Zimmermädchen im Hotel versus Werkstatt für Behinderte

- ein Eingliederungsbeispiel

Autor:in - Andrea Seeger
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse Nr. 16, Juli 2000, S.38-40 impulse (16/2000)
Copyright: © Andrea Seeger 2000

Zimmermädchen im Hotel versus Werkstatt für Behinderte - ein Eingliederungsbeispiel

von Andrea Seeger, Integrationsfachdienst ACCESS gGmbH - Erlangen

Dass Menschen mit geistigen Einschränkungen leistungsfähige MitarbeiterInnen sein können, zeigt das Beispiel einer jungen Frau, die seit September 99 in einem Hotel als Zimmermädchen arbeitet.

Melek G. besuchte aufgrund ihrer Einschränkungen eine Schule für lern- und geistigbehinderte Menschen. Ihre Fähigkeiten liegen behinderungsbedingt weniger in den Bereichen Lesen, Schreiben, Rechnen, sondern im praktischen Bereich.

Da Melek aufgrund ihrer Einschränkungen in den Kulturtechniken und der Annahme, dass sie keine öffentlichen Verkehrsmittel alleine benutzen kann, keinen Förderlehrgang besuchen konnte, lautete der Eingliederungsvorschlag des Arbeitsamtes zunächst Werkstatt für Behinderte.

Weder Melek noch ihre Familie wollten sich mit einem Arbeitsplatz in einer Werkstatt für Behinderte abfinden. Und auch die Lehrkraft, die Melek seit Jahren kennt und bereits verschiedene Schulpraktika mit ihr durchgeführt hatte, glaubte daran, dass sie mit entsprechender Unterstützung durch einen Fachdienst für Integration einen Arbeitsplatz in einem Betrieb des allgemeinen Arbeitsmarktes ausfüllen könne.

Durch die Lehrerin als Fürsprecherin lernte ich also Melek kennen. Durch Gespräche mit ihr, ihrer Familie und ihrer Lehrerin sowie Betriebsbesuchen bei zwei verschiedenen Praktikastellen konnte ich mir ein Bild von Meleks Fähigkeiten machen und so in die Betriebsakquise für einen Arbeitsplatz einsteigen. Hierbei konzentrierte ich mich vor allem auf die Stellenangebote der Tagespresse. Nach verschiedenen Anläufen konnten wir ein Hotel für ein betriebliches Praktikum zum gegenseitigen Kennenlernen gewinnen.

Während dieses dreiwöchigen Praktikums, das in der ersten Woche intensiv durch mich betreut wurde, konnte sich Melek so weit steigern, dass die Personalverantwortlichen des Hotels bereit waren, sie als Zimmermädchen anzustellen. Den Weg zur Arbeit und wieder nach Hause hat sie durch ein mehrtägiges Fahrtraining geübt. Melek bewältigt ihren Arbeitsweg seither alleine.

Meine Unterstützung hält auch nach Abschluss des Arbeitsvertrages an. Ich unterstütze Melek durch regelmäßige Besuche am Arbeitsplatz und mit Gesprächen auch außerhalb ihrer Arbeitszeit. Es besteht außerdem Kontakt zur Familie.

Darüber hinaus bin ich Ansprechpartnerin für die Personalverantwortlichen und Vorgesetzten im Hotel in allen auftretenden Fragen. Selbstverständlich gehört zum Dienstleistungsangebot der IFD ACCESS gGmbH, den Arbeitgeber über mögliche finanzielle und personelle Unterstützungsmöglichkeiten im Vorfeld der Arbeitsaufnahme aufzuklären. So geschah es auch in diesem Fall.

Melek hat durch ihren Arbeitsplatz mehr Selbständigkeit und Selbstbewusstsein erreicht. Sie verdient eigenes Geld und ist dadurch nicht auf Leistungen des Sozialhilfeträgers angewiesen. Und natürlich zahlt auch Melek - wie jede andere ArbeitnehmerIn - ihre Beiträge zur Sozialversicherung sowie Steuern.

Und das Schönste an allem, Melek ist durch ihre Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt der Normalität ein Stück näher gekommen. Denn sie möchte mit ihren Einschränkungen genauso akzeptiert werden wie jeder andere Mensch auch. Die Personalverantwortlichen im Hotel haben ihr hierzu eine Chance gegeben.

Interview mit Melek G., durchgeführt von A. Seeger:

Integrationsberaterin (I): Du hast eine Schule für geistig behinderte Menschen besucht. Warum wolltest du eigentlich nicht in eine Werkstatt für Behinderte (WFB) gehen?

