Einführung / Weitere Literatur

Autor:in - Wolfgang Jantzen
Themenbereiche: Lebensraum
Textsorte: Buch
Releaseinfo: Entnommen aus: Wolfgang Jantzen - De-Institutionalisierung. Materialien zur Soziologie der Veränderungsprozesse in einer Großeinrichtung der Behindertenhilfe.
Copyright: © Wolfgang Jantzen 1999

Einführung / Weitere Literatur

"Löse die Fesseln der Ungerechtigkeit.

Sprenge die Bande der Gewalt.

Gib frei die Mißhandelten -

Jedes Joch sollt ihr zertrümmern.

Brich dem Hungrigen dein Brot.

Die Obdachlosen führe in dein Haus.

Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn.

Entzieh dich nicht deinen Brüdern.

(Jesaja 58, 6,7)

"Segui il tuo corso, e lascia dir le genti!"

(Karl Marx, MEW 23, S.17)[1]

Der vorliegende kleine Band enthält verschiedene Arbeiten zur Soziologie der Veränderung einer Großeinrichtung. Wie aus diesen Arbeiten ersichtlich, hatte ich in den Jahren 1992 bis heute Gelegenheit, zunächst als äußerer Kritiker (vgl. das Memorandum von 1993), dann intern an der Reform auf verschiedensten Ebenen beteiligt, sehr differenzierte Einblicke in Struktur und Wandel einer Großeinrichtung für geistig behinderte Menschen[2] zu erlangen. Hierfür habe ich der Leitung und den MitarbeiterInnen der Diakonischen Behindertenhilfe in Lilienthal sehr herzlich zu danken. Über drei Jahre hinweg (Mai 1995 bis Februar 1998) konnte ich u.a. durch mehr als 100 Fachberatungen auf den Gruppen bei mehr als 80 BewohnerInnen einen erheblichen Teil der Internierten kennenlernen. Seit Februar 1998 sind die Kontakte auf meinen eigenen Wunsch hin nur noch sporadischer Art. Zu lange in einer derartigen Position zu arbeiten und zu beraten bedeutet, eine Einrichtung von äußeren Kräften abhängig zu machen und bewirkt auf Dauer zwangsläufig gegenteilige Effekte bezogen auf die gewünschte Veränderungen.

Die Bitte des Vorstands der DIFGB (Deutsche interdisziplinäre Gesellschaft zur Förderung der Forschung für Menschen mit geistiger Behinderung e.V.), bei der diesjährigen Tagung zum Thema "Enthospitalisierungsprogramme - Fragen der wissenschaftlichen Begleitung" mit einem Impulsreferat beizutragen, veranlaßt mich, einige Arbeiten zusammenzustellen, die in dem genannten Prozeß von Veränderung und Veränderungsforschung entstanden sind. Zugleich dienen diese Materialien zur Lehre am Studiengang Behindertenpädagogik der Universität Bremen, speziell im Rahmen eines Lehrprojektes zum Thema Integration und Enthospitalisierung.

Ich habe bewußt nur jene Arbeiten aufgenommen, die unmittelbar und detailliert die Soziologie des Veränderungsprozesses in seiner Komplexität spiegeln. Einige weitere Arbeiten, die zu theoretischen und praktischen Einzelfragen in diesem Kontext entstanden sind, führe ich am Ende des Bandes auf.

Wer sich grundlegend über das hier zur Anwendung kommende theoretische Denken informieren möchte, sei verwiesen auf die beiden Bände meiner "Allgemeinen Behindertenpädagogik" (Jantzen 1987 u. 1990) sowie auf das gemeinsam mit Lanwer-Koppelin (1996) herausgegebene Buch "Diagnostik als Rehistorisierung" und den in diesen Wochen erscheinenden Band "Qualitätssicherung und Deinstitutionalisierung" (Jantzen u.a. 1999).

Ich hoffe, daß die vorgelegten Materialien einen Beitrag zur Humanisierung eines gesellschaftlichen Sektors leisten, der gesamtgesellschaftlich gegenwärtig weit eher durch die gesellschaftliche Inszenierung einer "humanitären Katastrophe" (= Katastrophe der Wohltätigkeit) geprägt ist, denn durch einen humanen Aufbruch (Deregulierung der Sozialpolitik, Pflegegesetz, Änderungen im BSHG usw., ganz abgesehen von der Debatte um neue "Euthanasie"; Bioethik-Konvention u.ä.).

Wolfgang Jantzen

Bremen, im Mai 1999



[1] Im Vorwort zur 1. Auflage von "Das Kapital" vom 25.7.1867. Dt.:"Geh Deines Wegs und laß die Leute reden" Abgewandeltes Zitat aus Dante "Die Göttliche Komödie": "Das Fegefeuer", 5. Gesang, 17.

