Voraussetzungen von Integration

Überwindet Integration im pädagogischen Feld die Be- und Aussonderung und welche Konsequenzen ergeben sich für das pädagogische Handeln im Kontext der Strukturierung von Lern- und Lebensfeldern?

Autor:in - Christian Klapp
Textsorte: Seminararbeit
Copyright: © Christian Klapp 2009

Einleitung

Überwindet Integration im pädagogischen Feld die Be- und Aussonderung und welche Konsequenzen ergeben sich für das pädagogische Handeln im Kontext der Strukturierung von Lern- und Lebensfeldern?

"Die Wiederherstellung der Einheit des Menschen in der Menschheit" [1]

Dieses Zitat beschreibt Integration und wenn Integration diese Einheit herstellen kann, dann wird in diesem Prozess Be- und Aussonderung im pädagogischen Feld überwunden. Aber was ist mit dem Zitat von SÉGUIN eigentlich gemeint? Ich verstehe dieses Zitat z.B. im Kontext von menschlicher Entwicklung: Entwicklung ist immer durch die Wechselwirkung zwischen Individuum und dinglicher sowie sozialer Umwelt gekennzeichnet, die sich wechselseitig beeinflussen und sich also gegenseitig bedingen.[2]

Um den Begriff der Integration fassen zu können ist es außerdem notwendig, die historischen Zusammenhänge von Ausschluss (Be- und Aussonderung) und Integration darzustellen. "Wer von Integration redet, darf vom Ausschluß nicht schweigen. Und wer vom Ausschluß schweigt, redet nicht von Integration"[3] Es darf deswegen vom Ausschluss nicht geschwiegen werden, da wir in den historisch gewachsenen Strukturen leben, die Ausschluss begünstigen und dies können wir nur verstehen und verändern wenn wir uns über deren Entwicklung bewusst sind.

Im Kontext der grundlegenden Fragestellung dieser Arbeit ist es ebenfalls notwendig darzustellen, was unter dem Feld der Pädagogik zu verstehen ist und welche Bedeutung der Integration in diesem Feld beigemessen wird, um schließlich unser pädagogisches Handeln daran messen zu können.



[1] Séguin 1862 zitiert nach Feuser 1995

[2] vgl. Klapp 2008, S.9ff

[3] Jantzen 1993, S.67

Zur Entwicklung von Mensch und Menschheit

Die individuelle Entwicklung sowie die Menschheitsgeschichte werden häufig in klar bestimmbare Abschnitte unterteilt, in denen bestimmte Tätigkeiten des Menschen besonders hervorstechen. Doch weder geschichtlich noch individuell lassen sich diese Epochen oder Phasen aus dem Kontext und somit der vorangegangenen Entwicklung herauslösen.

Ich verstehe den Menschen und "das System der psychischen Prozesse als durch die Gesetze der Autopoise gekennzeichnete (ganzheitliche) Entität von Biologischem, Psychischem und Sozialem. Wobei die Psyche ein (offenes) dissipatives System ist, das vor allem durch die Tätigkeit in der sozialen Entwicklungssituation geformt wird."[4]

Der Mensch steht grundsätzlich im Austausch mit seiner dinglichen sowie sozialen Umwelt, dabei nimmt er nicht nur passiv wahr, sondern tritt in einen Wechselwirkungskreislauf ein. Die menschliche Entwicklung lässt sich also als ein Kreisprozess verstehen, in dem jeder Austausch zu einer Entwicklung (Veränderung) der beteiligten Austauschsysteme führt. Ich verstehe in diesem Sinne Entwicklung als einen Wechselwirkungskreislauf der bestimmten Bedingungen (Entwicklungssituationen) unterliegt und diese wiederum rückwirkend und wechselseitig beeinflusst. In diesem Kontext sind Be-Hinderungen als erschwerte Bedingungen zu verstehen, unter denen Mensch sich für sich bestmöglich entwickelt. Dabei können erschwerte Bedingungen sowohl Ausgangspunkt als auch Folge der Wechselwirkung sein.[5]

Mit der Erkenntnis, dass psychische Prozesse und damit auch der Prozess der Persönlichkeitsentwicklung von Geburt an der Wechselwirkung unterliegen, wird deutlich, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. In diesem Kontext hat VYGOTSKIJ durch seine Forschungen bewiesen, dass die intrapsychischen Prozesse ihrem Wesen nach interpsychische also soziale Prozesse sind. Darauf gründet sich die so genannte kulturhistorische Schule, die den Menschen und "seine Entwicklung konsequent im Kontext der Kultur und der gesellschaftlich-historischen Determination betrachtet"[6] Ebenso prägte VYGOTSKIJ den Begriff der sozialen Entwicklungssituation[7], die eben die Lebensumstände des Menschen als bestimmendes Element der Entwicklung registriert und mit einbezieht. In diesem Sinne prägte SEVE den Begriff der Juxtastruktur, der die Verhältnisse zwischen Individuum und Gesellschaft beschreibt. So ist der Mensch "einmalig im wesentlich Gesellschaftlichen seiner Persönlichkeit und gesellschaftlich im wesentlich Einmaligen seiner Persönlichkeit; das ist die Schwierigkeit die zu bewältigen ist."[8]

Daraus wird deutlich, dass der Mensch sich nicht 'an sich' entwickelt, sondern im Kontext der sozialen Entwicklungssituation, doch diese wiederum wird durch die Menschheitsgeschichte bestimmt sowie den daraus resultierenden heutigen Gesellschaftsstrukturen im konkreten Kulturkreis.

"Das in den Resultaten der Gattungsgeschichte vorliegende Erbe, das zugleich die vergegenständlichte Psychologie dieser Prozesse enthält, präsentiert sich in der jeweiligen Kultur als für das Individuum anzueignendes." [9]

In der kulturhistorischen Tradition hebt GALPERIN den phylogenetischen Zusammenhang im Rahmen seiner Interiorisationstheorie noch einmal hervor und LEONTJEW macht im Rahmen der durch ihn geprägten Tätigkeitstheorie immer wieder den Zusammenhang zur Tätigkeit im Gemeinwesen deutlich.

