Integrationsbegleitung in Arbeit und Beruf von Menschen mit Lern- oder geistiger Behinderung

Eine Untersuchung von Integrationsfachdiensten in Westfalen-Lippe

Themenbereiche: Arbeitswelt
Textsorte: Zeitschriftenartikel
Releaseinfo: erschienen in: impulse Nr. 12, Juni 1999 impulse (12/1999)
Copyright: © Jörg Barlsen, Jörg Bungart, Jürgen Hohmeier, Helmut Mair 1999

Integrationsbegleitung in Arbeit und Beruf von Menschen mit Lern- oder geistiger Behinderung

Von September 1994 bis April 1995 richtete die Hauptfürsorgestelle des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe sieben Integrationsfachdienste (IFD) zur beruflichen Eingliederung von Menschen mit Lern- und geistigen Behinderungen ein (‚Projekt Integration'). Die Forschungsstelle ‚Unterstützte Beschäftigung' der Universität Münster wurde beauftragt, die Arbeit der Fachdienste über einen Zeitraum von ca. drei Jahren wissenschaftlich zu begleiten. Im Vordergrund der Evaluation standen folgende Fragen:

  1. Welche Funktionen übernehmen Integrationsfachdienste im bestehenden Reha-System? Welche Organisationsstrukturen sind für die Wahrnehmung dieser Funktionen zweckdienlich?

  2. Welchen Personen wird durch die Unterstützung von Integrationsfachdiensten die Aufnahme einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglicht? Sind Zusammenhänge von personenbezogenen Merkmalen mit dem Vermittlungserfolg erkennbar?

  3. Welche Arbeitsplätze in welchen Arbeitsmarktsektoren kommen für die Zielgruppe bevorzugt in Frage? Welche Strategien eignen sich, um diese Arbeitsplätze zu akquirieren?

  4. Welche Methoden und Maßnahmen der Unterstützung sind erfolgversprechend, und welche begleitenden Hilfen sind zwingend erforderlich?

Im folgenden werden als Antworten auf diese Fragen die wichtigsten Forschungsergebnisse systematisch zusammengefaßt.

Die Funktion der Integrationsfachdienste im bestehenden Reha-System

Die Träger sind beauftragt, durch Einrichtung der Integrationsfachdienste Menschen mit einer Lernbehinderung oder einer geistigen Behinderung bei der Eingliederung ins Arbeitsleben und der anschließenden Stabilisierung ihres Arbeitsplatzes behilflich zu sein. Mit Übernahme dieses Auftrags ergänzen sie nicht nur ihr Dienstleistungsspektrum um eine weitere in sich geschlossene Maßnahme. Darüber hinaus übernehmen die Dienste innerhalb der Organisationsstruktur der Träger auch Innovations- und Korrekturfunktionen, die durch die Träger intendiert sind, um neuen Zielorientierungen in ihrer Arbeit - auch in ihren anderen Einrichtungen - zur Durchsetzung zu verhelfen.

So fungiert der IFD bei allen Trägern als Schnittstelle zum allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Dienste schließen auf diese Weise zum einen eine Versorgungslücke zwischen Qualifizierungsangeboten und Arbeitswelt. Zum anderen initiieren und unterstützen sie durch die Bereitstellung neuer Perspektiven und Wege der beruflichen Eingliederung eine zieloffenere Gestaltung von anderen Förderungs- und Qualifizierungsmaßnahmen der Träger. Darüber hinaus entlasten die IFD andere Abteilungen, indem sie quasi als zentrale Scharnierstelle alle auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gerichteten Aktivitäten bündeln. So hat die WfB eines Trägers ihren Vermittlungsauftrag vollständig an den IFD abgegeben. Bei anderen Trägern überweisen die Mitarbeiter der Förderlehrgänge Absolventen, die nach Abschluß des Lehrgangs auf Unterstützungen angewiesen sind, an die Dienste.

Die Effektivität der Fachdienstarbeit wird dabei maßgeblich durch die Kooperation mit trägereigenen und -fremden Einrichtungen der Behindertenhilfe bestimmt. Als wesentliche Kooperationspartner erwiesen sich Werkstätten für Behinderte, Institutionen, die berufsqualifizierende Maßnahmen durchführen, (mit Einschränkungen) Schulen und andere berufliche oder soziale Reha-Dienste als ‚abgebende Einrichtungen'. Darüber hinaus kooperieren die Dienste mit den Arbeitsämtern und den örtlichen Fürsorgestellen, die zum einen den Fachdiensten Bewerber zuweisen und zum anderen entscheidungsbefugte Verhandlungspartner bei finanziellen und rechtliche Fragen sind. Als Auftraggeber kommt außerdem der Hauptfürsorgestelle eine zentrale Bedeutung zu, insofern sie sowohl bei der Auswahl geeigneter Bewerber als auch im Hinblick auf die Professionalisierung der Fachdienstarbeit Steuerungsfunktionen übernimmt.

Die Träger der sieben IFD verfügten sämtlich bereits vor der Einrichtung der Dienste über Erfahrungen in der Rehabilitation und Integration von Menschen mit Behinderungen. Insgesamt sechs bieten neben den Fachdiensten weitere Maßnahmen zur beruflichen Qualifizierung an. Die Träger unterstützen mit diesen Maßnahmen nicht grundsätzlich alle behinderten Menschen, sondern jeweils eine bestimmte Klientel. Je nach Vernetzung der IFD innerhalb der Einrichtungen der Träger wirkte sich dieser institutionelle Hintergrund auch auf die Bewerberstruktur der Fachdienste aus: Ihre Klientel entspricht in weiten Teilen derjenigen, die auch sonst durch den Träger unterstützt wird. Wird also angestrebt, durch das Angebot eines IFD für Klienten bestimmter ‚abgebender Einrichtungen' die Chance auf einen Arbeitsplatz zu erhöhen, scheint es sinnvoll zu sein, den Fachdienst auch organisatorisch möglichst eng an diese Institution anzubinden, um eine gute Kooperation zu ermöglichen. Soll der Dienst jedoch institutionsunabhängig Bewerbern einer bestimmten Region offenstehen, ist eine größere Autonomie des Fachdienstes sinnvoller.

