Vielfalt und Teilhabe

Berufliche Teilhabe von Menschen mit (sehr) hohem Unterstützungs- und Begleitbedarf in Vorarlberg/Österreich

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Erschienen in: Zeitschrift für Inklusion, Ausgabe 03/2013 Zeitschrift für Inklusion (03/2013)
Copyright: © Veronika Weissenbach 2013

Vorwort:

„Arbeit ist die Tätigkeit, die den Menschen in Beziehung zur Gesellschaft bringt.“ (Doose 2012, 94)

Menschen mit Behinderung haben laut Vorarlberger Chancengesetz (Land Vorarlberg 2010) und der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung (bmask 2011) ein Recht auf Gleichstellung und Teilhabe in allen Lebensbereichen und somit auch in den Bereichen Arbeit und Beschäftigung.

Das Institut für Sozialdienste (IfS) Vorarlberg unterstützt und begleitet Menschen mit erheblicher Behinderung in der beruflichen Integration auf den ersten Arbeitsmarkt – ganz individuell durch die Angebote IfS-Spagat und IfS-Integrative Wochenstruktur.

Während IfS-Spagat darauf abzielt integrative Arbeitsplätze – also reguläre sozialversicherungspflichtige Dienstverhältnisse – auf dem ersten Arbeitsmarkt einzurichten, begleitet IfS-Integrative Wochenstruktur Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen in Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes und zeigt somit auf, dass Teilhabe am Arbeitsleben auch für diesen Personenkreis möglich ist.

1. Persönliche Zukunftsplanung und Arbeit im Unterstützungskreis als Ausgangspunkt

Beide Angebote des IfS arbeiten mit der Methode der Persönlichen Zukunftsplanung. Die Persönliche Zukunftsplanung „umfasst eine Vielzahl methodischer Planungsansätze, um mit Menschen mit und ohne Behinderung über ihre Zukunft nachzudenken, eine Vorstellung von einer erstrebenswerten Zukunft zu entwickeln, Ziele zu setzen und diese mit Hilfe eines Unterstützungskreises Schritt für Schritt umzusetzen“ (Doose 2011, 3). Persönliche Zukunftsplanung ermöglicht den Betroffenen eine kreative Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Person und im Kontext von IfS-Spagat und der IfS-Integrativen Wochenstruktur Ideen, Interessen und Vorstellungen über die eigene Zukunft im Arbeitsleben zu erkennen, festzuhalten und zu entwickeln. Diese Auseinandersetzung findet zunächst zwischen den TeilnehmerInnen von Spagat und der Integrativen Wochenstruktur und ihren Angehörigen sowie IntegrationsberaterInnen statt, bevor dann die gemeinsame Arbeit im Unterstützungskreis beginnt.

In einem Unterstützungskreis kommen verschiedene Personen zusammen, die die TeilnehmerInnen von Spagat und der Integrativen Wochenstruktur aus verschiedenen Situationen kennen. Die TeilnehmerInnen planen den Unterstützungskreis gemeinsam mit den IntegrationsberaterInnen und wählen die einzuladenden Personen aus. Menschen mit schwerer mehrfacher Behinderung werden dabei oft von ihren Angehörigen unterstützt. Der Unterstützungskreis dient bei IfS-Spagat und der IfS-Integrativen Wochenstruktur vor allem dazu:

  • ein Fähigkeitsprofil zu erstellen,

  • Ideen und konkrete Vorstellungen für die berufliche Integration gemeinsam zu entwickeln,

  • konkrete betriebliche Schnuppermöglichkeiten zu akquirieren,

  • nächste Schritte festzulegen und

  • Aufgaben unter allen Beteiligten aufzuteilen.

Unterstützungskreise werden im weiteren Integrationsprozess bei Bedarf durchgeführt, beispielsweise wenn Veränderungen anstehen oder wichtige Themen gemeinsam bearbeitet werden müssen.

