MobiliS - Modell: wohnortnahe berufliche Bildung Blinder und Sehbehinderter

Ein Projekt des Bildungszentrums für Blinde und Sehbehinderte Soest

Autor:in - Jörg Barlsen
Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse Nr. 14, Dezember 1999 impulse (14/1999)
Copyright: © Jörg Barlsen 1999

Ein Projekt des Bildungszentrums für Blinde und Sehbehinderte Soest

In den letzten 10 Jahren wurden ins besondere für Menschen mit einer Lern- , geistigen oder psychischen Behinderung verschiedene ambulante Unterstützungsangebote zur beruflichen Eingliederung erarbeitet und erfolgreich erprobt. Während sich diese Maßnahmen inzwischen als Ergänzung der stationären und überbetrieblichen Reha-Konzepte etabliert haben, werden für Blinde und Sehbehinderte besondere Hilfen zur beruflichen Rehabilitation nach wie vor überwiegend in besonderen Einrichtungen angeboten. Diesen Institutionen gelingt es zwar, eine nicht unerheblichen Zahl blinder und sehbehinderter Jugendlicher in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren - so liegt die Vermittlungsquote des Berufsbildungswerks für Blinde und Sehbehinderte Soest im langjährigen Durchschnitt bei ca. 75%. Sie erreichen aber diejenigen nicht, für die sich das Unterstützungsangebot einer überbetrieblichen Einrichtung - aus welchen Gründen auch immer - nicht eignet.

Beginnen diese Jugendlichen eine betriebliche Ausbildung, müssen sie bislang auf Hilfe und Unterstützung weitgehend verzichten. Wagen sie diesen Schritt dennoch, sind sie darauf angewiesen, sich mühsam eigene Lösungen zu erarbeiten, um ihre Sehbehinderung kompensieren und die Anforderungen der Ausbildung bewältigen zu können. Nicht selten wird das Ausbildungsverhältnis abgebrochen.

  • "Erst nach einem Jahr hatte ich alle Hilfen, die ich brauchte".

  • "Nach Feierabend habe ich mir die Schulbücher auf ein größeres Format kopiert".

  • "Nach einem Jahr erkannte ich, daß dieser Beruf langfristig mein Augenleiden verschlimmern würde". (Erfahrungen sehbehinderter AZUBIS)

Darüber hinaus ist das Angebot an Ausbildungsplätzen für sie eingeschränkt, da vielen Unternehmen die Ausbildung einer sehbehinderten oder blinden Person ohne kompetente Beratung zu riskant erscheint.

Gleichwohl belegen diejenigen, die es trotz ihrer Einschränkungen geschafft haben, einen betrieblichen Ausbildungplatz zu finden und ihre Ausbildung erfolgreich abzuschließen, daß dies auch für Menschen mit einer Sehbehinderung grundsätzlich möglich ist. Für diesen Personenkreis, der nicht auf die vollständigen Hilfen einer überbetriebliche Einrichtung angewiesen ist, fehlt jedoch ein Unterstützungsangebot nach dem Prinzip: so normal wie möglich und soviel Unterstützung wie nötig.

Ziel des Modellvorhabens MobiliS, das von Mai 1999 bis März 2004 am Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte Soest durchgeführt wird, ist es daher, die Kenntnisse des Bildungszentrums in der Ausbildung und Beschulung von blinden und sehbehinderten Jugendlichen für Unternehmen und Behörden des allgemeinen Arbeitsmarktes nutzbar zu machen. Es soll ein Unterstützungsangebot entwickelt werden, das sowohl Auszubildenden als auch ihren ausbildenden Unternehmen und berufsbildenden Schulen individuell, flexibel und ggf. kurzfristig die Hilfen bereitstellt, die den erfolgreichen Abschluß einer Ausbildung sicherstellen.

Für eine betriebliche Ausbildung spricht vieles. In Interviews mit betrieblich ausgebildeten Jugendlichen wurden u.a. folgende Gründe genannt:

  • "Ich wollte auf keinen Fall weg von hier, von meinen Freunden und von meiner Familie."

  • "Ich bin hier zum Kindergarten und zur Schule gegangen und habe nicht eingesehen, daß ich wegen der Ausbildung den Wohnort wechseln und ein Internat besuchen sollte."

  • "Eine Ausbildung im Betrieb schien mir irgendwie realistischer zu sein."

  • "Irgendwann muß ich ja den Schritt nach "draußen" tun."

