Arbeit und Behinderung

Integration/Inklusion von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt

Autor:in - Sascha Plangger
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Erschienen in: Zeitschrift für Inklusion, Ausgabe 03/2013 Zeitschrift für Inklusion (03/2013)
Copyright: © Sascha Plangger 2013

1. Entwicklungen am Arbeitsmarkt

Die im Jahr 2008 aufflammende Finanz- und Wirtschaftskrise, die sich wie ein Lauffeuer verbreitete, hält Europa weiterhin fest im Griff. Die Arbeitslosenquote in der Eurozone, als direkte Folge der Krise, beträgt derzeit 12%. 19,21 Millionen Menschen sind demnach ohne Arbeit. Stark betroffen sind vor allem die südlichen Mitgliedsstaaten. Epidemische Ausmaße erreichte in den letzten Monaten die Jugendarbeitslosigkeit. In Griechenland beträgt diese derzeit 59,1%, in Spanien 55,9% und in Italien 38,4%. Für viele Menschen steigt das Risiko in Armut und Ausgrenzung leben zu müssen. (vgl. Europäischer Sozial- und Beschäftigungsbericht 2012).

Eine Arbeit zu haben, scheint für viele EU-Bürgerinnen und Bürger eher die Ausnahme zu werden als die Regel. Es drängt sich die Frage auf, wie Menschen, die als nicht so leistungsfähig, so flexibel und als nicht so gut ausgebildet gelten oder in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, unter den gegebenen Bedingungen eines meritokratischen Leistungs- und Wirtschaftsregimes, überhaupt einen Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Verschärft wird diese Situation durch die Strategien zur Eindämmung der Krise, die auf die Umgestaltung gesellschaftlicher und sozialer Strukturen zielen, die auf die Kräfte des freien Marktes setzen und zu einer umfassenden „Unterminierung von menschlicher und sozioökonomischer Sicherheit“ (Altvater 2011, 14) führen.

Die von den europäischen Staaten erlassenen Programme und Sparmaßnahmen zur Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskrise und zur Sanierung der hochverschuldeten Staatshaushalte, die durch die Rettung der maroden Banken entstanden sind, verursachen härter werdende Verteilungskämpfe, um die immer knapper werdenden Finanzmittel. Im Visier der sparpolitischen Reformen stehen vor allem die kostenintensiven Bereiche wie Sozialschutz (Renten- und Krankenversicherung), Sozialleistungen, Gesundheit und Bildung. Hier wird der Rotstift angesetzt, um Ausgaben und weitere Verschuldungen einzudämmen. Damit werden jedoch jene Bevölkerungsschichten am härtesten getroffen, die auf diese Leistungen am wenigsten verzichten können. Es „deutet vieles darauf hin, dass sich die soziale Zerklüftung der Gesellschaft erheblich verschärfen wird. Zu den fatalen Folgen der Weltfinanzwirtschaftskrise dürften eine auf Rekordniveau steigende Arbeitslosigkeit, die zunehmende Verelendung von Millionen Menschen, eine dramatische Verschuldung aller Gebietskörperschaften des Staates, d.h. >>öffentliche Armut>> in einem vorher nicht bekannten Ausmaß gehören“ (Butterwegge, 2011, 244). Die Folgen sind dramatisch, durch die sich „die gesellschaftlichen Abstufungen kenntlich machen, in denen sich die Veränderungen in der Erwerbsarbeit, den sozialen Nahbeziehungen und den sozialstaatlichen Regelungen auf soziale Zugehörigkeit und soziale Kohäsion auswirken (…)“ (Kronauer 2010, 53).

Davon besonders betroffen sind Menschen mit Behinderungen. Die negativen Auswirkungen der sparpolitischen Maßnahmen im Zuge der Finanzkrise sind in vielen Bereichen der Sozial- und Behindertenpolitik drastisch spürbar (vgl. ECF 2012, 11). Sie wirken sich, so die International Labour Organization, vor allem auf den Beschäftigungssektor aus. Staatliche Ausgaben für Beschäftigungsprogramm für Menschen mit Behinderungen wurden in den letzten Jahren zurückgefahren und die Integrationsquoten sinken kontinuierlich (vgl. ILO 2009) Im Jahr 2009 betrug, im Vergleich zur Gesamtbeschäftigungsquote von 70%, die durchschnittliche Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderungen in den Mitgliedsstaaten der EU lediglich 45,8%. Und die durchschnittliche Arbeitslosenquote war doppelt so hoch wie die von nichtbehinderten Personen. Dabei fällt auf, dass Frauen mit Behinderungen deutlich niedrigere Beschäftigungsquoten als Männer aufweisen und sie zugleich im höheren Maße von Arbeitslosigkeit betroffen sind (vgl. ANED 2011, 14ff.). Die Vergleichszahlen zur Situation vor 2007 bestätigen, dass durch die Krise ein spürbarer Abwärtstrend in der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen eingesetzt hat, der sich laut Prognosen fortsetzten wird (vgl. ECF 2012a, 20).