2. Der Integrationsprozess bei IfS-Spagat

Bei IfS-Spagat beginnt anschließend an den ersten Unterstützungskreis die Schnupperphase. Die TeilnehmerInnen haben dann die Möglichkeit verschiedene Bereiche und Tätigkeiten in den Betrieben auszuprobieren und können dabei erkennen, welche Aufgaben ihnen besonders liegen und sie auch in Zukunft ausüben möchten. Das Schnuppern findet ganz unterschiedlich in kürzeren Einheiten verteilt auf mehrere Tage und Wochen oder in längeren Einheiten verteilt auf wenige Tage statt und wird von einem/einer IntegrationsberaterIn begleitet. Das begleitete Schnuppern bietet unter anderem die Möglichkeit ArbeitgeberInnen und Personal über das Angebot umfassend zu informieren, Tätigkeiten für den/die TeilnehmerIn zu finden und zu entwickeln, die Notwendigkeit von Arbeitshilfen zu erkennen sowie den/die TeilnehmerIn direkt vor Ort für die Tätigkeiten zu qualifizieren. Konnte/n am Ende der Schnupperphase ein oder mehrere Betriebe ausfindig gemacht werden, die sich eine Anstellung der TeilnehmerInnen vorstellen können, wird ein integrativer Arbeitsplatz eingerichtet. Anschließend findet eine Einarbeitungsphase statt – der/die Spagat-TeilnehmerIn wird vom/von der IntegrationsberaterIn für die Tätigkeiten vor Ort qualifiziert. Darüber hinaus wird in dieser Zeit eine innerbetriebliche Person ausfindig gemacht, die die MentorInnen-Rolle übernimmt und somit Ansprechpartner vor Ort für den/die Spagat-TeilnehmerIn ist. Nach der Einrichtung eines integrativen Arbeitsplatzes halten IntegrationsberaterInnen sowohl mit ihren KlientInnen als auch mit den beteiligten Betrieben und vor allem den MentorInnen Kontakt um eine langfristige Integration sicherzustellen. Dabei ist es besonders wichtig regelmäßig Betriebsbesuche zu machen, da alltägliche Herausforderungen und Probleme auf diese Weise gut erkannt werden können und Lösungsansätze direkt mit den Beteiligten entwickelt und umgesetzt werden können. Sind die Arbeitsplätze stabil, erfolgt eine Abmeldung der Spagat-TeilnehmerInnen von IfS-Spagat – der/die IntegrationsberaterIn zieht sich zurück. Allerdings können TeilnehmerInnen, Betriebe und Angehörige immer wieder Kontakt zu IfS-Spagat aufnehmen, sollte eine weitere Unterstützung notwendig sein. Je nach Thema und Fragestellung kann in so einem Fall wieder eine Anmeldung bei IfS-Spagat erfolgen.

Der Integrationsprozess gestaltet sich individuell sehr unterschiedlich. Einige Spagat-TeilnehmerInnen finden sehr schnell ihren integrativen Arbeitsplatz, andere Schnuppern zuvor über einen längeren Zeitraum. Die integrativen Arbeitsplätze sind in den verschiedensten Branchen: Einzelhandel (Lebensmittelmärkte), Sozialzentren (Alten- und Pflegeheime, Kindergärten), Bau- und Handwerksbetriebe uvm. Mittlerweile bestehen durch die fast 15-jährige Tätigkeit von IfS-Spagat ca. 250 integrative Arbeitsplätze in Vorarlberg. Spagat-TeilnehmerInnen arbeiten überwiegend Teilzeit, gemäß ihren individuellen Vorstellungen und Bedürfnissen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, an mehreren verschiedenen Arbeitsplätzen (in verschiedenen Betrieben) tätig zu sein, was in einem Dienstverschaffungsvertrag geregelt wird. Dies wird meist dann umgesetzt, wenn ein Betrieb zwar einen integrativen Arbeitsplatz zur Verfügung stellt, aber für den/die Spagat-TeilnehmerIn zu wenig Arbeit im gewünschten Ausmaß anbieten kann.

IfS-Spagat-BeraterInnen unterstützen ihre KlientInnen bei Bedarf auch im Aufbau einer Wochenstruktur – in der es unter anderem auch darum geht, die Freizeit zu gestalten. Dazu gehören unter anderem Informationen über bestehende Bildungs- und Freizeitangebote sowie Kontaktherstellung zu Vereinen.

