Gleich.beRECHTigt - "NICHT-DISKRIMINIERUNG FÜR BEHINDERTE MENSCHEN"

Themenbereiche: Recht, Selbstbestimmt Leben
Textsorte: Bericht
Releaseinfo: Arbeitstagung, 1./2. November 1996, Tagungsbericht, Veranstalter: INTEGRATION:ÖSTERREICH. Vom EU/HELIOS Programm als "National prioritäre Veranstaltung" gefördert.
Copyright: © Integration: Österreich 1996

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Anfangen wollen, erfordert Mut und Selbstvertrauen, eine nicht leichte Aufgabe für den Menschen, der so oft mutlos gemacht wurde, dessen Vertrauen zu sich und anderen schwankt.

Anfangen heißt auch, einen ungewissen Schritt in die Zukunft wagen, Veränderungen schaffen und Konsequenzen tragen.

Anita Ockel

Ein guter Anfang besteht auch darin, miteinander zu reden .......

Wir möchten uns bei all jenen Menschen herzlich bedanken, die durch ihren Einsatz, das Einbringen ihres Wissens und ihrer Erfahrung, den intensiven Zeitaufwand und ihr persönliches Engagement maßgeblich zum Gelingen dieser Arbeitstagung beigetragen haben.

Zähe, zeit- und kraftaufreibende Arbeit wird nötig sein, um der österreichischen Bundesregierung den Wechsel von befürsorgender und ausgrenzender Behindertenpolitik, hin zur Einsicht, einer Bürgerrechte - anerkennende Politik nahezulegen.

Es gilt ein gemeinsames Ziel zu erreichen:

das Anti-Diskriminierungs- oder Gleichstellungsgesetz in Österreich.

Dieses Ziel zu erreichen wünscht sich Integration: Österreich mit allen (betroffenen) Menschen und für die Zukunft unserer Kinder.

Die Arbeitstagung unter dem Motto "Gleich.beRECHTigt" wurde von I:Ö in Absprache mit der "Selbstbestimmt Leben Initiative Österreichs" (SLIÖ) organisiert und fand am 1./2. November 1996 in Wien Strebersdorf statt.

John Evans: Erfahrungen in Öffentlichkeitsarbeit, Bewußtseinsbildung in Bezug auf ein Antidiskriminierungsgesetz

Zusammenfassung

John D. Evans, Gründer des "European Netwerk on independent Living" schildert den Weg zum Antidiskriminierungsgesetz in Großbritanien als Weg von Ignoranz der Politiker über aufsehenerregende Aktionen von Betroffenen, der Zuhilfenahme von Forschung zu einem unzureichenden Gesetz ... und meint: "Es gibt keine Zeit für Selbstzufriedenheit".

Die Bürgerrechtskampagne im Vereinigten Königreich von Großbritannien und das Disability Discrimination Act / Gesetz bezüglich Diskriminierung von Behinderung

Einleitung

Für die Behinderten-Bewegung im Europa der letzten zehn Jahre waren die zwei wichtigsten Fragen der Kampf und die Kampagne für Bürgerrechts-Gesetzgebung oder ADG (Anti-Diskrimierungs-Gesetzgebung), unter welchem Namen man sie nun kennt; und die Entwicklung des Independent Living, des Selbstbestimmten Lebens, durch Direktzahlungsmodalitäten und durch persönliche Assistenz. Als Ergebnis der Kampagnen im Umfeld dieser zwei Sachbereiche konnten wir miterleben, wie im vergangenen Jahr [1995] zwei neue Gesetze im Vereinigten Königreich von Großbritannien eingeführt wurden: das Gesetz über Direkt-Zahlungen an behinderte Menschen, und das Disability Discriminiation Act / Gesetz bezüglich Diskriminierung von Behinderung.

Diese Bereiche haben das Denken und die Aktivitäten behinderter Menschen und ihrer Organisationen in den letzten Jahren dominiert, und der Behinderten-Bewegung einen deutlichen Brennpunkt und ein Ziel für ihre Marschrichtung gegeben. Während unsere Organisationen sich entwickelten und größer wurden, haben wir begonnen, überall einen wirksamen Einfluß auf Regierungen und politische Institutionen auszuüben. Wir haben zugelegt an Macht, und unser gewichtiger Einfluß muß nun ernst genommen werden - wird er nun auch tatsächlich. - In meinem Referat werde ich mich auf die Anstrengungen der Kampagne der Behinderten-Bewegung im Vereinigten Königreich konzentrieren, wie diese alles daransetzte, um ADG (Anti-Diskrimierungs-Gesetzgebung) zu erreichen; und auf die Kritik dieser Bewegung an dem neuen Diskriminierungs-Gesetz bezüglich Behinderung.

Warum es Gesetzgebung für Bürgerrechte geben muß, und wie nötig sie ist, ist seit langem für alle Beobachter völlig offensichtlich - wenn auch viele Politiker nicht bereit waren, sie zu akzeptieren. Im Vereinigten Königreich, wie auch in vielen anderen Ländern, erlebten behinderte Menschen viele Formen der Diskriminierung (und erleben sie noch), und man hat sie als Bürger zweiter Klasse behandelt. Um nur ein paar Beispiele herauszustellen: wirklich ganz zugängliche öffentliche Verkehrsmittel stehen selten zur Verfügung; gleiche Möglichkeiten der Anstellung sowie in Training und Ausbildung sind oft gering; Zugang zu Dienstleistungen sind eher ein Lotteriespiel; die meisten Wohnmöglichkeiten sind unzugänglich wenn nicht streng getrennt; behinderte Menschen zahlen höhere Versicherungsprämien für ihr Auto, für Gesundheit und Reisen; und volle Teilnahme, volles Mitmachen im täglichen Leben können auch durch Unwissenheit und Schranken der inneren Haltung vermindert sein. Der einzige Weg, der ein so komplexes Problem letztlich einer wirksamen Lösung zuführen kann, verläuft über die Einführung einer langfristigen, umfassenden Anti-Diskriminierungspolitik, zusammen mit einem geeigneten unabhängigen Mechanismus zu deren Durchsetzung.

Sehen wir uns einige der wichtigen Ereignisse und Resultate an, die es beim Versuch, dieses Ziel zu erreichen, gegeben hat.

Der Hintergrund der ADG (Anti-Diskrimierungs-Gesetzgebung)

Seit den frühen Achtzigerjahren hat es 14 Versuche gegeben, ein umfassendes Bürgerrechtsgesetz gegen Diskriminierung behinderter Menschen zu schaffen und Teil des britischen Gesetzbuchs werden zu lassen, die alle keinen Erfolg hatten. Während dieser Zeit gab es eine sehr starke Lobby von Menschen mit den verschiedensten Behinderungen, die zusammenarbeiteten, um gemeinsam dieses Ziel der ADG zu verfolgen. Diese Lobby hat im ganzen politischen Spektrum Unterstützung gefunden, durch einzelne Politiker aller Parteien, hatte aber nie ganz die Unterstützung der britischen Regierung, die im Gegenteil jahrelang viele zweifelhafte politische Tricks anwandte und parlamentarische Vorgangsweisen mißbrauchte, um das Bürgerrechtsgesetz zu killen, indem sie z. B. alle die parlamentarische Zeit aufbrauchte, indem die Abgeordneten des Parlaments das Gesetz zerredeten, bis die Frist für die Abstimmung um war, und indem die Regierung eine völlig unrealistische Anzahl kleinerer Änderungen für den Gesetzesantrag einführte, ohne genügend Zeit, diese auch wirklich durchzuführen. Jedoch auch sie, die Regierung, wurde letzten Endes gezwungen, aktiv zu werden - aber darüber werden ich später berichten.

Im Lauf der Jahre verbesserten behinderte Menschen und ihre Organisationen ihre Lobby-Taktik, ihre politischen Strategien und ihr Bewußtsein: sie lernten, wie man die Situation beeinflussen kann, und daher wurde die Wirkung der Kampagnen stärker. Eine weitere großartige Quelle der Inspiration und der Ermutigung war für uns im Vereinigten Königreich zu dieser Zeit, daß das ADA (Americans with Disabilities Act, Gesetz bezüglich AmerikanerInnen mit Behinderung) 1991 in den Vereinigten Staaten von Nordamerika eingeführt wurde. Wenn eine solche Gesetzgebung in den Vereinigten Staaten möglich war, war sie auch im Vereinigten Königreich von Großbritanien möglich, wie uns schien.

Im Jahr 1991 schließlich startete BCODP (British Council of Disabled People, der Britische Rat der Menschen mit Behinderung) - die überregionale, repräsentative und demokratische Organisation behinderter Menschen im Vereinigten Königreich - seine ADG -Kampagne, als sein Hauptziel für die Zukunft. Dies schuf einen neuen, konzentrierten Antrieb, um den sich die Behindertenbewegung scharen konnte. Dieser Beginn der ADG-Kampagne fiel zeitlich zusammen mit der Veröffentlichung einer wichtigen Forschungsarbeit mit dem Titel "Diskriminierung und Menschen mit Behinderung in Großbritannien", die der BCODP durchgeführt hatte. Diese Forschung war so umfassend in ihren Ergebnissen, daß sie mehr als ausreichenden Nachweis erbrachte, um die ganze Position für ADG zu stützen; diese Forschungsarbeit wurde ein sehr nützliches Werkzeug in der Kampagne, und ein Symbol für Er-Mächtigung und Inspiration. Es war dies die erste von Autorität getragene Forschung auf diesem Gebiet, die von behinderten Forschern und Experten ausgeführt wurde. Dies sollte das erste einer ganzen Anzahl von Forschungsprojekten behinderter Menschen sein, die einen beträchtlichen Einfluß auf zukünftige strukturelle Entwicklungen in der britischen Gesellschaft als ganzer haben sollten.

Bis zur Veröffentlichung des oben genannten Forschungsberichts hatte die Regierung nicht zur Kenntnis nehmen wollen, daß Diskrimierung stattfand, und erst am 31. Jänner 1992 gab sie dies aufgrund des durch den Bericht erzeugten Drucks im Unterhaus zu. Während die Regierung also gezwungen war, Diskriminierung als ein großes Problem anzuerkennen, war sie nicht willens, einen Gesetzesantrag, der sich damit befassen sollte, das Parlament passieren zu lassen. Minister setzten wirtschaftliche Interessen vor diejenigen der behinderten Bevölkerung, indem sie argumentierten, daß Großbritannien sich keine solche Politik leisten könne. Diese finanzielle Einschätzung erwies sich später als falsch. Regierungsmitglieder sagten ferner, Diskriminierung könne durch langfristige Bildungspolitik und Überzeugungsarbeit besiegt werden, und nicht durch gesetzliche Regulierung und Durchsetzung. Dies frustrierte die Behindertenbewegung und zwang sie zu stärkeren taktischen Maßnamen.

Direkte Aktionen

Am Beginn der 90er-Jahre kam daher eine andere Art der Strategie und der Aktivitäten auf, die sich behinderte Menschen mit enormer Wirkung zueigen machten - und zwar direkte Aktionen. Diese sollten in der ganzen ADG (Anti-Diskriminierungs-Gesetz) -Kampagne weiterhin eine wichtige Rolle spielen, da sie so viel Medieninteresse erzeugten. Der Anblick behinderter Menschen, die an Autobusse angekettet oder mit Handschellen an sie befestigt waren, verursachte ein Medien-Spektakel, ebenso wie Proteste vor öffentlichen Gebäuden; dies alles schuf riesige Verkehrsstaus in der Stadtmitte Londons und anderer Städte im ganzen Land. Geschichtlich gesehen war es immer ein Problem gewesen, ordentliche Öffentlichkeitswirksamkeit und die Aufmerksamkeit der Medien für Anliegen der behinderten Menschen zu bekommen, um die richtigen Botschaften an ein größeres Publikum zu verbreiten: nun, mit der einen oder anderen Art der direkten Aktion hatte man wörtlich die Garantie, einen guten Medien-Mix mit großer Breitenwirkung zu bekommen. Einige Telefonanrufe vor den Aktionen, und die Medien pflegten schon herbeizueilen.

Direkte Aktionen verstärkten ohne Zweifel das Profil und erhöhten die Dringlichkeit der Bürgerrechts-Gesetzgebung in den Augen der allgemeinen Öffentlichkeit; sie trugen viel dazu bei, die selbstzufriedenen Politiker in dieser Sache aufzurütteln - aber sie alleine konnten nie ausreichen. Ohne die Lobby-Tätigkeit im Parlament sowie Treffen mit Politikern, wo man ihre Unterstützung suchen und konstruktive Argumente vorbringen konnte, die auf bereits vorhandenem Beweismaterial für Diskriminierung basierten, wäre unsere gute Sache verloren gewesen. Alle Gesetzesänderungen müssen durch das Parlament geschehen; man muß daher einige Politiker gewinnen, die für die eigene Sache kämpfen. Gleichzeitig müssen behinderte Experten und Rechtssachverständige neben anderen Rechtsberatern und Politikern arbeiten, um den eigentlichen Gesetzesantrag aufzusetzen. Diese Tätigkeit wurde durch eine Gruppe mit dem Namen Rights Now Group koordiniert, die einen Zusammenschluß von etwa 50 Behindertenorganisationen und karitativen Gruppierungen darstellte, die sich zusammenfanden, um das ADG (das Anti-Diskriminierungs-Gesetz) zuwegezubringen.

Die Rechte-jetzt-Gruppe

Die Rechte-jetzt-Gruppe entstand 1992, um Ereignisse rund um die aktive Kampagne, die Werbung und Publizität für das nötige ADG (das Anti-Diskriminierungs-Gesetz) zu organisieren und zu koordinieren. Sie war eine Ausweitung der VOADL-Gruppe, die es schon seit den mittleren Achtzigerjahren gegeben hatte, und welche für die ADG (Anti-Diskriminierungs-Gesetzgebung) eingestanden war. Das Einmalige an der Rechte-jetzt-Gruppe war, daß sie eine Verbindung von Behindertenorganisationen und traditionellen karitativen Organisationen war, die sich zusammengetan hatten mit dem alleinigen Ziel, ADG zu erreichen. Es konnte nie ganz ohne Differenzen im Ansatz abgehen bei so unterschiedlichen Gruppen, aber zumindest schien es einen gemeinsamen, einigenden Faktor zu geben, eben die Arbeit in Richtung Gleichberechtigung für behinderte Menschen. Diese Gruppe koordinierte und arrangierte auch Treffen und Seminare im ganzen Land, um unter anderem mehr lokale und regionale Aktivitäten auf dem Basisniveau der Kampagne anzuregen und diese zu stützen.

In ganz überzeugender Weise erbringt Forschung, die von der Rechte-jetzt- Kampagne durchgeführt wurde, den Nachweis, daß die Regierung die Kosten der Durchführung des Bürgerrechtsgesetzes enorm überschätzte. Die Regierung nannte einen riesig überhöhten Betrag von 17 Milliarden britische Pfund, der ihre Sache stärken sollte. Der Bericht mit dem Titel "Welchen Preis haben Bürgerrechte?" zieht Forschung sowohl aus dem Vereinigten Königreich von Großbritannien wie auch aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika heran, nach deren Erfahrungen mit ADA (Americans with Disabilities Act, Gesetz bezüglich AmerikanerInnen mit Behinderung).