"Menschliche Entwicklung ist demnach an gesellschaftliche Existenzbedingungen gebunden und durch die gemeinsame Tätigkeit der Gesellschaftsmitglieder gekennzeichnet. Er [LEONTJEW] hebt hervor, dass sich die kulturhistorischen Existenzbedingungen durch soziale Kooperation und Kommunikation in der gemeinsamen Tätigkeit realisieren."[10]

Es ist deutlich geworden, dass jeder Mensch in seiner Entwicklung einmalig ist und dass diese Entwicklung niemals von den sozialen Entwicklungsbedingungen losgelöst betrachtet werden kann. Mit der Einmaligkeit jedes Menschen ist jedoch auch gleichzeitig eine Gemeinsamkeit verbunden. Die Gemeinsamkeit aller Menschen liegt darin etwas Besonderes zu sein! Dies impliziert im Grunde, dass jeder Mensch besonders behandelt werden muss.

Eine Besonderung allerdings, die nur aufgrund marginaler Merkmale einzelner Menschen eine künstliche Besonderung vornimmt, führt somit zwangsläufig zu Selektion und Aussonderung. Wenn jedoch die Einzigartigkeit jedes Menschen dazu führt, dass er in seiner Individualität respektiert und geachtet wird, sollte Aussonderung überflüssig bzw. unmöglich werden.



[4] Klapp 2008, S.8

[5] vgl. Feuser 1995; Jantzen 1992; Klapp 2008; Lanwer 2001; Seve 1977

[6] Giest und Lompscher 2006, S.15

[7] "Situation stellt nichts anderes dar als das System der Beziehungen zwischen dem Kind eines bestimmten Alters und der sozialen Wirklichkeit." (Lompscher 2003, S.77)

[8] Seve 1977, S.237

[9] Jantzen 1992, S.123

[10] Stein 2008, S.291

Historische Zusammenhänge von Integration und Pädagogik

Wie oben angerissen "fügen sich also das Sein des Einzelnen und das Sein der Gemeinschaft ineinander. Sein konstituiert gemeinschaftliche Wirklichkeit, und die Teilnahme an dieser gemeinschaftlichen Wirklichkeit erst ermöglicht der Person das Bewußtsein ihres Seins."[11] Es muss hier nun also darauf eingegangen werden wie sich die 'Teilnahme' am Gemeinwesen im Kontext von Ausschluss und Integration darstellt oder in welcher Weise Individuum und Gesellschaft miteinander verschränkt sind.

Somit lassen sich Integration sowie das Feld der Pädagogik nur im Kontext ihrer geschichtlichen (sowie gesellschaftlichen) Entwicklung begreifen, da die Menschen eines Gemeinwesens (einer Gesellschaft) nicht 'an sich' handeln sondern immer im Kontext ihrer Lebensbedingungen. Im Sinne GRAMSCIs heißt dies:

"Das geschichtliche Gebilde des Menschen ist komponiert aus subjektiven und objektiven, aus naturhaften und gesellschaftlichen, aus materiellen und ideellen Elementen, zu denen es in einer tätigen Beziehung steht. Doch erst im Prozess der Bildung des Bewusstseins wird der Mensch in einem aktiv-selbstbestimmten Verhältnis handlungsfähig, weil er sein Dasein und seine Geschichtlichkeit und Gesellschaftlichkeit begreift und dadurch sich zum Handeln selbst ermächtigt."[12]

Die bestehenden Strukturen, die den Ausschluss einzelner Gruppen aus dem Gemeinwesen begünstigen, haben sich in einem historischen Prozess entwickelt. Im Rahmen dieser Arbeit gehe ich also insbesondere auf die Entwicklung des Ausschlusses von Menschen mit Beeinträchtigung ein, hierbei beziehe ich mich vor allem auf Darstellungen von ASELMEIER, BASAGLIA, DÖRNER, FEUSER und JANTZEN, die meiner Meinung nach besonders anschaulich vermitteln, wie sich Ausschluss historisch entwickelt hat.

Um nicht bei Null anzufangen beginne ich mit der französischen Revolution und der bürgerlichen Forderung nach der Gleichheit aller (Bürger). Damit wird die bis dahin vorherrschende stratifikatorische Differenzierung[13] überwunden. Doch das Postulat der Gleichheit wird, wie bereits angedeutet, nicht bis zum 'Letzten' hin umgesetzt, sondern im Rahmen der Vormachtstellung des Bürgertums realisiert also die Gleichheit aller, die ihre Werte und Normen anerkennen. Es entsteht zunehmend eine "funktional differenzierte [Gesellschaft], d.h. sie ist in Teilsysteme gegliedert, die unterschiedliche Funktionen für die Gesellschaft erfüllen."[14] Das Bürgertum realisiert seine Machtstellung einerseits über pädagogische Prozesse (Bildung und Erziehung), die vor allem utilitaristisch orientiert sind, also spezialisierte Fachkräfte hervorbringen sollen, um die Funktionalität und den Fortschritt der Gesellschaft zu sichern.[15] Andererseits wird durch den Ausschluss bestimmter Bevölkerungsschichten (z.B. Arme, 'Behinderte', Kranke, usw.) von den Gütern der Gesellschaft der Erhalt der ursprünglich stratifikatorischen Strukturen gesichert. "Ausschluß und Integration haben also den Ausgeschlossenen in demselben Abstand von Gütern der Gesellschaft fest."[16]

Mit der Industrialisierung begann nun die Zeit in der spezialisierte Einrichtungen geschaffen wurden, um Menschen systematisch auszusondern, die die Arbeiter aufgrund ihrer individuellen 'Benachteiligung' oder 'Behinderung' in ihrer Funktionalität eingeschränkt haben. Es entstanden also Kindergärten, Heime für Alte, Arme, 'Behinderte', Kranke, usw., an diesen besonderen Orten wurden also diejenigen in die Gesellschaft 'integriert', die für die neu entstehenden Fabriken nicht oder noch nicht produktiv genug waren. Durch diese Sondereinrichtungen wurden die gesellschaftlichen Machtstellungen abgesichert und erhalten.[17]

Durch die systematische Selektion und Segregation in diese spezialisierten Einrichtungen begann die Trennung von Sozialem und Produktion und die sogenannte soziale Frage wurde damit beantwortet. Mit dieser Teilung sprach man nun außerdem den Familien die Möglichkeit zur Hilfe ab und setzte ihr Arbeitspotential frei und die 'Behinderten' oder anders 'Benachteiligten' wurden zu Objekten der 'sozialen Arbeit' (der Pädagogik, Psychologie, Medizin, etc.)