Mit der Umsetzung des Modells ist vor allem intendiert, durch die Realisierung individueller Lösungen zur Kompensation der Sehbehinderung direkt am Ausbildungsplatz neue Berufe für Blinde und Sehbehinderte zu erschließen. Auf diese Weise sollen zum einen deutlich mehr Blinde und Sehbehinderte in Betrieben und Behörden in der Nähe ihres Wohnortes ausgebildet werden können und zum anderen deutlich mehr Betriebe motiviert werden, blinde und sehbehinderte Jugendliche auszubilden. Darüber hinaus ist anzunehmen, daß durch die Unterstützung betrieblicher Ausbildungsverhältnisse einem größeren Anteil Jugendlicher der Übergang von der Ausbildung in ein festes Arbeitsverhältnis beim Ausbildungsbetrieb ermöglicht wird. Schließlich soll auch denjenigen Jugendlichen eine Ausbildung ermöglicht werden, die nicht bereit oder nicht in der Lage sind, ihren Wohnort für eine überbetriebliche Bildungsmaßnahme in einem Berufsbildungswerk zu verlassen. Erfahrungen im Rahmen eines ähnlichen Projektes, das vor einigen Jahren an der Schleswiger Schule für Sehgeschädigte eingerichtet wurde und dort mittlerweile einen festen Baustein innerhalb des Beratungsangebots für blinde und sehbehinderte Auszubildende bildet, zeigen, daß diese Erwartungen nicht überzogen sind.

In das Konzept werden die Dienstleistungen, die das Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte bislang ausschließlich Jugendlichen anbietet, die in Soest an einer stationären beruflichen Bildungsmaßnahme (Erstausbildung bzw. Förderlehrgang) teilnehmen, eingebunden. Der Projektname MobiliS erhält hier seine doppelte Bedeutung, steht er doch auch dafür, Hilfen, die bislang an das Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte gebunden waren, "mobil" zu machen, das heißt, diese hinaus zu tragen in die jeweiligen Ausbildungsbetriebe und Berufsschulen. Dieses "Know-How" wird den Auszubildenden und ihren Betrieben und Schulen im Rahmen folgender Angebote zur Verfügung stehen:

  • Es werden Arbeitserprobungen im Rahmen des Berufsfindungsprozesses, um vor Beginn einer betrieblichen Ausbildung Eignung und Neigung für bestimmte Berufe überprüfen zu können, angeboten.

  • Das Beratungs- und Schulungszentrum für Blinde und Sehbehinderte in Soest erarbeitet individuelle Lösungen in den Bereichen Sehhilfen, Arbeitsplatzausstattung, blinden- und sehbehindertenspezifische Anpassung von EDV-Arbeitsplätzen - jeweils abgestimmt auf die konkreten Bedingungen am Ausbildungsplatz.

  • Kompetente AusbilderInnen, die langjährige Erfahrung in der beruflichen Bildung Blinder und Sehbehinderter mitbringen, unterstützen die ausbildenden KollegInnen in den Betrieben.

  • LehrerInnen des Berufskollegs für Blinde und Sehbehinderte beraten, sofern die Auszubildenden auch eine Regelberufsschule besuchen, ihre dortigen KollegInnen.

Darüber hinaus werden weitere eventuell erforderliche Unterstützungen während der Ausbildung, etwa ein Mobilitätstraining am Ausbildungsplatz, Nachhilfe für den Berufsschulunterricht, psychosoziale Hilfen etc., organisiert und koordiniert. Geplant ist in diesem Zusammenhang auch, Teile der Ausbildung in das Berufsbildungswerk "auszulagern", z.B., um die Betriebe bei sehr zeitintensiven Ausbildungsabschnitten zu entlasten. Entsprechende Module werden entwickelt. Voraussetzung ist natürlich, daß sowohl der Betrieb als auch der/die Auszubildende mit einer solchen Regelung einverstanden sind. Des weiteren soll den Auszubildenden durch regelmäßig stattfindende, mehrtägige themenbezogene "peer-group-Treffen" im Bildungszentrum Gelegenheit gegeben werden, sich mit andern Betroffenen über ihre Situation und spezifischen Probleme im Betrieb auszutauschen.

Selbstverständlich steht das Bildungszentrum während der gesamten Ausbildungszeit als Ansprechpartner für Auszubildende, ihre Betriebe und Berufsschulen zur Verfügung. Das gilt insbesondere für Krisen- oder Konfliktsituationen.

Als neue Dienstleistung des Westfälischen Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte wird MobiliS blinde und sehbehinderte Jugendliche erreichen, die mit dem bisherigen Angebot einer überbetrieblichen Ausbildung nicht angesprochen werden konnten.

Kontakt:

Bildungszentrum für Blinde und Sehbehinderte Soest

MobiliS

Erwin Denninghaus, Adelheid Oeser-Steinbömer, Jörg Barlsen

Hattroper Weg 57

59494 Soest

Tel.: 02921/ 684-254 / 255

von Jörg Barlsen; BBW Soest

Quelle:

Jörg Barlsen: MobiliS - Modell: wohnortnahe berufliche Bildung Blinder und Sehbehinderter Ein Projekt des Bildungszentrums für Blinde und Sehbehinderte Soest

Erschienen in: impulse Nr. 14 / Dezember 1999

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 14.02.2005

zum Textanfang | zum Seitenanfang | zur Navigation