2. Die Unterminierung sozialer Sicherheit

Soziale Sicherungssysteme und Unterstützungsleistungen werden durch die knapper werdenden finanziellen Mittel zunehmend zurückgefahren, reduziert oder gar ausgesetzt. Immer mehr Menschen mit Behinderungen werden ihrer sozialen Grundrechte beraubt. Dieser schleichende Prozesse der Enteignung (vgl. Harvey 2007, 43ff) steht wiederum in direkter Verbindung mit der zunehmenden Privatisierung des sozialen Sektors. Durch Privatisierung und durch die Rückbindung sozialer Leistungen auf Effizienzkriterien und betriebswirtschaftliche Standards, geraten kostspielige Unterstützungsformen unter Legitimierungsdruck. „Die Konsequenz der Unterordnung der sozialen Systeme unter den Markt bedeutet deren Zerstörung (Altvater 2012, 130)“, denn privat konkurrierende Dienstleister, werden kaum daran interessiert sein, kosten- und zeitintensive Unterstützungsleistungen, die sich finanziell nicht rechnen, für Menschen mit einem komplexen Unterstützungsbedarf sicher zu stellen.

Die Ökonomisierungs-, Einsparungs- und Rationalisierungsbestrebungen sind, so die Ergebnisse des Berichts des European Foundation Centres (ECF 2012), auch in anderen Zusammenhängen bemerkbar. Im Zuge der Krisenprogramme wurden vor allem auch Einschnitte im Personalbereich, der als außerordentlich hoher Kostenfaktor zu Buche schlägt, vorgenommen. Einsparungen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung, sowie der Abbau von MitarbeiterInnen und die Zunahme von Teilzeitverträgen und befristeten, teilweise auch prekären Beschäftigungsverhältnissen im sozialen Sektor, sind Indizien, dass die Effizienzpolitik Wirkung zeigt (vgl. Dahme/Wohlfahrt 2009, 167).

Durch die steigende Arbeitslosigkeit, durch die Reduzierung und Einstellung von Diensten, durch Personalabbau, durch die Senkung von Qualitätsstandards im Sozialbereich, durch die damit verbundenen verschärften Zugangsvoraussetzungen zu sozialen Leistungen und Angeboten, durch diese tiefgreifende Umgestaltung der sozialen Sicherungssysteme und einer damit verbundenen wachsenden Kluft zwischen den Bedürfnissen behinderter Menschen und den für sie zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln und Hilfen, riskieren immer mehr behinderte Menschen in die Zone der „Entkoppelung und Exklusion“ (Kronauer 2010, 54) abzurutschen. Ein weiterer Beweis dafür kann auch in den steigenden Zahlen zur Armutssituation von Menschen mit Behinderungen, im Zeitraum zwischen 2008 und 2010, gesehen werden. Jede fünfte Person mit Behinderung (21,1%) lebt in der EU, im Vergleich zur nichtbehinderten Bevölkerung mit 14,9%, in Armut (ECF 2012a, 5).

Ein weiterer negativer Effekt, verursacht durch die strengen Sparprogramme, der im Bericht „Assessing the Impact of European Governments‘ Austerity Plans on the Rights of Peple with Disability“ (ECF 2012) kritisiert wird, ist eine wiederkehrende Hinorientierung zu standardisierten und institutionellen Dienstleistungen und zu dem damit einhergehenden Ziel, eine größere Anzahl von HilfeempfängerInnen mit weniger Ressourcen und finanziellen Mitteln zu versorgen (vgl. ECF 2012a, 8). Ein selbstbestimmtes Leben in der Gemeinschaft werden sich daher nur noch zahlungskräftige KundInnen leisten können, wenn die Kosten für die Inanspruchnahme von Dienstleistungen zunehmend den betroffenen Personen oder ihren Familien überantwortet werden. Insgesamt laufen die Entwicklungen in eine sehr rückwärtsgewandte Richtung, sie legitimieren verstärkt wieder Versorgungsstrukturen und institutionelle Denkweisen und Handlungsmuster, die sich am medizinischen Modell von Behinderung ausrichten. Forderungen nach Selbstbestimmung, Inklusion und Nichtdiskriminierung, die der UN-Behindertenrechtskonvention als unteilbare Menschenrechte zugrunde liegen, werden dadurch in Frage gestellt.

Oliver und Barnes (2012) konstatieren diesen durch die Wirtschaftskrise forcierten Entwicklungen, die sich über zentralen Errungenschaften der letzten Jahren hinwegsetzen - Errungenschaften, die durch die Behindertenbewegung erkämpft wurden und als zentrale menschenrechtliche Forderungen in die UN-Behindertenrechtskonvention eingegangen sind - eine inhärente Logik, die im kapitalistischen und neoliberalen System, selbst angelegt ist. Sie heben hervor, dass die politischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise lediglich dazu dienen, das Finanzkapital zu retten und die kapitalistische Klasse und den Neoliberalismus zu stützen, die die staatlich garantierten Sozialleistungen und den Sozialstaat insgesamt in Frage stellen, der nun mehr denn je Gefahr läuft, demontiert zu werden (vgl. Oliver/Barnes 2012, 146). Wie Castel betont, stehen wir heute vor der Rückkehr in eine Welt, in der soziale Probleme wieder individualisiert werden und Behinderung als persönliches Schicksal und als Interventionsfläche medizinischer und fürsorglich paternalistischer Maßnahmen verhandelt wird (vgl. Castel 2011, 159). Durch die Finanzkrise offenbart das neoliberale Regime sein wahres Gesicht in Form der Individualisierung und Medikalisierung sozialer Problemlagen, die nach Oliver und Barnes, aus der Entwicklungslogik der kapitalistischen Gesellschaftsordnung entspringen.