"Helfen gehört [ ... aber] zum Wesen des Menschen, ist der vornehmste Kern unser aller Solidarität. Konzentriert nun eine Gesellschaft das Helfen bei einigen Berufen, professionalisiert sie das Helfen, wie dies im 19. und 20. Jahrhundert der Fall war und ist, nimmt sie zugleich allen anderen Menschen erst die Möglichkeit und dann die Fähigkeit zum Helfen."[18]

Diese 'Institutionen des Ausschlusses' wurden mit der Zeit immer größer und spezialisierter[19] und auch in ihrer baulichen Form aussondernd z.B. durch das panoptische Prinzip oder die drei Meter hohe Mauer rund um die Anstalt[20]. Indem jede 'Normalität' des alltäglichen Lebens auch auf Grund der internen Strukturen völlig aufgelöst wurde[21] setzte sich in den Köpfen der Menschen immer mehr das Bild des 'Minderwertigen' und des 'Hilfebedürftigen' fest und somit wurde auch die Arbeit in diesen Institutionen des Ausschlusses zu etwas Besonderem, was nicht jeder Mensch tun kann. Es entstanden also Professionen, die sich auf die besonderen Bedürfnisse der marginalen Gruppen spezialisierten, was schließlich auch zu einer Teilung der Pädagogik (zu Regel- und Sonderpädagogik) führte.

Die Aussonderungseinrichtungen hatten und haben den Anspruch sowohl der Gesellschaft als auch den Ausgeschlossenen etwas Gutes zu tun, dies geht vor allem auf die meist christlich geprägten Wohlfahrtseinrichtungen zurück und daraus haben sich wiederum starre, die Ausgeschlossenen noch weiter entmündigende Strukturen entwickelt.

"Waren zunächst auch karitativ-mildtätige Motivationen für die Unterbringung in Anstalten ausschlaggebend, so wurde im weiteren Verlauf immer mehr die Argumentationslinie handlungsleitend, die Gesellschaft vor Menschen mit Behinderungen schützen zu müssen" [22] , die gemeingefährlichen Irren wurden aus der Öffentlichkeit entfernt.

Diese Einrichtungen lassen sich mit dem von GOFFMAN geprägten Begriff als totale Institutionen beschreiben. Mit der Psychiatriereform haben sich zwar die Zustände in sozialen und pädagogischen Einrichtungen deutlich verändert und verbessert. Meiner Ansicht nach lassen sich dennoch in den meisten Einrichtungen, die im pädagogischen und/oder medizinischen Feld angesiedelt sind eben die Strukturen, die eine totale Institution kennzeichnen, weiterhin vorfinden. ASELMEIER stellt einen Perspektivenwandel innerhalb der Behindertenhilfe dar, ausgehend von der beschriebenen Verwahrung über die Förderung hin zur Selbstbestimmung.[23]

Mit der 68er Bewegung (Krüppelgruppe) und Elterninitiativen aus dieser Zeit kam die Forderung nach Normalisierung auf, wie man dies bereits in den skandinavischen Ländern und den USA beobachtet hatte. Mit dem Normalisierungsprinzip sollten nun z.B. die Strukturen der totalen Institution, wie GOFFMAN sie beschrieben hat, aufgebrochen werden, doch das Verständnis und Bild vom 'Behinderten' als minderwertigem und hilflosem Menschen blieb weitgehend bestehen.

"Im Grunde also muss der Prozess der Auflösung der großen zentralisierten, durch Entindividualisierung und Fremdbestimmung gekennzeichneten Versorgungseinrichtungen einhergehen mit einer Veränderung des Verständnisses von geistiger Behinderung und damit der Haltung gegenüber Menschen mit geistiger Behinderung." [24]

Doch da Aussonderung nicht 'an sich' statt findet, sondern ein Menschenbild und eine Handlungsdimension beinhaltet, veränderten sich die spezialisierten, aussondernden Einrichtungen nicht grundlegend. Jede Einrichtung behandelt ihre 'Insassen' entsprechend ihrer Spezialität 'richtig'. Im Kontext der Funktionalität werden die 'Insassen' durch 'pädagogisches' Handeln befähigt zu funktionieren, wie dies genau geschieht, hängt wiederum von der Spezialisierung der Einrichtung ab, aber das Verhältnis zwischen 'Pädagoge' und 'Insasse' ist immer ein Machtverhältnis, indem der Pädagoge der Mächtige ist.[25]

Ein meiner Meinung nach entscheidendes Ergebnis in diesem Kontext liefert FEUSER der herausstellt:

"Ebensowenig wie die Analyse der gesellschaftlichen Dimension psychischer Krankheit und Behinderung die Wahrnehmung eines Menschen als psychisch krankes bzw. behindertes Subjekt in seiner Individualität verleugnet, [...] darf die Wahrnehmung der beeinträchtigten Persönlichkeit des Subjekts die Dimension seiner gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Existenz negieren."[26]

Aber gerade die gesellschaftliche, soziale sowie ökonomische Existenz wird in den historisch gewachsenen Verhältnissen und Strukturen in der Regel für Menschen mit Beeinträchtigungen negiert und zu meist auf ein medizinisch utilitaristisches Menschenbild hin eingeschränkt.