Die Finanzierung der Integrationsberatung von IfS-Spagat sowie der integrativen Arbeitsplätze wird von der Vorarlberger Landesregierung übernommen. Für die integrativen Arbeitsplätze erhalten Betriebe einerseits einen Lohnkostenzuschuss – der Lohn der Beschäftigten wird entsprechend ihrer Minderleistung (50-90%) gefördert – und andererseits einen Mentorenzuschuss für die Unterstützung durch ArbeitskollegInnen und MentorInnen.

3. »Ich möchte arbeiten – wie meine MitschülerInnen.«

Frau Mayer[1] wurde integrativ beschult und hat sich mit der Unterstützung ihres Lehrers während ihres letzten Pflichtschuljahres an IfS-Spagat gewandt, mit dem Wunsch „Ich möchte arbeiten.“ Frau Mayer hat eine kognitive Behinderung und wurde nach dem erhöhten Sonderpädagogischen Förderbedarf unterrichtet.

Während einiger Gespräche im Rahmen der Persönlichen Zukunftsplanung stelle sich rasch heraus, dass Frau Mayer sehr geduldig, aufmerksam, genau und sozial engagiert ist. Darüber hinaus ist sie sehr offen und wollte verschiedene Arbeitsbereiche und Tätigkeiten kennenlernen. Im Unterstützungskreis mit 16 Personen kamen noch weitere Fähigkeiten und Interessen von Frau Mayer zum Vorschein, weshalb einige Ideen für Schnupperplätze erarbeitet wurden. Frau Mayers Interessen waren sehr breit gefächert, weshalb sie in verschiedenen Bereichen Schnuppern wollte: Lebensmittelhandel, Gärtnerei, Bäckerei, Verkauf, Küche, Sozialzentrum und Kinderspielgruppe. Die Bäckerei und Gärtnerei waren ihre Favoriten. Die ersten Schnuppererfahrungen zeigten aber, dass die Tätigkeiten in diesen Bereichen vor allem körperlich sehr anstrengend für Frau Mayer waren. Zusätzlich forderten diese Betriebe ein für Frau Mayer zu hohes Arbeitstempo.

Frau Mayer hat über einen Zeitraum von neun Monaten in sehr unterschiedlichen Betrieben geschnuppert, bis sie ihre Arbeitsstelle im Lebensmittelgeschäft gefunden hat, in dem sie jetzt 15 Stunden in der Woche arbeitet. Ihre Aufgaben sind unter anderem Waren auspacken und in Regale einräumen, Preisetiketten aufkleben, Regale schlichten, Müll trennen. Frau Mayer ist mit ihrem Arbeitsplatz sehr zufrieden und denkt schon über eine Stundenerhöhung nach.



[1] Namen geändert

4. »Zuhause ist es langweilig.«

Frau Hermann träumte von einem Arbeitsplatz in der Nähe ihres Wohnortes, wobei sie besonders gerne Reinigungsarbeiten durchführt. Nach mehreren Schnuppertagen beim Reinigungspersonal in einem Sozialzentrum in ihrem Wohnort hat sich herausgestellt, dass es seitens des Betriebes momentan nicht möglich ist, dort einen integrativen Arbeitsplatz einzurichten. Die Reinigungstätigkeit hat Frau Hermann aber sehr gut gefallen. Darüber hinaus hat sich herausgestellt, dass Frau Hermann sehr genau arbeitet und sich die vielen Anweisungen über die Verwendung von Reinigungsmitteln und –utensilien auf Anhieb merken konnte.

Nach einer weiteren Akquisephase schnupperte Frau Hermann in einem Sozialzentrum in der Küche, wo sie für Reinigungsarbeiten eingeteilt wurde. Der Küchenchef und die MitarbeiterInnen des Küchen-Teams waren begeistert und stellten Frau Hermann ein.