Disability Discrimination Act: das britische Gesetz bezüglich Diskriminierung von Behinderung

Das DDA (Gesetz bezüglich Diskriminierung von Behinderung) wurde im November 1995 verabschiedet. Es war eines der am schnellsten durchgebrachten Gesetzeswerke, welche die Regierung eingebracht hat. Die Regierung sah sich politisch gezwungen, eine gewisse Art Gesetzgebung im Umkreis der Diskriminierung einzubringen, wegen des Ausmaßes an Publicity, welche die Forderungen nach Bürgerrechtsgesetzgebung gleichzeitig hervorbrachten. Es war ein politischer Kompromiß, um der radikaleren Bürgerrechts-Gesetzesvorlage entgegenzuwirken, die - gesponsort von der Rechte-jetzt- Kampagne - zur gleichen Zeit auf dem Weg durchs Parlament war. Das DDA brauchte von Anfang bis zu Ende nur ein halbes Jahr, um Gesetzeskraft zu erlangen.

Unglücklicherweise war das DDA als ein schwaches Stück Gesetzgebung vom Start weg mit Fehlern behaftet; es wurde als nicht durchsetzbar und als Tropfen auf den heißen Stein angesehen, da es sicherlich Menschen mit Behinderung nicht vor den vielen bestehenden Formen der Diskriminierung schützen würde. Es versetzte die Behinderten-Bewegung in Zorn und Empörung, da es ihr die ganz umfassende Bürgerrechts-Gesetzgebung vorenthielt, für die sie so hart in ihren Kampagnen gearbeitet hatte; daher lehnte sie es ab, mit dem Gesetz auch nur das geringste zu tun zu haben.

Von Anfang an beschränkt in seinem Anwendungsbereich, wie das DDA nun einmal ist, ist einer seiner fundamentalen Fehler seine höchst eingeschränkte Definition von Behinderung, welche sofort viele Gruppe von behinderten Menschen ausschloß, z. b. Menschen mit geistiger Behinderung und manche Menschen mit Lernschwierigkeiten. Die Definition beruhte auch auf der unglaubwürdigen medizinischen Modelldefinition, basierend auf der Annahme, daß ein Gebrechen der Grund für Behinderung sei, statt der Art, wie die Gesellschaft organisiert ist, wie sich dies in der sozialen Modelldefinition der Behinderung widerspiegelt, die von den Vereinten Nationen in die UN Standard-Regeln aufgenommen wurde - die eine bestimmte Zahl von Bestimmungen und Prinzipien darstellen, um Mitgliedsländer zu ermutigen, gleiche Rechte für behinderte Menschen in ihren Ländern herzustellen.

Tatsächlich deckt das DDA (das britische Gesetz bezüglich Diskriminierung von Behinderung) jedoch drei Hauptbereiche ab, nämlich Zugang zu Waren und Dienstleistungen; Beschäftigung; und den Kauf oder die Miete von Land oder Besitz. Abgesehen davon erlaubt das Gesetz der Regierung, minimale Standards festzulegen, so daß behinderte Menschen öffentliche Verkehrsmittel benützen können; das Gesetz verpflichtet Schulen, Colleges und Universitäten, Information für Behinderte bereitzustellen; und es setzte den National Disability Council (den Gesamtstaatlichen Rat für Behindertenfragen) ein, um die Regierung in der Frage der Diskriminierung von behinderten Menschen zu beraten - aber all dies kennzeichnet den stückweisen Ansatz der Regierung, der sich dem komplexen Phänomen der Diskriminierung nicht voll und ganz stellt. Das DDA ist ein kläglicher Mißerfolg, da es kein klares Prinzip für Gleichbehandlung aufstellt, welches das Wesen eines Gesetzes zur Bekämpfung der Diskriminierung sein sollte.

Die vom DDA (dem britischen Gesetz bezüglich Diskriminierung von Behinderung) verbrieften Rechte sind keine allgemeingültigen, da es verschiedene Ausnahmen gibt. Zum Beispiel trifft der Abschnitt über Beschäftigung auf Firmen mit weniger als zwanzig Beschäftigten nicht zu. Das bedeutet, daß über 90% der Arbeitgeber Großbritanniens vom neuen Gesetz nicht berührt werden. Darüberhinaus ist Diskriminierung unter bestimmten Umständen gerechtfertigt; wenn zum Beispiel "Angleichungen" von Arbeitsabläufen, um behinderte Arbeiter einstellen zu können, als "unzumutbar" eingestuft werden.

Ein weiterer Bereich, der große Betroffenheit verursacht, ist die Tatsache, daß es überhaupt keinen Durchsetzungsmechanismus gibt - was bedeutet, daß Einzelpersonen unfairer Diskriminierung selbst die Stirn bieten müssen, und dies wird weiter erschwert dadurch, daß Rechtsbeistand schwierig zu bekommen ist. Der NDC (National Disability Council, Gesamtstaatlicher Rat für Behindertenfragen) wird die Regierung nur bei der Einführung und Anwendung des Gesetzes beraten, nicht bei seiner Durchsetzung. Ohne eine Art von Kommission könnte man Diskriminierung keinen Widerstand entgegensetzen.

Paul Miller, Kommissionsmitglied der amerikanischen Gleichberechtigungskommission, der Schlüsselorganisation zur Durchsetzung des ADA (Americans with Disabilities Act, Gesetz bezüglich AmerikanerInnen mit Behinderung), beschrieb die "Zahnlosigkeit" des DDA (des britischen Gesetzes bezüglich Diskriminierung von Behinderung) als "soziale Schande". Wie er zurecht ausführt:

Die Durchsetzung ist der kritische Punkt jeden Bürgerrechtsgesetzes. Es muß Gleichstellung mit anderen Bürger- und Menschenrechtsfragen geben ...... sonst lautet die Botschaft, daß Diskriminierung aufgrund von Behinderung nicht so ernst sei wie rassistische oder geschlechtsbezogene Diskriminierung; man erzeugt eine zweitrangige Ebene der Unterdrückung.

Keine Zeit für Selbstzufriedenheit

Trotz der Einführung des DDA mit all seinen Unzulänglichkeiten besteht keine Grund zur Selbstzufriedenheit, und die Kampagne wird erst zuende sein, wenn wir unsere volle, umfassende bürgerrechtliche Gesetzgebung bekommen. Einzelpersonen und Organisationen, die direkt von Behinderung betroffen sind, sollten wo immer und wann immer möglich klarstellen, daß das DDA unzulänglich ist. Sie sollten denjenigen Organisationen behinderter Menschen, im ganzen Land und vor Ort, ihre Unterstützung zukommen lassen, die sich aktiv um eine Gesetzesänderung bemühen. Dies ist eine ganz wichtige Menschenrechtsfrage, die keiner ignorieren kann, der vorgibt, daß ihm die Art der Gesellschaft, in der wir leben, am Herzen liege.

Marilyn Golden: Die amerikanische Gesetzwerdung zum Anti-Diskriminierungsgesetz

Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

Marilyn Goldens, eine Mitkämpferin der US-Behindertenbewegung versucht Mut zu machen, indem sie dazu auffordert auch zu sehen, was bei uns und anderswo gelungen und somit erreichbar ist. Damit versucht sie keineswegs zu beschönigen, daß bestehende Barrieren und Geisteshaltungen für Personen mit Behinderung absolut diskrimminierend sind.

Golden beschreibt die Schritte der Gesetzwerdung in den USA und zeigt Grundsätze und Strategien, die sie in dieser politischen Arbeit als bedeutsam erfahren hat.

Meine Organisation ist die einzige, die für Rechtsfragen und die langfristigen politischen Ziele und Rechte behinderter Menschen arbeitet, und nennt sich: Fonds zur Verteidigung der Rechteund Ausbildung von behinderten Menschen. Die Anfangsbuchstaben ergeben eine ganz schreckliche Abkürzung, die klingt als würde man husten während man niest. Es klingt sicherlich in deutsch besser als in englisch.

Meine Organisation hat eine sehr aktive, leitende Rolle bei der Gesetzgebung dieses Gesetzes durch das Parlament geführt - zur Verbesserung der Situation behinderter Menschen. In meiner eigenen Situation glaube ich, daß es nicht richtig ist, daß wir in andere Länder fahren und dort angeben mit dem was wir geleistet haben., es hat schon zuviel davon gegeben. Und doch hat Integration:Österreich mich freundlicherweise gebeten, hierherzukommen und über meine Arbeit zu sprechen. Denn wenn auch der Kampf in jedem Land etwas anders aussieht, so gibt es doch einzelne Elemente, die wir miteinander teilen können.

Daher möchte ich nun auch einiges mit ihnen teilen und mit ihnen besprechen :

Unsere zwei politischen Systeme haben unterschiedliche Ansätze. In den USA ist die Betonung auf öffentlichen Zugang und Bürgerrechte, hier hat das System eher Zuwendungen hervorgebracht. Jedes hat etwas für sich und wir können voneinander lernen. Nächstes mal hoffe ich, daß ihr alle in die USA kommt und uns erzählt, wie man zu Zuwendungen kommen kann.

Diesmal berichte ich euch über Menschenrecht: Natürlich hattest du recht, Adolf (Ratzka) als du sagtest, daß ihr sehr viel davon habt. Natürlich schließen die beiden Dinge einander nicht aus - Zuwendungen einerseits - und die starke Betonung der Bürger- und Menschenrechte andererseits. Die beiden arbeiten Hand in Hand und ich möchte euch mit Fakten und Dingen über Menschen- und Bürgerrechte vollpumpen und informieren.

Sicherlich ist das Größte, das wir gemeinsam haben, eine ganz wichtige Sache: Diskriminierung, der wir uns alle gegenüber stehen.

Ich möchte einige weitere Beispiele anbringen. Wie z. B. in der Arbeitswelt, wie im erleichterten Zugang zu Wohnungen und Häusern. Das ist nicht nur eine Form der Architektur, wie etwa in Geschäften und Restaurants, sondern auch im Bildungssystem gibt es noch nicht genug freien Zugang. Es gibt noch zu wenig Möglichkeiten, daß gehörlose Menschen Dolmetscher bekommen (im Ausbildungssystem) und noch nicht genug Braille und groß geschriebene Druckwerke für Leute mit visuellen Beschränkungen.

Ich möchte ein paar Erlebnisse berichten:

Über einen Mitarbeiter, einen Mann mit dem ich viel gearbeitet habe. Im Jahr 1978, nachdem er mit einer Rückenverletzung im Spital war, sagte man ihm: "Du kannst wieder hinaus und deinen früheren Job fortsetzen"( nämlich als Manager in einem besonders guten, schönen Restaurant in San Francisco). Die Meinung der Krankenhausbediensteten lautete also: "Mach weiter!" Aber er konnte und durfte nicht in den öffentlichen Bereich gehen, damit die Gäste, die essen wollten, ihn nicht in seinem Rollstuhl sehen könnten. Er war ganz vernichtet und gab seinen Job auf.

Ich möchte mit einigen Erlebnissen hier in Wien fortsetzen:. Ich verstehe die Probleme, denen Sie hier gegenüberstehen aus meinen eigenen Erfahrungen und Erlebnissen. Gestern hatte ich die Gelegenheit, etwas von Wien zu sehen. Eine wirklich wunderschöne und außergewöhnliche Stadt.

Ich erfuhr und erlebte also auch Diskriminierung. Es scheint, daß ich die absolut erste Person (im Rollstuhl)war, die eine Ausstellung besucht hatte. Man sagte mir, noch nie hat man einen Rollstuhlfahrer oder -fahrerin diese Stufen hinuntertransportiert um eben, gerade diese Ausstellung zu sehen.

Dann war der Fall des Taxichauffeurs, der es ablehnte meine Freundin und mich zu transportieren. Diese s Erlebnis erzählten wir den anderen Taxifahrern, die ganz entrüstet darüber waren. Die Barrieren und die Geiteshaltungen sind also absolut diskriminierend.

Aber der Hauptpunkt, den ich heute vorbringen möchte ist, daß Isolierung, Aussonderung, Ausschließen, wie es Adolf Ratzka genauso geschildert hat, ganz entscheidend verändert werden kann.

In den USA haben wir nach 25 Jahren harter Arbeit in den Fragen des erleichterten Zugangs, in der Frage der Gleichberechtigung, und gleichen Chancen für alle, wesentlich mehr erreicht. Perfektion - nein !! Aber eine Menge ist uns gelungen !! Und auch hier hat man, kann man und können wir eine Menge erreichen. Und ihr könnt es selber auch tun und erreichen !!

Ich möchte ein wenig die Begriffe erklären, die wir in unser Organisation verwenden, wie wir die Gesetze bekommen haben, was die Gesetze besagen und wie die Dinge seither gelaufen sind.

Im Allgemeinen hat sich die Situation sehr verbessert. Das allgemeine Bild ist wesentlich besser geworden. Die Dinge verändern sich aber nicht von heute auf morgen. Allgemein muß man dazu sagen, daß zur Durchsetzung und Durchführung von Gesetzen mindestens ebensoviel Arbeit notwendig ist, wie für die Erstellung der Gesetze selber.

Adolf Ratzka hat in seinem Referat schon eine Reihe von Begriffen angesprochen und ich möchte noch einige weitere Begriffe dazu erwähnen.

In den USA meinen wir, daß unsere Stärke aus einem Repräsentieren, aus einem Einstehen für alle Arten der Behinderung resultiert. Unsere Bewegung muß jede Art von Behinderung beinhalten und repräsentieren.

Heute stellt eure Gruppe einen wunderschönen Beginn dieses Einstehens für verschiedene Arten der Behinderung dar und ich möchte euch ermutigen, das noch weiter auszudehnen, und nicht nur körperlich behinderte Menschen, nicht nur visuelle oder Gehörprobleme mitzupräsentieren, sondern auch viele andere mehr: wie psychische und kognitive Behinderungen, Menschen mit einer Empfindlichkeit gegenüber chemischen Stoffen, Aids, Lernschwierigkeiten, chronische Krankheiten, Kopfverletzungen, verschiedene Krankheitsbilder wie Krebs und Epilepsie, alle diese und viele andere sind in unserer Bewegung mit dabei.

Ein weiterer Begriff, den wir auf die brutale Weise lernen mußten war, daß wir die errungene Einigkeit in der Gemeinschaft der behinderten Menschen mühevoll erhalten müssen. Als wir um diese Gesetze kämpften wäre es fatal gewesen, wenn wir uns getrennt hätten, wenn wir Bruchlinien gezogen hätten. Die Opposition hätte sofort dort eingehakt und daraus einen Vorteil gezogen. Streitgespräche ( in den eigenen Reihen) sind nötig und in Ordnung, jedoch hinter verschlossenen Türen. Aber sobald man den Medien gegenübersteht muß eine einheitliche, gemeinsame Front bestehen.