"So geht es nicht mehr um Werner, der z.B. unter der Bedingung einer zerebralen Parese wahrzunehmen, zu denken und sich zu bewegen, also kompetent zu handeln versteht, sondern um den Spastiker, der 'Krüppel' ist und Werner heißt" [27]

Dieses Menschenbild muss überwunden werden, um den Prozess der Be- und Aussonderung zu überwinden und eine gesellschaftliche Teilhabe aller zu ermöglichen.



[11] Beck 1991, S.54

[12] Bernhard 2005, S.94

[13] vgl. Bardmann 2008

[14] Bardman 2008, S.54

[15] vgl. Basaglia; Bernhard 2008a; Bernhard 2008b

[16] Basaglia 1985, S.84

[17] vgl. Basaglia 1985; Bernhard 2008a; Bernard 2008b; Dörner 1994)

[18] Dörner 1994, S.377

[19] vgl. Baaglia 1985

[20] vgl. Dörner 1994

[21] vgl. Goffman 1973

[22] Aselmeier 2008, S.41

[23] Tabelle aus Aselmeier 2008, S.44 siehe Anhang

[24] Aselmeier 2008, S.44

[25] vgl. Basaglia 1985; Bernhard 2008a; Feuser 1995; Goffman 1973

[26] Feuser 1995, S.81

[27] Feuser 1995, S.74

Die Bedeutung der Pädagogik für den Integrationsprozess

Aus dem oben Beschriebenen wird deutlich, dass in totalen Institutionen Machtverhältnisse herrschen, die die Mitarbeiter auf Grund ihrer Funktion in eine Machtstellung bringen und die 'Objekte' ihrer Arbeit zu 'Ohnmächtigen' machen. Laut einer Definition von BERNHARD setzt pädagogisches Handeln an diesem Punkt an.

"Pädagogisches Handeln setzt eine Situation voraus, in denen ein grundlegendes Gefälle zwischen den in ihr handelnden Personen besteht, eine Diskrepanz, die sich auf die Bereiche der Erfahrung, des Wissens und der Erkenntnis bezieht. Der pädagogische Umgang setzt dort an, wo Menschen entweder noch nicht befähigt sind, ihre Lebensverhältnisse mündig zu gestalten oder wo diese Fähigkeit zu eigenverantwortlichem Handeln eingeschränkt wurde."[28]

Die Pädagogik und ihre Funktion stehen ebenfalls in einem gesellschaftshistorischen Kontext, daher bedarf die Pädagogik ebenfalls einer historischen Betrachtung, um sich klar zu machen woraus unsere heutige Vorstellung von Pädagogik und dem damit verbundenen handeln resultiert. Zum Teil resultiert diese aus dem bereits Beschriebenen, aber ich beziehe mich hier zusätzlich auf BERNHARD[29], der die Geschichte der Pädagogik kritisch beleuchtet.

Pädagogik setzt sich aus Bildung und Erziehung zusammen, diese wiederum werden durch die gesellschaftlich gewachsenen Vorstellungen geprägt. Daraus resultierte ein bis heute bestehendes Spannungsverhältnis zwischen Spezialbildung und allgemeiner Bildung.

Spezialbildung dient ausschließlich dem Zweck die Menschen möglichst schnell funktionsfähig zu machen und gemäß ihrer Funktionalität zu selektieren (auszusondern).

"Bildung sollte den Menschen dazu befähigen, an dem ihm zugewiesenen Ort gesellschaftlicher Arbeit zu funktionieren"[30]

Während die allgemeine Bildung sich an einer umfangreichen Persönlichkeitsentwicklung mit dem Ziel der Mündigkeit orientiert, diese Forderung geht bereits auf ROSSEAU zurück.

"Bildung kann nur als allgemeine Menschenbildung verstanden werden, die auf Mündigkeit, auf Selbständigkeit, auf eigenes Urteilsvermögen hin orientiert ist."[31]

Daraus ergeben sich in der Folge wiederum einige Fragen, die BERNHARD wie folgt formuliert:

"Soll Bildung das Individuum zur Mündigkeit und Emanzipation befähigen, oder soll sie nur die Produktion nützlicher und verwertbarer Kenntnisse als ihr Ziel bestimmen? Soll Bildung der allseitigen Entfaltung der im Menschen vorhandenen Anlagen dienen, oder soll sie lediglich den Qualifikationsbedarf einer Gesellschaft einlösen?"[32]

Orientiert man sich hier an unserem derzeitig vorherrschenden Bildungssystem in der BRD, wird klar, dass wir "ein hochgradig selektives Bildungssystem [haben], das Menschen die den geforderten Leistungskriterien nicht entsprechen aussondert und aus Teilsystemen aussondert. Damit ist die Einheit des Menschen in der Menschheit auseinander gerissen. Aufgabe von Bildungsprozessen wäre es, dies wiederherzustellen."[33] Daraus folgt, dass 'pädagogisches' Handeln sich nicht am Individuum und dessen Bildung orientiert, sondern darauf ausgerichtet ist die bestehenden Machtverhältnisse zu erhalten.

Um Be- und Aussonderungsprozesse zu überwinden muss kritisch hinterfragt werden, was pädagogisches Handeln bedeutet und was das Ziel eines pädagogisch Handelnden ist.

Entsprechend meines oben skizzierten Menschenbildes bin ich der Meinung, dass pädagogisches Handeln den Menschen dazu befähigen sollte sein Potential bestmöglich zu entfalten. Dabei muss berücksichtigt werden, dass jeder Mensch, wie GRAMSCI dies formuliert, ein geschichtlicher Block ist. Für Erziehungs- und Bildungsprozesse bedeutet dies, dass gesellschaftlich relevante Schlüsselprobleme die Lerninhalte bestimmen sollten[34], um die Persönlichkeit in Hinblick auf gesellschaftliche Teilhabe und Mitbestimmung entfalten zu können. In diesem Sinne reflektiert und erarbeitet BERNHARD ein kritisches Verständnis von Pädagogik.