Melek (M): Ich kann auch andere Dinge machen. Es ist auch besser so. Ich hab' verschiedene Praktikum gemacht und es war schön gegangen. Normale Stelle ist ganz schön eigentlich. Ich möchte das immer weiter machen. Werkstatt ist einfach nichts für mich. Ich denke so von mir.

I: Fanden das alle gut, dass du nicht in die Werkstatt gehen wolltest?

M: Ja - ganz gut - alle! Meine Familie und meine Lehrerin - alle!

I: Und das Arbeitsamt?

M: Nee ...

I: Was war da? Erzähl mal!

M: Ja. Erstens hat man gesagt das geht nicht. Ich muss in die Werkstatt. Das war unglaublich. Aber Frau Seeger hat es für mich gemacht und es ist echt gut gegangen.

I: Du arbeitest jetzt in einem guten Hotel. Wie hast du denn deinen Arbeitsplatz bekommen?

M: Von Frau Seeger. Das hat sie für mich in der Zeitung gesucht und sie hat mich angesprochen. Und da habe ich am Anfang ein Praktikum gemacht. Es ist gut gegangen. Dann hab' ich jetzt diese Stelle gekriegt.

I: Wie lange hat das Praktikum gedauert - weißt du das noch?

M: 3 Wochen.

I: Und warst du die ganzen 3 Wochen alleine?

M: Manchmal.

I: Und wenn du nicht alleine warst - wer war bei dir?

M: Frau Seeger - die erste Woche.

I: Warum war sie dabei?

M: Sie hat angeschaut. Kann ich das gut machen oder nicht so gut machen. Sie hat mir auch Tipps gegegeben. Das war gut.

I: Hat dir das geholfen, dass sie dabei war?

M: Ja.

I: Was hat dir geholfen.

M: Es hat mir Mut gegeben. Das war schön.

I: Und nachdem das Praktikum gut gelaufen ist, hast du einen Arbeitsvertrag bekommen. Seit wann arbeitest du nun im Hotel?

M: Seit September - es war ein Montag, am 20. September.

I: Wie kommst du auf die Arbeit?

M: Mit der S-Bahn.

I: Hast du das von Anfang an alleine gemacht?

M: Nee, ich hab' mit Stefan B. das geübt. (Anmerkung: Fahrtraining durch Honorarkraft von IFD ACCESS).

I: Wie oft hat er mit dir geübt?

M: 3 Tage lang. Es war gut.

I: Jetzt erzähl' doch einfach mal, wie dein Tag im Hotel so aussieht. Was machst du da?

M: Erst muss ich meine Sachen voll machen (Anmerkung: Eimer, Putzmittel etc.). Wagen voll machen - ist wichtig. Und ich muss auch meinen Zettel holen (Anmerkung: Auf dem Zettel stehen für Melek verständlich ihre Arbeitsaufträge). Das ist auch wichtig. Manchmal ich bin alleine - manchmal hab' ich mit Kollegin zusammen einen Wagen. Das ist gut. (Pause) Manchmal habe ich Abreisen und Bleiben das ist verschieden. Ich muss die Zimmer putzen, Betten machen, Müll raustun. Bad richtig sauber machen. Bei Abreisen muss ich ganz richtig sauber machen. Das ist wichtig für die anderen Gäste. Es ist schon schön.

I: Und wie sind deine Arbeitszeiten. Wann fängst du morgens an? Und wie lange arbeitest du jeden Tag?

M: Ich fange um 8 Uhr an.

I: Und wie lange arbeitest du?

M: Ungefähr bis um zwei.

I: Musst du auch am Wochenende arbeiten?

M: Ja .

I: Und wie ist das für dich?

M: Normal für mich. Ich meine - es ist für mich normal geworden.

I: Und am Anfang?

M: Am Anfang war nicht so gut. Aber das ist immer so am Anfang. Jetzt ist es anders geworden. Ich bin viele Wochenende im Hotel.

I: Worauf musst du bei deiner Arbeit besonders achten? Was ist ganz wichtig in deiner Arbeit?

M: Meine Sachen. Meine Hose ist wichtig. Ich muss schauen ist es dreckig oder nicht dreckig?

I: Du musst also schauen, dass deine Arbeitskleidung in Ordnung ist. Und was ist noch wichtig in deiner Arbeit?