3. Kapitalismus, Individualisierung und Behinderung

Durch die Etablierung kapitalistischer Produktionsweisen wurden die Menschen dem Diktat der Ökonomisierung und Individualisierung unterworfen und gezwungen, ihre Arbeitsfähigkeit und Leistungsbereitschaft – also die eigene Arbeitskraft als Ware – am freien Arbeitsmarkt anzubieten, sowie durch Selbstdisziplinierung die „raumzeitliche Logik des kapitalistischen Produktionsprozesses hin[zu]nehmen“ (Harvey 2011, 172). Diejenigen, die sich den Anforderungen nicht fügen konnten oder wollten, wurden als absonderliche, asoziale und abnormale Menschen deklassiert und in „Irrenanstalten und Gefängnissen eingekerkert. (…). >>Normal<< ist nur, wer diese besondere raumzeitliche Disziplin akzeptiert, die der kapitalistischen Produktionsweise entspricht“ (ebd., 172) Beim ‚Abweichenden und Abnormen‘ handelt es sich wie Foucault herausstellt, um eine „spezifisch kapitalistische Ausprägung“ (Foucault 2003, 632). Seit dem Beginn der Industrialisierung und dem Siegeszug des Kapitalismus reduziert sich der Wert des Individuums auf seine Arbeitskraft. Der Mensch wird auf sich selbst, auf die eigenen, ihm innewohnenden‘ geistigen und physischen Kräfte zurückgeworfen.

Die Antithese zur Arbeits- und Leistungsfähigkeit und ihrer Verwertbarkeit im Produktionsprozess (ability) bildet das gesellschaftliche Konstrukt der Behinderung (disability). Medikalisierung und die Pathologisierung von Behinderung sind dabei gezielte Strategien, um soziale Ungerechtigkeit und Ungleichheit zu kaschieren. Damit verbundene kompensations- und rehabilitationsorientierte Politiken (vgl. Maschke 2008, 59) und Konzepte der Normalisierung als Aufforderung an die Personen, sich gesellschaftlichen Werten anzupassen, waren und sind dabei hochkompatibel mit den kapitalistischen Interessen, das ‚Problem der Behinderung‘ zu individualisieren und zu depolitisieren. „The idea of disability as individual pathology only becomes possible when we have an idea of individual, able-bodiedness/mindedness‘, even if such an idea becomes part of taken-for-granted reality and is rarely questioned. The contemporary concept of disability is clearly linked to the rise of industrial capitalism and the development of wage labour requiring a specific kind of individual, namely, one able to operate dangerous machinery in competition with his peers.“ (Oliver/Barnes 2012, 82)

Wie oben dargestellt, zeichnen sich heute wieder Tendenzen ab, die vermuten lassen, dass die Verbindungslinien zwischen Kapitalismus, Ausschluss und Behinderung umso stärker hervortreten, je mehr sich die Finanz- und Wirtschaftskrise zuspitzt. Vor allem, was die Situation am Arbeitsmarkt anbelangt, kommt die janusköpfige Gestalt des Kapitalismus deutlich zum Vorschein. Individualisierung und Kommodifizierung bewirkten von Beginn der Industrialisierung bis heute einen systematischen Ausschluss von nicht-leistungsfähigen (disabled) Personen. Diese Dynamik erreichte in den letzten Jahren aufgrund der Deregulierung des Arbeitsmarktes eine neue Stufe, und nicht alle Menschen „sind für diese Veränderungen […] gleichermaßen gewappnet. Sie kommen vor allem denen zugute, die zur Bewältigung von zunehmend wettbewerbsorientierten Situationen verschiedene Voraussetzungen mitbringen, eine gute Ausbildung, soziale Kompetenzen. Die anderen müssen für diese Individualisierung mit der Entwertung ihrer früheren Kompetenzen und der Unfähigkeit des Erwerbens von neuen bezahlen: Sie werden durch diese neuen Spielregeln zu Verlierern. Für sie äußert sich die Individualisierung in der Zersplitterung der Tätigkeiten, im Zerfall der kollektiven Sicherheiten und sogar in der Ausstoßung aus produktiven Zusammenhängen und in sozialer Isolation, jener Form gesellschaftlicher Nutzlosigkeit, die heute >>Exklusion<< genannt wird.“ (Castel 2011, 70) Liberale Diskurse, die Deregulierung propagieren und soziale Problemlagen individualisieren, berufen sich gern auf individualistische Werte. „Sie scheinen nötig zu sein, weil es einer Generalmobilmachung aller individuellen Kräfte bedarf, um in einer globalisierten, der Konkurrenz aller gegen alle ausgesetzten Ökonomie wettbewerbsfähig zu bleiben. Anspruchsvolle sozialpolitische Maßnahmen erscheinen dann als Hemmnisse, aufgrund der als exorbitant eingeschätzten Kosten, und vor allem als Fesseln für die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen.“ (Castel 2011, 204)