"Pädagogisches Handeln ist [also] auf Mündigkeit orientiert, seine endgültige Bestimmung besteht in dem Zweck, sich überflüssig zu machen. Das vormundschaftliche Verhältnis, das allen Erziehungsprozessen eigen ist, verliert seine pädagogische Legitimation, sobald die Heranwachsenden in die Lage versetzt sind, unabhängig von der Führung durch andere Personen eigenverantwortlich zu handeln."[35]

Wenn unsere Bildungspolitik und unser damit verbundenes Schulsystem den Anspruch erfüllen soll, durch pädagogisch versierte Lehrkräfte die Schüler zu bilden und in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen, dann sehe ich diesen Auftrag in Hinblick auf den hergeleiteten Begriff von Allgemeinbildung und der Bedeutung von pädagogischem Handeln derzeit als gescheitert an.

"Nur Dank einer hohen Bewusstheit über die uns als Pädagogen in Wissenschaft und Praxis inhärenten unauflösbaren Widersprüche werden wir die eigene, aus diesen Widersprüchen resultierende Not nicht als Mächtige an den Ohn-Mächtigen abarbeiten und in den integrativen Arbeitsfeldern (als Voraussetzung dazu) Verhältnisse schaffen können, in denen Macht abgegeben und eine Kooperation im Kollektiv gemeinsam Lernender denkbar werden kann - dies als Realisierung des gesellschaftlich bedeutendsten Auftrags der Integration." [36]



[28] Bernhard 2008a, S.85

[29] Bernhard 2008a

[30] Bernhard 2008a, S.60

[31] Bernhard 2008a, S.58

[32] Bernhard 2008a, S.57

[33] Stein 2008, S.258

[34] vgl. Bernhard 2005; Bernhard 2008a; Bernhard 2008b; Jank und Meyer 1991; Klafki 1976

[35] Bernhard 2008a, S.86

[36] Feuser 2006, S.44

Die Überwindung des Ausschlusses

Durch die Skandalisierung der Verhältnisse insbesondere in Anstalten der Psychiatrie oder auch durch die Krüppelbewegung im Kontext der Behindertenhilfe gab es wie oben angerissen eine neue Perspektive im Blick auf die Arbeit mit Menschen die als behindert bezeichnet werden. Hier wurde ein neuer Grundstein für ein gemeinsames Leben und Lernen aller gelegt und der Begriff der Integration wurde ins Leben gerufen.

Integration sollte und soll die oben beschriebenen Entfremdungs- und Aussonderungsprozesse überwinden, um die Einheit des Menschen in der Menschheit wieder herzustellen. Es stellt sich nun die Frage: Warum wird Integration offensichtlich noch nicht hergestellt?

Aber was verstehe ich denn unter Integration, wenn das was bereits so genannt wird dem nicht entspricht? Sind denn die 'Behinderten' nicht in die Regelschulen integriert worden? Hat man die Strukturen in den Großeinrichtungen nicht verändert? Wird nicht integriert und sogar dezentralisiert?

"Integration hätte nichts mehr und nichts weniger zu leisten, als den durch Ausgrenzung behinderten oder von Ausgrenzung bedrohten Menschen in die gelebte Beziehung der Menschen unter- und miteinander zurückzugeben bzw. ihn vor der Ausgrenzung zu bewahren, indem die kooperativ-kommunikative Kompetenz der Gemeinschaft gestärkt, der Dialog intensiviert wird."[37]

In unserem bestehenden Bildungssystem werden bis heute die mittlerweile so genannten Förderschulen als ein Teil der 'Integration' gesehen. Zudem gibt es z.B. das Konzept der 'Einzelintegration', bei dem Schüler mit besonderem Förderbedarf in Regelschulen 'integriert' werden, dies ist qualitativ unterschiedlich zu bewerten.

Die 'Schulintegration' geht in der Regel jedoch nicht über ein räumliches zusammen sein hinaus. SANDER und REISER sprechen hier von einem qualitativen und quantitativen steckenbleiben der Integration. Dies gilt meiner Ansicht nach auch für Kindergärten sowie das Zusammenleben im Gemeinwesen.[38]

Gemäß der gerade gegebenen Definition von FEUSER handelt es sich dabei jedoch keines Falls um etwas, das in diesem Sinne als Integration zu bezeichnen wäre. Ich sehe diese räumliche 'Integration' als notwendige Bedingung für Integration jedoch bei weitem noch nicht als Einlösung der ebenfalls damit verbundenen Forderung nach der gelebten Beziehung.

Die im Moment hauptsächlich stattfindende 'Integrationspraxis' setzt weiterhin am Individuum an, dies muss also bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um 'integrierbar' zu sein. Dies gilt sowohl für Kindergarten und Schule als auch für das Leben im Gemeinwesen, wo die Praxis zeigt, dass z.B. das 'Betreute Wohnen' nur für die so genannten Fitten ermöglicht wird.

"Integration [...] kann nämlich dazu führen, dass die zusätzliche Unterstützung streng auf das behinderte Kind [den 'behinderten' Menschen] in der Regelschulklasse [im Gemeinwesen] fokussiert wird, während der Unterricht [die Struktur] insgesamt sich nicht ändert; dann ist Integration nur eine Addition von sonderpädagogischen Hilfen in die unveränderte Regelschule [das unveränderte Gemeinwesen]."[39]

Dies hängt meines Erachtens vor allem damit zusammen, dass "gerade die 'soziale Reaktion' aus der Gesellschaft Behinderung schafft. Dies, und nicht eine individuelle Begrenzung oder Begabung, macht Menschen zu behinderten Menschen."[40] Der 'Behinderte' hat sein durch die lange Geschichte der Ausgrenzung bestimmtes Bild in den Köpfen der Gemeinschaft.[41] REISER beschreibt in diesem Kontext für das Bildungssystem "eine mentale Unbeweglichkeit des pädagogischen Personals"[42] und wenn diese Unbeweglichkeit, diese Barriere in den Köpfen der Pädagogen sich nicht auflösen lässt, dann haben Menschen aus marginalen Gruppen, die auf Grund von Zuschreibungsprozessen stigmatisiert werden meines Erachtens nach keine Chance auf Integration.