Es passiert oft, daß man mit der Entscheidung konfrontiert ist: Ist die einheitliche Haltung wichtig genug, wenn ich etwa ein Problem sehe und nicht übereinstimme mit einem anderen Sprecher oder einer Sprecherin, wenn ich mit einer Einzelheit in einem Gesetz nicht übereinstimme? Und die Antwort ist - ja !! Einigkeit ist immer das Wichtigste !!

Unmittelbar bevor unser ADA-Akt durch das Parlament in Washington ging, gab es noch den Versuch, eine Gesetzesänderung einzuführen, nämlich Diskriminierung in ein paar Fällen, welche HIV oder Aids betraf. Es waren nur ein paar Fälle, aber wir, d.h. diese Koalition, die für das Gleichstellungsgesetz kämpfte, hatten beschlossen, das ganze Gesetz zu opfern, weil wir diese Zusatzbestimmungen, diese Veränderungen nicht annehmen wollten. Und weil wir uns zusammenschlossen und gemeinsam agierten, konnten wir dann eben das Gesetz durchsetzen, genau jenes, das wir ursprünglich auch wollten. Viele Versuche wurden gemacht, um uns abzubringen von unserem erklärten Ziel, um das Gesetz zu verwässern. Die Frage stellte sich also für uns, sollen wir alles aufgeben wegen dieser paar Bestimmungen ? Und ja, - wir wären bereit gewesen das alles aufzugeben.

Und so funktionierte es auch ! Man muß einfach aufpassen,. daß man sich nicht innerhalb der Bewegung trennt und kleine Teile absplittern, und dadurch die ganze Bewegung aus der Bahn geworfen, oder schwächer gemacht wird. Von Behörden oder anderen Gruppen wurde auch schon versucht Trennkeile in unsere Bewegung einzufügen, indem sie sagten: "Ihr könnt zwar Leute mit körperlicher Behinderung akzeptieren, aber nicht Leute mit geistiger Behinderung." Darauf darf man sich gar nicht einlassen. Die Generation meiner Eltern fürchtete sich am meisten vor Epilepsie, das war damals eben eine unbeliebte, eine schwierige Art der Behinderung. Verschiedene Krankheiten sind manchmal eben "trendy" und manche eben nicht. Nur dieser Aburteilung dürfen wir uns nicht anschließen, denn sonst könnten die Leute das nächste mal kommen und euch selber ausschließen und aburteilen.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Kampfes lautet: Daß man auf allen Ebenen gleichzeitig arbeiten muß. - Auf der Ebene vor Ort, auf der gesamtstaatlichen Ebene, ganz unten bei den Wurzeln und auf dem Niveau der Regierung. Dabei soll man jene Taktik verwenden, die gerade angebracht ist, einmal gemäßigt, wie etwa Briefe schreiben, bei Treffen mitmachen und ein anderesmal auch militant, wie auf die Straße gehen, an Demonstrationen teilnehmen, für Bürgerrechte kämpfen und wenn nötig sich ins Gefängnis einliefern zu lassen. Man darf keinen dieser Wege ausschließen. Man kann alle diese Möglichkeiten miteinschließen im Kampf um bessere Rechte. Laßt euch nicht einfangen in diesem lächerlichen Gedanken, was nun besser wäre: Briefe schreiben und intervenieren oder eben militant sein, auf die Straße gehen und ins Gefängnis gehen. Nein, keiner dieser Wege ist der bessere. Wir brauchen sie beide.

Ich weiß nicht, wieviele von euch vertraut sind mit der ADAPT-Organisation, das heißt "sich angleichen". Das ist eine Abkürzung, die mehrfach verwendet werden kann, je nachdem worum es sich eben handelt.

Ganz am Beginn unserer Bewegung gab es Demonstrationen um die Adaptierung von Bussen (um diese mit Liften zu erreichen). In einer Stadt nach der anderen gab es große Demonstrationen, man demonstrierte und ging auf die Straße. Ich war mit dabei, daher sage ich euch: "Wir blockierten Busse, und nicht alle Beteiligten wollten unbedingt ins Gefängnis kommen. Nur jene, die bereit waren, machten dann gerade diese spektakulären Dinge, um ins Gefängnis zu kommen und ließen sich dort auch einige Tage lang verpflegen."

Es war nicht unbedingt nötig ins Gefängnis zu gehen. Man konnte also auch nur so teilnehmen. In einer der klimatisch kälteren Städte in den Staaten, so ähnlich wie hier bei euch in Wien, erlebte ich eine andere Art der Demonstration: diese Demonstration fand bei Kerzenlicht statt und dauerte die ganze Nacht. Es war bitterkalt, brachte uns aber riesig viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, wir waren alle miteinander Helden. Man fühlt sich danach einfach großartig. Es ist außerdem wirklich notwendig, öffentlichkeitswirksam aufzutreten, und kann außerdem noch eine Menge Spaß machen.

Nun noch einige genauere Erklärungen, wie wir zu dem Gesetz gekommen sind. Es passierte nicht einfach nur so:

Einige der Rechte für behinderte Menschen stammen aus den 70er Jahren. Fünf wichtige Gesetze gab es schon vorher und wir hatten und haben natürlich immer wieder konservative Regierungen, ganz gleich von welcher Partei, und immer wieder versuchte man unsere Vorschläge abzumildern, zu zerstören, zu verwässern und wir mußten wieder ausrücken um unsere Vorstellungen zu verteidigen und um ein besseres Gesetz und letztlich das ADA zu schaffen - das alles ging nicht im Handumdrehen !! Außerhalb der USA, so wie auch hier, höre ich oft, ja ihr könnt ja leicht reden, in den USA kann man so etwas machen. Wenn wir gleich von Anfang an ein so fast perfektes Gesetz im Auge gehabt hätten, hätten wir es wahrscheinlich gar nie zustande gebracht. Es ist ein Prozeß, ein Aufbau der nötig ist. Wie ich höre, bemüht ihr euch um ein großes allumfassendes Gesetz. Das ist wunderschön und ich möchte es auch gar nicht heruntermachen, aber ihr müßt wissen, daß unsere Bewegung viel Zeit gebraucht hat. Nächste Woche wird es noch nicht so weit sein, aber das ist kein Grund, nicht jetzt damit anzufangen. Es war wichtig in unserer Bewegung daß wir mit Organisationen, die zu den ganz traditionellen, altertümlichen oder veralteten gehören,. auch arbeiteten. Also mit Behindertenorganisationen, die es schon lange gab, um sie zu ganz wichtigen, wertvollen Partnern in unserem Kampf zu machen., so daß sie statt um Zuwendungen zu betteln unsere Partner in diesem Kampf um größere Macht wurden. Viele von uns sagten, das ist ganz und gar unmöglich, und es war auch wirklich ein langsamer, aber ganz wichtiger Prozeß. Viele dieser Organisationen haben Geld, und wenn sie dann sehen, daß der Zug einmal abgefahren ist, dann springen auch sie gerne auf.

Es war auch besonders wichtig für uns, jene Gruppen, die sich mit Menschenrechten befassen, also Gruppen, die Frauenrechte vertreten, die Rechte von Farbigen, die für ältere Menschen und ihre Stellung etwas machen, für Homosexuelle auftreten, als Verbündete zu gewinnen. Alles was mit Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und Rasse zu tun hat. Es ist also ganz wichtig, hier Verbindungen zu schaffen, einen Fortschritt hier zu setzen und mit Gruppen zusammenzuarbeiten, die die Ressourcen haben. Auch die Glaubwürdigkeit ist für unsere Bewegung ganz wichtig. Wir haben übrigens auch viel mit Gewerkschaften zusammengearbeitet.

Wenn ihr und eure Verantwortlichen, die Leute in der Organisation, endlich dazu kommt, daß ihr eine erste Version der Gesetzgebung niederschreiben wollt, mit anderen, wie etwa mit Rechtsbeiständen, mit Leuten, die mit Gesetzgebung zu tun haben, mit Abgeordneten, hoffen wir, und ich will euch darin bestärken, daß ihr euch mit uns in Verbindung setzt, damit ihr aus unseren Fehlern lernen könnt. Und damit dann nicht später, wenn vielleicht Probleme auftreten, man sich sagt, "ja mein Gott, hätte ich nur nicht auf das oder auf jenes vergessen!". Also ihr könnt aus unseren Fehlern lernen. und nicht nachher dann sagen: "Ja warum war ich so blöd auf X, Y und Z nicht zu hören, hätte ich nur früher daran gedacht". Bei vielen Einzelheiten können wir wirklich einiges weitergeben.

Ich möchte jetzt weiterfortschreiten mit der Frage, worauf sich die Gesetze eigentlich beziehen?

Ich beginne mit einem Gesetz, welches schon lange vor dem ADA in Kraft getreten ist:1973 wurde das Rehabilitationsgesetz, Abschnitt 504, beschlossen. Es besagt in seinen zentralen Paragraphen, daß die Regierung und alle Institutionen und Organisationen, die öffentliches Geld erhalten, behinderte Menschen nicht diskriminieren dürfen. Und gerade dieses Gesetz machte das erste Mal einen Verstoß gegen ein Gesetz, d. h., daß eine gesamtstaatliche Organisation, die Gelder von der Regierung bekam, behinderte Menschen diskriminierten.

Das nächste Gesetz, das ich erwähnen und kurz besprechen möchte, ist das Gesetz, das die Erziehung und Ausbildung von behinderte Menschen betrifft. Hier hat es ganz großartige Fortschritte gegeben, in dieser Frage der Integration. Und ich möchte euch folgendes erzählen: In diesem Gesetz zur Ausbildung und Erziehung gibt es jetzt den Passus, daß Integration vorzuziehen ist, und junge behinderte Menschen in reguläre Klassen eingegliedert werden sollen. Die Dienstleistungen, welche in den Schulen möglich sein sollen, sind eine ganz lange Reihe von verschiedenen Möglichkeiten: von physikalischer Therapie über Hilfe bei Sprechbehinderung und bei Atembehinderung, Mobilitätstraining und -hilfe, medizinische Hilfe, eine Dienstleistung für den Transport zum Erreichen der Schule .....usw. Alles was nötig ist, damit die einzelnen Kinder das Allermeiste, ein Maximum für ihre Ausbildung, herausholen können. Dazu ist die Schule, diese Dienstleistungen sind bereitzustellen. Jedes behinderte Kind hat einen individuellen Plan, eine festgeschriebene Liste von Dingen, die es eben braucht und die es als Unterrichtsziele akzeptieren kann. Jeder Elternteil hat das Recht, Teile dieses Plans mit einem Veto abzulehnen. Schulen müssen sich an den Plan halten und müssen diese Punkte im Plan ausführen. Wenn nicht, kann man die Kraft des Gesetzes auf sie wirksam werden lassen. Um das zu erreichen mußten wir wirklich kämpfen, aber wir konnten es eben auch dann erreichen.

1988 wurde ein Gesetz verabschiedet, das Wohnungswesen und Wohnungen betrifft und das für einige von uns für einen erleichterten Zugang sorgte. Nämlich vorerst einmal für Wohnblöcke oder Mehrfamilienhäuser und -gebäude. Das Gesetz erklärte einzelne Bereiche oder Zonen ungesetzlich, in welchen nur behinderte oder nur nicht behinderte Menschen beschränkt dort wohnen konnten oder sollten. Das Gesetz erklärte verpflichtend, daß Hausbesitzer, behinderten Menschen, die dort als Mieter wohnen, erlauben müssen, auf eigene Kosten Umbauten vorzunehmen, welche ihnen den Zugang zum und im Gebäude und somit das Leben erleichtern. Das Gesetz machte auch alle Arten der Diskriminierung beim Verkauf und der Vermietung von Wohnungen ungesetzlich.

3 Jahre vorher, 1986, gab es ein Gesetz für Fluggesellschaften, welches es ihnen nun unmöglich macht, zu diskriminieren. Das hat eine Menge Dinge verändert. Die ganze Praxis und die Realität, wie man uns als behinderte Menschen in Flugzeugen bediente und behandelte.

Das große Gesetz, ADA von 1990, hat also den Kreis geschlossen und einige Dinge aufgefüllt, die man vorher noch nicht dabei hatte. Wie bei anderen Gesetzen auch, gibt es dort eine ganz weite Definition des Begriffes "Behinderung", um eben sicherzustellen, daß alle Menschen davon betroffen sind, egal welche Art der Behinderung sie aufweisen. Nicht bloß die allertraditionellsten Gruppen von behinderten Menschen, oder Menschen mit den offensichtlich schwereren Behinderungen. Nicht nur diese, sondern alle mit einer Behinderung, die in ehrlicher und gerechter Weise davon betroffen sind.

ADA ist das große Gesetz und beinhaltet eine Reihe von Bestimmungen zur Arbeitswelt und ganz wichtige Ideenansätze. Die Unterbringung muß für behinderte Menschen behindertengerecht angeboten werden. Weitere Bestimmungen lauten, jedoch immer unter der Voraussetzung, daß keine übergroße finanzielle Härte für das Unternehmen dadurch entsteht: es muß der erleichterte Zugang zur Arbeit, es müssen Übersetzer und Dolmetscher angeboten werden bis hin zur Ausrüstung, zu Ausrüstungsgegenständen und maschinellen Hilfen, die Umstrukturierung des Arbeitsprozesses, das alles ist Teil des ADA.

Das Gesetz schränkt Fragen, die eine Firma stellen kann, bevor sie einen behinderten Menschen anstellt, stark ein. Es darf nicht von Anfang die Frage, ob eine Behinderung vorliegt oder nicht, im Raum stehen. Es darf nur eine Einschränkung geben, falls bei der Arbeit eines behinderten Menschen, er sich selbst oder andere Menschen gefährden würde.

Ein weiterer Teil der Gesetzgebung, der sich auf öffentliche Orte bezieht, wie Restaurants, Hotels, Geschäfte, geht weit darüber hinaus, was erleichterten Zugang betrifft. Nämlich, daß die Struktur der Gebäude selbst sich ändern muß - bei Neubauten. Es geht auch noch weiter, hin zur Bereitstellung von Dolmetschern für Gehörlose, zur Bereitstellung von Vorlesern oder zur Bereitstellung von Büchern und Aufschriften in Braille. Also miteingeschlossen im Gesetz, sind Veränderungen der langfristigen Politik und wie die geschäftlichen Unternehmungen ihre Diskriminierung gegenüber Menschen mit Behinderung langfristig ablegen.

Das ist ein kleiner Einblick in die Veränderung dieser langfristigen Möglichkeiten. Noch ein weiterer Teil vom Inhalt des ADA ist das Transportwesen - der öffentliche Verkehr hat sich radikal verändert. Die neu gekauften Busse müssen alle Lifte haben, um den Menschen, die nicht auf diese Stufen hinaufkönnen, trotzdem transportieren zu können. D. h. daß jetzt ein sehr hoher Prozentsatz von Bussen durch solch neue Busse mit Liften ersetzt wurde und dadurch alle Leute mitnehmen kann. Dasselbe gilt für das Eisenbahnwesen und das Zugwesen in den Vororten.

Nicht zuletzt möchte ich betonen, wie wichtig und sinnvoll es war, diese Jahre der Kämpfe zu überstehen, um dieses Gesetz zu bekommen.

