlichkeiten und das Säubern des Kühlschranks genauso wie der Großeinkauf am Wochenende und das abendliche Kochen für die ganze Wohngemeinschaft, denn das Abendbrot nehmen dort alle gemeinsam ein. Über die Pflichten im Haushalt hinaus regelt der Dienstplan auch wer für die Nachtbereitschaft und den Früh- oder Nachmittagsdienst sowie den Wochenenddienst eingeteilt ist, denn zu den Aufgaben der Studierenden gehört es ebenso ihre Mitbewohner*innen mit Unterstützungsbedarf in ihrem Alltag zu unterstützen. Dazu zählt es beispielsweise das Frühstück zu bereiten oder sie nach der Arbeit zu Hause in Empfang zu nehmen. So übernehmen alle Bewohner*innen ohne Unterstützungsbedarf einen Tag in der Woche sowie aller sechs Wochen ein Wochenende, an dem sie für diese Aufgaben zuständig sind. In Ludwigshafen erfolgt diese Regelung etwas anders. Die einzigen per Dienstplan festgesetzten Aufgaben sind Nachtbereitschaften für M. und drei Stunden Präsenzzeit am Wochenende. Alle Pflichten des Haushalts regelt die Wohngemeinschaft intern, zum Beispiel über Putzpläne. Anders als die Saarbrückener WG kümmern sich in Ludwigshafen alle Bewohner*innen selbst um ihre Einkäufe. Jede*r hat dafür ein eigenes Regalfach und einen Platz im Kühlschrank. Eine feststehende gemeinsame Essenszeit gibt es nicht. Bewohner*in1 meint, dass dazu jede*r einfach viel zu unterschiedlich arbeite. Wenn sie Lust und Zeit hätten, träfen sie sich jedoch sehr gerne zum Kochen (Bewohner*in1, 29).

Prinzipiell ist es in beiden Wohngemeinschaften allen Bewohner*innen möglich die Wohnung zu verlassen, wenn sie es möchten. So führen sie ihre eigenen Leben und gestalten je nach ihren Vorlieben ihre Freizeit. Dazu gehört zum Beispiel der wöchentlich Besuch der Bücherei, das Treffen von Freunden, der Besuch von Festivals, Basketball, Schwimmen, ins Kino oder in die Kneipe gehen, Fußball gucken oder Fahrrad fahren. Assistenz2 der Saarbrückener WG weist jedoch auch auf die Gratwanderung von Möglichkeiten und Grenzen der selbstbestimmten Freizeitgestaltung hin:

Ja, wir haben ja bei den Bewohnern mit Unterstützungsbedarf auch schon körperliche Grenzen, die sich da stellen. Zum Beispiel, es gibt ja Bewohner mit Unterstützungsbedarf, die nicht alleine aus dem Haus können. Bewohner*in4, der eben hier war, kann alleine aus dem Haus, der kann rausgehen, wann immer er will. Er möge uns halt nur kurz Bescheid sagen, Ich geh kurz raus, reicht. Er muss gar nicht sagen, wohin. Der sagt, ich geh raus, bin zum Abendessen wieder da. So nach dem Motto. Da sagen wir, ist in Ordnung. Ansonsten sehen wir uns als Assistent der Menschen mit Unterstützungsbedarf und wir haben zunächst mal ohne das groß in Frage zu stellen, die bei ihren Vorhaben zu unterstützen. Also, zum Beispiel jemand, der mit dem Rollstuhl nach draußen gebracht werden muss sagt, ich möchte raus, möchte jetzt in die Kneipe Fußball gucken, dann wird einfach ein Weg gefunden, das zu ermöglichen. Also, jemand sagt, ich möchte, und wir gucken, wie wir es möglich machen. Wenn da eine größere Organisation dafür erforderlich ist. (Verein2, 122)

In diesem Sinne sind die Assistenten dazu da, die Bewohner*innen mit Unterstützungsbedarf

bei ihren Vorhaben zu unterstützen und Freizeitvorhaben zu ermöglichen. Allerdings liegt hier auch eine gewisse Gebundenheit an die personellen Ressourcen vor. So kommt es auch manchmal vor, dass Pläne nicht in die Tat umgesetzt werden können.

Ja, aber es kann natürlich auch sein, dass einfach personell nicht genug Unterstützungsmöglichkeiten da sind, dass sich die WG so in sieben verschiedene Richtungen zerstreut und nicht sieben Assistenten da sein können, um all diese Richtungen zu unterstützen. Zum Beispiel. Das kann schon mal sein. Weil es gibt schon – ja, drei von unseren fünf mit Unterstützungsbedarf müssen eigentlich begleitet werden und können nicht alleine rausgehen. (Assistenz2, 122)

Assistenz2 sieht Unterstützungsbedarf auch dort, wo manche der Bewohner*innen ihre persönlichen Ressourcen unrealistisch einschätzen - sei es bei der Koordination von Terminen oder den eigenen anatomischen Bedingungen.

Es können immer organisatorische Gründe dagegen sprechen. Dass, ja, irgendein Termin ist, wo es nicht geht. Es kann dann natürlich eine Aktivität sein, die nicht möglich ist für ihn. Dass man sich irgendwas vornimmt, aber nicht bedacht hat, dass anatomisch irgendwas dagegen spricht zum Beispiel. Das kommt schon mal vor. Aber sonst. Es gibt auch Menschen, die sich fünfmal verabreden, zur gleichen Zeit. Auch das ist ein Unterstützungsbedarf, wo wir eingreifen müssen und sagen müssen, Vorsicht, jetzt nicht noch jemand anrufen und für heute Abend verabreden. Du hast schon drei. Sowas kommt vor. (Assintenz2, 122)

Einige Regelungen werden auch von den Eltern getroffen, zum Beispiel bezüglich der Gabe von Medikamenten oder auch was den Alkoholgenuss ihrer Söhne und Töchter angeht (Assistenz2, 117).

In Ludwigshafen gestaltet sich die Freizeitsituation ein wenig anders. Die meisten der Bewohner*innen sind prinzipiell in der Lage die Wohnung selbstständig zu verlassen und ihren Freizeitaktivitäten nachzugehen. M. erfährt dazu jederzeit die Unterstützung ihrer persönlichen Assistenz. Auch wenn sie nicht über eine verbale Sprache verfügt, mache sie ihre Bedürfnisse sehr deutlich, so Bewohner*in1. Wenn man M. lang genug kenne, könne man auch gut erkennen, was sie sich wünscht (Bewohner*in1, 36). Bewohner*in1 verweist jedoch auch auf interne Faktoren, die die Selbstbestimmungsfähigkeit Einzelner mindern. So beschreibt sie die Schwierigkeit mancher Mitbewohner mit Behinderungserfahrung, ihre Freizeit auch tatsächlich als solche zu nutzen.

Das ist halt schwierig, die haben nicht so viel Freizeit. Also, die wissen nichts in ihrer Freizeit mit sich anzufangen. Die haben keine Vereine, kaum Freunde. D. ist hier her gezogen und hatte gar keine Freunde. (...) ich glaub Bewohner*in2 hat das nie gelernt von zu Hause und er ist schon 49. Das ist einfach – der geht in die Bücherei, das ist so sein Hobby. Aber das ist halt irgendwie einmal die Woche eine halbe Stunde, ansonsten hat er halt einfach keine wirklichen Hobbys.“ (Bewohner*in1, 37f.)

In beiden Wohngemeinschaften erfolgt Hilfe bei der Freizeitgestaltung, wenn Unterstützungsbedarf besteht, nicht ausschließlich über die Assistenten. Die Bewohner*innen unternehmen Dinge auch gemeinsam als WG und sind auf externe Begleitung nicht angewiesen. Bewohner*in2 erzählt, dass er, wenn er Unterstützung bei einem Freizeitvorhaben benötigt, seine Mitbewohner*innen um Hilfe bittet (Bewohner*in2, 52f.). Laut Bewohner*in3 werden viele Freizeitvorhaben in die Tat umgesetzt. Es komme jedoch auch vor, dass niemand Lust oder Zeit für beziehungsweise auf eine bestimmte Unternehmung hat, sodass Pläne scheitern.

Das geht - also es klappt fast immer. Es gibt natürlich so Sachen wie Fa. Der will immer Fußball schauen gehen. Ich mein' dann sagt man auch irgendwann zu ihm, Fa. Alter, ich hab jetzt keinen Bock mit dir - oder noch schlimmer sind diese Handballsachen. Der schaut dann immer Handball von TV Homburg hier aus der Nähe. Wenn dann halt irgendwann mal keiner Bock hat mit ihm nach Homburg zu fahren um den Handballverein zu gucken, dann muss er halt auch mal damit auskommen, dass es niemand macht. Aber das ist ja wie (2) normal. Wenn ich jeden Tag ins Museum gehen will, dann kommt auch irgendwann keiner mehr mit. Aber sonst so große Aktionen die klappen hier erstaunlich gut. Ich war auch schon mit Fa. beim FC Bayern Fußballspiel schauen und mit Bewohner*in4 mal einen Tag in Köln einen alten Mitbewohner besuchen. Das muss man natürlich ein bisschen planen, aber das klappt eigentlich super gut. (Bewohner*in3, 91f.)

Alle befragten Bewohner*innen geben an, in der WG prinzipiell selbstbestimmt leben und ihre Freizeit nach ihren Wünschen gestalten zu können. Dazu antwortet Bewohner*in2 der Ludwigshafener WG auf die Frage, ob er immer alles machen könne, was er wolle: „Ja, kann ich immer machen natürlich“ (Bewohner*in2, 52). Und auch seine Mitbewohnerin meint: „Ja, auf jeden Fall. Dadurch, dass wir ja kein festes Programm haben, wo jeder da sein muss, hat jeder seine Freizeit hier. Auf jeden Fall“ (Bewohner*in1, 37). Die Verpflichtung für die Nachtbereitschaft beschreibt sie als unproblematisch. Wenn es zu terminlichen Konflikten kommt, kann immer jemand aus der WG für ein oder zwei Stunden einspringen (Bewohner*in1, 30). Allerdings berichtet sie auch, dass sie schon öfter Freizeitaktivitäten abgesagt hat, weil sie zum Nachtdienst eingeteilt war.

Ja klar, also ich hab schon öfters mal das Training abgesagt, weil Nachtdienst war und keiner da war und ich dann auch beschlossen hab, es tut auch ganz gut mal zu Hause zu sein, weil ich sehr viel unterwegs bin. Aber das sind freiwillige Entscheidungen. Das ist ein Geben und Nehmen unter Freunden, sag ich mal. (Bewohner*in1, 37)

Bewohner*in3 aus der Saarbrückener Wohngemeinschaft führt diesbezüglich an, dass man durch die Dienste auch ein Stück seiner Freiheit aufgebe. Manchmal fühle er sich dadurch eingeschränkt:

Also ja schon. Also ich reise halt total gerne und im Moment spare ich halt auf ein Motorrad um nochmal hier in Europa groß reisen zu können. Ich war vorher in Neuseeland. Und da ist mir schon klar, dass das halt - das geht hier halt nicht so einfach, dass ich jetzt einfach mal sage, ich fahre jetzt in Semesterferien - ich habe jetzt sechs Wochen frei, ich fahre jetzt los. Da muss man halt vorher immer alles absprechen. Man gibt schon Freiheit auf. Man muss halt schon viel planen. Aber im Moment geht das halt - macht mir nicht soviel aus. Und es geht auch oft, dass man sagt, ich hätte jetzt gerne zwei Wochen frei. Können, wir nicht den einen Dienst irgendwie tauschen? Wenn man es geschickt macht geht es. Aber man schränkt sich schon ein. (...) (Bewohner*in3, 100)

Die oben aufgeführten Ergebnisse zeigen, dass in beiden WGs Formen der Selbstbestimmung beschrieben wurden. Als grundlegend kann dafür gesehen werden, dass der Einzug in die WG freiwillig, also eine selbstbestimmte Entscheidung war. Es werden von allen Befragten vielfältige Möglichkeiten zur Entfaltung der eigenen Persönlichkeit beschrieben. Dazu zählt insbesondere die individuelle Strukturierung des Tagesablaufs, die Möglichkeit eigenen Interessen nachzugehen, die Möglichkeit die Wohnung nach eigenem Wunsch zu verlassen und Entscheidungen selbst treffen zu können. Besteht in einem dieser Punkte Unterstützungsbedarf, wird dieser durch die Mitbewohner*innen und Assistenzkräfte gewährleistet. Es kann also grundlegend das Zugeständnis eines selbstbestimmten Lebens für alle Bewohner*innen angenommen werden. Die Selbstbestimmungsfähigkeit der einzelnen Personen kann jedoch auch durch verschiedene Faktoren gemindert werden. So können personelle und organisatorische Gründe die Umsetzung eines Plans verhindern, aber auch Interessenkonflikte unter den Bewohner*innen und intrinsische Umsetzungsbarrieren. Die Ergebnisse zeigen, dass Einschränkungen der Selbstbestimmung in beiden Wohngemeinschaften und sowohl bei den Bewohner*innen mit als auch ohne Unterstützungsbedarf berichtet werden. Diese Einschränkungen müssen jedoch auch vor dem sozialen Kontext betrachtet werde. Oftmals ergeben sie sich aus dem Zusammenleben innerhalb einer größeren Gemeinschaft und sind nicht in erster Linie auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zurückzuführen. So wurde auch bereits in der Theorie beschrieben, dass aus einer anthropologischen Perspektive immer eine gewisse Abhängigkeit zu anderen Menschen besteht und in einem sozialen Gefüge die ‘totale‘ Selbstbestimmung nicht existieren kann. Die Festlegung an äußere Strukturen, wie Diensten, zeigt sich in Saarbrücken größer als in Ludwigshafen. Daraus ergibt sich für die Bewohner*innen der Saarbrückener WG ein höheres Maß an Beeinträchtigung der persönlichen Selbstbestimmung und für die Bewohner*innen von IGLU ein größeres Maß an Freiheit bei der Gestaltung ihres Tagesablaufs. Allerdings geben die Befragten beider WGs an sich mit eventuellen Einschränkungen gut arrangieren zu können. Der höhere Bedarf nach Regeln und Strukturen in Saarbrücken kann darin begründet liegen, dass der Unterstützungsbedarf der Bewohner*innen mit Behinderungserfahrung in Saarbrücken deutlich höher ist als in Ludwigshafen. Zudem erfolgt in IGLU die Assistenz auf persönlicher Basis, was die Notwendigkeit der Einbindung der anderen WG-Bewohner*innen schmälert.

4.4 Partizipation

Partizipation beziehungsweise Teilhabe wird in der Theorie dadurch definiert, dass ein Individuum in der Gesellschaft Einfluss auf Aktivitäten, Bereiche und Entwicklungen nehmen kann. Das geschieht durch aktive Beteiligung, kollaborative Mitwirkung, Anhörung und Mitbestimmung. In den untersuchten Wohngemeinschaften werden verschiedene Aspekte zum Thema Teilhabe beschrieben. Die zentralen Inhalte beziehen sich auf Aussagen bezüglich des Treffens von Entscheidung, der Einbeziehung von Bewohner*innen mit Behinderungserfahrung, insbesondere von nicht-sprechenden Bewohner*innen sowie der Teilhabe am WG-Leben im Allgemeinen.

Entscheidungen werden in beiden Wohngemeinschaften laut einheitlicher Aussage von allen Bewohner*innen gemeinschaftlich getroffen. Dazu kommt die WG zu regelmäßigen Sitzungen zusammen, die in Saarbrücken im wöchentlichen und in Ludwigshafen im monatlichen Turnus stattfinden.

Wir haben jetzt einmal die Woche WG-Sitzung seit Neuestem. Also wir hatten letztens vor ein paar Wochen mal so einen Seminar Workshop am Wochenende. Und da haben wir auch festgehalten, dass wir jetzt wöchentlich so eine WG-Sitzung machen, damit man halt Probleme direkt ansprechen kann und nicht alle vier Wochen erst. Damit sich das nicht aufstaut und so. Und da werden dann halt Entscheidungen getroffen, macht man Vorschläge und dann ist das schon so eine Mehrheitssache. (Bewohner*in3, 93)

Bewohner*in1 berichtet, dass in den WG-Sitzungen „alles auf den Tisch gepackt (wird), was Themen sind“ (Bewohner*in1, 35). In erster Linie ginge es darum, Organisatorisches zu klären. Dazu gehöre zum Beispiel das Besprechen von Terminen oder die Entscheidung über neue Mitbewohner*innen. Die WG-Sitzung kann somit in beiden Wohngemeinschaften als wichtiges Instrument zur Gewährleistung von Teilhabe für alle Bewohner*innen gelten. Die Auswahl neuer Mitbewohner*innen stelle eine wichtige Entscheidung im WG-Leben dar, so Verein2 (79). Beide befragten Vereinsmitglieder stellen klar, dass die Auswahl neuer Bewohner*innen in den Händen der WGs läge.

Aber die Bewohner bestimmen. Die lassen die kommen und wenn nicht jeder sagt, das ist gut, dann geht es nicht. Auch bei den Behinderten, das muss man auch sagen.(Verein1, 11)

Verein2 der Saarbrückener WG räumt allerdings ein, dass der Verein auch ein Auge auf diesen Auswahlprozess habe und im Notfall auch eingreife.

Also zum Beispiel eine ganz wichtige Entscheidung ist ja wer zieht ein. Diese Entscheidung trifft die WG zunächst. Und wir gucken uns das auch nochmal an und letztens ist es passiert, dass ich gesagt habe NEIN. Das ist überhaupt das allererste Mal passiert. Und da waren einige ganz froh dass ich gesagt habenein weil die sagten,nee das wäre auch nicht gegangen [...]Also so Sachen so punktuell sagen wir dann ja oder nein oder jetzt machen wir da eine Ansage. Aber im Prinzip versuchen wir diese Privatsphäre und auch das zu respektieren. Also das ist ganz, ganz wichtig. (Verein2, 79f.)

Wie beschrieben wird der Auswahlprozess von den Bewohner*innen weitgehend selbst gestaltet. Die Suche findet über reguläre Portale im Internet statt. Nachdem sich die Bewerber*innen vorgestellt haben, kommt die ganze WG zusammen, um sich über die Eindrücke auszutauschen. In Saarbrücken bleiben alle in Frage kommenden Bewerbe*innen zunächst nur für eine Woche zum Probewohnen.

Die Entscheidung, wer letztendlich einziehen darf erfolgt in beiden Wohngemeinschaften über einen Mehrheitsentscheid. Bewohner*in3 meint, dass allerdings auch Rücksicht genommen wird, wenn jemand gar nicht einverstanden ist. Das würde allerdings eher informell gestaltet und wäre nicht mehr wie früher an ein ‘Veto-Recht‘ gebunden.