Unterstützte Personen und Vermittlungsergebnisse

Im Erhebungszeitraum wurden von den Fachdiensten 764 Anfragen hinsichtlich einer Unterstützung registriert. 329 Arbeitsuchende (62% Männer und 38% Frauen) wurden nach Prüfung der Zuständigkeit in die Begleitung aufgenommen. In einem Zeitraum von ca. drei Jahren konnten 141 Personen auf den Arbeitsmarkt vermittelt werden; bei 84 Bewerbern wurde der Integrationsversuch vorher abgebrochen. 104 Bewerber befanden sich am Ende des Erhebungszeitraums noch im laufenden Integrationsverfahren.

Hinsichtlich ihrer schulischen und beruflichen Voraussetzungen entspricht die Bewerberschaft im wesentlichen derjenigen anderer bereits evaluierter Integrationsfachdienste: Es wurden mit einem Anteil von 46% überwiegend Personen mit einem Schulabschluß der Schule für Lernbehinderte unterstützt. 30% hatten einen Abschluß der Schule für geistig Behinderte und 17% einen Hauptschulabschluß. 51% waren mehrfachbehindert. Bei 34% lag neben der geistigen Beeinträchtigung eine Körperbehinderung und bei 11% eine Sinnesbehinderung vor. Der Grad der Behinderung variierte zwischen 30% und 100% und betrug durchschnittlich 75%.

Ungewöhnlich hoch sind dagegen die lebenspraktischen Kompetenzen der Bewerber:

  • 97 % aller Bewerber sind in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, 53% auch auf unbekannten Strecken.

  • Bei 86% der Bewerber ist die örtliche Orientierung innerhalb des eigenen Stadtteils bzw. Ortes uneingeschränkt.

  • 85% der Bewerber sind in ihrer zeitlichen Orientierung nicht eingeschränkt.

  • 57% der Bewerber können beim alltäglichen Einkauf uneingeschränkt mit Geld umgehen.

  • 46% der Bewerber sind in der selbständigen Haushaltsführung nicht eingeschränkt.

  • 86% der Bewerber sind in ihrer Körperpflege selbständig.

  • 57% der Bewerber sind hinsichtlich ihres Sozialverhaltens unauffällig.

Art und Ausmaß der Behinderung hätten vermuten lassen, daß die Arbeitsuchenden auch in ihren lebenspraktischen Kompetenzen stärker eingeschränkt sind. Es werden demnach aus der Gruppe der Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen von den professionellen Helfern besonders diejenigen als geeignet erachtet, eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben, die relativ hohe alltagspraktische Fähigkeiten mitbringen; und diese Personengruppe scheint sich eine solche Tätigkeit auch am ehesten zuzutrauen.

Auch in Bezug auf den beruflichen Status bei Beginn der Begleitung und auf die beruflichen Vorerfahrungen entspricht die unterstützte Klientel in etwa derjenigen anderer IFD: 1/3 der Bewerber war zu Beginn der Begleitung in einer WfB tätig und 1/3 arbeitslos, 20% absolvierten berufsvorbereitende Maßnahmen. Absolventen von Schulen wurden nur in Einzelfällen begleitet; ihr Anteil betrug lediglich 6%. Es gibt allerdings fachdienstspezifische Unterschiede.

29% aller unterstützten Personen hatten bereits Arbeitserfahrungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, und 33% waren im Laufe ihrer beruflichen Biographie in einer WfB tätig gewesen. Die Arbeitserfahrungen korrespondieren mit den Schulabschlüssen der Bewerber: Absolventen der Schule für geistig Behinderte waren signifikant häufiger in einer WfB tätig und hatten seltener Berufserfahrungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Trotzdem überrascht zum einen die relativ große Zahl derjenigen aus Schulen für Geistigbehinderte, die bereits auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gearbeitet oder an einer beruflichen Vorbereitungsmaßnahme teilgenommen haben. Zum anderen ist unter den Bewerbern, die aus einer Werkstatt für Behinderte kommen, der Anteil der Lernbehinderten im Vergleich zur üblichen Klientel der WfB überproportional hoch. Die Ergebnisse deuten darauf hin, daß es sich bei einem großen Teil der Arbeitsuchenden - zumindest hinsichtlich der kognitiven Leistungsfähigkeit - um eine relativ homogene Gruppe im Grenzbereich zwischen Lernbehinderung und geistiger Behinderung handelt. Es sind relativ leistungsstarke Absolventen der Schule für Geistigbehinderte, für die häufig bereits an anderer Stelle schon eine Vermittlung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt in Betracht gezogen wurde, sowie ‚schwache' Lernbehinderte, bei denen die üblichen Qualifizierungsmaßnahmen bislang nicht reichten (und vermutlich nicht reichen werden), um ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingehen zu können. Weitere bzw. differenziertere leistungsbezogene Auswahlkriterien zur Rekrutierung geeigneter Bewerber festzulegen, scheint nicht sinnvoll zu sein. Zwar fanden Arbeitsuchende

  • mit geringeren Einschränkungen in lebenspraktischen Kompetenzen,

  • mit einem geringeren GdB,

  • mit einem qualifizierteren Schulabschluß,

  • mit einer Ausbildung,

  • mit Berufserfahrung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und solche,