In einer Gesellschaft, in der die einzelnen Individuen um die immer knapper werdenden Arbeitsplätze auf einem immer höheren Niveau konkurrieren, wo sich die Zonen der Exklusion und Entkoppelung beständig ausweiten und die Lebensrealitäten der Menschen von der Logik des Kapitals und von den Finanzmärkten beherrscht werden, scheinen die Forderungen nach Inklusion, wie sie der UN-Behindertenrechtskonvention zugrunde liegen, eher ein politisches Lippenbekenntnis zu bleiben. „Whilst the Convention may be seen as a major step forward in the struggle for equality is it provides a comprehensive list of what needs to be done to eliminate disablism, there is little on how this is to be achieved by way of enforcement. As yet there is little sign that it has had any significant impact on securing disabled people’s individual or social rights within and across nation states.“ (Oliver/Barnes 2012, 150) Bereits Marx kritisierte diese der Wirklichkeit der Menschenrechte inhärente Problematik, und in Anlehnung daran betonen Oliver und Barnes, dass die Idee der individuellen und sozialen Rechte einem kapitalistischen Denken entspringt (ebd. 151). Am Beispiel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 zeigt Harvey, dass diese ein grundlegendes Dokument des bürgerlichen, marktwirtschaftlichen Individualismus [ist] und […] daher nichts dazu beitragen kann, den liberalen oder neoliberalen Kapitalismus auf kompromisslose Weise zu kritisieren.“ (Harvey 2011, 63) In Bezug auf die materielle Absicherung bleibt die UN-Behindertenkonvention daher auch sehr vage. Im Artikel 28 wird lediglich das Recht auf Grundversorgung zum Ausdruck gebracht, das kontextgebunden unter Berücksichtigung der länderspezifischen Situationen und Sozialhilfesysteme sehr zurückhaltend ausbuchstabiert wird, was für Menschen mit Behinderungen in letzter Konsequenz bedeutet, dass sie auf den Status von SozialhilfeempfängerInnen verwiesen werden.

4. Politik der Anerkennung und Umverteilung

Anerkennungspolitiken mit Rekurs auf Menschenrechtsfragen ignorieren die materielle Dimension sozialer Ungerechtigkeit und bleiben gegenüber Umverteilungsforderungen oft indifferent. Aber: „Solange Anerkennungsforderungen die Problematik der Umverteilung aussparen, lässt sich die durch die existentiellen Unsicherheiten der flüchtigen Moderne erzeugte Zunahme individueller Besorgnis aus dem Bereich der Politik fernhalten, indem man ihren sozialen Ursprung ignoriert.“ (Bauman 2009, 107) Nach Nancy Fraser erfolgte diese Entkoppelung von Umverteilung und Anerkennung durch die Vormachtstellung einer kulturorientierten Politik der Differenz, die zu dem Zeitpunkt erfolgte, als der Neoliberalismus nach dem Zusammenbruch des Ostblocks seinen weltweiten Siegeszug antreten konnte. „Eine allgemeine Entkoppelung hat die kulturorientierte Politik der Anerkennung von der Sozialpolitik der Umverteilung gelöst. Außerdem haben Forderungen nach Gleichheit trotz aggressiver Durchsetzung marktförmiger Beziehungen in allen Lebensbereichen und stark gestiegener sozialer Ungleichheit ihren zentralen Stellenwert eingebüßt.“ (Fraser 2001, 13) Und Bauman betont, dass „[a]uf dem Weg zur >>kulturalistischen<< Variante des Menschenrechts auf Anerkennung […] das ungelöste Problem des Menschenrechts auf Wohlstand und ein würdiges Leben über Bord geworfen [wird].“ (Bauman 2009, 108) Diese kulturelle Variante einer linken Politik - so Rorty in überspitzter Form - „beschäftigt sich mehr mit dem Stigma als mit dem Geld, mehr mit tiefliegenden und verborgenen psychosexuellen Motiven als mit prosaischer und offensichtlicher Habsucht.“ (Rorty 1999, 75; vgl. dazu auch Bude 2008, 25)

Die Schwerpunktverlagerung in den Diskursen von der Umverteilung bzw. der politischen Ökonomie von Behinderung hin zu ihrer kulturellen Variante lässt sich auch innerhalb der Behindertenbewegung und parallel dazu in den Disability Studies nachverfolgen (Vgl. Plangger/Schönwiese 2012). Während das soziale Modell von Behinderung, das in den ‚Fundamental Principles of Disability‘ von der Union of the Physically Impaired Against Segregation (vgl. UPIAS 1997) 1975 erstmals formuliert wurde und in der britischen Variante von verschiedenen WissenschaftlerInnen und BehindertenaktivistInnen zu einem sozioökonomischen Modell auf der Grundlage materialistischer Theorieansätze ausgearbeitet wurde (vgl. Oliver 1981, 1983; Finkelstein 1980; Barnes 1991; Oliver/Barnes 2012, 164), entwickelten AktivistInnen und WissenschaftlerInnen in den USA einen kulturorientierten Ansatz, der die Anerkennung von Menschen mit Behinderung als minoritäre Gruppe sowie die Zuerkennung von Bürger- und Menschenrechte einforderte (vgl. Goodley 2011, 12). Dieser menschenrechtsorientierte, differenzsensible und anerkennungstheoretische Ansatz erreichte seinen vorläufigen Höhepunkt in der Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention. In Abgrenzung zum sozialen Modell sowohl in seiner sozioökonomischen als auch in seiner politischen und menschenrechtsorientierten Ausprägung wurde in den akademischen Disability Studies unter Berücksichtigung poststrukturalistischer Theorien ein kulturwissenschaftliches Modell etabliert, das kulturelle Produktionsmechanismen von Behinderung in den Blick nimmt. Es geht dabei „um ein vertieftes Verständnis der Kategorisierungsprozesse selbst, um die Dekonstruktion der ausgrenzenden Systematik und der mit ihr verbundenen Realität. Nicht nur Behinderung, sondern auch ihr Gegenteil, die gemeinhin nicht hinterfragte >Normalität< soll in den Blickpunkt der Analyse rücken.“ (Waldschmidt 2005, 25) Methodisch wird dabei auf das Verfahren der Dekonstruktion zurückgegriffen, um „hegemoniale, durch Normen und Zwänge geprägte Machtverhältnisse in Diskursen“ (Degele 2008, 103) aufzuspüren. Kritik ruft dieser Ansatz insofern hervor: „While these analyses of changing linguistic-discursive practices or ways of knowing have added a different dimension to disability theory, the deconstruction of particular discourses around impairment and disability has been generally inaccessible to a non-academic audience and also politically benign” (Oliver/Barnes 2012, 99).