Sobald das Gesetz durch unser Parlament gegangen war, konnte man im ganzen Land Veränderungen bemerken. Banken hatten die Höhe ihrer Geldzählmaschinen und ihrer Schalter hinuntergesetzt. Das war nur ein Beispiel einer ganz offensichtlichen Veränderung. Eine wirklich konkrete: hier das Wortspiel mit Beton, was früher einbetoniert war hat sich jetzt verändert und aufgelockert. Und das ist schön.

Noch ein paar Punkte möchte ich erwähnen: Autoverleihfirmen haben jetzt in wesentlich kürzerer Zeit die Zusatzgeräte installiert und es ist viel leichter und schneller geworden, diese Zusatzgeräte auch für das eigene Auto zu bekommen. Der Zugang zu Hotels und Sportstätten ist wesentlich erleichtert worden. Unter Geschworenen gibt es blinde oder gehörlose Menschen, und Dolmetscher, die sie unterstützen. Es gibt wesentlich mehr Rampen am Gehsteigrand, um uns zu ermöglichen, doch unsere Stätte zu wechseln. Die Telefonnummer 911 ist ein eigener Notdienst, um Polizei oder Feuerwehr anzurufen und es gibt ein eigenes System, TTY, welches gehörlosen Leuten ermöglicht, in lebensbedrohenden Situationen anzurufen und Hilfe zu bekommen. Auf diese Weise haben wir viele Tragödien vermeiden können.

In vielen Kinos gibt es zusätzliche Geräte, die das Zuhören erleichtern. Für Theaterstücke oder Filmvorführungen kann man Kopfhörer aufsetzen und an einem Knopf die Lautstärke regeln.

Das waren nur einige der unzähligen Veränderungen, die wir sehen und tagtäglich erleben können, und ich würde mir wünschen, daß auch Ihr Alle dies erleben und erfahren könnt.

Nun seid ihr an der Reihe !!!

Leider konnte uns Frau Marilyn Golden keine schriftliche Aufzeichnung ihres Referates zukommen lassen, da ihre Schilderungen sehr spontan waren und sie sich nicht an ein vorgegebenes Konzept hielt. Wir glauben, daß gerade der Beitrag von Frau Golden sehr wertvoll ist, ihn schriftlich in Händen zu halten. Deshalb haben wir anhand der Videoaufzeichnung, bei der Frau Golden von Englisch auf Deutsch gedolmetscht wurde, diesen Beitrag niedergeschrieben. Sicherlich sind in diesem Falle die Satzbildungen nicht immer korrekt und wir bitten Sie dies zu entschuldigen.

Evald Krog: Persönliche Assistenz: das Recht auf einen persönlichen Assistenten / eine Assistentin Chancen und Grenzen des dänischen Modells

Zusammenfassung

Evald Krog, Präsident von EAMDA - Dänemark stellt mit dem dänischen Assistenz-Modell eine in Österreich utopisch klingende Möglichkeit für behinderte Menschen, die häufig Unterstützung in alltäglichen Angelegenheiten brauchen, unabhängig von ihren Familien außerhalb von Behinderteninstitutionen zu leben, dar. Er selbst beschäftigt vier AssistentInnen. Aber Krog weist auch daraufhin, daß dies auch in Dänemark vor nicht allzulanger Zeit eine Utopie war und daß es keine visionären und verständnisvollen Politiker, sondern eine Gruppe aktiver junger Leute, die beschlossen, die Sache auf ihre Art zu lösen, waren, die die Veränderung erreichten.

Das Ergebnis seiner Reflexionen über sein Leben mit persönlichen AssistentInnen lautet: "Es kann schwierig sein, mit Assistenten zu leben, aber ich würde nicht ohne sie sein wollen."

Der rote Faden, der sich durch die dänische Sozialpolitik zieht, ist das Prinzip der Solidarität. Dieses Prinzip ist auch die Basis des "Dänischen Wohlfahrtsmodells": aufgrund eines abgestuften Steuersystems müssen Menschen mit den höchsten Einkommen die höchsten Steuern zahlen, und auf diese Weise finanziert Dänemark den Löwenanteil seines Sozial- und Gesundheitssektors - zum Nutzen aller dänischen Bürger.

Wir haben ein System, das einem jede Behandlung ermöglicht, die man vielleicht braucht - kostenlos, in einem öffentlichen Krankenhaus. Als körperlich behinderter Mensch braucht man in Dänemark nicht in einer Anstalt zu leben. Gesetzliche Regelungen bestimmen, auf welche Assistenz, auf welche Unterstützung man ein Recht hat als behinderter Bürger.

Alle technischen Hilfsmittel und andere Einrichtungen werden kostenfrei beigestellt. Die öffentlichen Behörden können auch den Ankauf eines passenden Behinderten-Autos subventionieren; und sie werden weiters für die nötigen Umbauten in einem Haus oder einer Wohnung bezahlen, um diese den Bedürfnissen eines Rollstuhlfahrers anzupassen. Ja, es gibt sicher viel Positives, was man über die dänische Gesellschaft erzählen kann.

Aber ich bin ganz besonders stolz, von einem Projekt sprechen zu können - einem Projekt, mit dem ich bei jeder nur möglichen Gelegenheit gerne prahle -: dem dänischen Assistenz-Projekt, oder dem Aarhus-Projekt, wie wir es auch nennen.

Alle behinderten Menschen sollten dieselben Chancen und Möglichkeiten haben, über die ich selbst verfüge: das ist der Grund, warum ich gerne damit prahle. Es ist daher dringend nötig, finde ich, so viele Menschen wie nur möglich mit dem dänischen Assistenz-Projekt bekannt zu machen.

Ich glaube ehrlich, daß dieses Projekt in jeder Weise grenzüberschreitend ist. Es zerpflückt alte Normen und Annahmen, physisch behinderte Menschen seien nicht imstande, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen und für sich selbst zu sorgen. Es bricht mit dem alten konventionellen Denkschema, daß physisch behinderte Menschen von Hilfe ihrer unmittelbaren Umgebung abhängen müssen - von ihrer Familie oder von Freunden. Auf diese Weise - das braucht man gar nicht zu sagen - kann man leicht zu einer Last werden.

Natürlich hängen wir hier und jetzt von Hilfe ab: aber nun entscheiden wir selber, wen wir als Persönliche Assistenz haben wollen, wann, und wie. Wir selbst können wählen, wo wir leben und wohnen wollen, wie wir unseren täglichen Lebensablauf gestalten wollen - ohne uns voller Furcht fragen zu müssen, ob wir genug Hilfe bekommen.

Die Gesetzgebung

Das Assistenz-Projekt gibt es nun seit weit über 15 Jahren: aber es ist erst ein paar Jahre her, daß das Folketing, das dänische Parlament, ein Gesetz über dieses Projekt verabschiedete und es auf diese Weise gesamtstaatlich machte. Die Passage, nach welcher das Assistenz-Projekt abläuft, heißt:

Personen mit schwerer physischer oder psychischer Behinderung, die zu Hause in ihren eigenen vier Wänden leben, sind berechtigt, zusätzliche Unterstützung zu erhalten, um außerordentliche Unterhaltskosten bestreiten zu können, die aus ihrer Behinderung resultieren. Der Minister für soziale Angelegenheiten erläßt Bestimmungen, welche regeln, welche Personengruppe ein Anrecht auf diese Beihilfe hat. Die Beihilfe wird unter der Bedingung geleistet, daß die von der städtischen Verwaltung erlassenen Empfehlungen betreffend Pflege usf. strikt befolgt werden.

Zitat aus: Sozialversicherungsgesetz § 48. 4

In ganz Dänemark gibt es derzeit etwa 500 Assistenz-Arrangements. In Aarhus selbst sind es 145 - in einer Stadt mit nur 260.000 Einwohnern, das heißt, mit etwa 5% der Gesamtbevölkerung des Landes. Auf die Gründe dafür komme ich später zurück.

Von den 145 Assistenz-Arrangements, die derzeit in Aarhus laufen, erhalten 25 Klienten Tag und Nacht Hilfe, wie ich selber. Das bedeutet, daß man 168 Assistenzstunden pro Woche bewilligt bekommt. Die Stundenzahl, die man erhält, hängt von den eigenen Bedürfnissen ab.

Wenn man - zum Beispiel wie ich selbst - nur sehr wenige physische Funktionen ausüben kann und während der Nacht umgedreht werden muß, dann wird man normalerweise Assistenzstunden, welche Tag und Nacht ausfüllen, erhalten. Andere bekommen viel weniger Stunden bewilligt und werden diese über Tag und Nacht verteilen.

In Aaarhus muß man den folgenden fünf Bedingungen entsprechen, wenn man nach diesen Vorkehrungen Hilfe erhalten will:

1. Man muß körperlich behindert sein.

2. Man muß in guter geistiger Verfassung sein und sich aktiv an der eigenen Wohnungsgründung und dem eigenen Lebensstil beteiligen.

3. Man muß Erfahrung mitbringen und einen solchen Grad der Reife erreicht haben, daß man eine unabhängige Existenz schaffen und erhalten kann und die Rolle des Arbeitgebers auszufüllen imstande ist.

4. Abgesehen von der nötigen praktischen Hilfestellung muß es auch die Notwendigkeit der Aufsicht und / oder des Begleitetwerdens geben.

5. Man muß aktiv sein und den Wunsch haben, eine Art Bildung oder Training zu erhalten; zu arbeiten, oder an Freizeitbeschäftigungen oder organisatorischer Arbeit teilzunehmen.

Alle Menschen müsen einen bestimmten Grad von Intelligenz aufweisen, um als Personen nicht isoliert zu werden. Dies gilt auch für behinderte Menschen - und es hilft ihnen nicht unbedingt, persönliche Assistenten zugeteilt zu bekommen, wenn er selbst nicht eigenständig denken oder Initiativen setzen kann. Für solche Menschen wird eine Art kollektiver Unterbringung viel eher geeignet sein. Eine große Palette von unterschiedlichen Wohnmöglichkeiten wird die optimale Situation ermöglichen, wo die verschiedenen Bedingungen und Bedürfnisse der Menschen sich mit der eigenen richtigen Wahl der Unterbringung treffen werden.

Den Bestimmungen nach soll behinderte Menschen selbst seine persönlichen AssistentInnen engagieren oder entlassen. Jeden Monat gibt ihm die Stadtverwaltung von Aarhus sozusagen einen Beutel voller Geld, mit dem er für das Gehalt der Assistenten aufkommt. Ich selbst muß die Vereinbarungen über Gehalt, Urlaub, Dienstpläne herstellen, und es liegt in meiner eigenen Verantwortung, gegebenenfalls kurzzeitige Ersatzkräfte für meine Assistenten zu suchen. Mit anderen Worten wird man "Herr im eigenen Haus".

Es gibt keine Beschränkungen, wen man als AssistentIn engagieren darf. Es könnten sehr wohl gute Bekannte sein, die eigene Freundin oder der Ehegatte / die Gattin, oder ein Elternteil...

Wie schon erwähnt, kommt das Geld von der Stadtverwaltung, und zwar - an meinem Heimatort - von der Magistratsabteilung für Gesundheits- und Sozialwesen. Später ersetzt der Staat der Stadtverwaltung 50% der Beträge.

Um nach § 48. 4 des dänischen Sozialversicherungsgesetzes Unterstützung zu erhalten, muß man eine Reihe von Bedingungen erfüllen. Die wichtigste davon ist, daß man imstande sein muß, sein eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Weiters sollte man einen gewissen Grad eines aktiven Lebens führen: wenn man nur im eigenen Zuhause beobachtet zu werden braucht, wird man kein Anrecht haben, die Dienste eines persönlichen Assistenten zu erhalten.

In jedem Fall ist es die jeweilige städtische Verwaltung, die entscheidet, ob sie dem Ansuchen um persönliche Assistenz stattgibt - und da es in Dänemark 275 Stadtverwaltungen gibt, ist die von den einzelnen Verwaltungen entwickelte und gehandhabte Praxis leider sehr unterschiedlich.

Finanzielle und wirtschaftliche Aspekte

Wenn man persönliche Assistenz nach dem Aarhus-Projekt erhält, bekommt man damit auch die Chance, "Herr über das eigene Leben" zu werden. Das Modell hat sehr wenige Grenzen: es ist tatsächlich möglich, sein eigenes Leben zu führen.

Das Aarhus-Modell ist ein kostspieliges Projekt - das gebe ich gerne zu. Die AssistentInnen erhalten jeden Monat ein ganz gewöhnliches dänisches Gehalt - und ich habe nicht weniger als vier! Aber wenn man Kosten-Nutzen-Rechnungen anstellt, darf man nicht vergessen, daß man den Preis des Modells in unterschiedlicher Weise berechnen und bewerten kann.

Das Modell bedeutet, daß die Kosten in anderen Sektoren gesenkt werden können. Zuerst einmal kann die Gesellschaft ihre Ausgaben für den Bau von Institutionen verringern. Zweitens "helfen" wir bei der Schaffung von Arbeitsplätzen - in Dänemark haben wir nicht genug davon. Drittens sind es oft junge Erwachsene, die Assistenten werden: junge Leute, die sonst von Sozialbeihilfe leben müßten - stattdessen sind sie nun hochgeschätzte Steuerzahler.

Wegen des hohen Steuerdrucks in Dänemark läßt sich die Kostenfrage tatsächlich wie folgt darstellen: behinderter Menschen erhalten 168 Stunden bewilligt und entschließt sich, vier Assistenten zu beschäftigen, die jeder monatlich etwa 16.000 dänische Kronen verdienen. Von diesem Gehalt wird der Assistent zu etwa 50% besteuert; weiters sind alle Konsumgüter in Dänemark mit einem Mehrwersteuersatz von 25% belastet.

Für den Staat sowie die städtische Behörde bedeutet dies eine bedeutende Reduktion der Nettokosten für den Assistenten: diese entspricht beinahe dem monatlichen Durchschnittspreis für einen Platz in einer dänischen Institution, der üblicherweise um die 32.000 dänische Kronen beträgt.

Die Story

Ich weiß, daß vielen von Ihnen utopisch erscheinen mag, was ich da erzähle - und jenseits des Erreichbaren für die meisten von Ihnen. Aber - ob Sie es glauben oder nicht - so war es auch einmal in Dänemark.

Bis in die späten Siebzigerjahre war es normal in Dänemark, daß man als behinderter Mensch entweder in einer Institution leben mußte, oder zusammen mit der eigenen Familie. Dies beschränkte uns natürlich stark in dem, was wir unternahmen, und wir hatten oft ein Gefühl der (wirtschaftlichen oder moralischen) Schuld unseren Eltern oder Geschwistern gegenüber, die wir immer um Hilfe bitten mußten - und die selbst oft auf eigene Wünsche und Bedürnisse unseretwegen verzichten mußten: eben wegen des behinderten Familienmitglieds.

Ein paar Jahre nach der Gründung von Muskelsvindfonden widmete man behinderten Menschen offensichtlich mehr Aufmerksamkeit in Aarhus; zum Teil wegen Muskelsvindfonden. Darüberhinaus hatte Aarhus zwei Institutionen für schwer behinderte junge Leute aus dem ganzen Land. Die Jungen wollten nicht ihr ganzes übriges Leben in immerwährender Dankbarkeit für die Wohltätigkeit anderer verbringen: sie wollten Würde, Stolz, und Chancen.