  • die nicht in einer WfB gearbeitet haben,

etwas häufiger einen Arbeitsplatz als andere Bewerber. Die Zusammenhänge sind jedoch bei weitem nicht so eindeutig, daß sie die Formulierung von Mindestanforderungen rechtfertigen könnten. Solche Generalität beanspruchenden Schwellenwerte oder Standardanforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nach dem Prinzip des ‚kleinsten gemeinsamen Vielfachen' würden die Identifizierung all derjenigen erschweren oder verhindern, deren Fähigkeiten nicht den festgelegten Kriterien entsprechen oder durch sie nicht erfaßbar sind, die aber durchaus über spezifische Leistungspotentiale verfügen, die sie bei sorgfältiger Auswahl des Arbeitsplatzes und entsprechender Unterstützung für eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt qualifizieren könnten. Entscheidender ist es, nicht nur die Bewerber, sondern auch die Betriebe und deren verfügbare Arbeitsplätze genau zu kennen. Nur indem bei den Fachdiensten Informationen über beide Seiten zusammenfließen, werden sie in die Lage versetzt, einzelfallbezogen über die Eignung eines bestimmten Arbeitsuchenden für einen bestimmten Arbeitsplatz zu entscheiden.

Beim Abbruch der Integrationsbegleitung stand - neben gesundheitlichen Problemen (31%) und instrumentellen Anforderungen der Tätigkeit (24%) - die persönliche Situation und Zielsetzung der Bewerber im Mittelpunkt (42%). Sie nutzten den Integrationsversuch zur Klärung ihrer grundsätzlichen beruflichen Perspektiven, und viele entschieden sich dann - zumindest vorläufig - für die WfB. Besonders hilfreich war dabei die Erfahrung einer praktischen Erprobung in einem Betrieb auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Die Vermittelten arbeiteten zu 86%auf Vollzeitstellen (35 und mehr Wochenstunden), und 60% von ihnen hatten einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Auf 92% der von den unterstützten Arbeitnehmern besetzten Arbeitsplätze wurden Lohnkostenzuschüsse gewährt, aber nur 35% der Arbeitsplätze wurden über die Dauer von 3 Jahren mit den höchstmöglichen Zuschüssen subventioniert. Es wurde nachgewiesen, daß Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Arbeitskollegen um durchschnittlich 140,-DM geringere Löhne beziehen. Der geringere Verdienst ist in allen Branchen festzustellen und kann eher als grundsätzliche Benachteiligung gewertet werden, da in der vorliegenden Untersuchung keine Anhaltspunkte dazu vorliegen, daß Frauen häufiger Tätigkeiten mit geringeren Qualifikationsanforderungen verrichteten. Außerdem waren unterstützte Arbeitnehmerinnen signifikant häufiger in Teilzeitjobs und auf befristeten Stellen beschäftigt als ihre männlichen Kollegen.

Bemerkenswert ist, daß Personen, die vor der Vermittlung durch den IFD bereits Erfahrungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sammeln konnten, höhere Bruttolöhne erzielten, und zwar unabhängig von der Art der Behinderung. So hatten z.B. im Dienstleistungsbereich geistig Behinderte mit betrieblichen Erfahrungen einen um durchschnittlich ca. 310,- DM höheren Lohn als geistig Behinderte ohne einen entsprechenden Erfahrungshintergrund. Die Kenntnis von Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes scheint somit eine entscheidende Variable für die Besetzung von Arbeitsplätzen mit höheren Qualifikationsprofilen zu sein, womit dann auch eine höhere tarifliche Eingruppierung verbunden ist.

Betriebe und Arbeitsplatzakquisition

Im Erhebungszeitraum haben die Fachdienstmitarbeiter 493 Betriebe besucht, um in einem Gespräch mit dem Personalleiter oder dem Unternehmensleiter selbst das Anliegen des Fachdienstes zu erläutern und ggf. einen Bewerber vorzustellen. Die branchenspezifische Verteilung der Betriebe entspricht in etwa den Wirtschaftsstrukturen der Einzugsgebiete der Fachdienste. Am häufigsten wurden Betriebe aus dem Dienstleistungsbereich (33%), dem produzierenden Gewerbe (27%) sowie Handel und Handwerk (21%) um Praktikums- und Arbeitsstellen angefragt. Lediglich Betriebe aus der Land- und Forstwirtschaft wurden im Vergleich zur Wirtschaftsstruktur der Regionen überproportional häufig kontaktiert. 13% der angesprochenen Unternehmen gehören diesem Wirtschaftssektor an, der in NRW nur 2% aller Arbeitsplätze stellt. Der Garten- und Landschaftsbau bietet nach vielfacher Meinung ein Arbeitsumfeld, das den Fähigkeiten und Neigungen geistig behinderter Menschen in besonderer Weise entspricht.

Etwas anders stellt sich die Situation dagegen hinsichtlich der Betriebsgrößen dar: Zwar wurden überwiegend Klein- und Mittelbetriebe (bis 50 Beschäftigte) angesprochen, im Verhältnis zu der Zahl der tatsächlich existierenden Unternehmen sind unter den kontaktierten Betriebe jedoch solche mit mehr als 50 Mitarbeitern deutlich überrepräsentiert.

