Stell dir vor es geht um Qualität, und alle diskutieren mit...

Qualität von Unterstützter Beschäftigung aus der Sicht der Prozessbeteiligten

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse Nr. 26, Juni 2003, Seite 6 - 8. impulse (26/2003)
Copyright: © Yvonne Giedenbacher, Walter Lackner 2003

Einleitung

Die Debatte um die Qualität von Unterstützter Beschäftigung gewinnt in Zeiten, in denen es vor allem um Quantitäten (z. B. Erhöhung der Vermittlungszahlen) zu gehen scheint, zunehmend an Bedeutung. Denn auf diesen vermehrten Druck wird mit Fragen reagiert, wie: Was ist eigentlich Erfolg?, Wie können wir gleichzeitig quantitativ und qualitativ erfolgreich arbeiten? Und: Ab wann steht das quantitative Ziel in einem diametralen Gegensatz zu hochqualitativer und vor allem nachhaltiger Arbeit? Diese und ähnliche Fragen standen am Beginn des europäischen Projektes "Quality in Practice" (kurz: QUIP). Die InitiatorInnen von QUIP (Lebenshilfe Ennstal in Österreich, Salva Vita in Ungarn) beschlossen daher, sich dem Thema Qualität mit sozialwissenschaftlicher Unterstützung zu nähern. Beiden Fachdiensten war es wichtig, den Begriff der "Kundenzufriedenheit" zu konkretisieren. Weiters wollten sie auch systematisch der Frage nachgehen, ob sich die Ziele der PartnerInnen im Prozess von Unterstützter Beschäftigung eigentlich vereinbaren lassen.

Das zentrale Ziel des Projektes "Quality in Practice - Unterstützte Beschäftigung aus Sicht der Beteiligten" war es, Qualitätskriterien für Integrationsfachdienste zu erarbeiten. Die Grundlage dieser Kriterien sollten die unterschiedlichen Sichtweisen der wichtigsten Prozessbeteiligten (LeiterInnen der Integrationsfachdienste, FachdienstmitarbeiterInnen, NutzerInnen, ArbeitgeberInnen und VetreterInnen von Fördergebern) bilden.

QUIP in der Praxis

Zwei Jahre lang arbeiteten in sechs europäischen Ländern (Großbritannien, Norwegen, Österreich, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn) jeweils ein "Forschungspartner" (Forschungsinstitut) und ein "praktischer Partner" (Integrationsfachdienst) eng zusammen.

In jeder der fünf Forschungsphasen stand die Sichtweise einer Gruppe von Beteiligten im Zentrum des Interesses. Als wichtigste Prozessbeteiligte waren zu Beginn des Projektes folgende Personengruppen definiert worden: LeiterInnen der Integrationsfachdienste, FachdienstmitarbeiterInnen, NutzerInnen, ArbeitgeberInnen und VetreterInnen von Fördergebern. Es wurden hauptsächlich partizipative Methoden wie Interviews und Gruppendiskussionen verwendet, um den AkteurInnen die Möglichkeit zu geben, ihre spezifische Sichtweise zum Thema "Qualität von Unterstützter Beschäftigung" zu formulieren. Die Ergebnisse in jedem Land wurden jeweils zu einem Projektbericht zusammengefasst. Diese Projektberichte dienten als Grundlage für einen vergleichenden Bericht zu jeder Forschungsphase. Bei regelmäßigen Partnertreffen wurden die Ergebnisse lebhaft diskutiert und die jeweils nächsten Schritte geplant.

Auf dem Weg zu den Qualitätskriterien

Die in den Projektberichten thematisierten Qualitätskriterien wurden von den Partnern in den sechs Ländern gesammelt. Die österreichischen und ungarischen ForschungspartnerInnen brachten diese Listen dann in einem Workshop zusammen. Dieses Material war in weiterer Folge die Grundlage vieler Diskussionen zwischen ForscherInnen und PraktikerInnen. Es wurde deutlich, dass Unterstützte Beschäftigung in unterschiedlichen Initiativen und insbesondere in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Um nur ein Beispiel zu nennen: Es gibt sowohl private als auch öffentliche Kostenträger. Demnach sind die Rahmenbedingungen bei manchen Initiativen von öffentlichen Verordnungen bestimmt, bei anderen allein von den Konzepten der Trägerorganisation.