"Integrativ denkende und arbeitende Lehrer [...] wollen Unterstützung für sich, damit sie mit allen Kindern besser arbeiten können. Andere Lehrer wollen die Verantwortung und die Zuständigkeit an die Sonderschullehrer abtreten, wollen Unterstützung in der Form, dass die Sonderpädagogen die Kinder unterrichtsfähig machen oder partiell aus ihrem Unterricht nehmen."[43]

Wenn also die räumliche Addition in die Regelschule zu einem gelebten miteinander in einer allgemeinen Schule für alle werden soll, müssen sowohl Regelschullehrer sowie Sonderschullehrer als auch Bildungspolitiker ihre 'mentale Unbeweglichkeit' überwinden.[44] Als einen ersten Schritt in diese Richtung sehe ich ebenso wie REISER einen Perspektivenwechsel vom besonderem Förderbedarf hin zum tatsächlichen Bedarf. Dabei wird der individuelle Hilfebedarf von Kindern mit Beeinträchtigung nicht etwa negiert, aber es soll ebenfalls der räumliche und strukturelle Bedarf mit in den Blick genommen werden sowie der Unterstützngsbedarf des Klassenlehrers auf didaktischer Ebene. Wenn Lehrer pädagogisch Handeln, wie oben beschrieben, dann kann der Prozess der Integration meiner Meinung nach gelingen.

Damit muss Integration

"eindeutig sichtbar machen müssen, dass das - im wahrsten Sinn des Wortes - herrschende Schulsystem mit seinen hierarchischen Strukturen, die funktional nur die Selektion und Segregierung der Kinder und Schüler als regulierendes Prinzip zulassen, auf diese Weise eine gesellschaftliche Drehscheibe der Verteilung wie Sicherung von Privilegien abgibt, was zu einer demokratisch verfassten Gesellschaft in Widerspruch steht."[45]

Für Kindergarten und Schule hat FEUSER ein didaktisches Konzept entwickelt, dass an den Fähigkeiten und dem individuellen Entwicklungsstand aller Kinder mit und ohne Beeinträchtigung ansetzt sowie die Möglichkeit gibt bestehende Strukturen so zu verändern, dass Integration möglich wird. Diese entwicklungslogische Didaktik könnte Be- und Aussonderung im Kindergarten und der Schule überwinden, indem alle in Kooperation am gemeinsamen Gegenstand entsprechend ihres individuellen Entwicklungsniveaus lernen. Dabei sollen ebenfalls Fähigkeiten, wie Mitbestimmung, Selbstbestimmung und Solidarität erlernt werden.

"Integration beschreibt einen Prozess der Transformation eines auf gleichberechtigte und gleichwertige Teilhabe aller an Bildung für alle orientierten erziehungswissenschaftlichen Erkenntnisstandes in eine 'Allgemeinen Pädagogik', deren pädagogische Praxis mittels einer 'entwicklungslogischen Didaktik' Ausgrenzungsprozesse und eine reduktionistische Pädagogik zu negieren vermag."[46]

Für den außerschulischen Bereich (Arbeit, Freizeit und Wohnen) wird eine Dezentralisierung angestrebt, die großen Anstalten verkleinern ihre Wohnkomplexe zu kleineren stationären Wohneinheiten und zu ambulantem Wohnen. In den noch bestehenden stationären Wohneinrichtungen bestehen teilweise noch Strukturen, die mit der totalen Institution zu vergleichen sind. Grundsätzlich besteht im Kontext der Behindertenhilfe weiterhin das Problem, dass der Blickwinkel der Professionellen sich in erster Linie auf den Menschen mit Beeinträchtigung bezieht und weitgehend die strukturellen Lebensbedingungen außer Acht lässt.

Eine Antwort auf dieses Problem liefert meines Erachtens die Gemeinwesenarbeit, die sich mit den Strukturen und Beziehungen innerhalb des Gemeinwesens beschäftigt und durch eine Veränderung dieser Strukturen besonders marginalisierte Gruppen wieder an der Gemeinschaft teilhaben lassen will.

"Individuelle soziale Problemlagen von Menschen im Gemeinwesen haben einen strukturellen Hintergrund. In der Gemeinwesenarbeit [...] geht es um Linderung, Verhinderung oder Beseitigung der Probleme von Menschen, die in einem sozialgeografisch definierten Raum leben."[47]

Dabei setzt z.B. die katalytisch-aktivierende Gemeinwesenarbeit an den bestehenden Strukturen, den Lebenswelten aller im Gemeinwesen lebenden an. Diese Form der Gemeinwesenarbeit setzt direkt bei den Interessen und Bedürfnissen aller an, um eine Veränderung von innen heraus zu bewirken, um Teilhabe[48] zu ermöglichen, indem sich z.B. an den Barrieren in den Köpfen, den starren stigmatisierenden Vorstellungen von 'Behinderung' etwas verändert.

"Konsequent umgesetzte Gemeinwesenorientierung in der Behindertenhilfe rückt Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderungen aus der Ecke spezialisierter Hilfen heraus und gliedert sie ein als Bestandteil allgemeiner Gemeinwesenarbeit."[49]

Damit Integration die Prozesse von Be- und Aussonderung überwindet, ist ein Perpektivenwechsel weg vom 'Behinderten' hin zum sozialen und strukturellen Umfeld notwendig sowie die Überwindung der bestehenden stigmatisierenden Vorstellungen über Behinderung bzw. Menschen aus marginalisierten Gruppen.



