Die WfB als Sprungbrett auf den allgemeinen Arbeitsmarkt

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: Erschienen in: impulse Nr. 16, Juli 2000, S.19-20 impulse (16/2000)
Copyright: © Rudi Obermeyer, Thomas Wedel 2000

Die WfB als Sprungbrett auf den allgemeinen Arbeitsmarkt

Bereits seit 1993 beteiligen sich rund 50 Werkstätten für Behinderte in Bayern an der "Beruflichen Qualifizierungsinitiative für Menschen mit Behinderung in Werkstätten für Behinderte" (BQI). Das Ziel des Modellprojekts ist die persönliche und berufliche Förderung von Menschen mit Behinderung. Durch werkstattinterne Qualifizierung wird die Vermittelbarkeit der Teilnehmer/innen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglicht bzw. verbessert. Gefördert wird die Maßnahme aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds, unter Beteiligung der bayerischen Bezirke.

Fünf der Projektgruppenleiter der BQI hatten 1998/99 die Möglichkeit an der "Berufsbegleitenden Qualifizierung zum Integrationsberater der BAG-UB" teilzunehmen. Obwohl, oder gerade weil, alle Kollegen bereits jahrelange Erfahrung in diesem Tätigkeitsgebiet mitbrachten, waren viele Aspekte der einzelnen Module für uns sehr wichtig und bereicherten unsere Arbeit. So konnten wir unsere Anwaltschaft und unsere Unterstützung für Menschen mit Behinderung in der WfB weiter entwickeln und verbessern.

Für die Berufliche Qualifizierungsinitiative ist das Jahr 2000 eine Übergangsphase. In dieser Zeit führen die Projektgruppenleiter (PGL), das Projekt vor Ort weiter, um geschaffene Ressourcen und Strukturen nicht zu verlieren. Gleichzeitig überarbeiten wir das bestehende Konzept, um eine Fortführung der Arbeit zu ermöglichen oder sogar eine Verstetigung zu erwirken, was unserer Meinung nach sinnvoller wäre.

Im Rahmen dieser "Konzeptionsüberarbeitung" ist es wichtig, Kenntnisse und Fähigkeiten zu definieren, über die eine "Integrationsfachkraft" in einer WfB verfügen muss, um Menschen mit Behinderung auf dem Weg in den ersten Arbeitsmarkt unterstützen zu können. Hierbei erweisen sich die Inhalte der Module der BAG-UB Qualifizierung als wertvoll.

Die verschiedenen Phasen des Integrationsprozesses erfordern von der Integrationsfachkraft jeweils spezifische Fachkompetenzen und die Einnahme unterschiedlicher Rollen in der Beratung und Unterstützung von Menschen mit Behinderung.

Die erste Rolle (nicht erste Priorität!) ist es WerkstattmitarbeiterIn zu sein. Bis zum jetzigen Zeitpunkt sind wir an die WfB angegliedert. Die WfB ist unser Arbeitgeber. Erfahrungen im Werkstattalltag erweisen sich als sehr nützlich und für die gemeinsame Arbeit mit Menschen mit Behinderung und mit den Mitarbeitern der WfB von großem Vorteil. Entsprechende Kenntnisse und Fertigkeiten, die die Arbeit, Struktur und Finanzierung der WfB betreffen, sollten vorhanden sein. Aufgabe der Fachkraft ist es, die Balance der verschiedenen Aufgaben (Produktionsstätte und Einrichtung der beruflichen Rehabilitation zu sein) der WfB im Blick zu behalten und immer wieder ins Gleichgewicht zu bringen, z.B. durch Unterstützung des Bewerbers auch gegen Widerstände aus dem WfB- oder Wohnbereich, Unterstützung des Gruppenpersonals bei der Neubesetzung frei gewordener Stellen innerhalb der WfB, Einbindung aller Beteiligten in den Integrationsprozess und Schaffung eines entsprechenden Aufgabenbewusstseins.

Grundlage für diese Arbeit ist die Überzeugung der Fachkraft, dass die Integration von Menschen mit Behinderung aus der WfB möglich und notwendig ist. Diese Überzeugung gilt es weiterzugeben und in die WfB zu tragen. Hierfür war und ist uns das erste Modul der BAG-UB Qualifizierung sehr wichtig.

In der Rolle der PlanerInnen müssen wir den Integrationsverlauf, soweit möglich, realistisch und vielleicht doch manchmal ein bisschen visionär organisieren. Das heißt, auch Dinge wagen, die wir nicht immer gleich für möglich halten. Gemeinsam mit den Menschen mit Behinderung soll eine Zukunftsperspektive entwickelt werden. Hierbei ist es notwendig die Teilnehmer/innen zu unterstützen und zu ermutigen Träume zu wagen. Eine solche Planung hat nach unserer Erfahrung eine sehr motivierende Wirkung bei Menschen mit Behinderung.

Für diesen Prozess sind natürlich Kenntnisse und Fähigkeiten in organisatorischen Dingen ebenso notwendig, wie die Kenntnis von Methoden der persönlichen Zukunftsplanung. Ebenso ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein, Teamfähigkeit und Reflexionsbereitschaft, um nicht nur seinen "eigenen Plan" für jemanden zu entwickeln, sondern es zulassen zu können, dass gemeinsam ein Plan entworfen wird, der unter Umständen von den eigenen Plänen abweicht. Die Entscheidung liegt beim Kunden.