Am Ende dieses Diskussionsprozesses steht heute schließlich eine umfangreiche "Liste mit Qualitätskriterien", die die unterschiedlichen Aspekte von Qualität Unterstützter Beschäftigung und Rahmenbedingungen in der Kommunikation zwischen den PartnerInnen thematisiert.

Was heißt eigentlich "Qualität von Unterstützter Beschäftigung"?

Sehr schnell wurde während der Arbeit an diesem Projekt klar, dass "Qualität" von den unterschiedlichen AkteurInnen nicht völlig unterschiedlich definiert wird. Jeder/Jede dieser AkteurInnen sieht vielmehr einen Ausschnitt aus der umfassenden Vorstellung von einem qualitativ hochwertigen Dienst. Als Vergleich drängte sich der "Blick durch die Fenster" auf: Die Prozessbeteiligten betrachten zwar dasselbe, scheinen dabei aber immer nur Ausschnitte aus der Gesamtheit zu sehen. Theoretisch müssten sich alle diese Ausschnitte zur umfassenden Vorstellung von "Qualität von Unterstützter Beschäftigung" zusammen setzen lassen.

Die "Liste der Qualitätskriterien" stellt eine Zusammenfassung aller dieser Qualitätsvorstellungen dar. Gegliedert ist - entsprechend der internationalen Diskussion zum Thema "Qualität" - in die Bereiche Struktur-, Ergebnis- und Prozessqualität.

Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität

Unter Strukturqualität sind die organisatorischen Bedingungen für Unterstützte Beschäftigung zu verstehen: Das Know-how der MitarbeiterInnen, organisatorische Rahmenbedingungen im Integrationsfachdienst (z. B. Richtlinien, Arbeitsbedingungen, Informationsaustausch, Weiterbildungsmöglichkeiten), Vernetzungsaktivitäten des Fachdienstes, nationale und regionale Voraussetzungen für Unterstützte Beschäftigung.

Ergebnisqualität umfasst die Qualitäten eines Arbeitsplatzes auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Es geht eben nicht um einen "Arbeitsplatz an sich", sondern vor allem auch darum, was einen Arbeitplatz zu einem guten Arbeitsplatz für einen/eine NutzerIn macht. Zum Beispiel ein unbefristeter Vertrag, angemessene Bezahlung, klare Aufgaben, Möglichkeiten der Weiterentwicklung, Integration ins Arbeitsteam - um hier nur einige der Faktoren zu nennen. Als weiteres wichtiges Ergebnis wird auch die Zufriedenheit des/der ArbeitgeberIn gesehen: Er/Sie soll ja mit der Hilfe eines Integrationsfachdienstes einen/eine für sein/ihr Unternehmen wertvollen/wertvolle MitarbeiterIn gewinnen.

Der Bereich der Prozessqualität ist der weitaus umfangreichste innerhalb dieser Sammlung von Qualitätskriterien. Der Prozess reicht von der Kontaktaufnahme, über die Planungsphase und die Arbeitsplatzsuche bis hin zur Unterstützung am Arbeitsplatz und Follow-up. Einen wichtigen Teil des Prozesses nehmen die sogenannten "Charakteristika das Prozesses" ein, d.h. jene Faktoren, die für den gesamten Prozess gelten und gewissermaßen auch "Prinzipien" von Unterstützter Beschäftigung darstellen, wie etwa die aktive Einbeziehung des/der NutzerIn in alle Phasen und Entscheidungen ("user involvement"), die Verlässlichkeit und Transparenz des Prozesses, der personenzentrierte Ansatz oder auch der Grundsatz der Vertraulichkeit. Der Prozess wird zwar an der Kooperation zwischen Integrationsfachdienst(mitarbeiterIn) und dem/der NutzerIn dargestellt, jedoch wird nicht auf die anderen, für die Integration wichtigen AkteurInnen, vergessen. Es geht eben immer auch um eine Abstimmung mit der Familie oder professionellen BetreuerInnen des/der NutzerIn und um die Einbeziehung des/der ArbeitgeberInnen und der KollegInnen in den Prozess der Arbeitplatzintegration.