[37] Feuser 1995, S.XII

[38] vgl. Aselmeier 2008; Hinz 2002; Reiser 2002; Sander 2001

[39] Sander 2001, keine Seitenangabe möglich

[40] Aselmeier 2008, S.74

[41] vgl. Basaglia 1985; Dörner 1994; Jantzen 1992; Jantzen 1993

[42] Reiser 2002, S.408

[43] Reiser 2002, S.410

[44] Abbildung aus Feuser 1995, S.82. Zur bildhaften Verdeutlichung der mentalen Unbeweglichkeit

[45] Feuser 2006, S.41

[46] Feuser 2006, S.41

[47] Schnee 2004, S.17

[48] "Teilhabe bringt grundsätzlich Einfluss auf die Gestaltung von Lebensumständen mit sich, seien dies nun für Menschen mit Behinderung ihre alltäglichen Lebensbedingungen in den Einrichtungen der Behindertenhilfe oder auch als Bürger im Gemeinwesen." (Niehoff 2007, S.339)

[49] Aselmeier 2008, S.66

Integration oder Inklusion

In der aktuellen Diskussion wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die 'Integration' nicht in der Lage sei, die Prozesse der Be- und Aussonderung zu überwinden bzw. dass es zu viele Fehlformen der Integration gäbe und diese somit gescheitert oder zumindest stecken geblieben sei. Einige Autoren (z.B.: HINZ, REISER und SANDER) gehen deshalb aus unterschiedlichen Gründen dazu über den Begriff der Inklusion zu verwenden. So definiert HINZ:

"Das Konzept der Inklusion versteht sich [... gegenüber der 'Integration'] als eine allgemeine Pädagogik, die es mit einer einzigen, untrennbar heterogenen Gruppe zu tun hat. In ihr sind unterschiedlichste Dimensionen von Heterogenität vorhanden: Verschiedene Geschlechterrollen, ethnische, sprachliche und kulturelle Hintergründe, religiöse und weltanschauliche Überzeugungen, Familienstrukturen, soziale Lagen sowie Fähigkeiten und Einschränkungen kommen in ihnen vor."[50]

Diese Definition deckt sich weitestgehend mit meiner oben angeführten Definition von Integration, grenzt sich jedoch offensichtlich begrifflich durch einen neuen Namen (Inklusion) von den 'Fehlformen der Integration'[51] ab.

Ich sehe Integration als Prozess der Umgestaltung, der vor allem Rahmenbedingungen und Strukturen verändert. Einerseits entsteht im Prozess der Integration eine Schule für Alle, in der die Kinder durch eine entwicklungslogische Didaktik gemeinsam lernen können und im Sinne einer humanistischen Bildung zu mündigen Mitgliedern der Gesellschaft werden. Andererseits werden im Kontext von Gemeinwesenarbeit gesellschaftliche Strukturen etabliert, die sich an der Teilhabe aller im Gemeinwesen orientieren.

Ich verstehe unter Integration also vor allem die Konzeptionen, die strukturelle Veränderungen hervorbringen, während mein Verständnis von Inklusion sich von der oben gegebenen Definition nach HINZ deutlich abhebt.

Inklusion bezieht sich für mich vor allem auf die Barrieren im Kopft. REISER spricht von einer mentalen Unbeweglichkeit, die es erschwert die 'Minderwertigen' als Menschen wie uns selbst wahrzunehmen. Inklusion stellt einen Zustand dar, indem die mentale Unbeweglichkeit, die Barrieren im Kopf überwunden wurden.

Meines Erachtens setzt der Index für Inklusion zum Beispiel gerade an diesem Punkt an, indem er Fragen und Diskussionsgrundlagen liefert, die eine Auseinandersetzung mit den Barrieren in den Köpfen vorantreibt und eine Überwindung aller bestehenden Barrieren zum Ziel hat. Es soll zu konkreten strukturellen Veränderungen kommen, die Teilhabe ermöglichen und gleichzeitig bedeutet der Indexprozess eine stetige Auseinandersetzung mit den strukturellen Gegebenheiten, die zum Ausschluss von Kindern (Menschen) mit Beeinträchtigung führen.

Abschließend möchte ich mit einem Zitat von STEIN enden in dem meines Erachtens die zentralen Probleme von Integration bzw. Inklusion auf den Punkt gebracht werden.

"Mir scheint, dass anstelle des von GRAMSCI geforderten Bewusstseins über die (ausgrenzenden) Verhältnisse als eine Voraussetzung für eine Veränderung eben dieser Verhältnisse mit der Forderung nach Inklusion [Integration] ohne eine entsprechende Analyse über die den Ausgrenzungsprozessen zugrunde liegenden gesellschaftlich-ökonomischen Machtmechanismen und -strukturen eine Forderung aufgestellt wird, der durch das Fehlen der gesellschaftspolitischen Analysen genau die Basis fehlt, die eine Veränderung ermöglichen würde."[52]



[50] Hinz 2002, S.357

[51] Sander 2001

[52] Stein 2008, S.258f.

Literaturverzeichnis

ASELMEIER, L. (2008): Community Care und Menschen mit geistiger Behinderung - Gemeinwesenorientierte Unterstützung in England, Schweden und Deutschland. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.

BARDMANN, T. M. (2008): Integration und Inklusion - systemtheoretisch buchstabiert: Neue Herausforderungen für die soziale und pädagogische Arbeit. In: Max Kreuzer, Borgunn Ytterhus (Hrsg.): "Dabeisein ist nicht alles" - Inklusion und Zusammenleben im Kindergarten. Ernst Reinhardt Verlag, München-Basel (2008), S. 52-72.

BASAGLIA, F. O.(1985): Gesundheit, Krankheit - Das Elend der Medizin. S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main.

BECK, H. (1991): Buber und Rogers - Das Dialogische Prinzip und das Gespräch. Roland Asanger Verlag, Heidelberg.

BERNHARD, A. (2005): Antonio Gramscis politische Pädagogik - Grundrisse eines praxisphilosophischen Erziehungs- und Bildungsmodells. Argument Verlag, Hamburg.

BERNHARD, A. (2008a): Pädagogisches Denken - Einführung in allgemeine Grundlagen der Erziehungs- und Bildungswissenschaft. Schneider Verlag, Baltmannsweiler.