Vermittlungen erfolgten vor allem in Klein- und Mittelbetriebe im Dienstleistungs- und produzierenden Gewerbe sowie in der Land- und Forstwirtschaft. Insgesamt stellten 131 Unternehmen einen oder mehrere Arbeitsuchende ein. Sowohl hinsichtlich der Branchen als auch hinsichtlich der Betriebsgrößen entspricht das Verhältnis der Unternehmen, die Bewerber eingestellt haben, dem aller tatsächlich existierenden Unternehmen in den Einzugsgebieten der Dienste. Zwar wurden im Verhältnis zu allen angesprochenen Betrieben etwas häufiger Bewerber in den Garten- und Landschaftsbau und in kleinere Unternehmen vermittelt, die Zusammenhänge sind jedoch nicht signifikant. Die vorliegenden Ergebnisse liefern demnach keinerlei Hinweise, die es sinnvoll erscheinen lassen, bei der Akquisition von Arbeitsplätzen von der bestehenden Praxis abweichend bestimmten Wirtschaftssektoren oder Betriebsgrößen künftig besondere Präferenzen einzuräumen. Vielmehr erscheint es notwendig, die Aktivitäten möglichst auf das gesamte Spektrum vorhandener Arbeitsplatzanbieter auszurichten, und zwar insbesondere auf die Segmente, in denen sich eine Expansion abzeichnet.

Deutlicher wirkte sich dagegen die allgemeine Arbeitsmarktsituation in den Einzugsgebieten der Fachdienste auf die Akquisitionserfolge aus. In den Regionen mit relativ hoher Arbeitslosigkeit gelang es seltener als in den anderen, einen Betriebsbesuch zu vereinbaren. Hinsichtlich des Verhältnisses von angesprochenen zu einstellenden Betrieben sind dagegen keine regionspezifischen Zusammenhänge feststellbar. Eine ungünstige Arbeitsmarktsituation erschwert somit vor allem den Zugang zu Unternehmen. Gelingt es jedoch, einen Betriebsleiter soweit für das Anliegen des IFD zu interessieren, daß er einem ausführlichen Gespräch zustimmt, beeinflussen andere Faktoren als die Arbeitslosenquote die weiteren Vermittlungschancen. Das heißt: Alle Eingliederungsbemühungen erreichen ihr Ziel nur dann, wenn eine Einstellung für den Unternehmer unter den jeweils gegebenen Arbeitsmarktbedingungen einen Sinn macht. Wo das fraglich erscheint, wirken weder prosoziale Einstellungen noch die Möglichkeit finanzieller Subventionen und sonstiger Unterstützungen als Triebfeder für eine Anstellung. Diese sekundären Motive kommen erst dann zum Tragen, wenn eine betriebliche Verwendung überhaupt möglich erscheint. Darauf deuten auch die Arbeitsverträge hin: Entsprechend dem allgemeinen Trend sind 40% der Beschäftigungsverhältnisse befristet.

In 259 Unternehmen (53% aller angesprochenen Betriebe) konnten entweder Maßnahmen wie Praktika und Probebeschäftigungen durchgeführt werden oder kam es zu einer Einstellung. Dem ‚Erstgespräch' kommt somit im Akquisitionsprozeß eine erhebliche Bedeutung zu. Die Mitarbeiter der IFD entwickelten im Projektverlauf verschiedene Strategien, diese Gespräche zu führen. Als entscheidende Faktoren dafür, ob eine Vermittlung in ein Praktikums- bzw. Arbeitsverhältnis zustande kam, erwiesen sich:

  1. welche Ziele mit dem Gespräch verfolgt wurden,

  2. ob der Bewerber im Gespräch anwesend war,

  3. wie die Fachdienstmitarbeiter argumentierten.

Mit relativ großer Wahrscheinlichkeit (in 32 von 61 Betriebsbesuchen) gelang es, dann einen Arbeitsplatz zu akquirieren, wenn dies von Anfang an im Betriebsgespräch intendiert war. Wurde von vornherein lediglich nach einem Praktikumsplatz gefragt oder war das Gespräch nicht auf einen konkreten Klienten bezogen, war die Wahrscheinlichkeit, daß die angesprochenen Arbeitgeber einen Bewerber einstellten, signifikant geringer. Ähnlich verhielt es sich hinsichtlich der Akquisition von Praktikumsplätzen. Die Erfolgsaussichten waren am höchsten, wenn die Suche nach einem Praktikumsplatz auch Anliegen des Gespräches war. In jedem Fall gilt also: Je konkreter die Nachfrage nach einer Praktikums- oder Arbeitsstelle für einen Bewerber ist, um so eher gelingt die Vermittlung.

Dazu paßt, daß die Teilnahme des Bewerbers am Betriebsgespräch einen - wenn auch leichten - Einfluß auf die Vermittlung eines Praktikumsplatzes hatte. Ein Zusammenhang mit der Vermittlung in Arbeit besteht dagegen nicht. Eine Erklärung hierfür ist, daß die Einstellung i.d.R. erst nach einem Praktikum erfolgte, in dem der Personal- oder Betriebsleiter sich ein differenziertes Bild vom Klienten machen konnte. Der (erste) Eindruck aus dem Bewerbungsgespräch spielte dann keine Rolle mehr. Ein ähnlicher Zusammenhang besteht mit dem Vorliegen von Bewerbungsunterlagen. Lagen entsprechende Unterlagen vor, erklärten sich Arbeitgeber in der Tendenz häufiger zur Durchführung eines Praktikums oder einer Einstellung bereit. Je konkreter sich also ein Unternehmensleiter bereits im Erstgespräch über einen Bewerber informieren konnte, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, daß er sich zu einem Integrationsversuch bereit erklärte.

In den Gesprächen mit den Personal- und Betriebsleitern entwickelten die Fachdienstmitarbeiter verschiedene Argumentationsstrategien. Insgesamt konnten drei ‚Gesprächstypen' identifiziert werden:

  • Gesprächstypus 1: Es wird sehr umfangreich und vielfältig argumentiert. Der Klient ist in manchen Fällen anwesend, seine spezifischen Fähigkeiten und seine grundsätzliche Arbeitsfähigkeit werden genauso dargestellt wie die Leistungen des Integrationsfachdienstes und die Möglichkeit finanzieller Förderungen. 56% aller Gespräche verliefen nach diesem Muster.