Als PartnerInnen zum Erfolg

Vielleicht ist dies eines der wichtigsten Ergebnisse des Projektes QUIP: Erfolgreiche Unterstützte Beschäftigung beruht in erster Linie auf funktionierenden Partnerschaften, die von gegenseitigem Vertrauen und Respekt getragen werden. Und vielleicht kann gerade hier auch in Zukunft verstärkt angesetzt werden. Ein gutes Beispiel stellt die Abschlusskonferenz des QUIP-Projektes in Budapest im Oktober 2002 dar. Diese war getragen von diesem Gedanken der Partnerschaften. VertreterInnen aller Gruppen von Prozessbeteiligten aus sechs Ländern, also FachdienstmitarbeiterInnen und -leiterInnen, ArbeitgeberInnen, NutzerInnen und VertreterInnen der öffentlichen Hand kamen zusammen, um über das Thema Qualität von Unterstützter Beschäftigung zu diskutieren. Für viele der TeilnehmerInnen war es die erste Gelegenheit, andere AkteurInnen des Prozesses kennen zu lernen und auch über Landesgrenzen hinweg Meinungen und Ideen auszutauschen. Besonders beeindruckend war die durch den Abbau der Interessenskonflikte und den Aufbau von Vertrauen entstehende Kommunikation über Sprachbarrieren und Interessen hinweg.

Flexibler Beitrag zur Qualitätsdebatte

Doch zurück zu den Qualitätskriterien: Diese sollen keine "Gebote" für "gute" Unterstützte Beschäftigung der Zukunft sein, sondern ein dynamischer und flexibler Beitrag zur Qualitätsdebatte. Sie dienen zudem auch als Argumentationsgrundlage für Integrationsfachdienste, die befürchten, dass ihre komplexen Dienstleistungen durch erhöhte Vermittlungszahlen zunehmend unter Druck geraten. Die Kriterien sollen zur Reflexion und Diskussion anregen und gewissermaßen auch handlungsanleitend wirken. Insofern stellen sie auch ein "Ideal" dar. Jene kritischen Punkte, die während der Arbeit am Projekt immer wieder zur Diskussion standen - z. B. Einbeziehung der Familie des/der NutzerIn in den Prozess der Unterstützten Beschäftigung, die notwendigen Voraussetzungen eines/einer Arbeitssuchenden, die Frage, was eigentlich als "Ergebnis" zu werten ist (z. B. Gilt es auch als Erfolg, wenn einE Arbeitssuchender/Arbeitssuchende keinen Arbeitsplatz findet (oder finden will) und sich letztendlich für einen Arbeitsplatz in einer Geschützten Werkstätte entscheidet?) - wurden nicht ausgespart, sondern in der Liste beibehalten, dort als "kritische Punkte" markiert und damit zur Diskussion gestellt.

Blick in die Zukunft: Kriterien als Grundlage für die Evaluation der eigenen Arbeit

Da die Qualitätsvorstellungen der Prozessbeteiligten eine Basis für eine systematische Qualitätsentwicklung in Integrationsfachdiensten sein sollen, bilden sie die Grundlage des Handbuches zur Selbstevaluationwww.quip.at (Stand: 25.10.2005, Link aktualisiert durch bidok). Interessierte Integrationsfachdienste können dieses Handbuch dazu benützen, die eigene Arbeit zu hinterfragen und zu verbessern. Die einzelnen Kapitel des Handbuches sind den einzelnen Gruppen von Prozessbeteiligten gewidmet. Hier kommen die AkteurInnen zu Wort und können ihre Einschätzung der Qualität des Dienstes und ihr Ausmaß an Zufriedenheit formulieren. Eine Bandbreite von Instrumenten ermöglicht den Diensten die Selbstevaluation - nach Maßgabe vorhandener Schwerpunkte und Ressourcen. Die Instrumente bauen auf der durch das Projekt gesammelten Erfahrungen auf, welche der unterschiedlichen Qualitäten (Struktur, Prozess, Ergebnis) für welche Personen eine besondere Rolle spielen und von diesen auch beurteilt werden können. Dieses Handbuch zur Selbstevaluation stellt an sich den Anspruch, ein brauchbares Werkzeug für die Qualitätssicherung und -entwicklung von Integrationsfachdiensten zu sein.