Um die Diskrepanz zwischen ökonomischen und kulturellen Ansätzen und den Widerstreit zwischen den verschiedenen Positionen zu lösen, entwirft Nancy Fraser eine Theorie der Gerechtigkeit, die sowohl Umverteilungs- als auch Anerkennungsfragen berücksichtigt und gleichzeitig politisch wirkungsvoll sein soll. Sie veranschaulicht ihre Theorie der Gerechtigkeit am Beispiel von drei Großgruppen, die sie auf einer Linie zwischen Umverteilung und Anerkennung lokalisiert. Am Umverteilungspol siedelt sie die Großgruppe an, die nach dem Modus der Klassenzugehörigkeit differenziert ist. Soziale Ungerechtigkeit durch Ausbeutung und ökonomische Unterdrückung kann dabei durch Umverteilungsstrategien behoben werden. Was unterdrückte Klassen nicht brauchen, so Fraser, ist die Anerkennung ihrer Differenz (Vgl. Fraser 2001, 36), wie sie derzeit in den Klassismusdebatten (vgl. Kemper/Weinbach 2009) en vogue sind. Für die zweite Gruppe wählt sie das Beispiel der verachteten Sexualität als Folge kultureller Werteschemata. Strategien gegenüber Homophobie liegen in der Anerkennung. „Die Überwindung von Homosexuellenfeindlichkeit und Heterosexismus verlangt einen Wandel kultureller Wertungen […], aufgrund deren wir die Heterosexulaität privilegieren […]“(Fraser 2001, 38). Die dritte Großgruppe ist nach einem zweiwertigen Modus differenziert. Soziale Ungerechtigkeit hat dabei sowohl eine ökonomische als auch eine kulturelle Dimension. Soziale Gerechtigkeit bei zweiwertigen Großgruppen verlangt sowohl Anerkennungs- als auch Umverteilungsstrategien.

Menschen, die unter die Differenzkategorie ‚Behinderung‘ fallen, können als zweiwertige Großgruppe betrachtet werden, da sie einerseits als >>ökonomische Gruppe<< Ungerechtigkeit in Form von hoher Arbeitslosigkeit und Armut erfahren und andererseits ihnen als >>Statusgruppe<< durch gesellschaftliche Abwertungs- und Stigmatisierungsprozesse Anerkennung verwehrt bleibt.

Fraser trifft nun im Hinblick auf Anerkennungs- und Umverteilungsstrategien eine zusätzliche Unterscheidung zwischen affirmativen und transformativen Maßnahmen. Affirmative Anerkennungspolitiken laufen dabei Gefahr, Differenzverhältnisse zu verschärfen, indem sie Identitäten fixieren und verdinglichen (vgl. Dederich 2012, 52). Affirmative Umverteilungsmaßnahmen, die ökonomische Ungerechtigkeiten lediglich in ihrem Endstadium auszugleichen versuchen, gehen mit aktuellen aktivierungspolitischen Strategien und Workfare-Programmen einher, die durch Zwang und Kontrolle die Hilfeempfänger aktiv in die Pflicht nehmen, an ihrer Situation was zu verändern. Dahinter steckt die Ideologie von einer Sozialpolitik als Investition, die sich lohnen muss. Dergestalt lassen affirmative Maßnahmen nach Fraser, im Gegensatz zu transformativen Maßnahmen, die Ursachen für soziale Ungerechtigkeit unberührt, die nämlich in den gesellschaftlichen Tiefenstrukturen eingelagert sind (vgl. Fraser 2011, 47). Transformative Umverteilungsstrategien setzten an der Umgestaltung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse an. „Durch die Neuordnung der Produktionsverhältnisse würden diese Maßnahmen nicht bloß an der Endverteilung von Konsumanteilen etwas ändern; sie würden auch die gesellschaftliche Arbeitsteilung und somit die Existenzbedingungen für jeden einzelnen oder jede einzelne wandeln.“ (Fraser 2001, 51) Transformative Maßnahmen im Bereich der Anerkennung setzten auf Strategien der Dekonstruktion, wodurch Gegensätze und Statusdifferenzierungen destabilisiert werden, die den kulturellen Wertemustern zugrunde liegen und die damit die Selbstidentität aller verändern würden (vgl. Fraser 2003, 104).