  • Gesprächstypus 2: Der Klient ist überdurchschnittlich häufig dabei, und seine Fähigkeiten sind das zentrale Thema im Gespräch. Leistungen des Fachdienstes und Fördermöglichkeiten werden eher selten zur Sprache gebracht. 18% aller Gespräche folgten diesem Muster.

  • Gesprächstypus 3: Bei den Gesprächen dieses Typs handelt es sich um sog. ‚Kaltakquisitionen': Es ist kein Klient anwesend, und das Gespräch bezieht sich i.d.R. auch nicht auf einen konkreten Bewerber. Die Mitarbeiter argumentieren überwiegend mit der grundsätzlichen Arbeitsfähigkeit ihrer Klientel, der Leistungsfähigkeit des Fachdienstes und der Möglichkeit finanzieller Subventionen. 26% der Akquisitionsgespräche verliefen in dieser Art.

Die ermittelten Gesprächstypen korrespondieren mit dem Akquisitionserfolg: Am wenigsten erfolgversprechend ist die Strategie 3 - die ‚Kaltakquisition'. Nur 31% aller Arbeitgeber, mit denen Gespräche nach diesem Muster geführt wurden, stellten Praktikums- oder Arbeitsplätze zur Verfügung; mit Gesprächen nach dem Muster 2, das den Klienten und seine spezifische Leistungsfähigkeit in den Vordergrund stellt, wurden dagegen bei mehr als der Hälfte der Fälle Erfolge erzielt. Noch etwas effektiver scheint es jedoch zu sein, beides - die Qualifikation des Bewerbers und die Leistungen des Fachdienstes bzw. die Fördermöglichkeiten - zu thematisieren. 60% der Gespräche nach dem Muster 1 führten zu einem Praktikums- oder Arbeitsplatz.

Die ermittelten Zusammenhänge sind zwar nicht so eindeutig, daß sie monokausal im Sinne einfacher ‚Wenn-Dann-Beziehungen' interpretiert werden können. Insgesamt weisen sie jedoch darauf hin, daß die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Vermittlung um so größer ist, je besser es den Fachdienstmitarbeitern bereits im Akquisitionsgespräch gelingt, durch differenzierte Informationen über den Bewerber und durch das Angebot geeigneter Maßnahmen die vermuteten und realen Diskrepanzen zwischen den Fähigkeiten des Bewerbers und den Anforderungen des Betriebs auszuräumen oder dies überzeugend in Aussicht zu stellen. Dies scheint am ehesten erreichbar, wenn

  • die Intention eines Gesprächs eindeutig ist, es also um die Vermittlung eines konkreten Klienten auf einen Praktikums- oder Arbeitsplatz geht,

  • der Arbeitgeber sich durch die Anwesenheit des Klienten und anhand vorhandener Bewerbungsunterlagen ein Bild vom Bewerber machen kann, und

  • bereits im ‚Erstgespräch' mit dem Arbeitgeber Hilfen in Aussicht gestellt werden, die auf den Einzelfall zugeschnittene realistische Lösungen für vorhersehbare Probleme erwarten lassen.

Maßnahmen und Methoden der Unterstützung im Eingliederungsprozeß

Der Eingliederungsprozeß erfolgt i.d.R. in 3 Stufen. In einer Vorbereitungsphase werden - häufig in Praktika - Fähigkeiten der Bewerber und Anforderungen vorgesehener Arbeitsplätze untersucht, um zu prüfen, ob sich ein Arbeitsplatz für einen Bewerber eignet und welche Modifikationen des Arbeitsplatzes und Unterstützungen des Bewerbers notwendig sind. In einer zweiten Phase wird der Bewerber durch ein Arbeitstraining am Arbeitsplatz eingearbeitet und erhält ggf. Unterstützungen zur sozialen Integration in den Betrieb. Sobald der unterstützte Arbeitnehmer seine Arbeit selbständig ausüben kann und auch sonst keine Probleme vorkommen und zu erwarten sind, werden in der dritten Phase - der Nachsorge - die Hilfen nach und nach auf evtl. notwendige Kriseninterventionen reduziert.

Die Fähigkeits- und Anforderungsanalyse

Im Vergleich mit den Institutionen, die überbetriebliche berufsqualifizierende Maßnahmen durchführen, sind die Möglichkeiten der Integrationsfachdienste, valide Informationen über die Kompetenzen und behinderungsbedingten Einschränkungen ihrer Bewerber zu erhalten, deutlich begrenzt. Erstere erleben ihre Klienten meist - allerdings außerhalb normaler betrieblicher Realitäten - über einen längeren Zeitraum in verschiedenen und veränderbaren Arbeitszusammenhängen und können so nach und nach einen umfassenden Eindruck über deren Leistungspotentiale und -schwankungen, ihre Entwicklungsmöglichkeiten und ihre Motivation gewinnen. IFD stehen dagegen vor dem Problem, sich in relativ kurzer Zeit und in der Mehrzahl der Fälle ohne solche außerbetrieblichen Arbeitserprobungen einen Eindruck über die Arbeitsfähigkeit ihrer Bewerber verschaffen zu müssen, der ausreicht, um zumindest ein Praktikum auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt initiieren zu können, das nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Insofern ist verständlich, weshalb auf Seiten der Integrationsfachdienste ein dringender Bedarf an verläßlichen ‚diagnostischen' Verfahren besteht, um sowohl bewerber- als auch arbeitsplatzspezifische Merkmalprofile zu erheben und zur Passung zu bringen. Die Hauptfürsorgestelle veranlaßte daher zu Beginn des Projekts die Schulung der Fachdienstmitarbeiter in der Anwendung des Profilvergleichsverfahrens MELBA (BMA 1997), das bereits andernorts zur Beurteilung arbeitsrelevanter Fähigkeiten geistig behinderter Menschen eingesetzt wurde.