Als BeraterInnen sind wir mit den Menschen mit Behinderung, deren Kollegen, Personalverantwortlichen und Chefs in den Firmen in ständigem Kontakt. Hier gilt es der Situation entsprechend aufzutreten und zu handeln. Dabei sind die Regeln der Gesprächsführung zu berücksichtigen und anzuwenden. Das alleine reicht aber nicht: Unser Gegenüber würde bald merken, wenn dies die einzige Fachkompetenz wäre. Fundierte Kenntnisse im Förderungsrecht, über Möglichkeiten der Rehabilitation von Menschen mit Behinderung, die Gestaltung von Arbeitsplätzen und Abläufen sowie den Umgang mit Krisen und Problemsituationen müssen vorhanden sein. Der Umgang mit Ämtern und Behörden muss geläufig sein. Kompetenz im Umgang mit Menschen mit Behinderung muss uns abzuspüren sein. Ein konkretes Beispiel: Als Integrationsberater für Menschen mit Gehörlosigkeit muss ich die Gebärdensprache soweit beherrschen, dass ich mit diesen Menschen kommunizieren kann. Merkt der Kollege, Chef oder Personalverantwortliche, dass dies nicht der Fall ist, wird er mich nicht als kompetenten Berater akzeptieren und auch bei ihm die Unsicherheit im Umgang verstärken. Verschiedene Lern- und Lehrmethoden sollten der Integrationsfachkraft ebenso vertraut sein, wie Instrumente der individuellen Fähigkeitsanalyse und die Erstellung von Anforderungsprofilen.

Gerade im Umgang mit Firmen ist es notwendig, sich auch ein gewisses Maß an betriebwirtschaftlicher Fachkompetenz anzueignen um die Sprache der "Chefs und Personalverantwortlichen" zu verstehen und zu sprechen. Kenntnisse von Arbeitsorganisation und Personalentwicklungskonzepten sind natürlich von großen Vorteil in Beratungsgesprächen mit den verantwortlichen Leuten. Auch in diesen Bereichen konnten wir von den Referenten der BAG-UB Qualifizierung profitieren.

Durch die Vielfalt, der an am Prozess der beruflichen Integration Beteiligten ist es notwendig als NetzwerkerIn tätig zu werden. Anfangs gilt es, alle Beteiligten ins Boot zu holen und sich als Stelle zu etablieren, an der die Fäden zusammenlaufen und die über die Zuständigkeiten informiert ist. Nach unserer Erfahrung brauchen Menschen mit Behinderung aus der WfB einen verlässlichen Ansprechpartner, mit dem sie alles, bezüglich ihrer beruflichen Zukunft, besprechen können. Natürlich steht der Weg zum Arbeitsamt offen, um sich zu informieren, aber häufig ist auch für diesen Schritt Unterstützung notwendig, die wir mit niederschwelligem Zugang bieten können.

Eine Erfahrung, die uns während der Zeit der Fortbildung wichtig geworden ist, ist der ständige Austausch und die "Bekanntschaft" mit Kollegen, die im gleichen Bereich arbeiten. Dies war und ist eine wichtige Erfahrung aus der Qualifizierung. Diese Kontakte bestehen weiter. Wenn wir uns in einem Arbeitsgebiet Rat brauchen, haben wir durch die Fortbildung in vielen Bereichen der beruflichen Rehabilitation Freunde und Bekannte, die wir fragen können oder zumindest unsere eigene Perspektive mit kompetenten Partnern reflektieren können. So ist durch die Fortbildung ein kleines Netzwerk der beruflichen Integration und über ganz Deutschland entstanden. Auch dieser Aspekt der BAG-UB Qualifizierung ist nicht zu unterschätzen.

Durch die Teilnahme an der Qualifizierung der BAG-UB konnten wir viele neue Impulse für nahezu alle Bereiche unserer Arbeit gewinnen. Gerade die gemeinsame Herangehensweise und der Blickwinkel für die Betrachtung des Prozesses aus Sicht des Bewerbers brachte neue Aspekte von Qualität. Diese Ansätze lassen sich nun häufig auch in anderen Bereichen der WfB wieder finden. Das Zutrauen in die Selbständigkeit der behinderten Mitarbeiter/innen ist gewachsen. Beschäftigte, die Jahre lang in der Werkstatt tätig waren, die man so genau zu kennen glaubte, entwickelten oft in Praktika oder nach einer Vermittlung Fähigkeiten, in verschiedenen Bereichen, die ihnen vorher kaum jemand zugetraut hatte. Diese Erfahrung öffnet den Blick. Auch hier ist die Integrationsfachkraft wieder gefragt, um solche Entwicklungen deutlich zu machen, die Synergie zu nutzen, und somit vielleicht manch anderem Beschäftigten neue Möglichkeiten zu eröffnen.

Die Qualifizierung der BAG-UB hat uns auf unserem Weg, AnwältInnen der Menschen mit Behinderung in der WfB zu sein, ein großes Stück weiter gebracht.

Kontakt:

Franz-von-Sales-Werkstätten Zell

Rudi Obermeyer

Zell A9, 91161 Hilpoltstein

Tel.: 09177 97-315, Fax: 09177 97-302

BZB gGMBH Boxdorfer Werkstatt

Thomas Wedel

Am Spund 4, 90427 Nürnberg

Tel.: 0911 9309954, Fax: 0911 9309999

eMail: wedel-bzb@t-online.de

Quelle:

Rudi Obermeyer, Thomas Wedel: Die WfB als Sprungbrett auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Erschienen in: impulse Nr. 16 / Juli 2000, S.19-20

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 04.04.2006

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