BERNHARD, A. (2008b): Kritische Theorie der Gesellschaft und kritische Pädagogik - Die Bedeutung des Prinzips der Kritik in der Erziehungswissenschaft und seine Grenzen. In: Behinderten Pädagogik: Psychosozial Verlag, Darmstadt (2008). S.245-259.

BOOTH, T.; AINSCOW, M.; KINGSTON, D. (2007): Index für Inklusion - (Tageseinrichtungen für Kinder) Spiel, Lernen und Partizipation in der inklusiven Kindertageseinrichtung entwickeln. Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, Frankfurt am Main.

DÖRNER, K. (1994): Wir verstehen die Geschichte der Moderne nur mit den Behinderten vollständig. In: Leviathan - Zeitschrift für Sozialwissenschaften Westdeutscher Verlag, Köln 1994. S.367-389.

FEUSER, G. (1995): Behinderte Kinder und Jugendliche - Zwischen Integration und Aussonderung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt.

FEUSER, G. (2006): Integration - aus der Balance geraten?. In: Erziehung und Bildung (2006). S.38-48.

GEIER, M.; HASSE, A.; JARITZ, P.; KESELING, G.; KROEGER, H. und SCHMITZ, U. (1976): Sprach-Lernen in der Schule - Die Funktion der Sprache für die Aneignung von Kenntnissen und Fähigkeiten. Pahl-Rugenstein Verlag, Köln.

GIEST, H. und LOMPSCHER, J. (2006): Lerntätigkeit - Lernen aus kultur-historischer Perspektive - Ein Beitrag zur Entwicklung einer neuen Lernkultur im Unterricht. Lehmanns Media, Berlin.

GOFFMAN, E. (1973): Asyle - Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main.

JANK, W. und MEYER, H. (1991): Didaktische Modelle. Cornelsen Verlag, Berlin.

JANTZEN, W. (1992): Allgemeine Behindertenpädagogik - Band 1 - Sozialwissenschaftliche und psychologische Grundlagen. Edition Sozial Beltz Verlag, Weinheim, Basel.

JANTZEN, W. (1993): Das Ganze muss verändert werden - zum Verhältnis von Behinderung, Ethik und Gewalt. Edition Marold Wissenschafts Verlag Spiess, Berlin.

KLAFKI, W. (1976): Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Beltz Verlag, Weinheim.

KLAPP, C. H.-P. (2008): Ich-Entwicklung unter erschwerten Bedingungen - Eine Rehistorisierung. Unveröffentlichte Bachelor Thesis, Darmstadt.

LANWER, W. (2001): Selbstverletzendes Verhalten bei Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung. Afra Verlag, Bremen.

LEONTJEW, A. (1973): Probleme der Entwicklung des Psychischen. Athenäum Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main.

LOMPSCHER, J. (Hrsg.)(2003): Lew Vygotskij - Ausgewählte Schriften - Band 2 - Arbeiten zur Entwicklung der Persönlichkeit. Lehmanns Media, Berlin.

Niehoff (2007): Teilhabe. In: Handlexikon geistige Behinderung - Schlüsselbegriffe aus der Heil- und Sonderpädagogik, Sozialen Arbeit, Medizin, Psychologie, Soziologie und Sozialpolitik. S.339.

REISER, H. (2002): Der Beitrag der Sonderpädagogik zu einer Schule für alle Kinder. In: Behindertenpädagogik (2002). S.402 - 417.

SANDER, A. (2001): Von der Integration zur inklusiven Bildung - Internationaler Stand und Konsequenzen für die sonderpädagoische Förderung in Deutschland. Erreichbar über: http://bidok.uibk.ac.at/library/sander-inklusion.html Letzter Zugriff am 03.02.2009

SCHNEE, R. (2004): Vorlesungsbegleitendes Skriptum Gemeinwesenarbeit. Erreichbar über: http://www.telesozial.net/cms/uploads/tx_kdcaseengine/Skriptum_Gemeinwesenarbeit_Renate_Schnee_102004.pdf Letzter Zugriff am 03.02.2009

SÈVE, L. (1977): Marxismus und Theorie der Persönlichkeit. Verlag Marxistischer Blätter, Frankfurt am Main.

STEIN, A. D. (2008): Integration als Möglichkeitsraum der Vergesellschaftung von Individuen. In: Behinderten Pädagogik (2008) S.283-298.

Anhang

Tabelle aus Aselmeier 2008, S.55

Wir befinden uns in diser Tabelle meines Erachtens nach in der zweiten Spalte, auch wenn bereits die dritte von den Fachwissenschaften gefordert wird. Diese Tabelle kann in dieser Arbeit dazu genutzt werden, die historischen Zusammenhänge auf einen Blick im Auge zu haben.

Abbildung aus Feuser 1995, S.82

Links wird die totale Institution dargestellt, in der der gemeingefährliche und minderwertige Irre oder Behinderte, von der Welt weg gesperrt ist. Rechts ist die räumliche Trennung aufgehoben, aber der Ausschluss ist ebenfalls Kopfsache und die Vorstellung von dem gemeingefährlichen und minderwertigen Irren oder Behinderten besteht weiterhin in den Köpfen.

Zum Autor:

Christian Klapp

Mein derzeitiges Forschungsinteresse richtet sich in meiner Master Thesis auf die Verbindung der Perspektiven von Entwicklungspsychologie und Soziologie in Form einer Theorie über das Kraft- und Kampffeld der menschlichen Entwicklung. Die von mir bereits erarbeitete These geht davon aus, dass Resilienz und Vulnerabilität das inkorporierte Soziale sind!

Kontakt: christian.klapp@web.de

Quelle:

Christian Klapp: Voraussetzungen von Integration. Überwindet Integration im pädagogischen Feld die Be- und Aussonderung und welche Konsequenzen ergeben sich für das pädagogische Handeln im Kontext der Strukturierung von Lern- und Lebensfeldern?

bidok - Volltextbibliothek: Erstveröffentlichung im Internet

Stand: 01.02.2010

zum Textanfang | zum Seitenanfang | zur Navigation