Fraser stellt die Frage nach Gerechtigkeit in ein neues Verhältnis, indem sie Bedingungen und Normen definiert, die allen Menschen erlauben, an der Gesellschaft als gleichberechtigte Partner teilzuhaben. Der normative Kern ihrer Konzeption liegt daher in der Forderung nach partizipatorischer Parität (vgl. Fraser 2003, 54):

„Damit die partizipatorische Parität möglich werden kann, müssen, wie ich behaupte, mindestens zwei Bedingungen erfüllt sein. Zum einen muss die Verteilung materieller Ressourcen die Unabhängigkeit und das >>Stimmrecht<< der Partizipierenden gewährleisten. Diese will ich die objektiven Bedingungen partizipatorischer Parität nennen. Diejenigen Formen und Ebenen ökonomischer Abhängigkeit und Ungleichheit, die die Parität der Beteiligung erschweren, schließt sie von vornherein aus. Von vornherein ausgeschlossen sind deshalb auch die gesellschaftlichen Strukturen, die Verelendung, Ausbeutung und schwerwiegende Ungleichheiten in Sachen Wohlstand, Einkommen und Freizeit institutionalisieren und dabei einigen Menschen die Mittel und Gelegenheiten vorenthalten, mit anderen als Ebenbürtige zu interagieren. Die zweite Bedingung verlangt dagegen, dass institutionalisierte kulturelle Wertmuster allen Partizipierenden den gleichen Respekt erweisen und Chancengleichheit beim Erwerb gesellschaftlicher Achtung gewährleisten. Das will ich die intersubjektive Bedingung partizipatorischer Parität nennen. Diese schließt institutionalisierte Normen aus, die einige Gruppen und mit ihnen verbundenen Qualitäten systematisch herabsetzen. Daher werden von vornherein alle institutionalisierten Wertschemata ausgeschlossen, die einigen Leuten den Status eines vollberechtigten Partners in der Interaktion vorenthalten – sei es, indem ihnen in übertriebenen Maße eine >>Andersartigkeit<< zugeschrieben wird, sei es, indem man es versäumt ihnen ihre Besonderheit zuzubilligen.“ (Fraser 2003, 55)

Fraser plädiert für die Kombination aus transformativen Umverteilungs- und Anerkennungsstrategien und partizipatorischer Parität. Hierin liegt auch die wesentliche politische Sprengkraft ihres Konzepts, denn „mit dieser Kombination [wird] die Bildung von Koalitionen denkbar am besten gefördert. Angesichts der Vervielfältigung sozialer Gegensätze, der Gespaltenheit sozialer Bewegungen und des wachsenden Zuspruchs für die Rechte […] ist das Zustandekommen von Koalitionen heute besonders dringlich geworden. In diesem Zusammenhang ist das Projekt, die tiefgreifenden Strukturen sowohl der politischen Ökonomie als auch der Kultur zu transformieren, offenbar die einzige übergreifende programmatische Orientierung, die imstande ist, allen aktuellen Kämpfe gegen Ungerechtigkeit angemessen Sorge zu tragen. Nur sie allein geht nicht von einem Nullsummenspiel aus“ (Fraser 2001, 65).

Das Konzept der partizipatorischen Parität kann auch als Maßstab zur Bewertung von Maßnahmen zur beruflichen Integration und Inklusion dienen, um die gleichberechtigte Teilhabe und Inklusion in die Arbeitswelt zu fördern. Abzulehnen wären demnach aber alle arbeitsmarktpolitischen Aktivierungsmaßnahmen und Workfare-Programme mit dem Ziel der totalen „Mobilisierung von individueller Beschäftigungsfähigkeit“ (Bude 2008, 9). Aktivierung meint in diesem Zusammenhang, durch Zwangsprogramme, sozialer Kontrolle und reduzierten Sozialtransfers Anreize zu schaffen, um die Arbeitsmoral und Leistungsbereitschaft zu steigern und um damit das Arbeitslosenproblem nach dem Motto >fordern und fördern< zu lösen.

Abzulehnen sind überdies aber auch alle Maßnahmen, die Menschen aufgrund normativer Kriterien, eine mangelnden Leistungsfähigkeit attestieren und sie in geschützte Werkstätten, Tagesstrukturen und Einrichtungen abschieben, wodurch jene, die von den derzeitigen Sozial- und arbeitsmarktpolitischen Entwicklungen am meisten betroffen sind, daran gehindert werden, als gleichberechtigte Partner am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. „Viele stationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe verwandeln sich wieder in diesem schleichenden Prozess sozialer Aussonderung in Schwerstbehindertenzentren oder Pflegeeinrichtungen ohne jede Eingliederungs- oder Teilhabeperspektive“ (Gröschke 2011, 189).

5. Nichtreformistische Reformen

Aber welche Maßnahmen der beruflichen Integration und Teilhabe würden dem Kriterium der partizipatorischen Norm näher kommen?