In der wissenschaftlichen Begleitung sollte geprüft werden, inwieweit sich das Verfahren als diagnostisches Instrumentarium für die Arbeit von IFD eignet. Dazu wurden die Fachdienstmitarbeiter in 3 Untersuchungsgruppen aufgeteilt, die auf verschiedene Weise Fähigkeits- und Anforderungsprofile erhoben: Eine erste Gruppe wandte das Verfahren bei jedem Bewerber und jedem Arbeitsplatz vollständig an. Eine zweite Gruppe setzte das Verfahren flexibel ein, d.h. sie entschieden fallbezogen, welche Merkmale in welchem Umfang überprüft werden sollten. Eine dritte Gruppe setzte das Verfahren nicht ein, sondern entwickelte eigene Beurteilungsraster.

Insgesamt waren nur geringe Unterschiede zwischen den Gruppen festzustellen. Alle Phasen der Begleitung dauerten jedoch in der Gruppe, die MELBA flexibel einsetzte, am kürzesten. Die Daten liefern demnach keine Hinweise dafür, daß durch den konsequenten Einsatz eines Profilvergleichsverfahrens die Entscheidungssicherheit bei Plazierungen zu erhöhen ist.

Die Ergebnisse erscheinen plausibel: Die Mitarbeiter, die die Möglichkeit nutzten, zwar auf ein differenziertes Beurteilungsraster zurückzugreifen, dieses jedoch flexibel und im Sinne eines Screeningverfahrens zur - eher groben - Orientierung einsetzten, arbeiteten hinsichtlich der Betreuungsdauer am ökonomischsten. Demnach ist es weder sinnvoll, völlig auf explizit formulierte Bewertungskriterien zu verzichten und jede Vermittlung als nicht vergleichbaren Einzelfall zu betrachten, noch erhöht es die Effektivität, wenn mit Hilfe eines standardisierten - und damit starren - Beurteilungsverfahrens die Spezifika und die zu erwartenden Probleme aller Vermittlungsfälle auf die gleiche Weise erfaßt werden. Ein solches Vorgehen birgt zum einen die Gefahr in sich, daß durch die allumfassende Abklärung einer möglichen Passung zwischen Fähigkeiten und Anforderungen der Blick von den im individuellen Fall relevanten Problemen abgelenkt wird, die sich etwa durch die Rahmenbedingungen eines Eingliederungsversuches (z.B. durch ein eher hemmendes als förderndes soziales Umfeld, durch Vorurteile und Berührungsängste auf Seiten der Kollegen) ergeben. Zum anderen ist zu befürchten, daß die Entwicklungspotentiale und Kompensationsmöglichkeiten der Bewerber ebenso wie die Anpassungsbereitschaft der Betriebe außer acht gelassen werden und so den Bewerbern bestimmte Tätigkeiten aufgrund einer - vermeintlichen - Diskrepanz zwischen Anforderungen und Fähigkeiten von vornherein nicht zugetraut werden. Letztendlich vermögen noch so umfangreiche Analyseinstrumente dem Bedürfnis der Fachdienste, Plazierungsentscheidungen objektivierbar zu machen, nicht zu genügen. Im Gegenteil: Je aufwendiger und standardisierter ein diagnostisches Verfahren ist, desto eher besteht die Gefahr, daß es den konzeptionellen Grundlagen der IFD zuwider läuft und kontraproduktiv wirkt. Je größer nämlich - wie die Ergebnisse vorliegender Untersuchung belegen - der zeitliche und instrumentelle Aufwand einer Diagnostik im Vorfeld einer Vermittlung ist, desto eher verhindert oder verzögert sie den eigentlich zentralen Schritt - den der Plazierung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Qualifizierende und begleitende Maßnahmen

Die Fachdienstmitarbeiter in ‚Projekt Integration' verfolgen im gesamten Prozeß der Passung von Anforderungen und Fähigkeiten einen arbeitsmarkt- bzw. betriebsnahen methodischen Ansatz. In der Vorbereitung und Qualifizierung der Bewerber orientieren sich die IFD-Mitarbeiter eng an dem Prinzip ‚erst plazieren, dann qualifizieren'. Dabei konnte die zentrale Schlüsselstellung betrieblicher Praktika - zu 71% Vollzeitpraktika - nachgewiesen werden. Sie wurden i.d.R. in jenen Branchen durchgeführt, in denen später auch die vermittelten Bewerber beschäftigt waren, und 82% der Vermittelten absolvierten in jenem Betrieb ein Praktikum, mit dem sie dann auch einen Arbeitsvertrag abschlossen. Dabei scheint das erste Praktikum einen zentralen Platz im Prozeß der Passung von Anforderungen und Fähigkeiten einzunehmen: Zum Ende kann eine relativ genaue Entscheidung darüber getroffen werden, ob a) eine betriebliche Integration erfolgversprechend erscheint und b) weitere Praktika die Chancen einer Vermittlung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt erhöhen.