Man gab ihnen aber nur beschränkte Möglichkeiten, ein unabhängiges Leben zu führen. Zwar gab es ein traditionelles Arrangement für häusliche Hilfe durch die Aarhuser Stadtverwaltung, aber dies zielte vor allem auf die weniger bedürftigen Leute - und es funktionierte nur am Tag.

Trotzdem entschlossen sich einige junge Leute, aus den Institutionen auszuziehen. Erst später traten sie an die Stadtverwaltung heran und ersuchten um Hilfe, um ihrem Beürfnis nach praktischer Hilfestellung Genüge zu tun.

Das schaffte richtig Aufsehen, besonders unter den älteren Beamten, da sie über eine solche Situation nichts in ihren Anweisungen finden konten - und wenn die Situation nicht im Buch stand, hätte sie gar nicht passieren dürfen. Andererseits mußten die Beamten akzeptieren, daß es ein Problem gab, das zur Lösung anstand.

Komischerweise wurde das Problem durch einen älteren Beamten gelöst, der nie besonders freundlich gewesen war, und der eine militärische Laufbahn hinter sich hatte: geben wir ihnen Geld, sagte er, und dann hören und sehen wir nichts mehr von ihnen. Und so war es auch.

Dann ging es darum, herauszufinden, wie viel Geld sie bekommen sollten - aber auch diese Frage löste der alte Haudegen: er berechnete, wieviel ein Platz in einer Institution die Öffentlichkeit kostete, und stellte fest, daß der Betrag einem 80-Wochenstunden-Salär gleichkam.

In der Aarhuser Stadtverwaltung nahm man an, daß nur einige Personen diese neue Möglichkeit in Anspruch nehmen würden; vielleicht meinte man auch, daß die ersten Auszügler bald aufgeben würden und zurückübersiedeln würden in die Institution oder Familie.

Aber die Stadtverwaltung hatte sich getäuscht: unser Drang nach Freiheit war stärker als erwartet. Nach ein paar Jahren hatten 30 junge Leute die Institution verlassen und brauchten Geld, um jeden Monat die Assistenten zu bezahlen.

Etwas Neues entwickelte sich; nach und nach wurde es unmöglich, "sich an das Limit von 80 Wochenstunden zu halten". Man erkannte ganz klar, daß viele während 24 Stunden, Tag und Nacht, Hilfe brauchten.

Gleichzeitig begannen sich Öffentlichkeit und andere Stadtverwaltungen zu interessieren, was denn nun in Aarhus vor sich ging. Die Stadtverwaltung wurde für ihre Voraussicht gelobt, und plötzlich wollte diese das Arrangement entwickeln und stark verbessern.

Man beschloß, genug Geld zu gewähren, um den Assistenten ein reguläres Gehalt auszahlen zu können, für so viele Stunden wie nötig, Tag und Nacht.

Heute funktioniert das Aarhuser Modell im ganzen Land, aber die meisten Assistenz-Vereinbarungen finden sich in Aarhus - wie schon erwähnt.

Profil in der Öffentlichkeit

In diesen Tagen werden es 15 Jahre, daß die ersten Assistenz-Arrangements eingeführt wurden. Dies bedeutet natürlich, daß wir die die praktische Hilfe bekommen, die wir brauchen. Aber es bedeutet noch mehr.

Vorher pflegte man Leute wie mich kaum auf den Straße zu sehen. Wir waren zu Hause bei der Familie, oder in Institutionen. Heute ist es natürlich, daß wir trotz unseres Handicap am gewöhnlichen gesellschaftlichen Leben teilnehmen: wir sind in denselben Bereichen tätig wie andere Leute auch, haben teil an kulturellen und sozialen Aktivitäten, an den geselligen Vergnügungen; man findet uns in den Bars und Restaurants - und wir beginnen nun auch, in ganz gewöhnlichen Funktionen zu arbeiten.

Und die allgemeine Haltung der Bevölkerung hat sich uns gegenüber bedeutend verändert, durch die gesetzten Beispiele. Als wir uns früher nicht auf der Straße - auch nicht im Leben selber - blicken ließen, verbreitete sich viel sonderbarer Glaube über uns. Man trat uns mit wohlgemeintem Mitleid entgegen, das wir aber für nichts gebrauchen konnten. Jetzt hält man uns für gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft.

Warum ich beschloß, Ihnen diese Story zu erzählen? Um vor Augen zu führen, daß die dänischen Assistenz-Projekte nicht aus nichts hervorgegangen sind. Es waren keine visionären und verständnisvollen Politiker, die einsahen, daß wir ein besseres Leben führen sollten - sondern eine Gruppe aktiver junger Leute, die beschlossen, die Sache auf ihre eigene Art zu lösen.

Meine eigene Geschichte

Die ersten 21 Jahre meines Lebens verbrachte ich in einer Familienstruktur, die wahrscheinlich mit dem derzeitigen Leben in Südeuropa oder Japan vergleichbar ist.

Ich wurde mit einer schweren neuromuskulären Krankheit geboren. Für meine Eltern war es daher natürlich, daß sich für mich sorgten - auch jenseits des Alters, in dem Familien normalerweise für ihre Kinder zu sorgen pflegen. Für meine Eltern war das ganz natürlich - obwohl es sicherlich eine Last war, mit all der Fürsorge, die ich 24 Studen, Tag und Nacht brauchte.

Es gab keine anderen Möglichkeiten; und folglich konnten sie sich nicht vorstellen, daß es anders sein könnte - außer wenn sie mich in eine Institution hätten verfrachten wollen, aber das wollten sie nicht tun. Sie hatten natürlich bemerkt, daß ich außerstande war, zu gehen; natürlich war dies eine traurige Sache; stattdessen konnte ich aber meinen Kopf gebrauchen. Die Eltern sahen partout nicht ein, warum ich weggeschickt werden sollte. Auch andere Eltern machten es ihren Kindern möglich, ein gewöhnliches Familienleben zu führen - warum also sollte man mich wegschicken, nur weil ich an einer neuromuskulären Krankheit litt?

Es ist für mich unverzichtbar, mit Nachdruck festzustellen, daß ich keineswegs belästigt wurde; noch fühlte ich mich schlecht behandelt in all jenen Jahren, während derer meine Eltern für mich sorgten. Aber als ich größer wurde, fühlte ich mich manchmal am Gängelband zurückgehalten. Meine beiden Eltern waren hart arbeitende Leute: es schränkte sie daher natürlich ein in ihren Bemühungen, mir möglich viel zu helfen zu einer Zeit wo ich - wie andere junge Leute auch - mich auf Parties und Festlichkeiten vergnügen wollte. Es war schon einiger Druck für sie, mich am späten Abend von den verschiedenen Ballveranstaltungen abzuholen, an denen ich teilnahm.

Ich erinnere mich, wie ich zu erkennen begann, daß etwas an der Situation verändert gehörte. Wenn ich die schöne Beziehung, die ich mit meiner Familie hatte, erhalten und gleichzeitig an dem Leben des Augenblicks teilhaben wollte, war es nötig, daß ich mich nach Hilfe von außen umsah.

Der Wandel kam, als ich nach Aarhus ging, um an der Universität zu studieren. Ich übersiedelte in ein Sanatorium - und das war einer der größten Kulturschocks, die ich je erlebt habe. So viel Unglück an einem einzigen Ort! Ich war immer in Regelschulen gegangen; an mich wurden dieselben Anforderungen gestellt wie an alle anderen Schüler auch. Ich "überlebte" einige Jahre im Sanatorium - dann hatte ich genug davon: ich hatte dann das Glück, ein reizendes Mädchen zu treffen, und wir zogen zusammen in eine Wohnung.

Glücklicherweise habe ich heute die Freiheit, mir die Hilfe, die ich brauche, zu besorgen.

Mein Leben mit den persönlichen Assistenten und Assistentinnen

Ich halte das dänische Assistenz-Projekt für außerordentlich wichtig, wie ich oben schon sagte. Auch für mein eigenes Leben ist es entscheidend, daß ich die Hilfe kriegen kann, die ich brauche - sonst könnte ich kein so aktives und extrovertiertes Leben führen, wie ich dies heute tue.

Ich kann mir kaum vorstellen, heute hier anwesend zu sein, wenn ich nicht meine AssistentInnen hätte.

Ich beschäftige vier AssistentInnen gleichzeitig; jeder und jede arbeitet in 24-Stunden-Schichten. Es ist nur möglich, die Arbeitsstunden so zu organisieren, weil die Assistenten während der Nacht schlafen können; ich muß jedoch jede Nacht einige Male umgedreht werden.

Ein "Assistenz-Arrangement" ist eine recht arbeitsintensive Sache: man ist Arbeitgeber; man muß die Entscheidungen treffen, die Planung machen usf. - man hat sozusagen die Kontrolle über einen anderen Menschen. Natürlich können Probleme auftauchen: es ist also auch ganz wichtig, daß man seine Wünsche und Bedürfnisse konstruktiv ausdrücken kann.

Aber einen Assistenten ständig neben sich zu haben ist an und für sich ein ganz großer Vorteil - hoffentlich für beide betroffenen Teile. Man hat eine andere Person, der man sich mitteilen kann, mit der man seine Gedanken, Gefühle und Phantasiegebilde teilen kann; eine Person, die - wie man hofft - auf einen eingehen kann und wird.

Ich selber ziehe Assistenten beiderlei Geschlechts vor: dies erlaubt mir, viele verschiedene Dimensionen in meinem Leben zu haben. Manche Aufgaben bespreche ich mit meinen weiblichen Assistenten, andere mit den Männern.

Auch wenn wir mit bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter eine Menge erreicht haben - in Dänemark jedenfalls -, bin ich doch der Überzeugung, daß Frauen am besten geeignet sind, für mich zufriedenstellend zu bügeln.

Ich mag keine zerknitterten Hemden.

Aber es gibt natürlich auch Dinge, die Männer am besten machen. (Welche???)

Wenn man mit jemand anderem auf 24-Stunden-Basis beisammen ist, wird man sich unvermeidlich sehr nahe kommen. Daher ist das "Assistenz-Arrangement" für uns Klienten sehr aufwendig, was das Fuktionieren von nahen menschlichen Kontakten betrifft.

Es kann schwierig sein: es ist oft sowohl irritierend wie peinlich, wenn man den eigenen Assistenten mehrmals bitten muß, die Hosenträger in die richtige Position zu bringen und das Hemd zuzuknöpfen - Dinge, die offensichtlich gemacht werden müssen.

Als Arbeitgeber ist man verpflichtet, die eigenen Arbeitnehmer so gut wie möglich zu behandeln; daher auch, wenn man ein Assistenz-Arrangement hat. Wir müssen unsere Wünsche so exakt wie möglich ausdrücken, und versuchen, freundlich und diplomatisch zu sein. Wir müssen wissen, daß wir uns uns sowohl mit dem Körper, wie mit der Sprache, wie auch durch Gesichts-Gestik ausdrücken können.

Ich selber ziehe es vor, meine Assistenten so lange wie möglich zu behalten. Wenn ein Mensch letztlich einen so großen Platz in meinem Leben ausfüllt, wie es bei einem Assistenten der Fall ist, weil ich Hilfe für die intimsten Dinge brauche, dann sind das Gefühl der Sicherheit und ein tiefes Wissen voneinander sehr wichtige Faktoren in meinem Leben.

Gegenseitiger Respekt für einander und für die Grenzen des anderen sind natürliche Elemente einer Assistenten-Klienten-Beziehung. Man muß imstande sein, sowohl ja wie auch nein zu sagen.

Über das Empfangen von Hilfe

Ich weiß sehr wohl, daß es nicht so einfach ist, von der Hilfe anderer abhängen zu müssen; und es ist vielleicht ein langer Prozeß, bevor man reif genug wird, um Hilfe von Außenstehenden, nicht von der eigenen Familie, anzunehmen. Es verlangt einem viel ab - denn es ist ein himmelweiter Unterschied, ob man von der eigenen Mutter oder von einem Assistenten Hilfe erhält; die Mutter würde von seiten ihres Sohnes oder ihrer Tochter alles akzeptieren; übrigens war es auch in meinem Fall so.

Es ist wichtig, eine klare, ruhige Beziehung im Gleichgewicht zu den eigenen Assistenten herzustellen, so daß das auch von seiten des Beschäftigten eine gute Bleibe sein wird. In vielfältiger Weise ist die Arbeit viel intensiver und auch anders als ein gewöhnlicher Job, schon wenn man die Anzahl der Stunden in Betracht zieht, die man bei der Arbeit verbringt.

Aber nicht alle Dänen können 48 Stunden Arbeit ohne Unterbrechung akzeptieren, wie dies meine Assistenten tun. Auch wenn sie ab und zu dazwischen schlafen - sie sind noch immer bei der Arbeit. Für meinen Aufenthalt in Österreich habe ich zwei AssistenInnen mitgebracht, die jeder eine 16-Stunden-Arbeitszeit haben. Es braucht die Fähigkeit, sich anzugleichen; die richtige chemische Verbindung; es ist ein wechselseitiges Arrangement, wenn es eine erfolgreiche Zusammenarbeit werden soll. Man muß gerne beisammen sein. Wenn man sich nicht auf die Arbeit freut, heißt das ganze nichts.

Sie sagen vielleicht, das muß die Hölle sein, sich 24 Stunden, Tag und Nacht, helfen lassen zu müsen. Freilich könnte es auch schön sein, zu manchen Zeiten ganz frei zu sein: zum Beispiel, wenn man eine feste Freundin hat und ihr vorkommt, es ist verwirrend und irritierend, wenn eine dritte Person anwesend und im Weg ist.

Aber glücklicherweise dauern solche Eindrücke nur ein paar Augenblicke. Ich bin sehr realistisch und halte meine Assistenten für einen lebensnotwendigen Teil meines Lebens, und eine Wohltat.

Wenn ich eine Freundin habe, ist mein Ziel immer, mit meiner Freundin zusammenzusein, ohne daß sie mir unnötig zu helfen braucht. Ich pflege zum Beispiel meinem Assistenten zu läuten, damit er während der Nacht kommt und mich umdreht, so daß ich meine Freundin nicht unnötig störe. Ich versuche immer, einen Punkt zu erreichen, wo wir vor allem beisammensein können aus dem Grund, der uns eben zu Liebenden macht. Aber ich habe auch die Erfahrung gemacht, daß eine Freundin lieber mir selber half, mich wusch, anzog usw. - wo dies ein wichtiger Teil unseres Beisammenseins war.

Wie wir uns arrangieren, hängt ganz und gar davon ab, mit wem ich zusammen bin. Meiner Meinung kann es ohne Frage schwierig sein, mit Assistenten zu leben.

Aber ich würde sicher nicht ohne sie sein wollen.

Zitat aus dem Buch "Ein Muskel-Schwindler": aus dem Abschnitt '25 Brüche - und noch einer'.