Das ist dann eigentlich schon Mehrheitsentscheid. Also wir sitzen dann zusammen und sagen halt alle oja, wir fanden den cool oder nicht. Und das ist aber nicht - wenn jetzt einer sagt, ich komme damit überhaupt nicht klar, dann hatten wir mal so was wie ein Veto - aber das war dann auch - da haben wir auch gemerkt, das ist nichts. Und jetzt ist es halt so, wir als Gruppe sind eh so nah zusammen, eigentlich wie so eine kleine Familie würde ich fast sagen. Dass es jetzt so ist, wenn jetzt jemand sagt, oh mit dem kann ich echt gar nicht, aus dem und dem Grund, dann würde man halt sagen, okay dann schauen wir mal, ob wir nicht noch jemand Anderes finden. Das ist zwar immer ein bisschen Arbeit, aber das haben wir auch schon gemacht. Wenn da jemand sagt, das kann ich mir gar nicht vorstellen, dann suchen wir halt weiter. (Bewohner*in3, 93)

Die Regelung der Ludwigshafener WG unterscheidet sich diesbezüglich ein wenig. Dort wird den Bewohnern*innen mit Unterstützungsbedarf mehr Stimmgewalt zugestanden als den anderen. Begründet wird dies durch ihre längere Verweildauer in der WG. Bewohner*in1 berichtet jedoch, dass dies seit sie in der WG wohne noch nicht zum Tragen gekommen sei, da bislang immer Einigkeit bestanden hätte (Bewohner*in1, 33). Verein1 beschreibt zudem für IGLU die Regelung, dass nur potentielle Bewohner*innen mit Behinderungserfahrung ein Probewohnen durchlaufen müssen.

Da haben wir so eine Art Probewohnen. Weil wir gesagt haben, es kann nicht sein, dass wenn so ein Mensch wie die M. kommt, tät jeder sagen, nee, die wollen wir nicht (lacht). (Verein1, 11)

Sie ordnet diese Sonderregelung nicht im Sinne eines Erschwernis für Menschen mit Unterstützungsbedarf ein, sondern sieht es eher als Chance im Sinne eines Nachteilsausgleichs, insbesondere bei komplexen Beeinträchtigungen. Vor diesem Hintergrund lässt sich das Probewohnen als weiteres Instrumentarium für die Gewährleistung von Einbeziehung und Teilhabe aller Bewohner*innen deuten. In Bezug auf sprachliche Barrieren berichtet Bewohner*in1, dass M. hier von ihrer persönlichen Assistenz vertreten wird.

Das erfolgt über die Assistenz. Wenn man die M. länger kennt, also auch die Bewohner mittlerweile, kann man schon sehen, was M. sich wünscht. Also sie macht ganz arg deutlich, was sie möchte. Aber dazu muss man sie länger kennen. Und dadurch können wir das einfach – die Assistenz kann es wiedergeben beziehungsweise manche Bewohner sehen es auch selbst. (unv.) merkt, M. möchte jetzt aufstehen, M. möchte sich hinsetzen, M. möchte Ruhe haben. Wobei M. eigentlich eher der kommunikative Typ ist eigentlich, der unter Menschen sein möchte und das auch richtig genießt, wenn sie bei uns ist. (Bewohner*in1, 36)

Auf diese Weise kann auch für eine nicht-sprechende Bewohner*in eine Teilhabe am WG-Leben gewährleistet werden.

Auch in der Saabrückener Wohngemeinschaft leben Menschen mit Schwierigkeiten im Bereich der verbalen Kommunikation. Die Bewohner*innen versuchen sie durch gezielte Fragen in Kommunikationsprozesse mit einzubeziehen.

Da ist es so, dass mittlerweile sich alle sehr gut darauf eingestellt haben, dass die Personen sehr gut verstanden werden. Und wenn das nicht so sein sollte, springt sofort einer aus der Gemeinschaft bei und übersetzt. Da gibt es natürlich – wir haben ja ein Mädchen, was sich überhaupt nicht verbal äußert, sondern nur durch Zeichen. Da ist es mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen, einfach die Fragen auch richtig zu stellen. Oder eben auch, ja, mit Fragen herauszufinden, worum es gerade geht. Und wir haben noch einen jungen Mann, der eben eine sehr undeutliche Sprache hat und eine eigene Sprache hat. Aber auch da sind mittlerweile alle auf einem guten Stand und haben sich sehr gut drauf eingestellt. (Assistenz2, 125f.)

In beiden WGs wird die Bereitschaft sich auf veränderte Kommunikationsprozesse einzulassen und eine gewisse Vertrautheit untereinander als wichtige Voraussetzungen benannt, damit Teilhabe gelingen kann. Bewohner*in3 beschreibt jedoch auch Probleme, die sich dabei zeigen. Er meint, manchmal sei es gar nicht so leicht, einzuschätzen, was eine Person wirklich wolle, auch wenn man sie schon länger kenne.

Ja was zum Beispiel ein Problem ist, die Me. halt, die kann nur ‘ja‘ und ‘nein‘ zeigen. Und obwohl ich dann schon bald zwei Jahre mit der zusammen – seit über einem Jahr wohne ich jetzt schon mit ihr zusammen. Manchmal denkt man halt, man versteht sie und sie versteht auch alles über was wir reden. Aber dann gibt es andere Momente, wo man sie einfach nicht ganz einschätzen kann. (Bewohner*in3, 94f.)

Probleme treten auch dann auf, wenn das Gefühl besteht, die andere Person könne nicht begründen, warum sie sich für eine bestimmte Sache entscheide, besonders wenn der Eindruck besteht, dass sie zu allem ‘ja‘ sage. Besonders gravierend sei das bei größeren Entscheidungen. Das würde bei Me. manchmal schon dazu führen, dass sie weniger ernst genommen würde.

Ja, ich würde sagen in mancher Hinsicht wird dann halt ihre Meinung übergangen oder halt wenn es dann so ein ernstes Problem ist, dann kann man sie dazu halt nicht ganz voll nehmen. Wir fragen schon immer nach und das wird auch registriert, aber wenn jetzt die Entscheidung von ihr abhängen würde, dann wäre ihre Meinung nicht so für voll. Gab es auch zum Beispiel gerade mit den neuen Bewohnern, die jetzt alle eingezogen sind, da dürften nur noch N und ich von uns Bewohnern ohne Unterstützungsbedarf entscheiden und alle anderen halt auch und dann gab es zum Beispiel Leute, die sich hier vorgestellt haben, die waren natürlich super nett und die haben was mit den unternommen und so. Aber man hat halt gemerkt, die sind halt nicht zuverlässig, die kommen wahrscheinlich mit den Regeln hier nicht klar. Und das sind halt Sachen, die denen dann also mit Unterstützungsbedarf vielleicht nicht so auffallen. Die denken dann, oh cool, der unternimmt dann was mit mir, der war mit mir ein Bier trinken, der war mit mir in der Kneipe und so. Wo wir dann aber doch sagen, ah wir können uns das halt so nicht vorstellen. Wo dann, obwohl alle von denen dafür wären, die hier doch nicht einziehen können. Es ist halt so ein bisschen, manchmal kommt die Demokratie ins wanken. (Bewohner*in3, 95)

Verein2 meint, dass die Einbeziehung in WG-Entscheidungen für die nicht-sprechenden Bewohner*innen auch einen unterschiedlichen Stellenwert habe. Während es Me. ganz wichtig sei dabei zu sein, wäre ihrem Sohn Y. das oft zu viel, so dass er sich dann zurückziehe. Zudem meint sie, dass einige Bewohner*innen leicht zu ‘dirigieren‘ seien, wenn man etwas Bestimmtes erreichen möchte. Es habe jedoch vor einiger Zeit ein WG-Wochenende unter pädagogischer Anleitung gegeben, wo alle Bewohner*in sich einbringen konnten – auch die mit Einschränkungen der verbalen Sprache (Verein2, 81f.).

Insgesamt wird in beiden WGs ein reger Austausch miteinander beschrieben, von dem keine Personengruppe ausgeschlossen wird. Dabei werden Informationen über Aktivitäten auf verschiedenen Wegen geteilt.

Wir haben hier draußen einen Kalender hängen, theoretisch. Die S. führt den auch, aber lesen tut den keiner. Das meiste geht über Whats App oder über Kommunikation abends, wenn wir hier alle da sind. Das ist einfach so, dass zwischen Tür und Angel dann erzählt wird. Meistens wird aber über Whats App kommuniziert. (Bewohner*in1, 38-f.)

Neben der Auswahl von neuen Mitbewohner*innen bleibt auch die Frage wer im hauptamtlichen Team arbeitet zu klären. In beiden Wohngemeinschaften liegt diese Entscheidung in erster Linie in der Hand des Trägers. Dennoch werden die Bewohner*innen auch hier nicht übergangen, sondern nach ihrer Meinung gefragt. Verein2 erzählt, sie habe auch schon eine Bewerberin abgelehnt, weil ihr klar war, dass sie nicht zur WG passen würde (Verein2, 80). Auch Verein1 berichtet ähnliches in Bezug auf die persönlichen Assistent*innen ihr Tochter M. Die Entscheidung darüber wer als Assistenzkraft eingestellt wird treffe sie als M.s Vertreterin und nicht der Verein. Es sei ihr sehr wichtig, dass die Assistentin in die WG passt. Bei der Auswahl gehe sie daher sorgfältig vor und suche auch Rückmeldung bei den anderen Assistent*innen und Bewohner*innen. Sie meint: „Das hat für mich viel mehr Wert als hunderttausend Diplome, also das muss stimmen.“ (Verein1, 16f.). Wie bereits beschrieben spielt der Verein als Träger in beiden Wohngemeinschaften in Bezug auf Alltagsentscheidungen eine untergeordnete Rolle. Bei Entscheidungen in denen es um die Verwendung von Spendengeldern ginge, liege dies jedoch auch in der Hand des Vereins, erzählt Verein1 bezüglich der Ludwigshafener WG. Sie bezieht die Bewohner*innen jedoch in solche Entscheidungen mit ein, zum Beispiel wenn es darum geht neue Möbel zu kaufen (Verein1, 11ff.). Bewohner*in3 aus der Saarbrückener WG berichtet, dass sie auch an Entscheidung über WG-Regeln und Strukturen beteiligt sind.

[...]das war wie gesagt der Dialog mit unserer Chefin und der Verein2 zusammen. Und das war irgendwie die Erkenntnis. Dadurch, dass das so schlecht lief und so viele Streitpunkte einfach Punkte waren, die man durch Regeln abschaffen kann, haben wir uns zusammen mit denen entschieden, dass wir das machen. (Bewohner*in3, 99)

Die Ausführungen zeigen, dass das Thema der gleichberechtigten Teilhabe an Entscheidungsprozessen eine komplexe Angelegenheit ist, die sich als stetiger Prozess darstellt. Beide WGs zeigen sich dessen bewusst und um eine Gewährleistung bemüht. Dies geschieht durch die Etablierung bestimmter Instrumente wie WG-Sitzungen oder Probewohnen, beinhaltet aber auch die Bereitschaft der Bewohner*innen sich auf eine veränderte Kommunikation einzulassen. Gegenseitiges Vertrauen wird als Basis angeführt. Dennoch zeigen sich auch Probleme eine gleichberechtigte Teilhabe für alle tatsächlich umzusetzen. Um dem entgegen zu steuern, wird hier eine stetige Reflexion und Evaluation der Kommunikationsprozesse als notwendig erachtet.

4.5 Empowerment

Die geführten Interviews zeigen verschiedene Aspekte, die sich dem Konzept Empowerment zuordnen lassen. Insgesamt wird die gesamte WG-Erfahrung für die Bewohner*innen als förderlich beschrieben. Verein2 berichtet über ihre eigenen Sorgen, ob ihr Sohn in der neuen Umgebung zurechtkommen und in der Lage sein würde seine Bedürfnisse zu verdeutlichen. Sie meint, früher wäre ihm das schwer gefallen.

Also wir hatten große Bedenken, ob Y. das überhaupt schafft, weil er nicht adäquat verbal kommunizieren kann. Und es früher auf jeden Fall so war, dass nur wir ihn verstanden haben oder auch in der Schule, ok. Aber ansonsten halt nicht. Es war auch so, dass er eigentlich nie so eine Meinung vertreten hat. Also dass er gesagt hat, das will ich, das will ich nicht. Das haben wir nicht gekannt. (Verein2, 75f.)

Das habe sich jedoch sehr schnell geändert, nachdem er in Wohngemeinschaft eingezogen ist. Sie beschreibt diesen Schritt als bedeutend für die Entwicklung seiner Selbstbestimmungsfähigkeit.

Das hat sich aber ganz schnell entwickelt. Ganz schnell, dass er so gespürt hat, was er will und es auch sagt. Und das war natürlich schon irgendwie die große Angst, boah kriegen die denn überhaupt mit, was er will und kann er das dann irgendwie kommunizieren. Und das hat er geschafft. Also diese Loslösung von Zuhause, das ist ja ein unheimlicher Kraftakt. Wenn jemand so hohen Unterstützungsbedarf hat und immer so in Watte mehr oder weniger - ja, das ist so eine Leistung sich einzulassen. Vertrauen zu haben. Ja, diesen Schritt hat er bravourös gemacht. (Verein2, 76)

Auch andere WG-Bewohner*innen haben sich laut verschiedener Aussagen seit ihrem Einzug positiv entwickelt. Assistenz2 spricht von „Riesenschritten“ (Verein2, 129), besonders bei den Bewohner*innen mit Unterstützungsbedarf. Diese Aussage unterstützt auch Verein1 der Ludwigshafener Wohngemeinschaft. Sie berichtet von Bewohner*in2, der zu Beginn sehr ängstlich war und sich wenig zugetraut hat. Durch das Leben in der WG sei er merklich aufgeblüht und selbstbewusster geworden.

Und wenn ich jetzt den Bewohner*in2 sehe, wie der – letzten Freitag sagt er, er bringt den Brief schnell zu der Pizzeria. Ich sag, und die kommen dann auf die Post? Ja,ja. Und er springt raus und macht es. Am Anfang war der total ängstlich, der ist noch nicht mal alleine über die Straße. Ist da vorne stehen geblieben. Wenn sein Bus nicht kam, ist er trotzdem stehen geblieben. Bis dass dann ein Bewohner gesagt hat, wieso steht der immer noch da? (Verein1 ,23)

Bewohner*in2 berichtet selbst, dass er nun alleine einkaufen und in die Bücherei gehe. Auch über Angebote, die er in seiner Freizeit nutzen möchte, kann er sich eigenständig informieren. Er nutzt dazu die in der WG aushängende Tafel. Auch Bewohner*in4 erzählt, dass er sich über Freizeitangebote selbstständig informiere. Er nutze dazu das Internet (Bewohner*in4, 109). In Bezug auf ihre eigene Tochter M., berichtet Verein2, dass es ihr manchmal schwer falle die Entwicklung einzuschätzen. Sie habe jedoch den Eindruck, dass es ihr gut tue und auch die ehemaligen Nachbarn würden das bestätigen, wenn sie M. sähen (Verein1, 15f.). M.s persönliche Assistenz unterstreicht das und meint, dass sich bei ihr beispielsweise Fortschritte beim selbstständigen Laufen zeigen. Zuhause wäre das schon räumlich nicht so möglich gewesen.

Oder bei der M merk ich das so ein bisschen, dass sie finde ich viel so aktiver geworden ist. Also sie läuft viel mehr auch selbstständig. Und wenn sie will, kann sie auch hier aufstehen und dann läuft sie bis zum Sofa. Also je nachdem, wie sie jetzt gerade drauf ist, aber dann kann sie das auch alleine. Und ja, da haben sich einfach für sie jetzt vor allem ganz neue Möglichkeiten ergeben, weil bei ihren Eltern war halt viel begrenzterer Wohnraum. Und da konnte sie lange nicht so viel laufen. (Verein1, 64)

Auch Bewohner*innen ohne Unterstützungsbedarf hätten sich durch die WG-Erfahrung weiterentwickelt, so Verein1. Sie berichtet davon, wie sich die Bewohner*innen in Notsituationen gegenseitig unterstützen und motivieren belastende Lebensphasen zu meistern. Ebenso sei ihr ein Wandel in Bezug auf die Interaktion mit Bewohner*innen mit Behinderungserfahrung aufgefallen. Sie erzählt, wie sich ein ehemaliger Bewohner nach einem Jahr schließlich zugetraut hat, M. das Essen anzureichen (Verein1, 25f.). Auch Bewohnerin*1 stellt eine ähnliche Entwicklung bei sich fest. Ihr Blick auf das Thema ‘Behinderungserfahrung‘ habe sich maßgeblich geweitet. Sie fühle sich sehr viel mehr dafür sensibilisiert und ihr Denken über Menschen mit Behinderungserfahrung habe sich grundlegend geändert.

Die größte Veränderung für mich ist in den vier Monaten gewesen, die Sensibilität dafür. Davor bin ich über die Straße gelaufen und mir ist nie was aufgefallen. Jetzt lauf ich über die Straße und seh' da einen Rollstuhlfahrer, dort einen Rollstuhlfahrer. Also ich seh' auf einmal ganz viele beeinträchtigte Menschen, die mir vorher nie aufgefallen sind. Und die zweite Veränderung ist, dass man bei den Beeinträchtigungen ganz viel differenzieren muss. Man denkt im ersten Moment, ach Gott, die M. kann ja eh gar nichts. Und je länger man sie kennen lernt, oder auch den Bewohner*in2, desto mehr sieht man, die Menschen können ganz viel, dass man das einfach immer unterschätzt hat. Weil die Gesellschaft die ja immer in so ein (unv.) gesteckt hat und man immer gedacht hat, ja, die können eh nichts. Die liegen halt da und warten, bis der Tag rum ist. Und das stimmt überhaupt nicht. Die können ganz, ganz viel. Man muss sie kennenlernen. (Bewohner*in1, 41f.)

Empowerment ist, wie in der Theorie beschrieben, konzeptuell eng an die Ansätze der Selbstbestimmung und (politischen) Teilhabe gebunden. Diese beiden Kategorien werden jedoch ausführlich in gesonderten Kapiteln beschrieben und hier nicht weiter erläutert. Die oben aufgeführten Aussagen aus den Interviews zeigen jedoch, dass die Wohngemeinschaften durchaus ‘empowernde’ Potenziale bieten. Im transitiven Sinne kann die gesamte WG-Erfahrung als Form des Empowerment gelten. Sie bietet den Bewohner*innen einen Rahmen, in dem sie sich auf verschiedenste Art und Weise entfalten können. Besonders wird ein Zuwachs an Selbstbefähigung bei den Bewohner*innen mit Unterstützungsbedarf beschrieben. Sei es ein höheres Maß an Aktivität, um dem eigenen Bewegungsdrang Ausdruck zu verleihen, oder mehr Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit, um sich im sozialen Nahraum selbstständig zu bewegen und mit Informationen zu versorgen. Auch die Entwicklung mancher Bewohner*innen ohne Unterstützungsbedarf kann im Sinne von Empowerment gedeutet werden. So zeigt sich hier vor allem ein Gewinn an Selbstbefähigung im Kontakt zu Menschen mit Behinderungserfahrung. Insgesamt zeigt sich die Wohngemeinschaft als fördernde Umgebung für gegenseitige Unterstützung, Akzeptanz und Weiterentwicklung der eigenen Potentiale, um anschließend als gestärkte Person nach außen zu treten.