Fraser weist darauf hin, dass transformative Strategien in der gegebenen Praxis nicht leicht umsetzbar sind und vielfach auch Widerstände auslösen. Sie schlägt deshalb einen Mittelweg zwischen Transformation und Affirmation im Sinne nichtreformistischer Reformen vor, die sie als ambivalente Strategien beschreibt. „Einerseits beziehen sie sich auf vorhandene Identitäten von Menschen und kümmern sich um deren Bedürfnisse, so wie diese innerhalb eines bestehenden Rahmens der Anerkennung und Verteilung ausgelegt werden; andererseits treten sie eine Dynamik los, in deren Zuge radikalere Reformen möglich werden. Wenn sie erfolgreich sind, verändern nichtreformistische Reformen mehr als die spezifischen institutionellen Merkmale, auf die sie eigentlich zielen. Indem sie das System der Anreize und der politischen Opportunitätskosten verändern, schaffen sie neue Spielräume für künftige Reformen. Langfristig könnten sie, durch Kumulation ihrer Effekte, auch auf die zugrundeliegenden Strukturen einwirken, die Ungerechtigkeit bedingen“ (Fraser 2003, 110).

Als Beispiel für eine nichtreformistischen Reform im Bereich der beruflichen Teilhabe und Integration soll im Folgenden das Modell Spagat (Vorarlberg) und das Konzept der Unterstützten Beschäftigung diskutiert werden. Nach Doose ist Unterstützte Beschäftigung „mehr als eine neue Maßnahme der beruflichen Rehabilitation. Es ist eine veränderte Sichtweise, die zu einer veränderten Praxis führt. Gemeinsam Leben und Arbeiten von Menschen mit und ohne Behinderung als Ziel, die Fähigkeiten und Wünsche eines Menschen als Ausgangspunkt, echte Wahlmöglichkeiten, Selbstbestimmung und Kontrolle des Menschen mit Behinderung als Wegweiser und ambulante, individuelle, flexible Unterstützung als Methode sind die Eckpfeiler von Unterstützter Beschäftigung“ (Doose 2006, 355). Doose betont, dass sich das Konzept nicht nur für Menschen mit Behinderung anbietet, sondern allgemein ein Modell darstellt, um für verschiedene Gruppe Zugangsbarrieren am Arbeitsmarkt zu beseitigen.

Im deutschsprachigen Raum nimmt Spagat durchaus eine Vorreiterrolle ein (vgl. Koenig 2008, 6). Das Konzept orientiert sich an den Qualitätskriterien und internationalen Kernelementen der Unterstützten Beschäftigung. Diese sind: Eine Arbeit in einem regulären Betrieb des ersten Arbeitsmarktes, die Anstellung und Bezahlung nach Kollektivvertrag, die Devise „erst platzieren, dann trainieren“, als Umkehrung des gängigen Rehabilitationsverständnisses, das auf Qualifizierung setzt, bevor Menschen in den Arbeitsmarkt vermittelt werden. Weitere Kriterien sind adäquate Unterstützungsangebote für alle Menschen mit Behinderungen, d.h. niemandem darf aufgrund seiner Behinderung die Unterstützung am Arbeitsmarkt vorenthalten werden. Zur Zielgruppe von Unterstützer Beschäftigung zählen daher vor allem Menschen mit schweren Behinderungen, die im herkömmlichen Sinne nicht als vermittlungsfähig gelten. Die Zielgruppe von Spagat sind Jugendliche, die nach den bundesweiten gesetzlichen Bestimmungen als arbeitsunfähig eingestuft sind. Damit werden jenen Menschen, die traditionell sehr wenig Wahlmöglichkeiten haben, Alternativen zu den herkömmlichen geschützten Werkstätten und Strukturen geboten. Die Begleitmaßnahmen am Arbeitsplatz unterliegen keiner zeitlichen Begrenzung, flexible und individuelle Unterstützung wird solange wie nötig ermöglicht. Die Unterstützung am Arbeitsplatz erfolgt zum einen durch die IntegrationsberaterInnen und durch innerbetriebliche MitarbeiterInnen, den sogenannten MentorInnen.

Ein ausschlaggebender Faktor für den Erfolg von Spagat, sind die Lohnkosten- und MentorInnenzuschüsse für die ArbeitgeberInnen. Die Betriebe, die MitarbeiterInnen mit schweren Behinderungen auf Kollektivvertragsbasis beschäftigen, bezahlen lediglich die tatsächlich erbrachten Leistungen. Der Differenzbetrag, der durchschnittlich 80% und auch mehr betragen kann, wird den Betrieben vom Land Vorarlberg bezuschusst.