[2] Ob Einrichtungen dieser Größe jemals Einrichtungen für geistig behinderte Menschen sein können (und nicht vor allem gegen siegerichtet sind) bezweifele ich. Das enthebt jedoch nicht der Pflicht, unter historisch vorgefundenen Umständen und Situationen gemeinsam mit allen Beteiligten nach einer Änderung zu suchen. Daß eine solche Änderung möglich ist, belegt der bisherige Prozeß recht deutlich.

Literaturverzeichnis

JANTZEN, W.: "Allgemeine Behindertenpädagogik" Bd. I und II. Weinheim: Beltz 1987, 1990

JANTZEN, W. und W. LANWER-KOPPELIN: Diagnostik als Rehistorisierung - Methodologie und Praxis einer verstehenden Diagnostik am Beispiel schwer behinderter Menschen. Berlin: Ed. Marhold 1996

JANTZEN, W., LANWER-KOPPELIN, W. und Kristina SCHULZ: "Qualitätssicherung und Deinstitutionalisierung - Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden". Berlin: Ed. Marhold 1999

Weitere Literatur des Verfassers im Kontext der Zusammenarbeit mit der DBH Lilienthal

JANTZEN, W.: Enthospitalisierung und institutioneller Kontext. Behindertenpädagogik, 35 (1996) 3, 258-275.

JANTZEN, W.: Anerkennung statt Normalisierung. Bemerkungen zu einem notwendigen Paradigmawechsel in der Enthospitalisierungsdebatte. In: Jantzen, W. (Hrsg.): Geschlechterverhältnisse in der Behindertenpädagogik. Subjekt/Objekt-Verhältnisse in Wissenschaft und Praxis. Luzern (SZH) 1997. 53-60.

JANTZEN, W.: Zur Neubewertung des Down-Syndroms. In: Geistige Behinderung, 37 (1998) 3, 224-238.

JANTZEN, W.: Vom Nutzen der Syndromanalyse am Beispiel des Rett-Syndroms. Behindertenpädagogik, 37 (1998), 4, 342-360.

JANTZEN, W.: Singerdebatte und postmoderne Ethik. Marxistische Blätter, 36 (1998) 2, 50-61.

JANTZEN, W.: Enthospitalisierung und verstehende Diagnostik. In: Theunissen, G. (Hrsg.): Enthospitalisierung - ein Etikettenschwindel? Bad Heilbrunn (Klinkhardt) 1998. 43-61.

JANTZEN, W.: Rehistorisierende Diagnostik als Kern von Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung. In: Schmetz, D.; Wachtel, P. (Hrsg.): Entwicklungen, Standorte, Perspektiven. Sonderpädagogischer Kongreß 1998. Materialien Würzburg (vds) 1999. 80-90.

JANTZEN, W.: Geistige Behinderung ist ein sozialer Tatbestand. In: Jantzen, W. et al. 1999

JANTZEN, W.: Deinstitutionalisierung als Kern von Qualitätssicherung. In: Jantzen, W. et al. 1999. i.Dr.

JANTZEN, W.: Aspekte struktureller Gewalt im Leben geistig behinderter Menschen. In: Hennicke , K., Seidel, M. (Hrsg.): Gewalt im Leben von Menschen mit geistiger Behinderung. Berlin 1999. i.Dr.

JANTZEN, W.: Lebensqualität statt Qualitätskontrolle. In: Theodor-Fliedner-Werk, das Dorf (Hrsg.): Die Qualität, der Kunde und Dr. Pannwitz. Mülheim/.R. (Selbstverl.) 1999. i.Dr.

JANTZEN, W.: Rehistorisierung - Zur Theorie und Praxis einer verstehenden Diagnostik in der Arbeit mit geistig behinderten Menschen. In: Friebe, S. (Hrsg.): Tagungsbericht Fachtagung Fachschule für Sozialpädagogik der Johannes-Anstalten, Schwarzach, 17.-18. März 1999. Schwarzach 1999. i.V..

JANTZEN, W.: Unterdrückung mit Samthandschuhen - Über paternalistische Gewaltausübung (in) der Behindertenpädagogik. In: Müller, A. (Hrsg.): Sonderpädagogik provokativ. Bericht über die Dozententagung in Landau/Pf. 1998. Luzern (SZH) 1999. i.Dr.

JANTZEN, W.; LANWER-KOPPELIN, W.; SCHULZ, Kristina (Hrsg.): Qualitätssicherung und Deinstitutionalisierung - Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Berlin (V. Spiess) 1999. i.Dr.

Bestelladresse des Readers:

Prof. Dr. W. Jantzen

Universität Bremen, Fachbereich 12,

Studiengang Behindertenpädagogik

Postfach 330440

D-28334 Bremen

Email: Basaglia@aol.com

Quelle:

Wolfgang Jantzen: Einführung / Weitere Literatur

Entnommen aus: Wolfgang Jantzen - De-Institutionalisierung. Materialien zur Soziologie der Veränderungsprozesse in einer Großeinrichtung der Behindertenhilfe.

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 12.05.2010

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