Konsequenzen des Projektes für einen beteiligten Integrationsfachdienst

Ein Kurzbericht von Walter Lackner

Die Sicht der anderen PartnerInnen im Prozess beruflicher Integration stimmte in manchen Fällen nicht mit der des Trägervertreters und der FachdienstmitarbeiterInnen überein, obwohl sie doch in einigen Fällen einer Meinung waren. So wurde zum Beispiel von mehreren Seiten die relativ hohe Fluktuation des Personals moniert. Dem Trägervertreter war dies nicht bewusst, weil es ja aus seiner Sicht für jeden Austritt eine plausible Erklärung gab.

Außerdem geschah zeitgleich mit dem Beginn des QUIP-Projektes eine Aufstockung des Personals und der Aufbau neuer Module im Fachdienst (Arbeitsassistenz für Jugendliche und Job Coaching). Die übliche Kommunikationsstruktur reichte nicht mehr aus, regelmäßige Treffen wurden nötig.

Die Öffentlichkeitsarbeit wurde nicht wichtig genug genommen. ArbeitgeberInnen und Arbeitssuchende hatten nicht dieselbe Auffassung von der Bekanntheit des Fachdienstes wie die MitarbeiterInnen und der Trägervertreter.

Durch die vermehrte Kommunikation, die sich zwangsläufig durch die Einschaltung des Forschungspartners ergab, wurde die Vernetzung des Fachdienstes verbessert. Zudem wurde parallel eine Qualitätskontrolle durchgeführt. Wichtig war dabei immer der Umgang mit den Resultaten der Forschungsarbeit. Wir haben sorgfältig die Verbesserungsvorschläge mit der nötigen Selbstkritik untersucht, so dass wir auch Verbesserungen im Sinne einer Kundenzufriedenheit durchführen konnten.

Die Untersuchung hat auch viel Bekanntes wieder an den Tag gebracht. Qualität von Unterstützter Beschäftigung hat etwas mit Haltung und Menschenwürde, aber auch mit Kommunikation, Kundenorientierung und -vertrauen zu tun, wobei oft konvergierende Interessen wie die des Arbeitsamtes und der ArbeitgeberInnen mit denen der Arbeitssuchenden in Einklang zu bringen sind.

Auch haben wir die Fülle der Resultate des Erfolgsprojektes noch nicht zur Gänze genützt. Sehr viel versprechen wir uns von den Qualitätskriterien für Unterstützte Beschäftigung und vom Handbuch zur Selbstevaluation; Beides sind wichtige Bausteine einer zukünftigen Selbsteinschätzung, die schnell und einfach gehandhabt werden kann. Weiters werden im Handbuch wichtige Anleitungen auch zur Verbesserung des Fachdienstes auf diversen Gebieten geboten. Aber das ist eine neue Geschichte.....

..... also, Fortsetzung folgt bestimmt!

Nähere Information zum Projekt und seinen Ergebnissen unter www.quip.at oder ..

Kontakt:

Yvonne Giedenbacher

European Centre for Social Welfare Policy and Research

Programme Area:

Ageing, Care Policies and Social Services

Berggasse 17

1090 Wien

Tel: 0043-1-3194505-28

Fax: 0043-1-3194505-59

Email: giedenbacher@euro.centre.org;

Internet: www.euro.centre.org

Walter Lackner

Lebenshilfe Ennstal (Schladming)

Schulgasse 616

8970 Schladming

Tel: 0043-3687-23487

Fax: 0043-3687-234874

eMail: office@lebenshilfe-ennstal.at

Quelle:

Yvonne Giedenbacher und Walter Lackner: Stell dir vor es geht um Qualität, und alle diskutieren mit..., Qualität von Unterstützter Beschäftigung aus der Sicht der Prozessbeteiligten

Erschienen in: impulse Nr. 26, Juni 2003, Seite 6 - 8.

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 17.05.2010

zum Textanfang | zum Seitenanfang | zur Navigation