4.6 Zufriedenheit und Wohlbefinden

In den geführten Interviews wurde auch auf die Zufriedenheit der Bewohner*innen und auf den Umgang untereinander eingegangen. Dieser Schwerpunkt wurde gewählt, weil das subjektive Wohlbefinden ein Indiz sein kann, ob der Versuch, eine inklusive Wohnumgebung zu schaffen im Empfinden der Bewohner*innen ankommt. Die Zufriedenheit allein ist kein eindeutiger Beweis für eine funktionierende inklusive Wohngemeinschaft, dennoch ist sie ein wichtiger Faktor für ein inklusives Miteinander. Auch Menschen, die in einer stationären Umgebung wohnen, können zufrieden sein mit ihrer Situation, was unter anderem auch dadurch begründet sein kann, dass andere Wohnformen nicht bekannt sind, oder bisher keine Möglichkeit dargestellt haben. Sicher ist, dass Zufriedenheit aus unterschiedlichen Motiven heraus entstehen kann, sie dennoch für die vorliegende Arbeit als wichtiges Indiz gelten kann.

Bei den befragten Bewohner*innen wurde nicht direkt ermittelt, in welchen Wohnformen sie bisher gelebt haben. Allerdings wurde aus verschiedenen Aussagen deutlich, dass die meisten Bewohner*innen mit Behinderungserfahrung vorher nur in ihrem Elternhaus gelebt haben. Inwieweit dies auch auf die anderen Mieter*innen zutrifft kann an dieser Stelle nicht eingeschätzt werden. Bewohner*in1 antwortet auf die Frage wie es ihr in der WG gefällt folgendermaßen: „Super. Wir haben zu zehnt 300 Quadratmeter fast (lacht). Auf drei Wohnungen verteilt. Wir haben ja Luxus hier (lacht).“ (Bewohner*in1, 27) Und auf die Frage hin, ob sie denkt, dass sich die anderen Bewohner*innen auch wohlfühlen, fügt sie hinzu:

Ich denke im Groben ja. Es gibt natürlich immer zwischenmenschliche Probleme, die man immer hat. Egal ob mit Beeinträchtigung oder ohne Beeinträchtigung. Jeder ist ja ein eigener Charakter und jeder hat Vor- und Nachteile. (Bewohner*in1, 30f.)

In ihrer Antwort verweist sie auf die Ausstattung in der WG, welche sie sehr schätzt. Bezogen auf die anderen Bewohner*innen macht sie deutlich, dass sich alle im Allgemeinen wohlfühlen, das es aber auch zu zwischenmenschlichen Problemen kommt. Auch Bewohner*in2 fühlt sich innerhalb der WG wohl und denkt, dass es seinen Mitbewohner*innen ebenso geht (Bewohner*in2, 48f.). Diesbezüglich nennt er auch verschiedene Aktivitäten, wie gemeinsames Kochen oder Spiele, die ihm Spaß machen und weshalb er sich mit den Anderen so gut versteht (Bewohner*in2, 48f.). In Saarbrücken äußern die befragten Bewohner*innen ebenfalls, dass sie sich wohlfühlen. Bewohner*in4 verweist bei seiner Antwort auch noch auf das Zusammenleben „mit den Leuten“ und das es „hier sehr schön“ ist (Bewohner*in4, 104f.). In der folgenden Interviewpassage zeigt sich die Zufriedenheit von Bewohner*in3 und seine Meinung über das Wohlbefinden der Anderen:

Mhh (bejahend). Also wir haben jetzt einiges getan. Die Küche war zwar eigentlich immer schön, aber wir haben jetzt mal gestrichen und das Wohnzimmer haben wir auch neu gestrichen und ein paar neue Möbel gekauft. Aber ich glaube, man kann als Student kaum schöner wohnen. Also ist schon sehr schön hier. Ich mein', ich hätte auch lieber ein Zimmer mit offenen Balken im Dach oder so aber

I2: Also fühlst du dich auch wohl sozusagen? Bewohner*in3: Ja, auf jeden Fall. Doch doch.

I2: Denkst du, dass sich auch die Anderen alle wohl fühlen? Bewohner*in3: Das würde ich schon sagen. Also ich glaube dass - schon öfter mal so Interviews gemacht oder so mit F - F hat auch Unterstützungsbedarf und die finden es alle immer super. Ich weiß noch als M hier einziehen wollte und sie musste dann nach dem Probewohnen nochmal nach Hause, hat sie auch geweint, weil sie gedacht hat, ah sie muss jetzt wieder gehen. Ja, ich glaub gerade die mit Unterstützungsbedarf könnten es glaube ich schwer besser haben irgendwo. Den' macht das allen viel Spaß, was man von den Eltern so hört. Ziemlich begeistert. (Bewohner*in3, 90f.)

Wie auch Bewohner*in1 verweist er auf die luxuriöse Ausstattung der Wohnung und äußert sein Wohlbefinden. Bezogen auf die Zufriedenheit der anderen Mitbewohner*innen verweist er speziell auf die Bewohner*innen mit Behinderungserfahrung.

Aus einer eher externen Perspektive heraus vertreten auch die Assistenzkräfte und die Personen der Vereine die Position, dass sich die Bewohner*innen wohlfühlen. Assistenz1 äußert sich auch dementsprechend und bezieht sich diesbezüglich auf die positive Entwicklung von Bewohner*in2 und M. (Assitenz1, 64). In Saarbrücken ist die Assistenzkraft ebenfalls der Überzeugung, dass sich die Bewohner*innen wohlfühlen und sagt weiterhin Folgendes über den Umgang dieser untereinander: „Der ist ungezwungen. Der ist altersgerecht. Wir wollten ja junge Leute zusammenbringen, herzlich, offen. Fehlt noch was? (2)“ (Assistenz2, 123) Für die Wohngemeinschaft in Ludwigshafen äußert sich Verein1 folgendermaßen:

Also ALLE ist natürlich immer so Ding. Es gibt bestimmte Personen, wo ich gedacht hab, die fühlen sich nicht wohl. Aber was ich ganz interessant finde ist, es gab eine, die ist im November eingezogen, dann Anfang August raus, das war die erste Person. War eigentlich auch klar, dass die nicht so lang bleibt. Die hat noch ein bisschen Kontakt, aber nicht so intensiv glaub ich. Und jetzt die, die rausgehen, die kommen immer wieder. Das ist so wie eine Familie. Also das ist für mich eigentlich ein Beweis, dass es gut läuft, oder? (Verein1, 13)

Sie beschreibt die Gemeinschaft innerhalb der Wohnung als familiär und begründet dies mit den anhaltenden Kontakten, über die Zeit als Mieter*innen hinaus reichen. Sie sieht dabei durchaus die Möglichkeit, dass sich nicht alle gleichermaßen wohlfühlen, verweist aber ebenfalls auf die Erfahrung, dass die meisten Bewohner* innen über einen längeren Zeitraum im Wohnprojekt verweilen. In Saarbrücken ist Verein2 gleichermaßen der Überzeugung, dass sich die Bewohner*innen wohlfühlen und bezieht sich dabei zum einen auf öffentlich getätigte Äußerungen von einigen Mitbewohner*innen und zum anderen auf die Erfahrungen mit ihrem eigenen Sohn (Verein2, 75f.).

Entsprechend der Aussagen scheinen sich die befragten Bewohner*innen beider Wohnprojekte in der jeweiligen Gemeinschaft wohlzufühlen. Einige beziehen sich dabei direkt auf die Entwicklung, die sie bei ihren Mitbewohner*innen beobachten.

Der Umgang untereinander wird im Allgemeinen als familiär und angenehm beschrieben und scheinbar auch so empfunden. Es wird allerdings auch realistisch eingeschätzt, dass es unterschiedliche Charaktere gibt, sodass die Beziehungen untereinander unterschiedlich stark ausfallen können. Inwieweit die Intensität an Verpflichtungen und Verantwortungsübernahmen innerhalb der Gemeinschaften zur Unzufriedenheit und zu Konflikten führen kann wurde bereits im Text zum Umgang mit Konflikten versucht darzustellen. Es scheint sich in den beiden WGs jedoch auf die Nachhaltigkeit der Beziehungen beziehungsweise der Zufriedenheit auswirken zu können. So berichtet Verein1 von langanhaltenden Beziehungen, über die Zeit in der WG hinaus. In Saarbrücken ist ein solcher Punkt nicht explizit genannt worden, was nicht ausschließt, dass auch hier solche nachhaltigen Beziehungen entstanden sind. Jedoch scheint in Saarbrücken die verstärkte Verantwortungsübernahme und die verstärkten Verpflichtungen ein gewisses Konfliktpotenzial in sich zu bergen.[15] Insgesamt scheinen sich allerdings die Konzepte beider Wohngemeinschaften positiv auf das Wohlbefinden der Mieter*innen und deren Umgang untereinander auszuwirken.

4.7 Umgang mit Konflikten

Laut Aussage aller Befragten treten Konflikte in beiden Wohngemeinschaften auf. Dabei werden Streitsituationen in Form von Diskussionen, Haushaltsfragen, kleinerer persönlicher Konflikte, aber auch großer Grundsatzfragen genannt. In Saarbrücken dient vor allem die WG-Sitzung als ‘offizieller Raum‘ zum Klären von Konflikten. Während in Ludwigshafen das monatliche WG-Treffen eher als Plattform für Organisatorisches Verwendung findet, gibt es dort zusätzlich eine Supervision, an der alle Bewohner*innen teilnehmen. Diese biete Raum für Problembesprechungen (Bewohnerin*1, 35). Es stellt sich jedoch auch die Frage, inwieweit diese beiden Instanzen tatsächlich zu einer Konfliktbereinigung genutzt werden. Bewohner*in1 der IGLU ist der Meinung, dass die Supervision letztendlich überflüssig sei, da ihnen einfach die Themen fehlen würden. Probleme würden dort eher nicht angesprochen. Die Supervision sei vor ihrer Zeit in der WG von ehemaligen Bewohner*innen gewünscht und daraufhin eingeführt worden (Bewohner*in1, 35). Assistent*in1 findet, die Supervision sei eigentlich eine gut Sache. Sie müsse jedoch gerade in Bezug auf die Bewohner*innen mit Unterstützungsbedarf auch vorbereitet werden, ansonsten würden Themen eher nicht eingebracht (Assistenz1, 68). Die Befragten der Saarbrückener WG berichten, dass die WG-Sitzung zum Besprechen von Konflikten genutzt würde. Dennoch deutet Bewohner*in3 auch auf Hemmungen hin und meint, dass sich vielleicht nicht jeder traue, besonders wenn auch die hauptamtliche Kraft oder Verein2 teilnehmen (Bewohner*in3, 94). Verein2 glaubt, dass es auch von den Leuten abhänge, ob Probleme und Ängste angesprochen werden. In der früheren WG-Konstellation habe sie das nicht so erlebt, wogegen das heute ganz anders aussähe (Verein2, 81). Vertrauen innerhalb der Gruppe zeigt sich als wichtiger Faktor für eine offene Konfliktbereinigung. Auch Assistenz2 erzählt, dass in manchen Phasen die Konfliktbereinigung weniger gut lief.

Wir haben jeden Montag eine WG-Sitzung. Wo man ein Podium findet, eine Plattform findet. Wenn man es nicht zwischen den unterschiedlichen Personen austragen kann natürlich. Wo Konfliktpunkte angesprochen werden können. Aber auch hier gibt es natürlich Zeiten, wo man jemand hat, der Konflikte nicht offen und ehrlich auftragen will, austragen will. So wie es Gruppenbildung gibt, kann es auch mal Phasen geben, in denen die Konfliktbereinigung nicht gut läuft. Kann man auch nicht verhindern. (Assistenz2, 124)

Er führt auch an, dass es ihnen wichtig sei, dass Konflikte möglichst schnell und umfassend besprochen werden – in Anwesenheit aller Akteure. Bewohner*innen mit Behinderungserfahrung erhalten dabei Unterstützung von den Anderen.

Jedenfalls Bewohner mit Unterstützungsbedarf werden bei Konflikten von einer Person ihrer Wahl unterstützt und vertreten auch. Und wir wollen immer alle am Tisch haben, wenn es geht. Nie eine Konfliktlösung anstreben oder aushandeln, wo ein Akteur nicht dabei ist. Wir versuchen immer die Leute zusammenzubringen. Möglichst schnell, möglichst alles zu klären, alle Aspekte. (Assistenz2, 124)

Manchmal komme es auch vor, so Assistenz2, dass sich die Bewohner*innen ohne Unterstützungsbedarf scheuen Punkte anzusprechen, die die Bewohner*innen mit Unterstützungsbedarf betreffen, zum Beispiel Tischmanieren. In diesen Fällen würde dann oft zuerst das Team als eine Art zwischengeschaltete Instanz hinzugezogen (Assistenz2, 124f.).

Generell besteht natürlich auch außerhalb bestimmter Plattformen die Möglichkeit Konflikte im direkten Gespräch unter den betroffenen Personen zu bereinigen. So berichtet Bewohner*in4, dass er zwar das Gefühl habe, Probleme in der WG ansprechen zu können, er das aber lieber unter vier Augen täte als in der großen Runde (Bewohner*in4, 110f.). Auch Bewohner*in1 meint, dass sie Konflikte lieber privat kläre als in der Supervision (Bewohner*in1, 35). Sie erzählt, dass auftretende Streitereien eher harmlos wären: „Mal eine Diskussion, wenn jemand recht haben will und der andere auch. Aber nicht jetzt irgendwie übermäßig.“(Bewohner*in1, 31) Dabei ginge es um Themen wie zum Beispiel, ob die Spülmaschine offen stehen dürfe oder wie etwas gekocht werden müsse (Bewohner*in1, 31). Bewohner*in2 berichtet von einem kleineren persönlichen Konflikt, den er mit einem*r seiner Mitbewohner*innen hatte. Er habe sich dann aber auch wieder mit ihm*ihr vertragen (Bewohner*in2, 52). Während es sich bei diesen Streitereien nach eigener Aussage eher um kleinere Auseinandersetzungen handle, die auch gut selbstständig bewältigt werden können, berichten die Saarbrückener Befragten auch von einem größeren Konflikt, der es für die Bewohner*innen notwendig machte, den Verein hinzuzuziehen. Der Streit habe sich an einer persönlichen Einstellungsfrage entfacht, aber tatsächlich habe es sich um etwas viel Grundlegenderes gedreht, was zu einem großen Zerwürfnis innerhalb der WG geführt habe.

Das war so die Frage. Und natürlich ist MLL dann auch gefragt als Träger praktisch der WG, da sich auch einzumischen. Und es war klar das kann ja wohl nicht sein. Jeder hat irgendwie - gibt nicht seine Individualität ab wenn er in die WG einzieht. Und da wurde auch eine Moderation gemacht. Also da wurde eine Moderatorin eingeschaltet die das moderiert hat. Es wurden nochmal WG-Sitzungen gemacht wo ich dann teilweise auch dabei war. Es wurden klare Dinge auch nochmal festgelegt. Und es war sehr schnell offensichtlich, dass das gar nicht das Thema war. Sondern es um etwas viel Grundlegenderes ging. Nämlich um die Frage wohne ich hier in der WG wie in jeder anderen WG und verdiene mein Geld damit oder LEBE ich hier und sehe das wirklich das auch als mein Leben an. Und Bewohner*in3 hat das in dem Filmbeitrag irgendwie ganz schön formuliert, indem er gesagt hat, das ist hier wie eine Familie. Also wenn er am Wochenende mal seine Familie gesehen hat dann kommt er zurück und dann sagt er, dann komm ich in die andere Familie. Also so. Da glaub ich auch dass das nichts zu tun hat damit das es eine integrative WG ist sondern das ist ein Grundkonflikt überhaupt von WGs. (Verein1, 78)

Bewohner*in3 erzählt, dass die hauptamtlichen Kräfte und auch Verein2 bei Problemen immer ein offenes Ohr hätten und in der Zeit, als es in der WG sehr schwierig war, sehr unterstützend gewesen wären (Bewohner*in3, 94). Letztendlich habe die intensive Auseinandersetzung und Streitschlichtung dazu geführt, dass viele Bewohner*innen ausgezogen sind. In der WG laufe es seitdem jedoch wieder viel besser.

Die Ausführungen zeigen, dass der Umgang mit Konflikten sich in beiden WGs prinzipiell ähnlich gestaltet. Beide Wohngemeinschaften haben offizielle Plattformen, in denen Probleme angesprochen werden können. Es zeigt sich jedoch, dass die Art der Klärung auch von persönlichen Präferenzen, dem Vertrauen innerhalb der Gruppe und der Größe des Problems abhängt. Eine Einmischung des Vereins ist prinzipiell in beiden WGs nicht vorgesehen. Je nach Art des Konflikts zeigt sich jedoch im Fall der Saarbrückener WG, dass auch der Verein einschreiten und eine Konfliktlösung unterstützen kann. Da in Ludwigshafen ein derartiger Konfliktfall nicht berichtet wurde, kann für IGLU darüber keine Aussage getroffen werden.

4.8 Anerkennung von Vielfalt

Das Konzept der Inklusion basiert grundlegend auf einer sich solidarisierenden und wertschätzenden heterogenen Gesellschaft. Es stellt sich daher auch die Frage, wie sich die Anerkennung von Vielfalt in den untersuchten WGs zeigt. Aussagen dazu wurden auf verschiedenen Ebenen getroffen. Grundlegend zeigen sich beide Wohngemeinschaften offen für alle Menschen. Sowohl in Saarbrücken als auch in Ludwigshafen wohnen sehr unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Berufen, Nationalitäten, Geschlechtern, Vorstellungen und Persönlichkeiten zusammen. Ein besonderes Augenmerk richtet sich jedoch auf das unmittelbare Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderungserfahrung. Bei der Auswahl neuer Mitbewohner*innen sei es besonders wichtig, dass die Leute offen seien für die Bewohner*innen mit Unterstützungsbedarf, meint Bewohner*in1 (34). Es stellt sich jedoch auch die Frage inwiefern innerhalb der Wohngemeinschaften in dichotomen Kategorien gedacht wird. Von besonderem Interesse ist dabei die Unterscheidung zwischen einer Gruppe von Bewohner*innen mit und einer ohne Behinderungserfahrung als distinktives Merkmal. Bewohner*in3 meint, dass er von Freunden manchmal gefragt werde, was denn seine Mitbewohner*innen für Behinderungen hätten. Er findet jedoch, dass das über den Menschen eigentlich gar nichts aussage.