M: Ich muss zu Kollegen nett sein. Höflich - ich meine, ich bin immer höflich.

I: Und wenn du so an deine Arbeit im Zimmer denkst. Was ist da wichtig?

M: Ich muss richtig schön sauber machen. Das ist wichtig. Ganz wichtig.

I: Was gefällt dir am besten in deiner Arbeit?

M: Zimmer sauber machen. Das mache ich gerne. Oder Wagen voll machen. Badezimmer putze ich lieber. Aber ich muss alles machen.

I: Was gefällt dir nicht so gut?

M: Kloo sauber machen.

I: Und Betten machen?

M: Betten mache ich gerne.

I: Wie ist dein Verhältnis zu deinen Kolleginnnen?

M: Gut.

I: Du hast einen befristeten Vertrag bekommen. Was ist, wenn der zu Ende ist.

M: Ja weitermachen oder nicht weitermachen.

I: Wer entscheidet das?

M: Die Chefs.

I: Möchtest du gerne weitermachen?

M: (Pause) Ja - schon. Doch.

I: Die Frau Seeger vom Integrationsfachdienst ACCESS hat dir geholfen die Arbeit zu finden und wobei hilft sie dir heute?

M: Ja - sie gibt mir Tipps. Das ist auch gut. Manchmal mache ich Fehler, dann sagt die Frau Seeger "du musst es so machen Melek". Das ist gut. Für mich ist es gut. Das ist schon wichtig für mich.

I: Was wünscht du dir von Frau Seeger in Zukunft?

M: Hhm. Das ist eine heftige Frage.

I: Du kannst darüber nachdenken, was du brauchst an Unterstützung und Hilfe.

M: Ich meine, deine Meinung ist auch wichtig. Was kann ich jetzt sagen. (Pause) du musst öfter ins Hotel kommen.

I: Hast du noch Tipps für andere Menschen mit geistiger Behinderung, die eine Arbeit außerhalb der Werkstatt für Behinderte suchen? Du hast ja jetzt schon länger gearbeitet und hast erlebt wie das ist. Hast du Tipps für die Leute - du bist ja jetzt auch eine Fachfrau!

M: Ja (Pause) Mut haben. Ich meine, okay bei mir ist es anders. Ich meine: Mut haben. Ich meine, ich kenn' alle Leute, die sind alle in Werkstatt - alle! Ich kenne alle von der alten Schule. Die sind alle in Werkstatt.

I: Was sollen die machen? Meinst du die können arbeiten, außerhalb der Werkstatt?

M: Ich glaub' schon. (Pause) Manche schon.

I: Was würdest du denen raten?

M: Sagen: Draußen ist es viel besser. An meiner (Arbeits-)Stelle ist es ganz gut. Ich meine, bei mir ist es anders. Mir geht es gut jetzt im Hotel. Ich hab' nette Kollegen und ich hab' einen netten Freund. Mir geht es ganz gut im Hotel. Ich wünsche auch so was den anderen von der Schule und von der Werkstatt. Die sollen das Gleiche haben. Und nette Kollegen und nette Chefin. Ist wichtig so was.

I: Wie glaubst du, finden die Arbeit?

M: Von Zeitung. Ich meine, die können auch lesen die Leute in der Werkstatt.

I: Glaubst du es müsste mehr Unterstützung geben für diese Leute?

M: Ja. Das wäre gut.

I: Was wünscht du dir überhaupt von Leuten, wie sie mit Menschen umgehen sollen, die geistig behindert sind?

M: Normal - oder? Einfach den Menschen lassen. Echt, einfach lassen. Normal wie andere Menschen behandeln. Die Menschen wollen auch ganz normal leben. Ich möchte auch ganz normal Leben! Okay - ich lebe jetzt auch normal. Bei mir ist es anders - ich habe jetzt eine Stelle. Es ist anders geworden für mich. Es geht mir gut. Das ist wichtig.

I: Okay Melek. Vielen Dank für das Interview.

Nähere Informationen bei:

Andrea Seeger, Dipl.-Sozialpädagogin (FH)

Integrationsberaterin des IFD ACCESS gGmbH

Tel. 09187 / 60-200 oder

Tel. 09131 / 8974-44 Fax -49

eMail: andrea.seeger@access-ifd.de

Quelle:

Andrea Seeger: Zimmermädchen im Hotel versus Werkstatt für Behinderte - ein Eingliederungsbeispiel

Erschienen in: impulse Nr. 16 / Juli 2000, S.38-40

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 01.02.2005

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