Auf der ökonomischen Ebene werden dadurch Voraussetzungen geschaffen, um Zugangsbarrieren am Arbeitsmarkt zu beseitigen, was sich auf die kollektivvertragliche Anstellung von Jugendlichen mit hohem Unterstützungsbedarf und einer geringen Leistungsfähigkeit in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes förderlich auswirkt. „Ohne diese Lohnkosten- und Mentorenzuschüsse wäre die berufliche Integration in einem Betrieb nicht möglich. Man würde fast keine Betriebe finden, die einen Jugendlichen anstellen“, so ein Aussage eines Spagat-Mitarbeiters (vgl. Plangger 2009, 124). Gleichzeitig erhalten die Jungendlichen für ihre Arbeit eine reguläre Entlohnung, wodurch sich der Grad an Selbstbestimmung und finanzieller Unabhängigkeit erhöht, wie dies eine Spagat-Klientin zum Ausdruck bringt: „Ich möchte auch nicht zur Lebenshilfe. Meine Freundin arbeitet bei der Lebenshilfe. Die bekommt nur ein Taschengeld, keinen Lohn. Das wäre kein Leben für mich! Ich will selbständig sein und mein eigenes Geld verdienen (vgl. Plangger 2009, 141).“

Eine weitere Säule im Unterstützungssystem, neben den genannten Kernelementen und den finanziellen Zuwendungen für die ArbeitgeberInnen, ist der Unterstützungskreis. Durch dieses partizipative Element, wird das soziale Umfeld / Netzwerk in den Unterstützungsprozess miteinbezogen, um Menschen mit Behinderungen bei der Erreichung selbstgesetzter Ziele zu unterstützen. Wobei die

Betroffenen den Prozess steuern und über alle Entscheidungen mitbestimmen. Selbstbestimmung ist der Maßstab, an dem sich die Planung ausrichtet (vgl. Boban/Hinz 2005, 135). Diese Grundidee des Unterstützungskreises „wurde maßgeblich von der angloamerikanischen Community-Living-Bewegung beeinflusst, die gegen institutionelle Verwaltung und Fremdbestimmung von erwachsenen behinderten Menschen im Gemeinwesen argumentiert“ (Kirschniok 2010, 20).

Bei Spagat steht nicht die Employability der zu vermittelnden Personen im Mittelpunkt. Der Arbeitsbegriff wird dahingehend erweitert, dass das Leistungskriterium sowie die Dominanz normierter Anpassungserwartungen in den Hintergrund rücken. Arbeitsbedingungen und Tätigkeitsfelder werden an die Bedürfnisse der MitarbeiterInnen mit Behinderungen angepasst. In manchen Fällen werden Arbeitsplätze in den Betrieben neu erfunden. Durch das gesamte Bündel der beschriebenen Bausteine und Maßnahmen werden für die Jugendlichen mit Behinderungen Möglichkeiten zur gleichberechtigten Teilhabe am Arbeitsleben eröffnet.

6. Fazit

Spagat und das Modell der Unterstützten Beschäftigung, als Alternative zur Beschäftigung in einer geschützten Einrichtung, gewährleistet für die Jugendlichen, die ansonsten auf den Status von nicht arbeits- und vermittlungsfähigen Personen reduziert werden, eine reale Wahlmöglichkeit und die Mitwirkung am Unterstützungsprozess. Für Wansing bestimmen diese Wahlmöglichkeiten (choice) und Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte (voice) die Voraussetzung, damit soziale Dienstleistungen ihre Wirkung in Richtung Inklusion entfalten (vgl. Wansing 2006, 171). Gesellschaftliche Statushierarchien, die im konkreten Fall durch Werteschemata wie ‚Leistungsfähig‘ (ability - normal) und ‚Leistungsunfähig‘ (disability – behindert) kodiert sind und durch Diskurse, wie z.B. den bundesgesetzlichen Bestimmungen zur Arbeits- und Leistungsfähigkeit, ihre Wirkmächtigkeit entfalten, werden durch Spagat destabilisiert. Durch diese Destabilisierung der Statushierarchie und durch Arbeitsplatzsubventionen auf der ökonomischen Ebene, werden im Sinne einer nichtreformistischen Reform grundlegende objektive und intersubjektive Bedingungen der partizipatorischen Parität – ohne dabei die affirmativen Momente leugnen zu wollen, die nichtreformistischen Strategien zwangsläufig inhärent sind - im Handlungsfeld der beruflichen Inklusion erfüllt. Menschen mit Behinderungen erhalten die Möglichkeit, „ebenbürtig mit allen anderen am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben“ (Fraser 2003, 47). Sie werden in die Lage versetzt selbst zu definieren, was für sie ein gutes (Arbeits-)Leben ist, indem sie selbst über die Art und Weise entscheiden können, ein solches zu verwirklichen (vgl. ebd., 47).

Allerdings, so Doose mit Blick auf die internationalen Entwicklungen, zeichnen sich in den letzten Jahren deutliche Zielgruppenverschiebungen und Creaming-Effekte ab, weg von der Vermittlung von Menschen mit schweren Behinderungen und einem hohen Unterstützungsbedarf, der primären Zielgruppe Unterstützter Beschäftigung, hin zu leichter beeinträchtigten Personen, die wirtschaftlich verwertbarere Leistungen erbringen (vgl. Doose 2007, 191ff.). Gegenüber dieser einseitigen Ausrichtung auf Employability und der damit verbundenen Strategie, Unterstützte Beschäftigung als aktivierungspolitische Maßnahme nutzbar zu machen, ist Widerstand geboten. Denn das Potential Unterstützter Beschäftigung als nichtreformistische Reform, wie es am Beispiel von Spagat angedeutet wurde, liegt darin, dass individuelle Arbeits- und Lebensbedingungen jenseits ökonomischer Sach- und Leistungszwänge geschaffen werden können, die auf Formen einer solidarischen Ökonomie verweisen, in der Arbeit wieder einen sozialen Sinn erhält (vgl. Altvater 2011, 209).

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Quelle

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bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 29.01.2015

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