Ja, wenn mich auch Freunde fragen, was haben denn die Leute hier für Behinderungen, dann kann man das eigentlich nicht sagen. Dann kann man sagen, der hat zwar Spastiken, aber der ist eigentlich der F, das da ist eigentlich der Y. Muss man kennen damit man weiß wie die sind. Und ja, das hat sich aber auch nach ein paar Wochen total gelegt gehabt. Vielleicht am Anfang so Berührungsängste in gewisser Weise schon, aber nach einem Monat war das ganz normal. (Bewohner*in3, 87)

Er kann sich zwar an eigene Berührungsängste zu Beginn erinnern, aber sieht nun nicht mehr die Behinderung, sondern den Menschen im Vordergrund. Auch Bewohner*in1 beschreibt die Veränderung, die sie durch ihre WG-Erfahrung erlebt hat.

Die größte Veränderung für mich ist in den vier Monaten gewesen, die Sensibilität dafür. Davor bin ich über die Straße gelaufen und mir ist nie was aufgefallen. Jetzt lauf ich über die Straße und seh' da einen Rollstuhlfahrer, dort einen Rollstuhlfahrer. Also ich seh' auf einmal ganz viele beeinträchtigte Menschen, die mir vorher nie aufgefallen sind. Und die zweite Veränderung ist, dass man bei den Beeinträchtigungen ganz viel differenzieren muss. Man denkt im ersten Moment, ach Gott, die M. kann ja eh gar nichts. Und je länger man sie kennen lernt, oder auch den Bewohner*in2, desto mehr sieht man, die Menschen können ganz viel, dass man das einfach immer unterschätzt hat. Weil die Gesellschaft die ja immer in so ein (unv.) gesteckt hat und man immer gedacht hat, ja, die können eh nichts. Die liegen halt da und warten, bis der Tag rum ist. Und das stimmt überhaupt nicht. Die können ganz, ganz viel. Man muss sie kennenlernen. (Bewohner*in1, 41f.)

Die Befragte des Saarbrückener Vereins meint dazu, dass sie schon den Eindruck habe, dass es Situationen gäbe, wo es eine Rolle spielt, ob ein*e Bewohner*in Unterstützungsbedarf hat oder nicht, besonders dann wenn es um Verantwortungsübernahme gehe. In anderen Situationen wiederum verschwimme es auch wieder.

Doch, doch. Das denke ich schon. Spätestens da wo sie die ohne Unterstützungsbedarf in so eine Verantwortung rein gehen müssen und das müssen sie ja schon irgendwie auch öfter. Aber ich denke das verschwimmt. Das ist nicht durchgängig glaube ich. Das ist auch für Bewohner*in3 - das macht ihm dann einfach total Spaß auf einem Open Air Konzert, so im Sommer hat das stattgefunden, da mit Y. abzurocken. Dann haben die beiden total ihren Spaß. Und dann vielleicht in dem Moment wo die anderen komisch gucken, kommt es dann wieder - weiß ich nicht (Verein2, 77)

Auch Bewohner*in3 sieht diese Differenz. Er erzählt, es sei für ihn ganz normal geworden mit seinen Bewohner*innen mit Behinderungserfahrung Dinge zu unternehmen, zum Beispiel in die Kneipe zu gehen, weil er sie als Menschen schätzt. Die Reaktionen seiner Freunde erinnern ihn dann jedoch manchmal daran, dass das nicht für alle so normal ist.

Ich würde sagen einfach so das Miteinander. Mir fällt es halt nicht auf mehr wenn ich mit F. in die Stadt gehe und den Rollstuhl mitnehme. Oder in der Disko abends tanzen gehen oder mit in die Kneipe. Ich habe ihn letztens mitgenommen mit meinen Freunden halt und die haben ihn alle schon so ein bisschen gekannt, aber dann sitzen wir mit denen in der Kneipe und die sprechen halt mit dem so ein bisschen - wahrscheinlich wie man es auch gemacht hätte am Anfang als man hier eingezogen ist. Wissen nicht für wie voll sie ihn nehmen können oder wie fit er ist. Und da fällt einem erst auf wie normal das für einen eigentlich geworden ist mit dem zusammen zu wohnen. Und wie besonders das eigentlich nach außen scheint. (Bewohner*in3, 97f.)

Den Umgang innerhalb der WG beschreibt er als sehr ungezwungen. Da würden auch mal Sprüche geklopft und gegenseitig gestichelt. Gerade das mache für ihn ein ‘normales‘ Miteinander aus, weil eben keine Unterschiede gemacht werden.

Ich glaub gerade so das Miteinander. Wenn man hier am Tisch sitzt und dann manchmal so Sprüche bringt. F., du Spasti, warum hat du jetzt die Tür nicht aufgemacht, ich stand da draußen in der Kälte. Das ist hier manchmal ganz normal, wie man sich so stichelt - so stichelt er mich, ob ich den ganzen Tag wieder nur hier gesessen bin und Kaffee getrunken habe, als fauler Student halt. Und das ist eigentlich der größte Punkt. Das ist halt wirklich ganz normal. (Bewohner*in3, 98)

Assistenz2 stimmt zu, dass er im Umgang der Bewohner*innen keine Unterscheidung zwischen zwei Gruppen sehe. Er schließt sich jedoch auch Verein2 an, wenn er sagt, dass es auf organisatorischer Ebene doch der Fall sei.

Also, auf der Ebene verschwimmt es natürlich. Wir müssen natürlich wenn wir konzeptionell arbeiten und im Team arbeiten, müssen wir natürlich auch – alleine die Gruppen benennen, die haben ja auch echt unterschiedliche Interessen. Insofern, auf organisatorischer Ebene gibt es natürlich die Unterscheidung. Aber hier im Leben. überhaupt nicht. Seh' ich gar nicht. (Assistenz2, 124)

Bewohner*in3 berichtet, dass der Aspekt der Unterteilung in zwei Gruppen gerade in Bezug auf Alltagspflichten in der WG bereits diskutiert wurde. So sollen auch die Bewohner*innen mit Unterstützungsbedarf ganz selbstverständlich in Aufgaben im Haushalt mit eingebunden werden. Dazu gehört beispielsweise das Kochen für die WG oder das Ausräumen der Spülmaschine (Bewohner*in3, 97).

Auch die Befragten der Ludwigshafener Wohngemeinschaft beschreiben den Umgang innerhalb der WG als gleichberechtigt. Assistenz1 meint, dass immer versucht würde alle Bewohner*innen einzubeziehen und keine Unterschiede gemacht würden. Dazu gehöre auch, dass es mal Streits und Diskussionen gibt. Sie fände das gerade gut, weil niemand anders behandelt würde, nur weil er*sie eine Beeinträchtigung habe oder nicht. Sie meint, dass auch M. Teil der WG sei, auch wenn es da für die anderen Bewohner*innen vielleicht etwas schwieriger wäre, da sie sich mit ihr nicht unterhalten könnten. Aber dennoch würde auch ihr sehr viel Interesse entgegen gebracht (Assistenz1, 65). Verein1 meint, sie sehe diese Unterscheidung zwischen Menschen mit und ohne Unterstützungsbedarf, eher in den Köpfen der Außenstehenden. Innerhalb der WG sähen sich die Leute als Mitbewohner*innen und nicht als Vertreter*innen zweier Gruppen. Daher sei es auch ganz wichtig, dass bestimmte Verantwortungsbereiche in der WG nicht vermischt werden, wie zum Beispiel dass Pflegetätigkeiten nicht automatisch von Bewohner*innen übernommen werden. Ebenso dazu gehöre, dass die Privatsphäre aller gewahrt bleibt und beispielsweise nicht öffentlich von den Assistenzkräften die Ausscheidungsgewohnheiten anderer Bewohner*innen diskutiert würden (Verein1, 14f.). Auch Bewohner*in1 berichtet, dass sie eine Unterscheidung zwischen Bewohner*innen mit und ohne Behinderungserfahrung nicht erlebe. Sie meint, dass sich Gruppen jedoch schon manchmal bilden würden. Allerdings geschehe dies eher durch Gemeinsamkeiten oder Unterschiede im Tagesablauf (Bewohner*in1, 32). Auch bei gemeinsamen Unternehmungen komme es eher selten vor, dass alle daran teilnehmen. Jede*r habe einfach unterschiedliche Dinge zu tun.

In kleineren Gruppen. Also es ist selten so, dass wir wirklich alle zehn was zusammen schaffen. Weil einfach zu viele andere Verpflichtungen da sind, die jeder hat. Die einen haben am Wochenende Uni, ich arbeite am Wochenende. Im Moment wohnt jemand da, die fährt alle zwei Wochen nach Hannover, zu ihrem Freund. Aber so, also gestern Abend war ich mit zweien meiner WG-Bewohnern in der Kneipe. Wir waren schon zusammen im Museum. Also es ist ganz unterschiedlich. (Bewohner*in1, 32)

Auch Bewohner*in3 aus der Saarbrückener WG erzählt, dass sich manchmal Gruppen bilden. Er sieht das vor allem in gemeinsamen Interessen und Sympathien begründet (Bewohner*in3, 91). Dennoch beschreiben beide WGs auch den Wunsch nach Räumen, in denen nur die Bewohner*innen ohne Unterstützungsbedarf untereinander agieren können. Für die Saarbrückener WG sind diese Räume die WG-freien Wochenenden, die in regelmäßigen Abständen stattfinden. Das sind Wochenenden, an denen die Bewohner*innen mit Behinderungserfahrungen die WG verlassen und zu ihren Eltern fahren.

Wir haben jetzt zum Beispiel nächstes Wochenende wieder WG-freies Wochenende, wo man halt einfach mal - da sind alle mit Unterstützungsbedarf zu Hause, da gibt es halt keine Pflichten und keine Verantwortung in irgendeiner Weise. Da hat man einfach mal sozusagen seine Ruhe. Das ist schon auch schön. (Bewohner*in3, 98)

Während es in Ludwigshafen keine derartige Regelung gibt, erzählt Bewohner*in1, dass sie zusätzlich zur WG-WhatsApp-Gruppe auch noch eine Gruppe haben, in die nur die Bewohner*innen ohne Untersützungsbedarf eingeladen sind.

Ich mein, es gibt schon Fälle, wo wir – wir haben eine WhatsApp-Gruppe gegründet, eine Gruppe wo alle drin sind und wir haben eine gemacht, wo wirklich nur wir drin sind, die ohne Beeinträchtigung. Wo wir auch gewisse Dinge mal diskutieren oder so, wo wir auch mal unter uns sein wollen. Aber das sind – also ganz, ganz selten, dass das wirklich so – das sind dann eher Sachen, wo wir denken, das verstehen die anderen vielleicht nicht, auf Grund ihrer Behinderung und dann diskutieren wir das mal auf einem anderen Niveau, sag ich mal, aus. Das hat aber nichts damit zu tun, dass wir die nicht dabei haben wollen oder so, sondern einfach, dass es einfacher ist, wenn man andere Worte wählen kann, anders kommunizieren kann. Aber das ist nicht wirklich so, dass sich da Gruppen trennen. Irgendjemand ist eigentlich immer dabei von den anderen. (Bewohner*in1, 32f.)

In einem sozialen Gefüge, in dem unterschiedliche Individuen mit unterschiedlichen Interessen und Vorstellungen auf begrenztem Raum miteinander leben, kann sich irgendwann die Frage stellen, wie viel Individualität in der Gemeinschaft eigentlich möglich ist; eine Frage, die sich in den beiden Wohngemeinschaften auf unterschiedliche Weise entfaltet.

Die Befragten von IGLU machen deutlich, dass die Wohngemeinschaft eine sehr heterogene Gruppe von Leuten beherbergt. So reicht die Altersspanne von Anfang oder Mitte 20 bis 49 Jahren. Die Bewohner*innen gehen unterschiedlichen Tätigkeiten nach – einige studieren, andere gehen arbeiten. Die Art der Tätigkeit richtet sich nicht primär danach, ob ein Unterstützungsbedarf vorliegt oder nicht. So sind auch die Bewohner*innen ohne Unterstützungsbedarf nicht alle Studierende, sondern teilweise berufstätig. Verein1 betont, dass auch die Gruppe der Bewohner*innen mit Behinderungserfahrung sehr heterogen sei.

So haben wir einen ganz interessanten Mix. Das ist auch interessant. Wir haben nicht nur fünf, die alle in die gleiche Werkstatt gehen oder so. Wir haben vier total verschiedene Leute. (Verein1, 7)

Auf diese Weise kommen viele verschiedene Lebensentwürfe und unterschiedliche Tagesstrukturen zusammen. Das WG-Leben erfordert daher ein gewisses Maß an Flexibilität. Wie bereits im Kapitel ‘Selbstbestimmung’ beschrieben, gibt es in IGLU keine festgesetzten Gemeinschaftszeiten, wie zum Beispiel zum Essen oder für bestimmte Dienste. Auch den Einkauf übernimmt jede*r Bewohner*in für sich selbst. Dadurch ergibt sich für die Bewohner*innen ein recht hohes Maß an Flexibilität zum Ausleben eigener Bedürfnisse und Vorstellungen. Gemeinschaftliche Aktionen sind eher spontan und nicht an Regelmäßigkeiten gebunden. Dennoch beschreiben die Befragten ein aktives und auch gemeinschaftliches Miteinander. In Saarbrücken gestaltet sich die Situation ein wenig anders. Auch hier leben Menschen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten zusammen. Während es ebenfalls so ist, dass die Bewohner*innen mit Unterstützungsbedarf unterschiedlichen Tätigkeiten nachgehen, setzt sich die Gruppe der Bewohner*innen ohne Unterstützungsbedarf, zumindest zu der Zeit der Untersuchung, ausschließlich aus Studierenden zusammen. Das sei zwar nicht ausdrücklich so gewollt, ergebe sich jedoch einfach daraus, dass für die Bewohner*innen ein größeres Maß an zeitlicher Flexibilität erforderlich sei. Wie bereits in Kapitel „Selbstbestimmung“ beschrieben, sind die Tagesabläufe in der WG durch Dienste und Präsenzzeiten vorstrukturiert, in denen auch die Bewohner*innen eingebunden sind. So gibt es neben bestimmten Unterstützungsleistungen für die Bewohner*innen mit Behinderungserfahrung auch eine gemeinsame abendliche Essenszeit. Der Einkauf erfolgt für alle für die ganze Woche und wird über ein gemeinsames WG-Konto finanziert. Der Einzug in die WG bedeutet eine Festlegung auf diese Strukturen und Regeln. Dadurch bleibt eventuell weniger Raum für individuelle Bedürfnisse. Bewohner*in3 meint, man gebe hier auch einen Teil seiner Freiheit auf (Bewohner*in3, 92). An der Frage nach dem Raum für eigene Vorstellungen und wie man eigentlich in der WG leben möchte, hat sich vor einer Weile ein großer Streit entfacht.

Und es gab halt davor Riesen Stress - zwei gespaltene Lager. Es ging also drum, ein Pärchen hat hier gewohnt, die waren halt - haben sich irgendwann vegan ernährt, haben sich bei dieser Essenskasse rausgenommen. Und eigentlich wollten die so ihr Ding machen und das geht halt hier schwer. Also man muss halt - man kann halt nicht zu zweit neun Leuten das aufdrücken. Da kam es einfach zum riesen Stress. Und das ist halt eskaliert. Die Regeln sind weicher geworden. Dann hieß es irgendwann: ach ja komm, ist doch nicht so schlimm, wenn wir jetzt einen Tag vom Dienst her nicht besetzen können. Das kann ja dann das Team machen. Und da wir ja doch dieses Angestelltenverhältnis haben, geht das halt gar nicht. Darum haben wir auch jetzt nochmal mehr Ordnung reingebracht und mehr Regeln. Weil das einfach so die Grundlage ist, auf der das hier läuft. (Bewohner*in3, 90f.)

Bewohner*in3 sieht die Strukturen und Regeln als sehr bedeutend für ein reibungsloses Zusammenleben in der WG. Letztendlich können sie jedoch auch einer Lebensführung, die von den Normen der WG abweicht, entgegen stehen. Die Gemeinschaft ist hier der individuellen Entfaltung übergeordnet. Auch das Selbstverständnis, dass jemand in Bezug auf seine*ihre Rolle als Mitbewohner*in hat wird in die Frage mit einbezogen. Bewohner*in3 betont das Angestelltenverhältnis, in dem er sich und die anderen Bewohner*innen ohne Unterstützungsbedarf dem Verein gegenüber sieht. Auch aus dieser Perspektive sieht er es als notwendig an, sich an die WG-Regeln zu halten (Bewohner*in3, 91). Wie bereits in Kapitel „Umgang mit Konflikten“ beschrieben, wurde in diesem Konfliktfall der Verein zur Klärung hinzugezogen, Moderationen durchgeführt und das eigentliche Kernproblem herausgearbeitet.

Ja das hat sich ja eigentlich entzündet an der Frage, müssen alle jetzt Veganer werden. Ich weiß nicht, ob der Bewohner*in3 das erzählt hat? [...] Das war so die Frage und natürlich ist MLL dann auch gefragt als Träger praktisch der WG sich da auch einzumischen. Und es war klar, das kann ja wohl nicht sein. Jeder hat irgendwie - gibt nicht seine Individualität ab, wenn er in die WG einzieht. Und da wurde auch eine Moderation gemacht. Also da wurde eine Moderatorin eingeschaltet, die das moderiert hat. Es wurden nochmal WG-Sitzungen gemacht, wo ich dann teilweise auch dabei war. Es wurden klare Dinge auch nochmal festgelegt. Und es war sehr schnell offensichtlich, dass das gar nicht das Thema war. Sondern es um etwas viel Grundlegenderes ging. Nämlich um die Frage, wohne ich hier in der WG wie in jeder anderen WG und verdiene mein Geld damit oder LEBE ich hier und sehe das wirklich das auch als mein Leben an. Und Bewohner*in3 hat das in dem Filmbeitrag irgendwie ganz schön formuliert, indem er gesagt hat, das ist hier wie eine Familie. Also wenn er am Wochenende mal seine Familie gesehen hat, dann kommt er zurück und dann sagt er, dann komm ich in die andere Familie. Also so. Da glaub ich auch, dass das nichts zu tun hat damit, dass es eine integrative WG ist, sondern das ist ein Grundkonflikt überhaupt von WGs. (Verein1, 78)

Verein2 beschreibt in Bezug auf das Selbstverständnis innerhalb der WG noch einen weiteren Aspekt: Was erwarte ich überhaupt von einer Gemeinschaft und in welcher Art von Gemeinschaft möchte ich leben? In Bezug auf die WG differenziert sie zwischen einer zweckmäßigen Gemeinschaft, die sich nur den Wohnraum teilen und günstig leben möchte oder einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft, die sich eher im Sinne einer familiären Verbindung interpretiert. Diesen Zwiespalt sieht sie nicht speziell im Kontext einer inklusiven oder integrativen WG, sondern als die Grundfrage, die sich jede WG stellen muss. Allerdings sieht sie im Rahmen einer inklusiven Wohngemeinschaft dennoch eine besondere Bedeutung.