Dies setzt voraus, daß Praktika, die sowohl diagnostische als auch qualifizierende Funktionen erfüllen, intensiv begleitet werden. Die Zielsetzungen in den Praktika mit überwiegend qualifizierendem Aspekt bezogen sich vor allem auf die ‚Arbeitsausführung' (94%) und die ‚sozialen Kompetenzen' (43%); die Zielsetzungen, die sich auf die Bereiche ‚Gesundheit' (14%), ‚kognitive Kompetenz' (9%) und ‚Motivation' (6%) bezogen, waren eher auf die Beantwortung diagnostischer Fragestellungen ausgerichtet. Es ist entscheidend bei der Durchführung der Praktika, auftretende Probleme - sowohl auf Seiten des Praktikanten als auch des Betriebes - frühzeitig wahrzunehmen und auf sie angemessen und rechtzeitig zu reagieren. Insgesamt standen im 'Projekt Integration' Probleme bei der ‚Arbeitsausführung' (66%) und der ‚sozialen Integration' (44%) im Vordergrund, allerdings wurden in ca. jedem vierten Praktikum auch die Bereiche ‚kognitive Kompetenz' (26%) und ‚Gesundheit' (23%) genannt. Auch bei Anlerntätigkeiten muß somit - zumindest teilweise - mit Einarbeitungsschwierigkeiten aufgrund kognitiver Überforderungen gerechnet werden. Ebenso dürfen gesundheitliche Probleme, die z.T. bereits vorher bestanden oder aus der neuartigen Arbeitsbelastung resultieren, nicht unterschätzt werden.

An der Begleitung und Einarbeitung im Betrieb waren in 62% der Praktika Betriebsangehörige direkt beteiligt, was als Hinweis auf innerbetriebliche Unterstützungspotentiale gewertet werden kann. Die IFD-Mitarbeiter übernahmen dann schwerpunktmäßig die Einarbeitung, wenn eine umfangreichere Form der Anleitung, wie die ‚Mitarbeit am Arbeitsplatz', notwendig erschien oder wenn aufgrund von Veränderungen der Arbeitsplatzanforderungen eine erneute Einarbeitung erforderlich wurde. In letzterem Fall wurden zunehmend externe Arbeitstrainer eingesetzt. Die zentrale Bedeutung der mittleren betrieblichen Leitungsebene und der Einbindung des unterstützten Arbeitnehmers in ein Team - sowohl für die Einarbeitung als auch für die längerfristige betriebliche Integration - konnte beispielhaft aufgezeigt werden.

Der Prozeß der Passung beinhaltet auch Veränderung auf Seiten der Betriebe und ihrer Anforderungen. Ob entsprechende Möglichkeiten bestehen, sollte deshalb bereits bei der Akquisition von Betrieben grundsätzlich geklärt werden. Wie diese gestaltet sind und inwieweit diese zu verändern sind, wird mit Beginn der betrieblichen Erprobung - i.d.R. im Praktikum - zunehmend konkreter und wurde im vorliegenden Bericht vor allem unter den Stichworten ‚Arbeitsplatzanpassungen' und ‚innerbetriebliche Unterstützungen' (natural supports) dargestellt. Arbeitsplatzanpassungen wurden bei 45% der unterstützten Arbeitnehmer vorgenommen und finden sich in allen Arbeitsbereichen und Branchen gleichermaßen wieder. Auch in Unternehmen mit bis zu 15 Beschäftigten sind also durchaus Änderungspotentiale vorhanden. Die Anpassungen von Arbeitsplätzen stellten i.d.R. Reduzierungen der Arbeitsplatzanforderungen dar und betrafen überwiegend Änderungen der Arbeitsinhalte (44%). Zum einen erfolgte eine Zusammensetzung des neuen Tätigkeitsfeldes aus verschiedenen (einfachen) Tätigkeiten. Zum anderen bezogen sich die Änderungen auf die Auslagerung überfordernder Tätigkeiten; dies betraf aufgrund der Zielgruppe im ‚Projekt Integration' erwartungsgemäß vor allem Tätigkeiten mit höheren kognitiven Anforderungen. Innerbetriebliche Unterstützungen wurden für 60% der unterstützten Arbeitnehmer vor allem zur Verrichtung der Arbeit vereinbart (68%), hauptsächlich mit einzelnen Kollegen (31%) oder dem direkten Vorgesetzten (43%). Sowohl bei der Initiierung von Arbeitsplatzanpassungen als auch von innerbetrieblichen Unterstützungen unterschieden sich die IFD signifikant voneinander. Die Ergebnisse lassen vermuten, daß dies weniger durch die jeweilige Bewerber- und Betriebsstruktur bedingt war, sondern vielmehr auf die unterschiedliche Nutzung beider ‚Instrumentarien' durch die IFD-Mitarbeiter zurückzuführen ist.

Neben den innerbetrieblichen Unterstützungen wurden von den IFD-Mitarbeitern auch Unterstützungen aus dem sozialen Umfeld der Bewerber ermittelt und initiiert. Die emotionalen, instrumentellen und orientierenden Hilfen wurden zu relativ gleichen Anteilen von Personen aus dem privaten Umfeld, vor allem aus der Herkunftsfamilie (38%), und von professionellen Helfern, vor allem aus dem betreuten Wohnen (21%), geleistet. Am häufigsten wurden instrumentelle Hilfen im Bereich Arbeit (30%) und im privaten Alltag (25%) vereinbart. Dadurch konnten die IFD-Mitarbeiter in wichtigen Bereichen entlastet und die betrieblichen Maßnahmen durch flankierende Hilfen wesentlich unterstützt werden. Von besonderer Relevanz ist aber das Ergebnis, daß Bewerber, deren Bezugspersonen aus dem sozialen Umfeld positive Erwartungen über den Integrationserfolg äußerten, signifikant häufiger unter den Vermittelten waren. Offensichtlich wurde hiermit eine Unterstützungsleistung erfaßt, die sich nicht in den konkreten Vereinbarungen widerspiegelt, sondern eher latent vorhanden ist.