Zu ihren Aufgaben gehören diverse Reinigungsarbeiten in der Küche. Da dieser Arbeitsplatz einige Kilometer von ihrem Wohnort entfernt ist, stellte der Arbeitsweg zunächst noch eine Herausforderung dar. Die Integrationsberaterin trainierte mit Frau Hermann die Hin- und Rückfahrt mit dem Bus. Frau Hermann erreicht nun – seit einem Monat nach ihrer Einstellung – ihren Arbeitsplatz selbständig.

Auf die Anfrage des Küchenchefs, wann Frau Hermann denn Sommerurlaub nehmen möchte, zuckte sie mit den Achseln und meinte »Zuhause ist es langweilig.

Frau Mayer und Frau Hermann zeigen einerseits, dass der Integrationsprozess – entsprechend der TeilnehmerInnen und der Mitarbeit der Unterstützungskreise – ganz unterschiedlich verlaufen kann. Andererseits wird aber auch deutlich, dass die Spagat-TeilnehmerInnen nach der Eingliederung am ersten Arbeitsmarkt mit der Unterstützung vor Ort ihre Aufgaben in den Betrieben selbständig bewältigen.

Was ist mit Personen, die ihr (Arbeits-)Leben integrativ gestalten wollen, aber einen höheren Unterstützungs- und Begleitbedarf haben?

5. IfS-Integrative Wochenstruktur

Die IfS-Integrative Wochenstruktur ist eine Alternative zur institutionellen Betreuung und ermöglicht Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen die Wahl einer integrativen Lebensgestaltung.

Ausgangspunkt sind die TeilnehmerInnen der Integrativen Wochenstruktur und ihr persönliches Umfeld. Ziel ist die Teilhabe von Menschen mit kognitiver und/oder mehrfacher Behinderung am Leben in der Gesellschaft und an verschiedenen Lebensbereichen. Dafür werden Tätigkeiten, Orte und Aktivitäten genutzt, die den Betroffenen die Möglichkeit eröffnen, in vielfältiger und unterschiedlichster Weise am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Betriebe, öffentliche Einrichtungen und bestehende Freizeitangebote kommen dafür in Frage. Die TeilnemerInnen werden an diesen Orten in eine Tätigkeit eingebunden, erfahren Wertschätzung, erleben sich als Mitglied einer Gruppe, lernen verschiedene Lebensbereiche, Aufgaben und Menschen kennen, mit denen sie sich austauschen können.

Der Aufbau der Integrativen Wochenstrukturen wird von IntegrationsberaterInnen begleitet und unterstützt. Die Vorgehensweise orientiert sich am Integrationsprozess von IfS-Spagat. Nach einer ersten Phase des gegenseitigen Kennenlernens wird mit der Persönlichen Zukunftsplanung begonnen. Anschließend findet der erste Unterstützungskreis statt, indem gemeinsam mit allen Beteiligten Fähigkeiten, Stärken und Interessen für die Zukunftsgestaltung erhoben werden und konkrete Ideen für Betriebe, Tätigkeiten und Aktivitäten erarbeitet und festgehalten werden. Die Erstkontakte zu Betrieben und Institutionen werden von den Mitgliedern des Unterstützungskreises hergestellt. Im Anschluss daran startet die Schnupperphase. Sind Betriebe und Aktivitäten für eine Integrative Wochenstruktur gefunden, wird ein Wochenplan zusammengestellt, der die Grundlage für die weitere Umsetzung darstellt. Der Wochenplan orientiert sich an einer fünftägigen Arbeitswoche mit üblichen Arbeitszeiten.

Die langfristige Umsetzung der Aktivitäten im Rahmen einer Integrativen Wochenstruktur erfolgt durch sogenannte PersonenbegleiterInnen, die ihre KlientInnen auf dem Hin- und Rückweg zu den Betrieben und Aktivitäten begleiten und vor allem auch vor Ort unterstützen.

Sowohl der Aufbau der Integrativen Wochenstrukturen und die weiterführende Koordination durch IntegrationsberaterInnen als auch die langfristige Umsetzung durch PersonenbegleiterInnen wird von der Vorarlberger Landesregierung finanziert.