Das hat mit integrativ oder nicht-integrativ nichts zu tun, denke ich. Aber wird halt da nochmal wichtiger. So weil das nur mit so einem Verständnis, naja – eine gewisse Zeit und meine Dienste das mache ich halt ... und das hat man auch gesehen in der WG. Wenn der Dienst zu Ende war und dann war die Küche leer. Da war derjenige, der Dienst hatte in der Küche und heute ist da Treiben. Da spielt sich wieder alles in der Küche ab und alle sind da. (Verein2, 78)

Eine sich solidarisierende Gemeinschaft sieht sie als Grundvoraussetzung für das Gelingen einer inklusiven Wohnform. Beim Vergleich der beiden Wohngemeinschaften stellt sich jedoch die Frage, in wieweit das durch Regeln gelenkt werden muss. Während in Ludwigshafen weniger Einbindung in Dienste erfolgt zeichnen sich beide WGs durch ein reges Miteinander und gegenseitige Unterstützung aus. Schließlich meint auch Verein2, hänge es vor allem von der Einstellung der Leute und der Chemie innerhalb der WG ab.

Neben der Frage nach Gemeinschaft und Individualität ist in Bezug auf heterogene Gruppen auch der Öffnungsgrad der Wohngemeinschaften von Interesse. Hier wurden insbesondere dazu Aussagen gemacht, welche Voraussetzungen für den Einzug in die WG von Bedeutung sind. Prinzipiell sehen sich beide WGs für alle Menschen offen. Auswahlkriterien ergeben sich vor allem aus den Wünschen der Bewohner*innen. Klar gegen einen Einzug würden natürlich Gesinnungsfragen, wie Rassissmus oder gesetzesfeindliche Einstellungen sprechen, meint Assistenz2 (126f.). Bewohnerin*1 findet, es sei in erster Linie wichtig, dass die Leute offen seien, für die Bewohner*innen mit Unterstützungsbedarf (Bewohner*in1, 34). Von beiden WGs wird der Wunsch nach guten Deutschkenntnissen genannt. Darüber hätte es jedoch auch schon Debatten gegeben, meint Bewohner*in1.

Und die Sprache ist so ein Thema, da haben wir auch lange diskutiert. Auf der einen Seite haben wir schon gesagt, es ist eigentlich nicht schlimm, wenn jemand einzieht und schlecht Deutsch spricht. Weil er ja auch dadurch profitiert und wir inklusiv sind. Auf der anderen Seite, können unsere Bewohner mit Beeinträchtigung überhaupt keine andere Fremdsprache. Was es dann schwierig macht einfach, den Alltag mit ihnen zu gestalten. Da spricht sich zum Beispiel auch der D. vehement dagegen aus, dass zum Beispiel jemand mit englischer Muttersprache hier einzieht, wenn halt das Deutsche nicht da ist. Wir hatten einen Bewerber, der sehr, sehr schlecht Deutsch gesprochen hat und den haben wir dann auch abgelehnt. Aber das ist ein Diskussionspunkt unter uns auch gewesen. (Bewohner*in1, 34)

Ebenso erzählt Assistenz2, dass das Beherrschen der deutschen Sprache für sie eine Grundvoraussetzung sei. Auch er sieht die Begründung in der Gewährleistung von Teilhabe für die Bewohner*innen mit Unterstützungsbedarf.

Mir fällt – natürlich muss – die deutsche Sprache muss beherrscht werden, weil wir wollen eben, gerade weil wir sicherstellen wollen, dass Menschen mit einer nicht-verständlichen Meinungsäußerung auch gut verstanden werden. (Assistenz2, 126f.)

Die Befragten betonen, dass es jedoch keine Rolle spiele, ob die Personen einen Migrationshintergrund hätten (Verein1, 11). So wohnen in beiden WGs auch Bewohner*innen anderer Nationalitäten. Als weiteres Kriterium wird eine gewisse Einschränkung der Altersspanne erwähnt, um ähnliche Interessensgruppen zu gewährleisten.

Wir haben jetzt gesagt, wir wollen niemanden, der unter zwanzig ist. Weil einfach die mit Beeinträchtigungen, die M. ist 29, der Bewohner*in2 49, der J., ich glaub 28 und der D. auch 27. 26, 27. Und wenn wir jetzt da jemanden dazu holen, der jetzt irgendwie 18 ist und dann haben wir das Gefühl, dass es halt nicht passen würde. Weil einfach die Interessen dann so anders sind. (Bewohner*in1, 34)

Auch Verein2 meint, dass dies eine „WG für junge Leute sei“ (Verein2, 79). Allerdings fügt sie auch hinzu, dass das nicht ewig so bleiben werde. Schließlich würden die Bewohner*innen mit Unterstützungsbedarf, die tendenziell länger dort wohnen, auch älter werden und dann müsse man mal weiter sehen. Auch Verein1 betont, dass es wichtig sei, dass sich die Leute miteinander wohl fühlen. Eine inklusive Ideologie dürfe dabei nicht im Wege stehen.

Ich denk, das ist auch die Sache, wenn man sagt, Inklusion, das kann man nicht verordnen. Das ist so irgendwie, ähm, da kann ich nicht sagen, du musst mit deiner Oma wohnen. Wenn du ein Mensch bist, der offen ist für Omas, dann ist das gut, dann passt das auch. Aber wenn du sagst, ich kann alte Leute nicht leiden, dann kann man auch nicht zusammen leben. Auch wenn man hundertmal sagt, wir sind für Inklusion. Aber es muss auch für das Kind stimmen. (Verein1, 16)

Eine gewisse Einschränkung des Personenkreises ergibt sich in der Saarbrückener WG dadurch, dass die zeitliche Flexibilität eine große Rolle spielt. Dadurch kommen als Bewohner*innen ohne Unterstützungsbedarf hauptsächlich Studierende in Betracht. Die Frage nach der Heterogenität stellt sich auch innerhalb der Gruppe der Bewohner*innen mit Unterstützungsbedarf. Verein1 meint:

Also wir haben eigentlich alles mögliche in unserem IGLU drin an behinderten Menschen. Und das fand ich immer auch das Spannende. Und es war mir eigentlich schon immer klar, wo die M. das erste Mal auf eine Freizeit gegangen ist, dass genau der Mix so gut ist. Weil die Verhaltensauffälligen, nenn' ich mal so die sozial-emotionalen, die können ganz gut mit so einem Mensch wie der M.. Weil die M. nichts fordert. (Verein1, 10)

Sie berichtet auch, dass sie sich während des Aufbaus der WG verstärkt mit verschiedenen Behinderungsbildern auseinandersetzen mussten. Dabei kam die Frage auf, ob es eine Rolle spielt, welche Art der Beeinträchtigung ein Mensch mit sich bringt. Es sei ihnen beispielsweise davon abgeraten worden, Menschen mit psychischen Erkrankungen in die Wohngemeinschaft aufzunehmen.

Wir hatten auch noch viel mehr Bewerber. Wir hatten eine Familie mit Geschwistern, wovon eins behindert war, eins nicht behindert. Dann hatten wir noch eine psychisch Kranke. Wir müssen uns natürlich auch auseinandersetzen mit verschiedenen Behinderungsbildern. Uns wurde auch abgeraten eigentlich von psychisch Kranken. (Verein1, 9f.)

Eine befreundete Ärztin wäre besorgt gewesen und meinte, dass das vielleicht zu schwierig werden könnte.

Das war eine Ärztin, die ich gut kenne. Und die gesagt hat, die Schwierigkeit ist, wenn man das nicht im Griff hat, wenn die Tabletten nehmen müssen. Und wenn es so schwierig wird, dann kriegt man das oft nicht mal mit. Aber die hat es vielleicht eher aus Angst gesagt. Ich hätte es gemacht. (Verein1, 10f.)

Sie meint letztendlich hätte sie es dennoch versuchen wollen, aber die junge Frau habe schließlich abgesagt.

Die Art der Finanzierung zeigt sich als weiterer Punkt, der sich auf die Auswahl des Personenkreises auswirkt. Die beiden Wohngemeinschaften verfolgen hier unterschiedliche Linien. In IGLU decken sich die Personalkosten für die beiden hauptamtlichen Kräfte über die persönlichen Budgets der Bewohner*innen. M.s persönliche Assistenz ist diesbezüglich nicht Teil der WG und wird auch unabhängig davon finanziert (Verein1, 18-20; Verein1, 16). Saarbrücken verfolgt ein Modell, in dem die Assistenzkräfte nicht auf persönlicher Basis agieren, sondern für alle Bewohner*innen mit Unterstützungsbedarf zuständig sind. Folglich sind die Personalkosten über die Bezüge aller Bewohner*innen mit Unterstützungsbedarf zu decken. Das erfolgt hier zum einen über das persönliche Budget, zum anderen aber auch über die Pflegekasse. Verein2 erzählt, es sei so geregelt, dass ein stationärer Bedarf ambulant umgesetzt werde (Verein2, 75). Daraus ergibt sich jedoch auch, dass zur Deckung der Personalkosten ein gewisser Pflegebedarf der Bewohner*innen bestehen muss. Sie meint: „Das ist schon so ein Problem. Das stimmt. Also wenn da jetzt jemand einzieht, der ganz wenig Unterstützungsbedarf hat, dann passt das irgendwie nicht so richtig“ (Verein2, 85). Diese Regelung besteht auch für die Planung einer neuen Wohngemeinschaft.

Aber es ist tatsächlich auch ein finanzieller Punkt - jetzt für die zweite WG ist es so - wir haben sieben oder acht Interessenten für die zweite WG. Es wird nur fünf Plätze auch wieder geben. Und als die Eltern gefragt haben, ja wie macht ihr denn die Auswahl, habe ich gesagt, es sind zwei Kriterien. In der Vorbereitung, die gemacht wird und den Wochenenden sieht man schon mal wer passt dazu und wer passt nicht, wer passt nicht zusammen. Es geht nur, wenn die Leute sagen JA mit dem das kann ich mir vorstellen. Das ist gut. Und wir auch sehen JA das kann gehen. Und das Andere ist, dass wir sehen müssen, dass wir eine Mischung hinkriegen. Und die Mischung heißt, es kann nur eine Person einziehen, die keine Pflegestufe hat. Das ist dann zum Beispiel auch dann. Dann ist es so. Ich kann es irgendwie jetzt nicht ändern. (Verein2, 86)

Auch Verein1 meint, eine Finanzierung über die Pflegekasse würde einen hohen Personalaufwand verursachen, verbunden mit hohen Personalkosten. Zudem sei der Personenkreis dadurch sehr eingeschränkt. Auf Grund dessen habe sie ein anderes Modell gewählt (Verein1, 21f.). Betrachtet man die WG-Strukturen bezüglich ihrer Bewohner*innen mit Unterstützungsbedarf, fällt auf, dass der Unterstützungsbedarf in der Saarbrückener WG tatsächlich höher liegt als in Ludwigshafen. Letztendlich lässt sich festhalten, dass die Frage nach Heterogenität und deren Anerkennung ein sehr komplexes Thema ist, was durch vielfältige Faktoren beeinflusst wird. In beiden WGs zeigt sich grundsätzlich ein offenes Klima, dass verschiedenste Menschen willkommen heißt. Vielfalt ist hier gewollt und wird als Bereicherung erlebt. Eine Unterscheidung verschiedener Gruppen, besonders auf der Ebene des Umgangs untereinander, wird eher nicht erlebt. Eine Einschränkung dieser Offenheit kann sich aus organisatorischen oder finanziellen Gründen ergeben, aber auch aus persönlichen Präferenzen. Bei der Betrachtung der zwei Wohngemeinschaften, mit ihren unterschiedlichen Strukturen, stellt sich jedoch auch die Frage, wie viel Individualität in einer Gemeinschaft möglich ist.

4.9 Normalität

Laut Theorie bezieht sich Normalität vor dem Hintergrund von Behinderungserfahrung darauf, ein Leben unter den gleichen Bedingungen führen zu können, wie es andere Menschen auch tun. Die Befragten beider WGs betonen an verschiedenen Stellen, dass es in ihrer Wohngemeinschaft eigentlich ganz ‘normal‘ laufe, so wie in anderen WGs auch. So meint Bewohner*in1:

Dass wir zwar Menschen mit Beeinträchtigung hier haben, aber das eigentlich nicht wirklich spürbar ist. Wir können unseren Alltag genauso verleben wie vorher. Sie können ihren Alltag genauso verleben wie vorher. Und, dass wir einfach keine Besonderheiten daraus machen. Die müssen genauso putzen. Sie müssen genauso sich selbst was kochen. Dass wir einfach da keine Mutterrolle übernehmen, sondern einfach Freundschaften daraus machen. (Bewohner*in1, 40)

Normalität beginnt gewissermaßen bereits dadurch, dass alle Bewohner*innen die Möglichkeit haben selbst zu bestimmen, ob sie in die WG einziehen möchten. Der Bewerbungsprozess läuft über reguläre Suchportale im Internet.

Also bei uns ist es so, man bewirbt sich praktisch über WG-Gesucht ganz normal. Kommt dann hierher um sich vorzustellen. Sind meistens dann - also wir schauen immer, dass alle da sind um die halt kennenzulernen. (Bewohner*in3, 92)

Auch die Wohnungen an sich befinden sich in regulären Mehrfamilienhäusern, mitten in der Stadt. Prinzipiell, könnte man ganz viele Häuser für derartige Wohnprojekte nutzen, weil gar nicht viel verändert werden müsse, meint Verein1.

Verein1: Ja. Wenn da eine so 100 Quadratmeter – ich weiß nicht, wie groß die hier gegenüber ist. Zum Beispiel GAG. Das ist die städtische Wohnungsbaugesellschaft. Wenn ich denk, was die an Häusern haben. Also es muss auch nicht so sein, weil die Zimmer sind einfache Zimmer. Die sind fünfzehn, höchstens zwanzig Quadratmeter.

I1: Ja, so normale WG-Zimmergröße eigentlich. Verein1: Ja. Und sogar auch die Küche. Die Küche ist normal genormt. Aber dadurch, dass die Gänge so breit gemacht sind, gibt es einfach viel mehr Raum. Da kann man einiges mit so Häusern machen. (Verein1, 8)

Sie berichtet auch, dass zwar der Verein als Träger für die Wohngemeinschaft auftrete, die Strukturen jedoch denen eines gewöhnlichen Mietverhältnisses entsprächen. So habe auch jede*r seinen*ihren eigenen Mietvertrag. Die Bewohner*innen hätten in der WG ihren Lebensmittelpunkt. Regelungen wie festgesetzte Heimfahrten am Wochenende für Bewohner*innen mit komplexen Unterstützungsbedarf aufgrund von Betreuungsmangel gäbe es nicht. Im Notfall wäre ihre Tochter Zuhause natürlich immer willkommen, aber zuerst würde sie versuchen, andere Wege zu finden (Verein1, 17). Neben diesen strukturellen Gegebenheiten wird von den Befragten besonders der Umgang untereinander als ‘normal‘ beschrieben, was sich so deuten lässt, dass keine Unterschiede gemacht werden, ob jemand einen Unterstützungsbedarf hat oder nicht. Verein2 berichtet, dass die WG dieses Jahr zum ersten Mal ein gemeinsames Silvester plane. Das sei für sie ein Stück Normalität, weil alle ihr Leben zusammen in ihrem gemeinsamen Lebensraum gestalten wollen, ohne, dass es irgendjemand von außen aufdränge.

Also jetzt zum Beispiel planen Sie zum ersten Mal ein gemeinsames Silvesterfest. Und das war auch nie. Das war auch nie. Sondern das war immer so, die Bewohner ohne Behinderung sind zu ihren Freunden irgendwo hin. Waren nicht da. Und die Bewohner mit Behinderung, da haben - das erste Jahr haben die Eltern was gemacht, manchmal auch nur einmal. Und ansonsten entweder das Team hat was gemacht oder, oder. Aber nie die Bewohner. Und da ist es jetzt so, dass die Bewohner das machen. Das ist für mich inklusiv, WEIL wenn ich irgendwo wohne, das ist mein Lebensraum. Und so ein besonderes Ereignis wie Silvester will ich da auch feiern, in meiner vertrauten Umgebung. Das ist für mich ganz normal. Und dann ist das mit allen die dann da auch wohnen. (Verein2, 84)

Zu einem ‘normalen‘ Umgang würden auch gelegentliche Streitereien und Diskussionen gehören, findet Assistenz1.

Ja, ich würd', ich weiß nicht, ich würd' sagen so ein bisschen, eigentlich ganz normal wie in jeder anderen WG auch. Es gibt natürlich auch Streit und Diskussionen, ja aber eigentlich das schon immer auch geschaut wird, dass alle einbezogen werden. Aber ich finde es eigentlich auch gerade gut, dass es dann halt auch mal Diskussionen gibt und nicht nur weil das jetzt eine Person ist, die eine Behinderung hat, geht dann halt alles. (Assistenz1, 65)

Assistenz2 meint, es ginge auch darum, Menschen mit Behinderungserfahrung Normalität zu ermöglichen (Assistenz2, 127). Dazu gehört beispielsweise die Gestaltung des Tagesablaufs. Bewohner*in1 erzählt, dass sie versuche M. in Alltagsaktivitäten einzubinden.

Ich nehm' die Rolle ein, einfach die Menschen so zu behandeln, wie jeden anderen auch. Die M. zum Beispiel nehm' ich mit auf Behördengänge oder ins Kino oder, keine Ahnung. Ich war auf dem Arbeitsamt mit ihr, ich war im Rathaus mit ihr, ich war einkaufen mit ihr. Alles so was ich täglich mache, versuch ich die M. einzubinden, einfach in meinen ganz normalen Alltag. Dass sie eben nicht da sitzt und ja, sie ist behindert, sie braucht da nicht hingehen, sondern ganz normal den Alltag erleben. So seh' ich meine Rolle, dass ich den Leuten einfach zeige, wie ich lebe und sie daran teilhaben lasse. (Bewohner*in1, 39)

Über sich selbst berichtet sie, dass sich ihr Tagesablauf dadurch, dass sie in der WG lebe, nicht von dem einer beliebigen anderen Person unterscheide.