Ist der von den IFD-Mitarbeitern geleistete Unterstützungsaufwand im Praktikum besonders hoch, so nimmt er nach Abschluß eines Arbeitsvertrages sowohl insgesamt als auch im Betrieb sukzessive ab. Trotzdem ist auch dann eine relative Nähe zum Betrieb von entscheidender Bedeutung, um u.a. einen erneuten Einarbeitungsbedarf, z.B. aufgrund der in der vorliegenden Untersuchung von einigen Betrieben mittelfristig erwarteten Erweiterung des Tätigkeitsspektrums, oder auch um Krisensituationen rechtzeitig wahrnehmen und entgegensteuern zu können. Umfangreichere Krisen traten im Verlauf der betrieblichen Integration bei 37% der unterstützten Arbeitnehmer auf. Die Art der Krisen verdeutlicht, daß zum einen die soziale Eingliederung im Betrieb nicht in jedem Fall gleichzeitig mit der Einarbeitung in die Tätigkeit abgeschlossen war. Zum anderen zeigt sie, daß die Auswirkungen der Umstellungen im Bereich Arbeit, die mit der Vermittlung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verbunden sein können, auf die Gesundheit und private Lebenssituation mancher Arbeitnehmer berücksichtigt werden müssen. Außerdem stellten die IFD-Mitarbeiter fest, daß sich die unterstützten Arbeitnehmer durch gleichzeitige Veränderungen in den Bereichen Arbeit und Wohnen oftmals überforderten. Zwar boten die IFD-Mitarbeiter nur ausnahmsweise selbst Unterstützungen in privaten Lebensbereichen an. Sie kooperierten in diesem Aufgabenfeld aber eng mit relevanten Einrichtungen - vor allem des betreuten Wohnens -, und sie übernahmen innerhalb dieses Kooperationsnetzwerkes, bezogen auf das Thema Arbeit, zunehmend die Funktion einer ‚Schaltstelle'.

Die Vielfalt der von den IFD-Mitarbeitern insgesamt initiierten vorbereitenden Maßnahmen sowie deren variable Gestaltung im Einzelfall, belegen die grundsätzlich flexible und individuelle Ausrichtung im Arbeitsansatz der IFD-Mitarbeiter. So wurden z.B. auch überbetriebliche Qualifizierungsmaßnahmen durchgeführt, die vor allem zur näheren Bestimmung des Fähigkeitsprofils herangezogen wurden und der Orientierung der Bewerber dienten. Außerdem absolvierten z.B. die WfB-Beschäftigten durchschnittlich mehr und längere Praktika als die arbeitslosen Bewerber. Trotzdem muß die im Vergleich zu den Arbeitslosen geringere Vermittlungsquote der WfB-Beschäftigten auch kritisch hinterfragt werden. Es ist zu prüfen, ob die Vorbereitungsphase von Bewerbern aus der WfB, z.B. durch mehr und längere Praktika, durch eine engere Kooperation zwischen IFD und WfB oder durch eine gezieltere Orientierungsphase vor der betrieblichen Erprobung, nicht teilweise anders strukturiert werden sollte. Daneben gestaltete sich die Begleitung von Schülern und Schulabsolventen als besonders schwierig. Der Unterstützungsaufwand war im Vergleich zu den anderen Bewerbern bedeutend höher. Die für eine betriebliche Integration relevanten Schlüsselqualifikationen der Absolventen waren oftmals unzureichend, und die betrieblichen Erprobungsphasen erwiesen sich als zu kurz. In der Konsequenz ist vor allem eine Umstellung schulischer Curricula zu fordern, die sich stärker an den nachschulischen Anforderungen zu orientieren haben. Ferner sollten Schulabsolventen - unabhängig von einem ‚training on the job' - Möglichkeiten einer (Höher-)Qualifizierung offengehalten werden.

Insgesamt ist festzustellen, daß die Arbeit der IFD in einem ‚Spannungsverhältnis' zwischen den Leitzielen ‚Rehabilitation' und ‚Normalisierung' steht. Die Fachdienstmitarbeiter sind in ihrer Praxis auf der einen Seite konfrontiert mit einem etablierten und hochspezialisierten Rehabilitationssystem, welches sich institutionell weitgehend in Sondereinrichtungen manifestiert. Auf der anderen Seite steht die übergeordnete Zielsetzung der Fachdienste zur Integration von Menschen mit Behinderung in Arbeit und damit letztendlich in die Gesellschaft. Für die Arbeit von IFD ist deshalb die Bewältigung dieses konzeptionell und institutionell unumgänglichen Spannungsverhältnisses von zentraler Bedeutung. Seine differenzierte Thematisierung und Bearbeitung, d.h. die kompetente Ausbalancierung des Spannungsverhältnisses im Einzelfall - ohne gegenläufige Tendenzen im eigenen Team und bei anderen zu leugnen oder zu überspielen - hat weitreichende Auswirkungen auf die Fachdienstarbeit, auf die Arbeitsbeziehungen mit den Bewerbern sowie auf die Kooperationsbeziehungen mit anderen Institutionen und mit Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes. Ebenso werden bestimmte Probleme und Aufgaben, die sich dem IFD stellen, erst auf dem Hintergrund dieses Spannungsverhältnisses erkannt bzw. verständlich. Bei der weiteren Professionalisierung der Fachdienstarbeit sollten die Auswirkungen dieses Spannungsverhältnisses aufgegriffen und der Umgang mit ihnen diskutiert und erprobt werden.

Barlsen, J.; Bungart, J.; Hohmeier, J.; Mair, H., Forschungsstelle Unterstützte Beschäftigung - Universität Münster

Der Bericht ist erhältlich beim:

Landschaftsverband Westfalen-Lippe Hauptfürsorgestelle

Warendorfer Str. 26, 48145 Münster

Quelle:

Jörg Barlsen, Jörg Bungart, Jürgen Hohmeier, Helmut Mair: Integrationsbegleitung in Arbeit und Beruf von Menschen mit Lern- oder geistiger Behinderung - Eine Untersuchung von Integrationsfachdiensten in Westfalen-Lippe

Erschienen in: impulse Nr. 12 / Juni 1999

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 06.06.2007

zum Textanfang | zum Seitenanfang | zur Navigation