Zur Zeit des Unfalls begann ein neues Kapitel in meinem Leben. Nachdem man mich aus dem Spital entlassen hatte, bekam ich eine neue Assistentin,ein Mädchen mit Namen Mette. Trotz Gips und Verbänden verliebten wir uns bald ineinander. Ich sagte mir, wenn sie sich in mich in meiner Situation verlieben kann, dann muß es ernst sein.

Dr. Adolf Ratzka: Grundverständnis von "Selbstbestimmt Leben"

Zusammenfassung

Adolf Ratzka, der Gründer der schwedischen Selbstbestimmt Leben Bewegung stellt die Prinzipien der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung und -Philosophie dar

"Die entscheidenden Veränderungen finden an der Basis statt, in uns selbst.", lautet sein Leitsatz

Ratzka setzt sich radikal für die Selbstbestimmung behinderter Menschen ein, die entscheidenden Stichworte dazu sind Entmedikalisierung, Entinstitutionalisierung, Entprofessionalisierung, Macht und Kontrolle über die eigenen Angelegenheiten und Verbände sowie PeerSupport.

Die Prinzipien des Selbstbestimmt Lebens

Menschen mit Behinderung sind immer schon Bürger zweiter Klasse gewesen. Ganz gleich in welcher Epoche, in welchem Land. Nirgendwo haben wir die gleiche Wahlfreiheit in Ausbildung, Arbeit und Wohnen. Nirgendwo können wir auch nur annäherungsweise die gleiche Unabhängigkeit, Selbständigkeit und Selbstbestimmung im Alltag ausüben, die unsere nichtbehinderten Brüder und Schwestern, Freunde und Nachbarn als selbstverständlich hinnehmen. Viele bekommen nicht einmal die Chance zu leben, weil man sie schon vor der Geburt kostengünstig umbringt.

Wir sind Bürger zweiter Klasse, denn unsere Gesellschaft ist nicht für alle Mitbürger geschaffen, sondern diskriminiert uns systematisch, verweigert uns den Zugang zu Gebäuden, Verkehrsmitteln und Medien, verwehrt uns die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben, schließt uns aus von der Gemeinschaft durch praktische Hindernisse und Vorurteile.

Seit 35 Jahren bin ich behindert und habe mich an die mir von anderen aufgezwungenen Bewegungseinschränkungen gewöhnen müssen. Seit 2 Jahren bin ich nun Vater und erlebe jetzt von neuem den Schmerz des Ausgeschlossenseins. Wenn ich mit meiner Familie unterwegs bin, kann ich bei vielem nicht mitmachen, kann bestenfalls von weitem zusehen. Doch diesmal geht der Schmerz noch tiefer denn jetzt trifft es auch meine Tochter. Hat sie denn nicht das gleiche Recht wie andere Kinder, mit ihrem Vater zusammen Bus und Trambahn zu fahren, ins Kino zu gehen oder einzukaufen?

Wir sind Bürger zweiter Klasse, denn wir benötigen oft Leistungen, wie techn. Hilfsmittel, Wohnungsanpassungen oder persönliche Assistenz. Wo diese Leistungen nicht oder nur in unzureichendem Umfang vorhanden sind, wo nicht wir, sondern andere bestimmen, was wir brauchen und wie zu leben haben, dort gibt es für uns keine Aussicht auf Chancengleichheit. Dort sind wir zur ständigen Abhängigkeit von unserer Umgebung verurteilt. Viele von uns fristen ihr Dasein in Einrichtungen, verdammt zu einem Leben voller versäumter Gelegenheiten, Vereinsamung und rückläufiger Persönlichkeitsentwicklung.

Wir sind Bürger zweiter Klasse, denn wir haben von frühester Kindheit an gehört, daß Behinderung eine Katastrophe für die Betroffenen und ihre Familien bedeutet, daß behinderte Menschen nicht normal seien, daß wir nichts leisten und beitragen könnten, daß unser Leben nicht lebenswert sei. Viele von uns glauben inzwischen selbst daran.

Als ich mit 17 Jahren behindert wurde, wäre ich am liebsten gleich gestorben. Ich konnte es meiner Familie vom Gesicht ablesen, daß sie das gleiche dachten. Wir hatten damals keine Vorbilder von normalen Menschen mit Behinderungen. Wir hatten nur unsere Vorurteile, und die halfen uns wenig.

Wir sind Bürger zweiter Klasse, denn wir erlauben anderen, uns zu "betreuen"; denn wir gestatten anderen, uns als "Sorgenkinder" zu vermarkten; denn wir lassen zu, daß andere als unsere Sprecher auftreten; denn wir schauen zu, wenn andere mit dem Finger auf uns zeigen und uns die "Schwächsten der Schwachen" nennen.

Wir sind Bürger zweiter Klasse in allen Ländern und unsere Aufgabe ist überall die gleiche.

wir müssen unser Leben selbst in die Hand nehmen

wir müssen die Kontrolle über unsere Organisationen selbst übernehmen

wir selbst müssen die Leistungen bestimmen, die wir zur Chancengleichheit benötigen

wir müssen uns zusammenschließen und uns gegenseitig unterstützen.

Bei aller berechtigter Wut und Sorge über die Diskriminierung, die Aussonderung, die Beleidigungen, die Bedrohungen, denen wir als behinderte Menschen ausgesetzt sind, dürfen wir uns nicht in die Rolle des Opfers hineinzwingen lassen. Die Opferrolle gibt uns zwar die moralische Überlegenheit, aber langweilt am Ende unsere Mitmenschen, macht uns frustriert, passiv und unproduktiv. Wir können weit mehr verändern, wir können uns selbst weit mehr entwickeln, wenn wir uns zusammenschließen, die Initiative übernehmen und uns aktiv gegen

Unkenntnis, Dummheit und Unrecht einsetzen.

In dieser Aufgabe kann uns Selbstbestimmt-Leben, als Philosophie und politische Bewegung, große Dienste leisten. In meinem Beitrag möchte ich die Prinzipien dieser neuen Bewegung erläutern, die die veralteten Konzepte von Rehabilitation, Integration und Normalisierung ersetzt

"Selbstbestimmt-Leben" ist die deutsche Übersetzung des amerikanischen "Independent Living". Independent Living ist ein technischer Begriff, der zum ersten Mal im kalifornischen Sozialrecht Ende der 50er Jahre auftaucht. Damals stand der Ausdruck für die Bestrebung, behinderten Menschen die praktischen Voraussetzungen zu gewähren, außerhalb von Heimen und Einrichtungen leben zu können. Ende der 60er Jahre wurde Independent Living zum Namen der Bürgerrechtsbewegung von behinderten Menschen. Seitdem hat sich diese Bewegung in vielen Ländern verbreitet, unter anderem auch in Österreich.

Was ist also Independent Living oder Selbstbestimmt-Leben?

Die Independent Living Bewegung kämpft für Selbstbestimmung und gegen Fremdbestimmung und Diskriminierung, denen behinderte Menschen ständig in ihrem Leben ausgesetzt sind.

Eines der wichtigsten Ziele der Independent Living Bewegung in allen Ländern ist daher, Anti-Diskriminierungsgesetze zu schaffen, die Diskriminierung aufgrund von Behinderung ungesetzlich und strafbar machen.

Jede Gesellschaft, die den Anspruch hat, eine Demokratie zu sein und Menschenrechte zu respektieren, muß diese Rechte allen Bürgern garantieren. Dazu brauchen wir geeignete Gesetze mit spürbaren Strafen. Unsere Verbände müssen bei der Gestaltung dieser Gesetze entscheidend beteiligt sein. Die Vereinigten Staaten haben mit dem Americans with Disabilities oder kurz ADA ein Beispiel gesetzt, daß stark von der Independent Living Bewegung beeinflußt wurde.

Gesetze allein werden jedoch nie genügen. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß nicht einmal die besten Gesetze uns automatisch Chancengleichheit gewähren, ohne daß ein jeder von uns aktiv von unseren Rechten tagtäglich Gebrauch macht.

Außerdem genügen in vielen Fällen Anti-Diskriminierungsgesetze nicht um uns allen zur Chancengleichheit zu verhelfen. Was nutzt mir der Niederflurbus mit Hebeplatte an der nächsten Bushaltestelle, wenn ich niemanden habe, der mir morgens aus dem Bett hilft. Also müssen Anti-Diskriminierungsgesetze vervollständigt werden durch Gesetze, die uns die Finanzierung von Dienstleistungen, wie z. B. persönlicher Assistenz, als einklagbare Rechte garantieren

Wir sprechen von Ent-Medikalisierung

Wir werden diskriminiert, weil wir von der gängigen Norm abweichen. Wer abweicht, wird leicht als "krank" abgestempelt. "Kranke" Menschen brauchen nicht arbeiten und sind den üblichen Verpflichtungen des Alltags enthoben. So lange wir als krank gelten, stoßen wir auf wenig Verständnis mit unseren Forderungen nach Arbeit oder behindertengerechter Stadt- und Verkehrsplanung. Denn ein Kranker ist entweder im Krankenhaus oder zu Hause im Bett.

Wenn wir uns selbst für krank halten, dürfen wir uns nicht beklagen, wenn andere Menschen uns beschützen und betreuen wollen, und eine Menge Regeln aufstellen, die unser Leben einengen und anderen Macht über uns geben.

Unser Ziel muß sein, unserer Umwelt und uns selbst den Unterschied deutlich zu machen zwischen kranken Menschen und gesunden, normalen Mitbürgern mit Behinderungen, die das gleiche Recht auf ein gutes Leben haben wie andere auch.

Wir sprechen von Entinstitutionalisierung

Gerade weil wir oft für krank gehalten werden, ist es naheliegend, uns in krankenhausähnlichen Einrichtungen einzusperren. Dort, so beteuert man, könnten wir besser "betreut" werden. Mit diesem Argument steckt man uns in Sonderkindergärten, Sonderschulen, Sonderwerkstätten und Sonderwohnungen. Nur am Friedhof sind wir dann wieder integriert.

Sehen wir uns doch um, wie wir leben. Machen uns z.B. unsere Sonderfahrdienste unabhängig? Verhelfen die uns zur gleichen Mobilität, zu gleichen Lebenschancen, die unsere nichtbehinderten Mitbürger für selbstverständlich hinnehmen? Könnt ihr euch vorstellen, was passieren würde, wenn alle Arbeitgeber im Raum Wien mit dem Sonder-Fahrdienst zur Arbeit fahren würden? Die ganze Wirtschaft würde zusammenbrechen. Wie sollen wir dann ein normales Leben führen können! Solche Sonder-Dienste begrenzen unser Leben, lassen uns andersartig erscheinen und geben anderen Leuten Macht über uns.

Wir sprechen von Entprofessionalisierung

Wir werden oft als Gegenstand von Behandlung, Heilung oder zumindest Rehabilitierung oder Habilitierung gesehen. Je mehr wir behindert sind, desto kränker sind wir in den Augen unserer Umgebung und desto mehr Ausbildung müssen die haben, die uns "betreuen" und "pflegen". Mehr Ausbildung ist verbunden mit mehr Status und höheren Gehältern. Deshalb gibt es auch handfeste wirtschaftliche Motive, uns als "schwerstbehindert" und "schwerstkrank" hinzustellen.

Viele von uns laufen von einem Professor zum anderen, in der Hoffnung auf das medizinische Wunder und vergeuden dabei ihr Leben, anstatt sich auf ihre Ausbildung zu konzentrieren und zu lernen, ihre Behinderung durch technische Hilfen und persönliche Assistenz zu kompensieren. Ich habe Freunde, die den größten Teil ihrer Kindheit in Krankenhäusern verbracht haben. Die Veränderungen, die dort erzielt wurden, sind oft minimal und stehen in keinem Verhältnis zu den sozialen Schäden, die Mangel an Familienkontakt, an Umgang mit Gleichaltrigen und an verlorenem Schulgang verursacht haben. Kein Wunder also, wenn viele von uns in diesen Einrichtungen nie ein gesundes Selbstbewußtsein entwickeln konnten. Kein Wunder also, daß viele passiv und abhängig geworden sind und damit eine Reihe Berufszweige mit Arbeit versorgen.

Wir müssen uns selbst akzeptieren, wie wir sind. Das wird uns allerdings erschwert, oft von den Eltern, die sich über ihr behindertes Kind schämen und von den sogenannten helfenden Berufen, die davon leben, uns anzupassen an Normen, die nicht wir, sondern andere aufgestellt haben. Fremdbestimmung auch hier.

Je mehr Hoffnung und Vertrauen wir auf die Experten im weißen Kittel setzen, desto weniger vertrauen wir auf unsere eigene Kraft ! Es wird höchste Zeit, das wir realistisch einsetzen, was andere für uns tun können, und wir selbst tun müssen.

Wir sprechen von Macht

Behinderung ist kein medizinisches Problem. Oder gibt es etwa Spritzen, die andere Menschen gegen Vorurteile impfen? Kann ein Chirurg die Autobusse der städtischen Verkehrsbetriebe durch einen operativen Kunstgriff behindertengerecht machen ? Oder gibt es etwa Zäpfchen gegen die wirtschaftlichen Interessen der Wohlfahrtsverbände, die Pflegeheime betreiben?

Behinderung ist ein Problem ungleicher Machtverteilung. Die Prioritäten unserer Gesellschaft sind gegen uns. Zur Zeit wird überall auf der Welt gespart und jede Forderungen von unserer Seite wird man also mit dem Kostenargument abwürgen wollen.

Ich selbst lebe in Schweden, wo seit 1977 laut Gesetz alle neuen Mehrfamilienhäuser voll behindertengerecht gebaut werden müssen: mit Aufzügen, ohne Stufen am Eingang, mit geräumigen Badezimmern und Küchen. Wenn ich davon erzähle, bekomme ich meistens zu hören, daß man sich das nirgendwo sonst leisten kann. Die Ironie dabei ist, daß diese Reform weniger als ein Prozent Mehrkosten verursacht. Oft sind es also nicht einmal die Kosten, die im Wege stehen, sondern behördliche Unflexibilität, Dummheit und wirtschaftliche Interessen von einigen Gruppen, die gut an den jetzigen Verhältnissen verdienen. Es ist doch ganz menschlich, wenn z.B. der Direktor eines Sonderwohnheims sich skeptisch gegen ambulante Dienste gibt, denn je weniger seine Einrichtung belegt ist, desto unsicherer ist seine eigene Zukunft. So gesehen wird es auch verständlich, wenn professionelle "Betreuer" an der Fähigkeit ihrer anvertrauten Schützlinge zweifeln, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.

Wir sprechen von Kontrolle über unsere Verbände

Wenn nun unsere Probleme auf unsere schwache politische Stellung in der Gesellschaft zurückzuführen sind, wie können wir dann unsere Lage als Bürger zweiter Klasse verbessern? Das Wichtigste meiner Meinung nach ist, daß wir uns zusammenschließen und organisieren, um politische Macht zu bekommen. Leider sind die meisten großen und einflußreichen Verbände nicht dazu geeignet. Denn die sind fast alle medizinisch ausgerichtet. Deren Verzeichnis liest sich wie ein Nachschlagewerk für Ärzte. Diese Diagnosen-Einteilung verstärkt ja nur die bestehenden Vorurteile gegen uns, daß wir krank sind und betreut werden müssen. Durch ständige Hinweise darauf, wie schwach und hilfsbedürftig wir sind, kann man allenfalls Mitleid heischen und die Vereinskassen füllen, aber keine Bürgerrechte erkämpfen. Die meisten bestehenden Verbände sind schuld daran, daß wir immer noch nicht gleichberechtigt sind.