Aber ansonsten, vormittags bin ich meistens alleine und genieß' die Ruhe. Mittags geh ich dann arbeiten und wenn ich abends zurück komme, ist hier oben immer ‘Halligalli‘, dann sind alle da. Und dann verbringen wir die Abende gemeinsam, kochen, gucken Fernseher, erzählen. Im Sommer sitzen wir auf dem Balkon. Also eigentlich ein ganz normaler Tagesablauf, wie jeder andere Mensch ihn auch hat. (Bewohner*in1, 27)

Zu dieser ‘Normalität‘ gehören auch die selben Aufgaben und Pflichten, die in anderen Haushalten anfallen, wie zum Beispiel das Putzen der Wohnräume und Bäder. Sie berichtet, sie hätten versucht das über verschiedene Putzpläne zu regeln, wie auch in anderen WGs – und genauso gut oder schlecht habe dies auch funktioniert (Bewohner*in1, 27f.). Bewohner*in3 berichtet, dass er manchmal die Grenzen dieser Normalität zu spüren bekäme. Innerhalb der WG sei alles in Ordnung und das Leben mit Menschen mit Behinderungserfahrung für ihn völlig normal geworden. Wenn er die Wohnung verlasse, merke er jedoch auch, dass das nicht für jeden so normal ist.

Mir fällt es halt nicht auf mehr wenn ich mit F. in die Stadt gehe und den Rollstuhl mitnehme. Oder in die Disko abends tanzen gehen oder mit in die Kneipe. Ich habe ihn letztens mitgenommen mit meinen Freunden halt und die haben ihn alle schon so ein bisschen gekannt, aber dann sitzen wir mit denen in der Kneipe und die sprechen halt mit dem so ein bisschen - wahrscheinlich wie man es auch gemacht hätte am Anfang, als man hier eingezogen ist. Wissen nicht, für wie voll sie ihn nehmen können oder wie fit er ist. Und da fällt einem erst auf wie normal das einen eigentlich geworden ist mit dem zusammen zu wohnen. Und wie besonders das eigentlich nach außen scheint. (Bewohner*in3, 97f.)

Insgesamt zeigen die Befragungen, dass die WGs in vielen Aspekten Lebensbedingungen schaffen, die sich nicht von denen anderer Wohngemeinschaften unterscheiden. Dazu gehört zum Beispiel die Wohnstruktur, die Gestaltung des Tagesablaufs, das Erledigen von Pflichten oder auch Streitereien und Diskussionen. Alle Befragten betonen das Empfinden einer Normalität. Das bezieht sich besonders auf den Umgang untereinander. Assistenz2 sieht in dieser Normalität das Inklusive der WG.

Ja, eben diese Normalität einfach. Das ist – hier wohnen elf junge Leute, die miteinander leben, die normal miteinander leben und normal miteinander den Alltag bestreiten und miteinander rausgehen, normal miteinander umgehen. Da wird auch mal gefrotzelt, über eine Behinderung. Und das ist halt das Normale. So wie man über den künstlich geschnitten Bart von jemandem frotzelt, kann man auch darüber frotzeln, dass jemand ein bisschen schief geht. Das ist eben dieses Offene, von dem ich vorhin gesprochen hab. Und dieses altersgerechte. Junge Leute sind so. Die ziehen sich auch mal mit so einem Ding halt ein bisschen auf. Und das ist dieses Normale einfach, dass die hier normal zusammen leben können. Auch zusammen einen trinken gehen normal und ihren Spaß haben. Normal am Leben teilhaben, für die jungen Leute. Für unsere – insbesondere die, die einen Unterstützungsbedarf haben. (Assistenz2, 129)

4.10 Subjektives Inklusionsverständnis

Ein Teil der Interviewfragen zielten darauf herauszufinden, was für die einzelnen Personen Inklusion bedeutet. Die Aussagen sind natürlich als subjektive Einschätzungen der Beteiligten zu sehen, allerdings bieten sie einen guten Überblick über die grundlegenden Werte, die von den Befragten geteilt oder auch nicht geteilt werden. Die Darstellung dieser persönlichen Meinungen ist auch deshalb von Bedeutung, da sie zeigen auf welcher Basis die Wohnprojekte stehen und inwieweit die Auseinandersetzung mit dem Konzept von Inklusion eine Rolle spielt. Das bloße Wissen um inklusive Werte ist dabei kein Garant für die gelingende Umsetzung, aber es zeigt dennoch die Einstellung, die die Beteiligten im Alltag begleiten. Die Auseinandersetzung mit diesem subjektiven Verständnis ermöglicht weiterhin eine teilweise Abgrenzung zum Konzept der Integration von Menschen mit Behinderungserfahrung, welche für die Beantwortung der Fragestellung bedeutsam sein kann.

Je nachdem wie intensiv sich die befragte Person bisher mit dem Thema Inklusion auseinandergesetzt hat, desto detaillierter waren auch die Antworten die diesbezüglich gebracht wurden. Bis auf Bewohner*in2 und Bewohner*in4 konnten auch alle Befragten etwas mit dem Begriff Inklusion verbinden. Bei diesen beiden Bewohner*innen ist durchaus im Nachhinein kritisch zu hinterfragen, inwieweit die Frage diesbezüglich zu komplex formuliert wurde und auf Grund dessen keine entsprechende Antwort erzielt werden konnte.

Im Allgemeinen wird in den Aussagen der Befragten deutlich, dass es für sie um die Anerkennung jedes Einzelnen geht und um die Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse, wie es beispielsweise Assistenz1 in folgender Passage deutlich macht:

Für mich bedeutet es im Prinzip, dass man jeden ja so akzeptiert wie er eben ist und auch mit seinen Bedürfnissen. Und dass man individuell damit umgeht und (.) ja eben verschiedene Menschen zusammen leben können. Ganz normal. In allen Bereichen eben. (Assistenz1, 70)

Es geht ihr demnach um die Anerkennung von Vielfalt und um ein „normales“ Zusammenleben. Verein1 erweitert den Bezug zur Normalität noch, in dem sie folgendes antwortet:

So normal wie möglich (lacht). [...] Diese Woche hatten wir hier Studenten, da ging es um das Thema Sozialraumorientierung. Ich hatte gerade vorher (unv.). Und die hab ich selber mal persönlich getroffen und sie hat eigentlich eine Sache gesagt: Jeder Mensch hat seine Fähigkeiten und hat seine Gabe. Und wenn man die Gabe hat oder das was ein Mensch kann und dann guckt, was bietet ein Viertel an und dann zu gucken, wo kann ich die Gabe hier umsetzen, das ist für mich eigentlich Inklusion. Auch so, dass man nicht sagt, das geht nicht und das geht nicht und das kann sie nicht und das kann er nicht. Dass man sagt, was besagt diese Person? Und das was er kann und gut kann, das einfach auch zu nehmen und auszubauen. (Verein1, 22f.)

Es geht ihr folglich um die Beachtung der vorhandenen Fähigkeiten der einzelnen Personen. Diese ressourcenorientierte Betrachtung ist für Verein1 die Basis auf der es aufzubauen gilt. Diese und andere Aussagen zielen alle gleichsam darauf ab, dass es neben der Anerkennung von vielfältigen Fähigkeiten auch um die Entwicklung eigener Persönlichkeiten geht. Bewohner*in3 bringt es nochmals auf den Punkt, als er betont, „dass sie praktisch hier sie selbst sein können“ (Bewohner*in3, 97). Für Bewohner*in1 zeigt sich Inklusion daran, dass eine Bezeichnung dessen nicht mehr notwendig ist. So führt sie dazu aus:

Inklusion bedeutet für mich eigentlich, dass man den Begriff nicht braucht. Also, dass man einfach alle Menschen gleichwertig sieht. Und dadurch brauch ich den Begriff selbst eigentlich nicht mehr, weil jeder gleich viel wert ist. Es geht ja darum, die Stärken des Menschen zu sehen. Und sobald ich einfach keinen Unterschied mehr mach', brauch ich das Ganze auch nicht mehr zu benennen. (Bewohner*in1, 39)

Sie bezieht sich ebenfalls auf die Ressorcenorientierung, gleichzeitig aber auch auf die Gleichwertigkeit der Menschen, die für sie für das Konzept der Inklusion wichtig ist. Im weiteren Verlauf des Interviews verweist sie auch darauf, dass Inklusion bezogen auf die WG sich daran zeigt, dass Beeinträchtigungen nicht mehr sichtbar beziehungsweise nicht mehr spürbar sind. Dadurch kommt es auch nicht zu verschiedenen Hierarchien, wie man beispielsweise an folgendem Satz erkennen kann: „Dass wir einfach da keine Mutterrolle übernehmen, sondern einfach Freundschaften daraus machen.“ (Bewohner*in1, 40) Verein2 formuliert ihre Einschätzung etwas ausführlicher, indem sie folgendes erläutert:

Also ich sage ja - es war nie eine inklusive WG. So. Es war nie eine inklusive WG. Allmählich habe ich das Gefühl, dass es von - wenn man nur die WG von innen sieht, dass es schon in diese Richtung geht, weil (2) da gehört einfach dazu nicht nur anzuerkennen, dass jemand anders ist, sondern wirklich auch zu gucken, wie man das ausgleichen kann. Also das sind ja immer zwei Sachen. Also in der UN-Konvention finde ich das mit den angemessenen Vorkehrungen wie das formuliert ist. Also es geht nicht nur drum Zugang zu kriegen, sondern Bedingungen zu schaffen, die jedem die größtmögliche Entwicklung erlaubt. Das ist es. Und (2) das hab ich nicht gesehen, dass das so der Geist ist dieser WG. Das habe ich nie so gesehen. Sondern (2) man hat sich auch nicht so richtig eingelassen drauf, sondern da war immer noch eine große Abgrenzung irgendwie da und genau diese zwei Gruppen, das war so sehr starr. Das ist in Bewegung gekommen. Und da könnte ich mir vorstellen, dass ich irgendwann sagen würde JA, das ist eine inklusive WG, von dem was intern ist. Es ist nach außen vielleicht noch nicht so. Weil das die Anbindung wirklich fehlt im Viertel. (Verein2, 83f.)

In dieser Darstellung werden zwei Schwerpunkte deutlich: zum einen vollzieht Verein2 eine Abgrenzung vom Konzept der Inklusion zu dem der Integration von Menschen mit Behinderungserfahrung. Für sie liegt der entscheidende Unterschied darin, dass nicht nur der bloße Zugang wichtig ist, sondern der Schwerpunkt vielmehr darin liegt Bedingungen zu schaffen, die eine größtmögliche Entwicklung für den Menschen ermöglicht. Zum anderen sieht sie im Hinblick auf die WG Inklusion als einen Prozess, der angestrebt werden kann. So sieht sie auf der internen Ebene des Wohnprojektes bereits Fortschritte im Hinblick auf die inklusive Gestaltung, im Bereich der Außenwirkung zeichnet sie deutliche Grenzen und verweist dabei auf das Konzept der Sozialraumorientierung.

Die befragte Assistenzkraft in Saarbrücken bezieht sich in seiner Antwort zuerst auf die Menschen mit Behinderungserfahrung, denen Normalität ermöglicht werden soll. Er verbindet Inklusion auch ganz allgemein mit dem Bezug zur Normalität:

Ja, Inklusion bedeutet für mich in erster Linie, dass wir auch Menschen mit Behinderungen einfach Normalität ermöglichen. Mal abgesehen von dem ganzen Definitionssachen, Inklusion ist für mich Normalität. Alle leben zusammen. Alle sind gleich. Alle haben die gleichen Möglichkeiten. Alle dürfen zumindest theoretisch alles machen wollen. Und es wirklich schon sehr schwerwiegende Gründe dagegen sprechen was zu machen. (Assistenz2, 128)

Auch bezogen auf die WG zeigt sich Inklusion für ihn an der Normalität des „miteinander lebens“, bei dem altersgerechte Unternehmungen genau so alltäglich sind wie die Möglichkeit sich gegenseitig auch auf die Schippe zu nehmen. (Assistenz2, 129)

Auch wenn die Befragten keine umfangreiche Definition des Konzeptes erläutern, teilen sie doch alle das beschriebene Grundverständnis. In den verschiedenen subjektiven Darstellungen zeigen sich eine Reihe wichtiger inklusiver Aspekte und Werte. So wurde ebenso die Bedeutung des Zugangs zum „normalen“ gesellschaftlichen Leben betont, wie auch der hohe Stellenwert der persönlichen individuellen Entwicklung. Inklusion wird als Gegenpol zur Ausgrenzung an den Rand der Gesellschaft begriffen. Aus einigen der dargestellten Aussagen wird auch deutlich, dass ein respektvoller offener Umgang ohne Hierarchien als wichtig für ein inklusives Zusammenleben gesehen wird. Alle Aussagen lassen erkennen, dass der Verschiedenheit der Menschen eine positive Rolle zukommt im Konzept der Inklusion. Besonders in der Antwort von Verein2 wird deutlich, dass Inklusion kein Ergebnis darstellt, sondern die Leitidee eines Prozesses. Es zeigt sich also insgesamt, dass bei fast allen Befragten Inklusion ein Thema darstellt, mit dem sie sich mehr oder weniger intensiv beschäftigen, sei es durch die individuellen Lebenswege, das Studium, die Arbeit für und im Verein oder das Leben innerhalb der WG. Ausnahmen bilden dabei, wie bereits erwähnt, die Bewohner*innen 2 und 4, für die an dieser Stelle keine Aussage getroffen werden kann, da sie sich zu dem Themenfeld nicht geäußert haben.

4.11 Zukunftsperspektive

In den individuellen Zukunftsplanungen spiegeln sich die Gedanken einer weiteren Lebensplanung wieder. Sie können Auskunft darüber geben, ob und wie man sich selber in einem Entwicklungsprozess sieht. Die Vorstellungen über die zukünftige Wohnsituation sind davon ebenso betroffen. So wurden die Interviewpartner*innen gefragt, wo sie sich selber und das jeweilige Wohnprojekt in einigen Jahren sehen. Besonders bei den Bewohner*innen kann dies auch Hinweise darüber geben, inwieweit sie ihren momentanen Zustand als entwicklungsfähig betrachten oder ob das Leben in der WG ihnen eine Perspektive auf Veränderung verwehrt. Da Unterbringungen in stationären Institutionen meist eine festgelegte Zukunftsperspektive mit sich bringt, kann dieser Gesichtspunkt durchaus auch unter dem Aspekt inklusiven Wohnens diskutiert werden. Bei den Antworten der Beteiligten zeigen sich diesbezüglich unterschiedliche Perspektiven auf das Thema. So antworten die Personen der jeweiligen Vereine und die Assistenzkräfte verstärkt mit Blick auf das Wohnprojekt selbst und dessen Entwicklung. Die Bewohner*innen betrachten es hingegen auf einer eher persönlicheren Ebene. In Ludwigshafen sieht beispielsweise Bewohner*in1 ihre Perspektive folgendermaßen:

Keine Ahnung. Das ist eine gute Frage (lacht). Ich hab keine Ahnung. Ich denke, irgendwann will ich Familie und Kinder haben. Und dann ist das hier glaub ich eher nichts mehr. Weil einfach der Raum dann doch nicht gegeben ist, mit mehreren Leuten hier zu wohnen. Aber ansonsten könnte ich mir erst mal, solange ich alleine bin, auch vorstellen ewig hier zu bleiben erst mal. (Bewohner*in1, 40f.)

Sie verknüpft die Dauer, die sie in der WG wohnen möchte, an dieser Stelle mit ihrem Beziehungs- oder Familienstatus, sieht für sich aber in der Zukunft durchaus eine Veränderung ihrer Lebenssituation. Weniger konkret antwortet Bewohner*in2, als er auf die Frage nach einer möglichen Änderung der Wohnsituation mit „nee erstmal hier“ (Bewohner*in2, 55) antwortet. In Saarbrücken zeigt sich ein ähnliches Antwortverhalten. So beantwortet Bewohner*in3 die Frage nach der zukünftigen Wohnvorstellung, indem er für sich durchaus die Möglichkeit sieht später einmal alleine zu wohnen. Er begründet dies folgendermaßen:

Ich glaube, so schön es hier ist, freue ich mich schon danach drauf mal alleine zu wohnen. Wir haben jetzt zum Beispiel nächstes Wochenende wieder WGfreies Wochenende, wo man halt einfach mal - da sind alle mit Unterstützungsbedarf zu Hause, da gibt es halt keine Pflichten und keine Verantwortung in irgendeiner Weise. Da hat man einfach mal sozusagen seine Ruhe. Das ist schon auch schön. Ja, die ganzen Sachen mit Putzen. Wenn ich mal selber entscheiden kann, wann ich was putze und dann ist es auch sauber, weil ich es gemacht habe und nicht elf Leute - oder zehn andere Leute wieder drüber und dann denkt man na. Ich freue mich auf jeden Fall danach mal alleine zu wohnen, aber habe auch für mich entschieden, dass ich hier noch auf jeden Fall länger wohnen bleiben möchte. (Bewohner*in3, 99)

Er hat sich demnach für die nächste Zeit für die Wohngemeinschaft entschieden, äußert allerdings für die Zukunft den Wunsch weniger an die Pflichten und Verantwortungen gebunden zu sein, die die WG mit sich bringt. Bewohner*in4 äußert die Vorstellung in Zukunft aus der momentanen Wohnung auszuziehen auch wenn er dabei nicht benennt, wohin es ihn verschlagen könnte. Allerdings äußert er an dieser Stelle auch, dass er sich vorstellen kann irgendwann alleine zu wohnen.(Bewohner*in4, 116) Die beiden befragten Assistenzkräfte und die Personen der jeweiligen Vereine wurden eher in Bezug zur möglichen Entwicklung der WG gefragt. Die Antworten enthalten dennoch die Perspektive, inwieweit sie eine Veränderung bei den Bewohner*innen sehen. Die befragte Assistenzkraft in Ludwigshafen antwortete diesbezüglich:

Eine gute Frage (lacht). Also ich finde es auf jeden Fall total spannend. Ich kann mir schon vorstellen, dass es einfach so ja, dass es so weiterlaufen kann. Natürlich ist es so die Frage, die Bewohner mit Unterstützungsbedarf werden natürlich dann auch immer älter. Und es ist dann halt so ein bisschen die Frage, ja wie geht's dann weiter, also komm' dann trotzdem so junge Leute wie jetzt mit hier rein. Wobei jetzt zum Beispiel der J, der ist ja auch schon älter, aber ich glaube ihm der ist 49, ja genau, das ist der Älteste. (.) Ja aber es klappt eigentlich auch trotzdem super gut. Also ja, dass es ihm glaube ich vielleicht gut tut, dass er nochmal so weiß nicht andere Sachen erlebt. Er hat halt sehr lange bei den Eltern gelebt und ist dann einfach nochmal was ganz anderes. Ja, aber ansonsten, ja die M wird auch nächstes Jahr schon 30. Auch wenn man das dir nicht ansieht (schaut M an). Ja also spannend auf jeden Fall. So ganz konkret muss ich zugeben habe ich mir da noch nicht so jetzt Gedanken gemacht, aber ich glaube schon, dass es auf jeden Fall ein Projekt ist mit Zukunftsperspektive. (Assistenz1, 71)

Sie sieht in der WG demnach ein zukunftsträchtiges Projekt, welches aber gebunden an die derzeitigen Bewohner*innen mit Behinderungserfahrung bleibt. Eine mögliche Änderung der Wohnsituation beziehungsweise des Wohnortes wird scheinbar eher auf die Mieter*innen ohne Behinderungserfahrung gesehen. Ähnlich führt es auch die Assistenzkraft in Saarbrücken aus, wobei er es direkter formuliert.