6. »Ich bin gerne unterwegs!«

Frau Müller begann während ihres Besuches einer Berufsvorschule nach der Durchführung von Persönlicher Zukunftsplanung, eines Unterstützungskreises und der erfolgreichen Kontaktaufnahme mit zwei Betrieben, in diesen zu schnuppern und lernte im Zuge dessen die Tätigkeitsfelder in einem Seniorenhaus und einem Bildungshaus kennen. Das Schnuppern in Begleitung der Integrationsberaterin erfolgte zu Schulzeiten einmal wöchentlich für zwei Stunden über mehrere Monate.

Nach Abschluss der Berufsvorschule wurde eine Integrative Wochenstruktur mit Frau Müller eingerichtet. Im Rahmen der Integrativen Wochenstruktur kann Frau Müller jetzt regelmäßig an diversen Tätigkeiten in den beiden Betrieben teilhaben. Ihre Integrative Wochenstruktur umfasst 30 Stunden. Sie verbringt vier Vormittage in der Woche im Seniorenhaus und einen Vormittag im Bildungshaus. Im Seniorenhaus gefallen ihr ganz besonders die Tätigkeiten in der Wäscherei, was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass die Wäscherei-Mitarbeiterin stets freundlich und gut gelaunt ist. Die Wäscherei-Mitarbeiterin war von Anfang an davon begeistert, dass Frau Müller einen Teil ihrer Zeit im Seniorenhaus in der Wäscherei verbringt. Die beiden Frauen verstehen sich sehr gut. Frau Müller ist dort für das Falten der Handtücher, Stapeln der Waschtücher und Bügeln der Geschirrtücher zuständig. Darüber hinaus kann Frau Müller an Tätigkeiten in der Cafeteria und im BewohnerInnen-Bereich teilhaben.

Die Begleitung erstreckt sich dabei von der Abholung zu Hause, die Anfahrt in den Betrieb über die Unterstützung bei der Durchführung der Tätigkeiten im Betrieb, bis zum Heimweg. Hin- und Rückfahrt zu den Betrieben erfolgt jeweils mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Frau Müller wird derzeit von drei Begleitpersonen begleitet.

Im Bildungshaus begleitet Frau Müller meist das Reinigungsteam und hilft je nach anfallenden Aufgaben bei der Reinigung der Gästezimmer (Betten abziehen, Handtücher auswechseln, Wäsche verteilen, Müll leeren) sowie bei leichten Reinigungs- und Dekorationsarbeiten im Haus mit. Das Reinigungsteam ist stets gemeinsam im Haus unterwegs – Frau Müller ist dort voll in das Team integriert. Die Mitarbeiterinnen des Reinigungsteams überlegen immer sorgfältig, welche Aufgaben sie an dem Tag erledigen, an dem Frau Müller bei ihnen ist, damit sichergestellt ist, dass sich Frau Müller auch beteiligen kann. Darüber hinaus unterstützt Frau Müller im Bildungshaus gelegentlich das Küchenteam beim Abtrocknen und Sortieren von Geschirr sowie beim Tischdecken.

7. »Ich bin gerne unter Leuten!«

Herr Schuster hatte bereits vor dem Einrichten einer Integrativen Wochenstruktur eine bestehende Wochenstruktur, in der er an den Tätigkeiten in einer Pfarrgemeinde und einem Museum teilhaben konnte.