Wie kamen solche Verbände zustande? Oft waren die Gründer engagierte Eltern oder Mediziner, die sich für eine bessere Zukunft ihrer Kinder und Patienten einsetzten. Inzwischen sind aus den Kindern Erwachsene geworden, aber im Verein werden sie noch immer wir Kinder behandelt und haben dort immer noch herzlich wenig zu sagen. Fremdbestimmung also auch in unseren eigenen Vereinen !

Wir können klagen und jammern soviel wir wollen über die Behandlung, der wir ausgesetzt sind. Aber einmal müssen wir uns die Frage stellen: Wieviel trage ich selbst dazu bei ? Ist es nicht schön bequem, für schwach, dümmlich und hilflos gehalten zu werden, weil ich mich dann nicht anstrengen muß? Weil dann die anderen mit ihrem Helfersyndrom sofort einspringen und mich betreuen wollen? Verantwortung zu übernehmen, Risiken einzugehen, Fehler zu machen ist unbequem. Im Heim vor der Glotze zu sitzen ist gemütlicher, als auf der Straße zu demonstrieren. Sich vom Wohlfahrtsverband zum Weihnachtsbazar vermarkten zu lassen, bringt Streicheleinheiten. Wer aber versucht nichtbehinderte Vorstandsmitglieder rauszudrängen, der erntet wenig Dank.

Solange in unseren eigenen Verbänden Nichtbehinderte das Wort führen und uns in der Öffentlichkeit vertreten, werden die Vorurteile uns gegenüber bekräftet, nämlich daß wir hilflos und unfähig sind, etwas für uns selbst zu tun. Das gilt auch für angestellte Funktionäre. Arbeitslosigkeit bei Menschen mit Behinderungen ist viel höher als bei Nichtbehinderten, daher müssen wir die Arbeitsplätze in unseren Verbänden für uns selbst reservieren.

Selbstbestimmung gibt Durchschlagskraft, das gilt für den Einzelnen und für unsere Verbände. Oder was würdet ihr von einer Frauengruppe halten, die Männer im Vorstand hat?

Wir sprechen von Peer Support

Es ist schwer, sich normal zu fühlen, sich zu akzeptieren, wenn man immer wieder zu hören bekommt, daß wir anders seien, daß wir nicht dies oder jenes könnten. In dieser Lage müssen wir mit anderen in der gleichen Situation reden können. Menschen, mit denen wir uns identifizieren können. Wir nennen das Peer Support, auf Deutsch etwa gegenseitige Unterstützung durch Betroffene. Peer Support bedeutet, die Früchte seiner Erfahrung mit anderen zu teilen.

In einer wachsenden Anzahl von Ländern helfen sich behinderte Menschen auf diese Weise gegenseitig in Zentren für Selbstbestimmt Leben. Wir tauschen Informationen aus, Ratschläge und Einsichten. Wir helfen, wenn jemand mit den Behörden kämpfen muß. Die Zentren arbeiten für Verbesserungen in den öffentlichen Verkehrsmitteln und im Wohnungsbau. In den Zentren geben wir Kurse und treffen uns in Gesprächsrunden.

Peer Support geht davon aus, daß jeder von uns Experte in eigener Sache ist. Daher kann jeder mit seinen Erfahrungen beitragen, die wiederum für andere nützlich sein können. Ein anderes Prinzip ist, daß wir uns gegenseitig als Vorbilder dienen können, und auf diese Weise von einander lernen. Wenn ich einen kenne, der mit seinem Atemgerät nach Amerika geflogen ist, dann kann ich es vielleicht mal probieren, damit nach Italien zu fahren. Das Vorbild eines Menschen, mit dem ich mich identifizieren kann, ist viel stärker als die besten Ratschläge eines nichtbehinderten Experten.

Die entscheidenden Veränderungen finden an der Basis statt,in uns selbst.

So lange wir unser Leben als Tragödie sehen, werden uns andere Menschen bemitleiden.

So lange wir uns unserer Behinderung schämen, werden andere unser Leben für nicht lebenswert halten.

So lange wir uns hilflos verhalten, werden andere uns betreuen wollen.

So lange wir uns nicht selbst akzeptieren, werden wir nicht die Kraft haben, uns für gleiche Rechte einzusetzen.

Wir sind die letzte Minderheit, die für ihre Rechte kämpft. Wir werden nicht einfach verschwinden. Es wird immer behinderte Menschen geben und wir müssen unsere Gesellschaft so ausbauen,. daß alle darin leben können mit Chancengleichheit, Würde und Selbstrespekt. Und wir müssen jetzt damit anfangen.

Victor Wahlström: Inhaltliche Erklärungen zu den "Standard Rules" - Inhalt, Erfahrung und Umsetzung

Ehemaliger Präsident von "Inclusion International"

Mitglied der Expertengruppe für die Standard-Regeln der Vereinten Nationen für die

"International Association for the Scientific Study of Intellectual Disablility"

[Internationale Vereinigung für das wissenschaftliche Studium geistiger Behinderung]

Zusammenfassung

Victor Wahlström, der Direktor der Schwedischen nationalen Gesellschaft für geistige Behinderung, stellt die internationalen Menschenrechtstandards der vereinten Nationen in ihrer Bedeutung für Menschen mit geistiger Behinderung vor. Er gibt seiner Überzeugung Ausdruck, daß diese Standard-regeln ein großes Potential, als Hilfe zur Umsetzung von Chancengleicheit für behinderte Menschen in sich bergen. Er beleuchtet Möglichkeiten und Grenzen dieses Weges.

Internationale Trends in Behinderungsfragen

Die große Mehrheit der behinderten Menschen lebt weltweit unter miserablen Bedingungen: wir brauchen mehr Handeln und weniger Worte

Die Frage der Menschenrechte

Seit dem Zweiten Weltkrieg sind Menschenrechte ständig ein Diskussionsthema. Als Basis haben wir die Menschenrechtserklärung, d. h. die Universelle Erklärung der Menschenrechte von 1948, und die internationalen Übereinkünfte über Rechte im zivilen und politischen Leben, und jene über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966.

Dazu komen noch die Übereinkunft über die Beendigung aller Formen der Diskriminierung gegen Frauen von 1979; die Übereinkunft gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe von 1984, und die Übereinkunft über die Rechte des Kindes von 1989. Diese Dokumente betreffen alle Menschen ohne Ausnahme.

Mit der Erklärung über die Rechte der geistig Behinderten (aus 1971) und aller Behinderten (aus 1975) anerkannten die Vereinten Nationen erstmals ausdrücklich, daß Behinderung eine Menschenrechtsfrage ist.

Dann hatten wir, wie Sie wissen, 1981 als das Internationale Jahr der Behinderten, mit seinem Ziel der "vollen und gleichen Teilnahme Behinderter in der Gesellschaft" - wiederholt im Welt-Aktions-Programm von 1982, das Mitgliederstaaten Empfehlungen gab, wie man dieses Ziel erreichen kann.

Aufgrunddessen starteten die Vereinten Nationen das Jahrzehnt der Behinderten (1983-1992). Um das Ende des Jahrzehnts zu markieren, erklärten die Vereinten Nationen, daß der 3. Dezember jeden Jahres der Internationale Tag der behinderten Menschen sein würde. Die UN-Kommission zu Menschenrechtsfragen verabschiedete eine Resolution, die an Mitgliederstaaten appellierte, den Tag zu begehen und die Erreichung voller, gleicher Menschenrechte und gesellschaftliche Teilnahme der behinderten Menschen anzustreben.

Schließlich wurden im Oktober 1993 die Standard-Regeln der Vereinten Nationen zur Chancengleichheit für behinderte Menschen verabschiedet.

"Inclusion International" und die Menschenrechte

Die "International League of Societies for Persons with Mental Handicap" [Internationale Liga der Vereinigungen für Menschen mit geistigem Handicap] ist nun mehr als je zuvor zu einer Menschenrechtsorganisation geworden, die für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit kämpft, sowie gegen Mißbrauch und Diskriminierung. Ihre Politik geht in Richtung Integration, volle Bürgerrechte, Selbstbestimmung und familiäre Unterstützung.

"Inclusion International" ist nicht mehr bloß eine Mutterorganisation, da Selbsthilfe in einer Reihe von Ländern stärker geworden ist. Infolgedessen haben wir zum Beispiel die UN Standard-Regeln in vereinfachtes Englisch übertragen, um Selbsthilfeorganisationen zu fördern und ihnen die Teilnahme an unserer Arbeit zu ermöglichen.

Wie können Menschen mit geistiger Behinderung aus Dokumenten der internationalen Menschenrechte Nutzen ziehen? Das ist der Titel einer weiteren ganz neuen Veröffentlichung von "Inclusion International", verfaßt von ihrem Generalsekretär Klaus Lachwitz, Deutschland. Es ist dies eines der Ergebnisse einer sogenannten "Offenen Projektgruppe zu Mißbrauch und Diskriminierung", die von Mitgliedern von "Inclusion International" in Schweden ("FUB") und Deutschland ("Lebenshilfe") koordiniert wurde. Der Zweck ist natürlich, unseren 170 Mitgliedsvereinigungen in 105 Ländern ein Werkzeug in ihrem Kampf für Menschenrechte in die Hand zu geben.

Alle Menschen mit einem geistigen Handicap sind Bürger ihres Landes, nicht weniger als ihre Mitbürger zu Ansehen, Respekt und dem Schutz des Gesetzes berechtigt. Menschen mit einem geistigen Handicap sollen in der Gemeinschaft leben, lernen, arbeiten und sich am Leben freuen, und sollen wie jeder andere Bürger angenommen und geschätzt werden.

Dies ist ein Auszug aus den Grundprinzipien von "Inclusion International", welche festhalten, daß jede Person mit einem geistigen Handicap ein Mensch mit dem Recht auf Respekt für seine menschliche Würde ist, der dieselben grundsätzlichen Bürger- und politischen Rechte besitzt wie andere Menschen auch.

Diese Grundprinzipien lassen sich auf gesetzlich bindende Dokumente zurückführen, welche die Vereinten Nationen beschlossen haben!

Im Grundvertrag über Bürger- und politische Rechte heißt es in Artikel 10: "Alle Personen, welche ihrer Freiheit verlustig gegangen sind, sollen mit Menschlichkeit und mit Respekt für die unveräußerliche Würde des Menschen behandelt werden". Und in Artikel 23: "Die Familie ist die natürliche und grundlegende gesellschaftliche Einheit; sie hat ein Recht darauf, durch Staat und Gesellschaft geschützt zu werden."

In der Konvention über die Rechte des Kindes werden alle Arten des Mißbrauchs, der erniedrigenden Behandlung sowie der Diskriminierung verboten.

Ohne Zweifel haben die grundlegenden Prinzipien von "Inclusion International" eine starke Stütze in verschiedenen internationalen Menschenrechts-Dokumenten. Personen mit einem geistigen Handicap können alle menschlichen Rechte beanspruchen, wie sie im Internationalen Grundvertrag über Bürger- und politische Rechte niedergelegt sind, in der Konvention über die Rechte des Kindes, den Konventionen gegen Folter, wie auch in den afrikanischen, amerikanischen und europäischen Konventionen zum Schutz der Menschenrechte.

Die Standard-Regeln zur Chancengleichheit von Menschen mit Behinderung sollte man auffassen nicht als die einzige, sonder als eine zusätzliche Quelle von Angaben, welche die Menschen- und Bürgerrechte von behinderten Menschen genauer beschreiben.

Es ist von höchster Wichtigkeit, daß Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Familien sowie alle behinderten Menschen den Inhalt dieser Dokumente kennen und lernen, wie man sie handhabt.

Die Konventionen und Bündnisse sind gesetzlich bindend, müssen Sie wissen: das heißt, daß die einzelnen Staaten (in Parteienstellung) verpflichtet sind, die nötigen Schritte zur Verwirklichung dieser Rechte in ihrer eigenen Gesetzgebung zu setzen.

Zwei weitere nützliche Veröffentlichungen von "Inclusion International" in diesem Bereich sind "Making the most of the United Nations" ["Wie man aus den Vereinten Nationen das meiste herausholt"], von Peter Mittler (England), und "Abuse and Discrimination" ["Mißbrauch und Diskriminierung"], von Graham S. Reed (Neuseeland).

Solange wir noch bei diesem Thema sind: Sie können auch ein weiteres Schriftwerk vom Brüsseler Büro von "Inclusion International" bestellen, mit dem Titel "Just Technology? - From Principles to Practice in Bio-Ethical Issues and the Documents Protecting Human Dignity and Human Rights and Respectful Recognition" ["Gerechte Technologie? - Von Grundsätzen zur Praxis in bio-ethischen Sachfragen, und die Dokumente, die menschliche Würde, Menschenrechte und respektvolle Anerkennung schützen"]. Bioethik und Menschenrechte waren, wie Sie vielleicht wissen, das Thema der Jahrestagung von "Inclusion International".

What a wonderful world / Was für eine wunderbare Welt

Stimmt es, was Louis Armstrong singt? Wir haben eine Anzahl von gesetzlich bindenden internationalen Menschenrechts-Dokumenten, in denen von Respekt, Bürger-Status, voller Teilnahme, Integration, Kontrolle über das eigene Leben, Einfluß, Wahlmöglichkeiten, Integrität und Würde die Rede ist; davon, daß jedem Menschen Bürger- und politische Rechte zustehen; daß menschliche Würde und Menschenrechte geschützt sind.

Ohne Zweifel haben die Vereinten Nationen erfolgreich die Menschenrechte definiert und den Grundgedanken der Menschenrechte befördert.

Ohne Zweifel haben wir Länder, die politische Taten in Übereinstimmung mit den ratifizierten Konventionen setzen.

Ohne Zweifel lassen sich Inseln der Quälität und des praktischen Handelns in der ganzen Welt finden, die für Menschen mit Behinderung riesig viel bedeuten. Ich bin überzeugt, daß die Forschung von Mitgliedern der IASSID ["International Association for the Scientific Study of Intellectual Disability", Internationale Vereinigung für das wissenschaftliche Studium geistiger Behinderung] mit dazugehört, vorausgesetzt natürlich, daß die eigene Forschung in Handeln umgesetzt wird. -

... aber ...

Diese gesetzlich bindenden internationalen Menschenrechts-Dokumente reichen offensichtlich nicht aus, ebensowenig der Kampf von "Inclusion International" und anderer Nicht-Regierungs-Organisationen gegen Mißbrauch und Diskriminierung, mit all der Hilfe von IASSID.

Im Report von Amnesty International für das Jahr 1996 finden sich 146 Länder, die Basis-Meschenrechte verletzen. Die Folter wird derzeit in 114 Ländern verwendet, Hinrichtungen geschehen in 49 Ländern.