Ja, das weiß ich nicht. Wir haben ja, wenn man das mal zu Ende denkt, dass man sagt, von unseren fünf mit Unterstützungsbedarf, können wir zumindest bei vieren davon ausgehen, dass die ganz lange hier bleiben. Und man kann die nicht immer mit zwanzigjährigen Studenten zusammenpacken. Da müssen wir uns mal überlegen, wie das in zehn Jahren aussieht. Also, sind ja alles jung gebliebene Leute, das werden die auch in zehn Jahren noch sein. Der Fa. Und die Me. in zehn Jahren, werden die ja nicht sein, wie Fünfunddreißigjährige, die fünfzehn Jahre schon im Beruf arbeiten und so ein bisschen abgestumpft sind. Die werden noch genauso sein wie jetzt. Da macht das noch keinen großen Unterschied, wenn da auch immer noch Studenten dabei sind. Aber wenn die mal vierzig, fünfzig werden, was machen wir denn dann? Also so mittelfristig geht das so weiter. Wir werden noch lernen hier den Rahmen weiter zu perfektionieren, dass es so gewisse Reibungsverluste nicht mehr gibt.[...] Ideal wäre es auch, eine zweite WG ist ja sowieso in Planung, dann noch eine dritte zu haben vielleicht irgendwo. Dass man auch immer mehr junge Menschen, die diese Wohnform auch leben wollen, obwohl sie eine Beeinträchtigung haben, da immer mehr Menschen das auch ermöglichen können einfach. Ja, in Zukunft müssen wir uns einfach fragen, so in zwanzig, dreißig Jahren, was wird denn hier sein? Mit wem wollen die denn zusammen wohnen? Sollen da vielleicht noch ein paar Senioren dazu? Das man so ein Mehrgenerationenhaus hat.(Assistenz2, 129f.)

Aus seiner Perspektive heraus werden die Mieter*innen mit Unterstützungsbedarf auf lange Zeit innerhalb der WG wohnen bleiben. Die anderen Bewohner*innen wechseln jedoch regelmäßig, wobei er an anderer Stelle noch für diesen stetigen Wechsel eine Zeitspanne von ungefähr zwei Jahren benennt (Assistenz2, 119). Er sieht einen zukünftigen Handlungsbedarf darin, dass die Bewohner*innen mit Behinderungserfahrung nicht für immer mit jungen "Studenten" zusammenleben können. Daher muss sich die WG mittelfristig an die Bedürfnisse der Mieter*innen mit Behinderungserfahrung anpassen. Dabei nennt er weitere WGs oder ein Mehrgenerationenhaus als mögliche Beispiele.

Ähnliche Beispiele nennen auch die Vertreterinnen der jeweiligen Vereine. Beide verknüpfen mögliche Veränderungen allerdings mit den Bewohner*innen selbst und deren zukünftige Entwicklung. Verein2 äußert sich beispielsweise folgendermaßen:

Keine Ahnung (lacht). Also wie gesagt da steht ja auch eine Veränderung irgendwie an. Das muss man sehen. Das steht und fällt mit den Leuten die da wohnen. Das ist so. Und wir haben das Glück dass wir ein sehr gutes und stabiles Team haben das hochmotiviert ist und das da immer wieder auffangen kann. (2) Ja aber das Leben das bringen die Bewohner ohne Behinderung da rein. Und das kann man irgendwie nicht beeinflussen. [...] Mal gucken, vielleicht wird es ja irgendwann ein Mehrgenerationenprojekt oder was auch immer. [...] Da kann es auch sein, dass man ein größeres Haus hat und da hat einer eine Wohnung für sich und das andere ist die WG. Weiß ich nicht. (Verein2, 85f.)

Sie kann sich demnach verschiedene Szenarien für das Wohnprojekt vorstellen, angepasst an die Lebenssituationen der jeweiligen Bewohner*innen. Die Impulse für Veränderungen oder das "Leben" bringen ihrer Meinung nach allerdings die Mieter*innen ohne Behinderungserfahrung mit in die WG. Verein1 bezieht sich in ihrer Antwort weniger spezifisch auf eine Personengruppe, sieht aber auch den die Veränderung darin, dass die Bewohner*innen älter werden und das sich die WG diesbezüglich auch entwickeln muss (Verein1, 17) Für die Zukunft wünscht sie sich noch:

dass die Familie größer wird. Und dass wir mal eine vernünftige Regelung finden – also ich muss nicht gerade eine Leistungsvereinbarung haben, aber eine verbindliche Regelung, mit denjenigen, die auch verantwortlich sind als Stadt, als Leistungsträger. Und das es noch mehr IGLUs gibt in Ludwigshafen. (Verein1, 25)

Insgesamt zeigt sich, dass verschiedene Entwicklungspotenziale bezogen auf die Wohngemeinschaften gesehen werden. So werden die WGs in allen Fällen als sich im Prozess befindliche Projekte betrachtet. Es werden teilweise auch ähnliche Ursachen für Handlungsbedarfe ausgemacht. So wird das Älterwerden der Bewohner*innen als einer dieser Gründe benannt, wobei unterschiedlich darauf geschaut wird, ob dies auch an das Vorhandensein von Unterstützungsbedarf gebunden ist. So sehen die Assistenzkräfte und teilweise auch die Vertreterinnen der Vereine die Bewohner*innen mit Behinderungserfahrung an die Wohngemeinschaft gebunden, und eher den Handlungsbedarf in der Projektgestaltung an sich. Die Bewohner*innen mit oder ohne Unterstützungsbedarf sehen dies nicht zwingend ähnlich. So sieht Bewohner*in4 durchaus für sich die Möglichkeit in Zukunft an einem anderen Ort alleine zu leben. Es zeigt sich aber auch das die Zukunftsgestaltung des Projektes oder auch der Bewohner*innen noch völlig offen scheint. So gibt es noch keine konkreten Gestaltungspläne. Die Befragten der Vereine und die Assistenzkräfte sehen durchaus offen in die Zukunft des Projektes und benennen bereits jetzt mögliche Ideen.



[13] Dieses und alle weiteren Zitate der befragten Personen beziehen sich auf den Anhang dieser Arbeit.

[14] Eine Reihe von Artikeln oder Beiträgen finden sich zum Beispiel für IGLU auf deren Homepage: http://www.iglu.gemeinsamleben-rheinlandpfalz.de/presse.php

[15] Nähere Erläuterungen hierzu finden sich im Text „Umgang mit Konflikten"

5 Diskussion der Ergebnisse und Beantwortung der Fragestellung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit die untersuchten Wohngemeinschaften, gemessen an den Einschätzungen Beteiligter, einem Konzept inklusiven Zusammenlebens gerecht werden. Inklusives Wohnen lässt sich jedoch nicht an klar vorgegebenen Kategorien festmachen, sondern kann vielfältige Formen annehmen. Es gibt daher keine allgemeingültige ‘Schablone‘, die sich über die Aussagen der befragten Personen legen lässt. In der Theorie lassen sich jedoch einige Grundprinzipien und Leitideen eines inklusiven Lebens ausmachen, anhand derer die Ergebnisse analysiert wurden. Diese sollen nun in Bezug auf die Fragestellung diskutiert werden. Insgesamt zeigt die Untersuchung der Einzelergebnisse, dass beide Wohngemeinschaften viele Aspekte eines inklusiven Zusammenlebens umsetzen. Dies geschieht teilweise sehr bewusst, durch eine Etablierung bestimmter Strukturen, teilweise jedoch auch unbewusst, dadurch dass inklusive Werte bereits verinnerlicht sind. So zeigen die Ergebnisse zum subjektiven Inklusionsverständnis, dass sich die Befragten mit dem Thema auf verschiedenen Ebenen beschäftigen, sei es in intellektueller, konzeptueller oder auch praktischer Form. In den Inklusionsvorstellungen der Befragten finden sich viele Aspekte eines inklusiven Zusammenseins wieder, was eine reflektierte Auseinandersetzung mit dem Thema nahelegt und das Konzept auf eine inklusive Wertebasis stützt.

Ein Aspekt der von den Befragten häufig genannt wurde, ist, dass in den Wohngemeinschaften ein ‘normales‘ Miteinander herrsche beziehungsweise dass die WGs ein normales Miteinander ermöglichen. ‘Normal‘ kann hier in Anlehnung an das Normalitätsprinzip interpretiert werden. Prinzipiell stehen allen Bewohner*innen die gleichen Bedingungen zur Verfügung ihr Leben zu gestalten. Dazu gehört es beispielsweise einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen, über seinen Tagesablauf bestimmen zu können, Bedürfnisse zu erfüllen oder soziale Kontakte zu pflegen. Wer in bestimmten Aspekten Unterstützung benötigt, erhält diese entweder von den Mitbewohner*innen oder den Assistenzkräften. Allen Bewohner*innen ist es möglich selbstbestimmte Entscheidungen bezüglich ihrer Lebens- und Tagesgestaltung zu treffen. Dazu steht an erster Stelle bereits die Entscheidung für diese bestimmte Wohnform. Es werden somit wichtige Aspekte eines inklusiven Wohnens erfüllt. Die WG-Erfahrung wird insgesamt als ‘empowernd‘ für die Bewohner*innen beschrieben, indem sie sie in ihrer persönlichen Entwicklung weiter bringt. Das bezieht sich sowohl auf die Bewohner*innen mit als auch ohne Unterstützungsbedarf. Die Bewohner*innen ohne Unterstützungsbedarf beschreiben einen Zuwachs an Selbstbefähigung in Bezug auf eine Sensibilisierung für Vielfalt und einen Abbau von Berührungsängsten zu Menschen mit Behinderungserfahrung, die Bewohner*innen mit Unterstützungsbedarf einen Zuwachs an Alltagkompetenzen und Selbstbestimmungsfähigkeit. Behinderungserfahrungen aus der Vergangenheit zeigten sich hier teilweise als Hemmnis. Die im Sinne von Empowerment stärkende Wirkung der WG wird beispielsweise dadurch sehr deutlich, dass Bewohner*innen nun in der Lage sind sich ihren Sozialraum selbstbestimmt zu erschließen, Kontakte zu knüpfen und somit ihr Leben aktiv zu gestalten und Veränderung herbeizuführen. Dadurch verändert sich auch die Möglichkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft. Innerhalb der Wohngemeinschaften sind verschiedene Instrumente, wie WG-Sitzungen oder Probewohnen, zur Gewährleitung einer Teilhabe aller Bewohner*innen etabliert. Es werden jedoch auch die Schwierigkeiten beschrieben, die sich besonders in Bezug auf die Bewohner*innen mit Behinderungserfahrung dabei stellen. Ein inklusives Zusammenleben setzt jedoch nicht voraus, dass bereits alles reibungslos funktioniert. Beide WGs bemühen sich, sich dieser Herausforderung zu stellen. Es wird als wichtig erachtet, auch zukünftig die Kommunikationsprozesse zu hinterfragen und sich gegebenenfalls mit anderen darüber auszutauschen. Die Aussagen, die bezüglich der Zufriedenheit und des Wohlbefindens getroffen wurden, deuten darauf hin, dass die Umsetzung der Konzepte sich insgesamt positiv auf das Wohlbefinden der Bewohner*innen auswirkt. Daraus ergibt sich zwar keine direkte Kausalität in Bezug auf die Implementation inklusiver Werte in den WGs, aber es spricht dafür, dass der Versuch einer inklusiven Gestaltung auf einer emotionalen Ebene auch so empfunden wird. Es lässt sich jedoch vermuten, dass eine hohe Zufriedenheit nicht unbedingt für alle immer gegeben ist. Darauf deuten Zeiten hoher Fluktuation unter den Bewohner*innen hin, wie sie besonders von der Saarbrückener WG beschrieben wurden. Als Gründe werden hier (auf einer übergeordneten Ebene) zum einen Unterschiede im Selbstverständnis der Beteiligten in Bezug auf ihre Rolle als Mitbewohner*in angegeben, zum anderen (auf einer praktischen Ebene) eine Einschränkung bei der Auslebung persönlicher Vorstellungen. Es bleibt die Frage, ob die Vielzahl von Regeln und Verpflichtungen, die den Alltag der WG lenken, einer individuellen Entfaltung der Bewohner*innen entgegensteht. Während der Teil der Bewohner*innen der sich mit den Strukturen der Wohngemeinschaft identifizieren kann, zufrieden zu sein scheint, scheint für die anderen ein Leben in der WG nur schwer möglich. Ist hier die Möglichkeit zur Selbstbestimmung noch gegeben? Insgesamt geben die Bewohner*innen beider WGs an, das Gefühl zu haben, relativ selbstbestimmt leben zu können. Die Befragten der Ludwigshafener WG stimmen dem etwas eindeutiger zu, wogegen in Saarbrücken wie beschrieben einige Einschränkungen deutlich werden. Natürlich bleibt auch zu beachten, dass, wie bereits erwähnt, die ‘totale‘ Selbstbestimmung innerhalb eines sozialen Gefüges utopisch ist. Aber wie viel Individualität ist in der Gemeinschaft letztendlich möglich? Der Konflikt der sich in der Saarbrückener WG entfaltet hat, ist hier ein gutes Beispiel. Was geschieht, wenn innerhalb einer Gemeinschaft, in der es auch gemeinschaftliche Strukturen gibt, wie z.B. Essenzeiten, Einzelne plötzlich beschließen Dinge anders zu machen, in diesem Fall sich anders zu ernähren? Muss dann die ganze Gruppe mitziehen? Können die ‘Andersdenkenden‘ ihren Idealen nicht nachgehen? Wie muss eine Gemeinschaft gestaltet sein, wenn verschiedene Lebensentwürfe zusammen kommen? Auch hier gibt es sicherlich kein allgemeingültiges Rezept. Wichtig scheint in Bezug auf Inklusion ein fortlaufender Reflexionsprozess, in dem solche Fragen auch gestellt werden sowie eine immerwährende Offenheit sich auf neue Gegebenheiten einzulassen. Auch wenn die Wohngemeinschaft letztendlich keinen gemeinsamen Weg für die Lösung ihres Konflikts gefunden hat, hat sie sich dennoch auf eine intensive Reflexion und Evaluation der Situation eingelassen. Vergleicht man die beiden WGs bezüglich ihrer Vorstrukturierung durch Dienste und Verpflichtungen, fällt auf, dass in Ludwigshafen der Tagesablauf weitaus weniger von außen geregelt ist. Dadurch entsteht mehr Flexibilität und Raum für persönliche Gestaltung. Dennoch wird auch in dieser WG ein gemeinschaftliches und solidarisches Miteinander beschrieben. Inwieweit muss also eine solidarische Gemeinschaft durch Regeln gelenkt werden? Es ist jedoch auch anzumerken, dass der Unterstützungsbedarf der Bewohner*innen in Saarbrücken als höher einzuschätzen ist, was sich in den jeweiligen Finanzierungskonzepten der WGs begründet. Hier scheint daher ein höheres Maß an strukturierten Hilfeleistungen erforderlich. Konzeptionell begegnen die Wohngemeinschaften dem Unterstützungsbedarf auf verschiedene Weise. Während er in Saarbrücken über Assistenzkräfte und die Einbindung der Studierenden gedeckt wird, erfolgt es in Ludwigshafenüber eine persönliche Assistenz und eine hauptamtliche Kraft. Fraglich ist, wie dieser Bedarf gedeckt werden könnte, wenn die Studierenden weniger stark in die Verantwortung genommen würden. Möglicherweise müssten mehr Assistenzkräfte eingestellt werden, was jedoch wiederum mit höheren Personalkosten für die WG verbunden wäre. Auch ein Konzept mit persönlicher Assistenz wäre denkbar. Wenn es jedoch mehrere Bewohner*innen gibt, die die Unterstützung einer persönlichen Assistenz benötigen, wie würde es sich auf das WG-Klima auswirken, wenn so viele verschiedene Assistenzkräfte dort arbeiten und anwesend sind? Würde die Gemeinschaft letztendlich auch darunter leiden? Gewissermaßen scheint jedes der Finanzierungskonzepte Vor- und Nachteile mit sich zu bringen. Eine Wertung diesbezüglich soll an dieser Stelle nicht vollzogen werden. Das Konzept der Inklusion basiert auf der Annahme, dass wir in einer heterogenen Gesellschaft leben, in der der menschlichen Vielfalt mit Anerkennung und Wertschätzung begegnet wird. Grundlegend wurde auch in Bezug auf die Wohngemeinschaften Heterogenität festgestellt. Während es sich bezüglich der Altersspanne nach eigener Aussage eher um „junge WGs“ handelt, leben dort sehr unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten, die verschiedenen Tätigkeiten nachgehen und eigene Interessen, Hobbys und Vorlieben haben. Die WGs zeigen sich grundlegend Vielfalt gegenüber aufgeschlossen und offen für alle Menschen. Es ergeben sich jedoch auch einige Einschränkungen, die meist auf den Wünschen der Bewohner*innen beruhen. Verein1 formuliert hier treffend, dass es auch wichtig sei, dass Inklusion nicht verordnet wird, sondern dass die Menschen auch untereinander klar kommen müssen. Lässt es sich jedoch mit einem inklusiven Leitbild vereinbaren, wenn ganze Personengruppen ausgeschlossen werden? Ein Beispiel wäre hier der Ausschluss von potentiellen Mitbewohner*innen, die über geringe Deutschkenntnisse verfügen. Von den WGs wird dies damit begründet, dass dies die Sprachsituation zu kompliziert machen würde, oder womöglich eine Teilhabe nicht mehr für alle Bewohner*innen gewährleistet werden könnte. Es stellt sich jedoch die Frage, inwiefern es einen Unterschied macht, nicht-sprechenden Bewohner*innen eine Teilhabe in der WG zu gewährleisten oder Menschen mit einer anderen Muttersprache. Während sich Inklusion nicht ausschließlich auf die Kategorie ‘Behinderung‘ richtet, liegt der Fokus der untersuchten Wohnprojekte auf dem Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderungserfahrung. Die Wohnbedürfnisse beeinträchtigter Menschen sind historisch gesehen betrachtet lange ignoriert worden. Eine Zuwendung hinsichtlich dieser speziellen Thematik ist in Anbetracht dessen notwendig und sehr wichtig. Vor diesem Hintergrund ist die Frage interessant, inwieweit in den WGs die Unterscheidung zwischen einer Gruppe von Bewohner*innen mit und ohne Behinderungserfahrung vorgenommen wird. Beide WGs beschreiben im Zusammenleben ein Verschwimmen dieser Kategorien. Der Umgang untereinander wird als ungezwungen und freundschaftlich, gar familiär beschrieben. Da spielt es keine Rolle, ob ein*e Bewohner*in Behinderungserfahrungen hat oder nicht. Eine Unterscheidung findet vor allem auf organisatorischer Ebene statt, wenn es um Unterstützungsleistungen geht. Wie bereits erwähnt sind in Saarbrücken die Bewohner*innen ohne Unterstützungsbedarf stärker in Dienste und Unterstützungsleistungen für ihre Mitbewohner*innen mit Behinderungserfahrung eingebunden. Ihre Rolle in der WG wird sowohl als die eines*r Mitbewohner(s)*in als auch einer*s Angestellten beschrieben. Hier kommt die Frage auf, inwiefern das nicht auch die Perspektive der Beteiligten aufeinander beeinflusst. Kann eine soziale Gruppe wirklich inklusiv sein, wenn ein Teil so viel Verantwortung übernehmen muss? Ein positiver Aspekt, besonders im Hinblick auf Community Care und Sozialraumorientierung ist jedoch eine verstärkte Nutzung informeller Unterstützungsressourcen, in Form von gegenseitiger Hilfeleistungen unter den Bewohner*innen und damit einhergehend die Reduzierung professioneller Angebote. Weitere Unterstützungsressourcen, die genutzt werden sind Whats- App-Gruppen, das Internet und Kalender bzw. Tafeln in der Wohnung, die über Angebote informieren. Die Einbeziehung des sozialen Nahraums bleibt dennoch in beiden Wohngemeinschaften gewissermaßen eine der Hauptaufgaben in ihrem Entwicklungsprozess. Sowohl Ludwigshafen als auch Saarbrücken nutzen bereits einige lokale Angebote wie Sportvereine oder Stadtteilfeste, aber eine wirkliche Vernetzung innerhalb des Viertels bleibt noch aus. Die Voraussetzung für eine stärkere Einbindung sind jedoch günstig. Beide Wohnungen befinden sich mitten in der Stadt, sind infrastrukturell gut angebunden und umgeben von Einkaufs- und Freizeitgestaltungsmöglichkeiten. Diesbezüglich wird jedoch auch die Gratwanderung einer forcierten Sozialraumorientierung und einer Fremdbestimmung der Bewohner*innen erwähnt. Ein Kontaktaufbau nach außen ist auch vom Interesse der Bewohner*innen abhängig und möglicherweise nicht bei jedem*r gegeben. Allerdings verdeutlichen Beispiele, wie das von Y., Verein2s Sohn, der ins Krankenhaus eingeliefert wurde, weil, nur eine Straßenecke weiter, niemand mit seinem Verhalten umzugehen wusste, geschweige denn wo er wohnt, die Notwendigkeit einer Präsenz im Stadtteil. Gleichzeitig werfen sie auch Fragen auf. Die Frage, inwieweit ‘Normalität‘ auch außerhalb geschützter Räume gelebt werden kann. Oder ob Inklusion in einer nicht-inklusiven Welt überhaupt möglich ist. Stoßen wir nicht an jeder Straßenecke auf gedankliche oder behördliche Hürden? An dieser Stelle soll noch einmal auf die stärkende Kraft von Visionen verwiesen werden. Inklusion ist als Prozess zu verstehen. Nicht alles wird sofort funktionieren oder gar perfekt sein. Das Leitbild Inklusion kann als Orientierung gelten, als „Nordstern“, wie Boban/Hinz (2004, 40f.) es formulieren. Wichtig ist es jedoch sich überhaupt auf den Weg zu machen. Vernetzung spielt in beiden WGs bereits seit ihrer Entstehungsphase eine wichtige Rolle. Die Einbindung von Unterstützerkreisen sowie Besuche und Austausch mit bereits bestehenden Wohngemeinschaften gaben Inspiration und halfen bei der Umsetzung der Konzepte. Auch die mediale Begleitung durch Presse, Rundfunk und Fernsehen spielten eine Rolle bei der Durchsetzung ihrer Vorhaben und sichern auch heute noch eine Präsenz in der Öffentlichkeit, die Denkanstöße in der Gesellschaft geben kann. Durch die Kooperation mit Universitäten können zum einen Erkenntnisse weitergegeben werden, zum anderen öffnen sie sich einer Evaluation. Inklusion versteht sich als fortlaufender Prozess. Offenheit und Evaluation sind somit wichtige Bestandteile dessen. Eine mögliche Erweiterung wäre eine stärkere Vernetzung der WGs untereinander, um sich über inklusive Prozesse auszutauschen. Die Notwendigkeit einer Evaluation zeigt sich auch in Bezug auf Zukunftsperspektiven und sich verändernde Wohnwünsche der Bewohner*innen. In Anbetracht der Zukunft der Wohngemeinschaften zeigen beide Vereinsmitglieder eine große Offenheit. Sie haben sich diesbezüglich auf keine bestimmte Linie festgelegt und reflektieren die sich verändernden Gegebenheiten der WGs. Bei einigen Befragten lässt sich jedoch heraus hören, dass tendenziell davon ausgegangen wird, dass die Bewohner*innen mit Unterstützungsbedarf wesentlich länger, wenn nicht sogar dauerhaft in den WGs wohnen werden, die Bewohner*innen ohne Unterstützungsbedarf dagegen nur für ca. zwei Jahre. Während zwar derzeit alle Bewohner*innen mit ihrer Wohnsituation zufrieden sind, geben einige der Befragten an, sich in der Zukunft auch eine andere Wohnform vorstellen zu können. Das betrifft auch Bewohner*innen mit Unterstützungsbedarf. Hier sollten sich eventuell verändernde Wohnwünsche ebenso beachtet werden.