Im Rahmen der Persönlichen Zukunftsplanung und einem Unterstützungskreis wurde ein Fähigkeitsprofil erstellt und Ideen für weitere Bestandteile seiner Integrativen Wochenstruktur gesammelt. Auf dieser erweiterten Grundlage wird die bestehende Wochenstruktur überarbeitet. Herr Schuster verbringt einen Vormittag in der Küche eines Seniorenhauses. Dort unterstützt er gemeinsam mit seinem Personenbegleiter die Mitarbeiterinnen unter anderem beim Abwaschen des Frühstückgeschirrs, beim Servieren der Vorspeise, bei der Reinigung der Servierwägen. Einen weiteren Vormittag ist Herr Schuster im Pfarrbüro. Er ist für das Kaffee-Kochen und Kuvertieren der Post zuständig. Während des Vormittags ist eine Mitarbeiterin des Pfarrbüros Ansprechperson für Herrn Schuster. Nach dieser Tätigkeit wird Herr Schuster von seinem Personenbegleiter abgeholt. Die beiden gehen dann zum Mittagessen gemeinsam in die Stadt. Ein weiterer Vormittag assistiert Herr Schuster einer Museumspädagogin in einem Museum. Hier bereitet er unter anderem eine Jause für die Schulkinder vor oder stellt Buntstifte bereit. Nach dem gemeinsamen Mittagessen mit den anderen MuseumsmitarbeiterInnen wird er von seinem Personenbegleiter abgeholt, um am Nachmittag Laufen, Schwimmen oder ins Fitness-Studio zu gehen.

Herr Schuster wird während seiner Integrativen Wochenstruktur von zwei Personenbegleitern begleitet, wobei Herr Schuster einige Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln selbständig bewältigt. Seine Integrative Wochenstruktur umfasst 20 Stunden.

Die Integrativen Wochenstrukturen sind sehr unterschiedlich, da sie individuell nach den Bedürfnissen und Interessen der Betroffenen und ihrer Angehörigen aufgebaut und zusammengestellt werden. Darüber hinaus besteht stets die Möglichkeit, die Integrative Wochenstruktur an veränderte Bedürfnisse und Rahmenbedingungen anzupassen.

Die IfS-Integrative Wochenstruktur wurde in einem zweijährigen Pilotprojekt (2011-2013) erprobt. Seit heuer ist sie ein reguläres Angebot der Vorarlberger Behindertenhilfe. Derzeit setzen sieben Personen ihre individuelle Integrative Wochenstruktur um. Fünf weitere Personen befinden sich im Aufbau einer Integrativen Wochenstruktur.

8. Fazit

IfS-Spagat und IfS-Integrative Wochenstruktur zeigen, dass Integration und Teilhabe auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich ist – ganz individuell und vielfältig. Personenzentrierung, Sozialraumorientierung und vor allem die Menschen, die unseren TeilnehmerInnen und unserem Anliegen offen und herzlich begegnen, leisten dazu einen großen Beitrag. Denn meist sind es weniger die Orte, Betriebe oder Tätigkeiten an sich, die unsere TeilnehmerInnen begeistern, sondern die Menschen mit denen sie zusammen arbeiten und Zeit verbringen.

9. Literatur

Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (2011). UN-Konvention. Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und Fakultativprotokoll. Wien.

Doose, Stefan (2011). I want my dream! Persönliche Zukunftsplanung. Neue Perspektiven und Methoden einer personenzentrierten Planung mit Menschen mit Behinderung. Kassel: Netzwerk People First Deutschland e.V., 9. überarbeitete und erweiterte Neuauflage.

Doose, Stefan (2012). Persönliche Zukunftsplanung in der beruflichen Orientierung für Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung. In: Leben mit Behinderung Hamburg (Hrsg.). Ich kann mehr! Berufliche Bildung für Menschen mit schweren Behinderungen. Hamburg: 53° Nord, 2. Auflage, 93 – 111.

Land Vorarlberg (2010). Gesetz zur Förderung der Chancengleichheit von Menschen mit Behinderung (Chancengesetz). Online: http://www.behinderung-vorarlberg.at/SiteCollectionDocuments/2009/Chancengesetz%20des%20Landes%20Vorarlberg.pdf (Stand: 14.02.2013).

Quelle

Veronika Weissenbach: Vielfalt und Teilhabe – Berufliche Teilhabe von Menschen mit (sehr) hohem Unterstützungs- und Begleitbedarf in Vorarlberg/Österreich. Erschienen in: Zeitschrift für Inklusion, Ausgabe 03/2013, http://www.inklusion-online.net/ , ISSN 1862-5088 Erschienen in: Zeitschrift für Inklusion, Ausgabe 03/2013

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 06.03.2015

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