Der Bericht der Vereinten Nationen über Menschenrechte und Behinderte aus 1993 beschreibt die armseligen Verhältnisse der allermeisten Behinderten auf der ganzen Welt:

In Entwicklungsländern werden 98% der Menschen mit Behinderung völlig vernachlässigt. Die Zielsetzung der WHO [World Health Organisation, Welt-Gesundheitsorganisation] für das Jahr 2000 wird sich sehr wahrscheinlich nicht erfüllen lassen. Behinderte sind unter Armen enorm überrepräsentiert. In den USA, Canada und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien leben 60% unter der Armutsgrenze. In Entwicklungsländern überleben sie oft nicht. In Indien erhalten 98% der behinderten männlichen Kinder keine Schulbildung. Das Niveau der Arbeitslosigkeit ist extrem hoch; in Entwicklungsländern sind diejenigen, die dazu imstande sind, zum Betteln gezwungen. Wir alle haben über Anstalten in Rumänien, Bulgarien, und der früheren Sowjetunion gelesen. In einem Bericht über Heime für Erwachsene heißt es:"Es ist kaum möglich, den Grad der Erniedrigung, Verkommenheit, der Qual und der Strafen zu schildern, denen die Insassen ausgesetzt sind... Das einfachste Menschsein wird ihnen verweigert." Dies war jedoch ein Bericht aus Großbritannien.

Die Welt ist alles andere als wunderbar. Der Inhalt der Meschenrechtsdokumente sieht der Wirklichkeit nicht einmal ähnlich.

Niemand kann stolz sein auf die Situation, egal in welchem Land: man kann überall leicht Beispiele für Mißbrauch und Diskriminierung finden - Menschen, die keine Verfügung über ihr eigenes Leben haben, ohne Respekt und Liebe, die man für dumm ansieht, die niemand haben, an den sie sich wenden können, ohne Wahlmöglichkeiten, extrem verletzlich in ihrer Opferrolle.

Sehen Sie sich diese Auflistung an:

  • Verweigerung

  • Akzeptiertwerden

  • Verständnis

  • Einsicht

  • Zurückweisung

  • Absonderung

  • Integration

  • Miteinschließen

Hier finden sich verschiedene Stadien der Entwicklung. Das Ziel ist Miteinschließen [inclusion], aber die überwältigende Mehrheit der Behinderten wird zurückgewiesen, oder bestenfalls abgesondert. Es ist offensichtlich, daß wir noch angestrengter unser bestes tun müssen, um Menschen mit Behinderung ein würdiges Leben zu geben.

Warum?

Warum ist die Situation so schrecklich trübe? Ich möchte Ihnen einige Gründe sagen.

* Behinderung fällt, wenn wir uns ehrlich sind, politisch unter "Ferner liefen".

* Viele Politiker, vielleicht die meisten, kümmern sich - scheint's - nicht im geringsten um den Inhalt der Dokumente, die sie ratifizieren oder denen sie zustimmen.

* Der Gedanke der Menschenrechte und das Prinzip ihrer Allgemeingültigkeit wird in der westlichen Welt viel eher akzeptiert als anderswo.

* Das System der Observation und Evaluierung durch die Vereinten Nationen - wobei die Kommission für Menschenrechtsfragen die wichtigste ist - ist viel zu wenig wirksam, mit der "Mobilisierung der Schande und des Schuldgefühls" als der einzigen verfügbaren Sanktion.

Wie steht die Gemeinschaft der geistig Behinderten nun da, und alle anderen, die - wie Sie selber - ein besonderes Interesse an Menschen mit geistiger Behinderung haben, mit diesem Berg von nützlichen Menschenrechts-Standards? Im großen und ganzen war und ist diese Gruppe uninformiert, nicht engagiert, und mit gutem Grund skeptisch, daß Gespräche am East River sich in wirklichen Fortschritt verwandeln werden, an ihrem eigenen Flüßchen in ihrer Heimatstadt.

Trotz einiger heroischer Ausnahmen hat man die internationalen Menschenrechts-Standards nicht genügend genutzt zur Verteidigung der Einzel- und Gruppeninteresen der Personen mit geistiger Beeinträchtigung.

Wie recht doch Stanley Herr aus den Vereinigten Staaten hat. Die NROs, die Nicht-Regierungs-Organisationen, haben sich nicht dieser internationalen Menschenrechts-dokumente bedient. Dies gilt sowohl für die internationalen NROs wie auch ihre nationalen Mitgliederorganisationen.

Die NROs in Sachen Behinderung arbeiten derzeit nicht zusammen. In der Expertengruppe für die Standard-Regeln der Vereinten Nationen sind die sechs großen internationalen NROs jedoch vertreten - das ist ein schöner Beginn. Es sind dies Inclusion International, World Blind Union, World Federation of the Deaf, Disabled Peoples International, Rehabilitation International, und World Federation of Psychiatric Users.

Ich bin auch überzeugt, daß die Professionisten viel mehr tun könnten, um Menschenrechte zu fördern. Sie könnten Inclusion International die Hand reichen und eine politische Richtung einschlagen - sowohl auf internationaler Ebene wie im eigenen Land. Ihre einzelnen Mitglieder könnten ihren Einfluß und ihre Position geltend machen, um Menschrechte zu fördern, sowohl in großem Maßstab, wie auch vor Ort.

Wir müssen uns alle noch mehr anstrengen

Wir müsen eine härtere Gangart einschlagen! Es reicht aber nicht aus, darüber zu reden, was getan werden sollte. VERSUCHT, ES ZU TUN!

Folgende Punkte sind auf der Tagesordnung von Inclusion International.

a) Der Präsident von Inclusion International wird seinen KollegInnen in den anderen NROs, die der Expertengruppe angehören, vorschlagen, den Generalsekretär der Vereinten Nationen baldestmöglich um ein Treffen zu ersuchen - um diesen zu überzeugen, daß Behinderung im UN-System ein stärkeres Profil erhalten muß. Es besteht eine Tendenz in den Vereinten Nationen, die Leute (scheint's) glauben läßt, daß Personen mit Behinderung keiner weiteren Unterstützung bedürften - nachdem wir so erfolgreich um ihr Anliegen als Hauptsache gekämpft haben.

b) Es gibt einen Resolutionsentwurf der schwedischen Regierung zur Unterstützung der Standard-Regeln und des Sonderberichterstatters, um eben Behinderung deutlich sichtbar zu machen in der Arbeit der Vereinten Nationen; um besondere Aufmerksamkeit den Bedürfnissen von Behinderten zu widmen, in Zusammenhang mit dem internationalen Jahr, und dem Jahrzehnt zur Auslöschung der Armut. Die Großen Sechs werden alle ihre Mitgliedsorganisationen dringend auffordern, Lobbyarbeit bei ihren Regierungen zu leisten, damit diese die Resolution unterstützen.

c) Die Vereinten Nationen geben dem Sonderberichterstatter und der Expertengruppe überhaupt keine finanzielle Unterstützung. Das Geld kommt von vierzehn einzelnen Regierungen. Es ist nur mehr wenig Geld vorhanden.

Letzten Herbst wurde am schwedischen Generalkonsulat in New York ein Treffen organisiert, wozu Vertreter der vierzehn Regierungen eingeladen wurden. Die großen Sechs traten einige Zeit vorher an diese Regierungen heran und sie ersuchten sie dringend, ihre finanzielle Unterstützung fortzusetzen.

d) Die Standard-Regeln haben ein großes Potential, aber sie brauchen viel mehr Zeit und Förderung. Wie der Sonderberichterstatter sagte, als sich die Expertengruppe im Juni in New York traf: "Sie werden überall mit Entschlossenheit und Begeisterung aufgenommen - aber dies dauert nur kurz an." Inclusion International wird versuchen, die internationalen Menschenrechtsdokumente ihren Mitgliedsorganisationen bekannt zu machen. Diese sollten ihrerseits herausfinden, ob ihre eigenen Regierungen die Menschenrechts-Dokumente unterzeichnet und ratifiziert haben, die Situation analysieren und dementsprechend handeln.

Der Zweck ist, sowohl die Situation für Menschen mit Behinderung in ihrem eigenen Land zu verbessern - und die Regierung dahin zu bestimmen, Behinderungs-Agenden im UN-System zu unterstützen. Es liegt natürlich im Entscheidungsbereich jedes einzelnen Landes, seine Solzialpolitik festzulegen. Ohne Zweifel werden jeoch Ideale der Menschenrechte eher verwirklicht werden, wenn sie auf regionaler wie auf internationaler Ebene diskutiert, vereinbart, bewertet und kritisch beobachtet werden.

Wie oben erwähnt, gibt es eine Veröffentlichung von Inclusion International mit dem Titel "Wie können geistig Behinderte aus internationalen Menschenrechts-Dokumenten Nutzen ziehen?" Es gibt auch eine ganz neue Übertragung der Standard-Regeln der Vereinten Nationen in leicht verständliches Englisch. Wir haben 1995 auch regionale Treffen und Konferenzen über Menschenrechte in New York, Sri Lanka und Warschau organisiert. 1996 haben wir Peking einen Besuch abgestattet; im August waren wir auf einem europäischen Treffen in Cardiff, und im November 1996 bei unserer Hauptversammlung in Chile. Wir organisierten vor Weihnachten ein Treffen für unsere Mitgliedsorganisationen in den arabisch sprechenden Ländern in der schwedischen Botschaft in Damaskus.

e) Wir planen, unsere Verbindungen mit der Struktur der Vereinten Nationen zu stärken. Die Kommission für Menschenrechtsfragen, das Zentrum für Menschenrechte in Genf, das Kommittee, welches die Konvention über die Rechte des Kindes beaufsichtigt, usf. - Amnesty International ist eine weitere wichtige Organisation.

Vergessen Sie nicht, daß der wichtigste Teil der Lobby-Tätigkeit bei den Vereinten Nationen und bei regionalen Organisationen wie der Europäischen Union die Kontakte zu Hause sind - mit Politikern und Beamten -, und die Nicht-Regierungs-Organisationen für Behinderung werfen sich voller Energie in diese Bresche.

Wo aber soll man die nötige Zeit und das nötige Geld für diese Arbeit finden? Inclusion International hat 2,2 bezahlte Mitarbeiter. Der Hauptteil unserer Arbeit wird freiwillig getan.

Landesorganisationen sind alle nicht bereit, viel Geld und Arbeitsstunden in internationale Arbeit zu stecken. Sie begreifen nicht, welchen Nutzen sie zu Hause davon haben können, das heißt, ein internationales Menschenrechtsdokument bei ihrer Lobby-Arbeit im eigenen Land verwenden, Kontakte auf einem sehr hohen Niveau mit eigenen Politikern und Beamten knüpfen, und von Erfahrungen in anderen Ländern lernen zu können. Hoffentlich wird sich das Schritt für Schritt ändern.

f) Wir möchten gerne die großen Hilfsorganisationen wie die Weltbank und die Europäische Union ansprechen, um sie zu veranlassen, Menschen mit Behinderung durch ihre Unterstützung vor den Vorhang zu stellen.

Diese Methode auf internationalem Niveau sollte auch in den einzelnen Ländern verwendet werden. In Ländern, die Entwicklungsländer unterstützen (wie den skandinavischen) sollten wir diese dringend auffordern, Menschen mit Behinderung in ihrer bilateralen Hilfe herauszustellen: zum Beispiel, die Hilfeleistung abhängig zu machen von der Förderung der Standard-Regeln der Vereinten Nationen.

g) Auf meiner Wunschliste habe ich noch drei weitere Dinge. Die Nicht-Regierungs-Organisationen, und es gibt Hunderte von ihnen, waren und sind äußerst wichtig bei der Verbreitung und Unterstützung des Menschenrechts-Gedankens. Ich würde sie gerne an Diskussionen und am Entscheidungsprozeß der Vereinten Nationen auf systematischere Weise beteiligt sehen. Die Commission on Global Governance [Kommission für globale Kontrolle] hat vor kurzem ein "Forum der Zivilgesellschaft" vorgeschlagen, wo NROs sich vor der Generalversammlung treffen sollten. Es gibt auch eine Arbeitsgruppe in den Vereinten Nationen, die bespricht, wie man die NROs systematischer einbeziehen kann.

Wenn die Großen Sechs die Intiative aufbrächten, sich damit zu befassen - das wäre einfach Klasse. Aber wir dürfen die Tatsache nicht vergessen, daß tatsächlich viele Regierungen in den Vereinten Nationen sich der Arbeit der NROs widersetzen - besonders Regierungen in Entwicklungsländern.

h) Das Kontrollsystem der Vereinten Nationen mit der "Mobilisierung der Schande" als einziger Sanktion ist völlig unzureichend.

Es wäre wunderschön, ein stärkeres Kontrollinstrument zu haben - aber es gibt nicht viel Hoffnung. Viele, ja die meisten Regierungen würden dies nicht akzeptieren.

i) Nicht zuletzt: was kann IASSID ["International Association for the Scientific Study of Intellectual Disablility", Internationale Vereinigung für das wissenschaftliche Studium geistiger Behinderung] tun, was können die Professionisten tun? Sie sind sich der Situation der meisten Menschen mit Behinderung sehr wohl bewußt, und im besonderen von geistig Behinderten. Sie wissen, daß wir jetzt Taten benötigen (Professor Trevor Parmenter, Präsident der IASSID).

* Was kann Ihre Organisation, was können die Professionisten tun, um Ihre Recherchen wirksamer, Ihre Forschung nutzbringender zu machen? Dazu brauchen Sie langfristige Grundsatzentscheidungen, die zum Handeln führen.

* Was kann Ihre Organisation tun, um Ihre Forschung bekannt zu machen und der Nutzung durch Konsumenten zuzuführen, d. h., durch Personen mit geistiger Behinderung und ihre Familien? Um das zu tun, müssen Sie Ihre Recherchen in einfacher Weise präsentieren und verbreiten.

* Was können Sie tun, um die Professionisten zu veranlasen, Menschenrechte noch nachdrücklicher zu fördern - die Wachmannschaft für die Rechte von Menschen mit geistiger Behinderung zu sein und nie auf der anderen Seite zu stehen?

Ich glaube ganz stark, daß IASSID eine politische Richtung einschlagen, und daß Inclusion International und IASSID sich von nun an noch stärker die Hände reichen sollten in diesem Kampf für Menschenrechte.

Meine Damen und Herren: wir müssen uns alle noch mehr anstrengen, viel mehr. Statt vieler Worte - nehmen wir uns mehr Zeit zum Handeln.

Quelle:

John Evans, Marilyn Golden, Evald Krog, Adolf Ratzka, Victor Wahlström: Gleich.beRECHTigt - "Nicht-Diskriminierung für Behinderte Menschen"

Arbeitstagung, 1./2. November 1996, Tagungsbericht, Veranstalter: INTEGRATION:ÖSTERREICH. Vom EU/HELIOS Programm als "National prioritäre Veranstaltung" gefördert.

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 07.11.2006

zum Textanfang | zum Seitenanfang | zur Navigation