Die beiden untersuchten Wohngemeinschaften setzten bereits viele inklusive Prinzipien um. Diese beziehen sich sowohl darauf Vielfalt innerhalb der WG anzuerkennen und sich gegenseitig zu unterstützen, selbstbestimmte Entscheidungen und ‘normale‘ Strukturen zu ermöglichen, Teilhabe zu gewährleisten und den sozialen Nahraum einzubeziehen. Des Weiteren konnten Entwicklungen im Sinne von Empowerment festgestellt werden. Entwicklungspotenziale werden vor allem im Bereich der Sozialraumorientierung gesehen. Eine inklusive Gesellschaft entsteht nicht von heute auf morgen. Inklusion gestaltet sich als Prozess und bedarf der ständigen Reflexion und Evaluation. Dies sind Aufgaben, die sich auch den WGs in verschiedener Hinsicht stellen. Hier ist es wichtig sich eine Offenheit zu bewahren und immer wieder neue Fragen aufzuwerfen, um die eigene Position zu durchleuchten.

6 Schlusswort

Inklusion ist ein zu beschreitender Weg und markiert einen längeren Prozess. Inklusion braucht einen langen Atem, der sich für diejenigen, die sich entschließen, den Weg zu beschreiten, am Ende auszahlen wird.

(Dannenbeck/ Dorrance 2009)

Auf eben diesen Weg haben sich die analysierten Wohngemeinschaften in Ludwigshafen und Saarbrücken bereits vor einigen Jahren begeben und sie werden ihn wohl auch weiterhin beschreiten. Ob sich diese Entscheidung am „Ende“ auszahlen wird, wird die Zukunft mit sich bringen.

Die vorliegende Arbeit konnte jedoch zeigen, dass es sich in vielerlei Hinsicht bereits jetzt für die einzelnen beteiligten Menschen gelohnt hat. Die Arbeit präsentiert dabei keinen festen Ergebnisstand und kann sicherlich auch keine klassische Bewertung für gelingendes inklusives Zusammenleben liefern. Vielmehr ist die Analyse ein Einblick in den Versuch, Wohnformen inklusiv zu gestalten und bietet somit eine Anregung zur Diskussion und Weiterentwicklung. Dennoch bleibt es nur ein Blick auf eine mögliche Wohnform. Neben der Darstellung von Grundprinzipien und Leitideen inklusiven Lebens wurde gezeigt, welche Vielfalt sich hinter der Bezeichnung „inklusives Wohnen“ verbirgt. So heterogen wie die Lebensentwürfe und Biographien der Menschen sind, so verschieden sind wohl auch deren Vorstellungen über geeignete Wohnformen. Die Gestaltung von inklusiven Wohnformen für Paare, Familien und Einzelpersonen sind dabei wohl nur einige weitere Möglichkeiten für das Forschungsfeld Inklusion im Bereich des Wohnens. Dabei kann sicherlich der Grundsatz gelten, dass es keineswegs um die Etablierung von Wohnformen nach einem bestimmten Muster geht. Im Gegensatz dazu sollte der „Nordstern“ darin liegen, die Wohnformen und deren Umgebung an die individuellen Vorstellungen, Bedürfnisse und Wünsche der Menschen anzupassen und nicht umgekehrt.

Diesen theoretischen Überlegungen folgte die eigentliche Analyse der ausgewählten Wohnprojekte. Gerade diese untersuchten WGs haben gezeigt, dass bereits zwei Beispiele einer Wohnform teilweise unterschiedliche Ansätze verfolgen können. Im Bereich des inklusiven Wohnens treffen viele Themenfelder zusammen, die in diesen Wohnprojekten teils ähnlich teils unterschiedlich angegangen werden. So ergeben sich für die Zukunft dementsprechend Ziele, die für beide WGs gelten, wie die stärkere Anbindung an den umliegenden Sozialraum. Es ergeben sich demgegenüber allerdings auch Herausforderungen, die für die Wohnprojekte in unterschiedlichem Ausmaß von Bedeutung sein könnten, wie der Balance zwischen dem Ausleben individueller Freiheiten und den Verpflichtungen innerhalb der Gemeinschaft. Ein weiteres spannendes Feld wird sich auch bezüglich der generellen Entwicklung der WGs in Zukunft ergeben. Wie werden sich also diese entwickeln, wenn nicht nur neue Bewohner*innen hinzukommen, sondern sich auch die Bedürfnisse und Interessen der Mieter*innen, die in den Projekten wohnen bleiben wollen, verändern? Die notwendige Offenheit für die Zukunft bringen jeweils beide Wohngemeinschaften mit. Ob es am Ende ein ganzes Netzwerk von inklusiven WGs in Ludwigshafen oder Saarbrücken geben wird, wird die zukünftige Entwicklung zeigen. Offen bleibt auch inwieweit sich die WGs in Zukunft einer noch größeren Heterogenität widmen können, ohne dabei die Entscheidungen der einzelnen Bewohner*innen zu übergeben. Es hat sich beispielsweise gezeigt, dass momentan noch Bedenken vorherrschen, sich beziehungsweise die Wohngemeinschaften für Menschen mit geringen oder keinen Deutschsprachkenntnissen zu öffnen. Die sprachliche Vielfalt scheint momentan noch eine gewisse Barriere in sich zu bergen. Mit Blick auf aktuelle Ereignisse mit teils rassistischem Ausmaß[16] wäre es sicherlich spannend wie inklusive Wohnformen geschaffen werden können, die beispielsweise Asylsuchende einbeziehen. Inklusives Wohnen könnte sicherlich auch hier eine Brücke in einer immer heterogener werdenden Gesellschaft schlagen.

Dies würde dann wohl auch noch mehr einem umfangreicheren Inklusionsverständnis entsprechen, wie es in dem entsprechenden Kapitel in den theoretischen Überlegungen beschrieben wurde. An dieser Stelle hat sich generell herausgestellt, dass in den ausgewählten Wohnprojekten noch eine Fokussierung auf die Kategorie der sogenannten Behinderung vorherrscht. Diese Einschränkung war von den Autor*innen bei der Entstehung in diesem Sinne nicht vorgesehen, hat sich allerdings im Laufe dieser Arbeit so entwickelt. Es hat sich jedoch auch gezeigt, dass durch die Konzepte, das Zusammenleben und die vertretenden Werte die Kategorisierung in „behindert“ und „nicht behindert“ in vielen Bereichen bereits verschwimmt und auch hier eine Entwicklung geschieht. Es stellt sich demnach heraus, dass „die Verfolgung einer reflexiven inklusiven Perspektive die Chance [eröffnet], binäre Denkpraxen kritisch zu unterlaufen“. (Dannenbeck/ Dorrance 2009) Die dennoch vorherrschende Kategorisierung ist wohl auch an verschiedene Ursachen gekoppelt, welche nicht nur direkt in den Wohngemeinschaften zu verorten sind. Die gesetzlichen und politischen Rahmenbedingungen sorgen dafür, dass es weiterhin notwendig ist Unterstützungsleistungen im Zusammenhang mit dem Stempel „Behinderung“ zu betrachten. Besonders in Saarbrücken hat sich gezeigt, dass das Finanzierungssystem der WG an den Assistenzbedarf der Bewohner*innen mit Behinderungserfahrung gekoppelt ist. Auch im Bereich des Wohnens ist das Konzept der Inklusion in einem größeren Rahmen zu betrachten. Ein wenig bleibt auch nach dieser Arbeit die Frage im Hintergrund, was inklusives Wohnen bedeutet. Dies kann sich als positiv erweisen, denn diese und weitere offene Fragen, können eine weitere stetige Reflexion im inklusiven Prozess anregen. Denn ein „Abschluss kritischer Reflexion steht [...] im Widerspruch zum Inklusionsbegriff selbst“ und sie „sollte weder als erreichter Zustand, noch als bloße Utopie gedacht werden“. (Dannenbeck/ Dorrance 2009) Für diese kritische Auseinandersetzung im Zusammenhang mit einem größer werdenden Netzwerk an inklusiven Wohnformen ist es perspektivisch sicherlich von Vorteil ein Evaluationsinstrument zu entwickeln, ähnlich dem Index für Inklusion im Schulbereich, welcher den Aufbau von inklusiven Strukturen und die damit verbundenen Reflexionsprozesse unterstützt. Einen ersten Ansatz bietet dabei das Projekt der Lebenshilfe, welches daran arbeitet einen „Index für inklusives Wohnen in der Gemeinde“ (Lebenshilfe o.J.) zu entwickeln.

Die vorliegende Arbeit konnte durch ihre Ausführungen zum Thema inklusives Wohnen einen Diskussionsbeitrag leisten, die Entwicklungen und der damit verbundene Diskurs wird sich sicherlich auch weiterhin als spannend und lohnend erweisen. Zu hoffen bleibt, dass sich solche Initiativen wie in Ludwigshafen und Saarbrücken vervielfältigen, um immer mehr Menschen die Möglichkeit eines selbstbestimmten Lebens zu ermöglichen. Letztendlich ist es dabei den vielen beteiligten Personen, Eltern, Assistent*innen und so weiter zu verdanken, dass sie sich unter teils erheblichen Einsatz auf den von Dannenbeck und Dorrance beschriebenen Weg gemacht haben, denn:

[w]enn es stimmt, daß es normal ist, verschieden zu sein, wenn es stimmt, daß alle mit ihrer Unterschiedlichkeit als Menschen gleich zu achten sind, dann ist es auch normal, daß die Verschiedenheit unser Menschsein nicht einschränkt, auch wenn wir in einem unterschiedlichen Ausmaß auf Assistenz oder Hilfeleistung angewiesen sind. Wenn wir das wirklich ernstnehmen, dann sind auch keine Abstufungen an Normalität und Dazugehörigkeit zu machen, wenn jemand mehr Schwierigkeiten hat und mehr Assistenzdienste benötigt als andere. Dann kann es auch nicht mehr akzeptiert werden, Menschen nach Maßgabe ihres Assistenzbedarfes unterschiedlichen Lebens- und Wohnformen zuzuweisen, sie in fremdbestimmte Lebens- und Wohnformen einzuweisen und einzupassen, sie in ihren Selbstbestimmungsmöglichkeiten abzustufen, einzuschränken, zu unterdrücken, zu entrechten. (Lüpke 1994, 63)



[16] Gemeint sind an dieser Stelle vor allem die Demonstrationen in den verschieden Städten in Deutschland gemeint, wie beispielsweise Pegida.

7 Literaturverzeichnis

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Sonstiges:

MITEINANDER LEBEN LERNEN (o.J.b): Wohnen Inklusive. Die inklusive Wohngemeinschaft im Nauwieser Viertel. Unveröffentlichtes Konzept.

Selbstständigkeitserklärung:

Wir versichern hiermit, dass wir die vorliegende Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als die im Literaturverzeichnis angegebenen Quellen benutzt haben. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus veröffentlichten oder noch nicht veröffentlichten Quellen entnommen sind, sind als solche kenntlich gemacht. Die Zeichnungen oder Abbildungen in dieser Arbeit sind von uns selbst erstellt worden oder mit einem entsprechenden Quellennachweis versehen. Diese Arbeit ist in gleicher oder ähnlicher Form noch bei keiner anderen Prüfungsbehörde eingereicht worden.

Christina König; Nico Leonhardt

Zuordnung der geschriebenen Texte:

Verfasster Text

Autor*in

Einleitung

Nico Leonhardt

Behinderung als soziale Konstruktion

Christina König

Die Bedeutung des Wohnens für den Menschen

Christina König

Inklusion und Integration– eine diskursive Erläuterung

Christina König

Gesetzliche Rahmenbedingungen

Nico Leonhardt

Leitideen inklusiven Lebens

Christina König

Wohnformen für Menschen mit Behinderungserfahrung – damals und heute

Christina König

Inklusives Wohnen

Nico Leonhardt

„Inklusive“ Wohnformen in Deutschland

Nico Leonhardt

Zusammenfassung

Christina König

Beschreibung der WG´s

Nico Leonhardt

Interview und Erstellung Interviewleitfaden

Nico Leonhardt

Durchführung

Nico Leonhardt

Qualitative Inhaltsanalyse

Nico Leonhardt

Vernetzung und Kooperation

Nico Leonhardt

Sozialraumorientierung

Nico Leonhardt

Selbstbestimmung

Christina König

Partizipation

Christina König

Empowerment

Christina König

Zufriedenheit und Wohlbefinden

Nico Leonhardt

Umgang mit Konflikten

Christina König

Anerkennung von Vielfalt

Christina König

Normalität

Christina König

Subjektives Inklusionsverständnis

Nico Leonhardt

Zukunftsperspektiven

Nico Leonhardt

Diskussion der Ergebnisse und Beantwortung der Fragestellung

Christina König

Schluss

Nico Leonhardt

Quelle

Christina König, Nico Leonhardt: Inklusives Wohnen. Einschätzung von Beteiligten und konzeptionelle Überlegungen

Masterarbeit an der Universität Leipzig; Erziehungswissenschaftliche Fakultät; Institut für Förderpädagogik; Erstgutachter: Prof. Dr. Andreas Hinz, Zweitgutachterin: Prof. Dr. Kerstin Popp; eingereicht am: 24.03.2015

bidok - Volltextbibliothek: Erstveröffentlichung im Internet

Stand: 29.03.2016

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